3.
Inzwischen war in der Bar wieder alles beim Alten. Auf der Showbühne gab eine neue Interpretin alles, was sie hatte - Sie hatte drei Pobacken, die sie gekonnt im Takt der Musik hin und her wog und sogar von den Bauernjungen in der ersten Reihe tätscheln ließ. Auch die Bardamen waren wieder redlich bemüht, den Gästen professionell einzuheizen. Einige von ihnen tanzten bereits auf den Tischen Striptease oder verschwanden mit einem oder mehreren Freiern in den separaten Entspannungsräumen.
Grazilla hatte ebenfalls ein neues Opfer gefunden, obwohl sie es noch bedauerte, dass der attraktive Fremde `nicht echt` gewesen war. Er hätte sicherlich ganz ihrem Geschmack entsprochen. Aber ein Roboter...Pfui Teufel! Momentan war sie redlich bemüht, einen fetten Glatzkopf, mit Taschen voller Dollars, von sich zu überzeugen.
Der Barkeeper hatte alle Hände voll zu tun, dem unerschöpflichen Durst der Sandrocker und der anderen Gäste nachzukommen.
Funkkontakt zur unteren Einheit herstellen!...... Hergestellt!
Der achtlos in die Ecke gekehrte Androidenkörper zuckte ebenso unvermittelt wie auch unbemerkt zusammen. Dann entspannte er sich wieder. Er blieb - von außen betrachtet - leblos liegen, während in den inneren Leitungen die Elektroden anfingen, wild zu rotieren.
Reaktiviere visuelles Sensorensystem.......aktiviert!
Zuerst sah der Androide nur schwarz. Dann schob sich der Daumen des Rockerbosses endlich von den Sichtsensoren und ein schrecklich wulstiger Mund wurde sichtbar, der sich gierig dem oberen Kopfrand näherte. Gleichzeitig wurde der Kopf in die Wagerechte abgeneigt und Farnisto begann zu trinken. `Saufen` wäre hier vielleicht der passendere Ausdruck. Aus seiner Position konnte der Roboter nur erkennen, wie sich der perspektivisch vergrößerte Kehlkopf fast unaufhörlich hob und senkte.
Kognitive Denkprozesse wieder herstellen!.......... Lade Programm hoch.....................Vorgang abgeschlossen. Alle Kapazitäten der künstlichen Intelligenz in wenigen Momenten wieder frei verfügbar....Zzzztt.... Mann hab ich Kopfschmerzen. Oh Mist, was ist denn hier los?
Innerhalb weniger Augenblicke wurde dem Androiden die missliche Lage, in der er sich befand, klar. Sein Kopf war ab, und dieser verwünschte Sandrocker missbrauchte ihn als Bierkrug. Leider hatte der Androide eine ziemlich schlechte Sicht und wurde zudem noch ständig herumgeschwenkt, so dass er den verloren gegangenen Körper nirgends entdecken konnte.
Aber er konnte ihn spüren und wusste, dass mit ihm bis auf ein paar Dellen eigentlich alles in Ordnung war. Probeweise bewegte er vorsichtig die Greifzange, die er anstelle einer linken Hand besaß, auf und zu. Es funktionierte noch ganz ausgezeichnet. Aber wie sollte er hier wieder rauskommen, oder den Auftrag zu Ende führen? Er erinnerte sich, seine Waffe am Eingang abgegeben zu haben. Verdammtes Pech! Außerdem lag das Hauptproblem immer noch in den langsam zu Ende gehenden Energiereserven. Die Chancen, diesen Alptraum heil zu überstehen, lagen also ungefähr bei null. Eine Welle grenzenlosen Selbstmitleids überkam den enthaupteten Androiden, die buchstäblich in Alkohol ertränkt wurde, als der Wirt wieder großzügig Weizenbier nachschenkte. Er war bereit, alle Hoffnung fahren zu lassen. Da sah er plötzlich aus den Augenwinkeln (gemeint ist natürlich nur die Analogie zum menschlichen Auge) in einer Ecke des Raumes etwas matt aufblitzen. Sofort setzte er alles daran, sein Sichtfeld in diese Richtung auszudehnen und zoomte, so nah er nur konnte. Und tatsächlich. Dort lag sein Körper zusammengesackt, scheinbar wie Abfall einfach achtlos weggeworfen, und niemand schenkte ihm mehr Beachtung. Doch das konnte sich definitiv als Vorteil herausstellen. Farnisto wandte sich etwas von der Theke ab, um einem seiner Kumpel etwas zuzubrüllen, wodurch er unbeabsichtigter Weise den Blickwinkel des Roboterauges für einige Augenblicke sehr verbesserte. Nun konnte der Androide durch einen immer dichter werdenden Bierschleier hindurch erkennen, dass sein Körper nur wenige Meter von der altertümlichen Musikbox entfernt lag. Das brachte ihn sofort auf eine ausgezeichnete Idee. Er sammelte sich.
