Pompeius in seine Schranken zu weisen war schwieriger, als Rom an die Proskriptionen zu gewöhnen. Dies mußte Sulla am Tag vor seinem Triumph erfahren. Pompeius war entgegen Sullas Befehl mit seiner gesamten Armee aus der Provinz Africa nach Italien gekommen; in einem Brief aus Tarentum teilte er ihm mit, seine treuen Soldaten hätten ihn nicht allein fahren lassen wollen und seien deshalb bis auf den letzten Mann mitgekommen; die Masseneinschiffung sei nicht zu verhindern gewesen. Die Erklärung, wo er die Schiffe für fünf weitere Legionen und zweitausend Pferde aufgetrieben hatte, blieb er allerdings schuldig. Am Schluß des Briefes bat er erneut, einen Triumph feiern zu dürfen.
Der Diktator schickte einen Eilboten mit einer Antwort nach Tarentum, in der er den Triumph, den Pompeius so heiß begehrte, ein zweites Mal ablehnte. Derselbe Bote kehrte mit einem Brief zurück, in dem sich Pompeius bei Sulla für das störrische Verhalten seiner Armee entschuldigte und noch einmal betonte, er habe keinen Einfluß darauf, denn seine Soldaten bestünden dreist auf dem wohlverdienten Triumph ihres geliebten Feldherrn! Wenn der Diktator bei seinem Nein bleibe, sei ernsthaft zu befürchten, daß die Soldaten die Sache selbst in die Hand nehmen und empört nach Rom marschieren würden. Er werde selbstverständlich alles in seiner Macht Stehende tun, um dies zu verhindern!
Sulla schickte einen zweiten Brief per Eilboten über die Via Appia nach Tarentum: kein Triumph! Diese dritte Absage war zuviel. Pompeius’ sechs Legionen und zweitausend Reiter traten den Marsch nach Rom an, begleitet von ihrem geliebten Feldherrn, der Sulla in einem weiteren Brief beteuerte, er folge seinen Leuten nur, um sie von Aktionen abzuhalten, die sie später bereuen könnten.
Der Senat war in die einzelnen Etappen der Auseinandersetzung eingeweiht und hatte, erschreckt über die Vermessenheit des vierundzwanzigjährigen Ritters, die Anweisungen des Diktators an Pompeius durch einen Beschluß bestätigt. Als der Senat und Sulla nun erfuhren, daß Pompeius und seine Armee nach Capua vorgerückt waren, beschlossen sie, den Druck zu verstärken. Inzwischen war es Ende Februar. Winterliche Stürme tobten durch das Land, und das Marsfeld war bereits mit den Soldaten anderer Armeen besetzt — mit zwei Legionen des Lucius Licinius Murena, des ehemaligen Statthalters der Provinzen Asia und Cilicia, und zwei Legionen des Gaius Valerius Flaccus, des ehemaligen Statthalters von Gallia Transalpina. Beide Feldherren bereiteten ihren Triumphzug vor.
Sulla mußte Pompeius wohl oder übel einen weiteren Brief schreiben, in dem er ihm befahl, in Capua zu bleiben, und ihn nebenbei darüber informierte, daß das Marsfeld mit vier schlachterprobten Legionen besetzt sei. Dann brach der Diktator selbst aus Rom nach Capua auf, begleitet von den Konsuln Decula und Dolabella, dem Pontifex Maximus Metellus Pius, dem Reiterobersten und Senatsvorsitzenden Flaccus sowie einer Eskorte von Liktoren. Soldaten zu seinem Schutz nahm er nicht mit.
Sullas Brief erreichte Pompeius noch vor dem Abmarsch aus Capua. Wie gelähmt angesichts der Nachricht, daß vier kampferprobte Legionen vor Rom lagerten, rührte er sich nicht von der Stelle. Schließlich hatte er keinen Augenblick ernsthaft erwogen, gegen Sulla zu kämpfen; der Marsch war nur eine List gewesen, um seinen Triumphzug durchzusetzen. Er selbst wußte, daß er nur geblufft hatte, aber wußte Sulla es auch? Natürlich nicht! Woher auch? Sulla mußte darin eine Wiederholung des Marsches sehen, den er selbst im Jahr seines Konsulates durchgeführt hatte. Pompeius war verzweifelt.
Als die Meldung eintraf, Sulla sei persönlich und ohne Armee auf dem Weg zu ihm, sprang Pompeius auf sein Pferd und galoppierte ihm ebenfalls ohne Begleitschutz auf der Via Appia entgegen. Die Umstände der Begegnung erinnerten an das erste Treffen der beiden Männer an der Furt des Calor. Diesmal war Sulla allerdings nicht betrunken, obwohl er auf dem unvermeidlichen Maultier saß. Er trug die purpurgesäumte toga praetexta, und ihm voran marschierten vierundzwanzig frierende Liktoren in karmesinroten Tuniken mit bronzebeschlageneh schwarzen Ledergürteln, die Rutenbündel mit dem Richtbeil über der Schulter. Hinter Sulla folgten dreißig weitere Liktoren, die zwölf des Konsuls Decula, die zwölf des Konsuls Dolabella und sechs weitere des Reiterobersten, der den Rang eines Prätors bekleidete. Es war ein würdigerer und eindrucksvollerer Zug als damals bei der Überquerung des Calor, und fast hätte Pompeius bei diesem Anblick den Mut wieder verloren.
Doch er hatte in den zweiundzwanzig Monaten seit seiner ersten Begegnung mit Sulla an Format gewonnen: Er hatte zusammen mit Metellus Pius und Crassus einen Feldzug geführt, dann einen zweiten in Clusium mit Sulla und Crassus und einen dritten als alleiniger Befehlshaber im Ausland. Jetzt trug er selbstbewußt seine prächtigste, vergoldete Rüstung, und auch sein herausgeputztes Staatspferd blitzte und funkelte. Da ihm die Eskorte des Diktators zu Fuß entgegenkam, stieg Pompeius ebenfalls ab, um nicht den Anschein zu erwecken, er sei in kriegerischer Absicht gekommen.
Sulla trug seine Graskrone, eine unangenehme Erinnerung für Pompeius, daß dieser bis jetzt noch nicht einmal den Bürgerkranz errungen hatte! Trotz seiner albernen Perücke und trotz seines von Narben entstellten Gesichts war Sulla immer noch jeder Zoll der Diktator, wie Pompeius beeindruckt feststellte. Die Liktoren teilten sich, und der braungebrannte junge Feldherr in der vergoldeten Rüstung schritt zwischen ihnen hindurch auf Sulla zu, der stehengeblieben war. Einige Schritte hinter Sulla stand sein restliches Gefolge.
»Ave, Pompeius Magnus!« rief Sulla mit erhobener Rechter.
»Ave, Diktator Roms!« rief Pompeius. Was für eine Freude! Sulla hatte ihn tatsächlich öffentlich mit dem Beinamen begrüßt, den er sich selbst gegeben hatte — er war jetzt offiziell Pompeius der Große!
Sie küßten sich auf den Mund, eine Prozedur, die beiden Männern unangenehm war. Dann gingen sie hinter den Liktoren langsam auf Pompeius’ Lager zu, gefolgt von den anderen Männern.
»Du siehst also ein, daß ich der große Pompeius bin!« sagte Pompeius glücklich.
»Der Name ist eben hängengeblieben«, meinte Sulla, »genauso wie der >kleine Schlächter<.«
»Meine Soldaten fordern einen Triumph für mich, Lucius Cornelius.«
»Dazu haben sie überhaupt kein Recht, Gnaeus Pompeius Magnus.«
Pompeius gestikulierte verzweifelt mit seinen Armen. »Was soll ich tun?« rief er. »Sie nehmen mich sonst nicht mehr ernst!«
»Unsinn!« sagte Sulla knapp. »Du hast vier Briefe bekommen, einschließlich des ersten, der dich in Utica erreicht hat. Seither hast du zur Genüge bewiesen, daß du deine Truppen nicht unter Kontrolle hast.«
Pompeius wurde rot, und sein kleiner Mund wurde noch kleiner. »Deine Kritik ist ungerecht!«
»Aber doch. Du hast ihre Richtigkeit in nicht weniger als drei Briefen bestätigt.«
»Du willst mich nicht verstehen!« rief Pompeius mit noch röterem Gesicht. »Meine Soldaten tun das doch nur, weil sie mich lieben!«
»Ob Liebe oder Haß! Befehlsverweigerung ist Befehlsverweigerung. Wenn es meine Soldaten wären, würde ich die Verantwortlichen hinrichten lassen.«
»Aber ihr Vergehen ist doch harmlos«, protestierte Pompeius matt.
»Befehlsverweigerung ist niemals harmlos, das weißt du genau. Du bedrohst den rechtmäßig ernannten Diktator von Rom.«
»Ich marschiere nicht gegen Rom, Lucius Cornelius, ich marschiere nur nach Rom«, erklärte Pompeius umständlich. »Das ist ein Unterschied! Meine Männer wollen nur, daß ich bekomme, was ich verdiene.«
»Was du verdienst, entscheide ich als Diktator Roms. Du bist erst vierundzwanzig und noch nicht Senator. Ich habe dich mit deinem stolzen Namen begrüßt, der nur noch eine Steigerungsform zuläßt, nämlich Maximus — der aber auch zu Parvus verkleinert werden kann oder zu Minutus oder sogar Pusillus.«
Pompeius blieb abrupt stehen und starrte Sulla an. Die Männer hinter ihnen kamen auf Hörweite heran.
»Ich will aber einen Triumph!« rief Pompeius und stampfte mit dem Fuß auf.
»Und ich sage dir, du bekommst keinen!« Auch Sulla war laut geworden.
Pompeius’ breites, zornrotes Gesicht bekam einen drohenden Ausdruck, und unter den schmalen Lippen kamen kleine weiße Zähne zum Vorschein. »Vergiß nicht, Lucius Cornelius Sulla, Diktator von Rom, daß die aufgehende Sonne von mehr Menschen angebetet wird als die untergehende!«
Ohne erkennbaren Grund für die anderen Männer, die den beiden wie gebannt zuhörten, brach Sulla in schallendes Gelächter aus. Mit Tränen in den Augen klatschte er sich hilflos auf die Schenkel, bis seine in zahlreichen Falten kunstvoll über die linke Schulter drapierte Toga ins Rutschen kam und zu Boden fiel. »Na gut!« keuchte er, als er die Sprache wiedergefunden hatte. »Du sollst deinen Triumph haben!« Und immer wieder in schallendes Gelächter ausbrechend, setzte er hinzu: »Steh hier nicht herum, Magnus, du großer Trottel! Hilf mir die Toga aufheben!«
»Du bist vollkommen verrückt, Magnus«, sagte Metellus Pius zu Pompeius, als er mit ihm allein war.
»Ganz im Gegenteil, ich war besonders klug«, erwiderte Pompeius selbstgefällig.
Metellus war bereits Ende Vierzig und immer noch nicht Konsul, aber das Alter hatte ihm nicht viel anhaben können. Das lockige braune Haar war nur an den Schläfen ergraut, und außer attraktiven Krähenfüßen an den braunen Augen war seine Haut von Falten verschont geblieben. Trotzdem wirkte er neben Pompeius unscheinbar. Er wußte das selbst, und es machte ihn mehr traurig als neidisch.
»Du warst überhaupt nicht klug«, sagte er jetzt und freute sich, als die strahlend blauen Augen ihn ungläubig anblickten. »Ich kenne unseren Herrn um einiges besser als du, und ich versichere dir, er ist intelligenter als wir beide zusammen. Wenn er einen Fehler hat, dann keinen Charakterfehler, höchstens einen Fehler in seinem Temperament! Aber der beeinträchtigt seinen ausgezeichneten Verstand nicht im geringsten.«
Pompeius schnaubte verächtlich. »Ich weiß nicht, was du meinst, Pius! Sulla soll einen Fehler haben? Was für einen denn?«
»Daß er sich gerne über andere lustig macht, natürlich.« Metellus verhaspelte sich, und dann kam sein Stottern wieder über ihn, und er verlor für einen Augenblick die Kontrolle über seine Zunge. »D-d-das ist nicht das gleiche wie Sinn für H-H-Humor. Ich meine, er hat mich doch zum Pontifex Maximus ernannt, obwohl ich leicht stottere. Solche Scherze kann er einfach nicht lassen.«
Pompeius setzte eine gelangweilte Miene auf. »Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst, Pius — und was das mit mir zu tun hat.«
»Er hat sich die ganze Zeit über dich lustig gemacht, Magnus! Darauf will ich hinaus. Dein Triumph war von Anfang an vorgesehen — was interessiert ihn dein Alter und ob du Ritter bist? Du bist ein Kriegsheld, und Kriegshelden überschüttet er mit allen möglichen Ehren! Aber er wollte sehen, wie wichtig dir der Triumph ist, wie weit du gehen würdest, um ihn zu bekommen. Du hättest dich nicht einschüchtern lassen sollen. Jetzt hat er dich durchschaut und sich ein Urteil über dich gebildet. Er weiß jetzt, daß du beinahe so viel Mut hast wie Ehrgeiz. Aber eben nur beinahe. Er weiß, daß du zuletzt nachgibst.«
»Was meinst du damit, daß ich nachgebe?«
»Das weißt du ganz genau.«
»Ich bin gegen Rom marschiert!«
Metellus lächelte. »Du bist nach Rom marschiert! Das hast du selbst gesagt. Und ich habe dir geglaubt. Und Sulla auch.«
Pompeius sah Metellus betroffen an und wußte nicht mehr, was er sagen sollte oder konnte. »Ich bekomme meinen Triumph.«
»Allerdings. Aber du hast einen hohen Preis zahlen müssen. Das wäre dir erspart geblieben, wenn du dich klüger benommen hättest.«
»Preis? Was für einen Preis?« Pompeius schüttelte den Kopf wie ein gereizter Löwe. »Heute sprichst du wirklich in Rätseln, Pius.«
»Du wirst sehen«, sagte Metellus unbestimmt.
