3.

 

Der schwitzende Offizier presste die Hand auf den dafür vorgesehenen Kontakt. Es surrte.

„Offizier Malmann, Observationsabteilung, Fingerabdrücke positiv“, kommentierte eine synthetische Stimme aus dem Nichts. „Sicherheitslevel zwei einleiten. Bitte schauen Sie in das Okular!“

Ein Rohr, an dessen schmalen Ende eine Art Linse angebracht war, schoss aus der stählernen Wand und hielt nur ca. zwei Zentimeter vor Offizier Malmanns rechtem Auge. Der junge Offizier wäre am liebsten zurückgeschreckt, doch sein Kopf war bereits durch einige metallene Greifarme fixiert worden. Er hätte auch gerne reflexartig geblinzelt, doch seine beiden Augenlieder wurden schon von zwei chirurgischen Pinzetten aufgerissen.

„Verdammt noch mal, muss das denn immer sein?!“ stöhnte Malmann mit bebender Stimme. Zu seinem Leidwesen hatte er schon mehrere dieser so genannten Kontrolleinrichtungen passieren müssen.

„Offizier Malmann, Observationsabteilung, Augenabdruck positiv“ Damit schloss die Stimme auch diese Untersuchung ab. Die Greiftentakel fuhren blitzschnell in die Wände zurück. „Offizier Malmann, welcher Art ist Ihr Anliegen?“

Der Offizier zog den Kragen wieder zurecht. Er trug eine zweckmäßige Uniform und hatte die Haare in alter Militärtradition kurz geschnitten.

„Ich muss dringend Meldung machen. Es geht um einen nahen Verwandten des Herren!“ Franklin Malmann wartete. Ganz alleine befand er sich in dem luftdicht abgeriegelten Sicherheitsraum. Von den Wänden blinkten ihm eine Vielzahl bunter Leuchtdioden entgegen. Unsicher sah er zu den kleinen Löchern, in denen die Tentakel verschwunden waren.

„Offizier Malmann, Sie können eintreten“, meldete sich die Stimme wieder zu Wort. „Ihr Anliegen ist als wichtig genug für eine Unterredung eingestuft worden. Der Herr erwartet Sie.“

Zischend wurde die schwere Eisentüre entriegelt und ebenso zischend aufgeschoben. Dahinter erschloss sich dem Offizier ein kalter, dunkler Raum, an dessen Wänden jede Menge Kabel und Rohrleitungen verliefen. Die einzige Lichtquelle, die Malmann ausmachen konnte, ging von einer eigenartigen großen Glasblase aus, die innen hohl und mit einer trüben Flüssigkeit gefüllt war. Die Glasblase war durch unzählige Verkabelungen mit mehreren kompliziert wirkenden Maschinen und Apparaten verbunden, die leise vor sich hin summten. In der trüben Flüssigkeit, in der kleine Luftblasen nach oben stiegen, schwamm ein Gebilde, das Offizier Malmann nicht sofort erkennen konnte.

Treten Sie nur näher, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Malmann sah sich zitternd um. Doch da war nur die Glasblase.

Wie ich höre, haben Sie äußerst wichtige Informationen für mich, fuhr die Stimme fort. Nun die Information muss ja wichtig sein, wenn Sie dafür extra den weiten Weg zu mir in meine Wolkenstadt auf sich genommen haben. Schließlich verbringen Sie doch die meiste Zeit unter der Erde.

Langsam trat Franklin Malmann einige Schritte näher an die seltsame Blase heran. Sie schien zu... wabbern. Demnach konnte sie unmöglich aus Glas sein. Und nun erkannte der Offizier auch, was es war, das da zuckend in der Flüssigkeit umher trieb. Es handelte sich tatsächlich um ein menschliches Gehirn, allerdings von beachtlicher Größe. An der Unterseite dieses Gehirns  waren noch das Rückrat und einige sich windende Nervenstränge erkennbar. Der ungewöhnliche Anblick des seltsamen Gebildes weckte Abscheu in Malmann. Doch dann verschwamm das groteske Bild vor seinen Augen. Auf einmal sah er nicht mehr das schwimmende Gehirn, sondern einen Mann mittleren Alters vor sich, der genüsslich an einer alten Pfeife paffte.

Ich bitte Sie, drängte die Stimme, die noch immer die Selbe war. Sie wollen doch nicht meine kostbare Zeit verschwenden, indem Sie hier dämlich in der Gegend rumglotzen!

