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Das letzte Mal, als ich
Hunter gesehen hatte, war am Morgen des Thanksgiving-Tages gewesen.
Und zwar glatt rasiert. Weniger als achtundvierzig Stunden später
stand er nun vor mir und sah wie eine fiese Ausgabe von Grizzly
Adams aus. Mit einem Schlag kam mir die ganze
Lykanthropie-Geschichte nicht mehr so unwahrscheinlich vor.
»Hunter!«
Er trug ein schwarzes Sweatshirt, dunkle Jeans
und wirkte beinahe wie ein bärtiger Auftragskiller.
»Hallo, Abra.« Seine Nasenflügel bebten so, dass
ich mich fragte, ob er wohl meinen Geruch einsog. Wir wurden uns
gleichzeitig der Gegenwart von Red bewusst, der ja hinter mir
stand.
Ich warf einen Blick über die Schulter und
hoffte inbrünstig, einen normalen, wachsamen Red zu sehen,
entspannt und vorsichtig. Zum Glück hatte er es tatsächlich
geschafft, seinem üblichen Selbst recht nahezukommen – zumindest
wenn man nicht das bleiche Gesicht, die gelben Augen und den
Schweißfilm bemerkte.
»Hallo, Hunter.«
»Hi, Red. Und? Fickst du schon meine Frau?«
Hunter trat einen Schritt näher und schnüffelte. »Ah, also noch
nicht.
Verstehe. Aber du wirst ihr so lange hündisch ergeben folgen, bis
sie einen schwachen Moment hat. Ist das der Plan?«
Red lächelte. Es war kein freundliches Lächeln.
Seine Zähne wirkten auf einmal sehr scharf. »Sieht ganz so aus, als
wärst du auch auf den Hund gekommen?«
»Sie trägt mein Kind in ihrem Bauch.«
»Hunter!« Die Leute in der Bar hörten uns
gespannt zu.
»Nein, tut mir leid, mein Guter. Das tut sie
nicht. Das ist nur der Virus, der sich bemerkbar macht. Sie hat ihn
jetzt auch.«
»Was weißt du denn schon
davon, Kammerjäger?« Hunter stand von seinem Barhocker auf, und ich
spürte, wie mir das Adrenalin durch den Körper schoss. Ich war
beileibe nicht die Einzige, die merkte, dass Gewalt in der Luft
lag. Die anderen Gäste flüsterten miteinander und begannen, sich um
uns zu versammeln.
»Macht das draußen aus, Jungs«, erklärte Reds
Bekannter, der für alle zu sprechen schien.
»Red, tu es nicht.« Ich packte ihn am Arm. Mir
kam nicht einmal im Entferntesten der Gedanke, meinen Mann
festzuhalten.
Red sah mich an und nahm dann mein Kinn in seine
Hand, um in Sekundenschnelle seine Lippen auf die meinen zu
pressen. Noch ehe ich protestieren konnte, erkundete er mit seiner
Zunge meinen Mund. Ich versuchte ihn wegzustoßen. Ich spürte
Hunters Blick, aber auch die Erregung, die sogleich wieder zwischen
Red und mir aufkam.
Toll – jetzt lagen also Gewalt und Lust in der Luft.
»Herrlich«, murmelte Red, nachdem er sich von
mir gelöst hatte, und blickte Hunter an.
Es war eine eindeutige Herausforderung.
»Nach draußen, Red. Offenbar haben wir einiges
zu klären.«
Red grinste. Zu meiner Überraschung lernte ich
eine Seite von ihm kennen, die mir bisher verborgen geblieben war:
Er genoss die Situation. Er schien das Ganze amüsant zu finden,
während Hunter sichtbar nichts anderes empfand als Wut und
verletzten Stolz. »Was? Nach draußen? Jetzt? Vor all den
Leuten?«
»Bist du auch noch ein feiges Schwein oder
was?«
Reds Augen wurden zu schmalen, belustigt
blitzenden Schlitzen. »Also, also... Stock und Stein brechen
vielleicht mein Gebein, aber solche Worte bringen noch mehr Pein...
zu dir oder zu mir, Süßer?«
»Zu mir.« Hunter wies mit dem Daumen auf mich,
als wäre ich sein Hund. »Abra kommt mit mir.«
»Den Teufel wird sie tun.«
Ich legte Red meine verbrannte Hand auf die
Schulter. »Ist schon in Ordnung.«
Er schüttelte den Kopf und sah mich eindringlich
an. »Tu das nicht, Doc.«
Hunter lachte. »Du kannst sie nicht sonderlich
gut kennen, wenn du meinst, dass sie das überzeugt. Komm, Abs,
fahren wir.«
Ich hoffte insgeheim, auf der Fahrt ausreichend
Zeit zu haben, um Hunter den Kampf auszureden. Also folgte ich ihm
aus dem Moondoggie’s hinaus in die Nacht.
