Er rief Burgundus zu sich.
»Wir brechen morgen früh nach Priene auf. Nur du, ich und zwei Schreiber, die mein Vertrauen haben. Für jeden von euch ein Pferd oder ein Maultier, für mich Paarzeh und ein beschlagenes Pferd sowie ein Maultier. Wir beide brauchen außerdem unsere Rüstung und Waffen.«
Lange Jahre in Caesars Diensten hatten Burgundus gelehrt, keine Überraschung bei solchen plötzlichen Entschlüssen zu zeigen. »Und Demetrius?« fragte er nur.
»Ich werde nicht so lange fortbleiben, daß ich ihn brauche. Im übrigen bleibt er besser hier, er kann den Mund nicht halten.«
»Soll ich Plätze für eine Überfahrt besorgen, oder ein Schiff mieten?«
»Miete ein Schiff, aber klein, leicht und sehr schnell muß es sein.«
»Schnell genug, um Piraten hinter sich zu lassen?«
Caesar lächelte. »Wirklich, Burgundus, einmal genügt.«
Die Reise dauerte vier Tage und führte über Knidos, Myndos und Branchidae nach Priene an der Mündung des Mäander. Noch nie hatte Caesar eine Schiffsreise solches Vergnügen bereitet. Das schnittige Boot ohne Aufbauten eilte dahin, angetrieben von zwanzig Ruderern, die sich zum Schlag der Trommel in die Riemen legten. An Bord befand sich eine zweite, ebenso gute Rudermannschaft, welche die erste stets ablöste, ehe bei den Männern echte Müdigkeit einsetzte. Dank dieser Einteilung in Schichten blieb genug Zeit zum Essen und Trinken zwischen zwei Rudereinsätzen.
Sie kamen rechtzeitig am vierten Tag in Priene an, so daß Caesar den dortigen Ethnarchen, einen Mann mit dem äthiopischen Namen Memnon, noch aufsuchen konnte.
Caesar sparte sich die üblichen Höflichkeitsfloskeln und begann unvermittelt: »Ich vermute, du wärst so kurz nach der Herrschaft des Mithridates in der Provinz Asia nicht Ethnarch geworden, wenn du ein Verfechter seiner Sache gewesen wärst. Ich frage dich also: Würdest du eine erneute Herrschaft des Mithridates begrüßen?«
Memnon zuckte zusammen. »Nein, Caesar.«
»Gut. In diesem Fall, Memnon, verlange ich viel von dir, noch dazu in kürzester Zeit.«
»Ich werde mein Bestes tun. Was verlangst du?«
»Daß du selber die Miliz von Priene einberufst und Abgesandte in alle Städte und Gemeinden zwischen Halikarnassos und Sardes schickst, die dort die Miliz mobilisieren. Ich brauche so schnell wie möglich die größtmögliche Zahl waffenfähiger Männer. Vier Legionen, alle unter ihren gewöhnlichen Offizieren. Sie sollen sich heute in acht Tagen in Magnesia am Mäander sammeln.«
Memnon strahlte mit einemmal. »Der Statthalter hat endlich gehandelt!«
»Ja, und kraftvoll«, sagte Caesar. »Er hat mir das Kommando über die Miliz der Provinz Asia gegeben, wenn er auch leider keine anderen römischen Offiziere für diese Aufgabe erübrigen kann. Das bedeutet, Memnon, daß Asia diesmal allein kämpfen muß, statt wie bisher nur Zuschauer zu sein und den Lorbeer den römischen Legionen zu überlassen.«
»Das wird auch Zeit!« sagte Memnon, in dessen Augen Kampfeslust aufflackerte.
»Der Meinung bin ich auch. Die von römischen Offizieren ausgebildete und ausgerüstete ansässige Miliz wird gemeinhin unterschätzt. Aber damit ist es nun vorbei.«
»Wer ist unser Gegner?«
»Ein pontischer Feldherr namens Eumachos und ein abtrünniger Spanier, ein gewisser Marcus Marius. Übrigens ist er nicht mit meinem Onkel, dem großen Gaius Marius, verwandt«, log Caesar, der das Vertrauen der Miliz nicht durch diesen Namen gefährdet sehen wollte.
Daraufhin ließ Memnon die Miliz der Provinz Asia zusammenrufen. Er tat dies, ohne je ein offizielles Schreiben gesehen zu haben, aus dem Caesars Bevollmächtigung hervorgegangen wäre, ja ohne sich überhaupt zu fragen, ob dieser Römer tatsächlich der war, der er zu sein vorgab. Wenn Caesar etwas in die Hand nahm, kam niemand auf den Gedanken, an seiner Autorität zu zweifeln.
Caesar nahm am Abend des gleichen Tages Wohnung in Memnons Haus. Nachdem er sich in seine Gemächer zurückgezogen hatte, besprach er sich mit Burgundus.
»Auf diesem Feldzug kannst du mich nicht begleiten, mein Guter«, begann er, »und protestiere bitte nicht wieder, Cardixa werde nicht mehr mit dir sprechen, wenn du nicht zu meinem Schutz in meiner Nähe bleibst. Ich brauche dich für etwas weit Wichtigeres, als am Rand des Schlachtfeldes zu stehen und sich im stillen zu wünschen, ein römischer Legionär oder ein Angehöriger der Miliz zu sein. Du sollst nach Ankyra reiten und Deiotarus einen Besuch abstatten.«
»Der Häuptling aus Galatien«, sagte Burgundus und nickte. »Ja, ich kenne ihn.«
»Auch er sollte dich kennen. Selbst unter den Galliern von Galatien gibt es keinen solchen Hünen wie dich. Ich bin sicher, daß er mehr über die Bewegungen von Eumachos’ und Marcus Marius’ Truppen weiß als ich. Aber ich schicke dich nicht zu ihm, damit du ihn warnst. Vielmehr sollst du ihm sagen, daß ich ein Heer aus der Miliz der Provinz Asia aufstellen und versuchen werde, die pontischen Truppen an den Unterlauf des Mäander zu locken. Irgendwo in der Nähe des Flusses hoffe ich sie stellen und besiegen zu können. Wenn mir das gelingt, ziehen sie sich sicherlich nach Phrygien zurück, ehe sie sich sammeln und einen neuen Angriff wagen. Sage Deiotarus, er werde keine bessere Gelegenheit haben, die pontischen Truppen aufzureiben, als wenn er sie an ihrem Sammelplatz in Phrygien angreift. Mit anderen Worten, sage ihm, er soll in taktischer Absprache mit mir vorgehen. Wenn wir beide unsere Sache gut machen, ich in Asia und er in Phrygien, dann wird es dieses Jahr keine Invasion in Asia oder Galatien geben.«
»Wie reise ich, Caesar? Ich meine, in welchem Aufzug?«
»Du sollst aussehen wie ein Kriegsgott, Burgundus. Lege die goldene Rüstung an, die dir Gaius Marius geschenkt hat, stecke dir die größten Purpurfedern, die du auf dem Markt auftreiben kannst, in den Helmbusch und singe aus voller Kehle einen dieser furchteinflößenden germanischen Kriegsgesänge. Wenn du dann pontischen Soldaten begegnest, reite geradewegs durch ihre Reihen und tue so, als seien sie Luft für dich. Du wirst sehen, auf deinem Neseaner wird man dich für die Verkörperung aller Schrek- ken des Krieges halten.«
»Und nach meinem Besuch bei Deiotarus?«
»Kehrst du dem Lauf des Mäander folgend zu mir zurück.«
Die hunderttausend pontischen Soldaten, die im Frühjahr unter Eumachos’ und Marcus Marius’ Führung von Zela aufgebrochen waren, hatten von Mithridates den Marschbefehl erhalten, massiv in die Provinz Asia einzudringen. Wer in mehr oder weniger gerader Linie vom pontischen Zela durch die abgelegenen phrygischen Gebiete bis nach Asia gelangen wollte, mußte Galatien durchqueren. Allerdings konnte sich Mithridates bei den Galatern nicht sicher sein. Eine neue Generation von Anführern war an die Stelle jener getreten, die er vor fast dreißig Jahren anläßlich eines Festes hingemetzelt hatte. Die pontische Herrschaft über Galatien war nur sehr oberflächlich. Er meinte zwar, er werde sich noch einmal dieser versprengten Gallier annehmen müssen, doch das habe noch Zeit. Seine besten Soldaten hatte er sich für seine eigenen Divisionen vorbehalten; die Männer unter Eumachos’ und Marcus Marius’ Kommando waren nicht besonders kampferfahren. Ein Feldzug am Mäander gegen die ungeordneten Milizen der griechischen Einwohner Asias sollte den Männern Gelegenheit geben, ihren Kampfgeist zu erproben und Vertrauen in ihre Truppe zu erlangen.
Am Ende dieser Überlegungen stand des Königs Entschluß, Eumachos und Marcus Marius mit ihrem Heer bei sich zu behalten, während er nach Paphlagonia marschierte. Er beglückwünschte sich selbst dazu, wie gut er für diesen Feldzug gegen Rom gerüstet war. In pontischen Getreidespeichern lagerten riesige Mengen Weizen. Allein seine Kornvorräte reichten, um seine Untertanen und Truppen mehrere Jahre lang zu ernähren. Daher beunruhigte ihn der Gedanke keineswegs, daß er hunderttausend Mann zusätzlich nach Paphlagonia brachte. Mit nebensächlichen Fragen, wie denn diese gewaltigen Mengen Korn und andere Vorräte zu transportieren seien, gab er sich nicht ab. Dazu hatte er seine Untergebenen, die diese Aufgabe schon irgendwie erledigen würden. In Wirklichkeit hatten diese Fremden, die in seinem Sold standen, weder die Ausbildung noch die praktische Phantasie für die Arbeit, die ein gewöhnlicher römischer praefectus fabrum leistet. Allerdings wäre kein römischer Feldherr je auf die Idee gekommen, ein Heer über längere Entfernungen zu bewegen, wenn es mehr als zehn Legionen zählte.
Zu dem Zeitpunkt, da Eumachos und Marcus Marius mit ihrer hunderttausend Mann starken Heersäule sich vom Gros des Heeres unter Mithridates trennten, wurden die Vorräte bald knapp. Dem König blieb nichts anderes übrig, als Soldaten in langen Kolonnen viele Meilen weit zu den Ochsenkarren des Trosses zurückzuschicken. Von dort mußten die Männer auf ihren Schultern schwere Säcke mit Nahrungsmitteln zurück zur Truppe tragen. Infolgedessen war ein Teil seiner Soldaten immer von der schweren Arbeit als Träger erschöpft. Die Flotte, so wurde dem König gemeldet, werde Nachschub nach Herakleia bringen. Von dort ab werde die Versorgung wieder klappen, versicherte man ihm.
Für Eumachos und Marcus Marius war der Hinweis auf Herakleia nur ein schwacher Trost, denn sie marschierten nun landeinwärts am Lauf des Billaeus entlang, überwanden einen Gebirgszug und gelangten schließlich ins Tal des Sakaria. In diesem fruchtbaren Teil Bithyniens ließen es sich die Soldaten auf Kosten der dort ansässigen Bauern gutgehen. Bald darauf aber kamen sie in das dichtbewaldete Hochland, wo nur in den engen Tälern und auf schmalen Parzellen Ackerbau möglich war.
Die beiden Feldherren sahen ein, daß sie ein hunderttausend Mann starkes Heer so nicht weiter versorgen konnten, und entschieden sich daher, die pontischen Truppen zu teilen.
»Du brauchst nicht das ganze Heer, um mit dem Häuflein Griechen in der Provinz Asia fertigzuwerden«, sagte Marcus Marius zu Eumachos. »Vor allem brauchst du keine Reiterei. Ich bleibe mit einem Teil der Fußsoldaten und allen Berittenen hier am Ufer des Tembris. Wir betreiben Ackerbau und machen Heu, während wir auf Nachricht von dir und deinen Truppen warten. Du mußt nur vor Wintereinbruch wieder zurück sein, aber sorge dafür, daß die Hälfte der Bewohner Asias als Lastenträger mitkommt. Vom Oberlauf des Tembris ist es nicht weit zu den Gebieten der galatischen Tolistoboger. Im Frühjahr überfallen und vernichten wir sie und plündern ihre Vorräte, dann ist unsere Versorgung im nächsten Jahr sichergestellt.«
»Mein Vetter, der König, wird es nicht gern hören, daß du seinen großen Feldzug nur unter dem Blickwinkel der Nahrungsbeschaffung für die Truppe siehst«, entgegnete Eumachos, der damit durchaus keine grimmige Bemerkung machen wollte. Er hatte viel zuviel Angst vor Mithridates, als daß er sich in irgend etwas, was den König betraf, grimmigen Humor geleistet hätte.
