13. Der Keller

 

Neben mir ließ sich Lea in ihrem Stuhl nieder. Ich sah zu ihr auf, aber sie schaute prüfend zu Janos hinüber. »Er spielt mit ihr wie eine Katze mit der Maus«, sagte sie dann.

»Mit uns allen, wolltet Ihr wohl sagen. Wir sind keine Ausnahme.«

»Es wird einen Weg geben, um ihn unschädlich zu machen, und ich werde ihn finden.« Sie sah meinen zweifelnden Blick und seufzte. »Man muss nur lange genug suchen, dann ergibt sich meistens eine Lösung. Zudem habt Ihr gut reden. Für einen Moment dachte ich, Ihr würdet Euch auf ihn stürzen, all Euren eigenen Warnungen zum Trotz.«

»Ihr täuscht Euch.«

»Ich sah Euch halb aufstehen.«

»Ihr habt auch gesehen, wie ich mich wieder hinsetzte.«

»Gut, von mir aus. Aber erinnert Euch an Eure eigenen Worte, allein werdet Ihr nichts ausrichten.«

Ich nickte nur.

»Was wolltet Ihr vorhin?«, fragte sie dann.

»Der Wirt will uns etwas zeigen.«

»Warum habt Ihr es Euch nicht allein angesehen?«

»Aus irgendwelchen Gründen dachte ich, wir sollten zusammenbleiben.«

»Damit Ihr auf meinen Rücken aufpassen könnt.«

Ich entgegnete nichts.

»Havald, Ihr seid ein Künstler.«

Ich blickte hinunter auf den Tisch. Ohne dass ich weiter darauf geachtet hatte, waren meine Hände nicht untätig geblieben: Aus dem Stück Holz hatte sich der Bauer herausgeschält. Armselig, unwichtig, aber stolz.

Ich blickte auf die fast fertige Figur in meinen Händen, nur noch der Rücken hielt den Bauer im Holz gefangen.

Ich stellte die Figur vor mir auf den Tisch. »Ich war einst ungeduldiger, als ich es heute bin, das Warten fiel mir schwer, also suchte ich eine Beschäftigung für meine Hände. Es ist nichts Besonderes.«

»Es spricht von Talent.«

»Es spricht auch von etwas anderem«, antwortete ich ihr. »Ein Bauer ist auf dem Spielfeld, oder auch auf dem Schlachtfeld, die unwichtigste Figur. Leicht wirft man einen Trupp von ihnen gegen die schwere Reiterei, nicht um sie zu besiegen, sondern um sie aufzuhalten. Um Zeit für einen eigenen Zug zu gewinnen.« Ich drehte die Figur, so dass sie nun in Leas Richtung sah. »Aber man sollte sie nie unterschätzen. Als ich das Spiel erlernte, gab es eine Regel, die mir besonders gefiel. Kommt ein solcher Bauer ans Ende des Spielfelds, so verwandelt er sich in die Königin, eine Figur, wichtiger und weiser als der König selbst, eine Figur, vorausschauend und behände, mit den Eigenschaften einer jeden anderen Figur auf dem Feld, bis auf die des Ritters.« Ich schob den Bauer in ihre Richtung. »Unterschätzt nicht den einfachen Mann, Sera. Als ich älter wurde, sah ich oft genug, wie einer von ihnen die Schicksale von Reichen bestimmte.«

»Ein einfacher Mann.« Sie sah von der Figur zu mir auf. »Seid auch Ihr ein einfacher Mann?«

»Ich wurde einst so geboren.«

»Habt auch Ihr die andere Seite des Schlachtfelds erreicht?«

Ich drehte die Figur in der Hand. »Lasst es mich so ausdrücken: Auch im Spiel der Könige passiert es oft, dass, nachdem die hohen Herren im Feld geschlagen werden, es die Bauern sind, die übrig bleiben.« Ich legte die Figur auf den Tisch. »Ich blieb in manchen Schlachten ebenfalls … übrig.«

Sie wollte gerade etwas sagen, aber ich unterbrach sie. »Eberhard, der Wirt, sucht unsere Aufmerksamkeit. Er wollte uns etwas sagen oder zeigen.«

Ich trank meine Tasse aus und hielt sie empor, und Eberhard eilte heran. Als er uns einschenkte, warf er einen hastigen Blick auf Janos, der zu diesem Zeitpunkt mit seinen Leuten die Köpfe zusammensteckte, ein Anblick, der nichts Gutes verhieß.

