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Wenn Quentin Nightingale morgens aus dem Haus ging, um nach London zu fahren, schlief seine Frau in der Regel noch. Die Haushälterin bereitete ihm das Frühstück, öffnete die Haustür für ihn und reichte ihm Hut und Regenschirm, während das Au-pair-Mädchen die Zeitung für ihn holte. Als nächstes begegnete er - wie immer - den beiden Gärtnern, die ihn mit einem ehrerbietigen »Guten Morgen, Sir« zu grüßen pflegten, dann vielleicht seinem Schwager, der eilig die friedliche Abgeschiedenheit des >Old House<, dem Stammhaus, aufsuchte, wo er sich in Ruhe seiner schriftstellerischen Arbeit widmen konnte. Nur Elizabeth fehlte, doch falls Quentin daran Anstoß nahm, ließ er sich nie etwas anmerken. Selbstsicher ging er wie ein glücklicher Mensch zu seinem Auto.
An diesem besonderen Morgen Anfang September war alles so wie immer, nur daß Quentin keinen Regenschirm mitnehmen mußte. Der Garten von Myfleet Manor lag fast ganz unter goldenen Nebelschleiern verborgen, die auf einen wunderschönen Tag hoffen ließen. Quentin schritt über die Steinstufen vor der Haustür und blieb einen Moment an der Hecke stehen, um Will Palmer daran zu erinnern, daß die Matricarien, die sie für die Kingsmarkhamer Blumenausstellung hegten und pflegten, heute ihren Flüssigdünger bekommen sollten. Daraufhin ging er zwischen den alten Remisen den Weg zum Hof entlang, wo ihn sein Auto erwartete, dessen Windschutzscheibe Sean Lovell soeben gereinigt hatte.
Quentin war heute ein wenig zu früh dran. Statt in den Wagen einzusteigen, schlenderte er zu der niedrigen Mauer und ließ den Blick über das Kingsbrooktal schweifen. Die Aussicht bereitete ihm stets aufs neue Vergnügen. Fast kein anderes Haus war zu sehen, nur grüne Wiesen, durchsetzt mit dem Goldgelb der frischgemähten; durch das Tal schlängelte sich der Bach, zu beiden Seiten von Weiden gesäumt; Baumgruppen krönten die Kuppen der niedrigen runden Hügel, und dort, zu Quentins Linken auf der anderen Straßenseite, stand der große Tannenwald. Er erstreckte sich über eine ganze Hügelkette, im morgendlichen Nebel sah er wie ein dunkles Samttuch aus, das man achtlos über die Landschaft geworfen hatte. Quentin dachte sich immer Metaphern für den Wald aus, verglich ihn mit anderen Dingen und sah ihn in romantischem Licht. Manchmal stellte er ihn sich nicht als Wald oder Samttuch vor, sondern als ruhendes Tier, das im Schlaf die Felder bewachte, und jene sich speichenförmig ausbreitenden Pflanzungen als ausgestreckte, mächtige und schutzgewährende Tatzen.
