Fünftes Kapitel

Die Leute verschwenden viel zu viel Zeit damit, sich Sorgen um Dinge zu machen, die ihnen nie zustoßen werden. Nach meiner Erfahrung sind die größten Tragödien die, die uns gar nicht erst in den Sinn kommen – die Ereignisse, die uns an einem Freitagnachmittag überrumpeln, während wir uns überlegen, wie wir unser Wochenende verbringen wollen.

Oder wenn wir mitten in der Präsentation für einen Werbeauftrag sind.

Alan Christoffersens Tagebuch

Ich stellte mein Auto ungefähr um zwanzig nach neun auf meinen privaten Parkplatz ab. Kyle hatte schon jetzt schlechte Laune. »Schön, dass du auch kommen konntest«, sagte er, als ich die Agentur betrat. Ich war daran gewöhnt. Vor einer großen Präsentation war Kyle immer gereizt.

»Entspann dich, Kyle«, sagte ich ruhig.

Falene kam herein. »Guten Morgen, Alan.«

»Morgen, Falene.«

Falene war mein Mädchen für alles – eine schlanke Schönheit griechischer Abstammung mit olivenfarbener Haut, die Kyle auf der Suche nach einem Model kennengelernt und als unsere Assistentin der Geschäftsleitung und hauseigene Augenweide eingestellt hatte. Selbst ihr Name (an dem Abend, an dem ihre Mutter entbunden hatte, hatte sie Bambi gesehen) war exotisch.

»Entspann dich?« Kyles Stimme klang entnervt. »Das hier ist der Super Bowl. An einem Spieltag kommt man nicht zu spät.«

Ich ging zu meinem Büro, gefolgt von Kyle und Falene. »Sind sie schon da?«

»Nein.«

»Dann bin ich ja nicht zu spät.«

»Kann ich dir vor der Besprechung irgendetwas bringen?«, fragte Falene.

»Wie wär’s mit einem Beruhigungsmittel für Kyle?«, sagte ich.

Falene lächelte ironisch. Obwohl Kyle sie eingestellt hatte, hatte sie ihn noch nie besonders gut leiden können. Und in letzter Zeit schien es noch schlimmer geworden zu sein.

»Wir sehen uns im Konferenzraum«, knurrte Kyle.

Ich verstand, warum Kyle so nervös war. Der Kunde, um dessen Auftrag wir uns bewerben würden, war die Wathen Development Company. Bei der Kampagne ging es um ein Wohnungsbauvorhaben im gehobenen Sektor mit dem Namen »Die Brücke«. Dahinter verbarg sich ein 200-Millionen-Dollar-Projekt mit 400 Wohneinheiten, einem 18-Loch-Golfplatz und zwei Clubhäusern. Ihr jährliches Werbebudget betrug über drei Millionen Dollar.

Warren, ein großspuriger, stets sonnengebräunter Bauunternehmer in den Vierzigern, kam etwa eine Viertelstunde später. Flankiert wurde er von seinem Buchhalter, Stuart, und Abby, einer Engländerin, die uns bislang noch nicht begegnet war und deren Rolle unklar war. Kyle und ich gaben den dreien die Hand, als sie unser Büro betraten.

»Was dürfen wir Ihnen zu trinken anbieten?«, fragte Kyle.

»Was haben Sie denn da?«

»Was haben wir da, Falene?«, gab Kyle die Frage knapp weiter. Falene funkelte ihn an, dann wandte sie sich an Wathen.

»Mr. Wathen«, sagte sie, »wir haben …«

»Nennen Sie mich Phil.«

Falene lächelte. »Okay, Phil. Wir haben Saft: Cranberry, Apfel, Ananas und Orange. Wir haben Selters, mit Vanille- oder Pfirsichgeschmack, und Cola, Cola light, Pepsi, Perrier …«

»Dieses Perrier gibt’s immer noch?«

»Leider ja.«

Er lachte. »Ich nehme einen Cranberrysaft. Könnten Sie einen Schuss Ananas dazutun?«

»Selbstverständlich.«

»Abby«, sagte Wathen, »was nehmen Sie?«

»Nichts.«

»Ich nehme ein Vanille-Selter«, sagte Stuart.

