16. Die Geschichte der Münzen

 

»Ich frage mich, was sie noch alles weiß.« Leas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Gefällt sie Euch?« Das klang etwas spitz.

»Ihr habt doch gehört, ich sei zu alt und der Mühe nicht wert.«

»Habe ich gehört, ja. Vielleicht hat sie auch Recht. Ihre Erfahrung erscheint mir größer als die meine.« Sie lächelte schelmisch. »Aber meine Frage war, ob sie Euch gefällt.«

»Sie ist attraktiv, ja. Sie erweckt den Wunsch in mir, diese Wildheit zu bändigen.«

»Es gibt Dinge, die sich nicht bändigen lassen.« Leas Augen ruhten auf mir. »Ich verfüge nicht über das Wissen der Elfen, ich kenne nur dieselben Legenden wie Ihr. Aber etwas sagt mir, dass sie nie anders sein wird, als sie ist.«

Ich wandte mich ihr zu. »Ich hege keine Absichten in ihre Richtung. Wenn Ihr Fragen stellt, erhaltet Ihr ehrliche Antworten, doch denkt nicht allzu viel hinein.«

Ich sah in ihre Augen. Wieder beugten sich unsere Köpfe einander entgegen. »Ihr könntet mich vielleicht fragen, ob Ihr mir gefallt …«

Über den Tisch gebeugt waren wir uns nun sehr nahe, ich konnte ihren Atem spüren und riechen, er roch frisch und gut, besser als die Luft im Gastraum. Ich weiß nicht, wie lange wir uns in die Augen sahen. Wieder leckte sie sich über ihre Lippen, die letzte Distanz schwand. Unsere Lippen berührten sich, ihre weich und nachgiebig, eine Wärme und Weichheit, die mich tief berührte. Unter meinem Drängen begannen ihre Lippen sich zu öffnen …

Ein Räuspern. »Sera, Ser …« Eberhard.

Ich hätte ihn schlagen können.

»Ja?« Meine Stimme klang ruppig, der Wirt wich fast einen Schritt zurück und sah mich erschrocken an.

Ich seufzte. »So nehmt schon Platz.« Ich wies auf den Stuhl, den Zokora gerade eben verlassen hatte.

»Ich wollte wirklich nicht stören. Ich habe nur gewartet, bis die dunkle Elfe Euren Tisch verlässt. Sie macht mir Angst, wisst Ihr.«

Ich überlegte meine Antwort wohl. »Eberhard, Ihr tut gut daran, vor ihr Angst zu haben«, sagte ich dann. »Was gibt es?«

»Gleich.« Er sah sich um. Wenn jemand uns Beachtung schenkte, so war dies nicht offensichtlich. Er nahm Platz und stellte eine Flasche sowie drei Zinnbecher auf den Tisch.

»Dies ist guter Fiorenzer Wein. Wenn Ihr erlaubt, würde ich Euch gerne dazu einladen.« Er sah uns fragend an, und Lea und ich nickten zustimmend.

Mit einer geübten, fast eleganten Handbewegung entkorkte er die Flasche und schenkte uns ein. Wir tranken schweigend und hoben nur die Becher zum gegenseitigen Gruß. Der Wein war kühl, nicht kalt und mundete in der Tat.

»Ihr wisst sicher, was ich von Euch wissen will«, sagte er dann. »Habt Ihr gefunden, was zu finden war?«

»Den Schacht?«

Eberhard rollte mit den Augen. »Was sonst? Eine Inventur solltet Ihr nicht machen, die kann ich selbst durchführen.«

Erst jetzt wurde mir bewusst, unter welch großer nervlicher Anspannung er tatsächlich stand, denn seine Hand umklammerte den Zinnbecher so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.

»Dieser Schacht, er ist unterhalb meines Turms, jenem Ort, den ich sicher wähnte. Ich weiß nicht, was am Fuß des Schachts ist, aber das alles ist mir nicht geheuer. Ich bin kein heldenhafter Streiter, ich bin nur ein einfacher Mann mit Sorgen und Ängsten.«

Mittlerweile hatte ich meine Meinung über ihn geändert. Er war ein Mann, ein Vater, der diesen Gasthof führte, der mit seinen Gästen auskommen musste und viele Dinge in der Waage hielt. Er war kein Krieger, aber auch er brauchte in seinem persönlichen Leben Mut. In anderen Dingen vielleicht als im Kampf, aber nicht jeder Kampf wurde mit der Klinge gefochten. Er war vorsichtig, fleißig und umsichtig, ein Mann, der tat, was er musste und konnte.

