15
In dem meisten Romanen von Jane Austen sind es die flatterhaften, oberflächlichen Menschen, die sich nach den Vergnügungen der Stadt sehnen, während die nachdenklichen, gefühlvollen ausreichend innere Ruhe besitzen, um die stillen Freuden des Landlebens zu genießen. Zugegebenermaßen trifft das wohl eher auf die Verfilmungen der Ausren-Romane als auf die Bücher zu, die ich das letzte Mal im Alter von sechzehn Jahren gelesen hatte. Ich nahm es mir allerdings immer wieder vor, sie mir noch einmal zu Gemüte zu führen, vor allem wenn ich gerade wieder eine jener großartigen BBC-Verfilmungen mit einer Hauptdarstellerin gesehen hatte, die in einem taillierten Empire-Kleid durch die schlammigen Täler Englands stürmte und dabei einfach fantastisch aussah.
Es ist allerdings eine Sache, einer fotogenen Schauspielerin in einer saftig grünen Hügellandschaft zuzuschauen, jedoch etwas ganz anderes, sich auf einmal selbst in einem Haus mitten auf dem Land wiederzufinden und nicht zu wissen, was man bitte schön als Nächstes tun soll.
Wie bei allen Dingen, die man sich besonders schrecklich ausmalt, kam mir der Umzug zuerst gar nicht einmal so schlimm vor.
»Und? Wie findest du es, Abra?«
Hunter legte mir einen Arm um die Schultern, als wir unser neues Zuhause begutachteten. Der alte Familiensitz der Barrows lag versteckt zwischen gelben und roten Ahornbäumen. Der Weg, der auf das Haus zuführte, war mit duftenden Kiefernadeln bedeckt, und das Ganze wirkte auf den ersten Blick wie aus einem Märchen. An einer Mauer rankte sich das Efeu weit hinauf. Man konnte das bröckelnde Dach erkennen, dessen Ziegel an die Schuppen von Drachen erinnerten, dann den einsamen Spitzturm und die Doppelfenster im Speicher, die auf den düsteren Wald und den mit Weiden umrahmten Eingang hinabblickten. Entlang der nördlichen Seite des Hauses, wo die Sonne kaum hinreichte, waren die Schindeln feucht und schimmelig – vermutlich ein wahres Paradies für Kellerasseln und anderes Ungeziefer.
An diesem strahlenden Oktobertag wirkte das Haus nur etwas heruntergekommen und renovierungsbedürftig. Aber ich konnte mich noch gut an meinen letzten Aufenthalt im Winter erinnern, wo es bereits nach vier Uhr nachmittags dunkel geworden war und ich beim Anblick des Gebäudes an die Filme meiner Mutter hatte denken müssen.
»Einiges gibt es hier schon zu tun«, bemerkte ich etwas mutlos.
»Soll ich dich über die Schwelle tragen?« Hunter zeigte auf die Haustür.
»Nein, dafür bin ich doch zu schwer.«
»Gut, wenn du nicht willsr...«
Ich streckte die Arme nach ihm aus, und Hunter hob mich sogleich hoch.
»Wie willst du denn die Tür öffnen?«
»Wird schon gehen.« Er kämpfte eine Weile mit dem alten Schloss. Schließlich setzte er mich ab. Dann hob er gleichzeitig die Tür an, während er den Schlüssel im Schloss drehte. Endlich ließ sich der verrostete Mechanismus öffnen.
»Das muss dringend geölt werden.«
»Okay, Abs. Los, wir versuchen es noch einmal. Wir müssen das richtig machen.« Er hob mich erneut hoch und presste mich eng an seine Brust. Mir stieg der staubige Geruch alter Möbel und lange nicht geputzter Böden in die Nase. Als Hunter mich dann über die Schwelle trug, war sein Gesicht für einen Moment in Dunkelheit gehüllt. Dann legte er den Kopf zurück, um mich zu küssen.
Ich schlang die Arme um ihn und erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft. Gierig sog ich den Nikotin- und Wollgeruch ein, den er verströmte. Schließlich stellte er mich wieder auf die Beine.
»Wir haben viel zu tun, Abra.« Seine Hände schoben die meinen beiseite, so dass ich ihn losließ.