„Wir haben im Moment einen richtig guten Lauf“, raunte Farnisto seinen Männern zu. „Gestern das Wüstenrennen gegen die Jungs aus dem Südsektor gewonnen und heute einen dieser elenden Roboter aus dem Verkehr gezogen. Das lässt sich sehen.“ Wie um seine Worte zu untermauern, nahm er einen kräftigen Schluck aus dem Androidenkopf.
Die Rocker sahen ihren Boss erstaunt an. Sie kannten die Launen ihres Anführers und wussten, welche Rolle ausgiebiger Biergenuss dabei gewöhnlich spielte. Je mehr volle Gläser man ihm gab, desto eher neigte er dazu, diese als halbleer zu betrachten. Oft steigerte er sich in eine regelrechte Weltuntergangsstimmung hinein. Sie hatten das beinahe allabendlich erlebt. Doch heute überraschte er sie mit guter Laune. Seinen Männern war sehr daran gelegen, diese Stimmung nach Kräften zu fördern.
„So ist es“, pflichtete ihm ein Rocker mit durchstochenen Nasenflügeln und Irokesenschnitt bei. „Wir sind die größten!“
Alle anderen brummten zustimmend und hoben die Gläser. Einer füllte eilig Bier nach.
„Einen dieser Maschinenkerle aus dem Verkehr zu ziehen, ist ein Dienst an der Menschheit“, sinnierte Farnisto. „Eine gute Tat. Ich fühle mich wie ein Pfadfinder.“ Um sich gerade zu halten, musste er sich an der Theke abstützen.
„Dem haben wir es vielleicht gegeben“, kommentierte Rottler, der in der Bandenhierarchie direkt unter Farnisto stand. „Es werden zwar immer weniger, aber es sind trotzdem noch zu viele von diesen Dingern unterwegs.“
„Eine Schande“, murmelten die anderen in ihre Gläser.
„Jetzt ist es wieder einer weniger.“ Farnisto hob den Kopf in die Höhe. „Darauf sollten wir anstoßen!“
Oh nein, dachte der Androide. Nicht das!
Er hatte die andächtige Phase der Rocker dazu genutzt, seinen Plan zu verwirklichen. Er wusste, wo sich der Körper befand und bewegte ihn vorsichtig an der Wand entlang. Das hieß, er kroch in absolutem Schneckentempo, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ziel war die Jukebox, die jetzt nur noch einen halben Meter entfernt war. Stück für Stück schob sich der Körper über den glitschigen Boden auf sie zu, wobei der Kopf ab und zu Sichtkontakt herstellen konnte, wenn er gerade mal günstig gehalten wurde.
„Prost Männer!“ Vier Bierkrüge stießen mit voller Wucht gegen den becherförmigen Metallkopf. Die Erschütterung war wirklich enorm. Ein paar Sekunden sah der Androide nur noch helle Lichtblitze vor den Diodenaugen aufleuchten. Kurz darauf konnte er gar nichts mehr erkennen, als ihm das überschwappende Bier über die Sensoren lief. Der vorwärts kriechende Körper sackte wieder zusammen und begann, wie im Schüttelfrost zu zittern.