»Ich kann meine Sieglinde nicht allein lassen, aber ich bitte Euch, seht Euch an, was ich gefunden habe, und sagt mir, was ich tun soll!«

Lea schien nicht so erbaut von dem Gedanken zu sein. »Also zeigt es uns.«

»Es ist nichts, was ich in der Tasche trage.« Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als hätte der Wirt beinahe gelächelt. »Im Turm, unter der Stiege, gibt es eine Falltür.«

»Wir haben sie gesehen«, sagte ich, »sie führt zu Eurem Vorratskeller.«

»Ja. Geht dorthin, es ist nicht zu übersehen. Es geschah letzte Nacht, während ich Feuerholz aus dem Lager hierher trug, damit die Feuer im Kamin nicht erlöschen. Aber … ich hatte die Tür zum Turm verschlossen.« Er griff unter seine Schürze und legte einen schweren eisernen Schlüssel vor uns auf den Tisch. »Ihr werdet den hier brauchen.«

Er nickte uns noch einmal zu und folgte dann dem Ruf eines anderen Gasts, um diesem nachzuschenken.

»Ein komplizierter Schlüssel.« Lea musterte den Gegenstand vor uns mit nachdenklichem Blick.

»Ich kenne mich mit Schlössern nicht so aus, die meisten, die ich kenne, haben nur einen einfachen Bart. Eines ist ihnen allerdings allen gemein: Sie neigen dazu, zu verklemmen.«

»Glaubt mir, dieses Schloss ist nicht gewöhnlich. Solche Schlösser findet man an Türen, die zu herrschaftlichen Schatzkammern führen. Was mich überrascht, ist, dass der Schlüssel alt wirkt. Ich dachte nicht, dass man früher solche Schlösser fertigen konnte.«

»Nun, nicht alles, was einem neu erscheint, ist es auch.« Ich nahm den Schlüssel und steckte ihn ein. »Anderen Orts mag es Schlosser geben, die über dieses Schloss lächeln.«

»Das glaube ich nicht. Ein solches Schloss ist ein kompliziertes Werk und wird es immer sein.«

Ich erhob mich und griff mein Bündel. »Ich hörte von einem anderen komplizierten Werk. Ein Mechanismus, der die Zeit misst und mit einem Glockenschlag kundtut.«

Sie lachte. »Ein sinnloses Unterfangen. In der Kronstadt steht ein großer Tempel von Astarte. Zu jedem Viertel des Tages läuten die Mönche die Glocken, sie sind weithin zu hören und erinnern die Gläubigen an die Einheit des Tages mit der Nacht. Wer braucht einen Mechanismus, wenn es die Mönche als einen Dienst an ihrer Göttin sehen?« Sie nahm Steinherz und folgte mir. »Ihr seid jemand, der vieles hört. Sagt, habt Ihr diesen Mechanismus selbst gesehen?«

Ich hielt ihr die Tür auf zum hinteren Haus, zum Gang, der zum Turm führte. »Nein. Ich habe ihn nicht gesehen. Aber ich hörte die Glocken.«

»Wahrscheinlich hingen doch Mönche an den Seilen.«

»Vielleicht. Ich hatte keine Veranlassung nachzusehen.« Als ich nach ihr den Gang betrat, warf ich noch einen Blick zurück in den Gastraum. Janos’ Blick ruhte auf uns, und als er sah, dass ich seine Aufmerksamkeit bemerkt hatte, grinste er und zwinkerte mir zu.

»Dieser Janos beginnt mir auf die Nerven zu gehen«, teilte ich Leandra mit, als wir den Gang zum Turm entlanggingen.

