Zwischen den Spielen des Pompeius — die vor allem deshalb ein großer Erfolg waren, weil sich sein Geschmack in Zirkus und Theater mit dem der einfachen Leute deckte — und den ludi Romani lagen die Kalenden des September, und an den Kalenden des September fand traditionell eine Senatssitzung statt. Sie war schon immer eine wichtige Sitzung gewesen, und so auch in diesem Jahr: Lucius Aurelius Cotta trug sein Gutachten vor.

»Ich habe den Auftrag erfüllt, den ihr mir zu Beginn des Jahres erteilt habt, eingeschriebene Väter«, sagte Lucius Cotta vom kurulischen Podium aus. »Und ich hoffe, ihr werdet mit meiner Arbeit zufrieden sein. Bevor ich ins Detail gehe, möchte ich kurz umreißen, was ich euch als Gesetz zu empfehlen rate.«

Lucius Cotta hatte keine Schriftrollen oder Papiere in Händen, und auch der Assistent des Stadtprätors schien keine Dokumente dabeizuhaben. Da der Tag extrem heiß war — es war immer noch Hochsommer —, ließ das Haus einen schwachen Seufzer der Erleichterung hören; Lucius Cotta würde ihre Geduld nicht allzulange strapazieren. Schließlich neigte er ohnehin nicht zur Weitschweifigkeit; von den drei Cottas war er der jüngste und bei weitem der hellste Kopf.

»Offen gesagt, Kollegen Senatoren«, sagte er mit seiner klaren lauten Stimme, »ich war weder von den Rittern noch von den Senatoren sonderlich beeindruckt, was ihre Tätigkeit als Geschworene betrifft. Wenn die Geschworenen ausschließlich aus Senatoren bestehen, bevorzugen sie den Senatorenstand. Und wenn sie ausschließlich Ritter sind, die ein Staatspferd besitzen, bevorzugen sie den Ritterstand. In beiden Fällen neigen die Geschworenen dazu, bestechlich zu sein, und zwar vor allem deshalb, weil sie alle aus dem gleichen Stand kommen — sei es nun aus dem der Senatoren oder aus dem der Ritter. Deshalb mache ich den Vorschlag, das Amt der Geschworenen gleichmäßiger als je zuvor auf die Stände zu verteilen. Gaius Gracchus entzog dem Senat das Recht, die Geschworenen zu stellen, und übergab es den achtzehn Zenturien der ersten Klasse, deren Mitglieder ein Staatspferd und ein Einkommen von mindestens vierhunderttausend Sesterzen pro Jahr haben. Nun stammen unbestreitbar fast alle Senatoren aus Familien, die zu den achtzehn Zenturien an der Spitze der ersten Klasse gehören. Ich will damit sagen, daß Gaius Gracchus nicht weit genug ging. Deshalb schlage ich vor, jedes Geschworenengericht zu gleichen Teilen mit drei Gruppen zu besetzen, nämlich mit Senatoren, mit Rittern, die ein Staatspferd besitzen, und mit Zahlmeistern — den Rittern, aus denen der größte Teil der ersten Klasse besteht und deren Jahreseinkommen sich auf mindestens dreihunderttausend Sesterzen pro Jahr beläuft.«

Ein Murmeln erhob sich, aber kein zorniges; die Gesichter wandten sich Lucius Cotta zu wie die Blumen der Sonne. Sie wirkten erstaunt, aber nachdenklich.

Lucius Cotta ließ seine Überzeugungskraft spielen. »Wie mir scheint, waren wir Senatoren in den vielen Jahren, die zwischen Gaius Gracchus und der Diktatur von Lucius Cornelius Sulla verstrichen, sentimental geworden. Wir dachten damals sehnsüchtig an die Zeit zurück, als wir über das Privileg verfügten, die Geschworenen zu stellen, und hatten ganz vergessen, daß es sich dabei um eine schwere Pflicht handelte. Denn wir hatten nur dreihundert Männer, um alle Geschworenengerichte zu besetzen, dagegen konnten die Ritter mit Staatspferd ihre Geschworenen immerhin aus fünfzehnhundert Mann auswählen. Dann hat uns Sulla unser geliebtes Privileg zurückgegeben, und obwohl er den Senat erweitert hatte, damit wir es erfüllen konnten, mußten wir schon bald feststellen, daß alle Senatoren, die in Rom weilten, andauernd durch irgendwelche Geschworenenpflichten in Anspruch genommen wurden. Denn durch die ständigen Gerichtshöfe hat sich der Bedarf an Geschworenen beträchtlich vermehrt. Sulla ging vermutlich davon aus, daß wir dank der kleineren Zahl der Geschworenen bei den einzelnen Gerichten und dank der größeren Zahl der Senatoren nicht dauernd als Geschworene gebraucht würden, aber er hat das Problem unterschätzt.

Als ich meine Untersuchung begann«, fuhr Lucius Cotta fort, »war ich nur von der einen Sache felsenfest überzeugt, daß der Senat selbst in seiner erweiterten Form nicht groß genug ist, um für jeden Prozeß die Geschworenen zu stellen. Und doch, eingeschriebene Väter, widerstrebte es mir, die Gerichte wieder den Rittern aus den achtzehn Staatspferd-Zenturien zu überlassen. Dies hätte ich als einen doppelten Verrat empfunden, als einen Verrat an meinem eigenen senatorischen Stand und als einen Verrat an dem hervorragenden Rechtssystem, das Sulla mit den ständigen Gerichtshöfen geschaffen hat.«

Alle Senatoren hatten sich gebannt vorgelehnt. Es war absolut einleuchtend, was Lucius Cotta sagte!

»Aus diesem Grund dachte ich zuerst daran, die Geschworenenpflicht zwischen dem Senat und den achtzehn ersten Zenturien gleich zu verteilen, also jedes Gericht zu fünfzig Prozent mit Senatoren und zu fünfzig Prozent mit Rittern zu besetzen. Nach einigen Berechnungen stellte ich jedoch fest, daß die Last für die Senatoren auch dann noch zu schwer wäre.«

Lucius Cotta streckte mit ernstem Gesicht und leuchtenden Augen beide Hände aus und gab seiner Rede eine etwas andere Richtung: »Wenn ein Mann über seine Mitmenschen zu Gericht sitzen muß«, sagte er ruhig, »dann sollte er, gleichgültig welchen Status er hat, frisch, wach und interessiert sein. Dies aber ist nicht möglich, wenn er zu häufig Geschworener sein muß. Er wird immer matter, müder, desinteressierter — und immer anfälliger für Bestechungen. Was, mag er sich fragen, soll mich sonst für die lästige Pflicht als Geschworener entschädigen außer einer ordentlichen Bestechungssumme. Der Staat bezahlt seine Geschworenen nicht. Deshalb sollte er auch nicht das Recht haben, riesige Mengen ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen.«

Viele Senatoren nickten oder murmelten zustimmend; es gefiel ihnen sehr, was Lucius Cotta zu sagen hatte.

»Ich bin mir bewußt, daß viele von euch aus diesem Grund meinten, daß die Geschworenenpflicht an ein größeres Gremium übertragen werden sollte, als es der Senat darstellt. Auch bin ich mir natürlich bewußt, daß die Pflicht, die Geschworenen zu stellen, schon einmal für einen kurzen Zeitraum auf beide Stände verteilt war. Aber, wie ich schon sagte, ging keine der bisherigen Lösungen weit genug. Da die ersten achtzehn Zenturien achtzehnhundert Mitglieder abzüglich der Senatsmitglieder haben, verfügen die Ritter über ein ausreichendes Reservoir von Männern, die Geschworene werden können, und ein Ritter muß vielleicht einmal pro Jahr als Geschworener fungieren.«

Lucius Cotta machte eine Pause und blickte befriedigt in die Runde. Dann fuhr er lebhaft fort: »Ein Mann aus der ersten Klasse ist genau, was der Name sagt: erstklassig. Er ist ein hervorragender Bürger, der über ein jährliches Einkommen von nicht weniger als dreihunderttausend Sesterzen verfügt. Aber Rom ist eine sehr alte Stadt. Manche Institutionen haben sich überhaupt nicht geändert, und andere hat man zwar weiterbestehen lassen, aber man hat ihnen zusätzliche Leute zugeteilt oder neue Funktionen aufgepfropft. So auch die erste Klasse. Ganz zu Anfang bestand sie nur aus den ersten achtzehn Zenturien. Weil wir jedoch eisern daran festhielten, daß jede Zenturie nur aus hundert Mann bestehen durfte, mußten wir die erste Klasse erweitern, indem wir ihr mehr Zenturien hinzufügten. Als wir dreiundsiebzig zusätzliche Zenturien hatten, beschlossen wir, die erste Klasse auf eine andere Art zu erweitern — indem wir mehr als hundert Männer in die zusätzlichen Zenturien aufnahmen. So bekamen wir schließlich eine erste Klasse mit schwach besetzter Spitze. In den ersten achtzehn Zenturien waren immer noch achtzehnhundert Mann, in den restlichen dreiundsiebzig dagegen viele tausend.