Das war’s dann wohl, dachte der geschundene Roboter resigniert.
Doch dann war der Kontakt zur unteren Sektion plötzlich wieder hergestellt, und der Androide atmete innerlich auf. Offenbar war dieser kleine Zwischenfall ohne Folgen geblieben. Mit im wahrsten Sinne des Wortes eisernem Willen kroch er weiter. Dann ertasteten die Sensoren endlich die durch die Bässe vibrierende Jukebox. Jetzt kam der wirklich schwierige Teil: Irgendwie musste er hinter die Box gelangen und der alte Kasten wog einiges. Der Androide begann zu schieben.
„Achtung Männer, wir machen uns aus dem Staub!“ kündigte der schwankende Farnisto aus heiterem Himmel an. „Aber vorher wird noch anständig ausgetrunken!“ Er prostete einem der Männer zu. „Na los Rottler, du zuerst!“
Rottler, der zahnlose und dennoch rattengesichtige Sandrocker, setzte den gefüllten Bierkrug an und trank den Liter glucksend in einem Zug leer. Dann brüllte er triumphierend und schmetterte den leeren Krug mit aller Kraft zu Boden, wo er in tausend Scherben zersplitterte. Die anderen Rocker johlten anerkennend.
„Bravo! Vangol, jetzt bist du an der Reihe!“
Bitte nicht! Was ist denn das für ein hirnverbranntes Trinkritual?, dachte der Androide entsetzt. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, was passieren würde, wenn Farnisto an die Reihe käme. Das würde sein ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogener Kopf mit Sicherheit nicht überstehen. Die Panik verlieh dem müden Körper neue Kraftreserven. Er schaffte es, die Musikbox langsam zu verschieben. Hektisch tastete er nach dem Kabel, fand es aber nicht direkt.
Ein paar Meter weiter musste sein Kopf gerade mit ansehen, wie der Rocker mit dem wüsten Irokesenschnitt den zweiten Bierkrug schwungvoll zu Bruch gehen ließ. Das Krachen hallte unheilvoll in den künstlichen Nervensystemen wieder.
Endlich ertastete die Greifzange des Androiden das Stromkabel. Er zögerte. Wusste er wirklich, was er da tat?
„SKULL!“ rief der dritte, rothaarige Sandrocker aus voller Kehle und schon krachte auch sein Krug zu Boden.
Der Androide zog. Gerade eben noch hatte in der Bar die raue Stimme eines längst vergessenen Sängers höchst melodiös von einer schmutzigen alten Stadt gesungen, und auf einen Schlag waren plötzlich nur noch die unangenehm ungedämpften Körpergeräusche einzelner Gäste zu hören. Allgemeine Verwunderung machte sich breit. Alle blickten rüber zu der ausgefallenen Jukebox.
Der Roboter handelte gedankenschnell. Links oberhalb von der Körpermitte aus, wo sich bei einem Menschen vielleicht das Herz befunden hätte, schoss ein Kabel hervor, an dessen Ende ein flexibler Stecker angebracht war. Dieser zielte genau auf die Steckdose hinter der Box und passte sich nach dem Auftreffen unmittelbar an. Sofort begann neuer Strom in die ausgezehrten Akkus des Androiden zu fließen.
Farnisto, der schon zu betrunken war, um seiner Umgebung noch die volle Aufmerksamkeit zu schenken, setzte indes unbeirrt zum Trinken an.
„Hör sofort auf damit, Schwabbelbauch!“ raunte ihn der Kopf in seiner Hand an.
Erschrocken ließ Farnisto den improvisierten Bierkrug zu Boden fallen. Der Kopf rollte gegen die Theke und blieb mit dem Gesicht (besser gesagt, mit dem, was man am ehesten als Gesicht bezeichnen würde) nach vorn liegen.
„Was zur Hölle...?“ keuchte der Rockerboss erzürnt.