Ich bemerkte zu meiner Überraschung, dass ich ihn gut leiden konnte und ihn verstand.

»Nicht nur, dass ich wissen will, ob das, was sich dort unten verbirgt, eine Bedrohung für mich und meine Liebsten darstellt, es erscheint mir auch bedenklich, dass jemand dort zugange war, während ich den Turm sicher verschlossen glaubte.« Er beugte sich vor. »Nun spannt mich bitte nicht weiter auf die Folter, Sera, Ser. Sagt, was habt Ihr dort unten gefunden? Ihr habt Euch doch in den Schacht begeben, oder? Mir selbst fehlte dazu der Mut.«

Absolut verständlich. Wäre Lea nicht dabei gewesen und hätte ich nicht noch einen Rest Stolz gehabt, vielleicht hätte ich mich auch dazu entschlossen, meine Neugier zu vergessen.

»In der Tat haben wir uns in den Schacht begeben«, sagte Lea leise. »Lasst mich berichten, was wir vorfanden …«

Als sie fertig gesprochen hatte, ging die Flasche zur Neige und der Wirt zitterte leicht. Den größten Anteil des Weins hatte ich vernichtet. In ihrer Schilderung ließ mich Lea wieder an ihrer Seite diesen toten kalten Raum durchsuchen, und erneut fühlte ich die innere Kälte schlimmer als die äußere. Ich wusste nicht, was genau mich an diesem Raum so erschreckte, aber etwas war dort. Immer wieder sah ich diesen Wachenden, jenen, der mit seinem Schwert über den Knien die Tür im Auge behielt.

Aber der Wein half.

»Diese … diese Zwerge … Sie sind nicht tot, sagtet Ihr?« Die Stimme des Wirts war kaum zu vernehmen. Im Hintergrund hörte ich Sieglinde lachen. Ich sah auf, es war Sternheim, der mit ihr flirtete. Ich war froh, dieses Lachen zu hören, denn das Schicksal der Zwerge erfüllte mich immer noch mit Grauen.

»Sind sie nicht. Wahrscheinlich nicht. Aber sie sind so gut wie tot.« Lea versuchte ihn zu beruhigen. »Das Eis hält sie fester gefangen, als jede Kette es tut.«

»Aber Ketten halten sie auch. Sind sie stabil?«

»Sehr«, versicherte Lea. »Nichts wird diese Ketten sprengen. Diese Soldaten wussten, was sie taten. Ich bin sicher, hätte man ihnen nicht den Rückweg versperrt, sie hätten alle überlebt. Havald hier meinte, dass es Elitetruppen wären, er hat da mehr Erfahrung, so beuge ich mich seinem Urteil.«

»Warum betont Ihr das? Was macht es für einen Unterschied?«, fragte der Wirt.

»Wir wissen nicht, woher sie kamen und was sie wollten. Aber ich denke, sie waren erfolgreich in ihrem Unterfangen und auch vorsichtig. Sie verschlossen diese Tür. Und die Tür blieb in all den Jahren verschlossen. Welche Gefahr dort unten auch drohte, seit langer Zeit regt sie sich nicht mehr.«

Dieser Gedanke schien dem Wirt einzuleuchten, denn er nickte erleichtert. »Ihr müsst mich verstehen, es ist ein Schock zu erfahren, dass man über einem Grab schläft.«

»Sicherlich. Aber von dort droht keine Gefahr mehr.«

Ich nahm einen weiteren Schluck von dem vorzüglichen Wein. Zum ersten Mal seit Stunden fror ich nicht mehr. Unter meinem Wams zog ich einen Beutel hervor und meine alte Pfeife.

