Zweites Kapitel
Der Garten Eden ist das Urbild für alle, die etwas verloren haben, mit anderen Worten, für die ganze Menschheit.
Haben heißt verlieren, so wie
leben sterben
heißt. Dennoch beneide ich Adam.
Denn obwohl er den Garten Eden verlor, hatte er immer noch seine Eva.
Alan Christoffersens Tagebuch
Bevor meine Welt zusammenbrach, war ich Werbemanager in Seattle, auch wenn dieser Titel zugegebenermaßen ein bisschen zu hochtrabend klingt für jemanden, der sein Büro mit Aquaman-Actionfiguren und Einstein-Postern dekorierte. Ich war ein Werbetyp. Wenn Sie mich fragen würden, was mich in diese Branche verschlagen hat, könnte ich es Ihnen wirklich nicht sagen. Es war einfach etwas, was ich schon immer machen wollte. Vielleicht, weil ich so gern Darrin in Verliebt in eine Hexe sein wollte (als Junge schwärmte ich für Elizabeth Montgomery). 1998 machte ich auf dem College meinen Abschluss in Grafikdesign und zog einen Job an Land, noch bevor die Tinte auf meinem Diplom trocken war.
In der Werbewelt blühte ich auf und genoss das Leben als aufstrebender Jungstar. Als Wunderkind. In meinem ersten Jahr gewann ich zwei ADDYs und im Jahr darauf vier. Dann, nachdem ich drei Jahre damit verbracht hatte, meine Bosse reich zu machen, folgte ich dem bevorzugten Weg aller Werbeagenturen, Anwaltskanzleien und organisierten Religionen und spaltete mich ab, um meine eigene Firma zu gründen. Ich war erst achtundzwanzig Jahre alt, als der Name meiner Agentur in Vinylbuchstaben an meine Bürotür gepresst wurde.
MADGIC
Werbung und Grafikdesign
Die Firma wuchs in nur neun Wochen von zwei Angestellten auf ein Dutzend an, und ich machte mehr Geld als jemand, der schwarz mit Barbra-Streisand-Karten handelt. Einer meiner Kunden erklärte mich zum Aushängeschild des amerikanischen Traums. Nach zwei Jahren hatte ich alles, was zu materiellem Erfolg gehörte: meine eigene Firma, ein Lexus-Sportcoupé, Urlaubsreisen nach Europa und ein wunderschönes 1,9-Millionen-Dollar-Haus in Bridal Trails, einer exklusiven, bewaldeten Wohngegend nördlich von Bellevue, mit einem Pferdehof und Reitwegen anstelle von Gehsteigen.
Und ich hatte – zur Abrundung dieses Erfolgsbildes – eine Ehefrau, die ich über alles liebte – eine brünette Schönheit namens McKale. Wenn ich von potenziellen Kunden gefragt wurde, ob ich ihre Produkte verkaufen könne, zeigte ich ihnen ein Bild von McKale und sagte: »Ich habe sie dazu gebracht, mich zu heiraten«, und dann nickten sie anerkennend und gaben mir den Auftrag.
McKale war die Liebe meines Lebens und im wahrsten Sinne des Wortes das Mädchen von nebenan. Ich lernte sie kennen, als ich eben neun geworden war, etwa vier Monate nachdem meine Mutter gestorben und mein Vater mit mir von Colorado nach Arcadia, Kalifornien, gezogen war.
Es war Spätsommer, und McKale saß allein in ihrem Vorgarten an einem Klapptisch und verkaufte Kool-Aid aus einem Glaskrug. Sie trug einen kurzen Rock, der ihr knapp bis zu den Knien reichte, und rosa Cowboystiefel. Ich fragte sie, ob ich ihr helfen könne, und sie musterte mich kurz und sagte dann: »Nein.«
Ich lief hoch in mein Zimmer und malte ihr ein großes Schild, so groß wie ein Werbeplakat:
Kalte Kool-Aid
Nur 10 Ct.
