2.
„Meine Herren, bitte mäßigen Sie sich!“
Der stellvertretende Oberbürgermeister Quirnseus bemühte sich nach Kräften, seine natürliche Autorität wirken zu lassen. Doch leider hatte er es hier nicht mehr mit gehorsamen Lehrlingssklaven zu tun. Geschlagene neun Stunden zogen sich die Debatten heute schon wieder hin. Erschöpft spähte Quirnseus in die Runde.
Mit ihm am Tisch saßen neben Vice Inker, dem amtierenden Oberbürgermeister, und Tilbo Tzeetzack, dem Mann ohne offizielles Amt, noch rund zehn andere hohe Tiere. Es handelte sich bei ihnen entweder um Vertreter angrenzender Städte oder um Präsidenten der führenden Technologiefirmen aus dem Nachlass Arthur Longues.
Quirnseus strenger Blick brachte immerhin einige wenige zum Verstummen.
„Meine Herren“, wiederholte er, „es kann doch nicht angehen, dass wir uns nach fünfwöchigen Verhandlungen noch immer nicht über eine passende Regierungsform einig sind.“
„Also, ich weiß nicht, was gegen die bisherige Diktatur einzuwenden ist?“ zischelte Vice Inker. „Damit sind wir immer gut gefahren.“
„Jedenfalls einige von uns...“ warf Quirnseus mit einem frostigen Unterton ein.
„Aber, ich bitte Sie zu bedenken“, meldete sich der Sprecher von Cyberleg und Co zu Wort, „dass eine Diktatur nur mit einem einsatzfähigen Militär funktioniert.“
„Und von der Eisberg Station fehlt leider noch immer jede Spur“, stellte der doppelköpfige Bürgermeister von Leskoon fest. Er war ein besonders schwieriger Verhandlungspartner, nicht zuletzt, weil seine beiden Köpfe oft entgegengesetzte Standpunkte vertraten. In solchen Fällen verließ er dann meist für Minuten den Raum, und man konnte ihn auf den Gängen heftige Diskussionen mit sich selbst führen hören.
„Diktatur kommt nicht in Frage“, diktierte Tilbo. „Auch wenn ich in dieser Übergangszeit als eine Art Anführer fungiere, bin ich froh, wenn ich das alles hinter mir habe...“
„Wie ärgerlich. Sie lehnen es ab, in die Fußstapfen Ihres Onkels zu treten.“ Vice Inker verzog das Gesicht. „Ich an Ihrer Stelle...“
„Wir wissen alle, was Sie an seiner Stelle täten!“ unterbrach ihn Quirnseus.
„Was wollen sie eigentlich? Das ganze hier läuft doch nicht etwa auf Demokratie hinaus, oder etwa doch?“ Er sprach das Wort aus, wie einen schlimmen Fluch, der noch nach Generationen Angst und Schrecken verbreitet.
„Ich halte die Idee für gar nicht so schlecht. Ich habe gehört, die Leute in den nördlicheren Sektoren haben damit keine üblen Erfahrungen gemacht.“
„Primitive! Alles Primitive!“
„Wir könnten so etwas wie einen Volksentscheid einführen...“ schlug Tilbo zaghaft vor.
„Na klar, und dann kommt ihr Telepathen mit eurer Gedankenbeeinflussung, und schwupp herrschen hier Zustände wie im alten Rom.“
Der Gesandte der Stadt Rizzena, berühmt für ihre meisterhaften Uhrgestelle, neigte nachdenklich den Kopf zur Seite.
„Ich habe gehört, dass es im alten Rom ziemlich gut leben war. Sie hatten... äh, Arenen und... Aquädukte, und so.“
Vice Inker verlor langsam aber sicher die Geduld. Da konnte man sich die Herrschaft endlich untereinander aufteilen wie ein prächtiges Stück Kuchen und dann so ein dämliches hin und her.
„Kann denn die Revolution nicht einfach ihre eigenen Kinder fressen, wie sonst auch?“ zischelte er leise.
Der schwergewichtige Baldur Vemog, seines Zeichens Vorsitzender der Bankgesellschaft Neugeld Nord, horchte erstmals aus seinem dämmrigen Zustand auf.
„Hat hier einer was von Essen gesagt? Mann, ich habe vielleicht einen Bärenhunger...“