29. Das Geschenk der Wärme
Auf dem Weg zum Waschraum winkte Leandra Timothy herbei, der uns begleitete und den Raum für uns aufschloss.
»Hattet Ihr einen Grund, ihn abzuschließen?«, fragte ich.
»Die Sera hat es angeordnet.«
Ich blickte zu ihr hinüber, sie lächelte nur sanft. »Du wirst schon sehen.«
Der Waschraum war warm, feuchtwarm, dichte Dampfwolken ließen den Raum unwirklich erscheinen, und das Licht der einen Öllampe war gerade hell genug, um Schatten erkennen zu lassen.
»So erscheint mir der Ort unheimlich«, sagte ich.
»Ja. Das werde ich ändern.« Aus ihrer offenen Handfläche stieg eine leuchtende Kugel empor und erhellte den Raum besser, als zehn Lampen es vermocht hätten.
»Hat Zokora dir das gezeigt?«
Leandra war vorgegangen, nun blieb sie stehen und lächelte mich über ihre Schulter an. »Nein, das konnte ich schon so. Die Erschaffung eines solchen Lichts ist so etwa das Erste, was man in den Tempeln lernt, sobald man sich den Studien der arkanen Künste widmet. Folge mir.«
Ich folgte, Timothy ebenfalls. Ich sah fragend von ihm zu ihr.
»Was ist seine Aufgabe?«
»Havald, du bist zu neugierig. Er ist hier, um auf unsere Sachen aufzupassen und uns zu warnen, sollte etwas geschehen. Und natürlich, um das Wasser einlaufen zu lassen.« Wir waren bei der hinteren Tür angekommen, der Tür, die zum Bad führte.
»Du hast Eberhard wirklich dazu gebracht, dies für dich zu tun?«
»Für uns.« Sie wies auf eine hölzerne Bank, die vorhin noch nicht dort gestanden hatte. »Leg deine Sachen hier ab. Eberhard hat geschworen, dass Timothy vertrauenswürdig ist.«
Timothy nickte. »Ich würde nie …« Er verstummte, als er meine erhobene Hand sah.
»Ich glaube dir, Timothy.«
Ich sah zu Leandra hinüber, die zu meinem Erstaunen tatsächlich anfing, ihre Rüstung und Kleider auszuziehen.
»Du willst wirklich …«
»Ich weiß nicht, was du denkst, Havald«, sagte sie mit einem Lächeln, das mich in Verwirrung zu stürzen drohte, »und nach deinen Worten vorhin weiß ich nicht, ob du es verdienst, aber ja.«
Ich war schon dabei, mich meines Umhangs zu entledigen, als ich den Sinn ihres Satzes verstand.
»Was immer ich denke … ja?«
Sie ließ das schimmernde Metall ihrer Rüstung zu Boden gleiten und fing an, die Schnüre ihres Wamses zu lösen. »So schlecht, wie Zokora behauptet, hörst du ja doch nicht.«
Ich warf einen Blick zu Timothy hinüber: Er starrte angestrengt in die andere Ecke der nebligen Waschküche, ich meinte dennoch erkennen zu können, dass sein Kopf hochrot war.
Es gab Herausforderungen, die konnte ein Mann nicht ablehnen. Vielleicht erwartete ich auch, dass sie es sich vielleicht doch anders überlegte … Ich erhoffte jedoch etwas anderes.
Aber noch bevor ich mich selbst meiner Hose entledigt hatte, stand sie entblößt da, so wie die Götter sie geschaffen hatten, und löste mit einer Handbewegung ihren Zopf, so dass sich ihre Haare wie weiße Glut über ihre Schultern ergossen.
Sie stand da, offen für meine Blicke, die ich nun auch ungestraft wandern ließ, und sah mich aus ihren violetten Augen herausfordernd an.
Ich streifte meine Hose ab und stand nun vor ihr. Einmal schon hatte ich sie so bewundern können, sie hingegen hatte mich noch nicht so gesehen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, als sie mich musterte. Ich war selten scheu vor dem anderen Geschlecht, aber diesmal war es etwas anderes. Die Lichtkugel über uns erhellte den wabernden Dampf, hüllte alles, was hinter dem Radius des Lichts war, in seltsame Schatten, Timothy einer von ihnen. Es war, als gäbe es nur uns innerhalb des Lichts und nichts außerhalb könne uns berühren. Schwaden von Dampf trieben zwischen uns, verhüllten und gaben alsbald den Blicken freien Lauf; dazu die Stille, sie und ihr geheimnisvolles Lächeln. Es war wie ein Traum.
