26. Wolfsbruder

 

Als wir den Gastraum betraten, war mir allerdings sofort bewusst, dass andere sich nicht an meine Pläne hielten. Wir kamen gerade rechtzeitig für den Ärger.

Janos und seine Männer standen um den Tisch einer Gruppe anderer Gäste herum, Janos selbst hielt einen Mann am Hals hoch und schüttelte ihn wie einen jungen Hund; eine beachtliche Kraftanstrengung, die ich nicht hätte aufbringen können.

Jeder andere im Gastraum sah gebannt zu, auf vielen Gesichtern las ich, dass sie froh waren, nicht selbst Opfer von Janos’ Attacke zu sein.

Als wir hereinkamen, sahen einige zu uns herüber; Janos nahm das wahr und warf einen Blick über seine Schulter. Er schaute uns an, lachte laut und ließ den Mann los. Dieser sank auf seine Knie, keuchte und röchelte und hielt sich mit beiden Händen den Hals.

»Du kommst gerade rechtzeitig, alter Mann«, rief Janos quer durch den Raum. »Wir wissen jetzt, wer der Werwolf ist, wahrscheinlich gibt es eine ganze Brut von ihnen. Ein Problem, das wir jetzt lösen werden!«

»Das ist nicht wahr!«, rief einer der anderen Männer an dem Tisch. Einen Moment lang konnte ich ihn nicht zuordnen und wusste nicht, wer er war, dann fiel es mir wieder ein. Er gehörte zu einer Gruppe von Bergarbeitern. Jemand hatte erwähnt, dass sie in den Kupferminen arbeiteten und auf dem Weg nach Hause waren, als der Sturm sie überraschte. So beschäftigt war ich mit anderen Dingen gewesen, dass ich fast vergessen hatte, dass es sie gab. Sie hatten auch nichts getan, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, hatten sich ruhig und still verhalten, wahrscheinlich um Janos’ Zorn nicht auf sich zu ziehen. Wie man nun sah, hatte ihnen das nicht geholfen.

»Womit haben Euch denn die guten Leute erzürnt?«, fragte ich, als ich näher herantrat. Einer seiner Männer verstellte mir den Weg. »Verschwinde, Alter.«

»Janos«, der Banditenführer sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, »sagt Eurem Kerl hier, er möge sich entfernen.«

Janos zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihm nicht befohlen, dir den Weg zu versperren. Das hat mit mir nichts zu tun, wahrscheinlich mag er dich einfach nicht. Entferne ihn doch selbst, alter Mann.«

Ich sah den Mann vor mir an. Er grinste gehässig zurück. Es war derselbe, der gestern von Janos den Hals verziert bekommen hatte. Ich warf einen Blick zu Janos herüber, und in seinen Augen las ich gespannte Aufmerksamkeit. Ich ahnte, worauf er spekulierte. Dieser Mann hier hatte ihm wiederholt Schwierigkeiten gemacht.

»Ja, alter Mann, entferne mich doch selbst.« Der Brigant grinste mich an und spuckte einen Klumpen durch eine Zahnlücke auf die Spitze meines Stiefels.

»Ich hab da etwas verloren, heb es auf«, sagte er dann, sein Grinsen noch breiter und bösartiger.

Eine Totenstille füllte plötzlich den Raum, alle Augen waren auf mich gerichtet, selbst die Bergarbeiter schienen vergessen. Ich seufzte. Ich wusste nicht mehr, wie häufig ich eine solche oder ähnliche Situationen schon erlebt hatte.

Üblichweise gab es mehrere Möglichkeiten, eine derartige Lage zu umschiffen, aber hier und jetzt erschien mir nur eine Methode angebracht. Als ich ihn anstarrte, fragte ich mich, ob er wusste, wozu er missbraucht wurde. Diese Konfrontation hatte kommen müssen, früher oder später, aber sie entsprach nicht ganz dem, was ich erwartet hatte. Janos überraschte mich wieder.

»Keiner mischt sich ein. Wenn Torfjet den alten Mann nicht allein schafft, dann taugt er selbst auch nicht viel. Es ist sein Bier, er handelt ohne Befehl.«

Dem Rest seiner Leute schien das einerlei zu sein. Sie wirkten, als ob sie es kaum erwarten konnten, Blut fließen zu sehen.

