9.

 

„Wo haben Sie nur wieder die ganze Zeit gesteckt, Mr. Jazzman?“

Die SR16- Sekretärin führte den Androiden und seinen frisch gebackenen Partner durch die gewaltigen Hallen und Gänge der Eisberg Station. 

„Bestimmt werden Sie sagen, Sie wären unterwegs gewesen, um Telepathen zu fangen! Aber ich glaube, dass Sie nur wieder hinter allen möglichen Rockzipfeln hergejagt sind!“

Ribotex blickte Jazzman verwundert an. „Willst Du ihr nicht antworten, Jazz? Ich glaube, sie versucht irgendwie, mit dir zu flirten!“ Der Telepath stieß Jazzman mit dem Ellenbogen in die Seite und grinste anzüglich.

„Mr. Jazzman, Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sie seien in Lebensgefahr gewesen und gerade noch einmal mit heiler Haut davongekommen...“, plapperte Mrs. Cablewash mit ihrer monotonen Roboterstimme. „Wann werden Sie nur endlich vernünftig und sehen ein, dass all die jungen Dinger nichts für Sie sind? Sie sollten lieber mal mit mir ausgehen! Mit Ihrer guten alten Mrs. Cablewash!“

Jazzman sah genervt zu Boden und brummte nur griesgrämig.

„Warum redest du nicht mit ihr, Jazz?“ drängte Ribotex seinen neuen Partner. „Sie scheint doch ganz nett zu sein!“ 

„Sie sagt diese Sachen nur, weil sie ihr irgendwann mal irgendein Idiot einprogrammiert hat!“ antwortete Jazzman, ohne aufzublicken. „Sie ist ein veraltetes Modell! Alles, was in ihrem Kopf abläuft, sind festgelegte Verhaltensmuster. Sie ist eine Beleidigung für alle neuartigen Androiden! Sieh sie dir doch nur mal an!“

Genau das tat Ribotex: Mrs. Cablewash war tatsächlich nicht mehr die Jüngste - ihre Legierung schien bereits stellenweise vom Rost befallen. Auch waren die Rollen, auf denen sie sich fortbewegte, wohl nicht mehr der neuste Stand der Technik. Doch dafür konnte sie immerhin mit einem recht ansehnlichen Oberkörper aufwarten. Der Erbauer dieser SR16 Einheit musste wohl ein Faible für besonders üppige Formen gehabt haben, was sich bei ihr sehr eindrucksvoll offenbarte. Und auch ihr Haupt war, im Gegensatz zu dem von Jazzman, weniger einer Vogeltränke, als eher einem gefragten Supermodell nachempfunden.

„Also, ich finde sie gar nicht so übel!“ fasste Ribotex seine Eindrücke zusammen. „Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ihr gut zueinander passen würdet!“    

„Aber sie ist nicht viel schlauer, als ein sprechender Radiowecker!“ wehrte Jazzman ab. „Und außerdem geht sie mir mit ihrem Gequassel ganz gehörig auf den Keks! Ich frage mich, wer sich solche Sätze ausgedacht hat, und wozu?“

Mrs. Cablewash ließ sich vom Gerede der beiden nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. Sie redete einfach in ihrem immer gleichen Tonfall weiter auf Jazzman ein.

„Wenn Sie sich das nächste mal mit einem dieser jungen Dinger einlassen, sollten Sie lieber an meine Worte denken! Wir könnten doch wirklich mal auf einen Drink zusammen weg gehen, wenn Sie ihren Auftrag hinter sich gebracht haben...“

Auf diese Weise wanderten die drei durch die riesigen Hallen zum Ausrüstungsdepot.

Es war eine nicht zu unterschätzende Strecke, die sie da vor sich hatten, denn das Depot befand sich auf einer der untersten Etagen der Eisberg Station. Das hieß in dem Fall, dass ihr Ziel viele hundert Meter unter der Erdoberfläche lag. Zwar waren selbstverständlich die meisten Stockwerke über Lifte miteinander verbunden, aber eben nicht alle. Gerade bei den untersten Sektionen hatte man architektonisch gesehen ziemlich geschlampt. Im Klartext bedeutete das, dass man unerhört viele Treppenstufen hinabzusteigen hatte, wenn man in die abgelegenen Regionen vordringen wollte (für Mrs. Cablewash auf ihren Rollen keine ganz leichte Aufgabe). Und auf den niederen Decks, auf denen die Marschübungen der Infanterie abgehalten wurden, lagen die Treppen jeweils am anderen Ende der Etage.

