7. Teil

September 78 v. Chr. bis Juni 71 v. Chr.

Nach seinem Ausscheiden aus Publius Servilius Vatias Dienst hatte es Caesar nicht eilig heimzukehren. Statt dessen unternahm er eine Reise durch jene Teile der Provinzen Asia und Lycia, die er noch, nicht gesehen hatte. Als er schließlich Ende September des Jahres, in dem Lepidus und Catulus Konsuln waren, nach Rom zurückkehrte, herrschte dort große Besorgnis. Lepidus hatte, statt Wahlen zum Magistrat abzuhalten, wie es seine Pflicht gewesen wäre, die Stadt verlassen und Truppen in Etruria ausgehoben. In Rom ging die Furcht vor einem neuen Bürgerkrieg um.

Ob diese Furcht nun begründet war oder nicht, Caesar ließ sich nicht von ihr anstecken. Er hatte ganz andere, persönliche Sorgen.

Seine Mutter schien während seiner Abwesenheit überhaupt nicht gealtert zu sein, aber sie hatte sich verändert; sie war sehr traurig.

»Weil Sulla tot ist!« sagte Caesar vorwurfsvoll, und seine Stimme verriet einen tiefsitzenden Groll, der noch aus der Zeit stammte, als er Sulla für ihren Liebhaber gehalten hatte.

Aurelia nickte.

»Aber warum? Du schuldest ihm keinen Dank!«

»Doch, für dein Leben, Caesar.«

»Das hat doch vor allem er in Gefahr gebracht!«

»Ich bin traurig, daß er tot ist.«

»Ich nicht.«

»Dann laß uns von etwas anderem reden.«

Caesar gab sich geschlagen und lehnte sich seufzend in seinen Stuhl zurück. Das trotzig erhobene Kinn seiner Mutter zeigte unmißverständlich an, daß sie nicht zum Nachgeben bereit war, was immer er auch vorbringen würde.

»Es ist an der Zeit, daß ich das Lager mit meiner Frau teile, Mutter.«

Aurelia hob die Augenbrauen. »Sie ist kaum sechzehn.«

»Zum Heiraten ist das für ein Mädchen zu früh, zugegeben. Aber Cinnilla ist bereits seit neun Jahren verheiratet, und das verändert die Situation. Bei unserem Wiedersehen habe ich in ihren Augen gelesen, daß sie bereit ist, mit mir das Lager zu teilen.«

»Du magst recht haben. Dein Großvater hätte allerdings gesagt, wenn Mann und Frau aus einem alten Patriziergeschlecht stammen, gibt es eine schwere Schwangerschaft. Es wäre mir lieber, sie wäre etwas reifer, bevor sie in die eheliche Pflicht genommen wird.«

»Cinnilla ist reif, Mutter.«

»Wann soll es sein?«

»Heute nacht.«

»Aber sollten wir nicht eure ehelichen Bande vorher noch einmal bekräftigen? Durch ein Festmahl im Familienkreis etwa; deine Schwestern sind gerade beide in Rom, Caesar.«

»Nein, kein Festmahl, nichts.«

Und dabei blieb es. Von ihrem Sohn ermahnt, wagte Aurelia auch nicht, vor ihrer Schwiegertochter irgendwelche Andeutungen zu machen. Als Cinnilla in ihr kleines Schlafgemach gehen wollte, hielt sie Caesar in dem plötzlich leeren triclinium zurück.

»Heute nacht geht es hier entlang, Cinnilla.« Er nahm sie bei der Hand und führte sie in das Gemach ihres Gebieters.

Sie wurde blaß. »Aber ich bin noch nicht soweit!«

»Da geht es dir wie allen Mädchen. Ein Grund mehr, es ein für allemal hinter sich zu bringen. Danach können wir unbeschwert miteinander leben.«

Es war klug, ihr jetzt keine weitere Bedenkzeit zu geben, obwohl sie die vergangenen vier Jahre natürlich kaum an etwas anderes gedacht hatte. Er half ihr aus den Gewändern, legte diese, ordnungsliebend wie er war, sorgfältig zusammen und freute sich, daß das Zimmer zum ersten Mal seit Aurelias Auszug nach dem Tod seines Vaters wieder von einer Frau bewohnt wurde. Cinnilla saß auf der Bettkante und schaute ihm zu. Als er sich freilich seinerseits zu entkleiden begann, schloß sie die Augen.