„Oh ja, selbstverständlich, Sir!“ Franklin war es nicht gewohnt mit Stimmen zu reden, die er - fast wie Gedanken - nur in seinem Kopf wahrnahm. „Es sind tatsächlich wichtige Dinge, die ich Ihnen mitzuteilen habe.“

Der Mann, den er anstelle des Gehirns vor sich sah, wirkte ungeduldig. Er blies Franklin den Rauch seiner Pfeife entgegen. Es roch, nicht unangenehm, nach Tannennadeln.

Bitte, reden Sie doch nicht lange um den heißen Brei herum!

„Was ich Ihnen zu sagen habe, betrifft Ihren Großneffen, Sir. Nach Meinung unserer Agenten steckt er in ernsten Schwierigkeiten.“

Schwierigkeiten welcher Art?

Der junge Offizier räusperte sich beklommen.

„Allem Anschein nach hat er sich mit der Telepathenorganisation Result angelegt, Sir. Unsere Agenten berichten von einem misslungenen Attentat auf den Anführer der Organisation. Er wurde wohl gefangen genommen. Aber wir wissen leider nichts Genaueres.“

Nachdenklich blickte der Mann nach unten. Er trug eine bequeme, weitgeschnittene Jeans und ein paar Sandalen. Sein Gesicht war rundlich, was durch die Halbglatze noch unterstrichen wurde. Die noch verbliebenen Haare schimmerten rötlich. Sorgenvoll legte er die Stirn in Falten.

So, so, er hat sich also alleine in die Höhle des Löwen begeben... Der Mann begann, um Franklin herumzugehen. Dieser schloss die Augen.

Immerhin ist ihm gelungen, was noch keinem Ihrer Agenten zuvor geglückt ist: Er hat Result ausfindig gemacht und ist sogar bis in ihre heiligen Hallen vorgedrungen. Der Mann fasste Franklin von hinten durchs Haar.

Und was haben Sie bisher in dieser Angelegenheit unternommen?

Franklin versuchte, einen Schritt nach vorn zu tun, doch der Mann hielt ihn mit festem Griff an den kurzen Haaren gepackt.

„Sir, bedenken Sie“, stammelte er, „es wird so gut wie unmöglich sein, Ihren Großneffen zu befreien. Wir wissen noch nicht einmal, wo wir nach ihm suchen sollen.“

Der Griff um sein Haar wurde noch etwas fester. Der junge Offizier keuchte.

Ach, vergessen Sie doch meinen törichten Neffen. Er hat sich von mir abgewandt. Ein Jammer. Und dabei hatte ich so große Pläne mit ihm, er ist so überaus begabt. Aber er ist noch nie mit meinen Methoden einverstanden gewesen. Er glaubt tatsächlich, dass Menschen und Telepathen friedlich miteinander koexistieren können. Na, mein junger Freund, was sagen Sie dazu?

„Das ist doch gar nicht möglich“, brachte Malmann gepresst hervor. „Jeder weiß doch, wie gefährlich die Telepathen sind. Vielleicht denkt Ihr Neffe so, weil er selbst ein Telepath ist, Sir!“

Der Mann in Jeans warf Franklin mit einer Wucht gegen die Wand, die man ihm von seiner Statur her gar nicht zugetraut hätte. Franklin krümmte sich vor Schmerzen. Er spürte, dass er sich einige Rippen gebrochen hatte. Die Hand auf die Seite gepresst, versuchte er vergeblich aufzustehen. Die Stimme in seinem Kopf schrie ihn an.

Das ist eine unglaubliche Lüge, für die ich Sie auf der Stelle hinrichten lassen sollte. Der Mann trat auf den jungen Offizier zu und zog ihn wieder auf die Beine.

Sie sollten vorsichtig sein mit dem, was Sie sagen! Mein Neffe ist sehr geschickt, was die Technik angeht, das ist alles. Ich werde anordnen, jeden sofort zu erschießen, der einen solch lächerlichen Verdacht gegen irgendein Mitglied meiner Familie äußert. Sanft strich der Mann Franklin das Haar wieder glatt. Aber hören wir endlich auf, von meinem missratenen Großneffen zu sprechen. Es gibt da wirklich Wichtigeres. Was wird denn von Ihnen wegen dieser Sache mit demDreizehnten Ruf unternommen?

