13
Von Nelleke war nichts zu sehen, und so öffnete
diesmal Quentin Nightingale persönlich die Tür des Herrenhauses, um
Wexford einzulassen. In dem schmucklosen Arbeitszimmer ahnte
Wexford jedoch, daß ihre Anwesenheit noch nicht lange zurücklag.
Sie war hier bei Quentin gewesen, das spürte er, hatte ihn umarmt
und geküßt, um dann wegzulaufen, als es an der Tür geklingelt
hatte.
Quentin machte einen abwesenden Eindruck, wirkte
wie ein Verliebter, der in der Vergangenheit schwelgt und die nahe
Zukunft herbeisehnt. Wexfords Nachricht holte ihn unsanft auf den
Boden der Realität.
»Ich habe jedes Schmuckstück, das Elizabeth besaß,
selbst für sie gekauft«, sagte er. »Die meisten Quittungen habe ich
noch, falls Sie sie wollen.«
»Später. Erst würde ich gern noch einmal die Steine
sehen.«
Quentin hängte den Stubbs ab und öffnete den Safe.
Mit beiden Händen raffte er die Juwelen aus den Kästchen und ließ
sie sich durch die Finger rieseln wie ein Kind, das bei seinem
ersten Ausflug ans Meer Muscheln und Steine durchsiebt, und in
dessen Vergnügen sich das Staunen über das Unbekannte mischt.
Aus dem Haufen wählte er den Verlobungsring seiner
verstorbenen Frau aus und ging mit ihm ans Fenster, doch die
einsetzende Dämmerung vereitelte seine Absicht, weshalb er
zurückging und die Schreibtischlampe einschaltete.
»Meine Brille«, sagte er. »Direkt neben Ihrem
Ellbogen. Wären Sie so freundlich?«
Wexford reichte sie ihm.
»Das ist eine Imitation.« Quentins Stimme bebte
leicht. »Es ist nicht der Ring, den ich Elizabeth zu unserer
Verlobung geschenkt habe.«
»Woran sehen Sie das?«
»Nicht weil ich mich mit Edelsteinen auskenne. Ich
werde mich an einen Fachmann wenden müssen, um uns über die anderen
Stücke Gewißheit zu verschaffen. Gibt es so jemanden hier in der
Gegend, oder sollte ich einen aus London kommen lassen?«
»Wir können hier einen finden. Sie haben mir aber
noch nicht gesagt, woran Sie erkennen, daß der Ring falsch
ist.«
»Als ich ihn kaufte, habe ich auf der Innenseite
ein paar Worte für sie eingravieren lassen«, sagte Quentin
verbittert. Wexford nahm ihm den Ring aus der Hand und war sich
darüber im klaren, daß Nightingale nicht die Absicht hatte, ihm den
genauen Wortlaut mitzuteilen. »In diesem hier steht nichts.«
»Nein.«
Quentin setzte sich. Mit einer raschen,
reflexartigen Bewegung schob er den funkelnden Haufen von sich weg
und stieß eine mit Brillanten - Brillanten oder Simili? - besetzte
Reviere auf den Teppich. Wie eine glitzernde Schlange lag sie vor
Wexfords Füßen.
»Ich nehme an, es sind alles Kopien«, sagte
Quentin. »Perfekte Kopien, finden Sie nicht? Alle außer einer.
Vorzügliche Imitationen der echten Stücke. Mit Ausnahme dieses
Rings. Sie ließ die Steine nachmachen und auch das Platin, aber die
Inschrift nachmachen zu lassen, war ihr zuviel, weil sie ihr nichts
bedeutete. Wie gleichgültig ich ihr doch gewesen sein muß...«
War es diese Quentin nun endgültig und
unumstößlich zum Bewußtsein kommende Gleichgültigkeit, die für ihn
den Ausschlag gab? War es diese Erkenntnis, die ihn zu jenem
unvermuteten und möglicherweise leichtsinnigen Schritt führte? Viel
später, nachdem der Fall abgeschlossen war, stellte sich Wexford
oft diese Fragen. Doch als er am Morgen darauf von dem Juwelier
wieder zum Herrenhaus fuhr, hatte er nicht einen Gedanken darauf
verschwendet, und die Nachricht traf ihn völlig
unvorbereitet.