Und so kam es, allerdings erst am Tag des Triumphes. Es gab zwar Vorzeichen, aber die Aufregung trübte Pompeius’ Wahrnehmung. Sein Triumph wurde auf den zwölften März gelegt. Am sechsten März feierte Gaius Flaccus, der ehemalige Statthalter von Gallia Transalpina, seine Siege über die aufständischen gallischen Stämme; am neunten März triumphierte Murena, der ehemalige Statthalter der Provinz Asia, der in Kappadokien und Pontos gesiegt hatte. Als dann Pompeius an die Reihe kam, hatte Rom von Siegesparaden genug. Nach Sullas zweitägigem prachtvollen Siegeszug hatten Flaccus nur mäßiges und Murena fast kein Interesse geweckt. So konnte der unbekannte Pompeius, von dessen Schönheit und Jugend kaum einer wußte, nicht damit rechnen, daß bei seiner Parade eine gewaltige Menschenmenge die Straßen säumen würde. Noch ein Triumph? Den Römern war es egal.
Pompeius war trotzdem nicht sonderlich besorgt, als er von der Villa Publica aus aufbrach. In Windeseile würde sich herumsprechen, was für ein besonderer Triumph das war! Die Bevölkerung würde in Scharen herbeiströmen, wenn sie von seinem Zug erfuhr! Ganz Rom würde dabei sein, wenn er vom Circus Maximus in die Via Triumphalis einbiegen würde. Sein Triumph war zwar in fast jeder Hinsicht konventionell: voran die Magistraten und Senatoren, dann Musiker und Tänzerinnen, Karren mit Beutestücken und Wagen mit Darstellungen verschiedener Episoden aus dem Feldzug, Priester und hellhäutige Gefangene für Schaukämpfe, Sklaven und Geiseln und schließlich der Feldherr auf dem Triumphwagen, gefolgt von seinem Heer.
Auch das Gewand des Triumphators war traditionell. Pompeius trug die purpurne, reich mit Gold bestickte Toga, den Lorbeerkranz und die palmenbestickte Tunika mit dem breiten Purpurstreifen. Er hatte sich nur geweigert, sich das Gesicht mit Zinnober anmalen zu lassen. Es war für seine Pläne besonders wichtig, daß Rom sah, wie jung und schön er war und wie sehr er Alexander dem Großen ähnelte. Mit einem ziegelroten Fleck als Gesicht hätte er irgend jemand sein können. Also kein Zinnober!
Aber daß Pompeius sich das Gesicht nicht anmalte, war nicht der wichtigste Unterschied zwischen ihm und den anderen triumphierenden Heerführern. Wichtiger noch waren die Zugtiere seines vierrädrigen Triumphwagens: Pompeius hatte die üblichen Schimmel durch vier gewaltige afrikanische Elefantenbullen ersetzt. Er hatte sie eigenhändig in Numidien gefangen, und seither hatten vier Elefantentreiber in Utica und Tarentum, auf der Via Appia und in Capua jeden Tag dazu genutzt, die widerspenstigen Dickhäuter für ihre Aufgabe an diesem Tag abzurichten, eine durchaus beachtliche Leistung. Pompeius würde also auf einem von vier Elefanten gezogenen Wagen dem Jubel der Massen entgegenrollen. Der Lenker neben ihm brauchte die Zügel des prächtigen Geschirrs nur zu halten, denn gelenkt wurden die Tiere von den Treibern, die in über drei Metern Höhe zwischen den mächtigen grauen Schulterblättern schaukelten. Wenn sich das erst herumgesprochen hatte — und das würde in Windeseile der Fall sein! —, würden sich die Massen entlang der Paradestraßen drängen, um ihn zu sehen, den neuen Alexander, gezogen von Tieren, die in Rom als heilig galten: Elefanten! Riesige Elefanten mit Ohren so groß wie Schiffssegel und zwei Meter langen Stoßzähnen!
Die Parade wand sich von der Villa Publica am Marsfeld durch eine enge, von Villen und mehrstöckigen Wohnhäusern gesäumte Straße, die am Kapitolinischen Hügel entlang zur Servianischen Mauer an der steilen Westseite des Hügels führte. Dort lag die Porta Triumphalis, durch die der siegreiche Feldherr in die Stadt einziehen wollte. Da es für die Senatoren und Magistraten an der Spitze des Zuges der dritte Triumph innerhalb von sechs Tagen war, hatten sie von der Prozedur allmählich genug; sie waren nicht besonders zahlreich erschienen und schritten rasch voran. Im selben Tempo folgten ihnen die Musiker, Tänzerinnen, Karren, Wagen, Priester, Gefangenen, Sklaven und Geiseln. Pompeius dagegen, der im langsameren Tempo der vier paarweise zusammengespannten Elefanten hinterherrollte, fiel bald zurück.
Als sein Prunkwagen schließlich an der Porta Triumphalis ankam, blieb er abrupt stehen. Die Soldaten, die statt Schwertern und Speeren lorbeerumwundene Stöcke trugen, blieben ebenfalls stehen. Der Triumphwagen stammte noch aus etruskischer Zeit und wurde ausschließlich für zeremonielle Zwecke benutzt; er lag deutlich tiefer als der klassische zweirädrige Streitwagen, und so war Pompeius der Blick auf das Geschehen jenseits der majestätischen Ungetüme vor ihm versperrt. Pompeius war verärgert, und als der Halt sich in die Länge zog, schickte er wütend seinen Lenker vor, um nach dem Rechten zu sehen.
Der Mann kehrte mit erschrockener Miene zurück. »Triumphator, die Elefanten passen nicht durch das Tor!«
Pompeius Unterkiefer sank herab. Ein Schauer lief über seinen Rücken, und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Unsinn!« meinte er.
»Doch, es ist so, Triumphator!« beharrte der Lenker. »Die Elefanten sind zu groß.«
Pompeius stieg von seinem prunkvollen Wagen und eilte mit wehenden purpurnen und goldbestickten Gewändern zum Tor und zu den Treibern, von denen die beiden vorderen abgestiegen waren und ratlos auf einen Wink der Götter warteten. Dankbar sahen sie Pompeius entgegen.
»Die Öffnung ist zu klein«, stellte einer von ihnen fest.
Pompeius hatte auf dem Weg zum Tor beschlossen, die Tiere ausspannen und einzeln durch die Öffnung führen zu lassen, aber jetzt erkannte er den Ernst der Lage: Nicht die Breite, sondern die Höhe des Tores war das Problem. Ein Heer aus acht nebeneinander marschierenden Kolonnen, eine Quadriga mit vier nebeneinander gespannten Pferden oder ein breiter Wagen hätten bequem durch dieses Tor gepaßt, durch das der Triumphator in die Stadt einziehen mußte, aber für einen ausgewachsenen afrikanischen Elefantenbullen war die Öffnung nicht hoch genug. Der Torbogen, der aus dem Gestein des Kapitolinischen Hügels gemauert war, reichte den Tieren gerade bis zu den Schultern.
»Na schön«, sagte Pompeius trotzdem, »spannt sie aus und führt sie einzeln durch. Sie müssen eben die Köpfe einziehen.«
»Darauf sind sie nicht abgerichtet!« sagte ein Elefantentreiber erschrocken.
»Worauf sie abgerichtet sind, ist mir egal!« bellte Pompeius. Er sah auf einmal aus, als habe er sich das Gesicht doch mit Zinnober bemalen lassen. »Führt sie durch!«
Der erste Elefant dachte allerdings überhaupt nicht daran, den Kopf einzuziehen.
»Zieht ihn am Rüssel!« befahl Pompeius.
Doch so sehr die Treiber ihn am Rüssel zogen, so heftig einer auf seinen majestätisch gebogenen Stoßzähnen herumritt, der Elefant senkte den Kopf nicht. Er trompetete seine Peiniger vielmehr böse an und machte die drei anderen Elefanten unruhig. Die beiden hinteren Tiere, die noch immer im Geschirr des Triumphwagens steckten, wichen zurück, und der Triumphwagen drohte die mit Löwenfellen behangenen Fahnenträger hinter ihm zu überrollen.
Während die Treiber versuchten, die Tiere in ihre Gewalt zu bekommen, fluchte Pompeius wie ein gemeiner Soldat und stieß Drohungen aus, angesichts derer die Treiber glasige Augen bekamen und wie Espenlaub zu zittern begannen. Doch alles war vergebens. Die Elefanten waren zu groß und wollten nicht durch das Tor.
Über eine Stunde war vergangen, als Varro, der mit den anderen Senatoren an der Spitze des Zuges gegangen war, nach hinten eilte, um zu sehen, was los war.
Ein Blick genügte, und er wurde von dem unwiderstehlichen Drang erfaßt, sich auf die Straße zu werfen und laut loszulachen. Ein kurzer Blick auf Pompeius’ Gesicht verriet ihm freilich, daß er dies nicht tun durfte, wenn ihm sein Leben lieb war.
»Schick doch Scaptius mit einigen seiner Männer zu den Ställen, um Pferde zu holen«, sagte er deshalb mühsam beherrscht. »Sei doch vernünftig, Magnus! Der übrige Zug ist schon am Forum, und keiner weiß, wo du bleibst. Sulla sitzt vor dem CastorTempel und wird immer ungeduldiger, und die Lieferanten für das Fest im Tempel des Jupiter Stator raufen sich schon die Haare!«
Pompeius antwortete mit einem Tränenausbruch. Er setzte sich in seinen Prachtgewändern auf das staubige Pflaster und weinte sich die Seele aus dem Leib. Also schickte Varro die Männer los, um Pferde holen, und Varro war es auch, der das Ausspannen der Elefanten überwachte. Die Unternehmung wurde dadurch erschwert, daß mehrere mit Schaufeln und Karren ausgerüstete Gemüsehändler aus der Via Recta fest entschlossen waren, sich die Hinterlassenschaft der Elefanten anzueignen, die als weltbester Dünger galt. Unbeirrbar stapften sie zwischen den säulenförmigen Beinen der Dickhäuter herum und schaufelten Haufen zusammen, die so groß wie Käseräder aus Arpinum waren. Varros Heiterkeit wurde nur durch die Gefahr und das Mitleid mit Pompeius gedämpft. Mit lauten Schreien sorgte er dafür, daß die Elefantentreiber mitsamt ihren Tieren, denen der Rückweg durch die nachrückenden sechs Legionen versperrt war, schließlich in Richtung Forum Holitorium abziehen konnten.
Inzwischen war die erste Hälfte der Parade im Forum Romanum vor der eindrucksvollen ionischen Fassade des Tempels des Castor und Pollux angekommen, auf dessen hohem Podest Sulla mit seinem Reiterobersten, den beiden Konsuln sowie Familienmitgliedern und Freunden saß. Höflichkeit und Brauch geboten, daß der Triumphator in der Prozession und beim anschließenden Fest die wichtigste Person war, deshalb war der erlauchte Kreis um Sulla nicht mitgezogen und würde auch nicht am Fest teilnehmen.
Alle waren unruhig und froren. Trotz des schönen Tages blies ein eisiger Nordwind, und die Sonne hatte nicht genug Kraft, um die Eiszapfen am Gesims der Tempeldächer im unteren Forum zu schmelzen. Endlich kehrte Varro zurück. Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe zum Castor-Tempel hinauf, beugte sich zu Sulla hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Neugierig blickten die Schaulustigen zum Tempel hinauf, als Sulla plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach. Lachend erhob er sich und trat an den Rand des Podests.
»Ihr müßt euch noch ein wenig gedulden!« rief er. »Unser Triumphator kommt, doch hat er beschlossen, seinen Triumph zu verschönern und statt Pferde Elefanten vor den Triumphwagen zu spannen! Leider passen die Elefanten nicht durch die Porta Triumphalis, er muß also Pferde holen lassen!« Nach einer Pause fuhr er gut hörbar fort: »Was hätte ich darum gegeben, das mitan- zusehen!«
Die Ankündigung löste allgemeines Gelächter aus. Am lautesten lachten aber die, die wie Metellus Pius, Varro Lucullus oder Crassus den Triumphator persönlich kannten.
»Es ist nicht klug, Sulla zu beleidigen«, sagte Metellus Pius zu den Männern um ihn herum. »Ich habe das immer wieder beobachtet. Er hat bei Fortuna eine Art Sonderrecht. Er braucht selbst gar nichts zu tun, wenn er jemanden demütigen will. Die Göttin erledigt das für ihn. Sulla ist ihr Liebling unter den Sterblichen.«
»Ich begreife nur eines nicht«, sagte Varro Lucullus stirnrunzelnd. »Warum hat Pompeius das Tor nicht ausmessen lassen? Er denkt doch sonst an alles.«
»Seine Tagträume haben ihm den Verstand geraubt«, sagte Varro. Er war den ganzen Weg von der Porta Triumphalis bis zum CastorTempel gerannt und immer noch atemlos. »Er hat sich auf diese blöden Elefanten so sehr versteift, daß er an nichts anderes denken konnte. Armer Magnus, er ist so erschrocken.«
»Er tut mir wirklich leid«, sagte Varro Lucullus.