»Sehr gern«, sagte Falene. »Ich bin gleich wieder da.«

Nachdem Falene den Raum verlassen hatte, bat Kyle alle in den Konferenzraum. Während wir uns um den Tisch setzten, geschah etwas Seltsames – etwas, das nicht so einfach zu erklären ist. Auf einmal verspürte ich einen stechenden Schmerz, der sich durch mein Rückgrat nach oben zog, gefolgt von einer starken Gefühlsaufwallung und einem seltsamen Druckgefühl, so als ob mir die Luft abgeschnürt würde. Im ersten Augenblick fragte ich mich, ob ich vielleicht im Begriff war, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu bekommen, dann dachte ich an eine Panikattacke. Was immer es war, es war ebenso schnell vorbei, wie es gekommen war, und niemand schien zu bemerken, dass ich schwer atmete.

Ich hatte den Konferenzraum so gestaltet, dass meine zahlreichen Auszeichnungen möglichst gut zur Geltung kamen. Ich hatte die Wände mit Gips strukturieren und auberginefarben streichen lassen und sie dann mit golden gerahmten Werbepreisen geschmückt. An der südlichen Wand standen zwei Regale voll mit unseren Trophäen. Die Preise an der östlichen Wand waren hinter einer Leinwand verborgen, die von der Decke hing.

Als alle um den Tisch saßen, schaltete ich den Projektor ein, und das Logo der Wathen Development erschien auf der Leinwand.

Falene kam mit den Getränken wieder. Sie achtete darauf, als Erstes Wathen zu bedienen. »Hier, bitte sehr, Cranberry mit einem Schuss Ananas, Sir, ich meine, Phil. Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«

»Nur, wieder zwanzig zu sein«, sagte er.

Abby verdrehte die Augen.

Falene verteilte die restlichen Getränke, darunter eine Cola für Kyle. Mir fiel auf, dass sie ihn dabei nicht ansah.

»Schön«, sagte Kyle. »Wenn es Ihnen recht ist, Phil, dann fangen wir jetzt an.« Wathen nickte, und Kyle dämpfte per Fernbedienung das Licht. »Danke, dass Sie uns die Gelegenheit geben, Ihnen unsere Ideen vorzustellen. Unser Ziel als Ihre zukünftige Agentur ist es, eine Kampagne zu entwickeln, die nicht nur zu einer vollständigen Auslastung der geplanten Wohneinheiten führen wird, sondern auch zu einer Nachfrage, die den Wert Ihrer Immobilie kontinuierlich erhöhen wird.

Unsere Kampagne beinhaltet einen multimedialen Ansatz unter Einbeziehung von Fernseh-, Radio-, Zeitungs-, Internet- und Außenwerbung. Wir schlagen vor, die Kampagne zunächst mit fünfzig Plakaten anlaufen zu lassen. Das Ziel dabei ist es, den Namen des Projekts ins Bewusstsein zu rücken. Dies werden wir mittels einer Drei-Phasen-Außenbotschaft erreichen, wobei die erste beginnen kann, sobald Sie bereit sind, auf den Auslöser zu drücken.« Er deutete auf mich. »Al …«

Ich drückte eine Taste auf der Fernbedienung, um den ersten Plakatentwurf zu präsentieren.

Brücke im Bau

Das Schild war gelb und schwarz, wie ein Gefahrenschild. Kyle und ich warfen beide gleichzeitig einen Blick auf Wathen. Er zeigte keine Regung. Seine mangelnde Reaktion machte Kyle sichtlich nervös. »Das ist eine Teaser-Kampagne«, sagte Kyle. »Wir würden sie zwei Monate lang in nördlicher und südlicher Richtung auf der I-5 und der I-45 laufen lassen.«

»Es sieht aus wie ein Umleitungsschild«, sagte Abby.

»Genau«, erwiderte ich.

Sie fuhr fort: »Aber was ist, wenn die Leute glauben, dass da wirklich eine Brücke im Bau ist?«

»Ehrlich gesagt, hoffen wir genau das«, erwiderte ich. »Ihre potenziellen Kunden fahren jeden Tag an mehreren Hundert Werbeplakaten vorbei. Sie haben gelernt, diese ganzen Schilder zu ignorieren. Das gilt jedoch nicht für Verkehrsschilder. Irgendwann werden sie merken, dass sie ausgetrickst wurden. Dann haben sie Ihr Schild nicht nur bewusst wahrgenommen, sondern durch diesen Trick auch eine Beziehung zu Ihrem Bauvorhaben entwickelt. Nach dreißig Tagen werden wir das zweite Plakat enthüllen.« Ich drückte auf eine Taste.