»Dein Vetter, der König, braucht dringend eine Lektion in römischer Logistik«, entgegnete Marcus Marius unbeeindruckt, »dann wird ihm erst aufgehen, wie schwierig es ist, ein marschierendes Heer dieses Ausmaßes zu versorgen. Ich bin zu euch geschickt worden, damit ich euch beibringe, wie ein Hinterhalt gelegt und ein Überfall möglichst wirkungsvoll durchgeführt wird. Bisher habe ich aber erst an der Spitze eines Heeres gestanden, und darin habe ich wenig Erfahrung. Dennoch sagt mir mein gesunder Menschenverstand, daß die Hälfte unserer Truppen hier in der Flußniederung bleiben und Ackerbau betreiben muß, damit unsere Vorräte wieder aufgefüllt werden. Es ist traurig genug, wenn ein Feldherr, der offen ausspricht, daß seine Soldaten auch essen müssen, schon den Zorn des Königs zu gewärtigen hat! Wenn du mich fragst, so habe ich den Eindruck, als schwebe Mithridates oft in den Wolken.«
Noch mehr Zeit ging verloren, bis Marcus Marius einen geeigneten Lagerplatz gefunden hatte. Eumachos weigerte sich nämlich weiterzumarschieren, ehe er nicht genau wußte, wo er Marius bei seiner Wiederkehr finden könne. So war es schon Anfang September, als Eumachos mit fünfzigtausend Fußsoldaten die Bergkette der Dindyma überquerte und unterwegs eines der tributpflichtigen Gebiete am Mäander plünderte. Je weiter sie flußabwärts marschierten, desto leichter konnten sie sich Nahrungsmittel und Futter beschaffen. Das war ein zusätzlicher Anreiz, den Feldzug so lange zu führen, bis dieser reiche Landstrich wieder zum Reich des Königs Mithridates von Pontus gehören würde.
Da die meisten großen Städte am Südufer des sich in vielen Krümmungen dahinwindenden Flusses lagen, folgte Eumachos lieber am Nordufer einer gepflasterten Straße, die in Tripolis begonnen hatte. Er hatte seinen Soldaten versprochen, die Städte würden zur Plünderung freigegeben, wenn sie erst einmal die ganze Provinz Asia erobert hätten. Daher umging er jetzt Nysa, die erste große Stadt auf ihrem Weg, und marschierte weiter flußabwärts in Richtung Tralleis. Während des Vorrückens war es nicht möglich, die Soldaten stets beisammen zu halten, denn ständig mußte unterwegs Proviant aufgetrieben werden. Bisweilen boten sich auch Verlockungen wie eine Herde junger Schafe oder eine Schar fetter Gänse am Weg, worauf mehrere hundert schreiende Soldaten losrannten und nicht eher ruhten, als bis auch das letzte Tier zur Strecke gebracht und geschlachtet war. Mit der Truppendisziplin stand es bis dahin nicht zum besten.
Der friedliche und abwechslungsreiche Vormarsch durch eine reiche Gegend ließ in der Truppe Feststimmung aufkommen. Die Späher, die Eumachos aussandte, erstatteten zweimal täglich stets die gleiche Meldung: kein Hinweis auf Widerstand. Das, so dachte Eumachos voller Verachtung, könne nur daran liegen, daß es südlich von Pergamon gar kein Zentrum des Widerstands gebe. Alle römischen Legionen, selbst diejenigen, die in Cilicia gelegen hatten, waren nun um Pergamon zusammengezogen worden und sollten die teure Person des Statthalters schützen. Jeder pontische Feldherr wußte dies schon seit langem, und auch Marcus Marius’ Späher, die er an den Kaikos ausgesandt hatte, hatten diese Erkenntnis bestätigt.
Eumachos wiegte sich so sehr in Sicherheit, daß er gar nicht beunruhigt war, als eines Abends seine Späher nicht wie gewöhnlich eine Stunde vor Sonnenuntergang eintrafen. Das Heer stand jetzt näher bei Tralleis als bei Nysa. Die sanften Hänge des Flußtales, durch das der Mäander in immer neuen Kurven zog, lagen im Gold der Abendsonne, deren schräge Strahlen über die Stoppelfelder glitten. Eumachos gab den Befehl, das Lager aufzuschlagen. Der Platz wurde nicht befestigt, auch gab es keine eingespielte Routine, wie ein Heerlager aufzuschlagen sei; wie wenn ein Starenschwarm sich irgendwo niederließe, so richteten sich die Männer unter viel Schwatzen, Zanken und Umherlaufen für die Nacht ein.
Es war noch hell genug, um sich zurechtfinden zu können, als plötzlich aus den abendlichen Schatten vier Legionen Miliz der Provinz Asia in römischer Schlachtordnung über die pontischen Truppen herfielen und die beim Nachtmahl sitzenden Soldaten niedermetzelten. Obwohl die pontischen Truppen doppelt soviel Männer wie die Miliz zählten, waren sie so überrascht, daß sie kaum Widerstand leisteten.
Eumachos und seine obersten Legaten konnten von Glück sagen, daß sie sich zufällig am entgegengesetzten Ende des pontischen Heerlagers befanden, als Caesars Männer angriffen. Da sie beritten waren, gelang ihnen die Flucht in Richtung auf Marcus Marius’ Lager am Tembris. Um das Schicksal ihres Heeres kümmerten sie sich nicht weiter.
Den Truppen des Königs Mithridates war in diesem Jahr das Glück nicht hold. Eumachos kam gerade noch rechtzeitig am Ufer des Tembris an, um mitzuerleben, wie Deiotarus und die galatischen Tolistoboger über Marius Marcus und die andere Hälfte des Invasionsheers herfielen. Der Angriff wurde hauptsächlich von der Reiterei vorgetragen, ohne daß sie auf ernsthaften Widerstand stieß. Die sarmatischen und skythischen Reiterscharen, die sich von Mithridates hatten anwerben lassen, mochten in der Steppe unschlagbar sein, doch in den engen, steilen Tälern des Tembris konnten sie ihre Wendigkeit nicht ausspielen und fielen zu Tausenden.
Bis Dezember hatten sich die Reste der dritten Heersäule unter Eumachos zurück nach Zela durchgeschlagen; Marcus Marius hatte sich auf den Weg zu Mithridates gemacht, denn er wollte dem König lieber selber berichten, wie es seinem Invasionsheer ergangen war, statt den Hergang in einem Bericht niederzuschreiben.
Die Miliz der Provinz Asia jubelte und stimmte mit der gesamten Bevölkerung des Mäandertals in Siegesfeiern ein, die sich über mehrere Tage hinzogen.
Caesar hatte bei seiner Truppenansprache vor Beginn der Schlacht noch einmal betont, daß Asia sich nun selber verteidigen müsse. Rom sei weit weg und könne nicht helfen, und diesmal liege das Schicksal der Provinz Asia allein in den Händen der Griechen, die dieses Land bewohnten. In gewöhnlichem Griechisch, wie es die Menschen in dieser Gegend sprachen, beschwor er ihre Vaterlandsliebe und ihren Willen zur Selbstverteidigung. Die zwanzigtausend Männer aus Lydia und Karia, die er zum Angriff auf die lagernden Truppen des Eumachos führte, waren von seiner Rede so angespornt, daß die eigentliche Schlacht fast zu einem Spaziergang für sie wurde. Vier Wochen lang hatte er sie exerzieren lassen und ihnen Disziplin eingeimpft, vier Wochen lang hatte er ihnen ein Bewußtsein für ihren eigenen Wert gegeben. Am Ende stand ein Erfolg, wie er ihn größer nicht hätte wünschen können.
»Ein weiteres pontisches Heer ist dieses Jahr nicht zu erwarten«, sagte Caesar zu Memnon, als sie zwei Tage nach dem Sieg über Eumachos in Tralleis beim Siegesbankett saßen. »Aber nächstes Jahr könnte der Feind wieder angreifen. Ich habe euch gezeigt, was in einem solchen Fall zu tun ist. Nun ist es an den Männern der Provinz Asia, ihr Land selber zu verteidigen. Ich wage vorauszusagen, daß Rom an anderen Fronten so in Anspruch genommen sein wird, daß weder Legionäre noch Feldherren für einen Einsatz in Asia bereitstehen. Nun wißt ihr jedoch, daß ihr euch durchaus selber verteidigen könnt.«
»Das tun wir, Caesar, und wir verdanken es dir«, sagte Memnon.
»Nein, nein! Ihr brauchtet lediglich jemanden, der euch das nötige Selbstvertrauen gab, und ich habe die Gunst der Stunde genutzt und es euch gegeben.«
Memnon rückte näher an Caesar heran. »Wir haben die Absicht, einen Siegestempel so nahe am Schlachtfeld zu errichten, wie es der Fluß bei Hochwasser erlaubt. Im Gespräch ist ein kleiner Hügel draußen vor der Stadt Tralleis. Erlaubst du uns, eine Porträtstatue von dir in diesem Tempel aufzustellen, damit die Menschen hier nie vergessen, wer sie zum Sieg geführt hat?«
Nur wenn Lucullus dagewesen und Einspruch gegen dieses Ansinnen eingelegt hätte, wäre Caesar bereit gewesen, auf diese seltene Ehre zu verzichten. Tralleis lag fern von Rom und gehörte nicht zu den größten Städten der Provinz Asia. Wenn überhaupt, dann würden nur sehr wenige Römer seines Standes einen Siegestempel besuchen, der sich weder durch sein Alter noch — aller Wahrscheinlichkeit nach — durch seinen künstlerischen Rang auszeichnete. Doch Caesar bedeutete diese Ehre sehr viel. Mit sechsundzwanzig sollte er mit einer lebensgroßen Porträtstatue samt allen Insignien eines Feldherrn in einem Siegestempel geehrt werden, denn bereits in diesem Alter hatte er ein Heer zum Sieg geführt.
»Es wäre mir eine große Freude«, antwortete er ernst.
»Dann schicke ich morgen Glaucus zu dir, damit er Maß nimmt. Er ist ein guter Bildhauer, der in den Werkstätten in Aphrodisias arbeitet, und da er auch der Miliz angehört, ist er jetzt zusammen mit uns hier. Ich sorge dafür, daß er seinen Maler mitbringt, der einige farbige Skizzen von dir anfertigen soll. Damit ersparst du dir weitere Modellsitzungen, wenn du anderswo noch zu tun hast.«
Tatsächlich hatte Caesar noch anderswo zu tun. Ganz obenan stand eine Reise zu Lucullus nach Pergamon, ehe die Nachricht vom Sieg bei Tralleis den Konsul auf anderen Wegen erreichte. Da Burgundus sieben Tage vor der Schlacht aus Galaden zurückgekehrt war, konnte Caesar den germanischen Hünen als Begleiter für seine beiden Schreiber und den kostbaren Paarzeh nach Rhodos schicken. Die Reise nach Pergamon wollte er allein machen.
Er ritt die hundert Meilen ohne Pause und machte nur halt, um die Pferde zu wechseln. Dies tat er so oft, daß er tagsüber zehn Meilen in der Stunde und nachts immer noch sieben Meilen in der Stunde zurücklegte. Der Weg führte über eine gute Römerstraße, und obgleich der Mond nur als dünne Sichel am Himmel stand, war die Nacht wolkenlos; auch darin zeigte sich wieder sein Glück. Von Tralleis war er zwei Tage nach dem Siegesbankett im Morgengrauen aufgebrochen, am folgenden Tag erreichte er vor Sonnenuntergang Pergamon. Es war Mitte Oktober.
Lucullus empfing ihn sofort. Caesar fiel auf, daß er es ohne seinen Onkel Marcus Cotta tat, obwohl dieser ebenfalls im Statthalterpalast wohnte; er mußte aber dem Konsul zugute halten, daß er auch Juncus nicht hinzugezogen hatte.
