5.

 

Eisberg, so lautete der Name der Station und zwar aus dem einleuchtenden Grund, dass sich etwa zwei Drittel von ihr stets im sandigen Erdreich befanden. Hielt man sich - wie wohl die meisten Betrachter - über der Erdoberfläche auf, konnte man daher immer nur das obere Drittel bewundern. Doch da es in der Wüste keine Schiffe gab, jagte dieser Gedanke fast niemandem einen Schauer über den Rücken.

Eine heute rätselhaft gewordene Technologie der Materieumwandlung befähigte sie, sich unterirdisch fortzubewegen. Die Eisbergstation war inzwischen die letzte ihrer Art.

Eine der massiven Stahltüren der imposanten Militärbasis öffnete sich nach oben hin, ohne dabei irgendwelche nennenswerten Geräusche zu verursachen. Der mobile Metallkoloss hatte sich nach dem erfolgreichen Aufstieg ebenso erfolgreich selbst entsandet, so dass jetzt nicht einmal mehr das kleinste Steinchen zwischen die Getriebe geriet, um etwa so etwas wie ein Knarren zu erzeugen. Beim Militär wurde eben auch in diesen harten, widrigen Zeiten Wert auf Perfektion gelegt. - Also gut, um ehrlich zu sein, muss gesagt werden, dass die Basis noch aus einer Zeit stammte, die bei Weitem nicht so hart und widrig war wie die heutige.

Den Unterschied konnte man vielleicht gerade jetzt gut erkennen, als sich eine Konstruktion neueren Baujahres durch den Eingang schob: Es handelte sich um eine Art Kranfahrzeug, welches offenbar aus den Überresten verschiedenster Baufahrzeuge zusammengeschweißt worden war. Es wirkte unförmig, seltsam proportioniert und wackelte auf einem Kettenantrieb wie führerlos hin und her. Um diesem Gefährt wenigstens einen Hauch von militärischem Flair zu verleihen, hatte man es in den klassischen grünen Tarnfarben lackiert. Und das, obwohl man sich hier mitten in der Wüste befand.    

Der Fahrer, ein junger Soldat, trank, während er den Kran nach draußen steuerte, genüsslich aus einer Dose Fresh Energizer. Dies war eine Freiheit, die er sich trotz der strengen Verhaltensvorschriften des Militärs herausnehmen konnte. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass sein diensthabender Offizier, der auf dem Beifahrersitz lag, gerade den verpassten Schlaf der letzten Nacht nachholte. Doch Symon, so hieß der junge Soldat, wusste auch ohne die Anweisungen des Vorgesetzten, was zu tun war. Es war nicht das erste mal, dass er der Bergungsabteilung zugeteilt worden war, seit er den Dienst in der Basis aufgenommen hatte. Meistens hatte er sogar ausdrücklich um eine zeitweise Versetzung in diese Abteilung gebeten. Er war ein äußerst schneller Bursche, und daher hatte er auch äußerst schnell heraus gehabt, dass das Bergen von Wüstenschrott der laueste Job auf der gesamten Station war. Ein willkommener Urlaub vom üblichen Drill. Und ein Blick auf den ausnüchternden, schnarchenden Offizier neben ihm verriet, dass dieser ganz genauso über diese Tätigkeit dachte.

Dabei war es heute Morgen etwas anders abgelaufen als sonst. Sofort nach dem planmäßigen Auftauchen der Basis war ein dringender Funkspruch von ganz Oben gekommen. Man hatte sowohl schwache Lebenszeichen als auch ein deutliches Blackboxsignal empfangen und war scheinbar um die `Bergung` der betreffenden Personen äußerst besorgt. Symon konnte sich darauf keinen richtigen Reim machen, denn normalerweise hatte es in der Basis noch nicht einmal jemanden gekümmert, wenn der Auftauchvorgang mitten in einem Äarock-Nomadendorf vonstatten gegangen war. Und so etwas kam, trotz den scheinbar unendlichen Weiten der Burnoutwüste, gar nicht so selten vor... 