Er setzte sich neben sie, nahm ihre Hände in die seinen und legte sie auf seinen nackten Schenkel.

»Weißt du, was jetzt kommt, Cinnilla?«

Sie nickte, ohne die Augen zu öffnen.

»Dann sieh mich an.«

Sie öffnete ihre großen dunklen Augen und sah unverwandt auf das Gesicht vor ihr, das sie anlächelte und, wie ihr schien, von nichts als Liebe sprach.

»Wie schön du bist, meine süße Frau.« Er berührte ihre hochsitzenden, festen Brüste, deren Spitzen fast die gleiche Farbe hatten wie ihre goldbraune Haut. Auch sie begann, ihn zu liebkosen.

Er schlang die Arme um sie und küßte sie. Obwohl sie so lange davon geträumt hatte, war jetzt alles noch viel wunderbarer. Sie öffnete die Lippen, erwiderte seinen Kuß, streichelte ihn, fand sich plötzlich rieben ihm auf dem Lager und antwortete mit wonnevollen Zuckungen und Schauern auf seinen andrängenden Körper. Seine Haut zu fühlen, die so seidig war wie ihre, erfüllte sie mit fiebriger Lust. So viele Jahre hatte sie ihn geliebt und zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht, und nun endlich erlebte sie den Triumph, in ihrem Fleisch zu besiegeln, was sie vor dem Gesetz schon lange gewesen war: seine Frau. Das Warten hatte sich gelohnt und steigerte ihre Verzückung noch.

Mit kundiger Hand brachte er sie zu völliger Hingabe, ohne mehr mit ihr zu tun, als jungfräuliche Mädchen in ihren Phantasien zu träumen wagen. Dann spürte sie einen kleinen Schmerz, aber ihre stetig wachsende Erregung litt nicht darunter. Ihn ganz in sich zu spüren, war das Überwältigendste für sie. Sie hielt ihn, bis ein zauberhaftes und gänzlich unerwartetes Hochgefühl durch alle Fasern ihres Wesens strömte. Davon hatte ihr nie jemand gesprochen. Aber, so verstand sie nun, das war es, was Frauen an die Ehe band.

Am Morgen danach standen sie früh auf, um noch ofenwarmes Brot zu essen und kühles Wasser aus der steinernen Zisterne im Garten zu trinken. Das Speisezimmer war mit Rosen geschmückt. Kleine Wollpuppen und Weizenähren hingen von den Lampen herab, und auf einer Konsole stand eine Karaffe mit leichtem, lieblichem Wein. Aurelia trat ein, küßte die beiden und wünschte ihnen Glück; auf sie folgten nacheinander die Diener und Lucius Decumius mit seinen Söhnen.

»Wie schön es ist, endlich richtig verheiratet zu sein!« sagte Caesar.

Cinnilla nickte heftig. »Das finde ich auch.« Sie strahlte so sehr, wie eine Braut nach der Hochzeitsnacht nur strahlen kann.

Gaius Matius, der als letzter kam, war tief gerührt. Keiner wußte besser als er, wie viele Frauen Caesar bereits umarmt hatte. Daß Caesar von seiner jugendlichen Gattin trotzdem nicht enttäuscht war, erfüllte Gaius Matius mit Bewunderung. Er selbst bezweifelte, daß er einem Mädchen in Cinnillas Alter hätte die Erfüllung schenken können, wenn er mit ihr neun Jahre lang keusch wie mit einer Schwester zusammengelebt hätte. Aber offensichtlich war Caesar aus anderem Holz geschnitzt.