Leas Augenbrauen hoben sich. »Ich mag keine Männer, die mit solchen Stinkkolben die Luft verpesten.«

»Diese Luft hier ist kaum zu verschlechtern«, sagte ich und begann meine Pfeife zu stopfen. Ich hatte richtig Lust auf sie.

»Mir wäre es lieber, Ihr würdet nicht rauchen!«, beharrte Lea.

»Das tut mir Leid. Aber ab und an ist mir danach. Wollt Ihr es mir verbieten?«, fragte ich.

Sie sah mich lange an. Zu gerne hätte ich gewusst, was in jenem Moment ihre Gedanken waren. »Nein«, sagte sie dann mit einem Seufzer. »Ich will Euch Euer Vergnügen nicht nehmen, es steht mir auch nicht zu.«

»Danke.« Es brauchte eine Weile, aber dann griff die Glut und ich genoss den aromatischen Duft. Lea schnupperte und wirkte überrascht. »Das stinkt weitaus weniger, als ich befürchtete. Welches Gras raucht Ihr da?«

»Kein Gras, keine Kräuter«, gab ich zur Antwort. »Tabak.« Ich lächelte sie an. »Ich teile Eure Meinung über Kräuterpfeifen.«

»Ihr müsst reich sein.« Eberhard wirkte ebenfalls fasziniert. »Bisher habe ich Tabak nur bei reichen Händlern gesehen.«

»Es gibt Orte, da ist er billiger. Ich gestehe, viel habe ich nicht mehr. Deshalb teile ich ihn mir ein, bin sparsam, rauche nur, wenn ich es genießen kann.« Ich sah von Eberhard zu Lea und zurück. »Es ist dies ein seltsam ruhiger Moment.«

Eberhard machte eine bestätigende Geste. »Ich weiß, was Ihr meint. Für einen Moment kann man vergessen, was ist.«

Er nahm einen Schluck. »Mir ergeht es mit dem Wein ähnlich. Ich trinke ihn gerne, aber er benebelt die Sinne. Ich kann mich nicht an dem Rebensaft erfreuen und einen Gasthof führen, ich würde werden wie er …« Er sah auf einen Bauern, der laut schnarchend neben dem Kamin lag. »Niemandem von Nutzen. Aber im richtigen Moment und in Maßen kann ich diesen Saft genießen.«

»Euer Gasthof liegt an einer Handelsstraße. Sagt, habt Ihr jemals solche Münzen gesehen?« Ich entnahm meinem Beutel die Münzen, die ich bei dem wachenden Soldaten gefunden hatte, und ließ sie vor ihm auf den Tisch fallen. »Kennt Ihr diese Prägung?«

Er hielt die größte der Goldmünzen hoch und studierte sie kurz. »Ich bin gleich wieder zurück.« Er erhob sich. »Ich bringe auch eine neue Flasche mit.«

»Ich frage mich …«, sagte Lea langsam, als ich hinter Eberhard hersah, der durch die Tür hinter der Theke verschwand.

»Was?«

»Ob ich wohl ein warmes Bad bekommen kann.«

»Ihr wollt bei dieser Kälte baden?«, fragte ich sie entsetzt.

Sie lächelte. »Gerade weil es so kalt ist.«

»Ihr werdet Euch den Tod holen.«

»Nein, ich glaube nicht.« Sie lachte. »Ich glaube, Ihr habt noch nie etwas von einem Dampfbad gehört.«

»Man kann nicht im Dampf baden.«

Jetzt lachte sie richtig, glockenhell, jeder sah überrascht zu ihr herüber, auch ich schaute sie gebannt an.

»Es erscheint mir«, sagte sie dann, »dass es doch etwas gibt, das der weise Havald nicht kennt.«

»Die Erfahrung werdet Ihr noch öfter machen.«

Die Rückkehr des Wirts unterbrach uns an dieser Stelle. Er stellte eine Ebenholzkiste und eine neue Flasche Fiorenzer auf den Tisch. Während ich das Wachs vom Korken entfernte und den Korkenhaken eindrehte, öffnete er die Ebenholzkiste und nahm die Teile einer Geldwaage heraus, die er auf dem Tisch zusammenbaute.

In dem Kasten befand sich eine Reihe von Gewichten, sauber und ordentlich in Reih und Glied.

