36. Ein Gespräch
Ich war schon fast eingeschlafen, als ich Janos’ Stimme hörte. »Habt Ihr an Eurem Tisch Platz für einen Halunken?«
Ich öffnete meine Augen einen Spalt. »Das muss ich mir noch überlegen.«
»Sagt mir, wie Ihr entschieden habt, wenn es so weit ist«, antwortete Janos und nahm Platz.
»Was ist mit Euch geschehen?«, fragte ich nicht ohne Grund, denn der Banditenführer sah verändert aus. Er hatte sich gewaschen, die vormals wilden Haare sauber zu einem Zopf geflochten und sich neu eingekleidet. Er sah richtig manierlich aus, selbst seine Hände waren sauber.
»Ich mochte den Dreck und den Gestank nie.« Er sah auf seine Hände herab. »Aber hätte ich das zu erkennen gegeben … Manchmal kam es mir vor, als ob sich jeder Bandit im Dreck suhlt.«
»Liegt vielleicht daran, dass kaum ein ehrbarer Bauer oder Freisasse einem Mörder ein sauberes Bett und ein Bad anbietet.«
»Da mag etwas dran sein.«
Sieglinde lief an uns vorbei, er hielt sie an und nahm behutsam einen Teller heiße Suppe von ihrem Tablett. Sie sah ihn ausdruckslos an und ging dann ohne ein Wort weiter. Er schaute ihr wehmütig nach und seufzte. »Oder auch eine ehrbare Frau«, sagte er dann.
»Oh, Ihr wusstet, dass sie ehrbar ist? Das sah nicht so aus«, meinte ich zynisch.
Er blickte zu mir auf. »Was meint Ihr, wie lange hätte es wohl gedauert, bis einer meiner Männer sie sich genommen hätte, wenn ich sie nicht für mich beansprucht hätte?«
»Hätte! Hätte! Ihr wolltet sie schützen? Das ist jetzt leicht zu sagen.«
»Ja. Aber warum solltet Ihr mir auch glauben?« Er seufzte, nahm einen hölzernen Löffel aus seinem Wams und fing an, die Suppe zu löffeln.
Ich sah keinen Grund, ihm zu antworten. Ich glaubte ihm nicht.
»Sie ist gut, Ihr solltet auch kosten.«
»Ist das der Grund, warum Ihr Euch zu mir gesellt? Um Euch über Suppen zu unterhalten?«
Er hielt inne. »Nein, natürlich nicht. Ich dachte, Ihr wolltet etwas über den Baron erfahren. Ich wundere mich, dass Ihr keine Fragen stellt.«
»So wie ich das sehe, hat der Baron das hier von langer Hand geplant«, sagte ich. Ich hatte so meine Vermutung, wie lange schon.
Janos gestikulierte mit dem Löffel. »Er suchte schon vor Monaten Kontakt zu mir. Er fand mich in Lassahndaar.«
»Warum Ihr?«
»Er suchte jemanden für die Drecksarbeit. Nicht, dass er Skrupel hätte, aber er lässt sie gerne von anderen machen.«
»Und da dachte er an Euch.«
»Janos Dunkelhand hat einen entsprechenden Ruf. Die Sache, vor allem die Bezahlung, sagte mir zu. Ich suchte fünf Leute zusammen, die meinen Ruf kannten, und begab mich hierher.«
»Was war Eure Aufgabe?«
Er lehnte sich zurück. »Außer der Drecksarbeit? Ablenkung. Während ein jeder angsterfüllt auf uns starrte, konnte er unbemerkt agieren.«
»Was könnt Ihr mir über ihn sagen?«
»Ich wusste nicht, dass er ein Nekromant ist, wusste nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Ich hielt ihn für einen Maestro. Er und seine Leute sind sehr gute Kämpfer und absolut skrupellos. Und …«, er zögerte, »irgendwie verrückt. Die zwei Kriegerinnen, die er ja hier als seine Töchter ausgab, und zwei seiner Männer sind ihm absolut untertan. Er kontrolliert sie irgendwie. Bei Sternheim weiß ich es nicht genau. Er ist seine rechte Hand, er übermittelte mir die Befehle.« Er schaute auf seinen Teller herab. »Ich sah einmal, was er mit seinen Frauen trieb. Sie hätten mehr Grund als andere, ihn zu töten. Der Baron zieht seine Macht und Leidenschaft aus Blut, Verzweiflung und Schmerz, vielleicht auch seine magischen Kräfte … Ihr habt gesehen, was er mit dem Bergarbeiter angestellt hat.«
»Nette Freunde habt Ihr Euch da ausgesucht. Wisst Ihr, was er will?«
»Er bot mir einen Teil des Schatzes an, aber er sucht etwas anderes. Er sucht einen Schlüssel, und er fantasierte davon, dass er der mächtigste Magier werden würde, den es je gegeben habe.«
»Die Imperatoren von Thalak und Askannon werden erfreut sein, das zu vernehmen«, sagte ich trocken.
