Neunundzwanzigstes Kapitel
Ich habe in Leavenworth übernachtet – einem künstlichen bayerischen Städtchen in Washington. Ich habe eine reichhaltige deutsche Mahlzeit gegessen, die mich vermutlich die nächsten vierzehn Tage begleiten wird. Die Deutschen haben eine Redensart: »Für eine gute Mahlzeit lohnt es sich, gehängt zu werden.« Ich bin sicher, dieses Essen wird mir noch eine ganze Weile Freude machen.
Alan Christoffersens Tagebuch
Kurz nach Sonnenaufgang stand ich auf. Ich duschte und zog mich an, dann ging ich über die Straße ins Bistro Espresso, wo ich mir ein leichtes Frühstück – Kaffee und eine Quarktasche – bestellte. Denn mein Magen war noch immer damit beschäftigt, das Essen vom Vorabend zu verdauen.
Nach dem Frühstück ging ich zu einer Bank. Ich steckte meine Karte in den Geldautomaten, um meinen Kontostand abzufragen. Er betrug 28 797 Dollar. Als ich in Bellevue aufgebrochen war, hatte ich keine tausend Dollar auf dem Konto gehabt. Falene war fleißig gewesen. Ich liebe diese Frau, dachte ich.
Ich ging zurück in mein Zimmer, packte meine Sachen und checkte aus. Ich ging drei Blocks weit bis zum Food Lion, wo ich mich mit allem eindeckte, was ich brauchte (unter anderem einer Schachtel Hostess Ding Dongs). Dann machte ich mich wieder auf den Weg.
In weniger als einer Stunde hatte ich Peshastin, die Stadt, in der Ally wohnte, durchquert. Unser Gespräch war mir den ganzen Vormittag durch den Kopf gegangen. Irgendwie tat es gut zu wissen, dass sie irgendwo in der Nähe war.
Zwei Stunden später erreichte ich die Stadt Cashmere. Ringsumher sah ich nichts als Obstplantagen, auch wenn die Landschaft winterlich und die Bäume kahl waren. Auf den Feldern standen riesige Fächer, und zahllose silberne Wimpel waren an die Äste der Bäume gebunden.
An der Seitenwand eines Lagerhauses prangte das Tree-Top-Apfelsaft-Logo. Ich hatte mich einmal um einen Auftrag dieser Firma beworben. Ich konnte mich nicht erinnern, warum wir ihn nicht bekommen hatten.
Egal, wohin ich auch blickte, überall warben Schilder für Obst – Äpfel, Aprikosen, Kirschen und Birnen –, und ich kam an mindestens einem Dutzend leerer Obststände am Straßenrand vorbei. Außerhalb der Saison war der Ort eine Geisterstadt.
Am Stadtrand setzte ich mich auf ein Fleckchen strohfarbenes Gras, um die Beine auszustrecken und mein Mittagessen zu verzehren – zwei in Alufolie gewickelte Burritos, die ich mir in der Feinkostabteilung des Food Lion gekauft hatte.
Ich staunte, wie sehr sich die Landschaft ringsumher verändert hatte. Hier war das Gelände weit, offen und flach, ein scharfer Kontrast zu dem steil abfallenden Berghängen und den dichten Wäldern, die mich in der letzten Woche auf Schritt und Tritt begleitet hatten. Auf einer flachen Straße zu wandern ist weitaus leichter, als Berge zu besteigen, aber alles in allem betrachtet waren mir die Berge dennoch lieber. Ich mochte die Sicherheit und Ruhe des Waldes.
Kurz vor Wenatchee legte ich wieder eine Pause ein und nahm ein schlichtes Abendessen zu mir, ein Baguette mit Erdnussbutter, die ich mit meinem Schweizer-Armee-Taschenmesser verteilte. Das Stadtzentrum war so weit entfernt vom Highway, dass ich keinen Zwischenstopp in Wenatchee einlegte. Endlich nach Spokane zu kommen war mir wichtiger. In dieser Nacht schlief ich in einer Apfelplantage unter freiem Himmel.