2.

 

Äarock Nomaden sind wirklich das Allerletzte! Dies war nicht nur die landläufige Meinung über die kleinen, übel riechenden Wüstenbewohner, sondern auch der momentane Gedanke des mürrischen Androiden, Jazzman. Sein neu gewonnener Partner wider Willen war mit ihm in diesem Punkt sogar ausnahmsweise einer Meinung. Auch er konnte diesem verkommenen Völkchen nichts abgewinnen. Und dabei hielt sich Ribotex eigentlich für einen toleranten Zeitgenossen.

Vielleicht lag es daran, wie die Äarock Nomaden rochen; es war in der Tat ein übler, beißender Geruch, der einem die Tränen in die Augen trieb. Vielleicht lag es aber auch an der aufdringlichen Art, wie man als arglos Reisender von den Äarocks begrapscht und gezogen wurde. Drei oder vier von ihnen waren durchaus in der Lage, einem innerhalb weniger Sekunden die Klamotten vom Leib zu reißen, wenn man nicht aufpasste. Und dabei hatten diese lästigen Kreaturen immer nur ein Ziel vor Augen: Sie wollten einem ihre billige Ware andrehen. Und diese Ware war in den meisten Fällen auch noch zusammengestohlen.    

Gerade im Moment versuchte einer der schuppenhäutigen Äarocks vergeblich, Ribotex an dessen illusionären Anzug zu ziehen. Er griff ins Leere. Ribotex bevorzugte bei den herrschenden Temperaturen nämlich leichte Kleidung: Er trug unter seinem illusionärem Anzug lediglich einen bequemen Stringtanga.

Der ca. eineinhalb Meter große Äarock schnaubte verblüfft.

„Ich jetzt doch nicht mehr wolle eintauschen deine Anzug“, keuchte er dem Telepathen ins amüsierte Gesicht. Ribotex grinste, trotz des ihm entgegenschlagenden Mundgeruchs und zündete sich eine illusionäre Zigarre an.

Inzwischen hatte Jazzman alle Hände und Greifzangen voll zu tun, die Nomaden, die ihn umringten, von seiner Tasche fernzuhalten. Und vom Motorrad, wo die Waffen sorgsam verstaut waren.

Mitten in der Burnoutwüste befand sich dieses kleine Dorf, das größtenteils aus zerlumpten Zelten und antiquierten Wohnwagen bestand. Nur wenige Holzhütten waren provisorisch zusammengezimmert worden und aus diesen drangen die unterschiedlichsten Tiergeräusche. Es waren nämlich die Stallungen, in denen Schlachtvieh auf engstem Raum zusammengepfercht war. Das gesamte Lager erweckte den Eindruck, als könne man es mit wenigen Handgriffen abbrechen, was auch der Fall war, denn die Nomaden blieben nie lange an ein und dem selben Ort. Und wenn sie weiter zogen hinterließen sie meist eine Müllhalde.            

„Hört mir doch mal zu“, fuhr der Androide die Äarocks, die allesamt in bräunliche Laken gehüllt waren, an. „Alles, was ich von euch brauche, ist etwas, das ich als Keilriemen für mein Gefährt benutzen kann.“ Jazzman blickte in die Runde und erntete von jedem ein unschuldiges Lächeln, hinter dem sich allerdings äußerste Gerissenheit verbarg.

„Ich wäre auch schon mit einer Damenstrumpfhose zufrieden, aber ich brauche irgendetwas, um meine Maschine wieder flott zu bekommen.“

Die Äarock Nomaden steckten die schuppigen Köpfe zusammen und tuschelten. Sie sahen aus, wie eine Football-Mannschaft beim Erstellen einer Spielstrategie.

„Wir vielleicht etwas haben“, wandte sich schließlich einer von ihnen an den ungeduldigen Androiden. „Aber so etwas sein hier in Wüste eine Seltenheit, so was nicht leicht zu finden... Und sehr teuer!“

Jazzman ließ die metallenen Schultern hängen. Wie hätte es anders sein können? Diese kleinen Monster hatten natürlich vor, Kapital aus seiner misslichen Lage zu schlagen. Er überlegte. „Na schön, dann zeigt mir, was ihr habt“, willigte er schließlich ein.