Warum, fragte ich mich, sollten wir eigentlich den vielen tausend Mitgliedern der ersten Klasse, deren Familien nicht so angesehen sind, daß sie zu den achtzehn Zenturien der Ritter mit Staatspferd gehören, keine öffentlichen Pflichten anbieten? Wenn wir auch die große Zahl der weniger angesehenen Ritter, der Zahlmeister, ein Drittel der Geschworenen stellen ließen, würden wir die Last auf sehr viele Schultern verteilen, und das neue Amt würde auf die vielen tribuni aerarii als ein gewaltiger Ansporn wirken. Stellt euch eine Jury von beispielsweise einundfünfzig Mann vor, die aus siebzehn Senatoren, siebzehn Rittern mit Staatspferd und siebzehn Zahlmeistern besteht. Die siebzehn Senatoren hätten dank ihres juristischen Wissens und ihrer langen Praxis als Geschworene Gewicht. Die siebzehn Ritter mit Staatspferd kämen aus angesehenen Familien mit großem Vermögen. Und die siebzehn Zahlmeister wären durch jugendliche Frische, einen anderen Erfahrungshorizont, die Mitgliedschaft in der ersten Klasse der römischen Bürger und ihr ebenfalls beträchtliches Vermögen für die neue Aufgabe qualifiziert.«

Wieder streckte Lucius Cotta beide Hände aus, dann ließ er die rechte fallen und zeigte mit der linken auf die massiven Bronzetüren der Curia Hostilia. »Dies ist meine Lösung, eingeschriebene Väter! Die Geschworenen werden zu gleichen Teilen von allen drei Ständen der ersten Klasse gestellt. Wenn ihr einen entsprechenden Beschluß faßt, werde ich meinen Vorschlag als Gesetz formulieren und ihn der Volksversammlung zur Abstimmung vorlegen.«

Pompeius hatte im Monat September die fasces inne und saß auf seinem kurulischen Stuhl vor dem Podium. Crassus’ Stuhl hinter ihm war leer.

»Was meint der designierte Konsul?« richtete Pompeius die vorgeschriebene Frage an Quintus Hortensius.

»Der designierte Konsul gratuliert Lucius Cotta zu seiner hervorragenden Arbeit«, sagte Hortensius. »Lucius Cotta hat eine ungemein vernünftige Lösung für ein schwieriges Problem gefunden. Sie hat meinen Beifall als designierter kurulischer Magistrat und als Anwalt.«

»Und was sagt der zweite designierte Konsul?« fragte Pompeius.

»Ich stimme mit meinem erstgewählten Kollegen überein«, sagte Metellus das Zicklein, der keinen Grund mehr hatte, sich der Maßnahme zu widersetzen, nachdem der Prozeß gegen Verres beendet war und Verres sich aus dem Staub gemacht hatte.

Pompeius befragte der Rangordnung nach einen Magistraten nach dem anderen, und keiner fand an dem Gesetzesvorschlag etwas auszusetzen. Einige waren zwar versucht, Kritik zu üben, aber wenn sie daran dachten, wieviel Zeit sie als Geschworene hatten verbringen müssen, packte sie das Grausen, und sie hielten lieber den Mund.

»Eine hervorragende Reform«, sagte Cicero zu Caesar, als die beiden am Ausgang zusammentrafen. »Wir haben beide eine Schwäche für ehrliche Geschworene. Wie schlau Lucius Cotta seine Reform angelegt hat! Zwei Drittel der Geschworenen müßten nun bestochen werden, damit sie das richtige Urteil sprechen — das ist viel teurer, als wenn man nur eine Hälfte bestechen muß —, und wenn sich ein Drittel bestechen läßt, werden die anderen beiden mit größter Wahrscheinlichkeit ablehnen. Ich wage die Voraussage, mein lieber Caesar, daß die Bestechung der Geschworenen zwar nicht ganz aufhören, aber doch sehr viel seltener vorkommen wird. Für die Zahlmeister wird es Ehrensache sein, sich anständig zu benehmen, um sich ihres neuen Amtes als würdig zu erweisen. Ja, Lucius Cotta hat wirklich eine geniale Lösung gefunden!«

Caesar machte es großen Spaß, seinem Onkel von dieser Äußerung Ciceros zu berichten, als dieser beim Abendessen neben ihm auf dem triclinium saß. Weder Aurelia noch Cinnilla waren zugegen; Cinnilla war im vierten Monat schwanger, und es war ihr fast immer übel, während Aurelia die kleine Julia umsorgte, die ebenfalls kränkelte. Die beiden Männer speisten also allein, und es gefiel ihnen gar nicht schlecht.

»Ich gebe zu, daß ich an das Problem der Bestechung gedacht habe«, sagte Lucius Cotta lächelnd. »Aber ich konnte vor dem Senat nicht allzu deutlich werden, wenn er meinem Vorschlag zustimmen sollte.«

»Wie wahr! Trotzdem haben die meisten Senatoren die Auswirkung deines Gesetzes auf die Bestechlichkeit gesehen. Leute wie Cicero und ich halten diesen Aspekt für einen enormen Vorteil; Hortensius dagegen wird ihn vielleicht im stillen verfluchen. Wenn man vom Problem der Bestechung absieht, ist das Beste an deiner Lösung, daß du Sullas ständige Gerichtshöfe beibehalten hast. Sie sind meines Erachtens seit der Einführung von Strafprozeß und Geschworenen der größte Fortschritt in der römischen Rechtsgeschichte gewesen.«

»Das ist aber ein dickes Lob, Caesar!« Lucius Cotta sonnte sich einen Augenblick in Caesars Anerkennung; dann stellte er seinen Weinbecher auf den Tisch und runzelte die Stirn. »Du genießt das Vertrauen von Marcus Crassus, Caesar, also kannst du vielleicht meine Befürchtungen zerstreuen. Dies ist in vieler Hinsicht ein glückliches Jahr gewesen — keine Kriege, die wir nicht mit Leichtigkeit gewinnen konnten, das Schatzamt weniger beansprucht als in den letzten Jahren, ein ordentlicher Zensus aller römischer Bürger in Italien, eine gute Ernte in Italien und den Provinzen und ein ordentliches Gleichgewicht zwischen alten und neuen Regierungsmethoden. Wenn man von der Verfassungswidrigkeit von Magnus’ Konsulat absieht, ist dies wirklich ein gutes Jahr gewesen. Als ich hier durch die Subura ging, hatte ich das Gefühl, daß die normale römische Bevölkerung — die Leute, die kaum je einmal zur Abstimmung aufgerufen werden und denen Crassus’ Getreideverteilung wirklich hilft, ihr knappes Einkommen zu strek- ken — glücklicher sind, als sie es seit über zwanzig Jahren waren. Ich gebe zu, daß nicht sie zu leiden haben, wenn Köpfe rollen und die Rinnsteine auf dem Forum von Blut überfließen; aber von der Stimmung, in der solche Schlächtereien stattfinden, werden auch sie ergriffen, selbst wenn ihr Leben nicht gefährdet ist.«

Lucius Cotta machte eine Atempause und trank einen Schluck Wein.

»Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst, Onkel«, sagte Caesar. »Aber sprich ruhig weiter.«

»Es ist ein herrlicher Sommer gewesen, besonders für das einfache Volk. Eine Volksbelustigung jagte die andere; es gab so viel Essen, daß man sich bis zum Platzen vollfressen und trotzdem noch sackweise Essen mit nach Hause nehmen konnte, damit sich auch alle Familienmitglieder vollfressen konnten; es gab Löwenjagden, Elefantenparaden, Wagenrennen und überall Theateraufführungen; die Parade der Staatspferde war eine Sensation — und vor allem gab es Getreide, ganz umsonst! Außerdem verliefen die Wahlen friedlich und fanden endlich einmal rechtzeitig statt. Und wir haben obendrein noch einen spektakulären Prozeß gehabt, in dem der Schurke bekommen hat, was er verdiente, und Hortensius eins aufs Auge. Nicht zu vergessen die sauberen Badebecken im Tribarium; viel weniger Krankheiten, als man hätte erwarten können; ja sogar die Verbrechen und Betrügereien waren auf ein erträgliches Maß beschränkt!« Lucius Cotta lächelte. »Ob sie es nun verdient haben oder nicht, die größte Anerkennung und das größte Lob ernten die Konsuln. Die Vorstellung, die sich die Leute von ihnen machen, ist ebenso romantisch wie phantastisch. Wir beide wissen es natürlich besser. Obwohl man nicht bestreiten kann, daß sie hervorragende Konsuln waren — sie haben nur die notwendigen Gesetze gemacht, um ihren Hals zu retten, und ansonsten kaum Schaden angerichtet. Und doch — und doch — es sind Gerüchte im Umlauf, Caesar. Gerüchte, daß zwischen Pompeius und Crassus nicht alles zum besten steht. Daß sie nicht miteinander reden. Daß der eine nicht anwesend ist, wenn der andere irgendwo zugegen sein muß. Und ich mache mir Sorgen, weil ich diesen Gerüchten Glauben schenke — und weil ich finde, daß wir aus der Oberklasse den kleinen Leuten wenigstens ein einziges perfektes Jahr schulden.«

»Die Gerüchte sind wahr«, sagte Caesar nüchtern.