Nelleke führte ihn in den Salon, und als er ihr
folgte und die Schmuckschatullen schon aus dem braunen Papier
auswickelte, stellte er fest, daß Quentin nicht allein war. Denys
Villiers stand bei ihm an der Terrassentür und schüttelte Quentin
beide Hände. Wexford hörte den Schluß einer offenbar längeren
Rede.
»... Jedenfalls gratuliere ich dir von ganzem
Herzen, Quen. Ich freue mich aufrichtig für dich.« Dann fiel
Villiers’ Blick auf Wexford. Er ließ die Hände seines Schwagers los
und setzte eine hochmütige Miene auf.
»Darf ich fragen, welchen Anlaß es zum Gratulieren
gibt, Sir?«
Villiers zuckte die Achseln und wandte ihm den
Rükken zu, Quentin aber, der rot geworden war, streckte die Hand
nach Nelleke aus, und das Mädchen lief zu ihm.
»Vielleicht wäre es taktlos, wenn ich es Ihnen
sagte, Chief Inspector. Sie könnten zu viel darin hineinlesen.«
Villiers rümpfte verächtlich die Nase.
“Fürs erste möchte ich es gerne geheimhalten«,
sagte Quentin.”Nelleke und ich werden heiraten.«
Wexford stellte das Paket auf ein Tischchen.
»Tatsächlich?« Wie sie da standen, wirkten sie wie Vater und
Tochter. Es bestand sogar eine leichte Ähnlichkeit zwischen ihnen,
die Art von Familienähnlichkeit, die zwei Vertreter des gleichen
klassisch nordeuropäischen Typs stets aufweisen. »In diesem Fall
möchte ich mich Ihrer Gratulation anschließen«, sagte er und
leistete insgeheim erneut Abbitte bei Burden, dessen Ansichten
vielleicht doch nicht so altmodisch waren.
»Selbstverständlich werden wir sechs Monate warten.
Ein Jahr wäre vielleicht...«
»Ein ganzes Jahr werde ich nicht warten, Kventin.
Halbes Jahr vielleicht. Wäre nicht anständig, mich ein Jahr auf
Wohnung in London, die neue Sportwagen und Reise um ganze Welt in
Flitterwochen warten zu lassen.«
Sie hatte es also doch aufs Geld abgesehen, dachte
Wexford traurig. Er hatte sich geirrt. In letzter Zeit schien er
sich überhaupt nur zu irren.
»Ich möchte jetzt gern allein mit Ihnen sprechen,
Sir«, sagte er.
»Ja, selbstverständlich.«
Villiers riß jäh die Terrassentür auf und ging
verärgert aus dem Zimmer. Nelleke warf ihnen ein strahlendes
Lächeln zu, dann folgte sie ihm und blieb auf dem Rasen stehen, um
mit unverhohlener Neugier alles um sie herum genau in Augenschein
zu nehmen.
»Bis zur Hochzeit wird sie zu Hause bei ihren
Eltern wohnen«, sagte Quentin, und in ernstem Ton fügte er hinzu:
»Ich möchte, daß alles seine Ordnung hat. Ich möchte - wie sagt
Antonius noch gleich? Lies meinen Tadel nicht im Ruf der Welt.
Ich hielt nicht stets das Maß.«
»Doch für die Zukunft«, erwiderte Wexford
schlagfertig, »fügt alles sich der Form.« Allerdings, dachte
er, allerdings. Aber wie sah diese Zukunft für das Mädchen aus?