Lucullus übersah Caesars entgegengestreckte Hand; er bat ihn auch nicht, Platz zu nehmen. Die ganze Unterredung fand im Stehen statt.
»Was hat dich von deinen Studien abgebracht, Caesar?« fragte Lucullus kalt. »Haben wieder Piraten deinen Weg gekreuzt?«
»Nein, keine Piraten«, sagte Caesar militärisch knapp, »sondern ein Heer des Mithridates. Fünfzigtausend Mann stark kam es den Mäander herunter. Ich wußte von seinem Vormarsch schon vor deiner Ankunft im Osten, hielt es aber für zwecklos, den Statthalter in Kenntnis zu setzen. Er hätte sich übrigens diesbezügliche Erkenntnisse weitaus leichter beschaffen können als ich, hatte aber nichts unternommen, um das Tal des Mäander zu verteidigen. Daraufhin habe ich Memnon von Priene veranlaßt, die Miliz der Provinz Asia zu den Waffen zu rufen. Zu letzterem hat der Ethnarch, wie dir bekannt ist, die Befugnis, vorausgesetzt, eine Anweisung von römischer Seite liegt vor. Er hatte keinen Grund daran zu zweifeln, daß ich im Namen Roms handelte. Bis Mitte September hatte er zusammen mit den Ethnarchen von Lydia und Karia eine zwanzigtausend Mann starke Streitmacht versammelt. Ich exerzierte mit der Miliz, bis sie zum Kampfeinsatz hinreichend ausgebildet war. Das pontische Heer drang in der zweiten Septemberhälfte in die Provinz ein. Unter meinem Kommando besiegte die Miliz vor vier Tagen nahe der Stadt Tralleis die Truppen des Fürsten Eumachos. Fast alle pontischen Soldaten wurden getötet oder gefangengenommen, wenn auch Fürst Eumachos die Flucht gelang. Ich habe erfahren, daß sich der Tetrarch Deiotarus der Tolistoboger einem weiteren pontischen Heer unter dem Spanier Marcus Marius entgegenstellen wird. Du erhältst sicherlich in den nächsten Tagen Meldung, ob Deiotarus Erfolg hatte. Soweit mein Bericht.«
Lucullus’ langes Gesicht zeigte keine Regung. »Das reicht auch! Warum hast du nicht den Statthalter in Kenntnis gesetzt? Du konntest gar nicht wissen, was er plante.«
»Der Statthalter ist ein unfähiger und korrupter Charakter, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Hätte er wirklich Gegenmaßnahmen ergreifen wollen — was ich bezweifle —, hätte er dies nicht mit der nötigen Eile getan. Das wußte ich, und deshalb habe ich ihn nicht in Kenntnis gesetzt. Ich wollte vermeiden, daß er das Heft in die Hand nimmt, weil ich wußte, daß ich das Notwendige sehr viel besser tun würde als er.«
»Du hast deine Befugnisse überschritten, Caesar. Genaugenommen hattest du überhaupt keine Befugnisse.«
»Das stimmt. Folglich habe ich auch keine überschritten.«
»Wir führen hier kein sophistisches Streitgespräch!«
»Wenn es nur eines wäre. Was soll ich sagen? Ich bin noch nicht sehr alt, Lucullus, aber ich habe schon zu viele von diesen skrupellosen Beamten gesehen, die Rom, mit einem Imperium ausgestattet, in seine Provinzen schickt. Ich glaube indessen nicht, daß Rom von Männern wie Juncus, Dolabella oder Verres größeren Nutzen hat als von Männern meines Schlages, ob sie nun mit einer Vollmacht ausgestattet sind oder nicht. Ich sah, was zu tun war, und habe danach gehandelt. Und ich tat es mit dem Wissen, daß ich keinen Dank erwarten durfte, daß ich getadelt und womöglich wegen eines kleineren Verrats vor Gericht gestellt würde.«
»Unter Sullas Gesetzen gibt es nur noch Hochverrat.«
»Dann also Hochverrat.«
»Warum bist du zu mir gekommen? Willst du um Gnade bitten?«
»Lieber würde ich sterben!«
»Du änderst dich nicht.«
»Das scheint mir eher ein Vorzug.«
»Ich kann über deine Tat nicht hinwegsehen.«
»Das habe ich gar nicht von dir erwartet.«
»Dennoch bist du zu mir gekommen. Warum?«
»Um dem kommandoführenden Magistraten Bericht zu erstatten, wie es meine Pflicht ist.«
»Ich vermute, du meinst deine Pflicht als Mitglied des römischen Senats«, sagte Lucullus, »obwohl du diese Pflicht dem Statthalter genauso schuldest wie mir. Aber ich will nicht ungerecht sein, denn ich sehe, daß Rom allen Grund hat, dir für dein promptes Handeln dankbar zu sein. Unter vergleichbaren Umständen hätte ich vielleicht ähnlich gehandelt, wenn ich sicher gewesen wäre, nicht das Imperium des Statthalters zu mißachten. Für mich ist die Befehlsgewalt, die einem Mann gegeben wird, sehr viel wichtiger als seine Charaktereigenschaften. Man hat mir vorgeworfen, daß König Mithridates nunmehr seinen dritten Krieg gegen Rom fuhren kann, weil ich Fimbria nicht dabei geholfen hätte, Mithridates bei Pitane gefangenzunehmen. Dadurch hätte ich Mithridates Gelegenheit zur Flucht gegeben. Du hingegen hättest mit Fimbria nach dem Grundsatz zusammengearbeitet, daß der Zweck die Mittel heiligt. Doch wie hätte ich rechtfertigen sollen, den geächteten Vertreter einer ungesetzlichen römischen Regierung zu bestätigen? Ich stehe zu meiner Weigerung, Fimbria zu helfen. Ich stehe zu jedem römischen Beamten, dem ein Imperium gegeben wurde. Um es auf den Punkt zu bringen, du scheinst mir ganz in die Richtung eines anderen jungen Mannes zu gehen, der ebenfalls große Ideen hat: Gnaeus Pompeius, der sich selbst >der Große< nennt. Aber du, Caesar, bist sehr viel gefährlicher als jeder Pompeius. Du bist dazu geboren, den Purpurmantel zu tragen.«
»Seltsam«, unterbrach ihn Caesar. »Das Gleiche habe ich mir auch schon gesagt.«
Lucullus warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich will dich nicht vor Gericht stellen, aber genausowenig kann ich dich loben. Die Schlacht bei Tralleis wird in meinen Kriegsberichten nach Rom nur eine kurze Erwähnung finden, des Inhalts, daß die Miliz der Provinz Asia unter Führung des dortigen Kommandostabs einen Sieg errungen habe. Dein Name wird nicht erscheinen. Ich werde dich weder in meinen Stab aufnehmen noch einem anderen Statthalter erlauben, dich in seinen Stab aufzunehmen.«
Caesar hatte alles mit steinerner Miene und abwesendem Blick angehört, doch als Lucullus mit einer knappen Handbewegung anzeigte, daß das Thema für ihn erledigt sei, änderte sich Caesars Gesichtsausdruck, und er verbarg nicht länger seinen Widerspruch.
»Ich lege keinen Wert darauf, in den Berichten als Oberbefehlshaber der Miliz genannt zu werden, wohl aber beharre ich darauf, daß daraus hervorgeht, daß ich, Caesar, am Feldzug am Mäander von Anfang bis Ende teilgenommen habe. Wenn mein Name nicht erwähnt wird, kann ich den Krieg gegen Mithridates nicht als meinen vierten Feldzug beanspruchen. Ich habe aber den festen Vorsatz, an zehn Feldzügen teilgenommen zu haben, ehe ich als Quästor kandidiere.«
Lucullus blickte ihn erstaunt an. »Du brauchst nicht als Quästor zu kandidieren! Du bist doch schon Mitglied des Senats.«
»Nach Sullas Gesetzen muß ich Quästor sein, ehe ich zum Prätor oder Konsul gewählt werden kann. Und ehe ich Quästor bin, will ich auf zehn Feldzüge verweisen können.«
»Viele, die zum Quästor gewählt wurden, haben noch nicht einmal an den verlangten sechs Feldzügen teilgenommen. Wir leben nicht mehr in den Zeiten Scipio Africanus’ und Catos des Zensors! Niemand wird darauf schauen, wie viele Feldzüge du mitgemacht hast, wenn du dich zur Quästorenwahl stellst.«
»In meinem Fall«, beharrte Caesar unbeirrt, »wird sich einer daraus ein Gewissen machen, meine Feldzüge aufzuzählen. Mein Lebensplan steht fest. Ich will nichts der Gunst eines anderen verdanken und vieles auch gegen hartnäckigen Widerstand erreichen. Ich stehe über den anderen, und ich will es besser als die anderen machen. Aber nie, und das habe ich mir geschworen, gegen die Verfassung Roms. Ich möchte die Ämterlaufbahn genau so absolvieren, wie es das Gesetz vorschreibt. Wenn ich mich mit dem Hinweis zur Wahl stelle, an zehn Feldzügen teilgenommen und im ersten den Bürgerkranz errungen zu haben, wird mir bei der Quästorenwahl der erste Platz zustehen. Das scheint mir der einzig annehmbare Platz zu sein nach so vielen Jahren als Senator.«
Lucullus sah in Caesars feingeschnittenes Gesicht, dessen Augen ihn so sehr an die Sullas erinnerten, und begriff, daß er bis hierher und nicht weiter gehen konnte. »Bei den Göttern, dein Hochmut kennt keine Grenzen! Also gut, ich werde dich in den Kriegsberichten namentlich erwähnen und anmerken, daß du an dem Feldzug von Anfang bis Ende teilgenommen hast und auch in der Schlacht dabeigewesen bist.«
»Das ist mein gutes Recht.«
»Eines Tages wirst du dich überheben, Caesar.«
»Unmöglich!« gab Caesar lachend zurück.
»Gerade mit solchen Bemerkungen machst du dich verhaßt.«
»Ich wüßte nicht, warum, denn ich sage nur die Wahrheit.«
»Noch etwas.«
Caesar, der sich schon zum Gehen gewandt hatte, blieb stehen. »Ja?«
»In diesem Winter wird der Prokonsul Marcus Antonius bei seinem Feldzug gegen die Piraten den Kriegsschauplatz verlagern. Er begibt sich dann vom westlichen in den östlichen Teil unseres Meeres. Wie ich gehört habe, will er die Gewässer um Kreta von der Piratenplage befreien. Als Hauptquartier hat er Gytheion bestimmt, wo bereits einige seiner Legaten emsig beschäftigt sind, denn Marcus Antonius braucht eine große Flotte. Du hast den Ruf, unser bester Flottenorganisator zu sein, wie ich aus deinem Wirken in Bithynien und für Vatia Isauricus weiß. Rhodos hast du sogar zweimal geholfen. Wenn du deiner Liste einen weiteren Feldzug hinzufugen willst, dann begib dich sogleich nach Gytheion. Ich werde Marcus Antonius mitteilen, daß du im Rang eines Militärtribunanwärters dienen und am Ort bei römischen Bürgern Quartier beziehen sollst. Wenn ich je zu hören bekomme, daß du dir selbst eine Wohnung genommen oder in irgendeiner Form deinen Anwärterstatus überschritten hast, dann schwöre ich dir, Gaius Julius Caesar, daß ich dich vor Marcus Antonius’ Militärgericht stellen werde! Und glaube ja nicht, ich könnte ihn von der Richtigkeit eines solchen Schritts nicht überzeugen! Nachdem du - ein Verwandter! — seinen Bruder vor Gericht angeklagt hast, hat er dich nicht in sein Herz geschlossen. Natürlich kannst du das Amt ablehnen, das ist das Recht jedes römischen Bürgers. Allerdings ist es das einzige militärische Amt, das dir angeboten wird, nachdem ich einige Briefe an die entsprechenden Stellen geschrieben habe. Ich bin Konsul. Meine Befehlsgewalt geht über die aller anderen Kommandoinhaber, einschließlich des jüngeren Konsuls. Du brauchst dich also gar nicht erst anderswo um ein Amt zu bemühen, Caesar!«
»Du vergißt dabei«, bemerkte Caesar höflich, »daß Marcus Antonius ein unumschränktes Imperium auf dem Meer hat. Zu Wasser würde seine Befehlsgewalt sogar über die des älteren Konsuls gehen.«
»Dann richte ich es so ein, daß ich mich nie in den Gewässern befinde, wo Antonius gerade auf- und abtaucht«, erwiderte Lucul- lus ermüdet. »Mache nun noch deinem Onkel Cotta deine Aufwartung, ehe du gehst.«
»Bietest du mir kein Bett für die Nacht an?«
»Das einzige Bett, das ich dir geben würde, wäre das des Prokruste s.«
Wenige Augenblicke darauf stand Caesar vor seinem Onkel Marcus Aurelius Cotta. »Mir war schon klar«, erklärte er seinem Onkel, »daß ich mich mit meinem Feldzug gegen Eumachos in die Nesseln setzen würde, aber ich hätte nicht gedacht, daß Lucullus so weit gehen würde. Ich hatte vielmehr damit gerechnet, entweder Vergebung zu finden oder wegen Verrats vor Gericht gestellt zu werden. Statt dessen hat Lucullus dadurch persönliche Vergeltung geübt, daß er meine weitere Karriere behindern will.«
»Ich habe keinen wirklichen Einfluß auf ihn«, sagte Marcus Cotta. »Lucullus ist ein selbstherrlicher Mensch. Aber das bist du ja auch.«
»Ich kann leider nicht länger bleiben, Onkel. Ich soll mich sofort auf den Weg machen... äh, nach Rhodos glaube ich, als Vorbereitung für meinen Einsatz in Gytheion. Dort soll ich in einem Haus Quartier beziehen, das von römischen Bürgern geführt wird. Wirklich, die Bedingungen, die dein älterer Kollege stellt, sind schon recht eigen! Ich muß meine Freigelassenen, darunter auch Burgundus, nach Rom zurückschicken, denn mir ist nicht erlaubt, ein meinem Stand entsprechendes Gefolge bei mir zu haben!«
»Das ist allerdings seltsam!« verwunderte sich Marcus Cotta.