»Mir jetzt auch, wo ich recht behalten habe«, sagte Metellus Pius. Er sah den keuchenden, scharlachroten Varro fragend an. »Wie trägt er es?«
»Bis er ins Forum einzieht, hat er sich gefaßt«, prophezeite Varro. Den Tränenausbruch verschwieg er taktvoll.
Pompeius beendete den Triumphzug tatsächlich mit Anstand und Würde, auch wenn er selbst einsehen mußte, daß die Siegerparade nach der zweistündigen Unterbrechung sehr dürftig ausfiel und nur wenige Schaulustige anlockte. Was waren Pferde verglichen mit ausgewachsenen Elefantenbullen, zumal jene plumpen braunen Gäule, die Scaptius als einzige hatte auftreiben können?
Erst im Tempel des Jupiter Stator, wo das anschließende Fest gefeiert wurde, begriff Pompeius richtig, wie sehr die Römer, die etwas zu sagen hatten, sich über das Mißgeschick mit den Elefanten amüsierten. Die Tortur begann bereits auf dem Rückweg vom Kapitol nach Beendigung des Triumphzuges. Um die Säule mit dem Standbild des Scipio Africanus stand eine Gruppe lachender Männer. Als sie Pompeius sahen, traten sie beiseite und ließen ihn das Gedicht lesen, das ein Scherzbold mit Kreide in großen Lettern an den Sockel der Säule geschrieben hatte:
Africanus droben nahm Elefanten, Die ruhig und würdevoll standen.
Der kleine Schlächter kann’s nicht lassen, Holt Elefanten, die nicht passen!
Noch schlimmer wurde es im Tempel des Jupiter Stator. Während sich einige Gäste damit begnügten, Pompeius’ Beinamen »Magnus« ironisch zu betonen, entstellten andere den Namen scheinbar versehentlich zu »Magus«, Zauberer, oder »Manus«, Hand, in Anspielung auf allerhand Dienste für Sulla, darunter auch sehr intime. Nur einige wenige wie Metellus Pius oder Varro Lucullus hielten sich taktvoll zurück. Einige Freunde und Verwandte machten alles noch schlimmer, indem sie die Spötter wütend zum Kampf herausforderten. Wieder andere, wie Catulus und Hortensius, glänzten durch Abwesenheit.
Immerhin gewann Pompeius auch einen neuen Freund. Catilina stellte ihm einen Mann vor, bei dem es sich um niemand anderen als den lange verschollenen Neffen des Diktators mit Namen Publius Cornelius Sulla handelte.
»Ich wußte gar nicht, daß Sulla einen Neffen hat!« sagte Pompeius verwundert.
»Er auch nicht«, sagte Publius Sulla vergnügt und fügte hinzu: »Ich selbst übrigens bis vor kurzem auch nicht.«
Catilina lachte. »Das stimmt wirklich«, versicherte er Pompeius, der jetzt völlig verwirrt schien.
»Das müßt ihr mir erklären«, sagte Pompeius, froh, daß das Gelächter diesmal nicht ihm galt.
»Ich bin in der Überzeugung aufgewachsen, ich sei der Sohn des Sextus Perquitienus«, sagte Publius Sulla. »Ich habe mein Leben lang direkt neben Gaius Marius gewohnt! Als mein Großvater starb und mein Vater ihn beerbte, ahnte keiner die Wahrheit. Mein Vater war mit Cinna befreundet, und als die ersten Proskriptionslisten an den Rostra ausgehängt wurden, erwartete er jedesmal, seinen Namen ganz oben zu finden. Vor lauter Sorge ist er schließlich gestorben.«
Der Gleichgültigkeit, mit der Publius Sulla das sagte, konnte Pompeius unschwer entnehmen, daß zwischen Vater und Sohn kein besonders inniges Verhältnis geherrscht hatte. Er war darüber allerdings nicht überrascht. Den alten Sextus Perquitienus hatte niemand gemocht.
»Sehr interessant«, sagte er.
»Wer ich wirklich bin, entdeckte ich beim Durchwühlen einer Kiste mit alten Dokumenten meines Großvaters«, fuhr Publius Sulla fort. »Dabei stieß ich auf die Adoptionspapiere! Mein Vater, stellte sich heraus, war von meinem Großvater adoptiert worden. Damals war mein Onkel, der Diktator, noch nicht geboren, und er wußte auch später nichts von seinem älteren Bruder. Ich hielt es allerdings für besser, ihm diese Papiere zu zeigen, bevor auch mein Name auf die Proskriptionsliste gesetzt würde!«
»Nun, eine gewisse Ähnlichkeit mit Sulla besteht.« Pompeius lächelte. »Ich nehme deshalb an, es war nicht schwer, ihn zu überzeugen.«
»Überhaupt nicht!« sagte Publius Sulla strahlend. »Ist das nicht ein ganz außergewöhnliches Glück? Ich besitze jetzt das gesamte Vermögen der Familie Perquitienus, ich bin vor der Proskription sicher, und wahrscheinlich werde ich auch noch einen Teil der Millionen meines Onkels Lucius erben.«
»Glaubst du, er will aus dir eine Art Nachfolger machen?«
Publius kicherte beschwipst. »Aus mir? Seinen Nachfolger? Bei den Göttern, nein! Ich habe politisch überhaupt keine Ambitionen, lieber Magnus!«
»Bist du schon im Senat?«
Catilina mischte sich ein: »Sulla hat uns beide zwar nicht offiziell zu Senatoren ernannt, aber er hat uns aufgefordert, die Sitzungen des Senats zu besuchen. Publius Sulla und ich hatten das Gefühl, du könnest heute ein paar nette junge Gesichter um dich brauchen, deshalb sind wir hergekommen, um das köstliche Essen zu probieren und dich aufzuheitern.«
»Ich bin sehr froh, daß ihr gekommen seid«, sagte Pompeius dankbar.
»Laß dich von den eingebildeten und konservativen Wichtigtuern hier nicht unterkriegen«, sagte Catilina und klopfte Pompeius auf den Rücken. »Einige von uns sind wirklich begeistert, daß auch einmal ein junger Mensch triumphiert. Du wirst bald im Senat sitzen, das verspreche ich dir. Sulla will ihn mit Männern besetzen, die diesem eingebildeten Pack überhaupt nicht passen!«
Pompeius’ Miene verfinsterte sich schlagartig. »Mir kann der ganze Senat gestohlen bleiben! Ich weiß, was ich im Leben will, und Mitglied des Senats zu werden gehört nicht dazu! Ich bin erst dann mit dem Senat fertig — oder trete in ihn ein! —, wenn ich ihm bewiesen habe, daß er einem herausragenden Mann kein Amt und kein Kommando verweigern kann, das dieser anstrebt, auch wenn er nur Ritter ist und nicht Senator!«
Catilina zog eine der schmalen Augenbrauen, die seinem Gesicht einen boshaften Ausdruck gaben, nach oben, während Publius Sulla unschlüssig schien, was er mit Pompeius’ Bemerkung anfangen sollte.
Pompeius sah sich suchend um, und dann war seine Wut plötzlich verraucht, und er strahlte wieder. »Ah! Da ist er ja! Und auch noch allein auf seiner Liege. Kommt mit und speist mit mir und meinem Schwager Memmius! Mit diesem besten aller Freunde!«
»Aber du solltest mit den Senatoren speisen«, sagte Catilina. »Immerhin haben sie sich dazu herabgelassen, heute zu kommen. Wir haben Verständnis, wenn du dich Metellus Pius und seinen Freunden anschließt. Laß uns den Gaius Memmius, dann sind wir zufrieden wie zwei alte Peripatetiker, die sich über Sinn und Zweck des menschlichen Nabels streiten.«
»Heute feiere ich meinen Triumph, und ich speise, mit wem ich will«, sagte Pompeius.
Anfang April veröffentlichte Sulla eine Liste mit zweihundert neuen Senatoren, und er kündigte an, in den folgenden Monaten noch weitere zu ernennen. Ganz oben stand Gnaeus Pompeius Magnus. Pompeius suchte Sulla sofort auf.
»Ich werde nicht in den Senat eintreten!« schnaubte er.
Sulla sah seinen Besucher überrascht und verärgert an. »Wieso? Ich hätte geschworen, du würdest alles daransetzen, um hineinzukommen!«
Der Zorn verflog, und Vorsicht gewann die Oberhand. Pompeius merkte, daß Sulla es nicht verstehen würde, wenn er sich nun so ganz anders verhielt als erwartet. Immerhin hatte es Pompeius einige Mühe gekostet, dem Diktator ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln. Ruhig, Magnus! Beruhige dich und überlege genau. Finde einen glaubwürdigen Grund, der in Sullas Bild von dir paßt. Oder nein, noch besser: Finde einen Grund, der zu ihm selbst passen würde!
»Es ist wegen der Lektion, die du mir bei diesem unglücklichen Triumph erteilt hast«, begann er und sah Sulla mit großen, ernsten Augen an. Er holte Luft. »Ich habe seither nachgedacht, Lucius Cornelius. Und mir ist klar geworden, daß ich für einen Sitz im Senat noch zu jung und nicht gebildet genug bin. Bitte laß mich meinen eigenen Weg in den Senat finden, wenn es Zeit ist, Lucius Cornelius. Wenn ich jetzt schon eintrete, wird man noch jahrelang über mich lachen.« Und das, dachte Pompeius, stimmt sogar! Ich trete nirgendwo ein, wo mich alle auslachen, sobald sie mich sehen.
Sulla zuckte beschwichtigt die Achseln. »Wie du willst, Magnus.«
»Danke, so ist es mir wirklich lieber. Ich warte, bis ich etwas vorweisen kann, das die Elefanten vergessen macht. Zum Beispiel eine anständig und gewissenhaft geführte Quästur im Alter von dreißig.«
Das war zuviel gewesen. Die blassen Augen blickten nun unverhohlen amüsiert, als habe Sulla tiefer in Pompeius hineingeschaut, als diesem lieb sein konnte. Aber Sulla sagte nur: »Eine sehr gute Idee! Ich nehme deinen Namen von der Liste, bevor ich sie der Volksversammlung zur Genehmigung vorlege — denn ich werde in Zukunft alle wichtigen Gesetze vom Volk genehmigen lassen. Ich will übrigens, daß du morgen trotzdem in den Senat kommst. Alle meine Legaten sollten meine Rede hören. Sei also da.«
Und Pompeius war da.
»Ich beginne mit Italien und den Italikern«, sagte Sulla, der auf seinem elfenbeinernen Amtsstuhl saß. »Gemäß meinen Versprechen an die italischen Führer werde ich dafür sorgen, daß auch der letzte Italiker, der Anspruch darauf hat, ordnungsgemäß als Bürger Roms registriert wird und daß die Neubütger gleichmäßig auf die fünfunddreißig Tribus verteilt werden. Niemand darf mehr versuchen, das italische Volk um sein Wahlrecht zu betrügen, indem er ihm nur in bestimmten Tribus eine Stimme gibt. Das habe ich versprochen, und ich werde es halten.«
Hortensius und Catulus, die in der mittleren Reihe nebeneinander saßen, tauschten einen vielsagenden Blick aus. Sie waren beide gegen dieses massive Zugeständnis an Leute, die in ihren Augen letztlich nicht einmal einen römischen Schnürsenkel wert waren.
Sulla beugte sich etwas vor. »Leider ist es mir unmöglich, mein Versprechen einzulösen, auch Roms Freigelassene auf die fünfunddreißig Tribus zu verteilen. Sie werden in den städtischen Tribus Esquilin und Suburana registriert bleiben müssen. Diese Verfügung hat einen bestimmten Grund: Ich will nicht, daß ein Besitzer von Tausenden von Sklaven in Versuchung gerät, eine große Anzahl zu befreien und mit ihnen als Klienten die Mehrheit in seinem Bezirk zu erringen.
»Ein schlauer Fuchs, der alte Sulla!« sagte Catulus leise zu Hortensius.
»Dem entgeht kaum etwas«, flüsterte Hortensius. »Das klingt, als habe er mitbekommen, daß Marcus Crassus heftig ins Sklavengeschäft drängt.«
Nun wandte Sulla sich den Städten und Ländern zu. »Die Stadt Brundisium, die mich und meine Männer mit der gebotenen Achtung behandelt hat, wird zur Belohnung von allen Zöllen und Verbrauchssteuern befreit.«
»Puh!« stöhnte Catulus. »Das macht Brundisium zum wichtigsten Hafen Italiens!«
Der Diktator belohnte noch einige andere Gemeinden, sehr viel mehr aber belegte er mit unterschiedlich harten Strafen. Praeneste traf es am schlimmsten, das unbedeutendere Sulmo wurde dem Erdboden gleichgemacht, und Capua erhielt wieder seinen früheren Status und verlor sämtliche Ländereien an den römischen ager publicus.
Catulus hörte Sulla, der eine endlose Liste mit Städtenamen vorlas, nur noch mit halbem Ohr zu, als Hortensius ihn mit einem Rippenstoß unsanft in die Wirklichkeit zurückholte. »Er spricht über dich, Quintus!« sagte Hortensius.