»Was ist mit den Enthüllungen über die Kette?«, fragte ich atemlos und erkannte meine eigene Stimme kaum mehr.
»Es ist Magie auf ihr, das stimmt. Aber … sie war mir nur ein Vorwand, dich hierher zu locken. Um dich zu überraschen.«
»Das ist dir gelungen«, teilte ich ihr mit und sah sie nur an.
Sie sagte nichts weiter und lächelte verführerisch. Sie öffnete die Tür und bedeutete mir einzutreten. Trotz allem nahm ich sehr wohl wahr, dass sie, wie auch ich, ihre Klinge mit ins Bad nahm. Beide Schwerter fanden ihren Platz an der Tür, die zwischen uns und Timothy geschlossen wurde.
Das Licht über ihrem Kopf erlosch, und in rascher Folge stoben Dutzende von Funken von ihren Fingerspitzen, jeder einzelne suchte und fand den Docht einer Kerze.
Überall im Bad, auf jedem Sims, auf jedem Vorsprung und entlang des Rands des Bades, hatte sie Kerzen aufgestellt; ihr warmer Glanz wurde von den blauen Kacheln reflektiert und tauchte den ganzen Raum in warmes Licht.
Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, mich jemals wieder warm zu fühlen, es war, als ob man überraschend einen Schatz finden würde. Das Bad war erfüllt von einer trockenen Wärme, ohne die Feuchtigkeit der Waschküche nebenan, Wärme, die meine müden Knochen in sich aufsaugten, Wärme, die mich wiederbelebte, als ob ich aus einer langen Starre erwachen würde.
Die steinernen Bänke um diesen Kasten herum waren nun mit hölzernen Latten belegt, ein kleiner Schrank hielt Handtücher bereit, auf einem Tisch stand eine Schale mit Winterobst und, in einem mit Schnee gefüllten Kübel, eine Flasche bester Fiorenzer Wein; dazu zwei Trinkgefäße aus kostbarem Glas. In dem Kasten lagen die Steine, und über ihnen waberte die Luft. Sie waren die Quelle der Hitze in diesem Raum und wohl auch der Grund für die Trockenheit der Luft. Wo Leandra oder Eberhard die Strohblumen gefunden hatten, die hier und da die Wände des Bads schmückten, vermochte ich nicht einmal zu erahnen, aber ich war überwältigt.
»Ich …«
Sie trat an mich heran, so nah, dass sie mich ganz leicht mit ihren Brüsten berührte und ich sie und den Duft der Rosen riechen konnte. Sie legte mir einen Finger auf die Lippen und sah mich an, mit einem Blick, der meine Knie weich werden ließ. Dann wandte sie sich wortlos von mir ab, griff sich mit beiden Händen in ihr Haar, hielt die weißblonde Pracht hoch und stieg langsam die Treppe hinab in das Bad, ging durch das Wasser, das ihr bis zum Hals reichte, bis sie an den anderen Rand des Beckens gelangte. Dort drehte sie sich um und ließ ihr Haar herab, das für einen Moment wie ein weißgoldener Schein auf dem Wasser schwamm, einer Lilie gleich. Dampfschwaden wehten über das Wasser wie Schleier.
»Willst du nicht hereinkommen?«, fragte sie leise, und nun, zum ersten Mal, sah ich echte Unsicherheit in ihren Augen. Es war diese Unsicherheit, die mich berührte, und ich versank in ihrem Blick.
Wortlos folgte ich ihr in das Wasser. Das Nass berührte mich in seiner Hitze, schien mir fast unerträglich heiß, umfing, umschmeichelte mich, löste verspannte Muskeln und brachte mein Blut zum Sieden. Oder war sie es? Ich hatte den Blickkontakt nur kurz unterbrochen, und schon stand ich plötzlich vor ihr.
Ich sah ihr wieder in die Augen und suchte darin nach einem Zögern, nach etwas, was mich abhalten könnte, fand aber nichts anderes darin als den Wunsch, geküsst zu werden.