Nun wandte er den Blick dem eigenen Anwesen zu, richtete ihn auf die näher gelegenen Gartenanlagen, den gepflegten nebelverhüllten Rasen und die Rosenbeete, die im Morgendunst ganz fahl aussahen, und gerade überlegte er, ob er eine Rose abschneiden sollte, eine Iceberg oder vielleicht eine Superstar, als ihn ein Finger an der Schulter stupste und eine ruhige Stimme sagte:
»Der Schönheit nahe hat gebracht
Natur den Geist, der mich beseelt;
Was Mensch aus Menschen hat gemacht,
Das sann ich tief gequält.«
»Guten Morgen, Denys«, begrüßte ihn Quentin herzlich. »Kein sonderlich fröhliches Zitat für einen heiteren Morgen wie heute. Wordsworth, oder?«
Denys Villiers nickte. »Falls ich nicht fröhlich bin, muß das daran liegen, daß in zwei Tagen die Schule beginnt, dann werde ich bis Weihnachten nicht mehr zum Arbeiten kommen. Ich habe übrigens etwas für dich.« Er klappte seinen Aktenkoffer auf und zog ein Buch hervor, neu und druckfrisch, offenbar direkt aus der Binderei. »Ein Vorausexemplar«, sagte er. “Ich dachte, du hättest es vielleicht gerne.«
Quentins Gesicht strahlte vor Freude. Er las den Titel: Der verliebte Wordsworth, von Denys Villiers, dann schlug er mit kaum verhohlener Erregung die Widmung auf, die er laut vorlas. »>Für meinen Schwager Quentin Nightingale, ein wahrer Freund und Gönner.< Also Denys, das ist wunderbar! Ich komme mir vor wie Southampton.«
Auf Villiers Miene tauchte eines seiner seltenen Lächeln auf. »Dem einzigen Erzeuger dieser nachfolgenden Essays, Mr. Q. N....« Er runzelte die Stirn, wie über die eigene Schwäche. »Hauptsache, es gefällt dir. Aber auf mich wartet Arbeit, und du hast sicherlich auch zu tun...«
»Ja, ich muß los. Paß auf dich auf, Denys. Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und damit anzufangen.« Er tippte auf das Buch, klopfte Villiers auf die Schulter und ging. Villiers drückte die Tür in der Mauer des Stammhauses auf und trat in den dämmrigen Innenhof, der nie Sonne hatte und in dem Linden und Zypressen wuchsen. Immer noch lächelnd, das Geschenk neben sich auf dem Beifahrersitz, fuhr Quentin nach London.
 
Elizabeth Nightingale verbrachte eine Stunde damit, sich für die Blicke der Welt zurechtzumachen. Der angestrebte Eindruck sollte ein Bild schlichter Jugend vermitteln, rein und frisch, leicht geschminkt, Kleidung von lässiger Korrektheit oder korrekter Lässigkeit. Die Leute meinten, sie sähe nicht älter aus als fünfundzwanzig. Ach, sagte Elizabeth zu ihrem Spiegelbild, mit fünfundzwanzig kannten die mich eben nicht! Manchmal sagte sie auch, heutzutage brauche sie doppelt so lange, um halb so gut auszusehen.
Umgänglich wie immer nahm sie den morgendlichen Kaffee mit dem Personal in der Küche. Am oberen und unteren Ende des Tisches saßen die beiden Gärtner, Elizabeth hatte den Platz gegenüber Nelleke Doorn. Mrs. Cantrip trank ihren Kaffee im Stehen und erteilte dabei Anweisungen.
»Falls dir Alf Tawney über den Weg läuft, Will, dann denk daran, ihm zu sagen, daß ich für heute abend ein Hähnchen bestellt habe, und das will ich vormittags haben, nicht fünf Minuten vor Essenszeit der gnädigen Frau. Und du, Sean, nimm gefälligst die Ellbogen vom Tisch. Das sage ich dir jetzt schon mindestens zum fünfzigstenmal. Sobald du ausgetrunken hast, Nelke, kannst du Mr. Villiers seinen Kaffee bringen. Der glaubt bestimmt schon, uns hätte alle der Schlag getroffen. Und mach um Himmels willen das Radio aus. Die gnädige Frau will dieses Gedudel bestimmt nicht hören.«
»Oh, Popmusik gefällt mir aber, Mrs. Cantrip«, sagte Elizabeth.
Sean hob den Kopf. »Man sieht schon auf den ersten Blick, daß Sie nicht zu diesen Spießern gehören.«
»So spricht man doch nicht mit der gnädigen Frau!« erwiderte Mrs. Cantrip schockiert.
“Ich fasse es als großes Kompliment auf«, sagte Elizabeth.