»Ihr habt den Richtigen gefragt«, teilte er uns mit. »Geld ist sozusagen eine Leidenschaft von mir.«

»Eine Leidenschaft, die von vielen geteilt wird«, meinte Leandra.

Der Wirt lachte kurz auf; auch seine Stimmung schien sich gebessert zu haben. »Ihr habt sicherlich Recht, aber meine Leidenschaft gilt den Münzen an sich, den Geschichten, die sie erzählen. Man kann durch eine Münze viel erfahren.«

Er richtete die Waage aus und ließ eins der Geldstücke in die linke Schale fallen. »Dies ist eine Wechselwaage. Seht Ihr dieses Zeichen hier? Es ist ein Eichzeichen der Geldwechslergilde in Illian. Diese Eichgewichte entsprechen in ihrem Gewicht der Königlichen Krone, der Halbkrone, dem Gulden und Taler aus der königlichen Münzerei. Dieses Gewicht hier«, er deutete auf das größte Gewicht in der Reihe, »entspricht den achtundzwanzig Schilling, die eine Krone ergeben.«

»Aber hat nicht jedes Reich seine eigene Währung?«, wollte Lea wissen.

»Ja, schon.« Er hob das Gewicht, das für eine Krone galt, aus dem Kästchen und ließ es in die andere Schale fallen.

»Aber die Reiche treiben untereinander Handel. Man muss die Geschichte unserer Länder kennen, um zu verstehen, warum dies so wichtig ist. Als diese Länder vor langer Zeit besiedelt wurden, stammten die Siedler alle aus dem gleichen Ort, dem legendären Reich des Nordens.«

»Askir«, hauchte Lea.

»Oder auch Askaron oder Antaron.« Er fixierte die Waage mit einem prüfenden Blick und schob ein Gewicht auf dem Wagbalken leicht zur Seite, nun pendelte die Waage sich aus und hielt das Gleichgewicht. »Es ist kein Gesetz, das unterzeichnet wurde, eher eine Gewohnheit oder auch Tradition. Wie auch immer die anderen Münzen gewichtet sind, eine Krone hat stets das gleiche Gewicht.«

»Ich weiß, dass das nicht stimmt«, sagte Lea. »Zu oft schon habe ich unterschiedliche Gewichte gesehen!«

»Ja. Ich hätte es anders ausdrücken sollen. Wenn eine Goldkrone aus der königlichen Münze kommt, hat sie stets das gleiche Gewicht.« Er griff in sein Wams. »Seht Ihr diese Münze? Eine illianische Krone, unschwer an dem hübschen Gesicht und dem Doppeldrachen zu erkennen. Eine Münze aus Euer beider Heimat, nicht wahr?«

Ich nickte.

»Woher wisst Ihr das?«, erkundigte sich Lea.

»Ich sitze hier an einer Straße durch den einzigen Pass weit und breit. Ständig kommen Fremde, ein jeder spricht etwas anders. Mit der Zeit entwickelt man ein Ohr dafür. Tatsächlich stammt diese Münze hier von Ser Havald. Achtet auf ihre Ränder.«

Ich nahm die Münze auf und musterte sie, konnte aber nichts Besonderes erkennen.

»Lasst mich sehen«, sagte Leandra, und ich reichte die Münze weiter. Auch sie schüttelte den Kopf.

Der Wirt lächelte. »Es ist auch nicht leicht zu erkennen, man braucht eine präzise Waage. Aber es gibt Leute, die von einer Münze am Rand etwas abfeilen. Diese hier ist von einem geschickten Prägemeister geschlagen worden, der Prägehammer traf fast exakt – Ihr seht den Rand der Prägung und hier und dort, wie das Gold zur Seite herausquillt. Legt Ihr sie auf den Tisch und achtet genau darauf, erkennt Ihr, dass sie leicht schief geschlagen ist.«

Ich studierte die Münze. Nein, ich sah es nicht.

»Je länger ein Stück im Umlauf ist, desto öfter wurde es abgefeilt. Seht diese Münze im Vergleich.« Er legte eine weitere Krone auf den Tisch. Hier war es deutlich zu sehen, die Prägeränder waren zum Teil verschwunden.