Durch die hohen Motorleistungen, welche für den kürzlichen Umzug vonnöten gewesen waren, hatte sich die Temperatur der Eisberg Station ziemlich erhitzt. Wohl erging es dabei noch den Bewohnern der luxuriös mit Klimaanlagen ausgestatteten Offiziersetagen. Doch hier unten bei den gewöhnlichen Soldaten, war es nicht viel kühler als bei einem ausgiebigen Sonnenbad in der Burnoutwüste. Dementsprechend stand dem vorbeiexerzierenden Marschtrupp auch der Schweiß auf den angestrengten Gesichtern. Sie marschierten zuerst nur im flotten Gleichschritt und gingen dann auf den gebrüllten Befehl ihres Oberfeldwebels hin in ein schnelleres Joggen über. Offenbar hatte einer von ihnen zu aller Anstrengung noch die Aufgabe aufgebrummt bekommen, lauthals ein rhythmisches Marschlied anzustimmen. Es ging folgendermaßen:

 

Soldaten haben viel zu tun

und keine Zeit um auszuruhen.

Wir laufen wie man´s uns befiehlt

Und keiner der sich nach draußen stiehlt

Denn draußen da ist´s ziemlich heiß

Und hier ist die Station aus Eis

 

 

Als er mit seinem Text fertig war, brachen zwei der laufenden Soldaten vor Erschöpfung zusammen. Sie wurden von zwei Sanitätsrobotern aufgebahrt und abgeschleppt. Niemand schenkte diesem Vorgang besondere Beachtung.

Als die Gruppe an Jazzman, Ribotex und der SR16 Sekretärin vorbeikam, entkrampften sich die angestrengten Gesichter der Soldaten und die meisten konnten ein Grinsen nicht unterdrücken. Einige mussten sogar lachen und zeigten dabei mit ausgestreckten Fingern auf Jazzmans Kopf. Der Androide war darüber einigermaßen verwundert.

„Ich habe gar keine Ahnung, was in diese Trottel gefahren ist“, knurrte er gereizt. „Ich bin auf dieser Station allseits bekannt, und für gewöhnlich würde sich niemand wagen, mich einfach grundlos auszulachen!“

Jazzmans Verwunderung war verständlich. Er wusste nicht, was hier gespielt wurde. Doch er schöpfte bereits Verdacht.

„Ribotex“, zischte er drohend, „wenn du irgend etwas damit zu tun haben solltest, reiße ich dir augenblicklich den Kopf ab!“

Der Telepath lächelte scheinheilig und ließ blitzschnell die Clownsnasen-Illusion auf Jazzmans Gesicht fallen.

„Reg´ dich doch nicht gleich so schrecklich auf!“ beschwichtigte er den Androiden. „Ich habe doch nur gedacht, die armen Jungs könnten mal eine kleine Aufmunterung gebrauchen. Ich wollte lediglich die Moral der Truppe ein wenig zu heben!“

„Was glaubst du wohl, wie es die Moral der Truppe heben würde, wenn ich meinen Schocker auspacke und dich den Electric Boogie tanzen lasse?“