Sean errötete erfreut und lächelte sein Honigkuchenpferdlächeln, wobei ebenmäßige weiße Zähne zwischen den roten Lippen zum Vorschein kamen. Durch die Ermutigung seiner Arbeitgeberin beflügelt, musterte er erst Mrs. Cantrip, dann Will Palmer. Nelleke kicherte, doch ihr schenkte er keine Beachtung. »Ihr alten Knacker seid doch alle gleich«, sagte er. »Bewegt euch immer im selben Trott.«
»Dein Trott ist die Gartenarbeit, merk dir das. Aus dir wird nie ein Sänger.«
»Und weshalb bitte nicht?« Doch Seans aggressive Stimmung war in Hoffnungslosigkeit umgeschlagen. “Ich muß die Sache jetzt in die Hand nehmen, ich darf es nicht mehr länger aufschieben. Die Zeit vergeht, habe ich neulich zu meiner Alten gesagt, nächsten April werde ich dreiundzwanzig. Was wäre denn, wenn die Beatles erst mit dreiundzwanzig angefangen hätten?«
»Was dann wäre?« sagte Mrs. Cantrip. »Ein wenig mehr Ruhe und Frieden gäbe es auf der Welt, weiter nichts.«
»Laß dich davon nicht aus dem Konzept bringen, Sean«, tröstete ihn Elizabeth und lächelte freundlich. »Du weißt, was ich versprochen habe. Ich werde es nicht vergessen.« Sean nickte eifrig und warf Elizabeth einen hingerissenen Blick zu. »Was ich sagen wollte, Will, Mr. Nightingale hat da einen Anzug, den er nicht mehr braucht und der dir passen könnte. Und weil ich gerade in Spendierlaune bin, habe ich ein Päckchen für deine Mutter gepackt, Nelleke. Ein paar von den Keksen, die sie in Holland nicht kaufen kann. Es liegt auf dem Garderobentisch neben einem Päckchen von mir. Könntest du sie vielleicht zur Post bringen?«
»Die gnädige Frau«, sagte Mrs. Cantrip, als Elizabeth gegangen war, »ist ein Engel. Ein Jammer, daß es nicht mehr von ihrer Sorte gibt.«
Nelleke kicherte.
Der Nebel hatte sich gehoben, und Licht strömte in die Zimmer von Myfleet Manor - heller spätsommerlicher Sonnenschein, der die kleinste Spur von Staub sichtbar macht. Doch da war kein Staub; Mrs. Cantrip und Nelleke hatten ganze Arbeit geleistet. Elizabeth ging über die dicken, weichen sonnenüberfluteten Teppiche von Zimmer zu Zimmer, sah nach, ob die Blumen in den Kupferkannen und chinesischen Porzellanvasen noch nicht verblüht waren, und zog in manchen Räumen die Vorhänge vor, um den alten empfindlichen Satin vor der Sonne zu schützen. Vom Fenster ihres Schlafzimmers aus beobachtete sie, wie Nelleke mit den beiden Päckchen in den plumpen rosa Händen, dem nach Holland und dem nach London, die Dorfstraße Myfleets überquerte. Elizabeth seufzte. Fast alle ihre Freunde oder Bediensteten hätten angenommen, sie seufze, weil Nelleke beide Gartentore - schmiedeeiserne Tore, deren Muster geflügelte Drachen mit nach oben gereckten Schnauzen zeigte, die sich am Schloß hätten berühren müssen - sperrangelweit offen gelassen hatte. Auf dem gleißend weißen Straßenbelag zuckte Nellekes schwarzer Schatten lebhaft hin und her, von den Ausbuchtungen der beiden Päckchen leicht entstellt.
Elizabeth ging nach unten und schloß die Gartentore. Sie stieg in den Lotus, mit dem sie zunächst nach Queens Waterford fuhr, um mit Lady Larkin-Smith die Vorbereitungen zum Tanzabend des Country Clubs zu besprechen, dann nach Pomfret, wo sie sich von Mrs. Rogers den Erlös der Sammlung für die Krebshilfe aushändigen ließ, und schließlich nach Kingsmarkham zum Friseur. Die Wagenfenster hatte sie ganz heruntergekurbelt, das Verdeck zurückgeschlagen, und ihr blondes Haar wehte im Fahrtwind wie das weiche Haar eines jungen Mädchens.