»Natürlich. Du hast Recht.« Ich holte tief Luft und blickte mich in der düsteren Eingangshalle um. Ein buntes Glasfenster warf ein grünliches Licht auf die große alte Standuhr und einen abgetretenen türkischen Teppich. Außer einer niedrigen Rattanbank, auf der ein Stapel alter Taschenbücher aus den siebziger Jahren mit Titeln wie Angeln für Anfänger und Schwester Angelicas Dilemma lag, gab es keine weiteren Möbelstücke. Schwester Angelica hielt sich mit einer manikürten Hand den Kopf, als hätte sie unter schweren Schmerzen zu leiden. Irgendwie verstand ich recht gut, wie sie sich fühlen mochte.
Ich spürte das leere Haus um mich herum – sein Labyrinth aus Zimmern, Hintertreppen und seltsam altmodischen Speisekammern, die seit jener Zeit, als die Frauen selbst während der Schwangerschaft noch ein Korsett trugen, nicht mehr renoviert worden waren. Bei meinem letzten Besuch hatte ich mich verirrt und immer wieder Dinge zu erleben geglaubt, die ich bis dahin nur mit meiner Mutter in Zusammenhang gebracht hatte – eine mysteriöse Kälte, Luftzüge in fensterlosen Zimmern, unheimliche Geräusche hinter den Wänden.
»Das Haus steckt voller Geschichten«, meinte Hunter einmal lapidar und zeigte mir einen Schrank aus Zedernholz, in dem eine Ahnin gestorben und zwei Monate lang nicht entdeckt worden war.
Jetzt wohnte ich hier.
Und Hunter war bereits verschwunden.
Mit wild pochendem Herzen ließ ich die Eingangshalle hinter mir und machte mich auf den Weg in das blutrot gestrichene Speisezimmer. Von dort aus schlich ich über knarzende Bodenbretter in die völlig heruntergekommene Küche, wo die schweren Möbel mit den Klauenfüßen von einem hässlichen Linoleumboden aus den siebziger Jahren und verrosteten beigefarbenen Küchengeräten verdrängt worden waren. Hier fand ich zum Glück auch meinen Mann.
»Hunter, ich habe dich schon gesucht.« Ich bemühte mich, nicht hysterisch zu klingen.
»Wollte nur kurz nachsehen, wie es mit Essen aussieht.«« Er schloss einen riesigen alten Kühlschrank. »Aber natürlich ist nichts da.«
»Ich könnte rasch einkaufen fahren...«
»Vielleicht später. Die Möbelpacker sollten bald kommen. Wenn sie wieder weg sind, könnten wir in den nächsten Supermarkt fahren.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern fuhr ruhelos und seltsam energiegeladen fort, die Küchenschränke und Schubladen zu öffnen und wieder zu schließen. Ich hingegen wusste nichts mit mir anzufangen. Er warf mir einen Blick über die Schulter hinweg zu. »Wie wäre es, wenn du hier erst mal etwas aufräumst, während ich mich im restlichen Haus umsehe? Ich bin mir sicher, dass du keine Lust haben wirst, auf dem Herd zu kochen, ehe du ihn nicht gründlich saubergemacht hast. Stimmt doch, oder?«
Mir wäre es zwar lieber gewesen, gemeinsam mit ihm unser neues Zuhause anzusehen, aber ich hatte es ja auch schon früher einmal in Augenschein genommen. Außerdem wollten wir am Abend in der Lage sein, hier unser erstes Essen zu uns zu nehmen.
»Gut, einverstanden.«
»Schön.« Hunter gab mir einen Kuss auf die Stirn und verließ die Küche. Als er bereits am Fuß der geschwungenen Treppe stand, blieb er stehen und drehte sich nochmal zu mir um. »Ist das wirklich okay?«
Ich hielt gerade eine Kristallflasche mit Olivenöl hoch, die auf dem Tisch stand. Der Verschlusskorken war von einer Maus zur Hälfte weggenagt worden, die sich dann durch den schmalen Flaschenhals hineingezwängt hatte. Jetzt schwamm sie tot in der gelblichen Flüssigkeit, das kleine Maul mit den scharfen Zähnen weit geöffnet.
»Ja, kein Problem.«
»Ich komme gleich wieder und helfe dir«, sagte er und verschwand nach oben.