»Selbst ein einfacher Legionär darf, vorausgesetzt, er hat die Mittel dazu, wie ein König leben. Und ich nehme doch an, daß du dir nach deinem handstreichartigen Sieg über die Piraten einen königlichen Lebenswandel leisten kannst.«
»Durchaus nicht, Onkel, mein Beutel ist leer. Es war schlau, gerade Antonius auszusuchen. Bei den Antonii bin ich alles andere als beliebt.« Caesar seufzte. »Stell dir vor, stuft mich doch dein Kollege als Anwärter ein! Mir hätte zumindest der Rang eines Militärtribuns gebührt, auch wenn ich nicht gewählt wurde.«
»Wenn du beliebt sein willst, Caesar — ach, was rede ich da! Dir Ratschläge geben? Du weißt mehr Antworten, als ich Fragen kenne, und du hast klare Vorstellungen über dein weiteres Leben. Du sitzt jetzt in den Nesseln, aber du wolltest dich ja gerade dort niederlassen.«
»Zugegeben, Onkel. Aber nun muß ich gehen und mir ein Nachtquartier in der Stadt suchen, bevor alle Wirte ihre Türen verriegeln. Wie geht es übrigens meinem Onkel Gaius?«
»Sein Statthalteramt im italischen Gallien ist nicht verlängert worden, obwohl dort kein Ersatz in Sicht ist. Er hat lange genug gedient. Nun erwartet er nur noch, daß er einen Triumph bekommt.«
»Ich wünsche dir viel Glück in Bithynien, Onkel.«
»Das werde ich nötig haben.«
Mitte November kam Caesar in der kleinen peloponnesischen Hafenstadt Gytheion an. Lucullus war unterdessen nicht untätig gewesen, denn Caesar stellte fest, daß die Militärbehörden über seine Ankunft unterrichtet waren und ihnen die Beschreibung seiner Befugnisse als Militärtribunanwärter schriftlich vorlag.
»Was hast du bloß angestellt?« fragte ihn der Legat Marcus Manius, der beauftragt war, Antonius’ Hauptquartier einzurichten.
»Den Konsul Lucullus verstimmt«, beschied ihn Caesar knapp.
»Willst du das nicht etwas genauer erklären?«
»Nein.«
»Zu schade. Ich sterbe vor Neugierde.« Manius ging neben Caesar die enge gepflasterte Straße hinunter. »Ich zeige dir am besten zuerst dein Quartier. Es ist gar nicht so schlecht. Ein großes altes Haus, in dem zwei alte Römer wohnen, Apronius und Canuleius mit Namen, und beide Witwer. Sie sollen mit zwei Schwestern verheiratet gewesen sein — Frauen aus Gytheion — und sind nach dem Tod der zweiten Schwester zusammengezogen. Ich habe gleich an die beiden gedacht, als ich Anweisung erhielt, ein Quartier für dich zu finden. Sie haben genug Platz für dich, und sie werden dich verwöhnen. Zwei drollige alte Käuze, aber sehr freundlich. Glaube aber nicht, daß du viel in Gytheion sein wirst. Ich beneide dich nicht darum, den Griechen Schiffe abluchsen zu müssen! Doch aus den Akten geht hervor, daß du der Beste auf diesem Gebiet bist, also darf ich wohl annehmen, daß du der Aufgabe gewachsen bist.«
»Das nehme ich auch an«, pflichtete Caesar lächelnd bei. Das Requirieren von Kriegsschiffen auf dem Peloponnes war nicht ohne Reiz für jemanden, der sich in der Dichtung der alten Griechen auskannte: War Pylos mit dem Adjektiv »sandig« richtig beschrieben? Haben Titanen die Mauern von Argos errichtet? Über dieser Landschaft lag der Traum einer mythischen Zeit, vor dem die Gegenwart in Bedeutungslosigkeit versank, so als ob die Götter selbst nur Kinder wären, verglichen mit dem Menschengeschlecht, das auf diesem Boden gelebt hatte. Und noch etwas machte Caesar den Aufenthalt angenehm: Er, der das Talent besaß, sich die Feindschaft der Großen Roms zuzuziehen, gewann im Umgang mit Leuten einfachen Standes rasch die Zuneigung seiner Mitmenschen.
Der Umfang der Flotte wuchs während des Winters nur langsam an, aber doch in einem Maße, daß Caesars Vorgesetzter zufrieden sein konnte. Statt sich auf Versprechungen zu verlassen, requirierte der beste Flottenorganisator des ganzen Römischen Reiches vom Fleck weg jedes halbwegs kriegstaugliche Schiff. Dann brachte er die Hafenstädte dazu, Verträge zu unterzeichnen, die bis April die Lieferung neuer Galeeren nach Gytheion garantierten. Nach Caesars Schätzung würde Marcus Antonius kaum vor April in seinem neuen Hauptquartier ankommen, da er erst im März von Massilia aus in See stechen wollte.
Im Februar traf ein Teil von dessen persönlichem Gefolge in Gytheion ein. Caesar, der mit hochgezogenen Augenbrauen und leichtem Zucken in den Mundwinkeln ihre Ankunft beobachtete, bekam eine genauere Vorstellung von der Art und Weise, wie Marcus Antonius einen Feldzug führte. Wenn Gytheion keine angemessene Residenz bieten könne, dann, so forderte die Voraustruppe, müsse eine solche an der Küste mit Blick auf den Golf von Lakonien und die Insel Kythera errichtet werden. Das Anwesen müsse künstliche Teiche und Wasserfälle, Zierbrunnen und Fontänen aufweisen, die Villa über eine Zentralheizung und eine Innenausstattung in farbigem Marmor verfügen.
»Der Bau kann unmöglich vor dem Sommer fertig sein«, sagte Caesar mit einem Augenzwinkern zu Manius. »Ich habe daran gedacht, dem großen Mann Logis bei Apronius und Canuleius anzubieten.«
»Es wird ihm gar nicht behagen, daß sein Haus noch nicht fertig ist«, sagte Manius, der die Sache wie Caesar von der humorigen Seite sah. »Im übrigen haben die Einheimischen die lobenswerte griechische Haltung eingenommen, ihre kostbaren städtischen Gelder in diese pompöse Villa zu stecken, wohlgemerkt, um sie später, wenn Antonius wieder weitergezogen ist, zu gesalzenen Preisen an alle möglichen Möchtegern-Herrscher zu vermieten.«
»Es soll mir ein besonderes Anliegen sein, den Ruf dieses Denkmals des schlechten Geschmacks überall zu verbreiten«, sagte Caesar. »Schließlich haben wir hier ein einzigartiges mildes Klima, somit ein idealer Ort, um sich dem Müßiggang hinzugeben oder abgeschirmt von der Welt allen erdenklichen Lastern zu frönen.«
»Ich würde gern noch erleben, wie sie ihr Geld wieder hereinbekommen«, meinte Manius. »Was für eine Verschwendung von Steuergeldern! Aber ich will nichts gesagt haben... «
Als Marcus Antonius schließlich eintraf, sah er in Gytheions geräumigem und sicherem Hafen alle Arten von Schiffen ankern. Caesar hatte auch Handelsschiffe nicht verschmäht, da Antonius eine Legion Bodentruppen zu transportieren hatte. Daß die Villa für den großen Mann erst halb fertig war, konnte dessen gute Laune nicht trüben. Er hatte solche Mengen unverdünnten Weins getrunken, daß er seit seiner Abfahrt von Massilia nicht mehr nüchtern gewesen war. Für Antonius bestand ein Feldzug in erster Linie darin, möglichst vielen Frauen das Tor zu ihrem Lustgarten einzustoßen, wofür ihn die Natur, so ging das Gerücht, mit einem verschwenderisch großen Organ ausgestattet hatte. Von Sieg sprach er immer, wenn sich die Damen ob seines ungestümen Andrangs und der Größe seines Rammbocks entsetzten.
»Bei den Göttern, was für ein Hohlkopf!« sagte Caesar bei sich. Natürlich hatte er Sorge getragen, daß Marcus Manius seine Tätigkeit als Flottenorganisator in den Berichten an den Senat gebührend würdigte. Als ihn daher Ende April, nur wenige Tage nach Antonius’ Ankunft, ein Brief seiner Mutter erreichte, bedeutete die Nachricht, die er enthielt, eine gnädige Entlassung aus seinem Dienst in Gytheion, ohne daß er deshalb einen Feldzug weniger auf seinem Konto hatte.
Gaius Aurelius Cotta, Caesars ältester Onkel, war Anfang des Jahres aus dem italischen Gallien heimgekehrt und am Vorabend seines Triumphes unerwartet gestorben, so lautete die Nachricht. Neben vielem anderen hinterließ er einen Sitz im Kollegium der Pontifices, wo er der dienstälteste Priester gewesen war. Obwohl Sulla festgelegt hatte, daß sich das Kollegium aus acht Plebejern und sieben Patriziern zusammensetzen sollte, bestand es bei Gaius Cottas Tod aus neun Plebejern und nur sechs Patriziern, da Sulla vor der Notwendigkeit gestanden hatte, diesen und jenen mit einem Amt als Pontifex oder Augur zu belohnen. Starb ein plebejischer Pontifex, wählte das Kollegium gewöhnlich einen anderen Plebejer als Nachfolger; da aber die Zusammensetzung nicht mehr der sullanischen Verordnung entsprach, kooptierten die Kollegiumsmitglieder für einen Patrizier. Ihre Wahl war auf Caesar gefallen.
Aurelia vermutete in ihrem Brief, Caesars Wahl hänge damit zusammen, daß seit der Ermordung des Augurs Lucius Caesar und des Pontifex Caesar Strabo vor dreizehn Jahren kein Julius mehr Mitglied des Kollegiums der Pontifices oder der Auguren gewesen war. Zwar sei allgemein angenommen worden, daß Lucius Caesars Sohn bei der nächsten Vakanz im Kollegium der Auguren zum Zug komme, aber niemand habe für möglich gehalten, daß Caesar in das Kollegium der Pontifices gewählt würde. Laut ihrem Gewährsmann Mamercus sei die Wahl nicht einhellig ausgefallen. Catulus habe sich gegen Caesar ausgesprochen, ebenso Metellus, der älteste Sohn des Ziegenbocks. Doch nach ausgiebiger Eingeweideschau und Konsultation der prophetischen Bücher habe schließlich Caesar gewonnen.