Um dreizehn Uhr dreißig servierte Mrs. Cantrip im Eβzimmer das Mittagessen. Nellekes Stellung berechtigte sie, die Mahlzeiten im Kreis der Familie einzunehmen, doch in Abwesenheit Quentin Nightingales sprach sie nur wenig. Die Frau und das Mädchen verzehrten den Spargel mit Schinken und die Brombeertörtchen wortlos, nur Elizabeth brach von Zeit zu Zeit das Schweigen, um genüßlich das Essen zu loben. Als sie beim Nachtisch angelangt waren, sagte Nelleke, Dampfnudeln wären ihr lieber gewesen.
»Da mußt du Mrs. Cantrip zeigen, wie man die macht.«
»Vielleicht würde ich es ihr heute nachmittag zeigen«, sagte Nelleke, die Schwierigkeiten mit dem Futur hatte.
»Prima Idee!«
»Wenn Sie sie probieren, würden Sie vielleicht nie wieder Brombeeren mögen.« Nelleke stocherte Samenkerne zwischen den Zähnen hervor.
»Das wollen wir abwarten. Ich gehe jetzt nach oben und lege mich hin. Falls jemand vorbeikommt oder anruft, vergiß nicht, daß ich nicht gestört werden will.«
»Ich würde es nicht vergessen«, sagte Nelleke.
»Hast du vor, heute abend auszugehen?«
»Ich bin mit einem jungen in Kingsmarkham verabredet. Vielleicht würden wir ins Kino gehen.«
»Werden wir ins Kino gehen«, korrigierte Elizabeth sie sanft. »Würden ist Konjunktiv, das Futur bildet man mit werden. Wenn du möchtest, kannst du ein Auto nehmen, aber den Lotus lieber nicht. Deiner Mutter wäre es bestimmt nicht recht, wenn du einen schnellen Sportwagen fährst.«
»Dann würde ich den Mini nehmen, ja?«
Elizabeth zuckte resignierend die Schultern. »Aber gern.«
Nelleke räumte den Tisch ab und stellte das Geschirr zusammen mit dem Glas und den Tellern von Denys Villiers’ Servierbrett in die Spülmaschine. »Jetzt zeige ich Ihnen, wie man Dampfnudeln macht«, erklärte sie Mrs. Cantrip, die sich mit einer Tasse Tee und dem Daily Sketch gerade zehn Minuten Pause gegönnt hatte.
»Dürfte ich vielleicht mal erfahren, was das sein soll? Du weißt doch, daß es auf Wunsch der gnädigen Frau keine Nudeln in diesem Haus gibt.«
»Sind keine Nudeln. Macht man aus Mehl, Hefe, Milch und Butter. Wir haben Mehl, ja? Wir haben Hefe? Kommen schon, Mrs. Cantrip, sind kein Frosch.«
»Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben...«, seufzte Mrs. Cantrip und wuchtete sich aus dem Schaukelstuhl. »Trotzdem wird es mir ewig ein Rätsel bleiben, was es eigentlich an einem guten englischen Nachtisch auszusetzen gibt. Mr. Villiers hat nicht einen Krümel auf dem Teller gelassen. Kein Wunder, diese Bücherschreiberei macht einem kräftigen Appetit.«
Nelleke holte Milch und Butter aus dem Kühlschrank. “Ich fragen mich oft«, sagte sie nachdenklich, »weshalb er nicht arbeitet bei sich zu Hause. Wo er doch auch eine Frau hat, ist merkwürdig, sehr komisch.«
»Darf ich mal fragen, was dich das eigentlich angeht, Nelke? Mr. Villiers hat schon immer dort oben gearbeitet, da ist überhaupt nichts Komisches dabei. Es muß schon vierzehn oder fünfzehn Jahre her sein, seit Mr. Nightingale das >Old House< für Mr. Villiers zum Arbeiten hat herrichten lassen. Es ist ruhig dort, verstehst du? Außerdem hat Mr. Nightingale schon immer einen Narren an Mr. Villiers gefressen.«
»Er hat einen Narren gefressen?«
»O diese Ausländer! Er kann ihn gut leiden, wollte ich sagen, er hat eine Schwäche für ihn. Vermutlich ist er stolz darauf, einen Schriftsteller in der Familie zu haben. Jetzt kannst du den Quirl einschalten.«
Während sie die Hefe mit der Milch verrührte und nach und nach das Mehl zugab, sagte Nelleke: »Mrs. Nightingale mag ihn überhaupt nicht. Während der Ferien arbeitet er jeden Tag dort oben, und nie, kein einziges Mal nicht, kommt Mrs. Nightingale ihn besuchen. Ist komisch, den eigenen Bruder nicht zu mögen.«
»Vielleicht ist es nicht so leicht, ihn zu mögen«, gab Mrs. Cantrip zu bedenken. »Falls die beiden Krach haben - und das will ich wohlgemerkt nicht behaupten -, dann liegt es jedenfalls nicht an der gnädigen Frau, soviel steht fest. Mr. Villiers hat eine komische Art an sich, eine sehr komische Art. Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen, er hat so eine sarkastische Ader. Unter uns gesagt, Nelke, mir wäre nicht wohl dabei, wenn ich einen Sohn in der Schule hätte, an der er unterrichtet. Und jetzt schalte den Quirl aus, sonst können wir mit dem Teig Mauerrisse flicken.«
 
Elizabeth erschien nicht zum Tee.