Nachdem ich die tote Maus in den Garten befördert hatte, versuchte ich den uralten Staub, der überall herumlag, mit einem ähnlich uralten Mob und einem Rest Putzmittel zu beseitigen. Obwohl ich mir die größte Mühe gab, schien ich den Schmutz nur stärker zu verteilen, anstatt ihn loszuwerden. In der regungslosen Luft tanzten schon bald unzählige Staubmäuse. Als ich versuchte, eines der Fenster zu öffnen, brach der Griff ab.
Nachdem ich eine geschlagene Stunde damit verbracht hatte, die Küchengeräte und das Geschirr unter die Lupe zu nehmen, war es mir gelungen, einige brauchbare Teller und Becher (die seltsamerweise allesamt ein psychedelisches Muster aus den sechziger Jahren aufwiesen), zwei zerkratzte Bratpfannen und einen schweren Emaillekochtopf zu entdecken. Das einzige Besteck war eines, das mit seinen feinziselierten Knochengriffen so aussah, als würde es noch aus den Zeiten Edward VII. stammen.
In der Spülmaschine hingegen fand ich einen Frosch im Winterschlaf.
Um fünfzehn Uhr war Hunter immer noch nicht wieder da, und auch die Umzugsleute ließen sich nicht blicken. Ich stand am Fuß der Treppe und rief nach oben. »Hunter?«
Keine Antwort.
»Hunter?«
Langsam stieg ich die Treppe in den ersten Stock hinauf, wo es vier kleine Schlafzimmer gab. »Hunter? Bist du da?«
Obwohl es draußen noch hell war, konnte ich in dem düsteren Licht des Hauses nur wenig erkennen. An der Decke hingen keine Lampen, da Hunters Mutter in diesen Teil des Hauses keinen Strom verlegen ließ. Meinem Mann zufolge hatte sie die alten Gaslampen aus den Zeiten vor der Elektrizität so charmant und stilvoll gefunden. Ich hingegen vermochte das leise Zischen der Gasdüsen nicht zu hören, ohne sofort an Vergiftungen, Explosionen und Feuersbrünste denken zu müssen, weshalb ich fest entschlossen war, als Erstes den Elektriker kommen zu lassen.
Als ich eines der Schlafzimmer betrat, in dem sich nur ein schmales Bett, ein Tisch und ein Stillleben befanden, hörte ich das Knirschen des Kieses vor dem Haus. Ich sah aus dem Fenster und entdeckte die gelbe Kühlerhaube unseres Möbeltransporters.
Hastig eilte ich die Treppe in den Speicher hinauf, der teilweise ausgebaut war und von einem Ende des Hauses bis zum anderen reichte. Hier oben war es noch dunkler und kühler als in den unteren Stockwerken. Durch kleine Schlitze in den Bodenbrettern konnte man in die Küche hinuntersehen. Hunter saß in einer Ecke und hämmerte auf seinen Laptop ein. Er stützte sich mit einem Fuß, der in einem blaugelben Sneaker steckte, an einem Balken ab. Seine Jeans legte sich eng um seinen angespannten Wadenmuskel. Als ich hinter ihn trat, konnte ich gerade noch >Eine durchdringende Stille erfüllte... < lesen, ehe er mich bemerkte und aufschaute.
»Weißt du was?«, meinte er freudig und aufgeregt. »In New York habe ich geglaubt, mit diesem Artikel nicht mehr weiterzukommen. Aber im Grunde war das gar nicht das Problem. Gerade ist mir klargeworden, dass diese Geschichte gar nicht für einen Artikel geeignet ist. Ich habe hier genügend Materialien für ein Buch zusammen.«
Was hatte ich denn erwartet? Eine leidenschaftliche Liebeserklärung oder zumindest ein kleines Dankeschön dafür, dass ich die Küche stundenlang geputzt hatte? Idiotisch. Ich schluckte meine Enttäuschung herunter und erklärte: »Die Möbelpacker sind da.«
»Bin gleich unten.« Er wandte sich wieder seinem Laptop zu.
Ich zählte innerlich bis zehn, und es gelang mir, nicht so verärgert zu klingen, wie ich mich in Wirklichkeit fühlte. »Ich möchte dich nicht stören, Hunter. Aber könntest du das vielleicht etwas spärer...«
»Ja, klar. Ich sichere das nur noch schnell, dann bin ich da.«
Ich spürte, wie er mir nachsah, während ich die Treppe hinunterstieg. Kurz darauf hörte ich auch schon wieder das Klappern der Tasten, und er schien jetzt noch besessener als zuvor weiterzuschreiben. Meine Schritte hallten einsam im leeren Haus wider. Ich fühlte mich vollkommen mutlos und ernüchtert.