Aber das Wichtigste, was ihm seine Mutter mitzuteilen hatte, war Mamercus’ Hinweis, daß Caesar für seine Weihe zum Pontifex so rasch wie möglich nach Rom zurückkehren solle, andernfalls sei es möglich, daß Catulus das Kollegium doch noch zu einer Meinungsänderung bewegen könnte.
Mit seinem fünften Feldzug auf der offiziellen Liste konnte Caesar ohne Bedauern abreisen. Die einzigen Menschen, die er vermissen würde, waren seine beiden Hauswirte Apronius und Canuleius und der Legat Marcus Manius.
»Ich muß gestehen«, sagte er zu Manius, »daß ich gern noch gesehen hätte, wie das vollendete Denkmal des schlechten Geschmacks in seiner ganzen schauerlichen Pracht dasteht.«
»Pontifex zu werden ist weitaus wichtiger«, sagte Manius, der noch gar nicht recht gemerkt hatte, welche herausragende Gestalt Caesar eigentlich war. In Manius’ Augen war er immer ein uneitler, mit gesundem Menschenverstand ausgestatteter junger Mann gewesen, der jede Aufgabe glänzend löste und wie ein Besessener arbeitete. »Was wirst du tun, wenn du in das Kollegium eingeführt bist?«
»Ich suche mir einen bescheidenen Proprätor, der sich mit einem Krieg abmüht, mit dem er nicht fertig wird«, sagte Caesar. »Lucullus ist nun Prokonsul, folglich kann er die anderen Statthalter nicht mehr nach seiner Pfeife tanzen lassen.«
»Nach Spanien?«
»Zu auffällig in Kriegsberichten. Nein, ich fühle bei Marcus Fonteius vor, ob er nicht einen frischen jungen Militärtribun in der Provinz Gallia Transalpina gebrauchen kann. Er ist ein vir militaris, und das sind immer verständige Männer. Er schert sich bestimmt nicht um das, was Lucullus von mir denkt, solange ich gute Arbeit leiste.« Das freundliche Gesicht bekam plötzlich einen grimmigen Ausdruck. »Aber eins nach dem anderen. Jetzt ist erst einmal Marcus Junius Juncus dran. Ich werde ihn vor dem Gerichtshof für Erpressungsfälle verklagen.«
»Ja, weißt du’s denn noch nicht?«
»Was?«
»Daß Juncus tot ist. Er ist nie nach Rom zurückgekommen. Schiffbruch.«
Für alle war er ein Thraker, obwohl er eigentlich gar kein Thraker war. Im gleichen Jahr, in dem Caesar Gytheion verließ und zum Pontifex in Rom ordiniert wurde, betrat dieser sechsundzwanzigjährige Thraker, der keiner war, zum erstenmal die Bühne der Ge schichte.
Er stammte aus einer rechtschaffenen, wenn auch nicht berühmten Familie. Sein Vater, ein Campaner vom Vesuv, hatte zu jenen gehört, die von der lex Plautia Papiria Gebrauch gemacht hatten. Nach dieser Verordnung aus dem Bundesgenossenkrieg wurde jedem Italiker, der binnen sechzig Tagen die Waffen niederlegte und sich an einen Prätor in Rom wandte, das römische Bürgerrecht verliehen.
Nichts im bäuerlichen Herkommen des Jungen deutete darauf hin, daß er einmal eine Leidenschaft für den Krieg und alles Militärische entwickeln würde. Dennoch wunderte sich sein Vater nicht, daß sein zweiter Sohn, kaum siebzehnjährig, sich zum Dienst in der Legion meldete. Dank seiner Beziehungen konnte er ihm einen Platz als Kadett in der Legion verschaffen, die Marcus Crassus für Sulla ausgehoben hatte, als dieser in Italien landete und den Krieg gegen Carbo begann.
Der Junge gedieh unter der soldatischen Ordnung und zeichnete sich in der Schlacht aus, noch ehe er achtzehn geworden war. Darauf wurde er in eine von Sullas Elitelegionen versetzt, wo er bald zum Militärtribunanwärter ernannt wurde. Statt der Entlassung, die ihm am Ende des letzten Feldzugs in Etruria angeboten wurde, nahm er eine neue Verpflichtung im Heer des Gaius Cosconius an. Mit dessen Truppen marschierte er nach Illyrien, wo die unter dem Namen Dalmater zusammengefaßten Stämme unterworfen werden sollten.
Anfangs war er vom Kriegsschauplatz und von der Art der Kriegführung begeistert und fügte seiner wachsenden Zahl von Auszeichnungen noch weitere armillae und phalerae hinzu. Dann aber geriet Cosconius in eine Belagerung hinein, die über zwei Jahre dauern sollte. Die Hafenstadt Salonae kämpfte nicht mehr, verweigerte aber die Kapitulation. Der zum jungen Mann gereifte Militärtribun empfand die Belagerung als unerträglich langweilig und reine Zeitverschwendung. Sein Lebensziel stand fest: Er wollte im römischen Heer eine Karriere als vir militaris machen. Gaius Marius hatte so seine Laufbahn begonnen, und wie weit hatte er es gebracht! Jetzt aber sah er sich monatelang zum Nichtstun und Ausharren verurteilt.
Er bat um seine Versetzung nach Spanien, denn wie viele seiner Kameraden war er fasziniert von den Kriegstaten des Sertorius. Doch der befehlshabende Legat seiner Legion zeigte kein Verständnis und schlug seine Bitte ab. Die Langeweile nahm kein Ende. Ein zweitesmal bat er um Versetzung nach Spanien, und wieder erhielt er eine abschlägige Antwort. Daraufhin ließ seine Disziplin rapide nach. Er verschaffte sich einen zweifelhaften Ruf durch Aufsässigkeit, Trunkenheit und unerlaubtes Fernbleiben von der Truppe. Damit war es schlagartig vorbei, als Salonae endlich fiel und der Feldherr Cosconius gemeinsam mit Gaius Scribonius Curio, dem Statthalter von Mazedonien, einen Vernichtungsfeldzug gegen die Dardaner begann. Das war eher nach seinem Geschmack!
Dann aber kam es zu einem Vorfall, welcher die Karriere des jungen Militärtribuns abrupt beendete. Es war von Rebellion die Rede, und der verständnislose Legat stellte sich als sein heimlicher Feind heraus. Der junge Mann wurde mit einigen anderen vor Cosconius’ Militärgericht gestellt und der Meuterei angeklagt. Das Gericht befand ihn für schuldig. Wäre er ein Angehöriger der Hilfstruppen oder ein anderer Nicht-Römer gewesen, hätte sein Urteil Auspeitschen mit anschließender Hinrichtung gelautet. Da er aber ein Römer und Offizier im Range eines Militärtribunanwärters war — und obendrein Träger zahlreicher Tapferkeitsmedaillen —, wurde er vor eine Wahl gestellt. Sein Bürgerrecht würde er in jedem Fall verlieren, aber er konnte sich aussuchen, entweder ausgepeitscht und danach auf Lebenszeit aus Italien verbannt zu werden oder aber Gladiator zu werden. Wie nicht anders zu erwarten, wählte er die zweite Möglichkeit, die ihm erlaubte, wenigstens nach Hause zurückzukehren. Als Campaner wußte er alles über Gladiatoren, denn die Gladiatorenschulen lagen alle in der Gegend von Capua.
Zusammen mit sieben anderen Männer, die ebenfalls der Meuterei für schuldig befunden worden waren und die wie er das Gladiatorendasein dem Exil vorgezogen hatten, wurde er auf dem Seeweg nach Aquileia gebracht. Dort kaufte ihn ein Händler und sandte ihn zu einer Auktion nach Capua. Der angehende Gladiator war keineswegs erpicht darauf, mit seinem früheren Römerstatus zu paradieren. Sein Vater und sein älterer Bruder mochten Gladiatorenkämpfe nicht und besuchten nie Leichenspiele. Er konnte daher in der Nähe des väterlichen Bauernhofs leben, ohne daß Vater und Bruder es je erfahren würden. Deshalb suchte er sich einen Gladiatorennamen aus, einen einprägsamen und kriegerischen, der Erinnerungen an strahlende Kämpfertugenden anklingen ließ: Spartacus. Ja, dieser Name zerging auf der Zunge. Er schwor sich, einmal ein berühmter Gladiator zu werden, einer, um den man sich in ganz Italien reißt, der zehn Mädchen an jedem Finger hat und der mit Einladungen zu Gelagen überhäuft wird.
Auf dem Markt in Capua wurde er an einen Fechtmeister jener berühmten Gladiatorenschule verkauft, die dem Konsular und ehemaligen Zensor Lucius Marcius Philippus gehörte. Das war nicht weiter erstaunlich, denn sein ganzes Aussehen prädestinierte ihn zum Gladiator: er war hochgewachsen, Waden, Schenkel, Brust, Schultern und Arme strotzten vor Muskeln, sein Nacken glich dem eines Stiers und seine Haut der eines sonnengebräunten Mädchens, ein paar sehr apart aussehende Narben ausgenommen; sein blondes Haar und seine grauen Augen verliehen ihm ein angenehmes Wesen; schließlich bewegte er sich mit der Anmut eines Prinzen, und er besaß die Haltung eines Königs. Der lanista, der ihn im Auftrag von Philippus für hunderttausend Sesterzen kaufte, erkannte in ihm sofort den geborenen Gladiator. Sein Auftraggeber, der selbstverständlich nicht dabei war — er hatte die fünfhundert Gladiatoren, die ihm gehörten und die er so profitabel vermietete, noch nie in seinem Leben gesehen —, konnte bei diesem Handel nur gewinnen.
Es gab nur zwei Kategorien von Gladiatoren: die Thraker und die Gallier. Während der Meister Spartacus musterte, fiel es ihm schwer zu entscheiden, für welche Kategorie er ihn ausbilden sollte. Gewöhnlich gab das Äußere des Mannes sogleich die Antwort, doch Spartacus war eine solch strahlende Erscheinung, daß er gut in beide Kategorien passen würde. Da aber Gallier mehr Narben trugen und insgesamt eher Gefahr liefen, für den Rest ihres Lebens verstümmelt zu werden, nicht zuletzt aber wegen des hohen Kaufpreises, entschied sich der Meister schließlich dafür, aus Spartacus einen Thraker zu machen. Konnte er seine natürliche Schönheit in der Arena behalten, würde sein Mietpreis steigen, wenn er sich erst einmal einen Ruf verschafft hatte. Sein Kopf besaß Adel und kam barhäuptig besser zur Wirkung, denn ein Thraker trug keinen Helm.
Die Ausbildung begann unverzüglich. Als vorsichtiger Mann achtete der Meister darauf, daß Spartacus’ athletisches Können seinem Aussehen entsprach, ehe er für ihn einen mit Silber und Gold verzierten Leibpanzer anfertigen ließ. Spartacus trug außerdem einen scharlachroten Lendenschurz, der um die Hüften von einem schwarzen Ledergurt gehalten wurde. Als Waffe diente ihm der Krummsäbel eines thrakischen Reiters. Die Beine waren durch lange Schienen geschützt, die bis zum Oberschenkel reichten. Dadurch wurde er gegenüber seinem Gegner, dem Gallier, etwas schwerfälliger; er mußte also diesen Nachteil durch taktische Intelligenz ausgleichen. Sein rechter Arm steckte in einem mit Eisenschuppen gepanzerten Lederhandschuh. Lederriemen, die ihm an Hals und Brust befestigt waren, sorgten für festen Halt. Seine Ausrüstung wurde durch einen kleinen Rundschild vervollständigt.