Der Himmel war wolkenlos wie ein Mittelmeerhimmel, und die Sonne schien um fünf noch so heiß wie am Mittag. Draußen im Park zündete Will Palmer an dem Tor zur Straße nach Kingsmarkham ein Unkrautfeuer an und verpestete die warme, wohlriechende Luft mit beißendem Qualm. Von Zeit zu Zeit warf er frischgemähtes Gras darauf und half mit einem Spritzer Paraffin den Flammen nach. Schwitzend und murrend schob Sean den Rasenmäher über die Grasterrassen.
Mrs. Cantrip deckte den Tisch und stellte ein kaltes Abendessen auf dem Servierwagen bereit. Ob Regen oder Sonnenschein, ohne Hut setzte sie nie einen Fuß vor die Tür. So auch heute, als sie sich auf den Heimweg zu ihrem Häuschen am anderen Ende des Dorfes begab.
Im >Old House< tippte Denys Villiers noch drei weitere Sätze über Wordsworth und das Hervortreten der Natur als Quelle künstlerischer Inspiration, dann ging auch er nach Hause. Langsam und vorsichtig fuhr er zu seinem Bungalow nach Clusterwell. Eine halbe Stunde später fuhr Nelleke Doorn, die den Mini mit überdrehtem Motor und quietschenden Reifen über die Dörfer nach Kingsmarkham jagte, in die gleiche Richtung.
Elizabeth lag mit lotiongetränkten Eyepads auf den Augen im Bett und pflegte ihre Schönheit. Als sie den Jaguar in der Einfahrt hörte, begann sie, sich zum Abendessen umzuziehen.
 
Sie trug einen hellgrünen Kaftan mit einem Besatz von Halbedelsteinen am Ausschnitt und an den Bündchen.
»Wie geht’s meiner schönen Frau?«
»Ausgezeichnet, Liebling. Hast du einen angenehmen Tag gehabt?«
»So lala. Die Luft in London ist zum Schneiden. Möchtest du einen Drink?«
»Nur einen kleinen Tomatensaft«, sagte Elizabeth. Quentin schenkte ihr den Saft ein, für sich nahm er einen doppelten Whisky. »Danke, Liebling. Wirklich heiß heute, nicht?«
»Nicht so heiß wie in London.«
»Nein, so heiß wohl nicht.«
»Nicht annähernd so heiß«, bestätigte Quentin. Er lächelte; sie lächelte. Schweigen machte sich breit.
Quentin brach es. »Ist Nelleke nicht da?«
»Sie ist mit dem Mini nach Kingsmarkham gefahren.«
»Dann sind wir also ganz unter uns. Oder kommt jemand zum Cocktail?«
»Heute abend nicht. Wie du gesagt hast, wir sind ganz unter uns.«
Quentin seufzte und lächelte. »Eigentlich eine angenehme Abwechslung, einmal ganz unter uns zu sein.«
Elizabeth gab keine Antwort. Diesmal war das Schweigen lastend und von längerer Dauer. Quentin stand am Fenster und schaute in den Garten.
