5.

 

Ungefähr eine Viertelstunde später begann lauter, wütender Lärm in das schäbige Gästezimmer Nummer Vier zu dringen.

Es war Jazzman bis zu diesem Zeitpunkt immerhin gelungen, dem langsam verrückt werdenden Ribotex noch zwei weitere Psi-Kräfte nachzuweisen. Dabei handelte es sich zum einen um die Fähigkeit zur `Tieraffinität`, bei der die Beweisführung von Ribotex unter anderem verlangte, diverse Tiergeräusche möglichst echt nachzuahmen, und zum anderen um die unheimliche Kraft, seinen Astralkörper über die unendlichen Metaebenen lustwandeln zu lassen. Die Blackbox hatte all diese erstaunlichen Entdeckungen gewissenhaft dokumentiert und die Kopfgeldprämie jedes Mal um einige hundert Dollar angehoben. Momentan betrug sie genau 4316 Dollar, auszuzahlen bei vorschriftsmäßiger Übergabe des Gefangenen an den Haupt-Militärstützpunkt des jeweiligen Sektors. Beim bloßen Gedanken an so viel Geld frohlockte Jazz. Er hatte schon seit geraumer Zeit das systematische Manipulieren der Schwarzen Boxen zu einer wahren Kunstform erhoben. Es war eine Kunst, die sich in jeder Hinsicht auszahlte. Die Jungs von der Militärbasis gaben einem diese kleinen, handlichen Dinger mit, um absolute Kontrolle über alle militärischen Operationen zu haben. Und da sie die künstliche Intelligenz der Blackboxes offenbar für ein geniales Wunderwerk der Technik hielten, hatten sie auch maximales Vertrauen in deren Ergebnisse. Jazzman war inzwischen zu der Ansicht gelangt, dass es mit dieser `künstlichen Intelligenz` nicht allzu weit her war. Mit der richtigen Taktik konnte man die Biester wirklich nach Strich und Faden verschaukeln! 

Doch das hieß nicht, dass er die praktischen Boxen in mancherlei Hinsicht nicht auch zu schätzen gewusst hätte. Außer dass sie ihm dienlich waren, sein Einkommen zum Teil erheblich aufzubessern, waren sie immer pflichtbewusst, äußerst hilfsbereit und gaben sogar einigermaßen unterhaltsame Gesprächspartner auf langen Wanderschaften durch die Burnoutwüste ab. Einige von ihnen hatten sogar ein paar sehr interessante Hörspiele in ihren Dateien gespeichert, die man auf Knopfdruck abspielen lassen konnte. Außerdem empfand Jazz für die kleinen Kästchen eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl, das von ihrer Artverwandtschaft zu ihm selbst herrührte. Von Zeit zu Zeit ertappte er sich sogar dabei, wie er die ihm zugewiesene Blackbox zärtlich streichelte, wenn er in der Tasche nach irgendeinem Gegenstand suchte. Doch in erster Linie pflegte er zu ihr einfach nur ein sehr gutes Arbeitsverhältnis.

Gerade im Moment brachte Jazz die Box erneut in Position. Es ging darum, einen weiteren Test durchzuführen, um zu beweisen, dass Ribotex, sein Gefangener, die Macht besaß, durch pure Gedankenenergie selbst feste Materie zu verformen. Alles was Jazz dazu benötigte, war etwas Knetmasse und natürlich die Mitarbeit des Telepathen, die er sich durch den kleinen Regler an seinem linken Fuß sicherte. Immer wenn Ribotex etwas an der Beweisführung zu kritisieren hatte, genügte schon ein kleiner Stromstoß durch die elektrischen Handschellen, um ihn zur Vernunft zu bringen.

Jazzman war also gerade ganz im Arbeitsfieber, als es unten in der Bar unruhig wurde.

Da er so beschäftigt war, fiel Grazilla das Rumoren und wütende Gebrüll zuerst auf. Sie hörte genauer hin und meinte plötzlich sogar, das charakteristische Brummen schwerer Motorräder zu vernehmen.

„Hey, Jazz, warte mal kurz!“ unterbrach sie den Androiden bei den Vorbereitungen. „Hörst du auch den Krach?“

„Hmmm, was denn?“ Er hielt mitten in der Beschäftigung inne und horchte mit den Hörsensoren. „Oh Mist, das kann nur eines bedeuten!“

„Was denn?“ fragte Grazilla etwas begriffsstutzig.