Spartacus flog alles zu. Um seine Person blieb ein Rest von Geheimnis, denn er hütete sich, jemals von seiner früheren militärischen Laufbahn zu sprechen. Die Kameraden, die mit ihm verurteilt worden waren, hatten sich in Aquileia von ihm getrennt. Was schließlich der dortige Agent in seinem Geschäftsbrief über ihn zu sagen wußte, war mehr als dürftig. Immerhin sprach er das campanische Latein genausogut wie das campanische Griechisch, er konnte halbwegs lesen und schreiben, und er kannte sich im Kriegswesen aus. All dies verwirrte seinen lanista nicht wenig, und er sah Schwierigkeiten voraus. Spartacus war in allem viel zu sehr Krieger, auch beim Kampf mit Holzschwert und Lederschild in der Übungsarena. Der erste mehrfache Armbruch bei einem seiner Gegner mochte noch ein Versehen sein, doch nachdem Spartacus fünf seiner Fechtlehrer durch Knochenbrüche außer Gefecht gesetzt hatte, ließ ihn der Meister zu sich kommen. »Schau, Spartacus«, sagte er mit ruhiger Stimme, »du mußt lernen, das Fechten in der Arena als Spiel und nicht als Krieg zu betrachten. Du spielst jetzt eine Rolle! Die Etrusker haben vor gut tausend Jahren diese Spiele erfunden. Das Wissen und das Handwerk, das jeder Gladiator braucht, ist von Generation zu Generation weitergegeben worden. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es solche Spiele. Wenn ein Mensch gestorben ist, veranstalten seine Verwandten ihm zu Ehren Leichenspiele, aber nicht solche, wie sie Achilles für seinen Patroklos ausrichtete — Wettlauf und Weitsprung, Boxen und Ringen —, sondern ein Wettkampf im Gewand von Kriegsspielen, bei denen es auf athletisches Können ankommt.«
Der blonde Hüne hörte mit ausdruckslosem Gesicht zu, doch sein Meister bemerkte, daß sein Schüler die Finger seiner rechten Hand ständig öffnete und schloß, als spüre er den Drang, ein Schwert in die Hand zu nehmen.
»Hörst du mir überhaupt zu, Spartacus?«
»Ja, Meister.«
»Der Fechtlehrer ist dein Ausbilder, nicht dein Gegner. Und ich kann dir sagen, daß ein wirklich guter Lehrer schwer zu finden ist! Dank deinem fehlgeleiteten Ungestüm habe ich fünf Lehrer weniger als vor einem Monat, und ich kann sie nicht mit gleichwertigen Vertretern ihres Fachs ersetzen. Gewiß, sie sind alle noch am Leben. Aber zwei sind für diese Arbeit nicht mehr zu gebrauchen. Spartacus, du kämpfst hier nicht gegen die Feinde Roms. In der Arena soll auch nicht Blut in Strömen fließen! Die Leute wollen ein sportliches Ereignis sehen, ein Spiel, das aus Angriff und Parade besteht und bei dem Kraft und Eleganz, Geschick und taktische Intelligenz gefragt sind. Aus den Abschürfungen, Schnitten und Striemen, die alle Gladiatoren davontragen, fließt genügend Blut, um die Sensationslust des Publikums zu befriedigen. Die Zuschauer wollen nicht sehen, wie sich zwei Männer gegenseitig umbringen oder sich die Arme abschlagen! Sie wollen Spiele sehen, Spartacus, Spiele! Einen athletischen Wettkampf! Wollten die Leute sehen, wie sich Männer gegenseitig niedermachen und verstümmeln, wäre ein Schlachtfeld der geeignete Ort, und die Götter wissen, daß es mehr als genug Schlachtfelder in unserer Campania gegeben hat!« Für einen Augenblick wandte er den Blick von Spartacus. »Geht das in deinen Schädel? Verstehst du jetzt das Ganze besser?«
»Ja, Meister.«
»Dann geh wieder und übe wie ein guter Junge! Laß deine Kampfwut an den Sandsäcken und Popanzen aus. Und wenn du wieder mit dem Holzschwert einem Fechtlehrer gegenüberstehst, dann übe dich in eleganten Bewegungen und vermeide dieses schauderhafte Geräusch brechender Knochen!«
Da Spartacus genug Verstand besaß, um zu verstehen, was der Meister ihm klarmachen wollte, ließ er es sich nach ihrer Unterredung für eine Weile angelegen sein, nur auf die Bewegungsabläufe zu achten, ja er sah darin sogar eine Herausforderung, die einen Reiz für ihn hatte. Die umsichtigen, verständnisvollen Fechtlehrer, die gegen ihn antraten, stellten befriedigt fest, daß er nun nicht mehr ihre Gliedmaßen zerschmettern wollte, sondern seine Aufmerksamkeit auf die Bewegungsabläufe des Kampfes richtete, für die sich das Publikum so begeisterte. Der Meister war mißtrauischer und wollte noch nicht glauben, daß Spartacus von seiner Blutgier geheilt sei. Doch nach einem halben Jahr war auch er überzeugt und setzte seinen schwierigen Gladiator auf eine Liste von fünf Paaren, die bei Leichenspielen in den Guttae bei Capua auftreten sollten. Da die Spiele ganz in der Nähe stattfanden, konnte der Meister persönlich anwesend sein und selbst in Augenschein nehmen, welche Figur Spartacus in der Arena machte. Der Gallier, der gegen Spartacus antrat, war ihm durchaus ebenbürtig; noch ein Stückchen größer als er und ebenso athletisch gebaut. Nur mit einem knappen Schurz bekleidet, der gerade die Scham bedeckte, kämpfte er mit einem langen, leicht gewölbten Schild und einem geraden zweischneidigen Schwert. Das Prunkstück seiner Ausrüstung aber war sein Helm: eine glänzende Silberkappe mit Backenstücken und Seitenflügeln und bekrönt mit einem springenden emaillierten Fisch, der größer als der sonst übliche Helmbusch war.
Spartacus hatte den Gallier vorher nie gesehen, geschweige denn gesprochen. In einem weitläufigen Gebäude wie Philippus’ Gladiatorenschule kannten die Insassen niemanden außer den Fechtlehrern, dem Meister und den Schülern ihrer Ausbildungsstufe. Er hatte lediglich vorher erfahren, daß sein erster Gegner ein erfahrener Gladiator mit vierzehn Kämpfen sei, der sich in der Arena von Capua, wo er gewöhnlich auftrat, großer Beliebtheit erfreue.
Anfangs verlief alles gut. Spartacus bewegte sich mit seiner schweren Beinpanzerung in abgezirkelten Schritten stets knapp außerhalb der Reichweite des Galliers. Einige Frauen im Publikum waren von seinem hübschen Gesicht und seinem herkulesartigen Körper so hingerissen, daß sie laute Seufzer ausstießen und den Mund zu schmatzenden Küssen schürzten. Spartacus hatte sich im Handumdrehen eine Schar treuer Bewunderinnen erobert. Da aber der Meister einem Neuling keinen Umgang mit Frauen erlaubte, solange dieser nicht seine Sporen in der Arena abverdient hatte, verwirrten Spartacus die vielen weiblichen Gunstbezeugungen, so daß er einen Augenblick nicht auf den Gallier achtgab. Nur einen Fußbreit hob er seinen Rundschild zu hoch, aber das genügte seinem wieselflinken Gegner, um ihm eine klaffende Wunde am linken Gesäßteil beizubringen.
Das war das Ende des Kampfes und das Ende des Galliers. Es geschah so schnell, daß keiner in der Menge mehr sah als eine huschende Bewegung. Spartacus drehte sich auf der linken Ferse und führte die Klinge seines Krummsäbels seitlich in den Hals seines Gegners. Der Stahl ging tief genug, um die Halswirbel zu durchtrennen; der Kopf des Galliers kippte zur Seite, stieß an seine Schulter und hing dort mit vor Entsetzen weitaufgerissenen Augen und offenem Mund. Im Publikum entstand heller Aufruhr; Frauen kreischten oder fielen in Ohnmacht, auch Männer schrien, manche stürzten davon, andere mußten sich übergeben.
Unterdessen wurde Spartacus zu den Unterkünften zurückgebracht.
»Das reicht!« fuhr ihn der Meister an. »Aus dir wird nie im Leben ein Gladiator!«
»Aber er hat mich verwundet!« protestierte Spartacus.
Der Meister schüttelte nur den Kopf. »Wie kann jemand nur so schlau und gleichzeitig so dumm sein?« fragte er. »Mit deinem Aussehen und deiner Begabung hättest du der berühmteste Gladiator in ganz Italien werden können! Du hättest dir leicht einen Ruf erworben, mir hätte man auf die Schulter geklopft und Lucius Marcius Philippus hätte einen dicken Gewinn eingestrichen. Aber das geht offenbar in deinen Schädel nicht rein, Spartacus. Du bist eben zu dumm dazu! So schlau und gleichzeitig so dumm. Du fliegst heute noch raus!«
»Raus? Aber wo soll ich hin?« fragte der Beschimpfte. »Ich muß meine Zeit als Gladiator abdienen!«
»Oh, das wirst du auch«, sagte der Meister. »Aber nicht hier. Lucius Marcius Philippus besitzt noch eine andere Schule weiter draußen vor Capua. Dorthin schicke ich dich. Eine hübsche kleine Schule, ungefähr hundert Gladiatoren, zehn Fechtlehrer und der beste lanista im ganzen Geschäft. Gnaeus Cornelius Lentulus Batiatus, der Barbar. Der Alte stammt aus Illyrien. Nach mir, Spartacus, wird Batiatus das reine Gift für dich sein.«
»Das überstehe ich«, gab Spartacus unbeeindruckt zurück. »Ich muß ja.«
In der Morgendämmerung des folgenden Tages fuhr ein geschlossener Karren für den Ausgestoßenen vor. Spartacus stieg rasch ein, doch kaum war der Türriegel wieder vorgeschoben, mußte er feststellen, daß ein paar Spalten zwischen schlecht vernagelten Brettern die einzige Verbindung zur Außenwelt bildeten. Er war eingesperrt und wußte noch nicht einmal, wohin er gebracht wurde! Gefangener zu sein war eine so entsetzliche Vorstellung für jeden Römer, daß Spartacus, als der Karren schließlich durch das hohe eisenbeschlagene Tor der Gladiatorenschule des Gnaeus Cornelius Lentulus Batiatus rumpelte, halb wahnsinnig und übel zugerichtet war, so oft hatte er sich gegen die Bretterwände seines Gefängnisses geworfen.
Das war nun schon ein Jahr her. Seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag hatte er noch in der anderen Schule begangen, seinen sechsundzwanzigsten erlebte er in den Mauern der Anstalt, die von ihren Insassen Villa Batiatus genannt wurde. Hier wurde niemand gehätschelt! Die Größe der Belegschaft schwankte bisweilen, doch die Anstaltsbücher sprachen gewöhnlich von rund hundert Gladiatoren — fünfzig Thraker und fünfzig Gallier. Alle waren aus anderen Schulen hierhergekommen, weil sie etwas auf dem Kerbholz hatten, zumeist Disziplinverstöße zusammen mit Körperverletzung oder Meuterei. Man hielt sie wie Bergwerksklaven, nur daß sie innerhalb der Villa Batiatus keine Ketten trugen und daß sie mit gutem Essen, einem sauberen Lager und sogar mit Frauen versorgt wurden.
Dennoch war es Sklaverei. Jeder Gladiator wußte, daß er bis ans Ende seines Lebens in der Villa Batiatus bleiben würde, selbst wenn er die Kämpfe in der Arena überlebte. Wer zu alt zum Kämpfen war, wurde als Fechtlehrer oder Diener weiterbeschäftigt. Sie erhielten keinen Lohn. Auch reichten die Pausen zwischen den Kämpfen nicht, um die davongetragenen Wunden auszuheilen, denn wenn bei Batiatus die Nachfrage rege war — und das war fast immer der Fall —, waren sie stets im Einsatz. Batiatus war der Mann, der jeden Preis unterbot, so daß jeder, der ein paar Sesterzen übrig hatte und einen verstorbenen Verwandten mit Leichenspielen ehren wollte, sich bei ihm ein paar Männer mieten konnte.
Aus der Villa Batiatus gab es so gut wie kein Entrinnen. Das Anwesen war in viele kleine Areale aufgeteilt, die alle mit Mauern und Gittern voneinander abgetrennt waren. Keines der Areale, in denen sich Gladiatoren aufhielten, stieß unmittelbar an die hohen, mit Eisenspitzen bewehrten Außenmauern. Auch bei auswärtigen Auftritten war eine Flucht so gut wie unmöglich; bei Reisen im geschlossenen Karren hatte jeder Mann Ketten an Händen und Füßen, und der Kopf steckte in Halseisen. Gingen sie zu Fuß, bewachte sie eine Schar Bogenschützen, die ihre Pfeile stets schußbereit hielten. Nur kurz bevor sich für den Gladiator das Tor zur Arena öffnete, wurden ihm die Ketten abgenommen, aber auch dann blieben Bogenschützen stets in seiner Nähe.
