Zehntes Kapitel
Was mich immer wieder erstaunt, das ist die menschliche Fähigkeit zum Selbstbetrug, wenn es darum geht, sich um die eigenen Interessen zu kümmern. Eigennutz ist blind.
Alan Christoffersens Tagebuch
Ich versuchte mindestens zwanzigmal, Kyle zu erreichen, bevor er endlich ans Telefon ging.
»Alan.« Er antwortete fröhlich, aber in seiner Stimme hörte ich einen nervösen Unterton.
»Was hast du getan?«
»Warum sagst du mir nicht, was du glaubst, das ich getan habe?«
»Du hast mir meine Agentur gestohlen.« Ich saß in einer leeren Patientenlounge und stand nun auf, um auf und ab zu laufen.
»Das stimmt nicht, Kumpel. Madgic gehört immer noch dir. Ich bin nur in deine Fußstapfen getreten und habe mich selbstständig gemacht.«
»Mit meinen Kunden.«
»Nein, mit meinen Kunden. Vergiss nicht, wer sie geworben hat.«
»Die Zeit, die du gebrauchst hast, um sie zu werben, habe ich bezahlt, und du hast dazu meinen Namen, mein Geld, meine Agentur und meine Kreativität benutzt.«
»Na ja, darüber lässt sich streiten. Ich bin ein Partner, daher ist es meine Zeit, und du übersiehst Ralphs und Corys Kreativität. Aber das spielt keine Rolle. Die Kunden entscheiden selbst, wohin sie gehen, und sie haben sich entschieden, mir zu folgen. Du hast sie im Stich gelassen. Ich habe nur die Scherben aufgesammelt. Du kannst ihnen deswegen keinen Vorwurf machen.«
»Ich mache ihnen keinen Vorwurf, ich mache dir einen Vorwurf. Du hast gesagt, du würdest für mich einspringen.«
»Ich habe genau das getan, was ich gesagt habe. Ich habe mich um die Kunden gekümmert.«
»Egal, wie du es drehst, du bist ein Schwein, Kyle. Ich habe dir vertraut, und du bist mir in den Rücken gefallen, während ich mich um meine Frau gekümmert habe. Es gibt besondere Orte in der Hölle für Leute wie dich.«
»Komm mir doch nicht auf die moralische Tour, Kumpel. So läuft das Geschäft eben. Ich ziehe weiter, und meine Kunden tun es auch.«
»Ich werde dich fertigmachen, Kyle. Und diesen Verräter Ralph auch. Ihr werdet damit nicht davonkommen.«
Einen Augenblick lang war er sprachlos. Dann sagte er: »Na dann, viel Glück dabei.« Er legte auf.
McKale hatte die ganze Zeit Recht gehabt, was ihn anging.
Ich quälte mich kurz mit der Frage, ob ich ihr davon erzählen sollte, und entschied mich dann, es ihr zu verschweigen, bis ich wusste, wie schlimm es um sie stand. Aber wie üblich konnte McKale spüren, dass irgendetwas nicht stimmte. »Hast du Kyle eigentlich endlich erreicht?«
»Ja.« Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihrem Krankenbett.
»Was ist los?« Sie starrte mich an, hilflos und verletzlich.
»Ach, du weißt schon, die üblichen Probleme. Engpässe und Termine. Ich muss am Montag wieder zur Arbeit.« Ich nahm ihre Hand und drückte sie.
Sie sah mich traurig an. »Ich weiß. Es tut mir leid, dass ich so viel von dir genommen habe.«
»Du hast nichts genommen, was dir nicht gehört hat«, sagte ich.
Ein mattes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Und wie geht’s Kyle?«
»Er hat in letzter Zeit viel um die Ohren.« Ich versuchte, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen.
»Das glaube ich gern. Ich habe ihn wirklich falsch eingeschätzt.« Sie verdrehte die Augen, als könnte sie ihre eigene Dummheit kaum fassen.
Ich sah sie einen Augenblick lang an und sagte dann: »Ja. Er ist … unglaublich.«
»Du solltest ihm dieses Jahr einen dicken Weihnachtsbonus zahlen.«
Ich hielt es nicht länger aus. »Ich muss auf die Toilette«, sagte ich. Ich ging den Flur hinunter zur Toilette, schloss mich dort ein und trat dann gegen den Abfalleimer, bis das Plastik zersprang.