Neuntes Kapitel
Je mehr dir jemand
versichert,
dass alles gut ist,
desto sicherer kannst du dir sein,
dass es das nicht ist.
Alan Christoffersens Tagebuch
Am nächsten Tag wurde McKale von der Intensivstation in die Reha-Abteilung des Krankenhauses verlegt. Die nächsten drei Wochen verbrachte ich an ihrer Seite. Ich blieb jeden Abend, bis sie eingeschlafen war. Eines Abends war ich so erschöpft, dass ich ausnahmsweise gehen wollte, bevor sie eingeschlafen war, doch sie flehte mich an zu bleiben. Sie hatte Angst, und sie klammerte sich an mich, wie sich ein Mensch an einen Ast am Rand eines Wasserfalls klammert. Vielleicht aus demselben Grund.
Ich hasste die Reha. Ich hasste allein schon das Wort. Es war irreführende Werbung. Nichts wurde rehabilitiert. Ihr einziger Zweck bestand darin, McKale an ein Leben im Rollstuhl zu gewöhnen, und das erwies sich als schwieriger, als wir gehofft hatten, da ihr Oberkörper nicht die Kraft aufbringen konnte, das dafür Erforderliche zu tun.
Neben der Physiotherapie gab es auch »emotionale Unterstützung«. Ein ganzes Heer von Therapeuten spuckte mehr Versprechungen aus als ein nächtliches Infomercial. Sie können alles schaffen, auf Berge zu steigen, bringt uns nur höher, Sie können ein ganz normales Leben führen, Ihr Leben kann genauso erfüllt sein, wie es davor war, bla, bla, bla.
McKale nannte es einen »erbärmlichen Abklatsch eines Motivationstrainings«.
Sie nahm ihnen nichts von alledem ab.
In jenen ersten Wochen nach dem Unfall waren die einzigen beruflichen Anrufe, die ich neben denen von Kyle und Falene bekam, wiederholte Anrufe von zweien meiner Kunden, Wathen und Coiffeur. Jedes Mal, wenn sie anriefen, schrieb ich Kyle eine SMS und bat ihn, sich darum zu kümmern. Ich konnte einfach nicht in zwei Welten leben. Ich wusste es sehr zu schätzen, dass Kyle für mich einsprang, doch ich wusste auch, dass es so nicht mehr viel länger weitergehen konnte.
Als ich gegen Ende der dritten Woche Vorkehrungen traf, um McKale nach Hause zu bringen, begann ich auch, mich innerlich auf meine Rückkehr zur Arbeit vorzubereiten. Ich rief Kyle an, um mich auf den aktuellen Stand bei unseren Aufträgen bringen zu lassen, und wunderte mich, als er nicht an sein Handy ging. So ging es die nächsten drei Tage. Am Ende der Woche fragte ich mich, ob er sein Handy vielleicht verloren hatte. Am Freitagnachmittag rief ich Tawna an, unsere Empfangssekretärin, um herauszufinden, wo er war.
»Madgic, Falene am Apparat.«
»Wieso gehst du denn ans Telefon?«, fragte ich. »Wo ist Tawna?«
»Sie ist nicht mehr da.«
»Sie ist früher gegangen?«
»Nein, sie hat aufgehört. Alle außer mir haben aufgehört.«
Nach allem, was ich verstand, hätte sie ebenso gut Chinesisch reden können. »Aufgehört? Wovon redest du denn?«
»Kyle und Ralph haben ihre eigene Firma gegründet. Sie haben alle mitgenommen.«
Ich war fassungslos. »Kyle und Ralph sind gegangen?«
»Er und Ralph haben eine eigene Agentur gegründet. Craig/Jordan Werbung.«
»Was ist mit unseren Kunden?«
»Die haben sie alle mitgenommen. Kyle hat ihnen gesagt, Madgic würde untergehen«, sagte sie wütend. »Ich habe getan, was ich konnte, um sie zu halten. Ich habe Wathen und Claudia bei Coiffeur überzeugen können, erst einmal bei dir anzurufen, aber sie haben gesagt, du hättest sie nie zurückgerufen.«
»Wir haben sie alle verloren?«
»Jeden Einzelnen.«
Ich fuhr mir mit einer Hand übers Gesicht. »Ich kann es nicht glauben!«
»Ich will es auch nicht glauben. Sag mir, was ich tun soll.«
Mein Kopf fühlte sich an, als würde er zerspringen. »Ich weiß nicht, Falene. Halt einfach durch. McKale kommt am Samstag nach Hause. Wir werden uns am Montagmorgen zusammensetzen und eine Strategie entwickeln. Wie sieht es finanziell aus?«
»Ich habe Steve wegen der Gehälter angerufen. Er sagte, wir seien mehr oder weniger blank.«
»Das kann nicht sein. Wir müssten den monatlichen Gehaltsvorschuss von allen Kunden bekommen haben.«
»Ich weiß nur, was er mir gesagt hat.«
»Kyle«, dachte ich laut. »Er muss sie dazu gebracht haben, ihren Gehaltsvorschuss an ihn zu zahlen.«
»Kannst du ihn nicht verklagen?«
»Damit wird er nicht davonkommen.«
Falene seufzte. »Es tut mir leid, Al. Ich weiß, das ist das Letzte, was du jetzt noch gebraucht hast.«
»Wir schaffen das schon, Falene. Wir sprechen uns am Montag und machen einen Plan.«
Ihre Stimme wurde ruhiger. »Okay. Grüß McKale von mir.«
»Falene.«
»Ja?«
»Danke, dass du nicht gegangen bist.«
»Schon gut. Außerdem gibt es auf der ganzen Welt nicht genug Geld, um mich dazu zu bringen, für diesen Widerling zu arbeiten.«