Eine lange Zeit des Verheiratetseins, viel Geld und viel Muße - das
hieß den Versuchungen Tür und Tor öffnen. Für ihn war sie die
letzte, er für sie aber vielleicht nur einer der ersten. Würden sie
wohl manchmal im Olive essen und dort von einem Kellner bedient
werden, der sich einst im Dickicht des Cheriton Forest mit der
neuen Gutsherrin vergnügt hatte? Armer Kventin, äffte Wexford in
Gedanken ihren Akzent nach. Nun war er nicht mehr zu beneiden. Es
war ein hübsches Spiel, das er da spielte, ein Spiel, das Wexford
früher sehr verlockend erschienen war. Heute jedoch nicht mehr,
nicht zu diesen Bedingungen, denn die Einsätze waren hoch, und man
war immer auf der Verliererstraße.
»Alles Imitationen«, sagte er lakonisch. “Ich
brachte den Schmuck zu einem Juwelier in der Queen Street. Er war
mir schon früher behilflich und ist absolut verläßlich. Wenn er
sagt, der Schmuck ist falsch, dann ist er falsch. Sie muß ihre
Geschenke verkauft und genaue Kopien anfertigen lassen
haben.«
»Aber weshalb, Chief Inspector? Mehr Geld, als sie
von mir bekam, kann sie unmöglich verbraucht haben. Falls sie mehr
wollte, hätte sie nur darum bitten müssen. Das wußte sie.«
»Hätten Sie ihr dreißigtausend Pfund
gegeben?«
»Ich bin kein Millionär.« Quentin seufzte und biß
sich auf die Lippe. »Der Schmuck war ihr Eigentum, sie konnte damit
tun und lassen, was sie wollte. Sie zog es vor, ihn zu verkaufen.
Vielleicht spielt der Grund gar keine Rolle.« Er sah Wexford
flehentlich in die Augen. »Ich möchte das alles gern
vergessen.«
»Ganz so einfach ist es nicht.« Wexford nahm Platz
und forderte seinen Gastgeber ziemlich barsch auf, sich ebenfalls
zu setzen. »Ihre Frau verkaufte den Schmuck, weil sie Geld
brauchte. Nun bin ich an der Reihe, nach dem Weshalb zu fragen.
Weshalb hat sie das Geld gebraucht, und was hat sie damit getan?
Wir wissen, daß sie es ausgegeben hat. Ihr Konto war überzogen. Wo
ist das Geld also geblieben?«
Quentin zuckte bedauernd mit den Achseln. »Sie war
ein freigebiger Mensch. Vielleicht hat sie es für wohltätige Zwecke
gespendet?«
»Dreißigtausend Pfund? Und weshalb hat sie
Ihnen kein Wort davon gesagt? Nein, Mr. Nightingale, ich glaube,
Ihre Frau ist erpreßt worden.«
Quentin beugte sich vor und runzelte verwirrt die
Stirn. »Aber das ist unmöglich! Man wird doch nur erpreßt, wenn man
etwas Ungesetzliches getan hat. Meine Frau war...« Er machte eine
ratlose Handbewegung, die das ganze Zimmer einschloß. Wexford
verstand, was er damit ausdrücken wollte: ihre Stellung und ihr
Reichtum hatte die Frau, deren Heim dies hier gewesen war, gegen
den Schmutz krimineller Verlockungen gefeit. Zu dieser Schicht
gehören wir nicht, sagte sein Blick, mit der anrüchigen Unterwelt
haben wir nichts zu schaffen. Haben Sie denn immer noch nicht
begriffen, daß gleich nach dem lieben Gott die Engel kommen, und
gleich nach den Engeln wir?
»Es muß sich nicht unbedingt um einen Verstoß gegen
das Gesetz gehandelt haben«, erklärte Wexford bedächtig.