Sofort fuhr Bewegung in die Äarocks. Wild sprangen sie durcheinander auf ihre Zelte zu und lachten ausgelassen. Dann verschwanden sie in einem der größeren Zelte und kehrten kurz darauf mit einigen Tabletts zurück, auf denen ihre Wahre ausgebreitet lag. Und bei dieser Wahre handelte es sich in erster Linie um Müll, wie Jazzman auf den ersten Blick erkannte.

„Und was bitte soll ich davon als Keilriemen benutzen?“ fragte er genervt.

Einer der Äarocks, der selbst kein Tablett trug trat kichernd auf ihn zu.

„Oh, das alles nützliche Sachen. Du werden finden bestimmt, was du suchen. Und vielleicht auch etwas mehr...“ Er zog Jazz näher an seine Kumpane heran.

„Ich habe euch gesagt, was ich brauche. Und das ist das Einzige, was ich euch abkaufen will!“ erklärte Jazz. „Habt ihr jetzt etwas, das ich gebrauchen kann, oder nicht?“

Wieder steckten die Äarocks ihre Köpfe zusammen und tuschelten. Schließlich richteten sie sich auf und ihr Redner nahm etwas von einem der Tabletts. Es handelte sich tatsächlich um einen schmutzigen, abgetragenen Nylonstrumpf.

„Du haben vorhin gesagt, dir so etwas reichen.“ Der Äarock ließ den Strumpf wie ein Hypnotiseur vor Jazzmans Gesicht hin und her baumeln. „Wir nur haben eine davon. Sehr gute Qualität!“

Davon bin ich überzeugt dachte Jazzman und fragte sich außerdem, wie diese Kreaturen wohl in den Besitz eines solch damenhaften Bekleidungsstückes gekommen waren.

Nachdenklich blickte er in den blau-rosa Himmel, von wo ihm die Sonne heiß entgegenstrahlte. Er wusste, dass er mit diesen Nomaden handelseinig werden musste, aber er hatte keine Lust, sich deswegen bis aufs Hemd ausnehmen zu lassen. Mürrisch zuckte er mit den Schultern. Ein Mensch hätte vielleicht zusätzlich noch trotzig in den Sand gespuckt. Jazz bedauerte, dass ihm diese Option als Androide nicht zur Verfügung stand. Allerdings hätte sich selbst ein Mensch das mit dem Spucken sicher dreimal überlegt, denn in der Wüste war jeder Tropfen Wasser kostbar. 

„Na gut, ihr Halsabschneider. Wie viel soll mich dieser Strumpf denn kosten?“

Der Nomade betrachtete den Nylonstrumpf jetzt wie ein heiliges Artefakt. „Oh, du wollen wissen Preis, ich es dir sagen. Eine gute Qualität wie das wir nehmen 150 Dollar!“

Während Jazz erschrocken zurückwich, gelang es dem Äarock tatsächlich trotz dieser ungeheuren Forderung ein unschuldiges Gesicht zu bewahren.

Jazzman war einigermaßen verzweifelt. Sein Spesenbudget war, trotz der Wichtigkeit der Mission, äußerst knapp bemessen. Bestimmt hatte er nicht vor, diesen raffgierigen Nomaden 150 Dollar in den Rachen zu werfen. Aber was gab es schon für Alternativen? Er dachte kurz an sein doppelläufiges Gewehr... verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Die Äarock Nomaden waren zu zahlreich, um sie einfach alle niederzumähen. Er würde wohl oder übel tief in die Tasche greifen müssen.