»Die königlichen Prägereien wiegen solche Goldstücke auf und schmelzen sie neu ein. Hier hat ein Randschneider eine königliche Krone so sehr entwertet, dass ein ganzer Schilling fehlt.«

Dies erklärte, warum ich mich manchmal wunderte, wenn eine Münze mir als zu klein erschien.

»Als größter Handelspartner gibt die königliche Münze in Illian das Gewicht der Krone vor. Die anderen königlichen Münzen sollen mit ihren Goldkronen dem Gewicht gleichkommen. Aber wenn sie dies nicht tun, so wiegen sie immer weniger, selten mehr. Es gibt Münzen aus unterschiedlichen Zeiten. Wenn die Kassen leerer sind, ist es nicht ungewöhnlich, weniger reines Gold einzumünzen … Das mindert dann den Wert erheblich. Einer Münze allein macht dies nicht viel, aber wenn bei hundert, sagen wir mal, Fiorenzer Kronen das Gewicht von neunundneunzig Illianer Kronen aufgewogen wird, dann macht es für die Schatzkammern der Reiche einen Unterschied.«

»Aha«, sagte Leandra ungeduldig. »Ich würde es vorziehen, wenn Ihr in Euren Ausführungen den Weg zum Wesentlichen fändet.«

»Sogleich.« Er nahm die Krone des Soldaten aus der Schale und hielt sie hoch. Vier weitere gab es in dem kleinen Haufen Münzen; diese sortierte er aus und legte sie nacheinander in die Waagschale.

»Wie Ihr seht, muss ich den Balken nicht neu austarieren. Es gibt keinen Unterschied im Gewicht. Dies liegt hieran, etwas, das ich bereits einmal gesehen habe. Seht den Rand.«

Er hielt die Münze hoch, und ich erkannte, was er meinte. Seitlich, auf dem Rand, war ebenfalls eine Prägung, eine Reihe kleiner Sterne.

»Wird an diesen Münzen gefeilt, fällt es einem jeden sofort auf. Das ist Soldgeld. Frisch geprägt. Diese Krone wiegt mehr als eine Illianer Krone. Nicht viel mehr, aber mehr. Schauen wir uns nun die Prägung selbst an. Sie ist gestochen scharf und gleichermaßen deutlich. Wenn ein Prägemeister mit einem Prägehammer zuschlägt, kann es passieren, dass er nicht richtig trifft. Dann ist die Prägung leicht verzerrt. Hier nicht. Und seht …« Er stapelte die fünf Münzen aufeinander, und sie bildeten einen glatten Zylinder. »Eine wie die andere. Hier wurde ein mechanischer Prägestempel verwendet. Er liefert bessere Ergebnisse, doch ist es zeitaufwändiger, als eine Münze mit dem Hammer zu prägen. Die eine Seite zeigt das Gesicht eines jungen Mannes im Profil. Die Schrift hier … Wir können sie lesen, denn es ist die Schrift unserer Vorfahren. Askannon, der ewige Herrscher.« Er wendete die Münze. »Und hier der Bulle. Soldgeld.« Er schaute zu mir. »Ihr hattet Recht, es waren Elitesoldaten. Soldaten des alten Reichs im Norden, Angehörige der Bullen, die, so die Legenden, die besten Soldaten waren, die die Weltscheibe je sah.«

»Der Bullen?«, fragte Leandra.

Ich konnte es bestätigen. »Ich habe die alten Schriften studiert, als ich das Wesen der Strategie erlernte. Der Herrscher des westlichen Reichs ließ unterschiedliche Einheiten für unterschiedliche Aufgaben ausbilden. Ich dachte es mir schon, als ich das Wappen auf den Brustpanzern sah. Die Bullen waren schwere Infanterie, Fußtruppen, so gut wie unaufhaltsam. Es gab andere, ich weiß nicht mehr genau, welche noch. Ich hörte von einer Seestreitmacht, die Marinesoldaten trugen eine Seeschlange als Wappen. Eine andere fällt mir noch ein, die leichte Reiterei.« Ich schmunzelte. »Sie bestand nur aus Frauen. Sie trugen das Zeichen des Einhorns.«

