1.
„Roter Alarm! Alle Mann auf die Gefechtsstation! Sofort sämtliche Schilde hoch!“
General Orge war ganz in seinem Element. Die Lage hatte sich zugespitzt. Seine diensthabenden Offiziere, und das waren zurzeit sämtliche Offiziere, kamen kaum noch nach, alle Befehle ordnungsgemäß auszuführen. Wild wirbelten sie durcheinander und bildeten einen riesigen unkoordinierten Haufen.
General Orge schlug vor Wut mit der gepanzerten bionischen Faust auf einen x-beliebigen Schreibtisch. Der Schreibtisch brach zusammen.
„Was habt ihr Idioten eigentlich beim Militär die ganze Zeit gelernt? Jahrelanges Training und das nur, damit ihr im entscheidenden Augenblick die Nerven verliert?!“
„Sir, wir tun, was wir können, Sir!“ Die Stimme kam Orge gleich bekannt vor. Und tatsächlich erkannte er auch sogleich das ernst verkniffene Gesicht von Offizier Franklin Malmann. Aber irgendetwas war anders.
„Wie ich sehe, können Sie sich endlich wieder aufrecht gehend fortbewegen, Malmann.“ Stolz deutete General Orge auf die bionischen Beine. „Offenbar haben Sie sich meinen gut gemeinten Ratschlag zu Herzen genommen, bezüglich Cyberleg und Co.“
Franklin räusperte sich, wobei seine feste Mimik etwas aus dem Ruder geriet.
„Es blieb mir nicht viel anderes übrig, Sir! Der Arzt meinte, meine Beine würden als Hundefutter bessere Dienste leisten. Dr. Trowcyek drückt sich da immer sehr direkt aus, Sir!“
„Gut, gut Offizier“, winkte Orge ab. „Berichten Sie mir über unseren Status!“
Der junge aber bereits invalide Offizier kramte in diversen Akten.
„Unsere Agenten melden, derRuf ist durch. Alle von uns geplanten Versuche, ihn zu verhindern, sind fehlgeschlagen. Wir erwarten in Kürze die Vollständige Vernichtung der uns bekannten irdischen Zivilisation.“ Einige Blätter flatterten davon, als ein vorbeieilender Soldat mit der Schulter gegen Franklin stieß. „Außerdem wurde uns von einem Attentat auf Mr Longue berichtet, verbunden mit einem sofortigen Machtwechsel. Aber dies dürfte in Anbetracht der Situation kaum mehr von Interesse sein.“
Orge hieb mit der Faust erneut auf den bereits lädierten Schreibtisch. Er war in der Tat ein Choleriker, wie er im Buche stand. Zweimal atmete er tief durch und steckte sich dann mit geübten Griffen eine fette Zigarre in den rechten Mundwinkel.
„Wie sieht es mit unseren Handlungsmöglichkeiten aus? Haben wir noch geeignete Alternativen?“
Abermals räusperte sich Franklin lautstark. Offenbar handelte es sich dabei um eine Art Zwangsverhalten, das immer dann zum Vorschein kam, wenn er schlechte Nachrichten zu überbringen hatte.
„Die Jungs von der taktischen Abteilung meinen, dass wir im Falle eines direkten Frontalangriffs keinerlei Möglichkeit zur Verteidigung besitzen. Die Pläne von Mr Mu über den Bau einer Boden-zu-Luft-Sandschleuder befinden sich leider noch im Stadium der Entwicklung. Uns wird aller Wahrscheinlichkeit nach nur eine Alternative bleiben: Wir müssen mit der Eisbergstation auf Tauchstation gehen und hoffen, dass die Invasoren zu faul sind, lange Ausgrabungen nach uns durchzuführen.“
Mit einem Male änderte sich die gesamte Atmosphäre. Ein sirenenartiges Tröten erklang und sämtliche rote Lichter wurden eingeschaltet. Selbst ein Zivilist hätte erkannt, dass etwas Schreckliches vor sich gehen musste. Das panische Treiben auf der Station hatte von einer Sekunde zur anderen gestoppt. Alle Augen richteten sich nur noch starr auf den großen Radar-Bildschirm, auf dem bisher noch nie etwas Interessantes zu sehen gewesen war. Er sollte orbitale Aktivitäten überwachen. So mancher hatte schon an der Zweckmäßigkeit dieses sündhaft teuren Radars gezweifelt. Doch nun gab es da endlich etwas, das eine gewisse Aufmerksamkeit erforderte: Ein kleiner Punkt näherte sich mit unbeirrter Zielstrebigkeit dem Mittelpunkt des Bildschirms. Und jeder einzelne an Bord der Eisbergstation wusste, was das bedeutete.
„Nun ja“, kommentierte General Orge lakonisch. „Was soll ich sagen? Die Eisbergstation hat schon einmal den Weltuntergang überstanden. Wir gehen runter, und zwar so tief wie noch nie zuvor.“ Er blickte ernst in die blassen Gesichter seiner Männer. „Na los, worauf wartet ihr noch? Alles bereitmachen zum Abtauchen! Wer an Klaustrophobie leidet, sollte jetzt besser aussteigen.“