»... Quintus Lutatius Catulus, meinem treuen Gefolgsmann, übertrage ich hiermit die Aufgabe, den Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol wiederaufzubauen.« Sulla bleckte die Zähne, und seine Augen blitzten spöttisch und boshaft auf. »Das Geld dazu wird zum größten Teil aus den Erträgen des neuen ager publicus kommen, aber von dir, mein lieber Quintus Lutatius, erwarte ich, daß du aus deinem Privatvermögen dazulegst.«
Catulus ließ den Unterkiefer sinken. Ein kalter Schauer überlief ihn, als er begriff: Das war Sullas Rache, daß er all die Jahre unter Cinna und Carbo sicher in Rom gelebt hatte.
»Unser Pontifex Maximus Quintus Caecilius Metellus Pius wird den Tempel der Ops erneuern, der beim gleichen Brand in Mitleidenschaft gezogen wurde«, fuhr Sulla fort. »Da sich in der Göttin Ops der öffentliche Wohlstand Roms manifestiert, muß das Projekt allerdings ganz aus der Staatskasse finanziert werden. Ich verlange aber, daß unser Pontifex Maximus den Tempel nach Abschluß der Arbeiten persönlich einweiht.«
»Das gibt ein stotterndes Vergnügen!« kommentierte Hortensius.
»Ich habe soeben eine Liste mit den Namen von zweihundert Männern veröffentlicht, die ich für den Senat bestimmt habe«, sagte Sulla weiter. »Gnaeus Pompeius Magnus hat mich allerdings wissen lassen, daß er vorerst nicht in den Senat eintreten möchte. Sein Name wurde deshalb gestrichen.«
Diese Neuigkeit sorgte für einige Unruhe. Alle Augen wandten sich Pompeius zu, der allein in der Nähe der Tür saß und selbstzufrieden in sich hineinlächelte.
»Ich beabsichtige, den Senat in Zukunft um etwa hundert weitere Männer zu vergrößern, so daß er ungefähr vierhundert Mitglieder hat; wir haben in den letzten zehn Jahren viele Senatoren verloren.«
»Man würde nicht vermuten, daß er die Senatoren umgebracht hat«, zischte Catulus in das Ohr seines Nachbarn. Woher sollte er die gewaltigen Summen nehmen, die für den Wiederaufbau des Jupitertempels nötig waren?
Ohne Pause fuhr der Diktator fort: »Ich habe versucht, die neuen Senatsmitglieder vornehmlich aus Senatorenfamilien zu rekrutieren, aber ich habe auch Ritter genommen, deren Familien bislang noch nicht im Senat waren. Voraussetzung war allerdings, daß ihre Abstammung dem Haus Ehre macht. Emporkömmlinge werdet ihr auf meiner Liste nicht finden. Bei einigen Männern freilich sehe ich, wenn ich sie zu Senatoren mache, über alle üblichen Qualifikationen hinweg — über den inoffiziellen Zensus von einer Million Sesterzen und über den familiären Hintergrund. Ich spreche von Soldaten von ungewöhnlicher Tapferkeit. Ich meine, Rom sollte diese Männer wieder ehren wie zur Zeit des Marcus Fabius Buteo. Wir haben Kriegshelden in den letzten Generationen überhaupt nicht beachtet. Das soll sich ändern! Jeder Mann, der eine Graskrone oder einen Bürgerkranz erringt, wird automatisch Senator, egal wer oder was seine Vorfahren waren. Auf diese Art kommt wenigstens etwas frisches Blut in den Senat! Ich hoffe freilich, daß unter denen, die eine solche Auszeichnung erringen, auch altehrwürdige Namen sind: Es darf nicht den Neulingen überlassen bleiben, als unsere tapfersten Männer zu gelten!«
Hortensius grunzte. »Damit will er sich beim Volk einschmeicheln.«
Catulus, der über die finanzielle Bürde, die Sulla ihm aufgeladen hatte, nicht hinwegkam, sah seinen Schwager nur jammervoll an.
»Eines noch, bevor ich die Sitzung aufhebe«, sagte Sulla. »Jeder Mann, der auf meiner Liste der neu ernannten Senatoren steht, wird der Volksversammlung vorgestellt, Patrizier wie Plebejer. Die Volksversammlung soll ihn bestätigen.« Sulla stand auf. »Die Sitzung ist geschlossen.«
»Wo treibe ich nur das Geld auf?« jammerte Catulus, als er mit Hortensius aus der Curia Hostilia eilte.
»Vielleicht brauchst du es gar nicht«, sagte Hortensius gelassen.
»Aber ich muß den Tempel aufbauen!«
»Er stirbt bald, Quintus. Bis dahin mußt du die Sache verschleppen. Wenn er tot ist, wen interessieren dann noch seine Verfügungen? Soll der Senat das Geld auftreiben.«
»Der Jupiterpriester ist an allem schuld!« wetterte Catulus. »Er hat den Brand verursacht — soll doch er für den neuen Tempel zahlen!«
Hortensius runzelte die Stirn. »Laß das besser niemanden hören! Der Jupiterpriester kann für einen Unglücksfall nicht verantwortlich gemacht werden, es sei denn, er ist angeklagt und von einem Gericht verurteilt worden wie ein ganz gewöhnlicher Priester. Sulla hat nicht erklärt, warum der junge Bursche aus Rom geflohen ist, aber er hat ihn auch nicht geächtet. Und es ist keine Anklage gegen ihn erhoben worden.«
»Er ist Sullas angeheirateter Neffe!«
»Eben, mein lieber Quintus.«
»Warum mischen wir überhaupt in der Politik mit, Schwager? Es gibt Zeiten, da würde ich am liebsten mein ganzes Geld nehmen, meine Güter verkaufen und nach Cyrenaica übersiedeln.« Catulus seufzte.
»Wir mischen mit, weil wir von Geburt dazu berechtigt sind«, sagte Hortensius.
Als die neuen und alten Senatoren sich zwei Tage später versammelten, gab Sulla bekannt, er wolle die Wahl von Zensoren zumindest für die nächste Zeit abschaffen. Die geplante Neuordnung der Staatsfinanzen mache die Vergabe von Staatsaufträgen unnötig, und außerdem stehe eine Vermögensschätzung der Bürger frühestens wieder in zehn Jahren an.
»Und dann könnt ihr immer noch über die Zensoren entscheiden«, sagte der Diktator würdevoll. »Ich maße mir jedenfalls nicht an, sie endgültig abzuschaffen.«
Für seinen Stand, die Patrizier, setzte er sich besonders ein. »In den Jahrhunderten nach dem ersten Aufstand der Plebejer«, erklärte er, »hat das Patriziat stark an Bedeutung verloren. Ein Patrizier hat einem Plebejer gegenüber heutzutage nur noch den Vorteil, daß er bestimmte religiöse Ämter bekleiden kann, die Plebejern verschlossen sind. Ich glaube nicht, daß dies der Sitte unserer Väter entspricht. Die Ahnenreihe eines Patriziers reicht direkt bis in die Zeit der Könige zurück. Die Familien der heute lebenden Patrizier dienen Rom deshalb seit über fünfhundert Jahren. Angesichts dessen halte ich es nur für gerecht, wenn Patrizier in den Genuß einer besonderen Ehre kommen, die zwar klein ist, aber ihnen allein vorbehalten sein soll. Ich will Patrizier schon zwei Jahre vor den Plebejern zu den kurulischen Ämtern, zu Prätur und Konsulat, zulassen.«
»Dabei hat er natürlich seinen eigenen Vorteil im Sinn«, beklagte sich der Plebejer Marcus Junius Brutus später bei seiner Frau Servilia, einer Patrizierin.
Servilia hatte festgestellt, daß ihr Mann in diesen gefährlichen Zeiten gesprächiger geworden war. Kaum war die Nachricht eingetroffen, ihr Schwiegervater sei bei Lilybaeum während der Säuberungsaktionen von Sullas Gehilfen Pompeius ums Leben gekommen, fand Brutus keine Ruhe mehr. Würde auch sein Vater geächtet? Oder er selbst? Als Sohn eines Geächteten würde er sein gesamtes Erbe verlieren, wenn sein eigener Name auf die Liste gelangte, sein Leben. Aber der altere Brutus hatte zum Glück nicht zu den vierzig geächteten Senatoren der ersten Liste gehört, und auf späteren Listen waren keine weiteren Namen von Senatoren aufgetaucht. Brutus hoffte, die Gefahr sei vorüber, aber sicher konnte er nicht sein. Das konnte niemand! Sulla machte nur Andeutungen.
Wenn er Servilia gegenüber mitteilsamer war, so deshalb, weil ihm eingefallen war, daß ihn womöglich seine Ehe mit Servilia vor der Ächtung bewahrt hatte. Sulla hatte mit dem neuen Privileg für Patrizier einmal mehr hervorgehoben, daß diese für ihn mehr wert waren als der reichste und mächtigste Plebejer aus der Familie eines Konsuls. Und welcher patrizische Name war erlauchter als der Servilius Caepios!
»Schade, daß unser Sohn kein Patrizier ist«, sagte Servilia.
»Mein Name ist für unseren Sohn alt und vornehm genug«, antwortete Brutus steif. »Die Junier Brutier stammen vom Gründer der Republik ab.«
»Ich habe mich schon immer gewundert, warum die Junier Brutier keine Patrizier sind, wenn das stimmt. Der Gründer der Republik war doch Patrizier. Du sprichst immer von einer Adoption durch eine Plebejerfamilie, aber eine Plebejerfamilie namens Junius Brutus stammt sicher von einem Sklaven oder Bauern einer Patrizierfamilie ab.«
Brutus schwieg. Servilias Worte waren ein weiteres Anzeichen dafür, daß sie nicht mehr die stille und unterwürfige Frau von einst war. Ihre Angst vor der Scheidung war geschwunden, ihr Selbstbewußtsein gewachsen. Der Knabe im Kinderzimmer, der jetzt zwei Jahre alt war, bedeutete ihr alles, der Vater des Kindes dagegen nichts. Wenn ihr am Rang ihres Mannes etwas lag, so nur um des Sohnes willen. Das hieß aber nicht, daß sie vor ihrem Mann noch immer kriechen mußte wie in jener Zeit, als der Verrat des alten Mannes noch nicht alles gefährdet hatte.
»Deine jüngere Schwester hat ihre Sache ausgezeichnet gemacht«, sagte Brutus mit einem Anflug von Spott. »Eine Patrizierin, die mit einem Patrizier verheiratet ist! Sie und Drusus Nero können gar nichts falsch machen.«
»Drusus Nero ist Plebejer«, sagte Servilia hochmütig. »Er mag ein geborener Claudier sein, aber mein Onkel Drusus hat ihn adoptiert, und damit ist er Livier und hat keinen höheren Rang als du.«
»Und ich sage dir, er wird Karriere machen.«
»Drusus Nero ist zwanzig Jahre alt und hat kein bißchen Verstand«, sagte Servilia scharf. »Unser Sohn kann schon mit zwei Jahren mehr!«
Brutus sah sie argwöhnisch an. Ihm war nicht entgangen, mit welcher Affenliebe seine Frau an dem kleinen Brutus hing. Aber was hieß Affenliebe! Sie war eine Löwin!
»Jedenfalls«, sagte er beschwichtigend, »wird Sulla uns übermorgen über seine weiteren Pläne informieren.«
»Weißt du schon, was er vorhat?«
»Nicht vor übermorgen.«
Zwei Tage später äußerte sich Sulla zu den Wahlen und zu den Ämtern. Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. »Ich habe das Wahlchaos satt und verordne deshalb ein bestimmtes Verfahren. Sämtliche Wahlen finden in Zukunft im Quintilis statt, also fünf bis sechs Monate vor Amtsantritt des gewählten Kandidaten. Während dieser Wartezeit gilt im Senat eine neue Rangordnung beim Rederecht. Die designierten Konsuln haben das Wort gleich nach den amtierenden Konsuln, die designierten Prätoren gleich nach den amtierenden Prätoren. Der Princeps Senatus, ehemalige Zensoren und Konsularen dürfen von jetzt an erst dann reden, wenn der letzte designierte Prätor das Wort hatte. Es geht nicht an, daß der Senat seine Zeit damit verschwendet, Männern zuzuhören, die ihr Amt schon hinter sich haben, bevor die gegenwärtigen oder künftigen Amtsinhaber etwas sagen dürfen.«
Alle Blicke ruhten auf dem Princeps Senatus Flaccus. Der aber sah trotz der großen Zurücksetzung, die Sullas Erlaß für ihn als Senatsvorsitzenden bedeutete, freundlich in die Runde und schien nicht verstimmt.
»Zuerst finden die Wahlen für die kurulischen Ämter in den Zenturiatskomitien statt«, fuhr Sulla fort, »und zwar am Tag vor den Iden des Quintilis. Zehn Tage vor den Kalenden des Sextilis werden dann in den Tributkomitien die Quästoren, kurulischen Ädilen, Kriegstribunen und niedrigeren Amtsträger gewählt. Zwei bis sechs Tage vor den Kalenden schließlich wird in der Versammlung der Plebs gewählt.«
»Nicht schlecht«, meinte Hortensius zu Catulus. »Dann wissen wir schon lange vor Jahresende, ob wir gewählt worden sind.«
»Und man achtet uns als künftige Amtsinhaber entsprechend«, meinte Catulus zufrieden.