Der Wirt nickte und breitete die fünf Goldmünzen vor uns aus. »Diese Münzen stammen, genau wie die Soldaten dort unten, aus dem westlichen Reich, dem Reich Askannons. Die Kronen hier haben das Eichgewicht, an dem sich die Illianische Krone orientierte, nur, wie so oft, verlor sie an Gewicht. Achtet auf den Glanz dieses Goldes. Keine Münzerei, die ich kenne, prägt derart reines Gold.«

»Aber wie kann das sein? Es ist Jahrhunderte her, dass diese Länder besiedelt wurden. Askir ist eine Legende«, Lea schien verwirrt.

»Und doch wolltet Ihr es aufsuchen und dort Hilfe finden. Das ist alles ziemlich vage.«

Sie warf mir einen Blick zu. »Ja. Aber unsere Lage ist bedrohlich genug. Sie sind unsere Ahnen, vielleicht …«

Ich nickte. »Eine Legion Bullen würde unserem geschätzten Feind Thalak mit Sicherheit quer im Hals stecken bleiben.«

»Ich befürchte, es wird mehr brauchen als eine Legion Bullen, um das Imperium aufzuhalten«, meinte der Wirt. »Ich höre vieles hier, was Reisende berichten. Ich fürchte, dass selbst Illian dem Ansturm der imperialen Truppen nicht gewachsen ist. Sogar Kelar fiel, und seine Mauern galten als uneinnehmbar. Nicht nur das, sie wurden kaum mehr als acht Jahre belagert.«

Für einen Moment schwiegen wir alle.

»Nun gut«, sagte ich dann. »Wir haben hier andere Probleme. Ich frage mich nur, wie diese Bullen den Weg hierher fanden.«

»Fragt eher, wann. Eis währt ewig.«

Ich sah den Wirt erstaunt an. »Wie meint Ihr das?«

Er schenkte sich Wein ein und nahm einen Schluck. »Als mein Vorfahr sich entschloss, hier am Pass einen Gasthof zu führen, fand er diese Mauern bereits vor. Der Wald hier war damals dichter und hatte die Gemäuer verborgen. Er entdeckte sie als junger Mann, als er einem Hirsch auf der Fährte war. Er war ein Jäger aus Leidenschaft und Passion, ihm hätte der Himmel als Decke gereicht. Er verliebte sich jedoch, und seine Frau zog ein festes Dach den Gestirnen vor. Sie kam aus Unterstedt, nicht weit von hier, acht Tagesmärsche zu Fuß.« Er lächelte leicht. »Noch heute ist Unterstedt durch seine Gerbereien bekannt, es scheint, als ob ihm der ewige Gestank unerträglich war. Dies empfand er als einen guten Kompromiss, die Freiheit der Natur für ihn, ein gutes Dach für sie.« Er schmunzelte. »Er schlug eine Schneise durch den Wald, hier an dem Gasthof vorbei, und verursachte an einem Hohlweg einen Erdrutsch, der den alten Handelsweg blockierte. Die nächsten Reisenden wählten den Weg durch die Schneise und fanden hier einen Gasthof vor. Und so begann alles.«

»Dieser Hof stand bereits?«, fragte ich.

»Ja, niemand weiß, wie lange schon. Als ich jünger war, stieg ich mal zum Pass selbst auf, erklomm die Berge in der Gegend, sah auch die alte Festung.«

Ich schaute auf. »Ich habe von ihr gehört. Wäre sie kein besserer Ort gewesen?«

»Nein. Vor langer Zeit schon muss der Weg zu ihr weggebrochen sein. Sie steht hoch am Felsen, nichts für Wagenräder, unerreichbar selbst für einen geübten Kletterer. Vielleicht wäre es im Sommer, wenn der Fels nicht vereist ist, möglich, vom Gipfel aus zu ihr herabzusteigen, aber ich glaube es nicht. Die Festung ist unerreichbar und wird ihre Geheimnisse weiter wahren. Wie dem auch sei, eines Tages habe ich etwas im Eis gesehen. Einen Ragtor.«

»Ich dachte, das wären legendäre Wesen«, warf Lea ein.