»Pass auf«, sagte ich zu Torfjet. »Du entschuldigst dich und gehst beiseite. Dabei können wir es dann belassen.«

»Ich sagte, du sollst es aufheben.«

Ich seufzte. Klar, dass das kommen musste. Vernunft war nicht seine starke Seite. Ich musste zugeben, auch ich hatte die Geduld verloren.

»Vergiss es.«

Entweder war ich noch langsamer, als ich befürchtete, oder dieser Sturkopf war schneller als gedacht, auf jeden Fall kam sein Dolch meinem Hals gefährlich nahe, bevor ich zurückweichen konnte.

Er lachte. »Seht mal, wie der alte Mann springen kann!«

Die anderen Banditen grölten ebenfalls, bis auf Janos, der die Sache mit vor der Brust verschränkten Armen begutachtete. Die Art, wie Torfjet den Dolch hielt, sagte mir, dass er ein geübter Messerkämpfer war. Er hatte Recht damit, den Dolch zu wählen, ein Schwert war in einem vollen Raum oft die schlechtere Alternative.

Er stach zu, aber diesmal wich ich nicht nach hinten aus, sondern trat an ihn heran, und mein linker Arm lenkte seine Hand nach oben ab, während meine geballte Faust ihn am Kehlkopf traf. Ein Schritt zur Seite, sein rechtes Handgelenk dabei fest umgriffen, eine Drehung aus dem Körper heraus … Es knirschte, und er ging röchelnd vor mir auf die Knie. Ich nahm seinen Dolch aus seiner kraftlosen Hand, ließ seinen Arm los und trat zurück.

Torfjet fiel auf die Seite, hielt sich seinen Hals, krümmte sich und sah mit Augen zu mir hoch, in denen ich langsam die Angst aufkommen sah. Einer der anderen Briganten sprang auf, aber Janos hielt ihn, ohne hinzusehen, mit der flachen Hand auf der Brust zurück.

Der Banditenführer fing an zu lachen, noch während sich Torfjet am Boden krümmte. »Guter Schlag!«

Er sah sich um, sah die Gesichter seiner Leute und lachte erneut schallend. »Ich sagte euch doch, dass der alte Mann etwas Besonderes ist. Das wird euch lehren, meine Befehle zu missachten!«

Der Rest seiner Männer warf ihm und mir unsichere, teils wuterfüllte Blicke zu, aber keiner sah aus, als ob er sich mir entgegenstellen wollte. Also schauten sie zu, wie Torfjet starb.

Ich tat so, als ob ich dem sterbenden Banditen keine weitere Beachtung schenkte, während ich über ihn stieg und mich zu Janos an den Tisch der Bergarbeiter gesellte. Diese sahen mich beinahe so angstvoll an, wie sie die Banditen musterten, aber ich sah auch Hoffnung, dass sie vielleicht doch gerettet werden würden. Gerettet vor was? Vor Janos, ja, aber warum?

»Was ist hier geschehen?«

»Ich habe durchzählen lassen«, erklärte Janos mit einem gehässigen Grinsen. »Es fehlt nur ein Mann. Einer der Bergarbeiter war der Werwolf. Ich habe diesen hier …« Er zog den Mann, den er sich vorhin bereits gekrallt hatte, an den Haaren vom Boden hoch, »zu unserem Werwolf befragt, dabei wäre es geblieben, bestände dieser Kerl hier nicht darauf, dass sein Bruder kein Werwolf sein könne. Nun, ich weiß es besser, und es erscheint mir nun auch klar, warum er lügt. Es war sein Bruder, also ist er wahrscheinlich selbst so ein verfluchtes Biest. Vielleicht die ganze Bande hier. Ich bin dafür, ihnen allen den Kopf abzuschlagen und sie rauszuwerfen.«

»Seid Ihr sicher, dass der Werwolf einer von ihnen ist?«

»Sonst sind alle da. Nur einer fehlt. Der Bruder dieses Kerls hier!«

»Ich schwöre es bei den Göttern, mein Bruder war kein Werwolf! Ich bin es auch nicht!«, rief der Mann ängstlich.

»Leicht gesagt«, brüllte Janos und lachte. Er schien die Angst des Mannes zu genießen.

»Und wahr«, rief Leandra von hinten.

Wir blickten alle zu ihr.

»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Janos misstrauisch.