„Du versoffener Trottel wirst jetzt genau tun, was ich dir sage!“ befahl ihm der zornig blinkende Kopf. „Schau mal nach rechts!“
Verwirrt blickte Farnisto zu der ausgefallenen Musikbox. Dort stand der kopflose Roboter und zielte mit dem linken Arm, der wie ein dünnes Rohr auslief, genau in seine Richtung. Aber der Anführer der Sandrocker ließ sich nicht so leicht einschüchtern.
„Vangol, Mac Moulie, los auf ihn! Schnappt ihn euch!“ Er ließ zwei der Männer zum Angriff übergehen. „Macht schon, ihr anderen auch!“
Brüllend stürmten die Rocker auf den Androiden zu. Doch dieser blieb reglos stehen, bis die ersten beiden ungefähr bis auf zwei Meter an ihn heran waren. Dann schoss er aus dem linken rohrartigen Arm einen sich trichterförmig ausbreitenden Vernichtungsstrahl. Für einen kurzen Augenblick fiel die Beleuchtung der Bar aus. Der Strahl löste die beiden Rocker auf und hinterließ von ihnen nur zwei kleine Aschehäufchen, die aber wegen des enorm schmutzigen Bodens von niemandem registriert wurden. Ein einziges entsetztes Raunen machte sich in der Bar breit. Die restlichen angreifenden Rocker bremsten ihren Ansturm abrupt ab, wobei sie unkontrolliert gegeneinander prallten.
„Einen Schritt weiter und ihr werdet geröstet!“ drohte der Roboterkopf von der Theke her. Um die Drohung zu untermauern, schickte der Androide noch einen kurzen Demonstrationsstrahl los, der sich nur wenige Zentimeter vor den erschrockenen Rockern verlor. Diese wichen sofort zurück und setzten zur Flucht an. Sich gegenseitig behindernd stürmten sie auf den Ausgang zu. Auch Farnisto hatte es auf einmal eilig, die Bar zu verlassen. Auf den Spuren seiner Männer flüchtete er hinaus, wobei er einige Tische und Stühle umstieß. Draußen verklangen ihre Rufe allmählich in den Weiten der Wüste.
Einige der Gäste folgten ihnen ebenfalls flüchtend, während andere vor Schreck wie gelähmt waren.
„Du da, wir beide kennen uns doch!“ sprach der Kopf, wobei die Greifzange am Ende des rechten Armes bestimmend auf Grazilla zeigte. „Komm mal rüber zu mir!“
Grazilla war gerade noch damit beschäftigt gewesen, ihren fetten Gast zu verführen. Sie zögerte. Oh, wie gerne wäre sie jetzt in den feisten, fleischigen Armen dieses Kunden geblieben.
„Äh, wo genau soll ich hinkommen?“ fragte sie und blickte unsicher zwischen Kopf und Körper hin und her.
„Du wirst jetzt zur Theke rüber gehen, den Kopf aufheben und ihn dann ganz vorsichtig zu meinem Körper bringen!“ wies sie der schussbereite Androide mit einem drohenden Unterton an. „Na, mach schon!“
Blitzschnell entschloss sich Grazilla zur Kooperation. Als sie den nach unten hin leicht spitz zulaufenden Roboterkopf anhob, war sie zunächst über dessen Gewicht überrascht, das deutlich größer war, als sie es sich vorgestellt hätte. Denn das Ding war ja immerhin hohl! Doch dafür bestand es offenbar zum Großteil aus massivem Metall.
„Uff“, stöhnte sie, als sie ihn dem Androiden überreichen wollte.
„So einfach wird es nicht sein. Du musst ihn mir auf dem Hals festmontieren“, erklärte der Androide und ging in die Hocke. Mit dem rechten Arm hielt er noch immer die reglosen Gäste in Schach. Unsicher blickte ihn Grazilla an.
„Also, ich weiß nicht, ob ich das kann...“ Ihre Hände begannen zu zittern.
„Keine Sorge. Es ist ganz einfach. Die Sicherungsverankerung an meinem Hals hat eine automatische Einrastmechanik. Du brauchst nur leicht zu drücken.“
Tatsächlich funktionierte es viel einfacher, als sie gedacht hatte. Sie brachte den Kopf einfach in die richtige Position und presste ihn dann fest nach unten in das eiserne Gewinde. Schon ertönte ein `Klack`, und der Metallkopf befand sich wieder sicher an seinem Platz.