Wie anders sah doch das Leben eines gewöhnlichen Fechters aus! Er durfte seine Unterkunft verlassen, wann er wollte, wurde gehätschelt und geehrt, Frauen umschwärmten ihn, und wenn er am Ende seinen Abschied nahm, würde eine hübsche Summe zusammengekommen sein. Er hatte im Jahr nicht mehr als fünf oder sechs Kämpfe zu bestehen, und nach fünf Jahren oder dreißig Kämpfen, je nachdem, konnte er die Arena verlassen und sich zurückziehen. Sogar Freie wählten manchmal das Gladiatorenhandwerk, der größte Teil bestand aus Deserteuren oder Meuterern aus der Legion, und nur ein kleiner Rest kam schon versklavt in die Schulen. Daß die Männer so umsorgt wurden, hatte einen einsichtigen Grund: Ein ausgebildeter Gladiator stellte eine sehr teure Investition dar, mit der pfleglich umgegangen werden mußte, sollte sie dem Besitzer der Schule einen guten Gewinn einbringen.
In Batiatus’ Schule war das anders. Dem lanista war es einerlei, ob ein Gladiator schon beim ersten Kampf sein Leben im Sand der Arena aushauchte oder ob er die vorgeschriebenen zehn Jahre durchhielt. Männer weit über zwanzig wurden gar nicht als Kämpfer aufgenommen, und länger als zehn Jahre trat keiner vor dem Publikum auf. Die Zuschauer und die Hinterbliebenen, welche die Gladiatoren mieteten, wollten junge, geschmeidige Kämpfer sehen. Wenn ein Mann aus der Villa Batiatus seinen Abschied von der Arena genommen hatte, blieb er innerhalb der Anstaltsmauern. Ein trostloses Schicksal im Vergleich mit einem gewöhnlichen Gladiator, der am Ende seiner Karriere tun und lassen konnte, was er wollte. Meist ging ein solcher Mann nach Rom oder in eine andere große Stadt und verdingte sich als Türsteher, Leibwächter oder berufsmäßiger Schläger.
In der Villa Batiatus herrschte eine eherne Ordnung, die ihr Sinnbild in einem Eisenring gefunden hatte, der mit einem ebensolchen Stab geschlagen wurde und im ganzen Anwesen seinen harten, metallischen Klang verbreitete. Das Leben der Insassen wurde von dem Stundenplan diktiert, der auf der Wand des Hauptübungsplatzes so hoch geschrieben stand, daß niemand ihn auswischen konnte. Die Männer — manchmal mehr, manchmal weniger als hundert — sperrte man bei Sonnenuntergang jeweils zu siebt oder zu acht in vergitterte Zellen, zwischen denen keine Verständigung möglich war. Nicht einmal Geräusche drangen durch die Mauern. Kein Insasse blieb in der gleichen Gruppe; die Belegung für die Nacht war so gestaffelt, daß jeder Mann an jedem Abend in eine neue Zelle wechselte. Nach zehn Tagen änderte sich der Belegungsplan erneut, und der Mann kam wieder in eine andere Gruppe. Dank diesem von Batiatus ersonnenen System brauchte ein Neuling ein ganzes Jahr, bis er alle Insassen kennengelernt hatte. Die Zellen waren sauber und mit großen bequemen Betten ausgestattet, außerdem hatte jede einen Vorraum mit Bad, fließendem Wasser und mehreren Abortkübeln. Die Gladiatoren durften sich in den Zellen, die im Winter warm und im Sommer angenehm kühl waren, nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang aufhalten. Tagsüber wurden die Räume von Sklaven gereinigt, mit denen die Männer nicht in Kontakt kamen.
Bei Sonnenaufgang weckte das Geräusch weggeschobener Riegel die Männer. Den ganzen Tag über blieb der einzelne Gladiator in Gesellschaft der Männer, mit denen er in der Nacht die Zelle geteilt hatte. Jede Gruppe nahm ihr Frühmahl in dem mit Mauern versehenen Hof unmittelbar vor ihrer Zelle ein. Bei Regenwetter schützte sie ein über ihren Köpfen gespanntes Leinwandzelt. Dann exerzierte die Gruppe routinemäßige Übungen durch, bis ein Fechtlehrer kam, sie in Paare aufteilte, wenn möglich Gallier gegen Thraker, und zu Zweikämpfen mit Holzschwert und Lederschild aufeinander losließ. Darauf folgte die Hauptmahlzeit des Tages — gebratenes Fleisch, frischgebackenes Brot nach Belieben, Olivenöl, Obst und Gemüse der Jahreszeit entsprechend, Eier, Fisch, Brei aus Hülsenfrüchten, der mit Brot aufgetunkt wurde, und soviel Wasser, wie ein Mann trinken konnte. Wein, und sei es auch nur, um dem Wasser etwas Geschmack zu geben, wurde nie ausgeschenkt. Nach dem Mittagessen folgte eine zweistündige Ruhepause, ehe die Männer dazu angehalten wurden, Rüstungen zu putzen, Leder einzufetten, Schuhe zu flicken oder andere Reparaturen an ihrer Ausrüstung auszuführen. Danach mußten unter der Aufsicht von Wachen sämtliche Werkzeuge wieder weggesperrt werden. Nach anstrengenden Kraftübungen bekamen alle noch ein drittes, leichteres Mahl, ehe jeder Gladiator in eine neue Zelle mit anderen Genossen wechselte.
Batiatus hielt sich vierzig Sklavinnen, deren einzige Aufgabe, abgesehen von leichter Küchenarbeit, darin bestand, die sexuellen Gelüste der Gladiatoren zu stillen. Die Frauen besuchten die Männer jede dritte Nacht. Auch hier sorgte ein ausgeklügeltes System dafür, daß ein Mann mit allen vierzig Frauen abwechselnd zusammenkam. Numeriert gingen die sieben oder acht Frauen, die einer Zelle zugeordnet waren, unter Aufsicht in die Zelle und geradewegs zu den ihnen angewiesenen Betten. Dort durften sie nur solange bleiben, bis der Mann seinen Trieb befriedigt hatte. Viele Männer waren zu wenigstens drei oder vier Geschlechtsakten pro Nacht fähig, mußten aber dazu jedesmal die Frau wechseln. Da Batiatus sich wohl bewußt war, daß in diesen nächtlichen Begegnungen die Gefahr aufkeimender zärtlicher Gefühle lag, ließ er eine Wache in der Zelle postieren, die dafür zu sorgen hatte, daß die Frauen auch tatsächlich weiterzogen und daß die Männer keine Gespräche mit ihren Beischläferinnen anfingen.
Nicht alle hundert Gladiatoren hielten sich in der Villa auf. Ein Drittel, manchmal gar die Hälfte, war auswärts unterwegs. Dieses Wanderleben mochte keiner von ihnen, da sie nicht so gut versorgt wurden wie in der Villa Batiatus, von Frauen für die Nacht ganz zu schweigen. Doch dank der regelmäßigen Abwesenheit eines Teils der Männer kamen die Frauen in den Genuß einiger freier Tage, allerdings wiederum im Rahmen des strengen Dienstplans, wie Batiatus überhaupt eine Leidenschaft für Pläne und Reglementierungen hatte. Urlaub war auch für jene Frauen nötig, die hochschwanger waren und sich auf ihre Niederkunft vorbereiteten. Batiatus gab ihnen nur für den letzten Monat vor der Niederkunft und den Monat danach frei, dann mußten sie ihren Dienst wiederaufnehmen. Die Frauen taten daher alles, um nicht schwanger zu werden, und diejenigen, die es doch wurden, trieben meist ab. Jedes Neugeborene wurde der Mutter sofort weggenommen. War es ein Mädchen, wurde es auf den Abfallhaufen der Villa Batiatus geworfen; war es ein Junge, gab man es Batiatus zur Begutachtung. Er hatte immer ein paar Klientinnen an der Hand, die gern ein männliches Neugeborenes kauften.
Die Frauen wurden von einer echten Thrakerin mit Namen Aluso geführt. Sie war einst Priesterin im Stamm der Besser gewesen und hatte sich ein kriegerisches Wesen bewahrt. Neun Jahre lang gehörte sie nun schon zu Batiatus’ Huren, wofür sie ihn mehr haßte, als es alle Gladiatoren der Schule taten. Das Mädchen, dem sie im ersten Jahr ihres Aufenthalts das Leben geschenkt hatte, hätte nach der Sitte ihres Stammes später einmal das Priesteramt ihrer Mutier übernehmen sollen, doch Batiatus hatte nur taube Ohren für ihre verzweifelten Bitten, das Kind behalten zu dürfen. So endete das Mädchen wie alle anderen auch auf dem Abfallhaufen. Danach nahm Aluso stets zu ihren geheimen Mitteln Zuflucht und brachte kein Kind mehr zur Welt. In ihrem Innern aber nährte sie unversöhnliche Rache und schwor bei ihren Göttern, daß Batiatus einmal eines schrecklichen Todes sterben werde.
Aus alledem ging hervor, daß Gnaeus Cornelius Lentulus Batiatus zu den tüchtigsten und umsichtigsten Männern gehörte, welche die Welt der Arena je gekannt hat. Nichts entging ihm, keine Vorsichtsmaßnahme wurde vernachlässigt, über keine Einzelheit hinweggesehen. Das war der eine Grund, warum seine Fechtschule für undisziplinierte Gladiatoren so erfolgreich war. Der andere lag in Batiatus’ Geschick als lanista. Er traute niemandem, übertrug nichts auf andere, was er selbst besser machte. Er allein besaß den Schlüssel zur Waffenkammer, in der Rüstungen und Schwerter verwahrt wurden. Er organisierte die Auftritte bei Leichenspielen und legte die Reiseroute fest. Er suchte sich seine Leute selbst aus, gleichgültig, ob Wächter, Sklave, Waffenschmied, Koch oder Fechtlehrer, ob Waschfrau oder Hure. Er führte die Bücher, und er war der einzige, der den Besitzer der Schule, Lucius Marcius Philippus, kannte. Philippus besuchte seine Schule nie, sondern ließ Batiatus zu sich nach Rom kommen. Batiatus war auch der einzige, der nach dem kolossalen Umbruch, für den Pompeius vor ein paar Jahren verantwortlich gewesen war, weiterhin zu Philippus’ Klienten gehörte. Tatsächlich war Pompeius von Batiatus so beeindruckt gewesen, daß er ihn gefragt hatte, ob er Philippus’ Majordomus werden wolle. Batiatus hatte lächelnd abgelehnt; denn er liebte seine Arbeit.
Doch die Tage der Villa Batiatus waren gezählt, als Spartacus und sieben andere Gladiatoren Ende des Sextilis von einem Auftritt in Larinum heimkehrten. Es war das Jahr, in dem Caesar seinem Vorgesetzten Marcus Antonius und der Stadt Gytheion den Rük- ken kehrte und in Rom sein Pontifikat antrat.