Also trat ich noch näher an sie heran, bis ich ihren Körper spürte, der sich meinem entgegendrückte, nahm sie in die Arme, ganz langsam, vorsichtig, etwas unendlich Kostbares an mich pressend, als ob ich sie in mich aufnehmen wollte, und küsste sie.
Wie oft küsste ein Mann, ein Krieger, im Lauf eines sehr langen Lebens? Wie oft hatte ich Liebe versprochen, hatte es ernst gemeint oder gelogen, wie oft hatte ich schon die weichen Lippen einer jungen Frau gesucht? Man sagte, dass ein Mann alt werden konnte wie die Gebirge und seinen ersten Kuss nicht vergessen würde, eine alte Weisheit, die ich für eine Lüge hielt. Bis zu diesem Moment, denn erst jetzt küsste ich wirklich zum ersten Mal.
Wie oft hatte ich an anderes gedacht, während ich küsste? Wie oft waren meine Augen wach gewesen, der Kuss berechnend, eine Ablenkung, ein Spiel?
Meine Augen schlossen sich, und ich ging in ihren weichen Lippen unter, bar jeden Gedankens, Zweifels, Wunsches oder einer Absicht.
Wie lange dieser Kuss dauerte, würde ich nie wissen, er währte zu kurz und so lange wie die Ewigkeit zugleich. Als ich meine Lippen von den ihren löste, sah ich, dass auch sie die Augen geschlossen hielt. Sie öffneten sich nun ganz langsam.
Vieles sah ich in ihren Augen, in jenem zeitlosen Moment, aber von allen Dingen eines nicht: Berechnung. Sie gab sich mir, weil sie sich geben wollte und nicht aus einem Zweck heraus, und so schwand meine letzte Angst.
Einen Moment schämte ich mich des Gedankens, dass sie sich hätte irgendwie verkaufen wollen, dann schlugen die heißen Wasser über uns zusammen.
Später, viel später, als der Schnee im Kübel schon längst geschmolzen war und wir es uns auf den hölzernen Liegen bequem gemacht hatten, studierte ich sie, wie sie vor mir kniete, den schlanken Rücken mir zugewandt, die Hände auf ihren Oberschenkeln, während ich ihr Haar sanft bürstete, mit einhundert Bürstenstrichen, wie es meine Schwester mich einst gelehrt hatte.
Jedes Mal, wenn die Bürste durch ihr Haar fuhr, erschauerte sie wohlig und gab ein leises Geräusch von sich, das mich hin und wieder verleitete, ihre Schulter oder anderes zu küssen.
Aber irgendwann war der letzte Bürstenstrich getan und ihr weißblondes Haar erneut zu einem Zopf gebunden. Sie lag halb auf, halb lehnte sie an mir, ihr Kopf ruhte an meiner Brust, ihr Busen in meinen Armen.
Ich küsste sie sanft. »Warum?«
Sie antwortete lange nicht, ihr Atem ging so regelmäßig, dass ich hätte meinen können, sie schliefe. Aber ich wusste, dass sie meine Worte vernommen hatte.
»Warum ich mich dir hingab?« Sie sprach leise, aber ich verstand sie gut. Mir war, als ob ich sie verstehen könnte, wenn sie die Worte nur gedacht hätte.
»Ja.«
»Es gab viele, die mich wollten. Doch nie konnte ich mir sicher sein, ob sie mich um meiner selbst willen wollten oder nur das begehrten, was ich ihnen geben konnte.«
Ich dachte an die königlichen Hallen in der Kronburg zurück, ein Schlachtfeld, auf dem ich stets meine Flagge hatte streichen müssen, dort war sie aufgewachsen … Es war nicht ihr Vermögen. Es mochte für einen wie mich beachtlich erscheinen, für die Verhältnisse am Hof war es eher unbedeutend. Was war es, was man von ihr wollte? Ich wusste es. »Das Ohr der Königin?«
Sie nickte in meinen Armen. »Oft wurde ich gebeten, ihr dieses oder jenes auszurichten, sie zu befragen, gar sie zu belügen oder zu hintergehen. Aber das war nicht alles.« Sie legte den Kopf in den Nacken, so dass sie zu mir aufsehen konnte. »Dass das Blut der Elfen in meinen Adern fließt, ist unschwer zu erkennen. Ich brauchte lange, um erwachsen zu werden, und ich war länger Kind, als mir gut tat. Als ich dann zur Frau wurde, gab es viele hohe Herren, die sich mit meinem Bettblut schmücken wollten, eine Trophäe, etwas, was man einem Turnier gleich gewinnt, mit dem man angeben konnte. Nachdem mein Beinahe-Liebhaber dann verlauten ließ, ich würde das Bett mit jedem teilen, der mich nehmen wollte, hatte ich erst recht keine Ruhe …«
»Du willst mir aber nicht sagen, dass du dich mir hingegeben hast, weil sich kein Besserer fand?« Ich sagte es als Scherz, doch sie sah mich entsetzt an.