„Was denn, nur lächerliche 150 Dollar“, meldete sich plötzlich Ribotex zu Wort, der bisher ungewöhnlich still geblieben war. „Also wenn es weiter nichts ist...“ Er griff in die Taschen seines illusionären Anzuges und fischte einige Banknoten daraus hervor. Dann überreichte er das Geld grinsend dem erstaunten Nomaden. Die Äarocks wechselten misstrauische Blicke und unterzogen die Scheine einer näheren Betrachtung. Aber alles schien damit in Ordnung zu sein. Sie begannen, aufgeregt herumzuhüpfen.

Jazzman zog seinen Partner unauffällig zur Seite.

„Ribotex, ich weiß genau, welches gefährliche Spiel du hier spielst“, flüsterte er dem Telepathen ins abstehende Ohr. „Bist du sicher, dass du damit durchkommst?“

Ribotexs Mine blieb ungerührt.

„Aber natürlich komme ich damit durch“, erklärte er selbstsicher. „Ich bin schon immer damit durchgekommen. Du musst das so sehen: Mein illusionäres Geld ist fast so gut, wie echtes Geld. Es löst sich eben nur nach einiger Zeit in Luft auf. Aber bisher habe ich noch niemanden gefunden, der es nicht dankend angenommen hätte.“

Der Androide legte nachdenklich den Kopf zur Seite.

„Du weißt, was sie mit uns anstellen, wenn der Schwindel auffliegt?“ warf er bedenkend ein.

„Mach dir da nur keine Sorgen“, beschwichtigte Ribotex. „Dies ist eine sehr angenehme Methode zu bezahlen. Es spart eine Menge richtiges Geld. Nur empfiehlt es sich dabei, häufiger den Standort zu wechseln.“

„Das ist also der Grund, warum ich dich um den halben Erdball verfolgen musste...“

„Nun lass uns nicht diese alten Geschichten aufwärmen. Wir sollten uns jetzt lieber diesen `Keilriemen` schnappen und machen, dass wir hier wegkommen. Auf lange Sicht haben wir uns hier nicht unbedingt Freunde geschaffen.“

Ribotex riss den Nylonstrumpf aus der Hand des Nomaden. Doch die Äarocks wollten sich einen derart zahlungskräftigen Kunden nicht so schnell durch die Lappen gehen lassen.

„Du noch gucken auf Auslagen! Da sein noch dabei viele Kostbarkeiten!“

Sofort waren Jazz und Ribotex wieder umringt und bekamen eine Auswahl dieser `Kostbarkeiten` unter die Nase gehalten. Da gab es abgetragene Schuhe, längst aus der Mode gekommene Computerspielkonsolen und ausgetrocknete Sonnenölflaschen. Es handelte sich größtenteils um Dinge, die von Reisenden achtlos in den Wüstensand geworfen wurden. Auf einem Tablett waren klumpenartige Gebilde aufgebaut, die wohl eine Art Nahrung darstellen sollten. Eine Vielzahl von Wüstenfliegen schien gerade an diesem Tablett besonders großes Interesse zu haben.

Jazzman wollte sich schon gelangweilt abwenden, als er auf einmal etwas vertrautes erblickte. Augenblicklich zoomte er den betreffenden Gegenstand näher heran. In der Tat, er hatte sich wirklich nicht geirrt. Schnell griff er zu und nahm die kleine metallene Scheibe, die seine Aufmerksamkeit erregte, an sich.

„Oh sehr gut, du haben gefunden etwas, das du wollen vielleicht kaufen?“ Sofort hatte sich einer der Äarocks nach vorn gedrängelt. „Du haben getroffen gute Wahl. Das sein sehr gute Qualität, wie alles hier.“

Jazzman packte ihn am Kragen und zog ihn fest an sich heran. Erschrocken sprangen die anderen Äarocks zur Seite.

„Natürlich ist das gute Qualität du hässlicher Kobold“, knurrte Jazz den fassungslosen Nomaden an. „Immerhin hat es mal mir selbst gehört! Sag mir sofort, wo du es her hast!“

Jazz verstärkte den Griff noch etwas.