»Wir können ruhig schon essen«, sagte Elizabeth schließlich.
Im Eßzimmer entkorkte er eine Flasche Pouilly Fuissé. Elizabeth trank nur ein Glas.
»Endlich kühlt es ein wenig ab«, sagte Quentin, während sie die Vichyssoise löffelten. »Bald werden die Nächte wohl länger werden.«
»Vermutlich.«
»Ja, ganz gleich, wie heiß es um diese Jahreszeit auch ist, man spürt doch immer einen Hauch von Frost in der Luft.« Elizabeth verzehrte schweigend das kalte Hähnchen. »Aber im großen und ganzen war es ein guter Sommer«, fügte Quentin verzagt hinzu.
»Im großen und ganzen.«
Schließlich gingen sie wieder in den Salon.
»Wieviel Uhr ist es?« fragte Quentin von der Terrassentür her.
»Kurz vor acht.«
»Wirklich? Ich hätte gedacht, es sei viel später.« Er ging auf die Terrasse hinaus, um nach seinen Matricarien zu sehen. Elizabeth nahm das Queen Magazine zur Hand und blätterte die Illustrierte gleichgültig durch. Quentin kam zurück und setzte sich ihr gegenüber. “Ob Denys und Georgina wohl noch auf einen Sprung vorbeikommen?«
 
»Ich glaube kaum.«
»Ich überlege mir, ob ich mal bei Denys anrufe und frage, ob sie Lust auf eine Partie Bridge haben. Was meinst du dazu?«
»Wenn du möchtest, Liebling.«
»Nein, nein, es liegt ganz bei dir.«
»Mir ist es wirklich so oder so recht.«
»In dem Fall rufe ich einfach mal bei ihm an«, sagte Quentin und machte seinem aufgestauten Atem in einem langen Seufzer Luft.
 
Die Villiers kamen, und sie spielten Bridge bis um zehn. »Es sollte nicht zu spät werden, Georgina«, sagte Villiers mit einem Blick auf seine Uhr. »Ich muß noch ein oder zwei Stunden in der Schulbibliothek arbeiten, ehe ich zu Bett gehe.«
»Was, schon wieder?« fragte Georgina.
“Ich habe dir doch schon gesagt, daß ich noch etwas nachschlagen muß.«
Seine Frau warf ihm einen aufsässigen Blick zu.
»Denys widmet sich eben ganz seiner Arbeit«, sagte Quentin, der Friedensstifter. Er lächelte Georgina freundlich an, als die Frauen aus dem Zimmer gingen. »Apropos widmen«, fuhr er an seinen Schwager gewandt fort. »Würdest du mir etwas in das Buch schreiben?«
Mit einem kaputten alten Kugelschreiber schrieb Denys Villiers auf das Vorsatzblatt:
Gedenken unsrer vergangnen Jahre nährt Mein unablässig Preisen...
Quentin las, und freudige Röte überzog seine Wangen. Er legte Villiers die Hand auf die Schulter. »Jetzt noch signieren« bat er.
Und so schrieb Villiers unter das Zitat: In brüderlicher Zuneigung, Denys Villiers.
»Eigentlich müßte es ⊃schwägerliche⊂ Zuneigung heißen - wo doch Ungenauigkeit sonst gar nicht deine Art ist.«
»Man muß nicht immer alles so verdammt genau nehmen«, fuhr ihn Villiers an und schüttelte die Hand ab.
Als die Frauen zurückkamen, nestelte Georgina am Verschluß ihrer unförmigen Handtasche herum.
»Vielen Dank für das Geschenk, Elizabeth«, sagte Georgina. »Das ist riesig nett von dir.«
»Keine Ursache, Liebes. Ich habe keine Verwendung mehr dafür.« Zum Abschied küßte Elizabeth sie herzlich auf die Wange.
