42. Die Macht des Wolfes

 

»Die Kette.« Der Sergeant stand neben mir. Sein Plattenpanzer war verbeult und verdreckt, als käme er gerade aus einer Schlacht. Er stand neben mir, so solide und fest, dass er realer erschien als die Wirklichkeit, in der Leandra schrie und schrie und schrie, denn nun spielte Balthasar mit den Frauen.

Die Kette? Welche Kette meinte er?

»Die Kette mit dem Wolf.«

Aber das war doch Balthasars Kette.

»Nein, er hat sie gestohlen und ihren Sinn verfremdet.«

Was sollte das ändern?

»Nimm – die – Kette!«

Meine geschundene Hand schob sich irgendwie in meine Tasche. Es schmerzte nicht mehr als sonst auch – schlimmer konnte es gar nicht schmerzen – es war nur ärgerlich, dass sie mir ständig herunterfiel. Letztlich schaffte ich es, einen Fingerknochen, der durch die Haut getreten war, in ein Kettenglied zu haken und die Kette über meinen Kopf fallen zu lassen.

Die ganze Zeit über schrien Leandra und jemand, von dem ich es nicht erwartet hatte: Ich hörte auch Zokoras gequälte Laute. Was machte dieses Ungeheuer mit ihnen, dass selbst Zokora ihren Stolz vergaß …

»Und jetzt steh auf«, sagte der Sergeant.

Wie? Jeder Knochen war gebrochen, ich konnte mich nicht bewegen.

»Wirklich?« Der Sergeant grinste bösartig. »Werwölfe heilen verflucht schnell, habe ich mir sagen lassen.« Der Sergeant stand da, die Hände über dem Brustpanzer verschränkt, und lächelte grimmig. »Willst du deine Freunde noch länger leiden lassen?«

Ich erhob mich, die Sicht wirkte seltsam gräulich, und irgendetwas stimmte nicht mit meinen Händen: Sie waren zu groß, zu massig, zu … haarig.

»Aufgepasst«, rief der Sergeant. »Hör zu.« Die Luft roch seltsam interessant, ich schnüffelte, der Bratengeruch war appetitlich.

Der Sergeant trat vor mich und gab mir eine Ohrfeige. Obwohl ich die Hand nicht spürte, schnellte mein Kopf herum, als hätte ihn ein Hammer getroffen.

Er hielt einen gepanzerten Zeigefinger hoch. »Ich weiß, dass du jetzt dumm wie Bohnenstroh bist, aber das schaffst du!«

Was wollte dieser Zweibeiner von mir? Ich hatte Hunger!

»Siehst du diese Schale hier auf dem Rubin? Sie ist gedreht, so dass die magische Energie nicht zum Podest fließt, sondern zu einem anderen Stein. Dreh die Schale, bis der Strahl zum Podest führt!«

Drehen? Was meinte er nur damit … und was wollte er von mir … ich wollte fressen.

»Dann klapp die Schale ganz auf, du götterverdammtes, hirnloses Pelztier!«, schrie der Sergeant. »Jetzt mach schon!«

Ich wusste nicht genau, was er meinte, aber es hatte mit diesem Ding vor mir zu tun. Ich fuhr mit der Pranke darüber, das Oberteil der Schale flog in hohem Boden davon, und ein gleißend roter Strahl schoss von dem Rubin auf die Mitte des Raums zu, vermischte sich mit Silber und Gold in dem Rubin im Podest, auf dem der andere Zweibeiner stand.

Der sah überrascht zu mir herüber, dann auf den roten Strahl, der nun von dem Rubin ebenfalls zum Podest ging, wo er auf die anderen beiden traf. Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Ich hatte noch Zeit zu denken, dass diese kleinen Zähne nicht dazu taugten, um durch anständiges Fell hindurchzukommen, da leuchtete er schon auf … verglühte … und verschwand. Der Wolfsfokus fiel aus seiner Hand, und noch während er fiel, fiel auch ich.

»Na also«, hörte ich den Sergeant in zufriedenem Tonfall sagen. Als ich erwachte, war ich der einzige unverletzte Überlebende. Bis auf einen Eisengeschmack im Mund fühlte ich mich vollständig in Ordnung.

Ich setzte den Deckel wieder vorsichtig auf den Rubin, nahm die Kette ab und ging zum Zentrum, wo neben dem Podest die Wolfsfigur lag. Ich nahm sie an mich und schritt zu meinen Kameraden.