„Nein, das können gar nicht möglich!“ schrie der sich windende Äarock. „Du mich lassen los und ich erzählen.“

Jazz ließ ihn mit einer raschen Bewegung unsanft zu Boden fallen.

Ribotex zog den Androiden an der Schulter.

„He Partner, jetzt bist du es aber, der hier ein komisches Spiel spielt. Kannst du mir erklären, was du von dem Wurm da willst?“

„Natürlich kann ich das erklären“, behauptete Jazzman aufgebracht. „Diese Scheibe, um die es hier geht, ist nichts anderes, als mein guter alter Holoprojektor. Und ich würde gerne wissen, wie er in die schmutzigen Hände dieses Schleimbeutels geraten ist!“

Ribotex sah sich den Projektor genauer an. Dann erkannte auch er ihn wieder.

„Aber das ist doch das Ding, das du dieser Bardame als Bezahlung gegeben hast, oder etwa nicht?“

„Genau das ist er“, erwiderte Jazz knapp. Dann wandte er sich dem zitternden Nomaden zu, der inzwischen aufgestanden war. „Du wirst mir jetzt sofort erklären, wie du an dieses Gerät gekommen bist!“

Der Äarock holte tief Luft.

„Da waren eine alte Mann und eine Frau. Frau waren sehr hübsch, oh wirklich sehr hübsch. Beide sind gereist durch großes Wüste per Anhalter. Sie fragen, ob sie können reisen mit uns und ob wir haben Wasser. Ich fragen was sie denn wollen bezahlen und sie sagen, dass kein Geld dabei. Ich sagen, sie können zahlen ohne Geld, aber sie sagen nein, ich zu sehr stinken nach vergammelte Fisch. Ich sagen, ich dann nicht können mitnehmen und sie mir geben das da.“ Er zeigte auf den Projektor.

„Aber was wolltest du denn damit, wie ich sehe, sind sogar die Batterien leer.“

Der Äarock Nomade lächelte verträumt.

„Sie mir außerdem haben gegeben paar Holobild von ihr. Sie ganz ohne Kleider. Aber ich haben inzwischen getauscht mit Freund gegen Zigaretten.“

Ribotex schob sich an dem Androiden vorbei.

„Was war denn das für ein Mann, den du da eben erwähnt hast?“ fragte er.

Der Nomade überlegte kurz.

„Er sagen, er jetzt sein Agent von Dame und er mit ihr gehen in großes Stadt. Denn sie dort haben großes Zukunft und sie auch schon Vertrag in Tasche.“

„Ich glaube, ich habe jetzt genug gehört“, unterbrach Jazzman den packenden Bericht. „Wir sollten es dabei besser bewenden lassen. Hauptsache, ich habe meinen Holoprojektor endlich wieder.“ Er fing an, die Scheibe in der Tasche zu verstauen. Jazz wollte jetzt nur noch das Motorrad reparieren und so schnell wie möglich die Kurve kratzen.

„He, einen Moment. Das so nicht gehen“, protestierte der Nomade. „Du erst müssen zahlen, dann erst nehmen komische Scheibe, aus der kommen die schönen Bilder.“

Auch die anderen Äarock Nomaden machten Anstalten, ihrem Gefährten zur Hilfe zu kommen und ihn bei seinen Forderungen zu unterstützen. Ganz dicht drängten sie sich an Jazz und Ribotex heran. In ihrer großen Anzahl und mit ihren zu Allem entschlossenen, hässlichen  Gesichtern wirkten sie einigermaßen bedrohlich.

„Na gut“, lenkte Jazz gelassen ein. „Wie viel genau schulde ich dir dafür?“

Der Äarock schien angestrengt nachzurechnen.

„Das sein sehr wertvolle Gegenstand, machen wunderschöne Bilder. Ich wollen von dir haben 550 Dollar!“

Jazzman nickte gelangweilt.

„Ribotex, gib dem Mann, was er verlangt!“

 

Für eine Greifzange voll Dollar
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