Leandra machte eine vage Handbewegung. »Ich bin eine Maestra. Und da ich nun diesen Zahn besitze, kann ich einen Werwolf erkennen.« Sie hielt den Zahn des Werwolfs hoch, und alle Blicke wanderten von ihr zu dem Kopf des Werwolfs, den Janos geschmackvoll an einen Kerzenhalter an der Wand gehängt hatte, dem Kopf, an dem deutlich sichtbar ein Reißzahn fehlte.

Erstauntes Gemurmel war zu hören. Einige Leute nickten, als ob ihnen das einleuchtete. Im Hintergrund sah ich Zokora überrascht aufblicken, die Stirn in Furchen legen und dann lächeln.

»Gut. Wenn die Maestra das sagt, wer bin ich, ihr zu widersprechen?«, sagte Janos. Er grinste, als wäre all das ein großartiger Witz gewesen. »Da habt ihr aber Glück gehabt.« Er blickte zu Torfjet hinunter und dann zu seinen Männern. »Schafft ihn raus!«

Ich sah ihm nach, wie er zu seinem Tisch hinüberging, blickte zu den Bergarbeitern, die vor Erleichterung in sich zusammensanken, und ging ebenfalls zurück zu unserem Tisch.

Leandra folgte mir. Sie hatte den Zahn schon wieder weggesteckt, als wir uns niederließen.

»Ich dachte, du bräuchtest dazu ein längeres Ritual.«

»Richtig«, sagte sie und lächelte. »Ich habe auch nichts anderes behauptet.«

»Und wenn Janos Recht hat?«

»Das glaube ich nicht.«

Ich war zu müde zum Denken. »Der Bergarbeiter ist der Einzige, der fehlt. Ich will nicht ausschließen, dass es hier jemanden gibt, den wir noch nicht gesehen haben, aber ich halte es für wahrscheinlicher, dass er wirklich der Werwolf war.«

»Das glaube ich auch«, sagte Leandra.

»Das verstehe ich jetzt nicht.«

»Du kannst wirklich kaum geradeaus schauen. Willst du dich nicht schlafen legen, und ich erzähle dir nachher, was ich herausgefunden habe?«

Ich nickte und machte es mir auf meinem Stuhl bequem. Der kurze Kampf mit dem Banditen Torfjet hatte mir den Rest gegeben, und all die Enthüllungen erschöpften mich zusehends; eine weitere hätte mich zu diesem Zeitpunkt schlichtweg überfordert.

»Willst du nicht hochgehen?«

Ich hätte ihr gerne erklärt, dass es mir zu kalt war, dass ich mich lieber unter Menschen befand, dass ich nicht allein schlafen wollte. All das dachte ich auch, aber ich war zu müde, um den Mund zu bewegen. Also schloss ich einfach die Augen.

Als ich wieder erwachte, saß Leandra neben mir, ebenfalls bequem mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Meine Kapuze war weit in mein Gesicht gezogen, wahrscheinlich damit mich das Licht der Öllampe nicht störte, die sich nun über und hinter uns auf einem Sims befand.

Ich schlug die Kapuze zurück und sah mich um. Es schien alles ruhig, sogar unsere Banditen verhielten sich gesittet und tuschelten an ihrem Tisch. Sieglinde war wieder da, und für einen Moment schien es, als wäre nie etwas geschehen. Es war ihr Lachen, das mich aus dem Schlaf geweckt hatte.

Sie schien gut aufgelegt und flirtete, und es wirkte nicht wie Schauspielerei.

»Hallo, schlafender Prinz«, sagte Leandra.

»Wie lange habe ich geschlafen?«

»Es wird langsam wieder dunkel, ich schätze zwei bis drei Stunden.«

Ich streckte mich, fühlte mich dabei stocksteif, und mein Rücken tat weh. Auf einem Stuhl zu schlafen war etwas für junge Leute. Dennoch fühlte ich mich besser, als ich mich seit langer Zeit gefühlt hatte.

Ich winkte Sieglinde herbei. Sie lächelte mich munter an und versprach, den verlangten Braten schnell zu bringen.