»Jetzt schon?«

Geschlossen sah die Tür des Turms noch beeindruckender aus. Ich fragte mich, wie alt sie wohl sein mochte, wie alt der Turm selbst war. Es war nicht unüblich, dass Gebäude wie dieser Gasthof aus anderen entstanden. Ein wehrhafter Turm war eine gute Ausgangslage.

Wie erwartet, klemmte der Schlüssel.

»Schwierigkeiten?«

Mit einer Verbeugung machte ich den Platz vor der Tür frei und lud sie ein, ihr Glück zu versuchen.

Ich war mir sicher, nichts anderes als sie getan zu haben, auch ich hatte zuvor den Schlüssel nach rechts gedreht, aber als sie es tat, gab es ein vernehmliches Klicken und der Schlüssel drehte weiter. Sie drückte die massive Klinke nach unten und öffnete die Tür.

»Papa?« Der Raum unmittelbar hinter der Tür war dunkel, aber durch die Falltür oben fiel gelbes Licht. Ein Gesicht spähte zu uns herunter.

»Lisbeth, nicht wahr?«, fragte Lea und trat in den Raum hinein. Es war direkt zu erkennen, dass der Wirt meinen Rat befolgt hatte: Die Stiege war hochgezogen.

»Sera, seid Ihr es?«

»Wie Ihr seht«, antwortete Lea.

»Was wollt Ihr hier?«, fragte Lisbeth misstrauisch.

»Dein Vater hat uns gebeten, den Keller in Augenschein zu nehmen«, erklärte ich ihr.

»Ihr seid der Ritter, nicht wahr?«

»Ich … ja, wenn du so willst.«

»Der Rat, den Ihr uns gegeben habt, ist schlecht. Es ist nicht recht, eine von uns zu opfern. Ein guter Rat müsste allen helfen«, sagte sie mit vorwurfsvoller Stimme.

»Wenn einer einen solchen Rat zu geben weiß, werde ich nicht zögern, ihn eurem Vater mitzuteilen.«

»Wie … wie ergeht es Sieglinde?«

»Es ist ihr noch nichts zugestoßen«, versuchte Lea Lisbeth zu beruhigen. »Sie saufen und fressen wie üblich, gebt ihnen noch eine Stunde oder zwei und sie fallen betrunken in ihre Betten.«

»Vielleicht fällt einer daneben und bricht sich den Hals«, antwortete Lisbeth mit Inbrunst. »Ihr wollt in den Keller?«

»Ja, Lisbeth.«

»Neben dem Eingang auf der großen Truhe steht eine Kerze«, informierte sie uns. »Wenn Ihr wieder hochkommt, verschließt die Falltür wieder sorgfältig!«

Und damit warf sie die Falltür über unseren Köpfen zu, und wir hörten, wie etwas Schweres auf sie gezerrt wurde.

Da nun kein Licht mehr von oben auf uns fiel, war es sehr dunkel in dem Raum. Und kalt. Die Außenmauern des Turms mochten dick sein, aber die Kälte hatte Zeit gehabt einzudringen; ich konnte meinen Atem nur zu deutlich sehen, eine fahle Wolke in der Dunkelheit. Ein Funke sprang von Leandras Zeigefinger, irrte kurz suchend umher, fand den Docht und entzündete ihn. Ich ging hinüber, nahm die Kerze in ihrer Schale auf und hielt sie hoch, damit wir besser sehen konnten.

Leandra und ich wechselten einen Blick.

Der Wirt hatte zwei schwere Fässer auf die Falltür hinunter zum Keller gestellt.

»Hat er dort etwas gefangen?«

Ich machte eine hilflose Geste. »Ich denke nein. Er hätte uns davon etwas gesagt. Aber, in der Tat, es sieht aus, als wolle er verhindern, dass etwas heraufkommt.«

»Dann schauen wir uns das mal an.«

Wir rollten die Fässer beiseite und musterten dann im Schein der Kerze die Falltür.

»Eisenbänder als Angeln, ein schwerer Riegel. Offenbar sah auch der Erbauer die Notwendigkeit, den Keller verschließen zu können«, merkte sie an.