Eröffnung der Brücke am 16. Juli

»In dieser Phase werden wir mit der Fernseh- und Radiokampagne beginnen«, sagte Kyle. »Während das Kampagnenimage bis zu diesem Punkt bewusst nüchtern gehalten wurde, beginnt die Kampagne nun auf den Luxus-Aspekt hinzuweisen: gut betuchte, schöne, schicke, glückliche Menschen, die den exklusiven Lebensstil und die Annehmlichkeiten der ›Brücke‹ zu schätzen wissen. Sie werden sehen, dass aus dem Hellgelb des ersten Plakats nun ein ganz leichter Goldton geworden ist.«

»Und dann«, sagte ich, »kommt die Eröffnung von Phase drei und damit das letzte Plakat.«

Die Brücke ist jetzt offen.
Fahren Sie hinüber und entdecken Sie Washingtons
einzigartigen neuen Lebensstil

Wathen lächelte und nickte leise. Stuart beugte sich vor, um Wathen etwas zuzuflüstern, und Abby lächelte ebenfalls.

In diesem Augenblick öffnete Falene die Tür. »Al …« Ihre Stimme war ein angespanntes Flüstern.

Kyle sah sie fassungslos an. Sie wusste eigentlich, dass sie uns in einem solch entscheidenden Augenblick nicht unterbrechen durfte. Ich bedeutete ihr mit einem knappen Kopfschütteln, den Raum wieder zu verlassen. Sie kam zu mir herüber und hockte sich neben mich. »Alan, es ist ein Notfall. McKale hatte einen Unfall.«

»Was denn für einen Unfall?«, sagte ich so laut, dass alle mich ansahen.

»Ihre Nachbarin ist am Telefon. Sie sagt, es ist ernst.«

Ich erhob mich. »Es tut mir leid, meine Frau hatte einen Unfall. Ich muss diesen Anruf entgegennehmen.«

»Na los, nehmen Sie ihn hier entgegen.« Wathen zeigte auf das Telefon in der Mitte des Tischs.

Falene machte das Licht wieder an. Ich nahm den Hörer ab und drückte auf die blinkende Taste. »Hier ist Al.«

»Alan, hier ist Monnie Olsen, Ihre Nachbarin. McKale hatte einen Unfall.«

Mir stockte das Herz. »Was denn für einen Unfall?«

»Ihr Pferd hat sie abgeworfen.«

»Wie schlimm ist sie verletzt?«

»Sie wurde ins Overland gebracht.«

In meinem Kopf begann alles zu verschwimmen. »Wie schlimm ist es? Sagen Sie es mir.«

Sie zögerte, dann fing sie auf einmal an zu weinen. »Man nimmt an, dass sie sich den Rücken gebrochen hat.« Ihre Stimme schwankte. »Sie …« Sie hielt inne. »Es tut mir leid, sie hat gesagt, sie könne von der Hüfte abwärts nichts mehr spüren. Sie müssen ins Overland kommen.«

»Ich bin schon unterwegs.« Ich legte auf.

»Geht es ihr gut?«, fragte Wathen.

»Nein. Sie ist schwer verletzt. Ich muss los.«

»Ich wickele das hier ab«, sagte Kyle.

Auf dem Weg nach draußen legte mir Falene eine Hand auf den Rücken. »Was brauchst du?«

»Gebete. Viele Gebete.«

Ich raste zum Krankenhaus, ohne auf die Welt um mich herum zu achten. Die Fahrt erschien mir endlos, und auf dem ganzen Weg fand ein adrenalinbefeuerter Dialog in meinem Kopf statt – ein Kampf zwischen zwei polaren Kräften. Die erste Stimme versicherte mir, meine Nachbarin sei nur panisch und alles sei gut. Dann brüllte eine andere Stimme: Es ist schlimmer, als sie sagen. Es ist schlimmer als dein schlimmster Albtraum.