„Sehr gut“, kommentierte der Androide und ließ den Kopf probeweise in sämtliche Richtungen schwenken. Was für ein herrliches Gefühl. Ein leises Tüten aus der Brust zeigte ihm an, dass zumindest einer der Akkus wieder aufgeladen war. Na gut, das muss fürs Erste reichen, dachte er und stöpselte sich mit einem Ruck aus der Steckdose aus. Dann packte er Grazilla und zog sie hinter sich her.
„Ihhhh! Wo bringst du mich hin? Was hast du mit mir vor? Oh, bitte lass mich doch gehen!“ flehte Grazilla jämmerlich.
„Geht jetzt nicht! Im Moment brauche ich eine Geisel, bis ich mich wieder sicher genug fühle.“
Er verließ die Bar durch den Ausgang, kam aber kurz darauf zurück. Auf das Rohr am rechten Arm hatte er jetzt eine künstliche, metallene Hand montiert. In dieser hielt er das doppelläufige Gewehr, das er sich aus der Ablagetruhe am Eingang wiedergeholt hatte. Mit der Greifzange zerrte er noch immer Grazilla hinter sich her, ohne im Geringsten auf sie zu achten. Entschlossen schritt er auf den Barkeeper zu. Dieser hob beschwichtigend die Hände.
„Hey, Mister ...äh… tut mir leid, aber hier drin sind keine Schusswaffen erlaubt. Die Hausordnung...“
Der Androide feuerte eine Salve direkt in die Flaschen, die über dem Barkeeper im Regal standen. Scherben flogen durch die Luft, und auf den erschrockenen Wirt regnete ein Sturzbach verschiedener Spirituosen herab.
„Ich pfeif auf die Hausordnung!“ rief der Androide so, dass jeder ihn hören konnte.
Nebenbei bemerkte der er, dass die verängstigten Barbesucher noch immer reglos dastanden und ihn erwartungsvoll anstarrten.
„In Ordnung Leute, die Show ist vorbei. Eure Party kann weitergehen. Na, was ist? Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten!“
Irgendwer schloss eilig die Jukebox an, und die Musik setzte dort ein, wo sie zuvor unterbrochen worden war. Allmählich taten es ihr die Barbesucher gleich, indem sie zögernd ihren vorherigen Beschäftigungen nachgingen. Die angespannte Atmosphäre blieb jedoch bestehen.
Der Androide ging weiter auf den triefendnassen Barkeeper zu. Einmal mehr verengten sich seine Sichtsensoren zu Schlitzen.
„Also gut!“ knurrte er. „Ich glaube, wir beide sollten uns jetzt noch mal etwas gründlicher unterhalten.“
„Ich bitte Sie Mister ...äh... Roboter, ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich den Kerl, nach dem Sie suchen, noch nie gesehen habe“, beteuerte der Barkeeper flehend.
Der Androide ließ die Greifzangenhand pfeilschnell über die Theke hinweg zugreifen. Er packte den Wirt am linken Handgelenk und zog ihn unsanft näher zu sich heran. Dann schulterte er das Gewehr, um mit der linken Hand den Holoprojektor vom Boden aufzuheben. Er legte ihn vor sich auf die Bar und betätigte den Regler. Kurz darauf war das undeutliche Gesicht wieder zu sehen.
„Kennen Sie den Typen?“
„Aber ich sagte Ihnen doch schon...Ahhrgg!!“
Der Androide hatte die Greifzange ein wenig fester zudrücken lassen. Nicht viel. Nur gerade genug, um den unglückseligen Barkeeper augenblicklich rot anlaufen zu lassen.