»Warum?«

»Hauptsächlich, weil Marcus Crassus Pompeius die Schau gestohlen hat und Pompeius es nicht ertragen kann, ausgestochen zu werden. Er dachte, daß er nach seiner Farce mit den Staatspferden und den Spielen der Held sein werde. Dann hat Crassus für drei Monate freies Getreide angekündigt und Pompeius gezeigt, daß er nicht der einzige Mann in Rom ist, der ein riesiges Vermögen besitzt. Pompeius hat sich gerächt, indem er Crassus aus seinem Leben verbannte, öffentlich wie privat. So hätte er beispielsweise Crassus mitteilen müssen, daß heute eine Senatssitzung stattfand. Natürlich weiß jeder, daß an den Kalenden des September immer eine Senatssitzung stattfindet, aber der erste Konsul beruft sie ein, und er muß den rangniedrigeren Magistraten offiziell Mitteilung machen.«

»Mir hat er Mitteilung gemacht«, sagte Lucius Cotta.

»Er hat alle benachrichtigt, außer Crassus. Und Crassus hat das als persönliche Beleidigung aufgefaßt. Deshalb ist er nicht erschienen. Ich habe versucht, ihn umzustimmen, aber er hielt eisern an seinem Entschluß fest.«

»So ein Schwachsinn!« rief Lucius Cotta und ließ sich angeekelt auf die Liege zurücksinken. »Die beiden werden es noch fertigbringen, ein Jahr zu ruinieren, welches das beste von tausend hätte sein können!«

»Das werden sie nicht«, sagte Caesar. »Ich lasse es nicht zu. Aber wenn ich es schaffe, einen Waffenstillstand zwischen ihnen zu vermitteln, wird er nicht lange halten. Deshalb warte ich bis zum Ende des Jahres, Onkel, und ich bringe ein paar Cottae mit ins Spiel. Wenn das Jahr zu Ende geht, werden wir Crassus und Pompeius zu einer öffentlichen Versöhnung zwingen, die jedermann zu Tränen rührt. Wir kriegen ein exeunt omnes am letzten Tag des Jahres, bei dem aus voller Brust gesungen wird — selbst ein Plautus wäre stolz auf eine solche Aufführung gewesen.«

»Weißt du, Caesar«, sagte Lucius Cotta nachdenklich und richtete sich auf, »als du noch ein Junge warst, hatte ich dich auf meiner Liste der Männer vermerkt, die man im Sinne von Archimedes als die großen Beweger bezeichnen kann — >gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde!< So sah ich dich, und deshalb bedauerte ich es sehr, als sie dich zum Jupiterpriester machten. Als du es geschafft hattest, diese Fessel abzustreifen, setzte ich dich wieder auf meine Liste. Aber die Dinge nehmen einen Verlauf, den ich nicht erwartet hätte. Du bewegst, aber du bewegst mit Hilfe eines komplizierten Systems von Hebeln und Zahnrädern! Für einen jungen Mann bist du auf allen Ebenen sehr bekannt, von der Subura bis zum Senat. Aber du agierst nicht wie ein großer Beweger, eher wie der Haushofmeister an einem orientalischen Hof. Du gibst dich damit zufrieden, die treibende Kraft hinter den Kulissen zu sein und läßt andere Männer den Ruhm kassieren. Ich finde das sehr seltsam für einen Mann wie dich!«

Caesar hatte mit zusammengepreßten Lippen zugehört, und auf seinen elfenbeinfarbenen Wangen waren zwei rote Flecke erschienen. »Du hast mich nicht zu Unrecht auf deine Liste gesetzt, Onkel. Aber mein Amt als Jupiterpriester war vielleicht das Beste, was mir angesichts der Tatsache, daß ich es wieder losgeworden bin, je passiert ist. Es lehrte mich, meine Macht vorsichtig zu gebrauchen und mein Licht unter den Scheffel zu stellen, weil es ausgeblasen werden könnte, wenn ich es zu offen zeige. Es lehrte mich, daß die Zeit ein besserer Verbündeter ist als Geld oder einflußreiche Mentoren. Es lehrte mich die Geduld, die mir meine Mutter nie zugetraut hat — und es lehrte mich, daß nichts umsonst ist! Ich lerne immer noch, Onkel. Und ich hoffe, daß ich nie aufhören werde zu lernen! Lucullus hat mich gelehrt, daß ich lernen kann, indem ich Ideen entwickle und sie von anderen Personen verwirklichen lasse. Ich halte mich im Hintergrund und beobachte, was geschieht. Aber sei unbesorgt, Lucius Cotta! Die Zeit wird kommen, wo ich mich als der größte Beweger aller Zeiten erweisen werde. Ich werde Konsul sein, wenn meine Zeit gekommen ist, doch das wird nur der Anfang sein.«

Der November war ein schlimmer Monat, obwohl das Wetter warm und freundlich war. Tante Julia begann unter einer ominösen Krankheit zu leiden, die kein Arzt diagnostizieren konnte, selbst Lucius Tuccius nicht. Das Symptom war ein allgemeiner Verfall; sie verlor an Gewicht, an Zuversicht, an Energie und an Interesse.

»Ich glaube, sie ist müde, Caesar«, sagte Aurelia.

»Aber doch bestimmt nicht lebensmüde«, sagte Caesar entsetzt, der eine Welt ohne Tante Julia nicht glaubte ertragen zu können.

»Doch«, sagte Aurelia. »Das ist ihr größtes Problem.«

»Sie hat doch so viel, wofür sie leben kann!«

»Nein. Ihr Mann und ihr Sohn sind tot, also hat sie nichts mehr, wofür sie leben kann. Ich habe dir das schon einmal erklärt.« Ihre wunderschönen Augen füllten sich mit Tränen. »Ich kann ihr das wenigstens zum Teil nachfühlen; mein Ehemann ist auch tot. Wenn du auch sterben würdest, Caesar, wäre das mein Ende. Ich hätte nichts mehr, wofür ich leben könnte.«

»Es wäre ein schwerer Schlag, aber nicht das Ende, Mater«, sagte Caesar. Er konnte nicht glauben, daß er ihr so viel bedeutete. »Du hast doch Enkelkinder, und du hast zwei Töchter.«

»Das ist wahr. Aber Julia hat keine.« Die Tränen waren verschwunden. »Der Lebensinhalt einer Frau sind ihre Männer, Caesar, nicht die Frauen, die sie geboren hat, oder die Kinder, die ihre Töchter gebären. Keine Frau ist wirklich zufrieden mit ihrem Los, denn wir alle sind zu einer undankbaren und schattenhaften Existenz verurteilt. Die Männer bewegen und kontrollieren diese Welt, nicht die Frauen. Deshalb lebt die intelligente Frau ihr Leben durch ihre Männer.«

Caesar spürte, daß sie einen schwachen Moment hatte, und nutzte ihn gnadenlos aus. »Mutter, was hat dir eigentlich Sulla bedeutet?«

Er erhielt tatsächlich eine Antwort. »Er war aufregend und interessant. Er achtete mich auf eine Weise, wie es dein Vater nie getan hat, obwohl ich nie den Wunsch verspürte, seine Frau zu sein oder seine Geliebte. Dein Vater war mein wirklicher Lebensgefährte. Sulla war mein Traum. Nicht aufgrund seiner Größe, sondern aufgrund seiner Agonie. Unter seinen Freunden gab es niemanden, der ihm gleich gewesen wäre. Nur der griechische Schauspieler, der ihm in den Ruhestand folgte, und ich, eine Frau.« Der schwache Moment war vorüber, und sie warf Caesar einen energischen Blick zu. »Genug davon! Du darfst mich jetzt zu Julia begleiten.«

Die Tante war nur noch ein Schatten ihrer selbst, doch sie blühte ein wenig auf, als sie Caesar erblickte. Er verstand jetzt ein bißchen besser, was seine Mutter ihm erklärt hatte: Der Lebensinhalt einer intelligenten Frau sind ihre Männer. Ist das gerecht? fragte er sich. Sollten die Frauen nicht mehr vom Leben haben? Aber dann stellte er sich ein Forum Romanum und eine Curia Hostilia vor, die zur Hälfte mit Frauen besetzt waren, und schauderte. Frauen waren zum Vergnügen da, um dem Mann in seinem Heim Gesellschaft zu leisten, um ihm zu dienen und sich nützlich zu machen. Pech für sie, wenn sie mehr wollten!