Jazzman packte Ribotex am Kragen und schüttelte ihn ein wenig durch. Doch der Telepath hielt seinem Blick stand. Beide sahen sich fest in die Augen, wobei Ribotex diese bei seinem Gegenüber erst einmal ausfindig machen musste. Dann sagte Ribotex, während er sich aus dem Stahlgriff losriss: „Du kannst mir keine Angst mehr einjagen, mein Freund. Vergiss nicht, dass wir auf Befehl deines Bosses in dieser Angelegenheit als Partner operieren. Er wäre sicherlich nicht erfreut, wenn du durch dein Temperament diese Zusammenarbeit zunichte machst. Und denk daran: Nichts, was du mit mir anstellst, bleibt unbeobachtet. Oder hast du vielleicht unseren kleinen Begleiter vergessen?“ Ribotex zeigte auf die Black Box, die Jazzman wirklich schon vergessen hatte. Dieses Ding war aber auch zu unscheinbar, man musste es zwangsläufig auf Dauer übersehen. Die Blackbox, die merkte, dass sie der Mittelpunkt des Gesprächs war, ließ ein leises Fiepen erklingen. Aufgeregt kreiste sie um die Beine der beiden Streitenden.

Jazzman sah ein, dass Ribotex - zumindest in diesem Punkt - Recht hatte. Er konnte nichts unternehmen, ohne dass dieses kleine Biest davon Meldung machen würde. Er fühlte sich hintergangen.

Ärgerlich, dachte er und versetzte der Blackbox, anstelle von Ribotex, einen ordentlichen Tritt. Die Box krachte im hohen Bogen gegen die nächste Metallwand und zerschellte dort in zwanzig Teile. Unmittelbar darauf materialisierte sich eine neue Blackbox. Sie musterte die Überreste ihrer Vorgängerin. Dann fuhr sie auf ihren Rollen schnell zu Jazzman und Ribotex zurück und piepte traurig.

Jazz wandte sich wieder dem Telepathen zu.

„Na gut, dann werden wir beide uns eben eine Zeitlang vertragen müssen, jedenfalls bis wir das hier hinter uns gebracht haben. Aber eines kann ich dir sagen: Wenn du mich weiter mit deinen verfluchten Tricks zum Narren halten willst, dann pfeife ich auf diesen Auftrag und auch auf alle Generäle dieser Welt und lasse es dich bereuen! Hast du das kapiert?“

Ribotex rückte den Kragen seines Hemdes wieder gerade und spuckte auf den Boden. Dann zuckte er nur mit den schmächtigen Schultern.

„Schon gut, schon gut! Ich hätte wissen müssen, dass du absolut keinen Sinn für Humor hast! Meine Absicht war bestimmt nicht, mit dir Streit anzufangen. Ich vermute, davon hätte mich ohnehin mein neues Verhaltensimplantat abgehalten. Ein Scherz, das war alles, was ich gemacht habe. Und du gehst sofort hoch wie eine Rakete! Haben Androiden eigentlich allgemein einen Hang zu Überreaktionen?“

Auch Mrs Cablewash mischte sich jetzt in die Diskussion ein. Sie stellte sich zwischen die beiden und fasste Jazzman an den Schultern. Ihre mechanische Stimme ratterte in einem fort.

„Aber Mr Jazzman, Sie brauchen mir doch nicht zu beweisen, was für ein starker Kerl Sie sind. Ich weiß doch, dass ein Mann wie Sie sich in jeder Lage zu helfen weiß und...“

Jazzman wandte sich verstimmt in Richtung Treppe und ging weiter.

„Ich habe genug von dem ganzen Unsinn!“ rief er den anderen über die Schulter zu. „Ihr solltet jetzt lieber auch weiterkommen! Man erwartet uns schließlich im Ausrüstungsdepot. Ich glaube nicht, dass wir alle Zeit der Welt haben.“

Ribotex und Mrs Cablewash folgten ihm zögernd, ließen ihn aber sicherheitshalber ein paar Meter vorausgehen. 

„Ist er eigentlich immer schon so hitzköpfig gewesen?“ fragte Ribotex die Sekretärin. Diese dachte kurz nach.

„Mr Jazzman ist ein Söldner im Dienste unseres Militärs. Viele Menschen sollten sich ein Beispiel nehmen, an dem hervorragenden Verhalten unserer Mitarbeiter, die immer und überall...“

„Schon gut, bitte verschonen Sie mich!“ Ribotex stöhnte. Wann würde er endlich wieder einem halbwegs normalen Menschen begegnen?

Den restlichen Weg ins Unterste des Metallkolosses brachten die drei schweigend hinter sich.

 

Für eine Greifzange voll Dollar
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