»Vielleicht war es ein Verstoß gegen die herrschende Moral.«
Verwirrt schien Quentin darüber nachzudenken. Dann
hellte sich seine Miene auf. »Sie meinen, sie könnte mir untreu
gewesen sein, und jemand sei ihr auf die Schliche gekommen?«
»Ja, so ungefähr, Sir.«
»Nein, Mr. Wexford, da sind Sie auf dem Holzweg. Zu
der Sorte von Ehemännern zähle ich nicht. Was meine Frau auch getan
haben mag, ich hätte ihr verziehen, und das wußte sie auch. Wir
haben dieses Thema kurz nach unserer Hochzeit besprochen, wie
frischgebackene Ehepaare das häufig tun. Elizabeth hat mich
gefragt, wie ich darüber denke. Es war eine rein theoretische
Frage, Sie wissen schon, sie sollte dem besseren Kennenlernen
dienen. Wir - wir waren damals sehr verliebt.«
»Und was haben Sie ihr zur Antwort gegeben?«
“Ich sagte, falls sie je zu mir kommen und mir
erklären würde, sie habe - es habe einen anderen gegeben, ich ihr
nie Vorwürfe machen und mich schon gar nicht von ihr scheiden
lassen würde. Vorausgesetzt, sie käme zu mir und vertraute sich mir
an. Ich erklärte ihr, die Bereitschaft zum Verzeihen gehöre meiner
Meinung nach zur Liebe, und schließlich brauche sie mich dann, wenn
es ihr schlecht ginge, gerade am nötigsten. Und ich würde von ihr
erwarten, für mich erforderlichenfalls das gleiche zu tun. Ich
hätte mich nie von ihr scheiden lassen. Sie war meine Frau, und
selbst als wir uns so schrecklich auseinandergelebt hatten, hielt
ich an der Überzeugung fest, daß eine Ehe für alle Zeiten
geschlossen wird.«
Ein netter Mann, dachte Wexford, dessen üblicher
Zynismus einen Augenblick in den Hintergrund trat, ein freundlicher
und außergewöhnlich kultivierter Mensch. Der Zynismus meldete sich
wieder zurück. Ein Mustergatte - oder ein Mann, den das Schicksal
dazu bestimmt hatte, daß ihm die Frauen das Fell über die Ohren
zogen. Ein Glück, überlegte er sich, daß Quentin Nightingale
während seiner ersten Ehe solch bewundernswerte Grundsätze
entwickelt hatte, denn während seiner zweiten würde er sie gewiß in
die Praxis umsetzen müssen.
»Manche Dinge kann man nicht verzeihen«, sagte er.
Beispiele kamen ihm in den Sinn, Fälle aus seiner langen Erfahrung
mit Missetätern. Die Frau, die ihren Mann mehr als zehnmal nach
seinen wegen Diebstahls verbüßten Gefängnisstrafen wieder
aufgenommen hatte, sich jedoch weigerte, ihn nach seiner
Verurteilung wegen unsittlichen Entblößens auch nur noch eines
Blickes zu würdigen. Oder der Mann, der sich die Seitensprünge
seiner Frau gefallen ließ, sie jedoch verstieß, als man sie beim
Ladendiebstahl erwischte. »Sie sind ein vernünftiger, toleranter
Mann«, sagte er schließlich, »doch Sie denken in zu engen Bahnen.
Ich frage mich, ob Sie wirklich genau über sich Bescheid wissen.
Sie wissen, was Ihnen gefällt, aber wissen Sie auch, was Sie
abstößt?«
»Nichts, was Elizabeth getan haben könnte«,
beharrte Quentin eigensinnig.
»Vielleicht, doch sie war überzeugt, es würde Sie
abstoßen, so fest überzeugt, daß sie bereit war, dreißigtausend
Pfund zu bezahlen, damit Sie nichts davon erfuhren.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Quentin ratlos. »Aber wer
aus ihrem Bekanntenkreis könnte Geld von ihr erpreßt haben?«
“Ich habe eigentlich gehofft, Sie könnten mir das
sagen. Jemand vom Personal?«
»Mrs. Cantrip, die uns seit sechzehn Jahren treu
ergeben ist? Der alte Will, die Anständigkeit in Person? Sean, der
sie wie eine Heilige verehrte? Sie sehen selbst, wie unsinnig das
ist. Weshalb sollte es überhaupt jemand vom Personal sein?«
»Es ist weniger wahrscheinlich, daß es jemand aus
Ihrem Freundeskreis ist, finden Sie nicht, Sir? Ein Dienstbote, der
hier im Haus wohnte, hätte Zugang zu persönlichen Schriftstücken
gehabt, könnte Augenzeuge von etwas geworden sein oder Fotos
entdeckt haben.«
»Beweise für ihre Untreue? Aber ich sage Ihnen
doch, sie wußte, daß ich Verständnis gehabt hätte. Ich hätte
darüber hinweggesehen, wie sehr es mich auch geschmerzt
hätte.«
Wexford starrte ihn an und war nur mühsam in der
Lage, seinen Ärger zu unterdrücken. Der Mann hatte keine Ahnung vom
Leben. Er redete von ehelicher Untreue, als wäre sie stets eine
unkomplizierte und zeitweilige Schwärmerei für jemand anders, eine
Frage von Verführung, Liebe und späteren Schuldgefühlen. Er war
naiv. Wexford jedoch nicht. Er hatte die Liebesbriefe gesehen, die
sich auch die hochgestelltesten und kultiviertesten Menschen
schreiben, die Fotos, für die sich auch die elegantesten und
anspruchsvollsten Frauen in Pose setzen. Dreißigtausend Pfund waren
unter Umständen kein zu hoher Preis, sie nicht in die Hände eines
Ehemanns gelangen zu lassen.