Dass sich dieses Thema nicht vermeiden lassen würde, hatte Franklin gewusst. Er fragte sich, wie sein Gegenüber wohl darauf reagieren würde, wenn er ihm mitteilte, dass man in dieser Angelegenheit noch zu keinen entscheidenden Ergebnissen gekommen war.

„Also Sir, wir haben da einige sehr viel versprechende Agententeams auf die Sache angesetzt. Und diese Teams sind in der Tat rund um die Uhr im Einsatz...“

Aber Ergebnisse gibt es noch keine, unterbrach ihn die Stimme streng.

„Äh, nein Sir, noch nichts Konkretes. Aber wir haben ja auch erst vor kurzer Zeit von diesemDreizehnten Ruf Wind bekommen und da...“

Zeit ist genau das, was Sie nicht zur Verfügung haben. Ich glaube, ihre Vorgesetzten haben den Ernst der Lage noch nicht richtig erkannt.

„Ich versichere Ihnen, wir tun, was wir können...“ stammelte Franklin.

Der Mann gab ihm eine schallende Ohrfeige. Die Abdrücke seiner Finger zeichneten sich weiß auf Franklins geröteten Wangen ab.

Dann ist das, was Ihr tut, eben noch lange nicht genug. Ihr werdet ab sofort alle eure Anstrengungen verdoppeln, wenn nicht sogar verdreifachen. Haben Sie das verstanden?

„Klar und deutlich, Sir“, antwortete Franklin wimmernd.

Plötzlich spürte er die Hand des Mannes an der Kehle. Er schnappte nach Luft.

Dann schaffen Sie sich jetzt so schnell wie möglich in Ihre unterirdische Station zurück. Ich hoffe, dass Sie hier das nächste Mal mit besseren Neuigkeiten aufkreuzen. Hier bringen mich keine zehn Pferde mehr hin!

Der letzte Satz stammte nicht von der Stimme in Franklins Kopf, sondern war einer seiner eigenen Gedanken. Doch leider blieb dieser Gedanke dem seltsamen Mann nicht verborgen.

Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, mir in Zukunft einen anderen Boten zu schicken! Genau SIE sind es, den ich an dieser Stelle in spätestens einer Woche wieder sehen will! Und ich empfehle Ihnen, dass Sie dann eine Erfolgsmeldung vorzuweisen haben!

Mit diesen wenig beruhigenden Worten schob der Mann den Offizier zur Seite. Dieser humpelte hastig dem Ausgang entgegen. Einmal mehr öffnete sich die große Stahltüre vor ihm wie von Geisterhand. Franklin war heilfroh, diesen unheimlichen Ort gerade noch halbwegs gesund verlassen zu dürfen. Doch wie aus einem inneren Zwang heraus, konnte er nicht anders, als sich auf der Schwelle noch einmal nach dem geheimnisvollen Mann umzudrehen. Was er allerdings in der Dunkelheit erblickte, war nicht mehr der ältere Herr in Jeans und Sandalen, sondern die wabbernde Blase mitsamt dem schwimmenden Gehirn. Das Gehirn schien Franklin höhnisch hinterher zu grinsen, sofern man so etwas von einem Gehirn überhaupt behaupten konnte.  

Angewidert und verwirrt stolperte Franklin nach draußen. Die Stahltüre knallte hinter ihm zu.

Die letzte Chance, dachte Arthur Longue. Er ließ sich in der warmen Flüssigkeit langsam hin und her treiben. Es war nötig, sich zu beruhigen, denn er war wirklich aufgebracht. Wenn dieser erbärmliche Stümper das nächste Mal keine positiven Neuigkeiten bringt, werde ich wahrscheinlich nicht einmal mehr die Gelegenheit bekommen, es ihn büßen zu lassen. Denn dann wird alles hier bereits vernichtet sein.

Nun bedauerte Arthur, dass sein verstoßener Großneffe mit seinem törichten Anschlag keinen Erfolg gehabt hatte. Nur zu genau wusste er, dass ihm alle Macht, die er sich mühsam aufgebaut hatte, nichts nützen würde, sollte der bevorstehendeRufdenWartenden Wächter erreichen.

Über diesen frustrierenden Gedanken wurde Arthur schläfrig. Alle seine Nervenstränge hingen schlapp nach unten. Er musste sich wirklich mehr Ruhe gönnen, immerhin war er leider nicht mehr der Jüngste.

 

Für eine Greifzange voll Dollar
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