»Das dachte ich auch. Das Eis war klar, ich konnte die Kreatur deutlich sehen, fast schien es, als musterte sie mich auch. Sie war doppelt mannshoch, hatte sechs Beine, war schwarz geschuppt wie ein Drache und trug über dem Furcht erregenden Maul zwei scharfe Hörner. Das Eis hält sie wohl heute noch gefangen … Eis ist ewig.«

»Ihr meint …«, hauchte Lea.

Der Wirt nickte. »Ich denke, dass sowohl die Festung am Pass als auch dieser Ort hier errichtet wurden, als unsere Vorfahren dieses Land besiedelten. Hier endete früher unser Land, und wo heute Coldenstatt liegt, herrschten wilde Barbarenstämme, Orks und Ungeheuer. Grund genug, diesen Pass zu bewachen.« Er nahm einen Schluck Wein. »Ich befürchte, diese tapferen Recken befinden sich seit der Zeit der Legenden dort unten.«

»Hmm.« Ich zog an meiner Pfeife. »Das wirft eine andere Frage auf. Ihr wusstet nicht, was sich dort unten verbarg?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte keine Ahnung. Der Turmkeller ist selbst so tief ins Gestein geschlagen, dass ich nicht auf die Idee kam, jemand hätte noch tiefer graben wollen.«

»Dann bleibt die Frage, wer davon wusste«, sagte Leandra.

»Genau diese Frage stelle ich mir auch. Wer ahnte etwas von dem Schacht und dem Raum darunter? Und was genau wurde dort gesucht?«

»Ich denke, es wird derjenige sein, der damals das Seil durchgeschnitten und so diese Bullen dem eisigen Tod überantwortet hat.«

»Das wäre dann Jahrhunderte her«, sagte ich.

Eberhard sah Lea an. »Manche leben lange. Und andere beichten auf dem Sterbebett, wieder andere erzählen, vom Geist der Reben beflügelt, Geschichten im Wirtshaus. Und manchmal schreiben sie auch nieder, was sie erlebt haben.«

»Ich weiß, dass die Mönche von Astarte die Sterbebeichte schriftlich festhalten«, warf Lea ein. »Ich möchte nicht wissen, wie viele Geheimnisse in den Archiven der Tempel lagern.«

»Das hilft uns nicht weiter«, sagte ich. »Es gibt tausend Möglichkeiten.«

»Wenn Ihr mir helft, wissen wir morgen mehr. Wenn der Eindringling zum Schacht zurückkehrt, dann kann ich herausfinden, wer es ist«, sagte Leandra. Sie sah den Wirt an. »Habt Ihr Ingwer?«

Er nickte.

»Ich brauche etwas davon, eine Teeschale voll.«

»Das ist ein Vermögen wert.«

Sie sah ihn nur an, und er nickte. »Es soll mir nun wirklich nicht der Geiz den Garaus machen. Was sonst?«

»Silber. Geriebenes Silber. Und etwas Salpeter.«

Eberhard nickte. »Ich kann Euch das alles besorgen.«

»Gut. Trefft uns in einer halben Kerze am Abgang zu Eurem Keller. Braucht Ihr Euren Schlüssel wieder?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe einen weiteren.«

»Vielleicht lösen wir so auch das Geheimnis, weshalb eine geschlossene Tür kein Hindernis war«, sagte er dann und erhob sich.

»Haltet ein, ich habe etwas für Euch.« Leandra hielt ihn am Ärmel fest. »Genauer gesagt, für Eure Tochter.« Sie gab ihm die goldene Traube.

»Wenn sie die isst, wird sie für die Dauer eines Mondwechsels nicht Gefahr laufen, ein Kind zu empfangen.«

Eberhards Miene verdüsterte sich, aber er nickte und nahm die Traube an. »Ich danke Euch für diese Gabe. Sagt, was ist mit dem Werwolf?«

Ich schüttelte den Kopf. »Wir haben noch keine Idee. So hart es klingt, wir müssen warten. Aber es wäre von Nutzen, wenn wir wüssten, wann und wo jeder Einzelne schläft.«

Er nickte. »Wenn ich heute Nacht wieder nicht schlafen kann, werde ich darauf achten.«