»Jetzt zu den Ämtern als solchen«, sagte Sulla. »Die Ernennung neuer Senatoren, die ich persönlich vorgenommen habe, soll jetzt abgeschlossen sein. Von nun an wird nur noch Senator, wer Quästor war, und dafür muß er mindestens dreißig Jahre alt sein. Jedes Jahr werden zwanzig Quästoren ernannt, eine ausreichende Anzahl, um die Lücken, die verstorbene Senatoren hinterlassen, aufzufüllen. Es gibt zwei kleine Ausnahmen, die sich auf die Gesamtzahl der Senatoren aber nicht auswirken: Ein Volkstribun, der noch nicht Senator ist, zieht auch in Zukunft über sein Amt in den Senat ein, und der Träger einer Graskrone oder eines Bürgerkranzes wird automatisch in den Senat befördert.«
Sulla ließ den Blick über die Senatoren schweifen. »Jedes Jahr werden acht Prätoren gewählt. Ein Plebejer kann sich erst ab dem neunundzwanzigsten Lebensjahr zur Wahl stellen, ein Patrizier dagegen, wie bereits gesagt, schon zwei Jahre früher. Zwischen der Wahl zum Prätor und der Wahl zum Konsul müssen zwei Jahre liegen, und niemand kann für das Konsulat kandidieren, wenn er zuvor nicht Prätor war. Außerdem fasse ich die lex Genucia strenger: Niemand — ob Patrizier oder Plebejer! — kann sich ein zweites Mal zum Konsul wählen lassen, bevor nicht zehn volle Jahre verstrichen sind. Ich will keinen Gaius Marius mehr!«
Und das war eine ausgezeichnete Maßnahme, darin waren sich alle einig!
Weniger allgemein und begeistert war die Zustimmung, als Sulla die Gesetze verkündete, mit denen er die Macht der Volkstribune beschneiden wollte. Die Volkstribunen hatten in den Jahrhunderten der Republik nach und nach immer mehr gesetzgeberische Befugnisse an sich gerissen und ein Organ, das nur aus Plebejern bestand, zur stärksten gesetzgeberischen Körperschaft gemacht.
Oft hatte ihr Hauptziel darin bestanden, den Senat bei der Ausübung seiner Macht, die weitgehend auf ungeschriebenen Gesetzen beruhte, zu behindern und den Einfluß der Konsuln zu schmälern!
»Damit«, sagte Sulla mit spürbarer Genugtuung, »ist es jetzt endgültig vorbei. Die Volkstribunen werden in Zukunft außer dem Recht, das ius auxilii ferendi auszuüben, kaum etwas behalten.«
Unruhe brach aus. Die Senatoren murmelten empört, runzelten die Stirn und sahen Sulla finster an.
»Der Senat soll die höchste Gewalt sein!« rief Sulla laut. »Um dies zu erreichen, muß ich das Volkstribunat schwächen — und das werde ich! Meinem neuen Gesetz zufolge kann ein ehemaliger Volkstribun kein anderes Staatsamt bekleiden — er kann weder Ädil noch Prätor, noch Konsul oder Zensor werden! Und Volkstribun darf er erst dann wieder werden, wenn zehn volle Jahre verstrichen sind. Das ius auxilii ferendi kann er nur in der ursprünglich vorgesehenen Weise ausüben, also nur, um ein einzelnes Mitglied der Plebs vor der Willkür eines Magistrats zu schützen. Kein Volkstribun kann gegen Gesetze vorgehen, die angeblich die Plebs als ganzes bedrohen, oder gegen ein ordentlich zusammengetretenes Gericht.«
Sullas Blick ruhte nachdenklich ausgerechnet auf zwei Männern, die das Amt des Volkstribuns nicht bekleiden konnten, weil sie Patrizier waren: Catilina und Lepidus.
»Das Vetorecht des Volkstribuns«, fuhr er fort, »wird drastisch beschnitten. Es gibt kein Veto gegen Senatsdekrete und gegen Gesetze, die vom Senat gebilligt sind; ebensowenig gegen das Recht des Senates, Provinzstatthalter oder Militärbefehlshaber zu ernennen oder die Außenpolitik zu bestimmen. Kein Volkstribun darf ein Gesetz in der Versammlung der Plebs verkünden, solange es nicht durch Senatsbeschluß gebilligt ist. Und er hat auch nicht mehr die Macht, Senatssitzungen einzuberufen.«
Es gab viele betretene und auch einige böse Gesichter. Sulla machte demonstrativ eine Pause, aber niemand protestierte laut. Alle schwiegen. Er räusperte sich. »Quintus Hortensius, was hast du zu sagen?«
Hortensius schluckte. »Ich stimme dir zu, Lucius Cornelius.«
»Ist jemand anderer Meinung?«
Schweigen.
»Gut!« sagte Sulla heiter. »Dann tritt die lex Cornelia mit sofortiger Wirkung in Kraft!«
»Das ist ja schrecklich«, beschwerte sich Lepidus später bei Gaius Cotta.
»Ich kann dir nur recht geben.«
»Aber warum haben wir das Gesetz einfach geschluckt?« fragte Catulus. »Warum lassen wir es zu? Wie kann eine Republik ohne ein mit entsprechenden Rechten ausgestattetes Volkstribunat eine richtige Republik sein?«
Hortensius fühlte sich persönlich angegriffen, weil er Sulla nicht widersprochen hatte. »Warum hast du selbst denn nichts gesagt?«
»Weil ich meinen Kopf gerne behalte, wo er ist«, sagte Catulus offen. »Fest zwischen den Schultern angewachsen.«
»Das gilt auch für mich«, sagte Lepidus.
Metellus Pius stieß zu ihnen. »Wie gerissen von Sulla und wie konsequent! Ein anderer hätte das Amt einfach abgeschafft, aber er nicht! Er hat das ius auxilii ferendi nicht angetastet, er hat die Befugnisse des Tribuns lediglich auf das zurückgestutzt, was sie einmal waren. Er kann also mit Recht behaupten, er bewege sich im Rahmen der republikanischen Tradition unserer Väter, und darauf beruft er sich ja immer. Wohlgemerkt, ich glaube nicht, daß er damit durchkommt. Das Volkstribunat ist für viele zu wichtig.«
»Aber die Neuerung wird gelten, solange er lebt«, meinte Cotta verärgert.
Die Männer gingen auseinander. Niemand war besonders glücklich über das, was geschehen war, andererseits wollte auch keiner seine geheimen Gedanken und Wünsche dem anderen anvertrauen. Es war zu gefährlich!
Und daran zeigte sich, dachte Metellus Pius auf dem Nachhauseweg, daß das Klima des Schreckens, das Sulla verbreitete, zu wirken begann.
Als am Anfang des Quintilis die Spiele des Apoll näherrückten, waren zwei weitere Gesetze hinzugekommen, eine lex Cornelia sumptuaria und eine lex Cornelia frumentaria. Das erste war ein strenges Luxusgesetz, mit dem die Ausgaben für eine gewöhnliche Mahlzeit auf dreißig Sesterzen pro Kopf und für ein Bankett auf dreihundert Sesterzen pro Kopf begrenzt wurden. Luxusartikel wie Parfüme, ausländische Weine, Spezereien und Geschmeide wurden hoch besteuert, die Ausgaben für Bestattungen und Grabmäler wurden eingeschränkt, und auf Purpur aus Tyros wurden gewaltige Zölle erhoben. Das Getreidegesetz war extrem reaktionär. Sulla schaffte den Verkauf von verbilligtem Staatsgetreide ab, war aber immerhin so klug, die staatlichen Verkäufe nicht ganz zu verbieten. Sein Gesetz untersagte dem Staat lediglich, die privaten Händler zu unterbieten.
Das einschneidende Reformprogramm war zwar noch keineswegs abgeschlossen, aber weil alle Maßnahmen seit seinem Triumph so reibungslos verlaufen waren, beschloß der Diktator, einer Eingebung des Augenblicks folgend, die Staatsgeschäfte für ein paar Tage ruhen zu lassen und den ludi Apollinares am Anfang des Quintilis beizuwohnen. Die Veranstaltungen im Circus Maximus sagten ihm nicht zu, er wollte vielmehr die Schauspiele sehen, von denen fast ein Dutzend im eilig zusammengezimmerten Holztheater im Circus Flaminius auf dem Marsfeld aufgeführt werden sollten. Die Komödie regierte. Plautus, Terenz und Naevius waren gut vertreten, doch standen auf dem Programm auch mehrere Mimen, und die mochte Sulla ganz besonders gern. Während die richtige Komödie aus einem festen Text bestand, von dem nicht abgewichen werden durfte, rankte sich das Geschehen beim Mimus um eine komische Grundsituation, zu der die Schauspieler ohne Masken improvisierten.
Vielleicht wohnte er den Possen wegen des Zwischenspiels mit Aurelias Abordnung so begeistert bei; vielleicht bewog ihn auch die Tatsache, daß einer seiner Vorfahren die Spiele begründet hatte, zum Entschluß, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Oder hatte er das Bedürfnis, den Schauspieler Metrobius wiederzusehen? Dreißig Jahre! War es wirklich schon so lange her? Ein junger Bursche war Metrobius gewesen, und Sulla hatte damals seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert, von seinem bisherigen
Leben bitter enttäuscht. Seit Sullas Eintritt in den Senat drei Jahre später waren sie sich nur noch selten und in großen Abständen begegnet, und jedes Treffen war qualvoll gewesen.
Sullas Entscheidung, seine Zuneigung zum eigenen Geschlecht zu verleugnen, war wohlüberlegt und ganz von der Vernunft diktiert gewesen, und er hatte konsequent an ihr festgehalten. Männer des öffentlichen Lebens wurden von der Gesellschaft verurteilt, wenn sie sich zu dieser Neigung bekannten — oder ihr gar verfielen! —, auch wenn kein Gesetz ihren Rücktritt erzwang. Es gab zwar Bestimmungen wie die lex Scantinia, die für diesen Fall die Todesstrafe vorsah, doch wurden diese Bestimmungen zumeist nicht angewandt, denn man begegnete dem Vergehen mit einer gewissen Toleranz. Nein, die Folgen waren subtiler. Wer tüchtig war, wurde nicht einmal in seiner Karriere behindert, aber er mußte sich amüsierte Blicke, geringschätzige Bemerkungen und reichlich Spott gefallen lassen, und das verringerte das Ansehen, das er in der Gesellschaft genoß, deutlich. Männer, die denselben Rang bekleideten wie er, würden deshalb immer auf ihn herabsehen. Damit war für Sulla ein Glück, das er sich so sehr wünschte, das er so sehr brauchte, in unerreichbare Ferne gerückt. Er hoffte auf die Zeit nach seinem Rückzug aus der Politik, wenn es ihm, wie er sich einredete, völlig gleichgültig sein würde, was die Leute redeten. Er würde sich holen, was er brauchte, und sich für alles entschädigen, was ihm entgangen war. Er hatte viele eindrucksvolle Verdienste vorzuweisen, und sein öffentliches Ansehen würde so gefestigt sein, daß die letzten erotischen Abenteuer eines alten Mannes es nicht mehr erschüttern konnten.
Aber er sehnte sich so sehr nach Metrobius! Ob der sich noch für einen alten und häßlichen Mann interessierte? Auch das hatte ihn bewogen, zu den Spielen zu gehen. Besser, er fand jetzt heraus, wie Metrobius zu ihm stand, als später, wenn er sich zurückzog. Besser, er labte sich noch einmal am Anblick des geliebten Menschen, solange seine schwächer werdenden Augen noch nicht ganz blind waren.
Mehrere Theatergruppen nahmen an dem Fest teil, darunter auch die von Metrobius geleitete Truppe, die sich vor rund zehn Jahren von Tragödien auf Komödien verlegt hatte. Eine Aufführung dieser Truppe war erst für den dritten Tag vorgesehen, aber Sulla besuchte auch Vorstellungen an den ersten beiden Tagen und amüsierte sich köstlich.
Delmatica begleitete ihn, sie durfte allerdings nicht wie im Circus Maximus bei den Männern sitzen. Im Theater herrschte eine strenge Sitzordnung, denn Theaterstücke galten in der römischen Gesellschaft als anstößig, und man fürchtete um die Sitt- samkeit der Frauen, wenn sie sich zusammen mit Männern so viel Unmoral und Nacktheit ansahen. Die ersten beiden Sitzreihen im Halbrund der Zuschauertribüne waren für die Senatsmitglieder reserviert; die vierzehn anschließenden Reihen waren für Ritter mit Staatspferd reserviert gewesen, ein Privileg, das ihnen Gaius Gracchus verschafft hatte. Sulla hatte ihnen das Vorrecht wieder genommen, so daß sie sich jetzt mit niedriger Gestellten um die Plätze balgen mußten. Die wenigen weiblichen Zuschauer saßen auf der rechten Seite ganz oben, wo sie zwar gut hören, das Treiben auf der fernen Bühne aber nur mühsam verfolgen konnten. In einer klassischen Komödie, wie Metrobius sie aufführte, spielte die Truppe mit Masken und ohne Frauen, während beim Mimus aus Atella weibliche Rollen von Frauen übernommen wurden und die Schauspieler keine Masken und oft auch keine Kleider trugen.
Am dritten Tag stand Der prahlerische Offizier auf dem Programm, ein beliebtes Stück von Plautus. Und die Hauptrolle hatte Metrobius. Schade! Denn so sah Sulla von seinem Gesicht nicht mehr als die groteske Maske mit dem offenen, zu einem blöden Lachen verzerrten Mund; nur die Hände waren unbedeckt, und der makellose, muskulöse Körper kam in der griechischen Rüstung gut zur Geltung. Doch zum Schluß verbeugten sich die Schauspieler ohne Masken, und jetzt sah Sulla endlich das Gesicht des Metrobius: Das Alter hatte nur sehr wenige Spuren in ihm hinterlassen, auch wenn die lockigen schwarzen Haare inzwischen vornehm weiß gesprenkelt waren und beiderseits der geraden und hohen griechischen Nase eine tiefe Falte hinablief.