Doch diesmal war man wohl tatsächlich an einer Rettung interessiert. Symon dachte nicht weiter darüber nach, denn wenn er in seiner bisherigen Dienstzeit beim Militär etwas gelernt hatte, dann war es, dass man am besten niemals über sonderbare Befehle von Oben nachdachte. Daher steuerte er den Wagen - einhändig, denn die Energizer Dose war noch nicht leergetrunken - zu den genauen Koordinaten vor der Basis und ließ dann die Sensoren anlaufen. Diese fanden auch sofort, was sie suchten und sendeten einen entsprechenden Impuls an das automatische Kransystem, das daraufhin gleich zwei rostige Kräne ausfuhr. Das Ende des einen Armes lief in einer Art Greifzange aus, das andere in einem großen Magneten. Sowohl Greifarm als auch Magnet steuerten zielstrebig eine bestimmte Stelle am Boden an und gruben sich dann in den frisch gefallenen Sand. Sie wollten bergen.

Symon brauchte bei alledem, nur leicht gelangweilt zuzusehen und die inzwischen leere Dose unauffällig in seinem Rucksack verschwinden zu lassen. Denn der Offizier, Wrengler war sein Name, machte allmählich Anstalten aufzuwachen. Er hustete, würgte und schlug dann verkatert die Augen auf. „Was genau ist hier im Gange, Soldat?“ fragte er gähnend.

„Och, wir bergen da gerade zwei Personen, Sir!“ lieferte Symon einen kurzen Bericht ab. Er beobachtete, wie sich beide Kräne wieder aus dem Sand herauszogen. Sie waren also schon fündig geworden.

„Hast du Personen gesagt? Nicht ausschlachtbare Autowracks, Soldat?“ hakte Offizier Wrengler irritiert nach.

„Nein, nein es sind Personen! Der Auftrag kam von Oben, Sir!“

Und es waren wirklich zwei Personen, auch wenn die eine teilweise sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Autowrack aufwies. Tatsache war jedenfalls, dass diese Individuen äußerst übel zugerichtet waren. Die Greifzange des einen Krans öffnete sich über der Ladeluke und ein kleiner Mensch fiel herab. Fast zeitgleich wurde auch der große Elektromagnet abgeschaltet und ein verbeulter Androide plumpste gleich daneben.

„Schau mal nach, ob bei denen noch was zu machen ist!“ befahl Wrengler und Symon erhob sich zackig. „Sir, jawohl, Sir!“ rief er in bester Militärtradition und eilte nach hinten zu der großen Ladeluke. Er war nicht gerade optimistisch, was den Zustand der beiden Geborgenen betraf. Sein erster Gedanke, als er sie vorhin an den Kränen hängen gesehen hatte, war: Die sind hinüber, kein Zweifel!

Auch als er sich nun vorsichtig näherte, gab keiner von ihnen irgendwelche Lebenszeichen von sich. Symon beugte sich über den kleinen glatzköpfigen Mann, der unglaublich geschunden wirkte (beispielsweise fehlte ihm die linke Hand) und tastete ihn ab. War da vielleicht noch ein Pulsschlag zu spüren?

Offizier Wrengler wand sich umständlich im Sitz, um mitzubekommen, wie es um die beiden Geborgenen stand. Er war allerdings noch zu müde, um aufzustehen und dem Soldaten zur Hand zu gehen. Immerhin, dachte er sich, musste man von den Untergebenen auch eine gewisse Selbständigkeit erwarten können. Vergeblich versuchte er, ein lautes Rülpsen zu unterdrücken. Die letzte Nacht hatte ihn wirklich geschafft. Zum Glück hatte er heute nur Bergungsdienst.

Draußen konnte Wrengler erkennen, wie der Soldat abwechselnd den Glatzkopf und dann den Roboter untersuchte. Der verkaterte Offizier kratzte sich am nachlässig rasierten Kinn. Ein Befehl von Oben soll es gewesen sein. Sollte es sich bei diesen beiden jämmerlichen Gestalten etwa um VIPs handeln? Schwer zu glauben.

„He, was ist jetzt mit den Typen?“ rief er zu Symon herüber, der die Untersuchungen offenbar gerade abgeschlossen hatte. „Schrottplatz und Leichenhalle?“

Symon blickte den Offizier mit großen aufgeregten Augen an.

„Nein, eher Reparaturwerkstatt und Notaufnahme, Sir!“

 

Für eine Greifzange voll Dollar
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