»Erzähl mir eine Geschichte vom Forum«, sagte Julia und ergriff Caesars Hand.

Ihre eigene Hand glich mehr und mehr einer Klaue, und seine empfindliche Nase, die so sehr an das exquisite Parfüm seiner Tante gewohnt war, nahm in den letzten Tagen einen säuerlichen Geruch wahr, den das Parfüm nicht mehr ganz überdecken konnte. Nicht der Geruch des Alters. Das Wort Tod kam ihm in den Sinn, aber er schob es beiseite und setzte ein fröhliches Lächeln auf.

»Ich habe wirklich eine Geschichte vom Forum zu erzählen«, sagte er im Plauderton, »eine Geschichte über eine Basilika, besser gesagt.«

»Eine Basilika? Welche?«

»Die erste Basilika überhaupt, die Basilica Porcia, die vor über hundert Jahren von Cato dem Zensor erbaut wurde. Wie du weißt, haben die Volkstribunen ihre Sitzungen schon immer in einem Saal im Erdgeschoß abgehalten. Und vielleicht weil sie ihre frühere Macht zurückerhalten haben, schien ihnen das Schicksal dieses Jahr gnädig zu sein. Genau in der Mitte des Sitzungssaals befindet sich nämlich eine riesige Säule, die es fast unmöglich macht, eine Sitzung abzuhalten, an der außer den zehn Volkstribunen noch jemand teilnimmt. Also hat Plautius, der Vorsitzende des Tribunenkollegiums, beschlossen, die Säule loszuwerden. Er ging zu unserem berühmtesten Architekturbüro und fragte, ob es eine Möglichkeit gebe, sie abzureißen. Und als die Sache vermessen und berechnet worden war, erhielt er folgende Antwort: Ja, die Säule könne entfernt werden, ohne daß die Stabilität des Gebäudes gefährdet würde.«

Julia lag auf ihrer Liege und hatte ihren Körper an Caesar geschmiegt, der auf dem Rand der Liege saß. Ihre großen grauen Augen lagen tief in den entzündeten Höhlen, aber sie waren fest auf sein Gesicht gerichtet. Sie lächelte und schien wirklich interessiert. »Ich habe keine Ahnung, worauf die Geschichte hinausläuft«, sagte sie und drückte seine Hand.

»Die Volkstribunen wußten es auch nicht! Die Baumeister holten ihre Gerüste und stützten das Gebäude sorgfältig ab, die Architekten machten eine letzte genaue Untersuchung, und alles war für den Abriß der Säule bereit. Da kam ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren hereinspaziert — angeblich wird er im Dezember vierundzwanzig — und verkündete, daß er die Entfernung der Säule verbiete!

>Wer bist denn du?< fragte Plautius.

>Ich bin Marcus Porcius Cato, der Urenkel von Cato dem Zensor, der die Basilika erbaut hat<, sagte der junge Mann.

>Wie schön für dich!< sagte Plautius. >Und jetzt mach, daß du fortkommst, bevor du die Säule auf den Kopf kriegst!< Aber der junge Mann rührte sich nicht von der Stelle. Die Volkstribunen konnten tun und lassen, was sie wollten, er rührte sich einfach nicht vom Fleck. Er schlug sein Lager direkt unter dem lästigen Hindernis auf und setzte ihnen unbarmherzig zu, wann immer jemand da war, dem er zusetzen konnte. Er schimpfte ununterbrochen, und zwar mit einer Stimme, die laut Plautius eine Bronzestatue zerspringen lassen könnte — ich kann das nur bestätigen, denn ich habe ihn gehört.«

Aurelia hörte jetzt genauso interessiert zu wie Julia. »Was für ein Theater«, schnaubte sie verächtlich. »Ich hoffe, sie haben ihr Veto gegen ihn eingelegt.«

»Sie haben es versucht. Aber er weigerte sich, das Veto zu akzeptieren. Er sei ein echtes Mitglied der Plebs, und sein Urgroßvater habe das Gebäude erbaut, und sie würden es nicht zerstören, nur über seine Leiche. Er hat sich festgebissen wie ein Hund in einer Ratte — das muß man ihm lassen! Er nannte unzählige Gründe für sein Verhalten, aber im Grunde drehte sich alles darum, daß sein Urgroßvater die Basilica Porcia auf eine bestimmte Weise hatte erbauen lassen und daß diese bestimmte Weise heilig war, unantastbar, weil sie zum mos maiorum gehörte.«

Julia kicherte. »Wer hat gewonnen?« fragte sie.

»Der junge Cato natürlich. Die Volkstribunen konnten seine Stimme einfach nicht mehr hören.«

Aurelia war schockiert. »Haben sie es mit Gewalt versucht? Sie hätten ihn doch einfach vom Tarpejischen Felsen stürzen können.«

»Ich glaube, das hätten sie mit Vergnügen getan«, sagte Caesar. »Aber als er sie so weit getrieben hatte, daß sie gerne Gewalt angewandt hätten, hatte sich die Sache herumgesprochen, und täglich versammelte sich eine große Menschenmenge, um den Streit zu beobachten. Deshalb kam Plautius zu der Einsicht, daß es den Volkstribunen in den Augen des Mobs mehr geschadet hätte, körperliche Gewalt anzuwenden, als klein beizugeben und die Säule stehenzulassen. Natürlich haben sie Cato ein Dutzend Mal aus dem Gebäude hinausgeworfen, aber er kam einfach wieder zurück! Und es wurde klar, daß er niemals aufgeben würde. Also hielt Plautius eine Versammlung der Volkstribunen ab, und alle zehn Mitglieder des Kollegiums kamen überein, die Säule weiterhin zu ertragen.«

»Wie sieht dieser Cato aus?« fragte Julia.

Caesar runzelte die Stirn. »Schwer zu beschreiben. Er ist gleichzeitig hübsch und häßlich. Man könnte ihn mit einem edlen Pferd vergleichen, das versucht, durch ein Holzgatter an einem Apfel zu knabbern.«

»Ganz Nase und Zähne«, sagte Julia sofort.

»Genau.«

»Ich kann dir noch eine andere Geschichte über ihn erzählen«, sagte Aurelia.

»Nur zu!« sagte Caesar, der merkte, daß Julias Interesse geweckt war.

»Sie ereignete sich, bevor der junge Cato zwanzig wurde. Er hatte schon immer seine Cousine Aemilia Lepida angebetet, Mamercus’ Tochter. Sie war bereits mit Metellus Scipio verlobt, als dieser nach Spanien ging, um unter seinem Vater zu dienen. Als Metellus Scipio jedoch einige Jahre vor seinem Vater zurückkehrte, hatten er und Lepida einen schlimmen Streit. Lepida löste ihre Verlobung und verkündete, daß sie Cato heiraten werde. Mamercus kochte vor Wut! Besonders, so scheint es, weil meine Freundin Servilia, die Catos Halbschwester ist, ihn gewarnt hatte, daß sich zwischen Cato und Aemilia Lepida etwas abspielen könnte. Jedenfalls ging am Ende alles gut aus, weil Aemilia Lepida Cato gar nicht wirklich heiraten wollte. Sie benutzte ihn nur, um Metellus Scipio eifersüchtig zu machen. Als Metellus Scipio zu ihr kam und sie um Vergebung bat, war Cato nicht mehr gefragt, und Metellus Scipio stand wieder in ihrer Gunst. Kurz darauf haben die beiden geheiratet. Cato aber hat die Abfuhr so schlecht verkraftet, daß er versuchte, sowohl Metellus Scipio als auch Aemilia Lepida umzubringen. Als ihm das mißlang, wollte er Metellus Scipio verklagen, weil er ihm Aemilia Lepida abspenstig gemacht habe. Sein Halbbruder Servilius Caepio — ein netter junger Mann, der gerade Hortensius’ Tochter geheiratet hat — konnte ihn jedoch überzeugen, daß er sich mit einer Klage zum Narren gemacht hätte, und Cato nahm Abstand von seinem Vorhaben. Allerdings soll er im folgenden Jahr zahllose Gedichte geschrieben haben, die bestimmt alle erbärmlich schlecht waren.«

»Wirklich witzig!« sagte Caesar mit bebenden Schultern.

»Damals war es ganz und gar nicht witzig. Das kannst du mir glauben!« versetzte seine Mutter. »Was immer aus dem jungen Cato einmal wird, seine bisherige Karriere deutet darauf hin, daß er immer die Fähigkeit haben wird, seiner Umgebung extrem auf die Nerven zu gehen. Mamercus und Cornelia Sulla verabscheuen ihn, von Servilia gar nicht zu reden. Inzwischen gilt das, glaube ich, auch für Aemilia.«

»Er ist jetzt mit einer anderen verheiratet, nicht?« fragte Caesar.