»Ob Askannon noch lebt, ist mir nicht bekannt. Thalak hingegen sollte von dem Baron bereits wissen. Er gab mir nämlich das rote Gold des Imperiums von Thalak, um die anderen anzuheuern.«
»Er arbeitet für Thalak?«
Janos nickte. »Das denke ich. Ob er nun auch sein eigenes Süppchen kocht, das weiß nur er.«
»Was wisst Ihr noch?«
Janos grinste. »Er hat Albträume. Ein Mann verfolgt ihn im Schlaf. Es ist ein Genuss, ihn wimmern zu sehen, wenn er aufwacht. Ich höre ihn rufen: ›Sergeant, nein, nicht!‹ Immer wieder, immer wieder.« Janos zeigte die Zähne. »Ich gönne es ihm.« Er sah mein Gesicht und zog eine Augenbraue hoch. »Was lächelt Ihr so grimmig?«
»Es ist mir eine Genugtuung zu hören, dass der Sergeant das vollbringt.«
»Kennt Ihr ihn?«
»O ja. Ihr werdet ihn auch kennen lernen.« Etwas anderes kam mir in den Sinn, und ich richtete mich in meinem Stuhl auf, um ihn prüfend anzusehen. »Janos Dunkelhand befehligt hundert Männer. Warum musstet Ihr Euch Leute suchen?«
»Mein Glück verließ mich vor einem halben Jahr, ein Trupp des Königreichs hat meine Männer aufgerieben.«
»Ihr konntet entkommen?«
»Ich sitze hier, nicht wahr?«
»Man hätte meinen können, eine solche Nachricht würde sich verbreiten«, sagte ich.
Er vollführte eine wegwerfende Geste. »Warum die Soldaten der Königin nicht mit ihren Taten prahlten, weiß ich nicht. Vielleicht wollten sie noch andere fangen.«
»Vielleicht.«
Ich lehnte mich wieder zurück. »Was Ihr mir sagen konntet, ist nicht viel. Habt Ihr etwas, was mir nützlich ist? Albträume gönne ich ihm, aber was habe ich davon?«
»Er hat eine militärische Ausbildung, vermag Karten zu lesen und zu zeichnen, kennt ein Dutzend unterschiedlicher Sprachen. Hat außergewöhnlich gute Reflexe, ist ziemlich hart im Nehmen, aber es mangelt ihm an Kraft. Er kann mit einem Schwert umgehen, wird aber versuchen, den Kampf schnell zu beenden, denn er ermüdet rasch. Mehr weiß ich nicht, wir sind nicht direkt Busenfreunde.«
»Sagt, habt Ihr je den Namen Balthasar gehört?«
»Ja. Einmal trank er zu viel. Er sprach davon, dass Balthasar noch immer keine Ruhe gäbe, dass das aber bald vorbei wäre.«
Der Teller war leer, Janos wischte den Löffel an seiner Hose ab und steckte ihn wieder ein. »Nur eines noch«, sagte er, als er sich erhob. »Er will ein Gott werden.«
»Wer will das nicht. Wohin geht Ihr?«
Er hielt den Suppenteller hoch. »Wenn sie mich nicht abweist, etwas Nachschlag holen.«
»Ihr habt einen guten Appetit für jemanden, der sterben wird.«
»Iss, wann immer du kannst. Das lernt man als Soldat zuerst. Zum Sterben ist immer Zeit, zum Essen nicht.«
»Wann wart Ihr denn Soldat?«
Janos grinste. »Nie. Zu viele Disziplinarmaßnahmen.« Und damit wandte er sich endgültig ab. Ich schaute ihm nach, war aber zu müde, um über das zu grübeln, was er mir erzählt hatte. Es gab noch einige Dinge, die nicht passten. Später. Ich zog den Mantel über mich und schloss die Augen.