Ich sah ihr hinterher. »Was ist denn mit ihr los?«

Leandra sah von dem Buch auf, schaute ebenfalls zu Sieglinde hinüber und dann zu mir. »Sie ist schon eine Weile so, seitdem sie am Mittag anfing zu arbeiten.« Sie zögerte. »Ich muss dir Recht geben, Havald, ihr Lachen und Flirten lockert die Stimmung wirklich auf. Nur weiß ich nicht, wie sie es macht. Es scheint, als habe sie jede Angst verloren.«

Ich schloss die Augen und massierte mir die Schläfen. »Ich hoffe nur, sie denkt nicht, dass die Lage unter Kontrolle ist. Janos hat den Zwischenfall vorhin provoziert.«

»Ich weiß.« Sie klappte das Buch zu und beugte sich zu mir. »Dieser Torfjet war ihm unangenehm, er war derjenige, der am meisten und lautesten protestierte und seine Entscheidungen anzweifelte. Er sah eine Gelegenheit und hat sie elegant ergriffen.«

»Ich hatte befürchtet, du hättest es nicht bemerkt.«

Sie lachte. »Am Hof sind solche Intrigen etwas, was man als Kind verstehen lernen muss, sonst ist man verloren. Willst du erfahren, was ich inzwischen herausgefunden habe?«

Timothy erschien mit einer großen Bratenplatte und einer Flasche Wein.

»Wenn es dich nicht stört, dass ich dabei esse. Ich komme um vor Hunger.«

»Nur zu. Anschließend«, sie lächelte geheimnisvoll, »habe ich noch etwas für dich, was dich aufmuntern wird.«

»Mach es etwas spannender, Sera. Wenn du mit allem gleich herausplatzt, wo ist da die Pointe?«

Sie lehnte sich zurück. »Ich kann auch gerne warten, bis ich deine volle Aufmerksamkeit besitze.«

Ich warf ihr einen Blick zu. Sie hob abwehrend die Hände. »Schon gut, Ser Ungeduld. Also, der Reihe nach. Ich habe ein wenig mit unseren ängstlichen Bergarbeitern geplaudert, und mittlerweile ist bestätigt, dass der Bergarbeiter tatsächlich unser Werwolf war.«

»Wie das?«

»Es scheint so, dass, wenn man lange in der Mine arbeitet, sich der Geist der Berge in den Kindern der Arbeiter niederschlägt, sie mit kleinen Dingen zeichnet. Zum Beispiel so etwas wie zusätzliche Fußzehen. Oder Augen, die von unterschiedlicher Farbe sind. Unser Bergarbeiter dort drüben heißt Simon, sein Bruder, der Werwolf, dem du vorhin das Leben genommen hast, hieß Matkor.«

»In Ordnung. Simon und Matkor.« Der Braten war vorzüglich, und mittlerweile hatte ich mich an die Gabel so gewöhnt, dass es mir tatsächlich leichter erschien, mit ihr zu essen. Leandra verzog etwas das Gesicht, als ich ein größeres Stück abschnitt und in den Mund schob.

»Du frisst wie ein Tier, Ser.«

Ich warf ihr einen Blick zu. »Ich habe auch Hunger wie ein Wolf. Wenn wir das nächste Mal gemeinsam am Hof speisen, kannst du mich maßregeln. Jetzt aber will ich darauf gerne verzichten. Was ist mit den Brüdern?«

»Ein unglücklicher Vergleich, das mit dem Wolf.« Sie sah meinen Blick und beeilte sich fortzufahren. »Simon sowie Matkor sind in vierter Generation Bergleute. Beide haben einen zusätzlichen kleinen Zeh am linken Fuß. Der Werwolf auch.«

Irgendwie hatte ich nicht wirklich damit gerechnet, dass unser Werwolf ein Bergarbeiter war. Das passte aus irgendeinem Grund nicht so ganz.

»Simon erzählte mir, dass er und Matkor seit Jahren zusammenlebten und -arbeiteten. Ich habe ihn zu dem Werwolf gebracht, er hat sich auch den Schädel angesehen, und er erkannte nach einigem Zögern seinen Bruder wieder. Aber er sagt, es sei unmöglich, dass er ein Werwolf wäre, alldem zum Trotz. Und, was wichtiger ist, sein Bruder habe in der Nacht, als der Stalljunge ermordet wurde, sein Lager nicht verlassen!«

»Glaubst du ihm?«

»Ich erzählte dir doch von einem Zauber, der mir erlaubt herauszufinden, ob jemand die Wahrheit spricht oder nicht. Simon war einverstanden, eine Grundbedingung des Zaubers, und so weiß ich nun, dass seine Worte wahr sind.«

»Oder er sie nur für wahr hält.« Ich matschte die Kartoffeln klein und tunkte sie in die Soße. Lea rümpfte die Nase.