Als ich das Krankenhaus erreicht hatte, war ich fast rasend vor Angst. Ich parkte in einer Behindertenzone vor der Notaufnahme und rannte hinein und zu dem ersten Aufnahmeschalter. Hinter der gläsernen Trennscheibe saß eine Frau mittleren Alters mit einer dicken Brille. Sie sah auf ihren Computerbildschirm und bemerkte mich gar nicht.

Ich klopfte an die Scheibe. »Meine Frau wurde hier eingeliefert«, sagte ich panisch.

Sie sah zu mir hoch.

»McKale Christoffersen. Ich bin ihr Ehemann.«

Sie gab den Namen in ihren Computer ein. »Oh, ja. Augenblick.« Sie griff zum Telefon und wählte eine Nummer. Sie sprach leise mit jemandem, dann legte sie auf und wandte sich wieder um. »Es kommt jemand, um mit Ihnen zu sprechen. Bitte nehmen Sie Platz.«

Ich setzte mich auf einen Stuhl, hielt mir eine Hand vor die Augen und wiegte mich sanft vor und zurück. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen hatte, als ich auf einmal eine Hand auf meiner Schulter spürte und aufsah. Es waren unsere Nachbarn, Monnie und Tex Olsen. In dem Augenblick, als ich ihre betroffenen Gesichter sah, zerbrach irgendetwas in mir. Ich begann zu schluchzen. Monnie legte die Arme um mich. »Es tut uns so leid.«

»Haben Sie schon mit den Ärzten gesprochen?«, fragte Tex.

Ich schüttelte den Kopf. »Sie sind noch bei ihr.« Ich wandte mich an Monnie. »Haben Sie gesehen, wie es passiert ist?«

Sie kniete sich neben mich und sprach mit leiser Stimme. »Nein, ich habe sie ein paar Minuten, nachdem es passiert war, gefunden. Ihr Pferd hat gescheut und sie abgeworfen.«

»Wie ging es ihr?«

Ich wollte tröstliche Worte hören, aber sie schüttelte nur den Kopf. »Nicht gut.«

Es dauerte noch einmal zehn Minuten, bis eine junge Frau mit einem knabenhaften Gesicht und kurzen Haaren aus der Doppeltür der Notaufnahme ins Wartezimmer kam. Sie trug Hosen und eine Seidenbluse, und an einer Kordel um ihren Hals baumelte ein Plastik-Namensschild. Die Frau hinter der Trennscheibe deutete auf mich, vermutlich nur zur Bestätigung. Es war nicht schwer, den verzweifelten Typen zu erkennen. »Mr. Christoffersen?«

Ich stand auf. »Ja.«

»Ich bin Shelly Crandall. Ich bin eine Sozialarbeiterin des Krankenhauses.«

Sie haben eine Sozialarbeiterin geschickt?, dachte ich. »Ich will meine Frau sehen.«

»Es tut mir leid, aber die Ärzte sind noch bei ihr.«

»Was ist los?«

»Ihre Frau hat einen Wirbelbruch im Oberrücken erlitten. Die Ärzte sind dabei, sie zu stabilisieren.«

»Ist sie gelähmt?« Die Worte waren einfach aus mir herausgeplatzt.

Sie zögerte. »Es ist noch zu früh, um das sagen zu können. Bei einer Verletzung wie dieser kommt es zu etlichen Schwellungen, die die Nerven beeinträchtigen können. Im Allgemeinen warten wir zweiundsiebzig Stunden mit einer genauen Prognose, was die Schädigung des Rückenmarks anbelangt.«

»Wann kann ich sie sehen?«

»Es wird noch ein paar Stunden dauern. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie zu ihr bringen werde, sobald sie draußen ist. Es tut mir leid, Mr. Christoffersen.«

Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. Monnie und ihr Mann saßen mir schweigend gegenüber.

Das Warten war quälend. Mit jeder Minute, die verstrich, schien etwas Hoffnung zu schwinden. Ich lauschte ängstlich auf die Lautsprecherdurchsagen zu eingelieferten Traumafällen und Patientennotrufen und fragte mich, ob sie über McKale redeten.

Fast zwei Stunden nach meiner Ankunft führte mich die Sozialarbeiterin durch die Doppeltür der Notaufnahme. Mein erster Gedanke, als ich meine Frau sah, war, dass es sich um eine Verwechslung handelte und man mich in den falschen Raum gebracht hatte. McKale war lebendig und kräftig. Die Frau, die in einem Krankenhaushemd in dem Bett lag, sah winzig und zerbrechlich aus. Gebrochen.