»Sie haben eine Reihe von Au-pair-Mädchen
beschäftigt, das haben Sie erwähnt.«
»Ganz normale junge Mädchen«, sagte Quentin.
»Absolut ehrlich und froh, bei uns zu sein. Sie empfanden tiefe
Bewunderung für Elizabeth.«
So wie Nelleke?
»Vor den Mädchen hatten Sie ein Ehepaar«, hakte
Wexford nach. »Wie war noch gleich der Name?«
»Twohey«, sagte Quentin Nightingale.
In dem kleinen weißen Cottage wurde das Unterste
zuoberst gekehrt. Als Wexford in das Haus kam, hörte Mrs. Cantrip
mit dem zwangsläufig auf den Samstag verlegten Großputz auf und
setzte sich mit der gelblichbraunen Katze auf dem Schoß in einen
Sessel. In dem Zimmer hing ein starker Geruch nach Bohnerwachs und
Mottenkugeln.
»Twohey?« fragte sie. »Mr. Nightingale hat ihn
wegen seiner Unverschämtheit entlassen. Er hat nie angemessenen
Respekt gezeigt, schon von Anfang an nicht. Und ordentlich
gearbeitet hat der sein Lebtag nicht, soweit ich das beurteilen
kann. Lungerte immer herum, wo er nichts verloren hatte,
schnüffelte alles aus und machte lange Ohren, wenn Sie wissen, was
ich meine.«
»Und deshalb hat man ihn rausgeworfen?«
Die Katze glitt geschmeidig auf den Boden und
begann, sich die Krallen an einem Tischbein zu wetzen. »Laß das,
Ginger«, sagte Mrs. Cantrip. »Mit der Zeit trieb er’s zu bunt, Sir,
das können Sie mir glauben. Ein paar Wochen vor seinem Rausschmiß
wurde er so aufsässig gegenüber der gnädigen Frau, daß es nicht
mehr feierlich war, wo doch die Gnädige immer so liebenswürdig war
und sich nie zur Wehr setzte.« Sie hob die Katze auf und ließ sie
aus dem Fenster zwischen die Zinnien und Dahlien plumpsen. »Sie
ertappte ihn, wie er sich gerade von Mr. Nightingales Whisky
bediente, und als sie ihn zur Rede stellte, sagte er doch glatt:
‘Das bißchen wird Sie wohl nicht gleich an den Bettelstab bringen.’
Da bleibt einem doch die Spucke weg!«
»Und seine Frau?«
»Die war gar nicht so übel. Um die Wahrheit zu
sagen, sie stand ziemlich unter seiner Fuchtel. Mich fand sie ganz
nett. Hat mir noch zwei Jahre später eine Karte zu Weihnachten
geschickt.«
»Sie kennen also ihre Adresse?« fragte
Wexford.
»Ich habe nie zurückgeschrieben, Sir«, sagte Mrs.