Vor Angst und Kälte schlotterte ich am ganzen Körper. Red, der sich
unmittelbar hinter uns befand, fluchte leise vor sich hin. Über uns
warf der aufgegangene Mond sein Licht wie ein kleiner Scheinwerfer
auf das Drama, das sich zwischen uns
dreien abspielte. »Wenn du ihr etwas antust«, knurrte Red, »wirst
du bitter dafür büßen.«
Hunter warf ihm einen Blick über die Schulter
hinweg zu. »Ihr werde ich nichts antun, du
Schwächling!« Er schloss den Wagen auf. Ich öffnete die
Beifahrertür und stieg ein. Während Hunter den Motor anließ,
beobachtete uns Red mit geballten Fäusten und einem derart
angespannten Körper, wie ich ihn noch nicht an ihm gesehen hatte.
Dann sprang er ebenfalls in sein Auto, um uns zu folgen.
Hunter warf ebenso wie ich immer wieder einen
Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, ob Reds Wagen hinter uns
blieb. Nach einer Weile sah er mich an. »Was findest du nur an
diesem Arschloch?«
»Er ist das Gegenteil von dir«, erwiderte ich.
Dann erinnerte ich mich an den eigentlichen Grund, warum ich
überhaupt noch mit ihm in einem Auto saß. »Erklär mir lieber, warum
ihr beide miteinander kämpfen wollt. Er hat mich dir ja gar nicht
weggenommen. Du willst mich doch in Wahrheit gar nicht mehr.«
»Er ist in mein Gebiet eingedrungen«, erklärte
Hunter schlicht, ehe er auf einen Seitenweg abbog. »Außerdem will
er kämpfen. Genau wie ich. Das ist offensichtlich.« Als er kalt
lächelte, konnte ich seine scharfen Wolfszähne aufblitzen sehen.
»Jedenfalls noch. Ich vermute, dass dein Bürschchen in einer
Viertelstunde seine Meinung geändert haben dürfte.«
Hunter hatte Recht. Er war stärker und größer
als Red. Es würde kein ausgewogener Kampf werden. Am liebsten hätte
ich meinen Mann angefleht, es nicht so weit kommen zu lassen, aber
ich war mir nicht sicher, ob mein Flehen überhaupt eine Wirkung
gezeigt hätte. Ich hatte mich in
eine Lage gebracht, wo sich Eifersucht und verletzter Stolz zu
einer echten körperlichen Bedrohung entwickelten und sichtbare
Wunden hinterlassen konnten.
Der Mond schien uns auf der Fahrt zu folgen.
Manchmal verschwand er für einen Augenblick hinter einer
Baumsilhouette und tauchte dann wieder an einer anderen Stelle auf.
Ich konnte sehen, wie sich sein Licht in Hunters dunklen Augen
widerspiegelte, und bemerkte dabei auch die schwarzen Haare, die in
dichten Büscheln auf seinem Handrücken wuchsen.
Inzwischen hatte ich eingesehen, dass es sinnlos
war, noch etwas zu sagen. Der Graben zwischen uns war so breit
geworden, dass ich kaum glauben konnte, neben dem Mann zu sitzen,
der einmal mein langjähriger Vertrauter und Freund aus
Collegezeiten gewesen war, ein liebenswürdiger Draufgänger, der
mich gewählt und zu einer begehrenswerten Freundin und Ehefrau
gemacht hatte.
Wenn du nicht mehr
Hunter bist – hätte ich ihn am liebsten gefragt – wer bin dann ich
geworden?
Der bärtige Fremde neben mir parkte den Wagen
vor unserem Haus und sprang heraus, als Red mit seinem Jeep hinter
uns anhielt.
»Doc, bring dich lieber auf der Veranda in
Sicherheit«, rief er mir zu, als er ausstieg.
Ich folgte seinem Rat. Laut konnte ich die
Blätter und Zweige unter meinen Füßen rascheln und knacken hören.
Ich zog mir die Jacke enger um die Schultern. Wenn ich nur diesem
ganzen Wahnsinn, dachte ich, Einhalt gebieten könnte, ehe es zu
spät war! Aber ich brachte kein Wort mehr über die Lippen.
»Du zuerst, Texaner. Zeig es mir.«
Red zog seine Kleidung aus, und Hunter tat es
ihm nach. Langsam entledigten sie sich ihrer Klamotten. Die ganze
Szene wirkte fast wie bei einem aggressiven Strip-Poker. Nackt war
mein Mann größer, breitschultriger und attraktiver als Red. Dieser
wirkte drahtiger, haariger und agiler – fast wie ein erfahrener
Ringkämpfer. Er verwandelte sich als Erster. Kleine Wellen schienen
durch seinen Körper zu laufen, und in Sekundenschnelle veränderte
sich sein Aussehen. Die Muskeln zogen sich zusammen, das Rückgrat
krümmte sich, seine Beine wurden kürzer, das Gesicht bekam eine
längliche Form.
Hunter war nicht so schnell oder so anmutig in
seiner Verwandlung. Es war eindeutig, dass seine Metamorphose stark
von der Mondphase abhing. In dieser klaren Novembernacht schien der
Mond so hell, dass man seine Oberfläche erkennen konnte.
Dem Kalender zufolge befanden wir uns einen Tag
vor Vollmond, auch wenn der Mond für mich so aussah, als hätte er
bereits seinen Zenit erreicht.