Die acht Männer waren wie üblich zusammengepfercht in einem geschlossenen Gefängniskarren nach Larinum gebracht und ständig in Ketten gehalten worden, bis sie zum Kampf in der Arena standen. Ende des vorhergehenden Jahres war der bekannteste Mann in der Stadt, Statius Albius Oppianicus, von seinem Stiefsohn Aulus Cluentius Habitus wegen versuchten Mordes an ihm verklagt worden. Im Laufe des Verfahrens, das in Rom stattfand, war eine lange Reihe von Morden, die sich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erstreckten, nach und nach ans Licht gekommen. Oppianicus, so erfuhren die Römer, war verantwortlich für den Mord an seinen Ehefrauen, Söhnen, leiblichen und Stiefbrüdern, Vettern und weiteren Menschen. Das Motiv für diese Morde, die er entweder selbst begangen oder zu denen er Mörder gedungen hatte, war ausnahmslos seine Gier nach Geld — und Macht. Dank seiner Freundschaft zu dem märchenhaft reichen Patrizier Marcus Licinius Crassus wäre Oppianicus beinahe freigesprochen worden; der Volkstribun Lucius Quinctius war ebenfalls an dem Prozeß beteiligt, und eine hohe Summe stand zur Bestechung der Geschworenen bereit. Daß Oppianicus schließlich doch verurteilt wurde, lag am Geiz des Mannes, den er für die Bestechung der Senatoren angeheuert hatte, nämlich derselbe Gaius Aelius Staienus, der Pompeius einige Jahre zuvor so nützlich gewesen war und der neunzigtausend Sesterzen für sich abgezweigt hatte, als er im Auftrag von Gaius Antonius Hybrida neun Volkstribunen bestechen sollte. Staienus war einfach nicht in der Lage, unsaubere Geschäfte sauber auszuführen; so behielt er das Bestechungsgeld, das ihm Oppianicus anvertraut hatte, und lieferte Oppianicus der Verurteilung aus.
Die Boshaftigkeit des Oppianicus war in Larinum immer noch das beherrschende Gesprächsthema, auch wenn Gladiatoren in der Arena Leichenspiele aufführten. In der Stadt hatte es in den vergangenen Jahren einfach zu viele Leichenspiele gegeben. Während die Gladiatoren im Hof eines Gasthauses angekettet bei Tisch saßen, hörten sie mit interessierter Miene den Gesprächen ihrer vier Wächter zu. Zwar war es ihnen nicht erlaubt, miteinander zu sprechen, aber mit der Zeit hatten sie sich die Fertigkeit erworben, sich mit geheimen Kürzeln untereinander zu verständigen. Die Schauergeschichte des Mehrfachmörders aus der feinen Gesellschaft von Larinum zog alle Aufmerksamkeit auf sich, so daß keiner der Wächter viel auf die Gladiatoren achtete.
Mochte Batiatus auch mit manischer Akribie strenge Sicherheitsvorkehrungen ausgetüftelt haben, Spartacus, der jetzt schon über ein Jahr in der Villa Batiatus überstanden hatte, vereinte dennoch in seiner Hand die Fäden eines Komplotts, das auf einen Massenausbruch und einen Massenmord abzielte. Er kannte nunmehr jeden Insassen und hatte gelernt, sich mit Menschen zu verständigen, die er tage- und sogar monatelang nicht sehen konnte. Wenn Batiatus ein kompliziertes Netz gespannt hatte, das Gladiatoren und Huren daran hindern sollte, sich näher kennenzulernen, dann war es Spartacus gelungen, ein nicht weniger kompliziertes Netz zu weben, mit dem die Männer und Frauen untereinander Botschaften austauschen und Rückmeldungen an ihn geben konnten. Tatsächlich hatte Batiatus’ System der erzwungenen indirekten Kontakte für Spartacus auch sein Gutes: Es verhinderte nämlich, daß schwierige Charaktere sich oft genug begegneten, um in Streit zu geraten oder sich ihrerseits zu einem Komplott gegen Spartacus als Anführer des geplanten Aufstands zu verschwören.
Spartacus hatte zu Beginn des Sommers seine Fühler ausgestreckt, und nun, Ende des Sextilis, waren seine Pläne fertig. Jeder Gladiator ohne Ausnahme hatte erklärt, er werde, wenn Spartacus einen Ausbruch versuchen wolle, mit von der Partie sein. Die Huren, denen eine entscheidende Rolle bei dem Komplott zukam, hatten sich ebenfalls mit ihm verschworen.
Zwei römische Deserteure, die sich in militärischen Dingen fast ebenso gut auskannten wie ihr Anführer, hatte Spartacus mittels seines Kassibersystems zu seinen Stellvertretern ernannt. Die beiden kämpften als Gallier und nannten sich Crixus und Oenomaus. Das war ein Zugeständnis an das Publikum, das lateinische Namen nicht mochte, weil es gern verdrängte, daß die meisten Helden der Arena Geächtete aus den römischen Legionen waren. Der Zufall wollte es, daß sich Crixus und Oenomaus zusammen mit Spartacus in Larinum aufhielten. Ein Glück für Spartacus, der den Zeitpunkt des geplanten Ausbruchs vorverlegen konnte.
Sie wollten acht Tage nach der Rückkehr aus Larinum losschlagen, gleichgültig, wie viele oder wie wenige Gladiatoren dann in der Villa Batiatus anwesend wären. Da es der Tag nach dem Markttag war, würde ihre Zahl eher über als unter dem Durchschnitt liegen. Hinzu kam, daß Batiatus im September die Auftritte einschränkte, denn er pflegte dann seinen Urlaub zu nehmen und seinen jährlichen Besuch bei Philippus abzustatten.
Die thrakische Priesterin Aluso war zu Spartacus’ engster Verbündeter geworden. Nachdem alle Insassen dem Komplott zugestimmt hatten, richteten die Männer und Frauen, mit denen Spartacus gerade in einer Zelle war, es so ein, daß er und Aluso die ganze Nacht zusammen verbringen konnten, wenn Aluso zur diensthabenden Abteilung der Frauen gehörte. Miteinander flüsternd, gingen sie noch einmal alle Einzelheiten durch, und Aluso versprach, sie werde gemeinsam mit den anderen Frauen alles tun, damit die Männer in ihrer fieberhaften Begeisterung blieben. Seit Sommeranfang hatte sie Küchengeräte für Spartacus gestohlen. Sie war so geschickt vorgegangen, daß der Verdacht, als die Geräte schließlich vermißt wurden, nicht auf sie, sondern auf den Koch fiel und niemand etwas von einer Gladiatorenrevolte ahnte. Ein Hackbeil, ein Tranchiermesser, ein Knäuel starker Schnur, ein gläserner Krug, der in Scherben geschlagen wurde, ein Fleischerhaken: eine bescheidene Ausbeute, aber genug für acht Männer. Alle Gegenstände wurden in den Stuben der Frauen versteckt, die sie selber sauberhalten mußten. Am Abend vor dem Ausbruch schmuggelten die Frauen, die für Spartacus’ Zelle vorgesehen waren, alle Geräte unter ihrer spärlichen Kleidung zu ihm.
Der Morgen dämmerte. Die acht Männer verließen zum Frühmahl ihre Zellen. Nur mit Lendenschurzen bekleidet, hatten sie keine Waffen bei sich, aber jeder trug unter dem scharlachroten Tuch des Schurzes ein etwa drei Fuß langes Stück Schnur. Der Bogenschütze, ein Fechtlehrer und zwei ehemalige Gladiatoren, die als Aufseher dienten, wurden so schnell erdrosselt, daß die eiserne Zellentür noch nicht einmal geschlossen wurde. Dem Bogenschützen nahmen sie den Schlüssel für die anderen Zellen ab, dann holten sie die Waffen unter ihren Betten hervor und stürzten davon. Spartacus und seine sieben Kameraden eilten von Zelle zu Zelle, ehe die Aufseher überhaupt bemerkten, was vor sich ging. Jede Gladiatorengruppe hatte beim Aufstehen gemurrt und gebummelt und den Gang zum Frühmahl so lange wie möglich hinausgezögert, so daß keiner den Hof erreichte, ehe nicht ihre acht katzengleich heranhuschenden Kameraden zu ihnen stießen. Der Stahl eines Hackbeils blitzte auf, ein Messer grub sich in die Brust eines Aufsehers, eine messerscharfe Glasscherbe trennte eine Gurgel durch, und die acht Stück Schnur sorgten weiterhin für einen lautlosen Tod.
Alles geschah ohne ein Wort, einen Ruf, eine Warnung. Spartacus und die anderen Gladiatoren hatten bald die Zellen und die davorliegenden Höfe erobert. Einige der toten Männer trugen Schlüssel bei sich, mit denen noch mehr Tore in dem weitläufigen Labyrinth aufgeschlossen wurden. Die siebzig Männer, die zu dieser Zeit in der Villa Batiatus wie Gefangene lebten, eilten auf leisen Sohlen der Freiheit entgegen. In einem Schuppen wurden Äxte und Gerätschaften verwahrt; ein dumpfes Geräusch, und alles, was entfernt als Waffe dienen konnte, befand sich in der Hand der Gladiatoren. Nun zeigte sich ein zweiter Fehler in der ganzen Anlage von Batiatus’ Gladiatorenschule: Die hohen inneren Mauern schirmten die Höfe so gegeneinander ab, daß nichts von dem Geschehen nach außen drang. Batiatus hätte Wachtürme errichten und seine Bogenschützen auf ihnen postieren müssen.
Der Alarm wurde erst ausgelöst, als die Männer schon die Küchen erreicht hatten, und da war es bereits zu spät. Die Gladiatoren hatten sich jedes scharfe Küchengerät gegriffen, benutzten Topfdeckel zur Abwehr der Pfeile und ließen keinen Lebenden ungeschoren. Auch Batiatus entkam ihnen nicht. Er hatte eigentlich am Tag zuvor in Urlaub gehen wollen, war aber dann doch geblieben, da eine Unstimmigkeit in seinen Büchern ihn noch aufgehalten hatte. Die Männer hatten ihn am Leben gelassen, bis alle Frauen befreit waren. Sie nahmen ihn in Empfang und machten sich unter Alusos kundiger Aufsicht über ihn her; am Ende aß Aluso mit schauderhafter Gier Batiatus’ Herz.
Bis die Sonne vollends aufgegangen war, hatten Spartacus und seine neunundsechzig Gefährten die Villa Batiatus erobert. Sie holten die Waffen aus der Waffenkammer und spannten Ochsen und Maultiere vor jeden verfügbaren Karren. Dann wurden die Fahrzeuge mit Nahrungsvorräten aus der Küche und den übriggebliebenen Waffen beladen, die Tore geöffnet, und der kleine Zug von Männern und Frauen machte seinen Weg in die Welt hinaus.
Für Spartacus, der die Campania seit seiner Kindheit kannte, hatte es mit dem Ausbruch aus der Villa Batiatus nicht sein Bewenden; seine Pläne gingen weiter in die Zukunft. Die Gladiatorenschule lag sieben Meilen außerhalb der Stadt an der Straße von Capua nach Nola. Spartacus kehrte Capua den Rücken und wies in Richtung Nola. Sie waren noch nicht lange unterwegs, da begegnete ihnen ein anderer Zug von Ochsenkarren. Sie überfielen die Reisenden, da sie unbedingt verhindern wollten, daß Überlebende ihren Fluchtweg verrieten. Zu ihrer freudigen Überraschung stellte sich heraus, daß die Karren mit Waffen und Rüstungen für eine andere Gladiatorenschule beladen waren. Nun besaßen sie mehr Waffen und Rüstungen, als sie überhaupt tragen und handhaben konnten.
Bald verließen die Flüchtenden die Hauptstraße und nahmen einen verlassenen Feldweg, der in südwestlicher Richtung in die Gegend des Vesuvs führte.
Aluso gesellte sich zu Spartacus an die Spitze der Kolonne. Sie hatte sich von Batiatus’ Blut gereinigt und trug nun das geschuppte Hemd eines Bogenschützen und einen thrakischen Säbel.
»Du gleichst der Göttin Minerva«, sagte Spartacus lächelnd. Er hatte keine Einwände gegen die Art und Weise erhoben, in der Aluso an Batiatus Rache übte.
»Zum erstenmal seit zehn Jahren fühle ich mich wieder ganz ich selbst«, sagte sie und schüttelte dabei die große Ledertasche, die von ihrer Hüfte herabhing. Darin verwahrte sie Batiatus’ Kopf, dessen Haut sie skarifizieren und aus dessen Schädelknochen sie einen Trinkbecher fertigen wollte, wie es in ihrem Stamm Brauch war.
»Wenn du möchtest, sollst du meine Frau sein.«
»Ich möchte schon, wenn ich zu deinem Kriegsrat gehören darf.«
Sie sprachen griechisch, da Aluso kein Latein beherrschte. Sie redeten mit der Leichtigkeit jener, die zusammen die tiefste Lust genossen hatten und nun das überwältigende Gefühl, frei zu sein, keine Ketten und keine Wächter mehr zu kennen, gemeinsam erlebten.