„Ich glaube, Sie haben sich das Bild noch nicht gründlich genug angesehen. Schauen Sie lieber noch mal ganz genau hin! Der Bursche ist doch sicher hier abgestiegen. Wo sollte man in dieser Gegend sonst hingehen, wenn man keinen fahrbaren Untersatz hat? Das nächste Gebäude liegt ungefähr 15 Meilen von hier entfernt, und seine Wasserreserven müssten so ziemlich am Ende sein. Also...“
„Oh...Ohh …Ja...Alles, was Sie wollen, aber lassen Sie mich nur los“, bettelte der Wirt.
Der Androide ließ mit dem Druck etwas nach. Der Barkeeper seufzte dankbar.
„O.K., alles klar. Lassen Sie noch mal sehen. Ah, jetzt ja, plötzlich erkenne ich ihn. Kam vor ein paar Stunden hier rein... Sah sehr erschöpft aus... Ich habe ihm einen richtigen Drink geben wollen, aber er hat ausdrücklich nur warme Milch verlangt. Als ob es hier noch nicht warm genug wäre. Dann hat er sich oben für die Nacht ein Zimmer genommen. Ich nehme an, er war sehr müde.“
„Und er ist jetzt immer noch da oben?“ fragte der Androide in merklicher Erregung. Sein Ziel schien in greifbare Nähe zu rücken.
„Soviel ich weiß ja.“
„Na, das ist ja bestens! Warum nicht gleich so? Ach ja, lassen Sie mich raten: Er hat Sie bestochen, was?“
„Nein, Mister! Ich versichere Ihnen, ich habe ihn nur zuerst nicht erkannt...“ Der Barkeeper besaß die Fähigkeit zu lügen, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Dies brachte der Beruf mit sich.
„Sie verstehen mich falsch“, versicherte der Androide. „Ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Ich frage nur aus reiner Neugierde, und sie haben von mir nichts zu befürchten. Aber es könnte für mich eventuell von Bedeutung sein. Hat er Sie bestochen?“
Misstrauisch zog der Wirt die kahle Stirn in Falten.
„Na ja. Und Sie würden mich wirklich nicht abknallen, wenn es so gewesen wäre?“
„Aber nicht doch!“ beteuerte der Androide. „Rachsucht liegt gar nicht in meiner Natur. Ich würde es nur gerne aus einem bestimmten Grund wissen, der mit Ihnen nichts zu tun hat.“ Beiläufig ließ er weitere dreißig Dollar über die Theke gleiten.
„Also gut. Der Kerl erklärte mir, es sei möglich, dass sich in der nächsten Zeit jemand nach ihm erkundigt. Er fragte mich, wie viel ich dafür verlangen würde, ihn zu verleugnen. Ich fragte ihn, wie viel er denn bereit wäre, dafür hinzulegen und er gab mir tatsächlich einen ganzen Sack voller Goldstücke und meinte dann noch: `Das dürfte wohl reichen, oder?´ Also, ich dachte, das wäre das Geschäft meines Lebens.“
„Vielleicht etwas zu gut, dieses Geschäft...“ bemerkte der unförmige Androide nachdenklich. „Wissen Sie noch, was Sie mit dem Goldsack gemacht haben?“
„Na klar, ich habe ihn sofort sicher in meinem Safe eingeschlossen. Warum fragen Sie?“
„Schauen Sie lieber nach, ob das Gold noch da ist!“
„Wie bitte, ich verstehe nicht ganz. Der Safe ist sicher. An den Sack kommt niemand außer mir rann.“
„Und ich sage Ihnen: Schauen Sie lieber nach, ob das Gold noch da ist“, empfahl der Androide.
Etwas verwundert aber auch misstrauisch wandte sich der Barkeeper um und ging schnellen Schrittes in einen Nebenraum zum Safe.
Grazilla blickte den Roboter mit großen Augen an.
„Wie kommst du darauf, dass das Gold nicht mehr da ist?“ fragte sie zweifelnd. Hatte die raue Behandlung von vorhin etwa einige Verbindungschips in seinem Hirn gelockert?
„Nur so eine Ahnung. Warte mal ab!“
Der Wirt kam zurück. Schweiß glänzte wie flüssiges Wachs auf seiner Stirn. Die Augenbrauen waren vor Wut zusammengekniffen.