»Ja, mit einer Attilia. Nicht gerade eine gute Partie, aber schließlich ist er ja nicht besonders reich. Sie hat ihm letztes Jahr ein Mädchen geboren.«

Das genügt, dachte Caesar, nach einem Blick auf seine erschöpfte Tante. Eine längere Unterhaltung durfte man ihr zur Zeit nicht zumuten.

»Ich will es zwar nicht glauben, aber du hast recht, Mater«, sagte er zu Aurelia, als sie Julias Haus verließen. »Tante Julia wird sterben.«

»Ja, das wird sie, aber noch nicht gleich, mein Sohn. Sie wird noch einige Zeit im neuen Jahr leben und vielleicht noch länger.«

»Ich hoffe, daß sie noch lebt, wenn ich nach Spanien aufbreche!«

»Caesar! Das ist die Hoffnung eines Feiglings«, sagte seine Mutter unbarmherzig. »Normalerweise hast du keine Angst vor unangenehmen Ereignissen.«

Er blieb mitten auf der Alta Semita stehen und ballte beide Hände zu Fäusten. »Komm mir bloß nicht damit!« schrie er so laut, daß sich zwei Passanten neugierig umdrehten. »Immer hast du es mit der Pflicht. Nichts als Pflicht, Pflicht und noch einmal Pflicht! Das eine will ich dir sagen, Mater: Die einzige Pflicht, die ich scheue, ist die, Tante Julia beerdigen zu müssen, wenn ich noch in Rom bin.« Nur Anstand und Höflichkeit hielten ihn für den Rest dieses unangenehmen Heimwegs an der Seite seiner Mutter; er hätte viel darum gegeben, wenn er sie einfach hätte stehenlassen können und sie den Weg zurück in die Subura alleine hätte finden müssen.

Auch bei ihm zu Hause stand nicht alles zum Besten. Cinnilla war im sechsten Monat schwanger, und es ging ihr nicht besonders gut. Die »Tag und Nacht Übelkeit«, wie Caesar ihren Zustand mit Galgenhumor genannt hatte, war zwar vergangen, aber nun waren ihre Beine und Füße so stark angeschwollen, daß es sie sehr ängstigte. Sie war fast immer ans Bett gefesselt und mußte die Füße hochlegen. Außerdem war Cinnilla nicht nur krank und hatte Angst, sie war auch sauer. Ein Zustand, mit dem der ganze Haushalt große Schwierigkeiten hatte, weil er so gar nicht zu ihrem Charakter paßte.

So kam es, daß Caesar zum ersten Mal, wenn er sich in Rom aufhielt, einen Ort außerhalb seiner Wohnung in der Subura suchte, wo er seine Tage und Nächte verbringen konnte. Bei Crassus zu wohnen kam nicht in Frage. Er hätte nur an die Kosten gedacht, die er für einen zusätzlichen Esser hätte aufbringen müssen, zumal gerade das teuerste Jahr seines Lebens zu Ende ging. Und Gaius Matius hatte vor kurzem geheiratet, also stand auch die zweite Erdgeschoßwohnung in Aurelias Mietshaus, wo Caesar am liebsten gewohnt hätte, nicht zur Verfügung. Auch war er nicht in der richtigen Stimmung für ein Liebesabenteuer; die Affäre mit Caecilia Metella hatte ein abruptes Ende gefunden, als Verres nach Massilia verschwand, und Caesar hatte bisher noch keinen geeigneten Ersatz für sie gefunden. Um die Wahrheit zu sagen, war seine Lust auf Liebesabenteuer auch wegen des schlechten Gesundheitszustands seiner Frau und seiner Tante ziemlich gedämpft. Also mietete er schließlich eine kleine Vierzimmerwohnung am Vicus Patricius, einige hundert Schritte von seiner anderen Wohnung entfernt, wo er die meiste Zeit in Gesellschaft von Lucius Decumius verbrachte. Da die Gegend fast so verrufen war wie diejenige, wo sich das Mietshaus seiner Mutter befand, würden seine politischen Freunde dort nie auftauchen, und das kam der heimlichtuerischen Seite seines Charakters entgegen. Die Wohnung lag in einem guten Gebäude und wurde allmählich mehr als nur ein Ausweichquartier für ihn. Er stattete sie mit einigen hübschen Möbelstücken und Kunstwerken aus und vergaß auch nicht, ein gutes Bett zu besorgen. Vielleicht würde seine Lust auf Liebesabenteuer ja wieder einmal zunehmen.

Anfang Dezember brachte Caesar eine absolut hinreißende Versöhnung zustande. Die beiden Konsuln standen zusammen auf der Rostra und warteten darauf, daß der Stadtprätor Lucius Cotta die Volksversammlung einberief. Crassus war der amtierende Konsul im Dezember und zur Anwesenheit verpflichtet. Pompeius aber dachte nicht im Traum daran, ein Ereignis von solcher Tragweite nicht mit seiner Anwesenheit zu krönen. Da die Konsuln nicht gut an entgegengesetzten Enden der Tribüne stehen konnten, ohne in der Menge große Unruhe auszulösen, standen sie notgedrungen nebeneinander. Sie schwiegen zwar, aber sie erweckten zumindest den Anschein, als seien sie Freunde.

Auch Caesars leiblicher Vetter, Gaius Cotta, der Sohn des verstorbenen Konsuls gleichen Namens, war zu der Versammlung gekommen. Er war zwar noch kein Senator, aber nichts hätte ihn davon abhalten können, in den Tribuskomitien seine Stimme abzugeben; schließlich ging es um das Gesetz seines Onkels Lucius. Als Gaius Cotta sah, daß Pompeius und Crassus einträchtig beieinanderstanden und das erste Mal seit Monaten wieder wie Kollegen wirkten, stieß er einen Schrei aus, der so laut war, daß sich aller Augen auf ihn richteten.

»Oh«, schrie er noch einmal und noch lauter. »Mein Traum! Mein Traum hat sich erfüllt!«

Und er sprang so plötzlich auf die Tribüne, daß Pompeius und Crassus automatisch einen Schritt auseinander machten. Der junge Gaius Cotta trat zwischen sie, legte ihnen die Arme um die Schultern und sah mit Tränen in den Augen auf die Menschenmenge hinunter, die sich auf dem Platz versammelt hatte.

»Quirites«, schrie er, »letzte Nacht hatte ich einen Traum! Jupiter Optimus Maximus sprach zu mir. Er sprach aus einer Wolke von Wasser und Feuer, die mich zugleich durchnäßte und verbrannte! Weit unter mir konnte ich die Gestalten unserer beiden Konsuln Gnaeus Pompeius Magnus und Marcus Licinius Crassus erkennen. Sie standen jedoch nicht nebeneinander wie heute. Der eine stand im Osten und der andere im Westen, und sie blickten trotzig in entgegengesetzter Richtung. Und die Stimme des Großen Gottes sprach zu mir aus der Wolke von Feuer und Wasser: >Sie dürfen nicht als Feinde aus ihrem Amt scheiden! Sie müssen es als Freunde tun!<«

Auf dem Forum war es totenstill geworden; alle Augen waren auf die drei Männer gerichtet. Gaius Cotta nahm seine Arme von den Schultern der Konsuln, machte einen Schritt nach vorn, drehte sich um und blickte ihnen ins Gesicht.

»Gnaeus Pompeius und Marcus Licinius«, sagte er mit Donnerstimme, »wollt ihr nicht Freunde werden?«

Einen Moment lang rührte sich keiner der drei. Weder Pompeius noch Crassus verzogen auch nur eine Miene.

»Na los!« schrie Gaius Cotta. »Reicht euch die Hände! Seid Freunde!«

Die Konsuln rührten sich noch immer nicht. Schließlich aber machte Crassus eine Vierteldrehung und streckte seine massige Hand aus.

»Es ist mir eine Ehre«, brüllte er, »als erster einem Manne die Versöhnung anzubieten, der bereits Magnus genannt wurde, als er noch keinen Bart hatte, und der nicht nur einen, sondern zwei Triumphe gefeiert hat, bevor er Senator wurde.«

Pompeius stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen einem Quietschen und einem Jaulen anzusiedeln war, griff mit beiden Händen zu und quetschte mit verzerrtem Gesicht Crassus’ Pranke und seinen Oberarm. Beide machten einen Schritt nach vorn und fielen sich um den Hals. Die Menge tobte. In Windeseile hatte sich die Neuigkeit von der Versöhnung im Velabrum, in der Subura und in den Werkstätten jenseits der sumpfigen Palus Ceroliae verbreitet. Von allen Seiten rannten die Menschen herbei, um sich zu vergewissern, daß die Konsuln wirklich wieder Freunde waren. Den Rest des Tages spazierten die beiden gemeinsam durch Rom, schüttelten Hände, erlaubten, daß man sie berührte, und ließen sich beglückwünschen.