Meine McKale war gebrochen. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Haar lag ausgebreitet auf dem Kissen hinter ihr. Das Bett war von Monitoren flankiert. Ein Infusionsschlauch führte in ihren rechten Arm. Ich stellte mit Verwunderung fest, dass sie noch immer Erde im Gesicht hatte. McKale war mit dem Gesicht nach unten von ihrem Pferd gefallen, und während der Notversorgung hatte sich niemand die Zeit genommen, sie zu waschen.

Meine Beine fühlten sich an, als würde mein Körper auf einmal eine ganze Tonne wiegen. Ich lehnte mich gegen das Gitter des Bettes, während sich meine Augen mit Tränen füllten. »Mickey …«

Beim Klang meiner Stimme öffneten sich McKales Augen mit einem Flattern, und sie sah zu mir hoch.

Ich drückte ihre Hand. »Ich bin hier.«

Tränen traten ihr in die Augen. Ihre Stimme kam leise. »Es tut mir so leid.«

Ich kämpfte gegen meine eigenen Tränen an. Ich musste für McKale stark sein. »Was tut dir leid?«

»Ich habe alles ruiniert.«

»Nein, Schatz. Es wird alles gut mit dir. Es wird alles gut werden.«

Sie sah mich einen Augenblick lang an, dann schloss sie die Augen. »Nein, das wird es nicht.«

Die nächsten vierundzwanzig Stunden waren ein einziger Albtraum. Über die Infusion wurde McKale kontinuierlich mit Morphin versorgt, und während ich neben ihr saß, verlor sie immer wieder für kurze Zeit das Bewusstsein. Einmal wachte sie auf und fragte, ob das alles ein Traum sei. Ich wünschte so sehr, ich hätte »Ja!« sagen können. Gegen acht verließ ich das Zimmer, um ein paar Telefonate zu erledigen.

Mein erster Anruf galt McKales Vater. Er fing an zu weinen und versprach, mit dem nächsten Flug zu kommen. Danach rief ich meinen Vater an. Er war still, als ich es ihm sagte. »Es tut mir leid, mein Sohn. Brauchst du irgendetwas?«

»Ein Wunder.«

»Ich wünschte, ich hätte eines. Soll ich hochkommen?«

»Nein.«

»Okay.« Das war ihm nur recht. Es war uns beiden recht. So war es eben.

Etwas später an diesem Abend bekam ich einen Anruf von Kyle. »Wie geht es McKale?«

»Augenblick«, sagte ich. Ich verließ McKales Zimmer. »Sie hat sich den Rücken gebrochen. Es ist schlimm. Wir wissen nur noch nicht, wie schlimm.«

»Aber sie ist doch nicht gelähmt …«

Ich hasste dieses Wort. »Das wissen wir noch nicht, aber sie kann die Beine nicht bewegen.«

Er stöhnte auf. »Aber es gibt doch Hoffnung, oder? Wunder geschehen jeden Tag.«

»Genau darauf hoffen wir.«

Wir schwiegen beide lange Zeit. Dann sagte er: »Ich habe angerufen, um dir zu sagen, dass wir den Brücke-Auftrag bekommen haben.«

Es dauerte eine Minute, bis seine Worte zu mir durchdrangen. Ich wunderte mich, dass das, was meine Gedanken wochenlang völlig beherrscht hatte, auf einmal keinen Platz und keine Bedeutung mehr hatte. An jedem anderen Tag hätten wir mit einem teuren Essen und einer Flasche Champagner bei Canlis gefeiert. Diese Welt schien bereits nur mehr eine ferne Erinnerung zu sein. Alles, was ich sagte, war: »Oh.« Mir wurde bewusst, wie entfernt von der Wirklichkeit ich auf einmal war.

Es folgte ein weiteres langes Schweigen. Schließlich sagte Kyle: »Hey, mach dir keine Sorgen, ich habe alles im Griff.«

»Danke.«

»Keine Ursache. Hat McKale die Blumen bekommen?«

»Ja. Danke.«

»Grüß McKale von mir. Und mach dir keine Sorgen, ich halte dir den Rücken frei.«