»Vielleicht benutzte man ihn auch als Kerker.« Ich bückte mich und zog an dem Riegel. Er klemmte, eine genauere Betrachtung zeigte Rost; er war lange nicht geschlossen gewesen. Ich sah mich um und fand, was ich suchte, in einem der Regale. Ein Fässchen Olivenöl.

»Warum schlagt Ihr den Riegel nicht einfach zur Seite?«, fragte mich Leandra, als ich Öl über den Riegel träufelte.

»Weil es vielleicht besser ist, wenn wir ihn schnell wieder vorlegen können.« Ich wartete einen Moment und versuchte es dann erneut. Diesmal ließ sich der Riegel relativ leicht zurückziehen. Ich stellte das Fässchen in das Regal zurück, sah dort aber etwas anderes. Eine kleine Laterne. Der Wirt würde mir wohl verzeihen. Ich füllte das Reservoir der Öllaterne auf und benutzte die Kerze, um sie zu entzünden. Ich hakte die Tür der Laterne zu, betrachtete einen Moment lang den flackernden Docht, die Flamme wuchs höher und höher, bis sie deutlich mehr Licht gab als die Kerze. Als die Flamme stetig brannte, löschte ich die Kerze und begab mich zurück zur Falltür, die Lea nun schon geöffnet hatte.

Sie kniete an der Öffnung, Steinherz in der Hand, und spähte hinunter. Ich hielt die Laterne hoch.

»Könnt Ihr etwas erkennen?«

»Nein, noch nichts.« Sie stand auf und musterte mich. »Habt Ihr außer Euren Dolchen noch eine Waffe?«

»Ich brauche selten mehr als meine Dolche«, gab ich zur Antwort.

»Nun, denn … wollt Ihr vorgehen?«

Ich hielt die Laterne hoch und begab mich auf die erste Stufe der hölzernen Treppe. Sie hielt mein Gewicht. Obwohl sie alt erschien, war sie doch stabil. Vorsichtig ging ich die Treppe hinunter, eine Hand am Geländer, die andere mit der Laterne erhoben. Der Keller war tiefer, als es mir notwendig erschien, fast zwei Stockwerke tief. Unten angekommen, sah ich mich um. Hinter mir hörte ich, wie Leandra herunterstieg.

Schweigend musterten wir, was vor uns lag.

Die Wände des Kellers waren mit hohen, tiefen Regalen zugestellt. Seit meinem gestrigen kurzen Blick in diesen Keller erschienen mir die Regale voller als zuvor, sicher konnte ich es nicht sagen. Auf den ersten Blick sah ich nicht, was der Wirt uns zeigen wollte, erst als ich mich von den Regalen abwandte und nach anderem Ausschau hielt, fiel es mir auf. Der Boden war nicht etwa gewachsener Fels, sondern bestand aus gleichmäßigen Steinplatten, den gleichen Platten, die als Boden für alle Gebäude gelegt worden waren, bis auf den Stall, der auf reiner Erde stand. Bis dahin hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, warum jemand sich die Mühe machen sollte, überall solche Platten zu verlegen. Die meisten Gebäude wurden einfach nur auf gestampfte Erde gebaut. Es machte wohl aber Sinn, vor allem im Gastraum; der Boden erleichterte die Reinlichkeit, wenn das alte Bier nicht versickerte. Ich dachte an so manchen Gastraum, in dem der Boden von altem Bier aufgeweicht war, und solche Platten erschienen mir sehr praktisch. Vor allem aber als kostspielig und mühsam beim Bau. Wieder ertappte ich mich dabei, zu überlegen, wer wohl der Baumeister dieses Gasthofs gewesen sein mochte. Er baute jedenfalls für die Ewigkeit.

Die Platten waren eng und präzise aneinander gefugt. Die Fugen selbst mit dem Staub und Dreck ungezählter Jahre gefüllt. Bis auf eine steinerne Platte direkt unter der Treppe. Dort waren die Fugen schwarz und leer, und das, was die Fugen einst gefüllt hatte, lag als zur Seite gekehrter Haufen ein Stück weiter weg.