»Es gibt solche und solche Triumphe«, sagte Caesar zu seinem Onkel Lucius und seinem Vetter Gaius. »Der heutige war von der besseren Art. Vielen Dank für eure Hilfe.«

»War es schwer, sie von der Notwendigkeit einer Versöhnung zu überzeugen?« fragte der junge Gaius Cotta.

»Nicht wirklich. Wenn dieses Paar auch sonst nichts versteht, sie wissen, wie wichtig es ist, populär zu sein. Keiner von beiden ist beschlagen in der Kunst, Kompromisse zu schließen; aber ich habe die Last auf beide Schultern verteilt, und das hat sie zufriedengestellt. Crassus mußte seinen Stolz als erster hinunterschluk- ken und all die ekelhaften Eigenschaften vergessen, die er an unserem lieben Pompeius haßt. Aber er hat den Beifall dafür eingeheimst, daß er als erster nachgab und die Hand ausstreckte. Also hat Crassus gewonnen, was das Duell um die Sympathie der Leute betrifft. Zum Glück weiß das Pompeius nicht. Er denkt, er habe gewonnen, weil er sich vornehm zurückhielt und seinen Kollegen zwang, seine Überlegenheit anzuerkennen.«

»Hoffen wir, daß Magnus nicht herausfindet, wer wirklich gewonnen hat, bevor das Jahr zu Ende ist«, sagte Lucius Cotta.

»Ich fürchte, ich habe deine Versammlung gestört, Onkel«, sagte Gaius Cotta. »Du wirst die Menge heute nicht mehr so beruhigen können, daß sie in der Lage ist abzustimmen.«

»Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte Lucius Cotta gleichmütig.

Caesar verließ mit den beiden das Forum Romanum über die Vestalische Treppe, die zum Palatin hinaufführte, blieb jedoch auf halbem Wege stehen und blickte zurück. Da standen sie, Pompeius und Crassus, umgeben von Horden glücklicher Römer. Und auch sie waren glücklich; der Bruch war vergessen.

»Dieses Jahr ist ein Wendepunkt gewesen«, sagte Caesar, als er die Treppe weiter hinaufstieg. »Jeder von uns hat eine Art Grenze überschritten. Ich habe das seltsame Gefühl, daß keiner von uns je wieder dasselbe Leben genießen wird.«

»Ja«, sagte Lucius Cotta, »ich verstehe, was du meinst. Ich habe mich dieses Jahr mit meinem Gesetz in den Geschichtsbüchern verewigt. Wenn ich je beschließen sollte, als Konsul zu kandidieren, wird das, fürchte ich, eher ein Abstieg sein.«

»Ich hatte keineswegs an einen Abstieg gedacht«, sagte Caesar lachend.

»Was werden Pompeius und Crassus tun, wenn das Jahr um ist?« fragte Gaius Cotta. »Es heißt, keiner von beiden will abreisen und Provinzstatthalter werden.«

»Stimmt«, sagte Lucius Cotta. »Sie wollen beide ins Privatleben zurückkehren. Warum auch nicht? Beide haben erst kürzlich große Feldzüge angeführt, beide sind so reich, daß sie es nicht nötig haben, eine Provinz auszuplündern, und sie haben ihr gemeinsames Konsulat mit Gesetzen gekrönt, die sie von jedem Verdacht des Hochverrats freisprechen und ihren Veteranen Land verschaffen, soviel sie wollen. Auch ich würde an ihrer Stelle das Land nicht verlassen, um eine Provinz zu regieren.«

»Ihre Lage ist nicht so einfach, wie du denkst«, sagte Caesar. »Was sollen sie jetzt tun? Pompeius sagt, er will in sein geliebtes Picenum zurückkehren und den Senat nie wieder mit seiner Anwesenheit belästigen. Und Crassus ist besessen von dem Gedanken, die tausend Talente zurückzugewinnen, die er dieses Jahr ausgegeben hat.« Caesar stieß einen gewaltigen und glücklichen Seufzer aus. »Ich aber gehe als Quästor nach Hispania Ulterior, unter einem Statthalter, den ich zufällig sehr schätze.«

»Gaius Antistius Vetus, Pompeius’ früherer Schwager«, sagte Gaius Cotta grinsend.

Caesar hatte seinen sehnlichsten Wunsch nicht erwähnt, nämlich nach Spanien aufzubrechen, bevor Tante Julia starb.

Doch sein Wunsch erfüllte sich nicht. Mitte Februar wurde Caesar in einer stürmischen Nacht an ihr Bett gerufen; seine Mutter war schon einige Tage zuvor in Julias Haus gezogen.

Julia war bei Bewußtsein und konnte noch sehen; als er erschien, trat ein schwaches Leuchten in ihre Augen. »Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie.

Seine Brust schmerzte, so sehr mußte er sich beherrschen, aber er schaffte es zu lächeln, als er sie küßte und sich wie immer auf ihren Bettrand setzte. »Ich hätte dich bestimmt nicht im Stich gelassen«, sagte er leichthin.

»Ich wollte dich unbedingt sehen«, sagte sie. Ihre Stimme war ziemlich klar und fest.

»Hier bin ich, Tante Julia. Was kann ich für dich tun?«

»Was würdest du für mich tun, Gaius Julius?«

»Was immer du verlangst«, sagte er, und er meinte es ernst.

»Dann fällt mir ein Stein vom Herzen, weil du mir sicher verzeihen wirst.«

»Was hätte ich dir zu verzeihen?« fragte er erstaunt. »Es gibt nichts, was du mir angetan hättest. Absolut nichts!«

»Verzeih mir, daß ich Marius nicht daran gehindert habe, dich zum Jupiterpriester zu machen«, sagte sie.

»Tante Julia, niemand konnte Marius daran hindern zu tun, was er tun wollte«, rief Caesar aus. »Der Stadtrand von Rom ist gesäumt von den Gräbern der Männer, die es versuchten! Ich war nie auch nur einen Augenblick versucht, dich dafür verantwortlich zu machen! Und du darfst es auch nicht tun.«

»Wenn du es nicht tust, dann tue ich es auch nicht.«

»Ich tue es nicht. Du hast mein Wort.«

Ihre Augen schlossen sich, und Tränen strömten unter ihren Lidern hervor. »Mein armer Sohn«, flüsterte sie. »Es ist furchtbar, der Sohn eines großen Mannes zu sein.... Ich hoffe, du wirst keine Söhne haben, denn du wirst ein sehr großer Mann sein.«

Sein Blick begegnete dem seiner Mutter, und plötzlich sah er einen Anflug von Eifersucht in ihren Augen.

Er reagierte spontan, indem er Julia in die Arme schloß und seine Wange an die ihre preßte. »Tante Julia«, flüsterte er in ihr Ohr. »Wie soll ich nur ohne deine Umarmungen und Küsse auskommen?« Sie ist es gewesen, die mich als Kind umarmt und geküßt hat, sagte der Blick, den er seiner Mutter zuwarf, nicht du! Wie kann ich ohne Tante Julia weiterleben?

Doch Tante Julia antwortete nicht mehr, und auch ihre Augen blieben geschlossen. Sie starb mehrere Stunden später, noch immer in Caesars Armen liegend.

Lucius Decumius und seine Söhne waren im Haus, und auch Burgundus war gekommen; Caesar schickte seine Mutter mit ihnen nach Hause, und er selbst ging durch die belebtesten Straßen, ohne einen einzigen Menschen wahrzunehmen. Tante Julia war tot, und niemand außer ihm und seiner Familie wußte es. Die Frau von Gaius Marius war tot, und niemand außer ihm und seiner Familie wußte es. Just als ihm die Tränen in die Augen stiegen, kam ihm der rettende Gedanke, und die Tränen versiegten sofort. Rom sollte von ihrem Tod erfahren. Und Rom würde von ihrem Tod erfahren!

»Ein stilles Begräbnis«, sagte Aurelia, als er bei Sonnenuntergang ihre Wohnung betrat.

»O nein!« sagte Caesar, der plötzlich riesengroß wirkte und eine gewaltige Kraft ausstrahlte. »Tante Julia wird das größte Begräbnis seit dem Tod der Gracchenmutter Cornelia haben! Und alle Masken der Vorfahren werden im Trauerzug mitgetragen, auch die von Gaius Marius und seinem Sohn.«

Aurelia war entsetzt. »Das kannst du nicht tun, Caesar! Hortensius und Metellus das Zicklein sind Konsuln. Rom ist fest in der Hand der Konservativen. Hortensius wird dich durch einen seiner Volkstribunen vom Tarpejischen Felsen stürzen lassen, wenn du die imagines von zwei Männern ausstellst, die das konservative Rom als Verräter gebrandmarkt hat!«

»Soll er es doch versuchen!« sagte Caesar verächtlich. »Ich werde Tante Julia mit all den Ehren und all der öffentlichen Anteilnahme in die Unterwelt entlassen, die sie verdient hat!«

Nach diesem Entschluß war das Leid leichter zu ertragen. Caesar hatte etwas Konkretes zu tun, eine Aufgabe, die der geliebten Toten würdiger war als eine Flut von Tränen und ein quälendes Gefühl unwiederbringlichen Verlusts.