Er durfte nicht weinen, nicht hier, nicht in der Mitte der ersten Reihe auf seinem gepolsterten Sitz. Aber es kam ihn hart an, er kämpfte mit den Tränen. Metrobius’ Gesicht war zu weit entfernt, die leere, halbmondförmige Orchestra trennte sie voneinander, so daß er seine Augen nicht sehen konnte. Er sah lediglich zwei schwarze Flecken, von denen er nicht wußte, was sie verbargen, nicht einmal, ob sie ihn ansahen oder einen anderen Geliebten drei Reihen hinter ihm. Mamercus, der Sulla begleitet hatte, flüsterte ihm erregt zu: »Bitte doch den Mann, der den prahlerischen Offizier gespielt hat, zu uns herunter! Ich habe das Gefühl, daß ich ihn kenne, aber ich bin nicht sicher. Ich will ihm persönlich gratulieren.«
Die Zuschauer strömten aus dem improvisierten Holzbau, ehrbare Frauen bahnten sich den Weg zu ihren Gatten, Huren gingen ihrem Geschäft nach. Von Chrysogonus begleitet und von den Zuschauern, die sie erkannten, peinlich gemieden, traten Delmatica und Cornelia Sulla in genau dem Augenblick neben Sulla und Mamercus, als Metrobius, der noch immer seine Rüstung trug, vor dem Diktator erschien.
»Du warst vortrefflich, Schauspieler«, lobte der Diktator.
Metrobius lächelte und entblößte dabei die noch immer makellosen Zähne. »Ich war entzückt, dich unter den Zuschauern zu erblicken, Lucius Cornelius.«
»Du hast einst zu meiner Klientel gehört, nicht wahr?«
»So ist es. Du hast mich aus meinen Verpflichtungen entlassen, unmittelbar bevor du gegen Mithridates in den Krieg gezogen bist.« Die Augen des Schauspielers verrieten nichts.
»Ich erinnere mich. Du hast mich vor den Beschuldigungen gewarnt, die ein gewisser Censorinus gegen mich vorbringen würde. Kurz bevor mein Sohn starb.« Ein Lächeln huschte über Sullas zerfurchtes Gesicht und wich sofort wieder einer ernsten Miene. »Und bevor ich Konsul wurde.«
»Eine glückliche Fügung, daß ich dich warnen konnte«, sagte Metrobius.
»Glücklich für mich.«
»Du warst schon immer ein Günstling Fortunas.«
Das Theater war schon fast leer. Sulla, der von den Floskeln genug hatte, wandte sich plötzlich an die Frauen und Mamercus.
»Geht nach Hause«, sagte er abrupt, »ich möchte mit meinem ehemaligen Klienten eine Weile reden.«
Delmatica, die seit einiger Zeit schlecht aussah, starrte wie gebannt in das Gesicht des griechischen Schauspielers, bis Chrysogonus sie aus ihren Träumen holte. Sie zuckte zusammen, drehte sich um und folgte den beiden stämmigen germanischen Sklaven, deren einzige Aufgabe darin bestand, der Frau des Diktators den Weg zu bahnen.
Sulla und Metrobius blieben zurück und folgten den anderen in weitem Abstand. Unter normalen Umständen wäre der Diktator sofort von Klienten und Bittstellern umringt worden, aber diesmal blieb ihm das zum Glück erspart.
»Nur diesen Spaziergang«, sagte Sulla. »Mehr verlange ich nicht.«
»Verlange, was du willst«, sagte Metrobius.
Sulla blieb stehen. »Stell dich vor mich, Metrobius, und sieh dir an, was Zeit und Krankheit angerichtet haben. Mein Entschluß hat sich nicht geändert. Aber selbst wenn es so wäre, ich kann weder für dich noch für sonst irgend jemanden etwas tun, außer vielleicht für die armen dummen Weiber, die mich so beharrlich—ja, was? Die mich wahrscheinlich bedauern. Denn ich glaube nicht, daß es Liebe ist.«
»Natürlich ist es Liebe!« Metrobius stand dicht vor ihm, so dicht, daß Sulla erkennen konnte, daß in seinen Augen noch immer Liebe glomm, daß seine Augen ihn noch immer zärtlich anblickten, mit aufrichtigem Interesse und ohne Ekel und Abscheu. Es war eine sanftere, persönlichere Version des Blicks, den Aurelia ihm in Teanum Sidicinum geschenkt hatte. »Wer von uns in deinen Bann geraten ist, kommt nie wieder von dir los, Sulla! Ob Mann oder Frau macht keinen Unterschied. Du bist einzigartig. Neben dir verblassen alle. Und dabei geht es nicht um Tugend oder Güte.« Metrobius lächelte. »Du hast weder das eine noch das andere! Vielleicht ist kein großer Mann tugendhaft. Oder gut. Vielleicht kann jemand, der tugendhaft und gut ist, nicht groß sein. Aber ich habe meinen Platon völlig vergessen, ich weiß deshalb nicht, was er und Sokrates dazu sagen.«
Aus den Augenwinkeln sah Sulla, daß Delmatica sich umgedreht hatte und in seine Richtung starrte. Ihren Gesichtsausdruck konnte er aus der Entfernung nicht erkennen. Dann verschwand sie um eine Ecke.
»Heißt das, du würdest bis zu meinem Tod mit mir zusammenleben, wenn ich mein Amt niedergelegt habe?« fragte Sulla. »Ich habe nur noch wenig Zeit, aber ich hoffe, daß ich wenigstens einen Teil davon in Ruhe und fern von Rom verbringen kann. Wenn du mich begleitest, verspreche ich dir, daß es dir an nichts fehlen wird, am allerwenigsten an Geld.«
Metrobius lachte und schüttelte den dunklen Lockenkopf. »Ach Sulla! Du kannst doch nichts kaufen, was dir seit dreißig Jahren gehört.«
In Sullas Augen standen Tränen. »Dann kommst du mit mir, wenn ich Rom verlasse?«
»Ja.«
»Ich lasse dich holen, wenn es soweit ist.«
»Morgen? Nächstes Jahr?«
»Auf jeden Fall bald. Vielleicht in zwei Jahren. Wartest du?«
»Ich warte.«
Sullas Glück war fast vollkommen. Er seufzte tief. Kurz, zu kurz! Und ihm fiel ein, daß jedesmal bei den letzten Gelegenheiten, wenn er Metrobius gesehen hatte, eine geliebte Person gestorben war. Erst Julilla, dann sein Sohn. Wer würde es diesmal sein? Egal, dachte er. Metrobius ist mir wichtiger als alle. Abgesehen von meinem Sohn, und der ist tot. Soll es diesmal Cornelia Sulla treffen. Oder die Zwillinge. Nur nicht Delmatica! Er nickte Metrobius wie nach einer alltäglichen Begegnung kurz zu und ging.
Metrobius sah ihm lange glücklich nach. Es stimmte also, was die Götter seiner fast vergessenen Heimat Arkadien sagten: Wenn man etwas nur stark genug wollte, bekam man es am Ende auch. Und je höher der Preis, desto größer die Belohnung. Erst als er Sulla nicht mehr sehen konnte, kehrte er in die Umkleideräume zurück.
Sulla ging langsam und allein seines Weges. Schon das war ein seltener Luxus. Wo sollte er die Kraft hernehmen, auf Metrobius zu warten? Metrobius war kein Knabe mehr, aber für Sulla würde er es immer bleiben.
Er hörte Stimmen in der Ferne und ging noch langsamer. Niemand sollte jetzt sein Gesicht sehen. In seinem Herzen kämpften Hoffnung und Vorfreude mit der Wut über die lästige Aufgabe, die er noch erfüllen mußte, und der Angst, daß diesmal Delmatica sterben könnte.
Die Stimmen tönten lauter. Es waren zwei, und sie unterschieden sich deutlich. Sulla kannte eine davon. Seltsam, wie unverwechselbar jede menschliche Stimme klang! Keine zwei Stimmen waren einander gleich, wenn man sich von oberflächlichen Ähnlichkeiten in Tonlage und Akzent nicht täuschen ließ. Die Stimme, die er erkannt hatte, gehörte keinem anderen als Manius Acilius Glabrio, dem Mann seiner Stieftochter Aemilia Scaura.
»Er treibt es wirklich zu toll«, sagte Glabrio gerade mit Nachdruck. »Die Proskriptionen haben der Staatskasse ganze dreizehntausend Talente gebracht! Und damit prahlt er auch noch! Rot werden müßte er vor Scham. Man hätte zehnmal so viel herausholen können! Millionenwerte an Grund und Boden wurden für ein paar Tausender verschleudert! Seine Frau ist stolze Besitzerin riesiger Ländereien im Wert von fünfzig Millionen, gekauft für fünfzigtausend — das ist doch empörend!«
»Wie ich höre, hast du selbst auch davon profitiert, Glabrio.« Sulla erkannte Catilinas Stimme.
»Nur wenig und nicht mehr als mir zusteht, alter Schurke! Woher hat er die Frechheit zu behaupten, die Proskriptionen würden an den Kalenden des letzten Monats enden? Jedesmal, wenn es einen seiner Anhänger oder Verwandten nach einem weiteren Stück Campania oder Küste gelüstet, hängen neue Namen aus. Hast du bemerkt, wie er vorhin zurückgeblieben ist, um mit dem Kerl zu plaudern, der den prahlerischen Offizier gespielt hat? Er kann der Bühne und dem Pack, das auf ihr herumstolziert, einfach nicht widerstehen! Das geht auf seine Jugend zurück, als er den vulgärsten Huren, die sich am Tempel der Venus Erucina feilboten, in nichts nachstand! Er sieht doch lächerlich aus unter seinen Lustknaben, wenn sie wieder überlegen, in welcher Reihenfolge sie sich heute zusammenstecken.«
»Paß auf, was du sagst, Glabrio«, warnte Catilina, dem unwohl wurde. »Vielleicht landest du noch selbst auf einer Proskriptionsliste.«
Glabrio lachte heftig. »Ich doch nicht!« rief er fröhlich. »Ich gehöre zur Familie, ich bin Delmaticas Schwiegersohn! Nicht einmal Sulla kann ein Familienmitglied ächten.«
Die beiden gingen weiter, und die Stimmen wurden leiser. Sulla war wie angewurzelt stehengeblieben, und seine Augen schossen kalte Blitze. Also wurde immer noch geredet! Nach all den Jahren... Glabrio wußte natürlich vieles, was Rom nicht wußte, aber Rom würde bald alles wissen, was Glabrio wußte oder zu wissen glaubte. Was war daran nur Geschwätz, und was wußte er aus Dokumenten und Papieren, die Jahr für Jahr zu den Akten gelegt worden waren? Sulla sammelte gerade alle möglichen ihn betreffenden schriftlichen Materialien für die Zeit nach seinem Rücktritt, denn er wollte seine Memoiren schreiben wie Catulus Caesar zehn Jahre vor ihm. In seinem Haus lag deshalb vieles herum, und wer mehr über ihn wissen wollte, brauchte nicht viel Geschick, um es in Erfahrung zu bringen. Glabrio! Warum hatte er nicht an Glabrio gedacht, der bei ihm zu Hause ein und aus ging? Nicht nur Cornelia Sulla oder Mamercus besuchten ihn! Auch Glabrio! Wer noch?«
Sullas Unmut darüber, daß er auf Metrobius noch warten mußte, hatte sich gerade erst gelegt, da loderte in ihm bereits der nächste Brand. Ich kann ein Familienmitglied nicht ächten, dachte Sulla beim Weitergehen. Das stimmt. Aber muß es denn Proskription sein? Gibt es nicht einen besseren Weg?
Als er um die Ecke bog, lief er Pompeius in die Arme. Beide Männer blieben erschrocken stehen.
»Wie, Magnus, so ganz allein?« fragte Sulla.
»Manchmal bin ich gern allein.« Pompeius schickte sich an, den Diktator zu begleiten.
»Da pflichte ich dir von Herzen bei. Aber erzähle mir nicht, daß Varro dich langweilt!«
»Zuviel Varro schlägt aufs Gemüt, besonders wenn er von Cato dem Zensor anfängt und von den guten alten Zeiten, als das Geld noch etwas wert war. Immerhin ist es mir lieber, wenn er darüber spricht statt über unsichtbare Geisterhände.« Pompeius grinste.
»Stimmt, ich hatte vergessen, daß er ein Freund des armen alten Appius Claudius war.« Sulla war froh, daß er in seiner augenblicklichen Laune Pompeius und niemanden anders getroffen hatte. »Warum denken wir bei Appius Claudius eigentlich immer an einen alten Mann?«
Pompeius kicherte. »Weil er als alter Mann geboren wurde! Aber du bist nicht auf dem laufenden, Sulla! Appius Claudius’ Stern ist gesunken. Es gibt einen neuen Mann in der Stadt: Publius Nigidius Figulus. Ein echter Sophist. Oder Pythagoreer?« Er zuckte gleichgültig die Schultern. »Egal, ich kann diese Philosophen nicht auseinanderhalten.«
»Publius Nigidius Figulus! Ein alter und ehrwürdiger Name, aber ich habe nicht gehört, daß ein Figulus jetzt in Rom von sich reden macht. Kommt er vom Land?«
»Er ist kein Bauerntrampel, wenn du das meinst. Eher ein murmelndes Bächlein, das still vor sich hin plappert. .. Er ist ein großer Meister im etruskischen Wahrsagen, vom Blitz bis zur Leber. Und er kennt mehr Lappen in der Leber als ich rhetorische Figuren.«
»Wie viele Figuren kennst du denn, Magnus?« Sulla amüsierte sich köstlich.