(Ich fand, das mit den zwei Ks war ein netter Einfall.) Ich ging wieder hinunter und zeigte ihr mein Werk. Sie mochte mein Schild genug, um mich neben sich sitzen zu lassen. Ich nehme an, so bin ich eigentlich zur Werbung gekommen: um das Mädchen zu kriegen. Wir redeten und tranken ihr Schwarzkirschelixier, für das sie mich trotzdem bezahlen ließ. Sie war wunderschön. Ihre Züge waren vollkommen: langes, kaffeebraunes Haar, Sommersprossen und schokoladensirupbraune Augen, um die nicht einmal ein Werbetyp zu viel Hype machen könnte. Letztendlich verbrachten wir in jenem Sommer viel Zeit zusammen. Um genau zu sein, in jedem Sommer von da an.
Genau wie ich hatte auch McKale keine Geschwister. Und auch sie hatte viel durchgemacht. Ihre Eltern hatten sich etwa zwei Monate, bevor wir einzogen, scheiden lassen. Nach ihrer Erzählung war es keine der üblichen Scheidungen gewesen, bei denen im Vorfeld viel herumgeschrien und zerschlagen wird. Ihre Mutter hatte sich einfach auf und davon gemacht und sie mit ihrem Vater Sam allein gelassen. McKales Gedanken kreisten ständig darum, was bloß schiefgegangen war, auch wenn sie dabei manchmal stecken zu bleiben schien, wie ein Computer, der sich aufhängt, während man selbst dasitzt und auf die Sanduhr starrt und darauf wartet, dass irgendetwas passiert. Ein Jammer, dass Menschen nicht mit Reset-Knöpfen ausgestattet sind.
Unsere Bruchstücke passten zusammen. Wir teilten unsere tiefsten Geheimnisse, Unsicherheiten, Ängste und manchmal auch unsere Herzensdinge miteinander. Als ich zehn war, begann ich, sie Mickey zu nennen. Das gefiel ihr. Es war dasselbe Jahr, in dem wir in ihrem Garten ein Baumhaus bauten. Wir verbrachten viel Zeit darin. Wir spielten Brettspiele wie Mausefalle und Sorry, und manchmal übernachteten wir sogar dort. An ihrem elften Geburtstag fand ich sie dort, in einer Ecke sitzend und hysterisch weinend. Als sie wieder sprechen konnte, sagte sie: »Wie konnte sie mich verlassen? Wie kann eine Mutter so etwas nur tun?« Sie wischte sich wütend die Augen.
Ich hatte keine Antwort für sie. Ich hatte mich dasselbe gefragt.
»Du kannst von Glück reden, dass deine Mutter gestorben ist«, sagte sie.
Das gefiel mir gar nicht. »Ich kann von Glück reden, dass meine Mutter gestorben ist?«
Zwischen zwei Schluchzern sagte sie: »Deine Mutter wäre geblieben, wenn sie gekonnt hätte. Aber meine Mutter hat sich entschieden, mich zu verlassen. Sie ist noch immer irgendwo dort draußen. Ich wünschte, sie wäre stattdessen gestorben.«
Ich setzte mich neben sie und legte den Arm um sie. »Ich werde dich niemals verlassen.«
Sie legte den Kopf an meine Schulter. »Ich weiß.«
McKale eröffnete mir die weibliche Welt. Einmal wollte sie, dass wir uns küssen, nur um zu sehen, ob es wirklich so toll war, wie alle behaupteten. Wir küssten uns ungefähr fünf Minuten lang. Das gefiel mir. Sehr sogar. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es ihr auch gefallen hatte, denn sie bat mich nie wieder, es zu tun. Daher taten wir es nie wieder.
So war das mit uns. Wenn McKale etwas nicht gefiel, taten wir es nicht. Ich begriff nie, wieso immer sie es war, die die Regeln aufstellte, aber ich befolgte sie immer. Irgendwann entschied ich, dass es eben einfach so war.
