1.
Metallisch schallte die Stimme von Mrs. Cablewash durch die Gegensprechanlage.
„General Orge, hier ist jemand, der Sie gerne sprechen würde.“ Nach einer kurzen Pause fügte die androide Sekretärin hinzu: „Es handelt sich um Offizier Franklin Malmann.“
Der General schlug mit der bionischen Faust auf den schwarzen Knopf auf seinem Schreibtisch. Die Türe des Büros entriegelte sich.
„Schicken Sie ihn bitte unverzüglich zu mir herein“, blaffte er in das kleine Mikrofon. General Orge war auf der Eisberg Station berüchtigt für seine Ungeduld, die oftmals in Raserei gipfelte.
Unsicher trat der junge Offizier ein. Das heißt, er rollte herein, denn er saß in einem elektrischen Rollstuhl. Seine Beine befanden sich in Gips.
„Wo haben Sie denn so lange gesteckt, Malmann“, erkundigte sich der General gereizt. Seine Augenbraue verlief in einer mehrfach gebrochenen Zickzacklinie. „Ich habe schon vor 20 Minuten nach Ihnen rufen lassen.“
Franklin Malmann räusperte sich. Aus dem Räuspern wurde ein kränkliches Husten.
„Sir, krrch, es tut mir leid, Sir“, entschuldigte er sich. „In meinem momentanen Zustand komme ich, krrrch, nicht besonders schnell voran. Die Eisberg Station ist nicht gerade behindertengerecht konstruiert, Sir.“
„Haben Sie Mister Longue Meldung gemacht, wie er es von Ihnen verlangt hat?“ fragte General Orge streng.
„Sir, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber kann man das nicht sehen, Sir?“ Erneut wurde der junge Offizier von einem Hustenanfall geschüttelt.
General Orges Ungeduld ließ kein Bedauern zu.
„Erzählen Sie mir davon, wie war Ihr letzter Besuch bei Mister Longue?“
„Oh Sir, eigentlich war es wie die Male davor“, erstattete Franklin Bericht. „Nur, dass er sich jetzt eine Katze angeschafft hat. Anfangs hat er einfach nur dagesessen mit diesem Vieh auf dem Schoß. Und er hat sie ständig gestreichelt. Ganz sanft. Das, krch, das hat mich fast um den Verstand gebracht...“
Der General trommelte mit den Stahlfingern nervös auf dem Tisch herum.
„Das kenne ich, ein alter Hut. Sie hätten sich davon nicht aus der Fassung bringen lassen sollen!“
„Meine Fassung habe ich erst etwas später verloren, Sir. Es war, als Mister Longue ebenfalls die Fassung verlor. Man kann sagen, dass er über meine Meldung nicht besonders erbaut war, Sir.“
Unvermittelt ließ General Orge das Lächeln erstrahlen, für das er auf der Station ebenfalls berüchtigt war.
„Natürlich“, sagte er. „Es waren ja auch keine Erfreulichen Mitteilungen, die Sie zu überbringen hatten. Zwölf Agententeams in nur wenigen Tagen ausgelöscht. Und ein Team spurlos verschwunden. Diese Jungs von Result haben da wirklich ganze Arbeit geleistet.“
„Ja, Sir“, bestätigte Franklin. „Sie scheinen uns immer einige Schritte voraus zu sein. Und wir kennen noch immer nicht ihren Schlupfwinkel, Sir.“
Für einige Augenblicke folgte ein betretenes Schweigen. Der General schien sich auf einmal sehr für einige seiner Akten zu interessieren.
„Sie wissen doch, dass Sie in fünf Tagen wieder bei Mister Longue vorsprechen müssen?“ fragte er wie beiläufig. „Er erwartet dann einen neuen Bericht von Ihnen.“
Ruckartig krampfte sich der Magen des jungen Offiziers zusammen.
„Können wir ihm denn keine E-Mail oder so schicken?“ entfuhr es ihm entsetzt. Dann fasste er sich wieder. „Äh... Sir“, fügte er schnell hinzu.
Noch immer sah General Orge nicht von seinen Akten auf.
„Sie wissen doch, wie altmodisch Mister Longue in solchen Dingen ist. Er besteht auf persönlichen Kontakt.“
„Mir ist dieser Kontakt auf die Dauer etwas zu persönlich, Sir“, bemerkte Franklin und ließ sich niedergeschlagen im Rollstuhl zurücksinken.
„Bis es soweit ist, können Sie sich auf der Krankenstation gründlich ausruhen“, versicherte Orge. „Man wird dort alles tun, um Sie wieder auf die Beine zu bekommen. Oh, und wo wir schon bei Ihren Beinen sind: Wenn Sie wollen, kann ich mich mit meinem Schwiegersohn in Verbindung setzen. Er leitet die Firma Cyberleg und Co.“
Entsetzt ließ Franklin Malmann den Blick über den bionischen Körper des Generals wandern.
„Nein, nein, nicht nötig, Sir“, keuchte er atemlos. „Meine eigenen Beine, wissen Sie, ich möchte sie lieber noch etwas behalten, Sir.“ Franklin dachte kurz nach. „Vielleicht komme ich ja nach meinem nächsten Besuch bei Mister Longue auf ihr Angebot zurück, Sir.“
Später, als Offizier Malmann wieder gegangen (bzw. weggerollt) war, seufzte General Orge laut auf. Natürlich tat er dies erst, als er sich versichert hatte, dass die Gegensprechanlage auch wirklich abgeschaltet war.
So ein Mist, dachte Orge. Wenn sich nicht bald etwas täte, würde die Eisbergstation auf Tauchstation gehen müssen. Und zwar so tief in die Erde hinein, wie es schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr nötig gewesen war.