»Zwei, glaube ich. Oder drei?«
»Welche denn?«
»Color und descriptio.«
»Also zwei.«
»Zwei.«
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander. Beide lächelten, dachten dabei aber an ganz verschiedene Dinge.
»Und wie fühlt man sich als Ritter, wenn man im Theater jetzt keinen Platz mehr reserviert hat?« fragte Sulla.
»Das ist nicht weiter schlimm«, sagte Pompeius unbekümmert. »Ich gehe nie ins Theater.«
»So? Wo bist du dann heute gewesen?«
»Draußen an der Via Recta. Ich habe einen schönen Spaziergang gemacht. In Rom bin ich wie gelähmt. Ich mag die Stadt nicht.«
»Bist du allein hier?«
»Mehr oder weniger. Ich habe meine Frau in Picenum zurückgelassen.« Pompeius machte ein säuerliches Gesicht.
»Magst du sie nicht, Magnus?«
»Na ja, sie tut es, bis etwas Besseres kommt. Sie betet mich an! Aber sie ist einfach nicht gut genug.«
»Na hör mal! Immerhin kommt sie aus einer Familie von Ädilen.«
»Ich komme aus einer Familie von Konsularen. Das sollte meine Frau auch.«
»Dann laß dich scheiden und such dir eine Frau aus einer Familie mit Konsularen.«
»Ich hasse nur das belanglose Geschwätz mit den Frauen und ihren Vätern, das dazu notwendig ist.«
Sulla hatte plötzlich einen blendenden Einfall. Abrupt blieb er in der Gasse stehen, die vom Velabrum zum Vicus Tuscus am Fuß des Palatin führte. »Bei den Göttern!« sagte er atemlos. »Bei den Göttern!«
Pompeius blieb ebenfalls stehen. »Was ist?« fragte er höflich.
»Mein lieber junger Ritter, ich habe eine glänzende Idee!«
»Sehr schön.«
»Spar dir deine Kommentare! Ich muß nachdenken!«
Pompeius gehorchte und schwieg, während Sulla seine schlaffen Lippen zwischen die zahnlosen Kiefer sog und sie wieder fahren ließ. Dann faßte er Pompeius am Arm.
»Magnus, komm morgen früh um die dritte Stunde zu mir«, sagte er. Er machte einen ausgelassenen kleinen Sprung und lief eilig davon.
Pompeius blieb stirnrunzelnd stehen. Dann machte auch er sich auf den Weg, allerdings nicht zum Palatin, sondern in Richtung Forum. Sein Haus lag an den Carinae des Esquilin.
Sulla eilte wie von Furien getrieben nach Hause. Eine Aufgabe wartete, die er mit größtem Vergnügen erfüllte!
»Chrysogonus! Chrysogonus!« brüllte er in der Tür, während seine Toga wie ein einstürzendes Zelt hinter ihm zu Boden sank.
Der Verwalter kam herein und sah ihn besorgt an, wie er es in letzter Zeit öfters tat. Doch das bemerkte Sulla nicht.
»Chrysogonus, nimm eine Sänfte und lauf zu Glabrio. Aemilia Scaura soll sofort herkommen.«
»Lucius Cornelius, du bist ohne Liktoren nach Hause gekommen!« »Ich habe sie vor der Vorstellung weggeschickt — sie sind manchmal entsetzlich lästig«, sagte der Diktator uneinsichtig. »Geh jetzt und hol meine Stieftochter!«
»Aemilia? Was willst du von ihr?« fragte Delmatica, die eben hereinkam.
»Das wirst du schon sehen.« Sulla lächelte spöttisch.
Seine Frau schwieg und sah ihn forschend an. »Seit deinem Gespräch mit Aurelia und ihrer Abordnung bist du verändert, Lucius Cornelius.«
»Inwiefern?«
Es fiel Delmatica schwer zu antworten, vielleicht weil sie ihn nicht verstimmen wollte, aber schließlich sagte sie: »Ich glaube, deine Stimmung ist anders.«
»Besser oder schlechter, Delmatica?«
»Besser. Du bist — glücklich.«
»Das bin ich«, sagte er mit glücklicher Stimme. »Ich hatte nicht mehr an eine Zukunft als Privatmann gedacht, aber sie hat mich daran erinnert. Was für eine Zeit auf mich wartet, wenn ich erst im Ruhestand bin!«
»Der Schauspieler heute — Metrobius. Er ist ein Freund.«
Etwas in ihren Augen ließ ihn innehalten. Die sorglosen Gedanken verflogen augenblicklich, und das Bild Julillas, die von seinem Schwert getroffen am Boden lag, trat vor sein Auge und ließ Delmaticas Gesicht verschwimmen. Nicht noch eine Frau, die ihn nicht teilen wollte, bitte nicht! Woher wußte sie es? Was wußte sie? Ahnte sie etwas?
»Ich kenne Metrobius, seit er ein Junge war«, sagte er kurz und in einem Ton, der nicht zum Weiterfragen einlud.
»Warum hast du dann zuerst behauptet, du würdest ihn nicht kennen?« fragte sie stirnrunzelnd.
»Er trug bis zum Ende des Stücks eine Maske!« sagte Sulla heftig. »Ich habe ihn viele Jahre nicht gesehen und war nicht sicher!«
Delmatica hatte ihn gefährlich in die Enge getrieben, und das gefiel ihm nicht.
»Ach so, natürlich«, sagte sie langsam. »Natürlich.«
»Geh jetzt, Delmatica, bitte! Ich habe seit Beginn der Spiele schon genug Zeit vertan. Die Arbeit wartet.«
Scheinbar beruhigt wandte sie sich um.
»Noch etwas«, rief er ihr hinterher.
»Ja?«
»Ich werde dich brauchen, wenn deine Tochter kommt. Geh also nicht fort.«
Wie seltsam er in letzter Zeit ist! dachte sie, als sie durch das große Atrium und den säulenumstandenen Garten zu ihren Gemächern schritt. Reizbar, glücklich und launisch. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Als hätte er, dem jede Verzögerung ein Greuel war, eine Entscheidung getroffen, die nicht sofort verwirklicht werden konnte. Und der gutaussehende Schauspieler... Was bedeutete er Sulla? Er war wichtig, aber Delmatica wußte nicht, inwiefern. Er sah Sulla nicht ähnlich, sonst hätte sie geglaubt, er sei sein Sohn. Denn sie kannte ihren Mann inzwischen sehr gut und hatte gemerkt, wie intensiv seine Gefühle diesem Schauspieler gegenüber waren.
Als Chrysogonus Delmatica mitteilte, Aemilia Scaura sei eingetroffen, hatte sie noch gar nicht darüber nachgedacht, warum Sulla das Mädchen hatte holen lassen.
Aemilia Scaura war im vierten Monat schwanger und hatte wie manche andere schwangere Frau eine schimmernde Haut und leuchtende Augen bekommen und war gesund und munter. Von Übelkeit keine Spur! Schade nur, daß sie wie ihr Vater Scaurus klein war und eine etwas plumpe Figur hatte, doch ihr Gesicht ähnelte zugleich dem ihrer Mutter, und sie hatte die schönen und lebhaften grünen Augen ihres Vaters geerbt.
Das Mädchen war nicht besonders intelligent und hatte sich nie damit abfinden können, daß ihre Mutter Sulla geheiratet hatte, den sie nicht mochte und der ihr angst machte. In den ersten Jahren war es schon schlimm genug gewesen; aber damals hatte sie Sulla bei den kurzen Begegnungen mit ihm immerhin so attraktiv gefunden, daß sie die Leidenschaft ihrer Mutter für ihn verstehen konnte. Doch nach seiner Krankheit hatte er sich sehr zu seinem Nachteil verändert, und sie begriff nicht, warum ihre Mutter ihn noch immer leidenschaftlich zu lieben schien. Wie konnte eine Frau einen so häßlichen alten Mann lieben? Natürlich erinnerte sie sich noch an ihren Vater, der ebenfalls alt und häßlich gewesen war. Aber Sulla war auch innerlich verkommen, obwohl Aemilia das mehr instinktiv fühlte, als daß sie es in Worte hätte fassen können.
Jetzt hatte ihr Stiefvater sie also überraschend gerufen, und sie hatte Glabrio nur eine hastige Mitteilung hinterlassen können. Sulla begrüßte sie, tätschelte ihr liebevoll die Hand und rückte ihr einen bequemen Stuhl zurecht, Gesten, die sie nervös machten und allerhand befürchten ließen. Was wollte er? Er schien geradezu zu bersten vor Heiterkeit, und seine Augen funkelten boshaft.
Ihre Mutter trat ein, und das Tätscheln der Hand und das Zurechtrücken eines Stuhls begann von vorn. Sulla, so schien es dem Mädchen, wollte eine bestimmte Atmosphäre schaffen und bestimmte Erwartungen wecken, um das, was er tun wollte, besser genießen zu können. Es schien um etwas Wichtiges zu gehen. Sogar um etwas sehr Wichtiges.
»Und wie geht es dem kleinen Glabrio?« fragte Sulla seine Stieftochter freundlich.
»Sehr gut, Lucius Cornelius.«
»Wann ist es denn soweit?«
»Ende des Jahres, Lucius Cornelius.«
»Hm! Schade! Das ist noch eine ganze Weile.«
»Ja, Lucius Cornelius.«
Sulla setzte sich und sah zum Fenster hinaus. Gedankenverloren trommelte er mit den Fingern auf die massive Eichenlehne seines Stuhles. Dann heftete er seinen Blick plötzlich auf Aemilia, und das Mädchen erschauderte.
»Bist du mit Glabrio glücklich?« fragte er.
Sie zuckte zusammen. »Ja, Lucius Cornelius.«
»Die Wahrheit, Mädchen! Ich will die Wahrheit wissen!«
»Ich bin glücklich, Lucius Cornelius, wirklich glücklich!«
»Hättest du einen anderen genommen, wenn es möglich gewesen wäre?«
Eine zarte Röte legte sich auf Aemilias Wangen, und sie senkte den Blick. »Ich habe niemand anders geliebt, wenn du das meinst. Ich war mit Manius Acilius zufrieden.«
»Bist du es immer noch?«
»Ja, natürlich!« Ihre Stimme klang ratlos. »Warum fragst du denn immer wieder? Ich bin glücklich! Wirklich!«
»Schade«, sagte Lucius Cornelius Sulla.
Delmatica sah ihn an. »Was soll das alles?« fragte sie. »Worauf willst du mit deinen Fragen hinaus?«
»Ich will nur sagen, daß ich über die Verbindung deiner Tochter mit Manius Acilius Glabrio gar nicht glücklich bin. Er wagt es, mich zu kritisieren, nur weil er ein Mitglied meiner Familie ist.« Sulla gab sich keine Mühe, seinen Zorn zu verbergen. »Deshalb kann er natürlich unmöglich ein Mitglied meiner Familie bleiben. Deine Tochter läßt sich von ihm scheiden, und zwar sofort.«
Beiden Frauen stockte der Atem. Aemilia Scaura stiegen Tränen in die Augen.
»Lucius Cornelius, ich erwarte ein Kind von ihm! Ich kann mich nicht scheiden lassen!« Aemilia weinte.
»Natürlich kannst du das«, sagte Sulla ruhig. »Du kannst alles, was ich von dir verlange. Und ich verlange von dir, daß du dich sofort von Glabrio scheiden läßt.« Er klatschte in die Hände, und ein Sekretär namens Flosculus’ trat mit einem Papier in der Hand in den Raum. Sulla nahm das Papier und entließ den Mann mit einem Nicken. »Komm her, Mädchen. Unterschreibe.«
Aemilia Scaura sprang auf. »Nein!«
Delmatica stand ebenfalls auf. »Sulla, du bist ungerecht!« sagte sie schmallippig. »Meine Tochter will sich von ihrem Mann nicht scheiden lassen.«
Das Ungeheuer kam zum Vorschein. »Für mich ist völlig belanglos, was deine Tochter will«, sagte Sulla. »Hierher! Unterschreibe!«
»Nein, ich will nicht, ich will nicht!«
Sulla sprang so schnell auf, wie noch keine der beiden Frauen ihn hatte aufspringen sehen. Wie ein Schraubstock krallten sich die Finger seiner rechten Hand um Aemilia Scauras Lippen und zogen das vor Schmerz schreiende, weinende Mädchen aus seinem Stuhl.
»Hör auf! Hör auf!« schrie Delmatica und versuchte verzweifelt, den eisernen Griff der Finger zu lösen. »Bitte, ich flehe dich an! Laß sie gehen! Sie ist schwanger, du darfst ihr nicht wehtun!«
Der Griff wurde fester und fester. »Unterschreibe«, befahl Sulla.
Aemilia konnte nicht antworten, und auch ihre Mutter brachte kein Wort mehr heraus.