Cantrip und schnaubte entrüstet. »Auf Umgang mit solchen Leuten
lege ich keinen gesteigerten Wert. Mir ist aber aufgefallen, daß
die erste Karte in Newcastle abgestempelt war.«
»Haben sie eine andere Stellung angenommen?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Sir. Im
Angeben und Aufschneiden war Twohey ganz groß, und er hat immer
wieder betont, wie satt er das Dienstbotenleben habe. Als
Eisenwarenhändler werde er sich selbständig machen, hat er gesagt,
aber unter vier Augen hat mir Mrs. Twohey anvertraut, das seien
alles Luftschlösser. Woher sollten sie auch das Anfangskapital
nehmen, Sir? Sie hatten keinen roten Heller, das können Sie mir
glauben.«
Nachdem er Sergeant Martin auf die Suche nach
Twohey angesetzt hatte, fuhr Wexford zur Tabard Road und parkte vor
einem Bungalow, dessen rosa Haustür farblich zu den Geranien im
Garten paßte. Auf einer Regenplane auf dem Rasen saßen zwei Kinder,
jedoch nicht nebeneinander, sondern an entgegengesetzten Enden, als
wollten sie soviel Abstand halten wie mit dem Verbot ihrer Mutter,
sich nicht ins feuchte Gras zu setzen, vereinbar war. Der Junge
wusch Malerpinsel aus, das Mädchen quartierte Raupen aus einem
Einmachglas in diverse Streichholzschachteln um.
Wexford grüßte sie freundlich, dann schlenderte er
zu ihrem Vater, der gerade die Garagentüren strich. Er lachte in
sich hinein, als er bemerkte, daß Burden alles andere als erfreut
auf sein Erscheinen reagierte.
»Streichen Sie ruhig weiter«, sagte Wexford. »Mir
macht es Spaß, anderen Leuten bei der Arbeit zuzusehen. Sie
brauchen keine so betretene Miene zu machen. Ich möchte nur, daß
Sie mir Ihr geneigtes Ohr leihen, während ich Ihnen etwas erzähle.«
Dann informierte er Burden über den Schmuck und Twohey.
Hinter ihnen begannen die Kinder, die seit Wexfords
Ankunft völlig still gewesen waren, sich leise, aber heftig zu
streiten.
»Ich habe mich gefragt, ob dieser Twohey vielleicht
auf das Geheimnis der starken Abneigung zwischen Villiers und Mrs.
Nightingale stieß. Nightingale ist fraglos sehr eingenommen von
Villiers, und wenn er herausgefunden hätte, daß seine Frau ihrem
Bruder früher einmal etwas Schreckliches angetan...«
»Was hätte sie ihm denn antun sollen, Sir?« Burden
tauchte den Pinsel in die Farbe und kratzte den letzten Rest vom
Dosenboden zusammen. »Sehen Sie sich nur mal meine beiden an«,
sagte er grimmig. »Sie scheinen sich wirklich zu hassen, und soviel
ich weiß, gibt es keinerlei Grund dafür. Wie Hund und Katz sind sie
zueinander, und das schon, seit John ein Dreikäsehoch war und Pat
noch im Kinderwagen lag.«
»Bis sie erwachsen sind, wird sich das
ändern.«
»Glauben Sie? Weshalb könnte die
Villiers-Nightingale-Sache nicht genauso verlaufen sein? Offenbar
gibt es eben Geschwisterpaare, die sich absolut nicht ausstehen
können.«
»Die Villiers wurden getrennt«, sagte Wexford. »Sie
hatten nie die Möglichkeit, sich zwischen fünfzehn und
fünfundzwanzig einander anzupassen. Nur wenn Sie Pat und John
auseinanderrissen, würden sie vielleicht so wie Villiers und
Elizabeth werden, weil einer von beiden möglicherweise einen
schwelenden Groll in sich hineinfressen würde. Der tägliche Kontakt
wird Ihre beiden versöhnlicher stimmen.«
»Ich weiß nicht«, meinte Burden. »Manchmal überlege