„Das... Das kann doch nicht sein!“ rief er verstört. „Der Sack ist weg. Aber das ist einfach unmöglich! Wie konnte das nur passieren?“
„Ha! Ich habe es gewusst!“ triumphierte der Androide. Seine Laune hellte sich weiter auf.
„Erklären Sie es mir bitte!“ drängte der Barkeeper. „Wo ist mein Gold hingekommen? Hat dieser Kerl es sich einfach wiedergeholt? Und woher wussten Sie davon?“
„Keine Zeit für lange Erklärungen“, erwiderte der Androide nur. Er nahm die Aktentasche und verstaute den Holoprojektor darin. Dann blickte er zur Treppe hinüber, die zu den Gästezimmern führte.
„Welche Zimmernummer?“ wollte er wissen.
„Zimmer Nummer vier, die Königssuite! Ich dachte, er hätte gut genug dafür bezahlt. Es heißt auch eigentlich nur `Königssuite´, weil es das einzige Zimmer ohne verstopftes Klo ist.“
„Alles klar, jetzt entkommt er mir nicht mehr“, prophezeite der Androide. Er musterte Grazilla, die gerade vergeblich bemüht war, ihre skurrile Haarfrisur wieder in Ordnung zu bringen. Unsanft ergriff er ihren Arm.
„Komm mit mir nach oben!“
„Hey, ungehobelter Kerl! Wir haben noch gar keinen Preis ausgehandelt“, zeterte sie wütend. „Außerdem haben wandelnde Konservendosen wie du bei mir ohnehin keine Chance!“
Der Androide dachte kurz nach und suchte in seinem Erinnerungsspeicher die Datei über Galanterie.
„Hör mal zu: Alles, was ich brauche, ist jemand, der mir in dieser Angelegenheit einmal kurz zur Hand geht. Es ist rein beruflich. Das heißt nicht, dass ich bei einer passenderen Gelegenheit nicht auch gerne auf deine anderen Dienste zurückgreifen würde...“
„Das kannst du dir abschminken! Und überhaupt: Ich will nicht mit zu diesem Kerl! Ich weiß ja nicht, was ihr da drin vorhabt, aber ich werde dir dabei bestimmt nicht Händchen halten. Viel zu gefährlich.“
„Ich garantiere, dass es für dich mit keiner Gefahr verbunden sein wird... Und ich könnte dich sogar angemessen bezahlen. Was verdienst du sonst so in einer halben Stunde?“ fragte der Androide jetzt in einem charmanteren, höflicheren Tonfall.
„Kommt ganz darauf an... So zwischen 50 und 100 Dollar.“
„Ich gebe dir 100.“
„110!“
„Abgemacht! Aber erst hinterher.“
„Das ist gegen meine Prinzipien! Und außerdem: Vielleicht überlebe ich die Aktion ja gar nicht.“
Der Androide musste, im übertragenen Sinne zähneknirschend, einsehen, dass er es mit einer abgebrühten Geschäftemacherin zu tun hatte. Einen Seufzer ausstoßend, öffnete er die Aktentasche und kramte einige Scheine daraus hervor.
„50 jetzt und 60, wenn wir hiermit fertig sind“, erklärte er, während das Geld blitzschnell in Grazillas üppigem Dekolleté verschwand.
„Na schön. Was soll ich tun, Süßer?“
„Abwarten, was passiert, wenn ich die Tür öffne! Und jetzt komm endlich, ich habe vor Newboltday noch was vor.“
Das ungleiche Paar stieg, von vielen bösen Blicken gefolgt, die knarrende, antik anmutende Wendeltreppe hinauf ins obere Stockwerk. Erst als der seltsame Androide nicht mehr zu sehen war, lockerte sich die Stimmung in der Bar richtig auf. Mit neuem Enthusiasmus begannen die Gäste, sich dem Delirium entgegen zu trinken. Selbst der Barkeeper genehmigte sich zur Entspannung einen doppelten Whiskey.