»Schmeckt mir so besser«, sagte ich, natürlich mit vollem Mund.

»Wo hast du denn essen gelernt?«

»Zusammen mit den Schweinen.« Sie sah mich überrascht an. Diesmal kaute ich fertig. »Es ist die Wahrheit, ich aß das, was die Schweine übrig ließen.«

Sie wollte etwas sagen, aber ich hob die Hand, zusammen mit der Gabel und dem nächsten Bissen. »Es ist eine alte und lange Geschichte, ich erzähle sie dir ein anderes Mal. Fahr fort.«

Sie kämpfte kurz mit sich und tat dann wie geheißen. »Du hast bei dem Werwolf diese schwere silberne Kette gefunden, nicht wahr?« Sie ließ die Kette auf den Tisch fallen.

Ich musterte das Schmuckstück, irgendjemand hatte das durchtrennte Kettenglied repariert. Ich hob es an, ließ es durch meine Finger gleiten und fand keine Spuren der Arbeit. Die Kette schien, als wäre sie nie beschädigt worden.

»Hat sie sich selbst wieder repariert?« Bei alldem, was ich in den letzten Tagen gesehen hatte, wäre dies etwas gewesen, was mir wirklich unheimlich erschien.

»Nein, das war ich.«

»Du hast verborgene Talente.«

»Ein weiterer kleiner Zauber.«

Ich hatte schon das eine oder andere Mal das zweifelhafte Vergnügen gehabt, Maestros kennen zu lernen, selten erschienen sie mir praktisch begabt. Leandra hier beherrschte dagegen fast nur praktische Zauber. »Gut, du hast die Kette also wieder repariert. Was ist damit?«

»Diese Kette ist alt und aus massivem Silber. Heb sie hoch, sie wiegt fast ein Pfund.« Es war nicht nötig, sie hochzuheben, ich erinnerte mich noch zu gut an ihr Gewicht. Ich wunderte mich ein wenig, dass ich nicht wach geworden war, als sie die Kette aus meiner Tasche genommen hatte.

»Diese Kette ist ein Vermögen wert«, fuhr sie fort. »Und Simon sagte, er habe sie niemals zuvor bei seinem Bruder gesehen.«

Ich forderte sie mit einer wedelnden Handbewegung auf, weiterzumachen. Ich hatte den Mund voll.

»Der Anhänger ist ein Wolfskopf. Erscheint es dir nicht auch so, als ob diese Kette etwas mit dem Werwolf zu tun haben könnte?«

Ich nickte bloß und kaute weiter.

»Das glaube ich auch. Nach dem Gespräch mit Simon wollte ich etwas in Erfahrung bringen und fand meine Vermutung sofort bestätigt.«

Ich schluckte, nahm etwas Wein und schaute sie fragend an.

»Es liegt starke Magie auf diesem Talisman, denn nichts anderes ist es. Legt jemand die Kette um, wird er zum Wolf. Ich zeige es dir, wenn du fertig gegessen hast.« Sie sah sich um. »Aber nicht hier.«

»Du willst behaupten, dass diese Kette etwas mit Matkors Werwolfdasein zu tun hat, dass sie ihn zum Wolf gemacht hat?«

»Genau das, ja. Wahrscheinlich hat jemand sie ihm umgelegt, um Verwirrung zu stiften, Furcht zu säen oder die eigenen Spuren zu verwischen. Oder alles gleichzeitig.«

Auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, wie das denn sein mochte, nahm ich es vorerst hin. Wenn sie es mir später zeigen würde, würde das wahrscheinlich auch die Fragen beantworten, die ihre Worte aufwarfen.

»Gut.« Ich sah auf meine Platte hinab. Lange würde es nicht mehr dauern, bis ich sie leer hatte. Selten hatte mir ein Mahl so gut gemundet, aber ich kam mir immer noch vor, als hätte ich eine Woche lang nichts gegessen.

Sie sah mir einen Moment zu, wie ich aß, dann musterte sie eingehend mein Gesicht. »Der Schlaf hat dir gut getan, Havald. Du siehst sehr erholt aus.« Sie zögerte, als wollte sie etwas hinzufügen, unterließ es aber. Ich wusste, was sie sah, aber noch nicht recht glauben wollte. Morgen würde es jeder erkennen. Aber was morgen sein würde, konnte auch bis morgen warten.