Caesar wußte natürlich, wie er sich durchsetzen konnte. Kein Magistrat durfte in der Lage sein, seinen Plan zu vereiteln oder ihn anzuklagen, wie sehr er es auch versuchte. Er betraute die angesehensten Bestattungsunternehmer Roms mit den Begräbnisvorbereitungen und vereinbarte einen Preis von fünfzig Talenten in Silber; für diese riesige Summe waren sie alle bereit, für ihn zu arbeiten, obwohl er die Masken des Gaius Marius und des Jungen Marius in aller Öffentlichkeit durch die Stadt führen wollte. Schauspieler wurden angemietet, um die Masken zu tragen, und Streitwagen, auf denen sie fahren würden. Außer den Masken von Gaius Marius und Gaius Marius Junior würden auch die von König Ancus Marcius, von Quintus Marcius Rex sowie die von Sextus und von Lucius Caesar mitgeführt werden.

Die wichtigste Aufgabe übertrug Caesar Lucius Decumius und seiner Bruderschaft: Sie mußten in ganz Rom die Nachricht verbreiten, daß die große Julia, die Witwe von Gaius Marius, gestorben war und daß sie in zwei Tagen um die dritte Stunde begraben werde. Jedermann war eingeladen. Für Gaius Marius hatte es kein öffentliches Begräbnis gegeben, und den Kopf seines Sohnes hatte man auf der Rostra verrotten lassen. Jetzt aber würde Julia ein glanzvolles Begräbnis erhalten, und Rom konnte Gaius Marius und seinem Sohn endlich die langverdiente letzte Ehre erweisen.

Caesar hatte sämtliche Magistrate überrumpelt; niemand hatte sie von dem bevorstehenden Ereignis unterrichtet, und keiner von ihnen wollte eigentlich an Julias Begräbnis teilnehmen. Aber Marcus Crassus und Varro Lucullus waren erschienen, und Mamercus kam mit Cornelia Sulla. Selbst Philippus erwies Julia die letzte Ehre. Selbst Metellus Pius das Ferkel nahm an der Trauerfeier teil, und natürlich auch die zwei Cotta. Sie alle waren vorgewarnt worden, denn Caesar wollte nicht, daß sich jemand unfreiwillig kompromittierte.

Und Rom kam in Massen, Tausende und Abertausende kleiner Leute, die sich um Interdikte und Ächtungsdekrete nicht scherten. Jetzt hatten sie die Gelegenheit, endlich doch noch um Gaius Marius zu trauern und das geliebte Gesicht mit den riesigen Augenbrauen und dem strengen Stirnrunzeln noch einmal zu sehen, getragen von einem Mann, genauso groß und breitschultrig, wie Gaius Marius es einst gewesen war. Und auch den Jungen Marius konnte man noch einmal bewundern, eine schöne und eindrucksvolle Erscheinung. Noch eindrucksvoller aber wirkte der leibhaftige Neffe des Gaius Marius. Er war in eine Toga gehüllt, die genauso schwarz war wie die Decken der Pferde, welche die Streitwagen zogen; die goldenen Haare und das bleiche Gesicht standen in eindrucksvollem Kontrast zu dem schwarzen Trauergewand. Wirklich gut sah er aus. Geradezu göttlich! Es war das erste Mal, daß Caesar vor einer riesigen Menschenmenge auftrat, seit er den alten, halbgelähmten Marius geführt hatte, und er wollte unbedingt sicherstellen, daß ihn das Volk von Rom nicht vergaß. Er war der einzige Erbe des Gaius Marius, und jeder, der zu Julias Begräbnis gekommen war, sollte wissen, wer er war: der Erbe des Gaius Marius.

Er hielt die Grabrede von der Rostra aus. Es war das erste Mal, daß er von diesem erhabenen Ort aus sprach, das erste Mal, daß er auf ein Meer von Gesichtern hinunterblickte, deren Augen alle auf ihn gerichtet waren.

Julia selbst war für ihren letzten und wichtigsten öffentlichen Auftritt sorgfältig zurechtgemacht worden. Sie war so kunstvoll geschminkt und aufgebahrt, daß sie wie eine junge Frau aussah und ihre Schönheit die Menge zu Tränen rührte. Auf der Rednertribüne befanden sich noch drei weitere Schönheiten: eine gut fünfzigjährige Frau, bei der es sich, wie die Agenten des Lucius Decumius eifrig verbreiteten, um Caesars Mutter handelte; eine Frau um die Vierzig, die an ihrem rotgoldenen Haar als Sullas Tochter zu erkennen war, und ein hochschwangeres kleines dunkelhaariges Mädchen in einer schwarzen Sänfte, das sich als Caesars Frau entpuppte. Auf ihrem Schoß saß ein bezauberndes, ungefähr siebenjähriges, silberblondes Kind, das unschwer als Caesars Tochter zu erkennen war.

»Meine Familie«, rief Caesar mit der hohen, durchdringenden Stimme des Redners, »besteht nur aus Frauen! Die Männer aus der Generation meines Vaters sind alle tot, und von den Männern aus meiner Generation bin ich der einzige, der heute in Rom weilt, um die älteste Frau in meiner Familie zu beweinen: Julia. Ihr Name bedurfte nie einer Abkürzung oder eines Zunamens, denn sie war die älteste unter ihren julischen Angehörigen, und sie machte dem Namen ihres Geschlechts solche Ehre, daß Rom keine Frau kennt, die ihr gleichkäme. Sie war eine strahlende Schönheit von edlem Charakter, eine treusorgende Ehefrau, Mutter und Tante. Sie besaß all die Wärme einer liebenden Frau und all die Freundlichkeit eines großzügigen Geistes. Die einzige andere Frau, mit der ich sie vergleichen kann, hat ihren Mann und ihre Kinder ebenfalls schon lange vor ihrem Tod verloren — ich meine jene andere große Patrizierin Cornelia, die Mutter der Gracchen. Ihre Lebensläufe gleichen sich darin, daß beide Frauen den Verlust eines Sohnes erdulden mußten. Beiden Söhnen wurde der Kopf vom Rumpf getrennt, und beiden Söhnen wurde das Begräbnis verweigert. Wer wollte sagen, welche Frau mehr gelitten hat. Cornelia, die all ihre Söhne verlor, aber nicht die Schande eines entehrten Ehemanns ertragen mußte, oder Julia, die nur ihren einzigen Sohn verlor, aber erleben mußte, wie ihr Mann entehrt und sie selbst als alte Frau in die Armut getrieben wurde. Cornelia wurde über achtzig Jahre alt, Julia starb in ihrem neunundfünfzigsten Lebensjahr. War Julia weniger tapfer, oder hatte Cornelia das leichtere Schicksal? Wir werden diese Frage niemals beantworten können, Bürger von Rom! Und eigentlich sollten wir sie auch nicht stellen.

Beide Frauen waren groß, ja erlaucht!

Ich aber stehe hier, um Julia zu ehren, nicht Cornelia«, fuhr Caesar fort. »Julia aus der Familie Julius Caesar, deren Abstammung erhabener ist als die jeder anderen römischen Frau. In ihren Adern floß das Blut der Könige Roms und der Götter, welche die Stadt gegründet haben. Ihre Mutter war Marcia, die jüngste Tochter von Quintus Marcius Rex, dem edlen Nachkommen von Ancus Marcius, dem vierten König Roms. Jenes Quintus Marcius Rex, dessen wir heute noch mit Dankbarkeit gedenken, weil er Rom das frische Wasser brachte, das heute aufjedem öffentlichen Platz und an jeder Straßenkreuzung aus den Brunnen schießt. Julias Vater war Gaius Julius Caesar, Sextus Julius Caesars jüngerer Sohn. Sie waren Patrizier aus dem Geschlecht der Fabier, dem die Könige von Alba Longa entstammten, und sie stammten auch von Iulus ab, dessen Vater Aeneas von der Göttin Venus geboren wurde. In Julias Adern floß das Blut einer großen und mächtigen Göttin, und auch das Blut von Mars und Romulus — denn wer war Rhea Silvia, die Mutter von Romulus und Remus? Es war Julia! Und so mischte sich im Blut meiner Tante Julia das Blut mächtiger sterblicher Könige mit dem Blut der unsterblichen Götter, vor denen selbst die mächtigsten Könige erzittern.