»Wir sind bereit«, hörte ich eine Stimme, es war Leandras. Ich gähnte, reckte mich und stand auf. Sie stand nahe bei mir und sah mir unmittelbar ins Gesicht. »Etwas ist mit dir, Havald. Du siehst erholt aus.«
»So ein Nickerchen wirkt Wunder.«
»Ich wünschte, wir hätten eine Stundenkerze, aber es waren eher fünf als drei Stunden. Havald, dein Gesicht …«
»Was ist damit?«
Sie hob eine Hand und fuhr mir sanft über die Wangen. »Es ist glatter, wirkt jünger.«
Ich nahm ihre Hand und küsste sie. »Da siehst du, wie nötig ein guter Schlaf manchmal sein kann.«
Die anderen standen um uns herum, Janos zur linken Seite, Zokora rechts. Ich musterte meine kleine Truppe. Alle sahen mich erwartungsvoll an. Ich hasste Ansprachen, aber manchmal gab es einen Zeitpunkt, an dem sie nötig waren. Also sah ich jeden von ihnen an, schaute ihnen in die Augen, um zu erkennen, ob sie meinem Blick auswichen. Keiner war dabei, der den Blick senkte.
»Bereit wollt ihr sein?«, fragte ich. »Da fehlt euch noch ein Jährchen Drill, aber das Herz am rechten Fleck ist mir mehr wert. Ich habe das Kommando, Zokora späht, Sera Leandra denkt, und Janos geht vor, wenn’s ans Sterben geht. Wenn einer wissen will, warum ich das Kommando habe, die Antwort ist einfach. Ich habe mehr Erfahrung. Wir teilen uns ein in vier Gruppen. Ein Bergarbeiter in jede Gruppe, Vorsicht mit den Armbrüsten. Jeder von uns, mit uns meine ich Janos, Zokora, Leandra und mich, führt eine Gruppe. So. Du, du, du und du, ihr seid meine Gruppe. Folgt mir.«
Ich ging zum nächsten freien Tisch. »Nachdem ihr so schön bereit und reisefertig seid, ausziehen und eure Ausrüstung auf den Tisch hier legen. Wirt!«
Eberhard eilte herbei.
»Ich brauche Schweinefett. Ein Kübel reicht und Ruß.«
»Ruß habe ich genug«, sagte Eberhard.
Zokora sah mich an, hob eine Augenbraue hoch und lächelte. Dann suchte sie sich ihre Leute aus und schickte sie zu mir herüber. »Ihr gehört zu mir. Geht zu Havald und folgt seinen Anweisungen«, sagte sie trocken.
Janos und Leandra suchten ihre Männer ebenfalls zusammen und befahlen sie an meinen Tisch.
Ich hatte meine Vorstellungen von dem, was wir dort unten brauchten, und hatte das meiste bereits vom Wirt beschaffen lassen. Sein Lager und vor allem sein Wissen darüber, was sich wo befand, waren wirklich erstaunlich.
Vier Pakete Rosinen und Nüsse für jeden Mann, vier Rationen Fleisch. Zwei Dolche, zwei Paar Handschuhe, drei Paar Strümpfe. Fünfzig Bolzen für die vier Armbrüste. Wetzstein. Acht Laternen. Jeder Mann zehn Mannslängen Seil um die Hüfte gewickelt. Angelhaken, Angelseil, Wachs. Vierzig Kettenringe und eine Zange für jede Vierergruppe. Gekochtes Leinen in Streifen gerissen, drei Rollen pro Mann. Und so weiter. Es waren keine Elitesoldaten, aber ich sah keinen Grund, sie nicht so zu behandeln.
»Dort unten ist es dunkel, feucht und kalt. Ihr werdet Echos hören, wo keine Stimmen sind. Kaltes Wasser wird euch in den Hemdkragen tropfen, wenn ihr eure Kapuze nicht oben habt. Achtet ihr nicht darauf, wohin ihr tretet, stürzt ihr in einen Spalt, so tief, dass ihr durch die Weltenscheibe fallt. Wenn ihr nicht aufeinander achtet, werdet ihr sterben. Hört ihr? Ein einziger Fehler, und ihr seid tot! So einfach ist das. Damit das nicht passiert, achtet auf eure Kameraden und befolgt meine Befehle. Wenn noch etwas von eurer Ausrüstung klappert und ich es noch mal höre, nachdem ich euch darauf hingewiesen habe, bekommt ihr Ärger. Und jetzt los.«