Als ich die Haustür öffnete, waren die Umzugsmänner vor dem Möbelwagen in ein Gespräch vertieft.
»Was hab ich dir gesagt? Hier ist also doch die Skunk’s Misery Road«, sagte der Größere der beiden. Er hatte eine Glatze und hinten auf dem Nacken das Tattoo eines ägyptischen Horusauges.
Der Kleinere, der eine merkwürdig altmodische Brille trug und einen langen blonden Pferdeschwanz hatte, erwiderte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Vermutlich war es Hebräisch.
»Hallo«, begrüßte ich die Männer.
»Es ist seine Schuld, dass wir uns verspätet haben«, erklärte sogleich der Größere. »Er hatte die Karte und hat uns falsch gelotst.«
Der schlanke, intellektuell wirkende Mann sah mich ungerührt an. »Sie haben doch behauptet, es würde eine Stunde auf der Autobahn dauern. Oder?«
»Sie haben mit meinem Mann gesprochen, nicht mit mir. Ich weiß nicht, was er gesagt hat.««
»Aber das ist keine Stunde. Ich sage zu Ronen: >Wenn wir weiterfahren, wir brauchen einen Pass für Kanada.«‹
»Itzik«, mischte sich der andere wieder ein. »Sei endlich still.«
Itzik ging um den Lastwagen herum nach hinten. »Hier ist es im Winter richtig kalt, oder? Minus zehn Grad? Oder auch Minus zwanzig?«
Der glatzköpfige Umzugsmann schüttelte den Kopf und sagte etwas auf Hebräisch. Dann waren die Männer einige Minuten lang damit beschäftigt, unsere Couch aus dem Wagen zu hieven.
Sie riefen sich Befehle zu, und ich konnte innerlich nur ein Stoßgebet zum Himmel schicken, dass hoffentlich alles heil im Haus ankomme.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
»Wenn Sie uns die Tür öffnen würden«, erwiderte der Größere etwas atemlos.
Ronen und Itzik hatten alles ins Haus gebracht und tranken gerade Wasser aus angeschlagenen Porzellantassen, als Hunter endlich zu uns stieß.
»Wie läuft’s?«, fragte er lässig. Zuerst betrachtete er die Männer und dann mich und lächelte. Dabei strich er sich seine Haare aus der Stirn, die seltsamerweise feucht vor Schweiß war.
»Wir sind fertig«, sagte ich.
»Jetzt bekommen wir noch unser Geld«, erinnerte mich Ronen.
»Richtig. Ich hole schnell mein Scheckbuch«, meinte Hunter.
Ich folgte ihm in die Eingangshalle. »Du musst unbedingt ein großes Trinkgeld geben. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«
Ohne aufzublicken stellte Hunter den Scheck aus. »Ich wollte noch etwas zu Ende bringen, ehe ich es wieder vergesse.« Er kehrte in die Küche zurück und reichte dem größeren Mann den Scheck. »Hier.«
Ronen warf einen kurzen Blick auf die Summe und steckte das Blatt Papier dann in seine hintere Hosentasche. »Alles okay, dann vielen Dank. Itzik, pack jetzt endlich das blöde Handy weg.««
»Ich versuche nur Ari im Büro zu erreichen.««
Wir warteten.
»Hier ist kein Empfang«, sagte Itzik nach einer Weile. Er drückte auf einige Tasten. »Nein, gar nichts.«« Er sah uns an. »Kann ich über Ihr Festnetz anrufen?«
Hunter schüttelte den Kopf. »Leider nein, wir sind noch gar nicht angeschlossen.«
Itzik warf Ronen einen überraschten Blick zu, und die beiden tauschten sich kurz auf Hebräisch aus.
»Also gut, dann fahren wir jetzt«, erklärte Ronen schließlich und reichte mir die Hand. »Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Von Hunter verabschiedete er sich nur mit einem kurzen Nicken.