ich mir, ob ich Pat oder John nicht auf ein Internat schicken
soll.«
»Aber unser Fall zeigt Ihnen doch, daß eine
Trennung keine Lösung ist, Mike.« Wexford ließ sich auf einer
kurzen Trittleiter nieder. »Ich frage mich, könnte es nicht sein,
daß Twohey selbst sie getötet hat? Könnte sie sich nicht mit ihm im
Wald getroffen haben, wo er sie tötete, als sie ihm mitteilte, ihre
Mittel seien nun erschöpft?«
»Wie ist er dann an die Taschenlampe
herangekommen?« wandte Burden ein. »Er wäre der letzte, der Zugang
zum Geräteraum im Herrenhaus hätte.«
»Stimmt. Also, mal überlegen. Unser Verdacht gegen
Georgina fällt in sich zusammen, weil wir jetzt wissen, daß sie
kein Motiv hatte. Villiers kommt weiterhin in Frage. Er könnte sie
getötet haben, weil sie, da ihr Geld nun zur Neige ging, ihm
erklärte, sie werde Nightingale alles enthüllen - eben das
verfluchte Geheimnis, was es auch sein mag. Sean könnte sie
umgebracht haben, weil er sie mit einem anderen Mann zusammen
sah.«
»Nein, Sir. Wir wissen, daß es ein vorsätzlicher
Mord war. Der Täter hatte die Taschenlampe bei sich.« Burden legte
den Pinsel auf einen Lumpen und drehte die inzwischen leere Dose
um. »John!« rief er, dann noch einmal lauter, um sich über dem
Gezänk Gehör zu verschaffen: »john! Geh mal bitte in den
Schuppen und hol mir noch eine Dose rosa Farbe.«
»Ich kann nicht. Es ist stockdunkel da drin, und
die Birne ist kaputt.«
»Na, dann nimm eine Taschenlampe. Sei nicht so lahm
und laß die Sachen deiner Schwester in Ruhe.«
»Ungeziefer heranzüchten«, höhnte John. Seufzend
stand er auf, trottete in die offene Garage und griff nach einer
Taschenlampe, die auf einem Regal stand.
Wexford sah ihm zu, dann sagte er: »Aber natürlich.
Weshalb habe ich nicht gleich daran gedacht? Wir waren uns doch
fast von Anfang an im klaren, daß man eine Taschenlampe mitnimmt,
wenn man weiß, daß es dort, wo man hingeht, dunkel ist. Aber man
nimmt die eigene Taschenlampe mit, nicht? Eine Taschenlampe hat
jeder. John wußte genau, wo seine Taschenlampe steht, und er holte
sie ganz selbstverständlich. Wir waren ganz schön dämlich, Mike.
Wir dachten, jemand sei ins Herrenhaus gegangen und hätte die
Taschenlampe der Nightingales gestohlen. Aber weshalb denn? Welchen
Sinn könnte es haben, große Mühen auf sich zu nehmen, um sich eine
Waffe aus dem Besitz der Frau zu beschaffen, die man umbringen
will? Weshalb nicht die eigene mitbringen?«
»Der Mörder hat aber nicht die eigene mitgebracht«,
wandte Burden ein. Er schlug sich mit der Handfläche gegen die
Stirn, wo sie einen großen rosa Fleck hinterließ. »Nein, was bin
ich blöd. Sie meinen, außer Nightingale selbst kann nur Elizabeth
diese Taschenlampe in den Wald mitgenommen haben?«
»Genau das. Und wissen Sie, was das bedeutet?
Niemand würde eine Taschenlampe als Mordwaffe wählen, wenn irgend
etwas anderes zur Hand wäre. Daraus folgt: Niemand hat diesen
Mord geplant. Es war kein Vorsatz im Spiel. Der Mörder (oder
die Mörderin) handelte impulsiv und schlug auf Elizabeth
Nightingale mit der Taschenlampe ein, die sie selbst mitgebracht
hatte.«
Burden nickte ernst. »Sie hat die Lampe
mitgebracht«, stimmte er zu. »Aber zurückgestellt hat sie jemand
anders.«
Aber woher, fragte sich Wexford, hat Villiers
gewußt, daß der Schmuck falsch war?