»Nein! Havald, denk das nicht! Ich gab mich hin, weil ich in deinen Augen nur Verlangen nach mir sah, keinen anderen Gedanken, keine Hinterlist und keine Täuschung. Ich sah, wie du mich angeschaut hast, wenn du dachtest, ich würde es nicht bemerken. So wie ich dich mit Blicken verzehrt habe, wenn du nicht zu mir hingeschaut hast. Du bist ein außergewöhnlicher Mann, Havald. Ich weiß nicht, was es ist, was mich an dir so fesselt, ich weiß nur, dass ich mein Herz schon früh verloren habe, vielleicht schon, als du mein weibisches Geschwätz nicht dulden wolltest.« Sie senkte den Blick. »Ich werde diese Nacht nie bereuen können, auch wenn jetzt schon der Gedanke schmerzt, dich wieder zu verlieren.«
Ich wand ihren Zopf um meine Hand, zog sie herum und küsste sie erneut mit Leidenschaft und Inbrunst. »Warum solltest du mich verlieren? Was hindert uns, den Weg zusammen zu beschreiten, wohin er auch führt?«
»Obwohl du nicht Ser Roderic bist?«
»Glaubst du mir nun, Leandra? Ich dachte, dass du nun eher denken könntest, ich wäre er.«
»Manchmal, nicht immer, weiß ich, ob Worte wahr sind. Du hast wahr gesprochen, es bedurfte nicht des Zeichens der Einigkeit auf dem Tisch.«
Nun schämte ich mich, denn es war nur die halbe Wahrheit. Ich war nicht Ser Roderic, weil es ihn nie wirklich gegeben hatte. Aber ich war der, den sie suchte. In diesem Moment nahm ich mir vor, ihr alles zu offenbaren – wer ich war und was ich war. Aber später, nicht jetzt. Später war Zeit genug dazu. Hoffte ich.
»Gut, also was soll uns hindern?«, fragte ich sie.
Sie legte ihren Kopf in meine Hände und sah zu mir hoch, eine Träne glitzerte in ihrem Auge. »Du wirst mich verlassen. In fünf, in zehn, in fünfzehn Jahren. Aber ich verspreche dir, dass ich an deiner Seite bleiben werde, bis du gehst.«
»Warum sollte ich gehen wollen? Schätzt du dich so niedrig, dass du denkst, ich würde deiner überdrüssig?«
»Menschen sterben. Du bist … alt. Ich hätte nie gedacht …« Sie zögerte. Ich sagte nichts. »Ich hätte nie gedacht, einen alten Mann lieben zu können.«
»Du liebst mich?«
Sie nickte langsam und schenkte mir ein scheues Lächeln. »Ich denke, dass ich das tue, aber woher soll ich es wissen? Ich habe so etwas noch nie gefühlt.«
Sie war ehrlich. Ich zögerte nun selbst. »Dies ist nicht der günstigste Moment für Liebe«, sagte ich und erntete erst einen erschreckten, dann einen verwundeten Blick.
»Du hast Recht, ich verlange zu viel … Es ist nur … nein.« Sie sah hoch zu mir mit einem Ausdruck, den ich nie vergessen würde. »Ich werde nichts fordern von dir.«
Ich wischte eine Träne von ihrer Wange und lächelte. »Das war nicht alles, was ich sagen wollte. Es ist nicht der beste Ort, nicht die beste Zeit für Liebe, aber wann achtet die schon darauf? Auch ich habe so etwas noch nie gefühlt.«
»Du bist so viel älter.«
»Und das, was ich fühle, ist so viel seltener, als ich dachte. Aber ich kann dich beruhigen.« Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie sanft. »Ich werde, wenn du und die Götter es wollen, dich eine weite Wegstrecke geleiten.«