Es war inzwischen fast sechs Uhr abends. Die Schatten der Bäume wurden bereits länger, als ich die beiden zu ihrem Wagen brachte. Die Bäume in Northside waren mit den kleinen, gestutzten Exemplaren meiner Kindheit nicht zu vergleichen. Hier wuchsen riesige Kiefern, Ahornbäume und Silberbuchen wild durcheinander. Dazwischen rankten sich struppige Dornenhecken empor.
»Sie müssen sich jemanden besorgen, der Ihnen den Garten macht«, bemerkte Ronen noch, während er auf den Fahrersitz kletterte.
»Ja, hier stehen zu viele Bäume. Passen Sie auf, dass Sie beißt keine Zecke. Sonst können Sie diese Krankheit bekommen«, meinte Itzik. Er putzte sich die Brille mit einem Zipfel seines T-Shirts. »Diese... Bohrkrankheit.«
»Sie meinen wahrscheinlich Borreliose«, erwiderte ich. »Dafür ist es jetzt schon zu kalt. Ihr Jungs mögt es auf dem Land wohl nicht allzu sehr, was?«
»Na ja.« Itzik lächelte. »Wenn man mag Zecken und Stinktiere, dann ist das alles in Ordnung. Ich persönlich bin aber ein Stadtmensch.«
Ronen versuchte es wieder auf dem Handy. »Noch immer keine Verbindung«, meinte er. »Ari wird einen Tobsuchtsanfall bekommen.«
Als sie losfuhren, konnte ich über den Motorenlärm hinweg hören, wie sie darüber diskutierten, ob sie eher Lust auf einen Kebab oder etwas Mexikanisches hätten, wenn sie wieder in New York waren.
Ich drehte mich zu meinem neuen Zuhause um. Innerhalb weniger Minuten war es noch einmal wesentlich dunkler geworden. In der Stadt herrschte um diese Zeit in den U-Bahnen Hochbetrieb. Hier draußen auf dem Land spürte ich stattdessen einen kaum merklichen Wandel, als ob auf einmal eine größere Anspannung in der Luft lag. Nun kamen die Tiere der Nacht langsam aus ihren Verstecken.
Ich kehrte ins Haus zurück, das noch immer im Dunklen lag. »Hunter?«
Ich drückte auf einen Lichtschalter, doch nichts passierte. »Hunter, wo steckst du? Hast du uns noch gar nicht angemeldet? Wir haben nämlich keinen Strom.« Ich ärgerte mich, das nicht schon früher kontrolliert zu haben. Mein Mann kümmerte sich selten um solche Dinge. Dabei hatte ich mir noch nicht einmal die Schlafzimmer angesehen, um zu entscheiden, wo wir schlafen wollten; jetzt war es schon fast zu dunkel dafür. »Hunter?«
Ich entdeckte ihn auf der Schwelle der Küchentür. Er blickte in den Garten hinaus.
Als ich meine Arme um seine Taille schlang, schien er sich für einen Moment lang über meine Anwesenheit beinahe zu wundern. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit erneut der abendlichen Natur zu.
»Wir haben keinen Strom, Hunter. Es gibt kein Licht und keine Heizung. Hast du wenigstens eine Taschenlampe mitgebracht?«
»Im Auto.««
Ich überlegte mir einen Augenblick lang, ob es nicht langsam an der Zeit wäre, mich darüber zu beschweren, wie wenig er mitgeholfen hatte. Doch etwas an der Stille ließ mich innehalten. Wir waren auf einmal ganz allein. Ich hatte eigentlich keine Lust, einen Streit vom Zaun zu brechen. »Meinst du nicht, dass wir uns auf die Suche nach einem Supermarkt machen sollten? Ich habe Hunger. Oder willst du noch länger hierbleiben?«
»Hunger?« Hunter drehte sich zu mir um und lächelte. Er wirkte derart glücklich, dass er zu strahlen schien. »Klar. Ach, Abra, du wirst staunen, wenn du siehst, woran ich arbeite. Dieser Ort wird ganz andere Qualitäten in mir ansprechen. Das spüre ich schon jetzt.«
»Freut mich.««
Er legte den Arm um mich und atmete die kalte Luft ein. Ich blieb ganz still neben ihm stehen, damit er nicht merkte, wie müde, angespannt und alles andere als glücklich ich im Gegensatz zu ihm war.
Wolfstraeume Roman
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