Villiers zeigte sich unwirsch. »Wenn ihr endlich ausgeturtelt habt, kommen wir vielleicht heute noch weg.«
 
»Ich glaube, ich gehe gleich zu Bett«, sagte Quentin. »Ich kann es kaum erwarten, mit dem neuen Buch anzufangen. Möchtest du noch ein Weilchen aufbleiben?«
»Der Abend ist so wunderschön«, sagte Elizabeth. »Ich glaube, ich mache noch einen Spaziergang im Park, ehe ich schlafen gehe.«
»Zieh dir aber etwas Warmes über, Liebes. Also dann, gute Nacht.«
»Gute Nacht, Liebling.«
Elizabeth holte sich eine Jacke, dunkelgrün und aus weicher, leichter Angorawolle. Im Mondschein nahm sie den gleichen Farbton an wie die Zypressen in dem italienischen Garten. Die spätblühenden Rosen, eigentlich rosa, aprikosenfarbig und zitronengelb, sahen an diesem Abend alle weiß aus. Über den Rasen zwischen den Rosenbeeten in Sechseck-, Halbkreis- und Rautenform ging sie zu dem gepflasterten Weg, über den sie zwischen Eibenhecken hindurch zu einem Tor in der Ziegelsteinmauer gelangte. Der Rauch von Wills Feuer stieg in einer dünnen grauen Säule empor.
Elizabeth schloß das Tor auf und trat auf den Grasstreifen hinaus, der unter den überhängenden Zweigen der zum Herrenhaus gehörenden Buchen zwischen der Mauer und der Straße nach Pomfret lag. Als Autoscheinwerfer aufleuchteten und an ihr vorüberglitten, zog sie sich für einen Augenblick in den Schatten des Gartens zurück. Nelleke in dem Mini, auf dem Nachhauseweg von Kingsmarkham. Dann war die Straße wieder leer, nur vom Mond erleuchtet. Elizabeth schloß das Tor hinter sich, überquerte die Straße und schlug einen abzweigenden sandigen Weg ein, der in den Cheriton Forest führte.
Sobald sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen war, setzte sie sich auf einen Baumstamm und wartete. Schließlich steckte sie sich eine Zigarette an, die dritte von den fünfen, die sie an diesem Tag rauchen sollte.
 
Die Nightingales schliefen in getrennten, zur Auffahrt liegenden Zimmern im ersten Stock von Myfleet Manor. Quentin zog sich aus und schlüpfte rasch ins Bett. Er knipste die Nachttischlampe an und schlug das neue Buch seines Schwagers auf: Der verliebte Wordsworth.
Wie es seine Gewohnheit bei Villiers’ Büchern war, nahm er sich zuerst voller Stolz und Vergnügen die Lobpreisung des Verlags auf den Verfasser und seine Werke vor, um dann kritisch die Porträtaufnahme seines Schwagers auf der Rückseite des Schutzumschlags zu betrachten. Als nächstes sah er sich der Reihe nach alle Illustrationen an, die Abbildungen der Gemälde von Wordsworth, seiner Schwester Dorothy und das von Stirling Castle aus aufgenommene Foto des werschlungnen Forth<, dem von Wordsworth so geliebten Fluß. Erst dann begann er mit der eigentlichen Lektüre.
Quentin las wie ein Wissenschaftler, schlug gewissenhaft sämtliche Quellenangaben nach und las jede Fußnote. Gerade war er bei der Begegnung des Dichters mit seiner französischen Geliebten angelangt, als er Schritte auf der Treppe hörte. Kam Elizabeth von ihrem Spaziergang zurück? Doch nein...
Die Schritte hörten nicht auf, sondern setzten sich immer weiter nach oben fort, bis sie von direkt über ihm kamen. Demnach war es nicht Elizabeth, sondern Nelleke, die im obersten Stock schlief.
Es war halb zwölf und wurde kühl. Er hatte früher am Abend schon gesagt, ein Hauch von Frost läge in der Luft. Elizabeth würde draußen im Garten frieren. Die Schiebefenster klirrten in den Rahmen, als Wind aufkam. Quentin legte sein Buch beiseite, stand auf und schaute zum Fenster hinaus.
Der Mond war hinter einer Wolkenbank verschwunden. Er streifte sich seinen Morgenmantel über, öffnete die Schlafzimmertür und blieb verwirrt einen Augenblick stehen, ehe er sich zur Treppe wandte.
Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
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