Als ich wieder zu den beiden Männern
zurückblickte, hatte sich Red in einen kleinen, kurzhaarigen Wolf
verwandelt, der die schmale Nase und die großen Ohren eines Kojoten
besaß. Er war zwar kein eindrucksvoll riesiger Wolf, aber trotzdem
verschlug mir sein Anblick den Atem. Ich hatte ihn zuvor schon
einmal in dieser Gestalt gesehen, doch erst jetzt konnte ich das
auch akzeptieren.
Hunter hingegen schrie, keuchte und zuckte.
Offensichtlich ging die Verwandlung für ihn mit ziemlichen
Schmerzen einher. Als er schließlich so weit war, sah er wie ein
Wolfsmann aus einem zweitklassigen Horrorfilm aus. Er war
geschrumpft und hockte auf groteske Weise mit gespreizten
Klumpfüßen auf dem Boden. Auf den ersten Blick wirkte es nun wie
ein unfairer Wettbewerb: Red war zu einem Wolf geworden, mein Mann
hingegen hatte sich in ein Monster verwandelt.
Hunter starrte mit gelben Augen auf seinen
Gegner. Von seinen Lefzen tropfte es, sein weißer Atem hing in der
Luft. Der Kampf war fast schon vorüber, ehe er so richtig begonnen
hatte. Red setzte zum Sprung an und schnappte mit seinen scharfen
Zähnen nach Hunters Hals, der sich wie ein Verrückter schüttelte,
um seinen Feind loszuwerden.
Wie es sich für einen erfahrenen Kämpfer
gehörte, wusste Red die Verwirrung seines Gegners zu nutzen. Er
biss ihn mehrmals in die Flanke und schlug ihm seine Krallen in die
Brust, während ich vor Nervosität die Fäuste ballte. Ich fürchtete
für einen Moment um das Leben meines Mannes, als dieser plötzlich
Red am Nacken packte. Red versuchte sich zu entwinden, doch Hunter
schlug seine Eckzähne in die Seite des kleineren Tieres, wobei er
dessen ungeschützten Bauch nur um wenige Zentimeter
verfehlte.
»Hört auf!« Plötzlich wachgerüttelt versuchte
ich die Aufmerksamkeit der beiden auf mich zu lenken. »Du bringst
ihn noch um!« Doch das Wesen, das einmal Hunter gewesen war, ließ
sich durch nichts mehr aufhalten. Ohne zu zögern hätte er seinem
Gegner die Eingeweide zerfetzt, wenn meine Einmischung ihn nicht
kurzfristig so abgelenkt hätte, dass sich Red aus seiner
Umklammerung befreien konnte.
Als sich die Kreaturen dann erneut
aufeinanderstürzten, konnte ich Red nicht nur fauchen, sondern auch
wimmern hören. Obwohl er geschwächt und offenbar ernsthafter
verletzt war, wirkte er nicht weniger aggressiv als zuvor. Da ich
Hunde kannte, wusste ich, dass es jetzt auf einen Kampf um Leben
und Tod hinauslief.
»Gib auf, Red«, flüsterte ich. Doch in diesem
Augenblick warf er sich erneut auf Hunter und bohrte ihm die Zähne
in die Wade. Mein Mann schlug nach ihm und erwischte ihn mit einer
Kralle unter seinem Auge.
»Hört auf! Das reicht!««
Hunter holte erneut aus, um Red den Bauch
aufzuschlitzen; dieser ließ sich jedoch nicht in die Flucht
schlagen. Ich musste etwas unternehmen – und zwar jetzt.
Ich rannte die Stufen der Veranda hinunter, wohl
wissend, in welche Gefahr ich mich begab. Als Tierärztin wusste ich
sehr genau, was es heißt, sich in einen Hundekampf
einzumischen.
»Hört auf!« Ich warf mich zwischen die beiden,
gerade als Red zum Sprung ansetzte. Sein Gewicht schleuderte mich
zu Boden. Obwohl er für einen Wolf erstaunlich leicht wirkte und
verletzt war, konnte ich in seinen Augen erkennen, dass er seine
restliche Kraft dafür einsetzen wollte, diesen Kampf zu einem Ende
zu bringen. Er versuchte, mir auszuweichen, doch seine scharfen
Zähne trafen mich am Schenkel und hinterließen dort tiefe Spuren.
Hunter knurrte währenddessen finster. Er war bereit
weiterzukämpfen.
Die beiden konnten das Blut riechen, das jetzt
von meinem Schenkel tropfte. In der langen Pause, die nun folgte,
glaubte ich sehen zu können, wie Red versuchte, sich wieder in
seine menschliche Gestalt zurückzuverwandeln. Sicher war ich mir
jedoch nicht, denn in diesem Moment vernahmen wir die Stimme einer
Frau.
»Es reicht«, sagte sie. Natürlich hatte sie
Recht. Ich hatte
auch keine Lust mehr, das noch weiter mit ansehen zu müssen.
Als sie aus dem Schatten der Veranda trat, sah
ich ihr Gesicht und wusste augenblicklich, wen ich da vor mit
hatte.