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Natürlich gab es einen mächtigen Konzern. Den gibt es schließlich immer. Und natürlich war der Inhaber dieses Konzerns eine Person, die man nicht gerade als `Menschenfreund` bezeichnen konnte. Was auch einleuchtet: In hohen Chefetagen findet man allgemein nur wenige freundliche Personen, denn auf dem Weg nach oben sind Dinge wie `Mitgefühl` oder `Skrupel` nicht unbedingt förderlich. Werte wie `Durchsetzungsvermögen` und `Abgebrühtheit` können einem da schon eher weiter helfen. Nun, diese Überlegung gibt einigen Aufschluss über den Charakter einer Person, die es geschafft hat, der einzige Inhaber des einzigen noch existierenden Konzerns weltweit zu werden. Chef eines Fabrikkomplexes, der allein den Untergang der gesamten Zivilisation heil überstanden hatte. Wie war es dazu gekommen?
Es geschah um die Jahrtausendwende und hatte mit einem Kredit begonnen, den ein junger Labortechniker aufnahm, um sich den Traum eines eigenen Geschäftes zu erfüllen. Tatsächlich hatte es sich zunächst nur um einen kleinen Laden gehandelt. Der junge Labortechniker, sein Name war Arthur Longue, verkaufte darin selbstentwickelte Toaster. Was diese Toaster zum absoluten Verkaufsschlager machte, war ihre Fähigkeit, die fertig gerösteten Toaste über unsichtbare Kraftfelder direkt auf den Teller schweben zu lassen. Auch die Entfernung des Tellers spielte dabei keine Rolle (außer, dass bei einer zu großen Entfernung das Toast schon wieder kalt war, bevor es den Zielort erreichen konnte!). Der Trick dabei beruhte auf Sendern, die unter den Tellern angebracht wurden und so dem Toast den Weg wiesen. Was allerdings die Kraftfelder anging, so handelte es sich um eine revolutionäre Neuentwicklung. Natürlich war jeder darauf aus, sich diese neue Technologie unter den Nagel zu reißen. Nicht zuletzt das Militär. Und das hatte bereits Ideen, wie man die Kraftfelder wesentlich effektiver einsetzen könnte, als zur Toastbeförderung. Doch Arthur Longue hatte bereits Patent angemeldet und zeigte sich nicht bereit, seine Technik mit irgendwem zu teilen. Egal wie viel Geld man ihm auch bot, er blieb eisern und erklärte, er wolle für die Vermarktung seiner Erfindung lieber selbst die Verantwortung übernehmen. Er plane bereits den Ausbau seines kleinen Ladens...
Selbstverständlich war es für jeden Interessenten ein leichtes, sich einen dieser Toaster zuzulegen und ihn einfach mal aufzuschrauben... Die fortschrittlichsten Labors der Welt machten sich also über die kleinen Apparate her, um hinter ihr Geheimnis zu kommen. Es wurde viel Geld in die Erforschung der so genannten Grav-Felder gesteckt. Doch alle Bemühungen blieben ergebnislos. Auch nach äußerst umfangreichen Tests konnte man nichts über die genaue Funktionsweise dieser neuartigen Technologie herausfinden. Und so zogen viele Jahre ins Land, wobei aus dem kleinen Laden von Arthur Longue langsam aber sicher eines der größten Unternehmen der Welt wurde. Denn auch Arthur beschränkte sich schon längst nicht mehr nur auf die Herstellung von Toastern. Zu Beginn der 50er Jahre des 21. Jahrhunderts prägten bereits fliegende Automobile und sogar fliegende Städte das Bild der Alltagswelt. Arthurs Technik machte es möglich. Banken legten sich Sicherheitskraftfelder zu, die tatsächlich beinahe undurchdringlich waren und auch Flugzeuge flogen nicht mehr mit ihren Rohstoff- verschwendenden Antrieben, sondern schwebten umweltverträglich auf sicheren Grav-Feldern daher. Zu dieser Zeit wurde Arthur Longue längst als reichster Mann der Welt betrachtet. Gleichzeitig zog er sich aber auch immer mehr von der Öffentlichkeit zurück, was schnell eine Art Mythos um ihn herum schuf. Er verhandelte nur noch durch Mittelsmänner und blieb auch seinem Grundsatz der völligen Unabhängigkeit treu.
Weitere Jahre später spitzte sich die Lage der Welt zu. Sehr schnell kam es zu dem, was der interessierte Leser auch heute noch in allen digitalen Geschichtsaufzeichnungen nachschlagen kann: Der Untergang der gesamten menschlichen Kultur. Nord- und Südpol, wo sich inzwischen die größten Machtzentren befanden, ließen die Raketen krachen. Ein großer Prozentsatz der Erde bestand plötzlich nur noch aus Wüste. Und der Sand, der diese Wüsten bedeckte, war auf weite Strecken auch noch radioaktiv verseucht. Aber getreu dem Motto `Unkraut vergeht nicht` überlebten noch einige hunderttausend Menschen, oder das, wozu sie durch Genmutationen teilweise geworden waren. Sie gründeten neue Städte, in denen sie noch einmal bei Null anfangen wollten. Doch einige mussten dies gar nicht: Dem Militär war es zum Beispiel gelungen, unterirdisch einiges von seinen Gerätschaften in Sicherheit zu bringen. Doch das meiste von dem, was sich an der Oberfläche aufgehalten hatte, war jetzt nur noch Schrott. Außer dem Firmenkomplex von New Age Incorporated, wie sich Arthur Longues Unternehmen inzwischen zynisch nannte. Arthurs gesamter Konzern war nämlich, als die Bomben flogen, von einem gewaltigen, undurchdringlichen Kraftfeld umgeben. Viele Jahre blieb Arthur im Verborgenen, während sich die stark dezimierte Menschheit langsam neu organisierte. Erst dann beschloss er, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, wobei er natürlich in der Lage war, sämtliche Bedingungen zu bestimmen. Auf diese Art und Weise gelang es ihm, zu so etwas wie einem inoffiziellen Führer des Militärs zu werden.
Schon nach kurzer Zeit entdeckte man, dass die Gene einiger Menschen mutiert waren, so dass diese nun über Psi-Fähigkeiten verfügten. Und eine der ersten Forderungen, die Arthur an die neuen Verhandlungspartner stellte, war Jagd auf diese so genannten Telepathen zu machen. Besondere Gründe führte er dazu nicht an, außer dem Hinweis, dass diese Psi-Meister eine außerordentliche Bedrohung darstellten. Durch geschickte Propaganda war dies auch bald die Meinung der meisten anderen Menschen. Und so wurden die Telepathen gejagt, eingefangen und eingesperrt. Außerdem mussten sie sich Untersuchungen zur Verfügung stellen, durch die man Einsicht in die Beschaffenheit ihrer Kräfte zu erlangen hoffte.
Arthur, der inzwischen unglaublich alt sein musste, half dafür etwas (aber nie zu viel) am Wiederaufbau mit, blieb dabei jedoch stets im Verborgenen. Subunternehmen wie Transistor-Telivized oder Cyberleg & Co wurden von ihm gegründet und angeblich von seinen nahen Verwandten, die er bisher unter Verschluss gehalten hatte, überwacht.
Arthur Longue hatte allen Grund, sich selbst lobend auf die Schulter zu klopfen. Nur leider besaß er schon gar keine Schultern mehr...