Sie ging sehr offen mit ihrem Erwachsenwerden um. Manchmal fragte ich sie etwas, und dann sagte sie: »Ich weiß nicht. Für mich ist das auch neu.«
Als sie dreizehn war, fragte ich sie, warum sie keine Freundinnen habe.
Als hätte sie lange darüber nachgedacht, antwortete sie: »Ich mag keine Mädchen.«
»Warum nicht?«
»Ich vertraue ihnen nicht.« Dann fügte sie hinzu: »Ich mag Pferde.«
McKale ging fast jede Woche reiten. Etwa einmal pro Monat lud sie mich ein mitzukommen, aber ich sagte immer, ich hätte keine Zeit. In Wahrheit hatte ich schreckliche Angst vor Pferden. Einmal, als ich sieben war, machten mein Dad, meine Mom und ich im Sommer Urlaub auf einer Ferienranch in Wyoming, die Juanita Hot Springs hieß. An unserem zweiten Tag dort unternahmen wir einen Ausritt. Mein Pferd war ein Schecke namens Cherokee. Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen, daher umklammerte ich mit einer Hand das lederne Sattelhorn und mit der anderen die Zügel, während ich jede Sekunde der Unternehmung hasste. Während des Ausritts beschlossen ein paar der Cowboys, ein Wettrennen zu veranstalten, und mein Pferd entschied, dass es mit von der Partie sein wollte. Als es mit mir durchging, ließ ich die Zügel fallen und klammerte mich an das Sattelhorn, während ich laut um Hilfe schrie. Zum Glück machte einer der Cowboys kehrt, um mich zu retten – auch wenn er seine Verachtung für diesen »Großstadtjungen« nicht verhehlen konnte. Er sagte nur: »Ich reite, seit ich drei bin.« Kein Wunder, dass ich McKales Liebe zu Pferden nie teilte.
Abgesehen von der Reiterei waren wir fast immer zusammen. Wir gingen zusammen zur Grundschule und durch das schwierige Alter, darunter die mittleren Schuljahre – die Achselhöhle des Lebens. Mit fünfzehn reifte McKale körperlich heran, und die Highschool-Jungs begannen, ihr Haus zu umschwärmen wie Motten das Licht. Auch mir entging die Veränderung an ihr natürlich nicht, und sie trieb mich in den Wahnsinn. Man sollte diese Art Gefühle nicht für seine beste Freundin haben.
Ich kochte vor Eifersucht. Ich hatte keine Chance gegen diese Typen. Sie hatten Schnurrbärte. Ich hatte Akne. Sie hatten aufgemotzte Autos. Ich hatte eine Monatskarte für den Bus. Ich war extrem uncool.
Der Erziehungsstil von McKales Vater ließ sich am besten als Laisser-faire bezeichnen, und als er ihr in der Mittelstufe erlaubte, mit Jungs auszugehen, verlor sie vor lauter Verabredungen fast den Überblick. Nach ihren Rendezvous kam sie oft noch zu einer Art Nachbesprechung bei mir vorbei, was ein bisschen so war, als würde man einem Verhungernden das Büfett beschreiben, an dem man sich eben satt gegessen hat. Ich weiß noch, wie sie mich nach einer ihrer Verabredungen einmal fragte: »Warum wollen Männer uns immer besitzen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, antwortete ich, während ich sie mehr als alles andere auf der Welt besitzen wollte.
Die Sache mit ihr und den Jungs ähnelte einem Baseballspiel: Einer war immer am Schlagholz, einer als nächster Batter an der Reihe, und ein paar Dutzend Jungen warteten auf der Spielerbank, in der Hoffnung, mit meiner besten Freundin die Bases zu umrunden. Ich fühlte mich eher wie ein Hotdog-Verkäufer auf der Tribüne als wie einer der Spieler.
Wenn sie mich im Hinblick auf einem bestimmten Jungen um Rat fragte, gab ich ihr immer mal eine erstaunlich eigennützige Antwort, doch sie sah mich nur mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Ich war erbärmlich. Einmal sagte sie zu mir, dass ich, wenn sie einmal heiratete, ihre Brautjungfer sein müsse, da ich ja ihr bester Freund sei. Das hieße, dass ich mir die Beine rasieren müsste, und was ich von Chiffon hielte? Ich weiß nicht, ob sie mich absichtlich so quälte oder ob es für sie ganz natürlich war.