Mit achtzehn heiratete Julia einen Mann, den ihr alle kennt und den viele von euch kannten, als er noch lebte. Sie heiratete Gaius Marius, der sieben Mal zum Konsul gewählt wurde, verehrt als Dritter Gründer Roms, Sieger über Jugurtha, Sieger über die Germanen, Sieger der ersten Schlachten im Bundesgenossenkrieg. Bis dieser unbestreitbar große Mann auf dem Höhepunkt seiner Macht starb, ist sie ihm eine liebende und treue Frau gewesen. Ihm gebar sie ihren einzigen Sohn, Gaius Marius Junior, der bereits mit sechsundzwanzig Jahren erster Konsul war.

Es war nicht Julias Fehler, daß ihr Mann und ihr Sohn nach ihrem Tod entehrt wurden«, fuhr Caesar mit erhobener Stimme fort. »Nicht Julias Fehler, daß ein Interdikt über sie verhängt wurde, das sie zwang, das Haus zu verlassen, das sie achtundzwanzig Jahre lang bewohnt hatte, und in ein viel schlechteres Haus zu ziehen, das dem eisigen Nordwind ausgesetzt war, der auf dem äußeren Quirinal weht. Nicht Julias Fehler, daß das Schicksal ihr nur wenig ließ, wofür sie leben konnte, außer den Leuten in ihrem neuen Viertel zu helfen. Nicht Julias Fehler, daß sie vor der Zeit verschied. Nicht Julias Fehler, daß es verboten wurde, die Masken ihres Mannes und ihres Sohnes je wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Schon als Kind kannte ich sie gut, denn ich war Gaius Marius’ Bursche in jenem schrecklichen Jahr, als ihn sein zweiter Schlaganfall zum hilflosen Krüppel gemacht hatte. Jeden Tag suchte ich ihr Haus auf, um für ihren Mann meine Pflicht zu tun und um ihren warmherzigen Dank zu empfangen. Von ihr bekam ich eine Liebe, die mir keine andere Frau je geben konnte, denn meine Mutter mußte auch mein Vater sein, und sie konnte sich den Luxus nicht erlauben, zärtlich zu sein, denn das steht einem Vater nicht an. Aber Tante Julia gab mir Zärtlichkeit, und selbst wenn ich tausend Jahre alt werden sollte, würde ich nicht eine einzige ihrer Umarmungen, nicht einen ihrer Küsse und nicht einen einzigen liebevollen Blick ihrer wunderbaren grauen Augen vergessen. Und ich sage euch, Bürger von Rom, trauert um sie! Trauert um sie, wie ich es tue! Betrauert ihr Schicksal und die Tragik eines unverdient harten Lebens. Und trauert auch um das Schicksal ihres Mannes und ihres Sohns, deren imagines ich euch an diesem unglücklichen Tag zeige. Angeblich darf ich euch ihre Masken nicht zeigen; angeblich kann ich meinen Rang und mein Bürgerrecht verlieren, wenn ich das schreckliche Verbrechen begehe, sie hier auf dem Forum zu zeigen! Ein Verbrechen soll es sein, euch zwei unbelebte Gegenstände zu zeigen, die aus Wachs, aus Farbe und aus dem Haar eines anderen Menschen bestehen! Und ich sage euch, wenn mir wirklich Rang und Bürgerrecht entzogen werden sollten, weil ich euch die Masken von Gaius Marius und seinem Sohn gezeigt habe, dann will ich es mit Fassung tragen! Denn ich will dieser Tante von meinem Blut die Ehre erweisen, die sie verdient hat; und diese Ehre ist untrennbar verknüpft mit der Liebe zu ihrem Mann und zu ihrem Sohn. Ich zeige euch diese imagines um Julias willen, und ich werde keinem Magistraten dieser Stadt erlauben, sie aus ihrem Trauerzug zu entfernen! Tritt vor, Gaius Marius! Tritt vor, Gaius Marius Junior! Erweist eurer Frau und Mutter Julia aus dem Geschlecht Julius Caesar die Ehre, der Tochter von Königen und Göttern!«

Die Menge hatte verzweifelt geweint, aber als die Schauspieler mit den Masken von Gaius Marius und Gaius Marius Junior vortraten und sich vor der stillen, steifen Gestalt auf der Bahre verbeugten, setzte ein Murmeln ein, das zu einem Chor von Rufen anschwoll und schließlich in ein donnerndes Brüllen überging. Hortensius und Metellus das Zicklein aber, welche die Szene oben auf der Treppe des Senatsgebäudes entsetzt beobachtet hatten, zogen sich geschlagen zurück. Gaius Julius Caesars Verbrechen würde keine juristischen und disziplinarischen Konsequenzen haben, denn die Stadt Rom stimmte ihm von ganzem Herzen zu.

»Es war einfach genial«, sagte Hortensius kurze Zeit später zu Catulus. »Er hat nicht nur die Gesetze Sullas und des Senats mit Füßen getreten, sondern auch die Gelegenheit benutzt, der Menge bis zum letzten Mann klarzumachen, daß er selbst von Königen und Göttern abstammt.«

»Du bist wirklich damit durchgekommen, Caesar«, sagte Aurelia am Ende dieses äußerst langen Tages.

»Ich wußte es«, sagte Caesar und ließ seine schwarze Toga mit einem erschöpften Seufzer zu Boden gleiten. »Der konservative Block im Senat mag zwar dieses Jahr die Macht haben, aber keines seiner Mitglieder weiß, wie sich die Wähler beim nächsten Mal entscheiden. Die Römer lieben es, ihre Regierung zu wechseln. Und sie lieben Männer, die mutig für ihre Überzeugung eintreten. Besonders, wenn sie den alten Marius wieder auf das Podest heben, von dem die Menschen dieser Stadt ihn nie heruntergeholt haben, gleichgültig, wie viele seiner Statuen man umgestürzt hat.«

In diesem Moment schleppte sich Cinnilla ins Zimmer. Sie bewegte sich wie eine alte gichtkranke Frau und ließ sich vorsichtig neben Caesar auf die Liege sinken. »Es war wundervoll«, sagte sie und schob ihre Hand in die seine. »Ich bin froh, daß ich mich stark genug fühlte, den Nachruf zu hören, auch wenn ich danach nicht mehr dabeisein konnte. Und wie gut du gesprochen hast!«

Caesar nahm ihr Gesicht in beide Hände und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Meine arme Kleine«, sagte er zärtlich, »es wird jetzt nicht mehr lange dauern!« Er hob ihre Füße vom Boden auf und legte sie auf seinen Schoß. »Du solltest deine Füße nicht hängen lassen, das weißt du.«

»O Caesar, es dauert so lange!« sagte sie mit Tränen in den Augen. »Als ich mit Julia schwanger war, hatte ich überhaupt keine Probleme, aber diesmal ist es einfach schrecklich. Ich verstehe es selbst nicht.«

»Aber ich«, sagte Aurelia. »Diesmal bekommst du einen Jungen. Ich hatte bei meinen beiden Mädchen auch überhaupt keine Probleme, aber du, Caesar, du warst wirklich eine Plage!«

»Ich glaube«, sagte Caesar, wobei er Cinnillas Füße auf den Boden stellte und sich erhob, »ich werde heute in meiner eigenen Wohnung übernachten.«

»Bitte nicht, Caesar!« bat seine Frau und verzog das Gesicht. »Bleib heute nacht hier. Ich verspreche dir, daß wir nicht von Babys und Frauenproblemen reden. Tu etwas, Aurelia, sonst verläßt er uns.«

»Pah«, sagte Aurelia und stand auf. »Wo ist Eutychus? Wir könnten alle eine kleine Mahlzeit vertragen.«

»Er hilft Strophantes ins Bett«, sagte Cinnilla traurig. Aber ihr Gesicht hellte sich auf, als sich Caesar resigniert wieder auf seine Liege zurücksinken ließ. »Der arme alte Mann. Die andern sind alle tot.«

»Er wird ihnen bald folgen«, sagte Caesar.

»Das darfst du nicht sagen!«

»Es steht in seinem Gesicht geschrieben, Frau. Und es wird eine Gnade sein.«

»Ich hoffe«, sagte Cinnilla, »daß ich nicht als letzte übrigbleibe. Das ist am schlimmsten, glaube ich.«

»Noch schlimmer ist es, wenn man nur von unheilvollen Dingen redet«, sagte Caesar, der nicht an schmerzliche Ereignisse erinnert werden wollte.

»Es liegt nur an Rom«, sagte Cinnilla und lächelte, so daß die kleine rosa Falte auf der Innenseite ihrer Lippen sichtbar wurde. »Dir geht es besser, sobald du nach Spanien fährst. In Rom bist du nie so glücklich wie auf Reisen.«

»In neun Tagen ist es soweit. Am Winteranfang steche ich in See. Du hast ganz recht, in Rom fühle ich mich nicht wohl. Wie wäre es, wenn du das Baby irgendwann in den nächsten neun Tagen bekommen könntest? Ich würde meinen Sohn gerne sehen, bevor ich abreise.«