»Unterschreibe«, sagte Sulla etwas sanfter. »Unterschreibe, oder ich bringe dich um, Mädchen, wie ich Carbos Legaten umgebracht habe. Was schert es mich, ob du Glabrios Kind im Bauch trägst? Wenn du es verlierst, ist mir das nur recht! Unterschreibe das Papier für die Scheidung, Aemilia, oder ich hacke dir die Brüste ab und reiße dir die Gebärmutter aus dem Leib!«
Laut aufschluchzend unterschrieb sie. Dann stieß Sulla sie verächtlich weg. »Na also«, sagte er und trocknete sich die Hand ab, die von ihrem Speichel feucht war. »Du darfst mich nie mehr so ärgern, Aemilia. Das ist nicht klug. Jetzt geh.«
Delmatica drückte das Mädchen an sich und sah Sulla zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem wahrhaft haßerfüllten Blick an. Er sah den Blick, schien aber ungerührt und wandte den beiden Frauen den Rücken zu.
In ihren Gemächern mußte Delmatica erst einmal sich selbst und ihre hysterische Tochter beruhigen. Beides brauchte lange Zeit.
»Ich habe gehört, daß er so grausam sein kann, aber am eigenen Leib erfahren habe ich es noch nie«, sagte sie, als sie sich wieder etwas gefaßt hatte. »Es tut mir so leid, Aemilia! Ich werde versuchen, ihn umzustimmen, sobald ich ihm gegenübertreten kann, ohne daß ich ihm die Augen aus dem Kopf reißen will.«
Aber das Mädchen winkte nur apathisch ab. »Nein Mutter, nein. Du würdest alles nur verschlimmern.«
»Was hat Glabrio nur getan, daß er so reagiert?«
»Er hat etwas gesagt, das er nicht hätte sagen sollen. Er mag Sulla nicht, ich weiß es. Er macht immer wieder Andeutungen, daß Sulla Männer auf eine Art mag, die sich für Männer nicht schickt.«
Delmatica wurde leichenblaß. »Das ist doch Unsinn! Ach Aemilia, wie konnte Glabrio nur so töricht sein? Du weißt doch, wie Männer sind! Wenn sie diesen Vorwurf nicht verdient haben, benehmen sie sich wie Verrückte!«
»Ich weiß nicht, ob der Vorwurf wirklich unverdient ist.« Aemilia Scaura drückte ein kaltes, feuchtes Tuch an ihren Mund, wo die purpurroten Abdrücke der Finger ihres Stiefvaters sich dunkelrot zu färben begannen. »Ich fand schon immer, daß in ihm eine Frau steckt.«
»Mein liebes Mädchen, ich bin jetzt fast neun Jahre mit Lucius Cornelius verheiratet«, sagte Delmatica, die in den letzten Minuten geschrumpft schien. »Ich versichere dir, das ist eine Verleumdung.«
»Schon gut, denk, was du willst! Mir ist das egal! Ich hasse ihn einfach, diese gemeine Bestie!«
»Ich werde versuchen, ihn umzustimmen, wenn ich gefaßter bin. Ich verspreche es.«
»Paß lieber auf, daß er nicht auf dich wütend wird, Mutter. Seine Meinung wird er nicht ändern. Ich mache mir nur Sorgen um mein Kind, nur das ist mir wichtig.«
Delmatica starrte ihre Tochter schmerzerfüllt an. »Das gleiche gilt für mich.«
Aemilia Scaura ließ das nasse Tuch in den Schoß fallen. »Mutter! Du bist auch schwanger?«
»Ja. Ich weiß es noch nicht lange, aber ich bin mir sicher.«
»Was wirst du tun? Weiß er es?«
»Nein. Und ich werde nichts tun, das ihn dazu veranlassen könnte, sich von mir scheiden zu lassen.«
»Du hast gehört, was man von Aelia erzählt.«
»Natürlich.«
»Mutter, das ändert alles! Ich werde mich fügen, und du auch! Er darf keinen Vorwand haben, sich von dir scheiden zu lassen!«
»Bleibt nur zu hoffen«, sagte Delmatica matt, »daß er mit deinem Mann schonender umspringt als mit dir.«
»Im Gegenteil, er wird ihn härter behandeln.«
»Nicht unbedingt.« Delmatica kannte Sulla. »Du warst zuerst zur Hand. Oft genügt ihm sein erstes Opfer. Bis Glabrio sich bei ihm erkundigt, was los ist, hat er sich vielleicht wieder beruhigt und läßt Gnade walten.«
Sulla hatte sich zwar nicht so weit beruhigt, daß er Gnade walten ließ, aber der schlimmste Zorn über Glabrios unvorsichtige Bemerkungen war verraucht. Und Glabrio war klug genug, um zu wissen, daß er sich durch Drohungen nur noch mehr gefährden würde.
»Eine Scheidung ist doch nicht nötig, Lucius Cornelius«, sagte er. »Wenn ich dich beleidigt habe, werde ich mich nach Kräften bemühen, die Beleidigung aus der Welt zu schaffen. Ich will auf keinen Fall meine Frau gefährden, das versichere ich dir.«
»Deine ehemalige Frau ist nicht in Gefahr.« Sulla lächelte kalt. »Aemilia Scaura ist ein Mitglied meiner Familie und völlig sicher. Aber sie konnte natürlich nicht die Frau eines Mannes bleiben, der falsche Gerüchte über ihren Stiefvater verbreitet.«
Glabrio befeuchtete seine Lippen. »Meine Zunge ist mit mir durchgegangen.«
»Du läßt sie oft mit dir durchgehen, wie ich höre. Das ist natürlich dein gutes Recht. Aber in Zukunft wirst du dich nicht mehr darauf berufen können, Mitglied meiner Familie zu sein. Wenn deine Zunge mit dir durchgeht, wirst du wie jeder andere die Verantwortung dafür tragen. Ich habe seit jener ersten Liste keinen Senator mehr geächtet. Aber nichts hindert mich daran, es erneut zu tun. Ich habe dich wie viele andere junge Männer aus vornehmer Familie vor deinem dreißigsten Geburtstag zum Senator gemacht. Vorerst bleibst du auch Senator, und dein Name kommt nicht auf die Liste. Ob ich aber auch weiterhin so gnädig bin, hängt von dir ab, Glabrio. Dein Kind wächst im Bauch der Halbschwester meiner Kinder heran, und es ist dein einziger Schutz. Wenn es geboren ist, schicke ich es dir. Jetzt geh bitte.«
Glabrio ging ohne ein weiteres Wort. Seine Freunde erfuhren von ihm weder die näheren Umstände seiner überraschenden Scheidung noch die Gründe, warum er sich so eilig aus Rom auf seine Landgüter zurückzog. Die Ehe mit Aemilia Scaura hatte ihm emotional nichts bedeutet. Aemilia hatte seine Bedürfnisse befriedigt, das war alles. Mitgift, ein Kind, alles war gewesen, wie es sich ziemte. Mit den Jahren hätten sie vielleicht mehr Zuneigung zueinander gefaßt, aber dazu würde es nicht mehr kommen. Nur von Zeit zu Zeit durchzuckte ihn Reue, wenn er an sie dachte, vor allem deshalb, weil sein Kind seine Mutter nie kennenlernen würde.
Was als nächstes geschah, war nicht dazu angetan, den Bruch zwischen Sulla und Delmatica zu kitten. Wie verlangt, erschien am nächsten Tag Pompeius beim Diktator.
»Ich habe eine Frau für dich, Magnus«, sagte Sulla ohne lange Vorrede.
Pompeius konnte den Eindruck eines schlafenden Löwen erwecken, und das kam ihm immer dann gut zustatten, wenn er nachdenken wollte, bevor er handelte oder etwas sagte. So wirkte er auch jetzt freundlich und keineswegs argwöhnisch und zeigte nicht, was in ihm vorging. Behäbig, aber gefährlich, dachte Sulla und sah ihn aufmerksam an. Am besten man band ihn an die Familie — dieser Mann war kein Glabrio.
»Wie aufmerksam von dir, Diktator«, sagte Pompeius schließlich. »Um wen handelt es sich denn?«
Pompeius’ picentischer Akzent tat Sulla weh, aber er ließ sich nichts anmerken. »Um meine Stieftochter Aemilia Scaura«, sagte er. »Eine Patrizierin. Aus einer Familie, wie man in tausend Jahren keine vornehmere findet. Eine Mitgift von zweihunderttausend Talenten. Und nachweislich fruchtbar. Sie ist von Glabrio schwanger und wurde gestern geschieden. Zugegeben, es mag störend sein, eine Frau zu nehmen, die schon ein anderer geschwängert hat, aber bei der Zeugung war sie Jungfrau. Sie ist ein sittsames Mädchen.«
Daß Pompeius dieses Ansinnen keineswegs abstoßend oder unziemlich fand, sah man sofort. Er strahlte naiv. »Lucius Cornelius, lieber Lucius Cornelius! Ich bin begeistert!«
»Dann ist ja alles gut«, sagte Sulla munter.
»Darf ich sie sehen? Ich glaube nicht, das ich sie schon gesehen habe!«
Ein schwaches Lächeln huschte über das Gesicht des Diktators, als er an die blauen Flecken um Aemilia Scauras Mund dachte, und er schüttelte den Kopf. »Warte zwei bis drei Marktwochen, und komm dann wieder, Magnus. Dann gebe ich sie dir zur Frau. Bis dahin sorge ich dafür, daß jeder Sesterz ihrer Mitgift zurückgezahlt ist.«
»Toll!« schrie Pompeius aufgeregt. »Weiß sie es?«
»Noch nicht, aber sie wird sich sehr freuen. Sie ist insgeheim in dich verliebt, seit sie deinen Triumph gesehen hat.«
Das war eine plumpe Schmeichelei, aber Sulla brachte den Löwen damit endgültig auf seine Seite. Pompeius platzte fast vor Dankbarkeit. »Wunderbar!« rief er. Als er ging, sah er wie ein vollgefressener Kater aus.
Nun konnte Sulla seiner Frau und seiner Stieftochter die Neuigkeit eröffnen, eine Aufgabe, die er nicht ungern erledigte. Delmatica begegnete Sulla ganz anders, seit dieser mit seiner Forderung ihr ruhiges, fast neun Jahre währendes Eheleben durcheinandergebracht hatte. Da Sulla ihre Abneigung überhaupt nicht gefiel, mußte er ihr wehtun.
Die beiden Frauen saßen in Delmaticas Zimmer und erstarrten, als Sulla unangemeldet eintrat. Als erstes untersuchte er Aemilia Scauras Gesicht; es hatte schlimme blaue Flecken und war unter der Nase geschwollen. Dann sah er Delmatica an. Ihre Miene verriet an diesem Morgen weder Wut noch Abscheu; nur ihre Augen blickten kalt und ablehnend. Sie wirkt krank, dachte er. Dann fiel ihm ein, daß Frauen oft in Krankheit Zuflucht suchten, wenn ihre Gefühle verletzt waren.
»Gute Neuigkeiten!« sagte er gutgelaunt.
Sie gaben keine Antwort.
»Ich habe einen neuen Mann für dich, Aemilia.«
Aemilia blickte entsetzt und mit vom Weinen geröteten, teilnahmslosen Augen zu ihm auf. »Wen?« fragte sie schwach.
»Gnaeus Pompeius Magnus.«
»Sulla, wirklich!« fuhr Delmatica auf. »Das kann nicht dein Ernst sein! Scaurus’ Tochter die Frau dieses picentischen Esels? Meine Tochter, in deren Adern das Blut der Meteller fließt? Ich verweigere mein Einverständnis!«
»Du hast überhaupt nichts zu sagen.«
»Ich wünschte, Scaurus lebte noch. Er hätte dir vieles zu sagen!«
Sulla lachte. »Mag sein. Ändern würde das allerdings letztlich nichts. Ich muß Magnus stärker an mich binden als nur durch Dankbarkeit — er ist kein dankbarer Mensch. Und du, Aemilia, bist in unserer Familie im Augenblick die einzige verfügbare Frau.«
Delmaticas graue Haut wurde noch grauer. »Tu es nicht, Lucius Cornelius! Bitte!«
»Ich trage Glabrios Kind im Leib«, flüsterte Aemilia Scaura. »Damit wird Pompeius mich doch nicht wollen.«
»Wer? Magnus? Wenn es nach dem ginge, könntest du sechzehn Ehemänner und sechzehn Säuglinge im Kinderzimmer haben«, sagte Sulla. »Er weiß, was ein gutes Geschäft ist, und das bist du allemal. Ich gebe dir zwanzig Tage, um dein Gesicht gesundzupflegen, dann heiratest du. Wenn das Kind auf der Welt ist, schicke ich es Glabrio.«
Aemilia brach erneut in Tränen aus. »Bitte, Lucius Cornelius, tu mir das nicht an! Laß mich mein Kind behalten!«
»Du kannst mit Magnus noch mehr Kinder haben. Hör jetzt auf, dich wie eine dumme Gans zu benehmen, und sieh den Tatsachen ins Auge.« Sullas Blick wanderte zu Delmatica. »Das gilt auch für dich, Frau.«
Er ging, und Delmatica versuchte, ihre Tochter zu trösten.
Zwei Tage später teilte Pompeius Sulla in einem Brief mit, er habe sich von seiner Frau scheiden lassen und wolle einen festen Termin für die Hochzeit.
»Ich werde voraussichtlich bis zu den Nonen des Sextilis nicht in Rom sein«, schrieb Sulla zurück. »Komme deshalb zwei Tage nach den Nonen des Sextilis zu mir. Vorher nicht.«