Mit sechzehn änderte sich die Sache. Ich hatte einen Wachstumsschub hingelegt, und das andere Geschlecht zeigte auf einmal Interesse an mir. Das hatte eine interessante Wirkung auf McKale. Während sie es immer genossen hatte, ihre Verabredungen in allen grausamen Details mit mir zu erörtern, wollte sie von meinen nie etwas hören. Sie entwickelte eine Frag-nichts-sag-nichts-Strategie. Ich weiß noch, wie ich eines Nachmittags im Herbst mit McKale auf der Veranda vor ihrem Haus stand und mit ihr redete, als zwei Mädchen vorbeikamen, um mich zu besuchen. Sie gesellten sich zu uns. Eine von ihnen hatte eine Schwäche für mich, und beide flirteten mit mir, was das Zeug hielt. McKale stürmte ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu.
»Was hat die denn für ein Problem?«, fragte eines der Mädchen.
»Eifersüchtig«, sagte das andere. Ich weiß noch, dass ich ein warmes Aufwallen von Hoffnung verspürte.
Trotzdem, falls sie romantische Gefühle für mich hegte, verbarg sie sie gut, und die meiste Zeit litt ich im Stillen. Und das mit gutem Grund. McKale war meine beste Freundin, und es gibt keine bessere Methode, eine Freundschaft zu ruinieren, als jemandem seine Liebe zu erklären, der dafür nicht empfänglich ist. Zum Glück musste ich das nie tun.
Eines warmen Junitages – es war mein siebzehnter Geburtstag – lagen wir zusammen in der Hängematte in ihrem Garten. Sie lag mir gegenüber, und ihre winzigen, nackten Füßen berührten meine Schultern. Wir wiegten uns sanft hin und her und diskutierten darüber, wo die Beatles jetzt wären, wenn es Yoko nicht gegeben hätte, als sie auf einmal sagte: »Du weißt aber schon, dass wir eines Tages heiraten werden.«
Ich weiß nicht, woher sie diese Neuigkeit hatte – ich weiß nur noch, dass sich ein gewaltiges Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Ich versuchte, mich cool zu geben. »Meinst du?«
»Ich weiß es.«
»Woher weißt du das denn?«
»Weil du so wahnsinnig verliebt in mich bist, dass du es kaum aushältst.«
Leugnen schien zwecklos. »Ist dir das aufgefallen?«
»Aber ja«, sagte sie nüchtern. »Allen fällt es auf. Dem Postboten fällt es auf.«
Ich kam mir wie ein Idiot vor.
Ihre Stimme wurde sanfter. »Und die Sache ist die … Mir geht es genauso mit dir.«
Sie schwang die Beine über den Rand der Hängematte und setzte sich auf, hielt ihr Gesicht nah vor meines. Ich sah zu ihr hoch, und sie starrte mich mit feuchten Augen an. »Du weißt doch, dass ich dich liebe, oder? Ich könnte niemals ohne dich leben.«
Ich fühlte mich so, wie sich ein Lottospieler fühlen muss, wenn alle seine Zahlen gezogen werden. In diesem Augenblick verwandelte sich eine Freundschaft von sieben Jahren in etwas anderes. Wir küssten uns, und diesmal konnte ich spüren, dass es ihr gefiel. Es sollte der zweitschönste Tag in meinem Leben sein. Unser Hochzeitstag war mein schönster.
Es gibt ein Problem, wenn man seine Traumfrau heiratet. Du bist ist immer in Sorge, dass sie dich eines Tages durchschaut und dich verlässt. Oder noch schlimmer, dass irgendjemand Besseres daherkommt und sie dir wegnimmt. In meinem Fall war es nicht irgendjemand. Und es war auch nicht irgendetwas Besseres.