„Die Sandrocker! Sie müssen Verstärkung aufgetrieben haben und sinnen nun auf Rache.“ Sofort hatte Jazzman das Gewehr im Anschlag. Doch was würde es ihm nützen, wenn die Rocker in der Überzahl und alle mindestens genauso schwer bewaffnet waren wie er? Und dann auf diesem engen Raum... Der Androide musste kein Hellseher sein, um den Ausgang der Situation vorauszusagen: Sie würden ihn auseinander reißen und die verrostenden Überreste in alle Winde verstreuen. Immerhin hatte er zwei ihrer Kumpanen auf dem Gewissen.

„Na, du Genie, was machst du jetzt?“ lachte Ribotex schadenfroh. „Ich weiß zwar nicht, welche Probleme du mit den Jungs hattest, aber ich weiß, dass Sandrocker ihre Probleme allgemein nur auf eine Art lösen.“

„Gib Ruhe, ich will hören, was da unten vor sich geht!“ Er horchte erneut. Seine Sensoren erfassten wütende Schreie und ein Poltern, das gerade so klang, als würden Menschenkörper grob durch die Gegend gestoßen.

„Bestimmt quetschen sie schon die Gäste aus, wo du dich verkrochen hast. He, he!“ Ribotex schien diese Vorstellung zu amüsieren.

„Und man wird es ihnen sicherlich sofort verraten“, fügte Grazilla hinzu. „Du hast dir nicht gerade viele Freunde gemacht.“

Von unten ertönten jetzt Schussgeräusche verschiedener großkalibriger Gewehre. Die Rocker kümmerten sich also erwartungsgemäß wenig um die Sicherheitsvorschriften der Bar.

Jazz grübelte angestrengt nach, die künstlichen Denkprozessoren liefen auf  Hochtouren. Sie lieferten ihm nur eine Möglichkeit zu entkommen. Er wandte sich an den immer noch nackten Ribotex (keine Sorge, Grazilla war derartige Anblicke gewohnt), der ihm frech entgegenblinzelte.

„Du machst jetzt dasselbe, was du gemacht hast, bevor ich eben rein gekommen bin!“ befahl Jazz hastig. „Du erschaffst uns ein Horrorszenario, von dem die Rocker weiche Knie bekommen und fliehen! Und dann werden wir machen, dass wir von hier verschwinden.“

Ribotex machte keinerlei Anstalten, etwas zu unternehmen.

Jazz hielt dem Telepathen die Doppelläufige unter die knollige Nase. Doch dieser grinste einfach weiter.

„Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viel intensive Meditation nötig ist, um derart visionäre Meisterwerke zu erzeugen? Ich müsste mich mindestens eine Stunde in Trance begeben. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dir nicht mehr ganz soviel Zeit bleibt!“

In der Tat! Jazz konnte das Geräusch vieler, schwerer Schritte auf der Treppe hören, sie hatten seine Spur also bereits aufgenommen. Dann hörten die drei ungleichen Insassen von Zimmer Vier, wie die manipulierte Treppe anscheinend unter der Last zu vieler schwerer Schritte krachend wegbrach, gefolgt vom lauten Fluchen mehrerer rauer Stimmen. Doch Jazzman ahnte, dass dies die Sandrocker nicht lange aufhalten würde.

„Außerdem, warum sollte ich dich retten?“ fragte Ribotex listig. „Ich bin wohl der Letzte, von dem du im Moment Hilfe erwarten kannst.“

„Du wirst mir helfen, weil ich dafür sorgen werde, dass du ansonsten mit mir untergehen wirst“, erklärte Jazz zornig. „Bevor sie mich kriegen, mache ich mit dir noch kurzen Prozess.“

„Was stört´s mich? Wenn du mich bei den Militärs ablieferst, erwartet mich dort auch die Todesstrafe, für den ganzen Psi-Mist, den du mir angehängt hast. Aber sieh es mal so: Ich weiß, du würdest dich lieber einstampfen lassen, als mich freizulassen. Doch du könntest einige der Anklagepunkte löschen, und ich könnte mich genügend motiviert sehen, dir etwas unter die Metallarme zu greifen...“ Ribotex Segelohren zuckten auffordernd.

 

Für eine Greifzange voll Dollar
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