Bei der ersten Senatssitzung, der Caesar nach seiner Rückkehr beiwohnte, überredete Philippus die Versammlung, Lepidus nach Rom zurückzubeordern und Magistratswahlen abhalten zu lassen. Bei der folgenden Sitzung wurde zuerst Lepidus’ schroffe Weigerung verlesen, dann der Senatserlaß, der Catulus die Rückkehr nach Rom befahl.

Zwischen dieser und der dritten Sitzung bekam Caesar Besuch von seinem Schwager Lucius Cornelius Cinna.

»Wir stehen an der Schwelle eines Bürgerkriegs«, begann der junge Cinna, »und ich möchte dich auf der Seite des Siegers sehen.«

»Und der wäre?«

»Lepidus.«

»Er wird nicht siegen, Lucius, ganz ausgeschlossen.«

»Mit Etruria und Umbria auf seiner Seite kann er unmöglich verlieren!«

»Das habe ich schon oft gehört. Ich kenne nur einen Menschen, der nicht verlieren kann.«

»Und der wäre?« fragte Cinna verärgert.

»Ich.«

Ein Ausspruch, den Cinna so belustigend fand, daß er sich vor Lachen ausschütten wollte. »Wirklich, Caesar«, sagte er, als er sich wieder gefaßt hatte, »du bist ein wunderlicher Kauz! Bei dir weiß ich nie, wann du scherzt.«

»Das liegt daran, daß ich nur selten scherze.«

»Unsinn! Denn das war doch wohl nicht ernst gemeint, als du sagtest, der einzige Mensch, der nicht verlieren könne, seist du.«

»Das war mein voller Ernst.«

»Du schließt dich also nicht Lepidus an?«

»Nein, auch dann nicht, wenn er bereits vor den Toren Roms stünde.«

»Da machst du einen Fehler. Ich schließe mich ihm an.«

»Ich mache dir keinen Vorwurf. Schließlich hat Rom dich unter Sulla arg geschröpft.«

Der junge Cinna begab sich nach Saturnia, wo Lepidus mit seinen Legionen lagerte. Lepidus hatte inzwischen die zweite, diesmal von Catulus im Namen des Senats ausgesprochene Aufforderung erhalten, weigerte sich aber erneut, nach Rom zurückzukehren. Bevor Catulus zu seinen Truppen in die Campania eilte, bat Caesar ihn um eine Unterredung.

»Was willst du?« fragte Catulus kalt. Er hatte den für seine Begriffe zu schönen und zu begabten jungen Mann nie gemocht.

»Ich möchte in deinem Heer dienen, wenn es zum Krieg kommt.«

»In meinem Heer ist kein Platz für dich.«

Caesars Augen verfinsterten sich und blickten mit jener tödlichen Schärfe, die auch Sullas Augen eigen gewesen war. »Du brauchst mich nicht zu mögen, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen.«

»Aber wie willst du mir dienen? Welchen Nutzen hätte ich von dir? Wie ich höre, willst du dich Lepidus anschließen.«

»Das ist gelogen!«

»Meines Wissens nicht. Der junge Cinna war bei dir, ehe er Rom verließ, und ihr habt alles miteinander abgesprochen.«

»Cinna hat mir seine Glückwünsche ausgesprochen, wie es sich für einen Schwager gehört, wenn seine Schwester den Vollzug ihrer Ehe feiert.«

Catulus blieb skeptisch. »Du magst Sulla von deiner Treue überzeugt haben, Caesar, aber in meinen Augen bleibst du ein Unruhestifter. Ich will deine Dienste nicht, weil ich unter meinen Offizieren niemanden dulde, dessen Treue nicht verbürgt ist.«

»Sollte Lepidus tatsächlich auf Rom marschieren, Vetter, dann werde ich für Rom kämpfen. Wenn nicht in deinem Heer, dann auf andere Weise. Ich bin ein römischer Patrizier vom gleichen Blut wie du und niemandes Klient oder Anhänger.« Auf halbem Weg zur Tür hielt Caesar noch einmal inne. »Du tätest gut daran, mich als jemanden im Gedächtnis zu behalten, der stets treu zur römischen Verfassung steht. Ich werde Konsul sein, wenn meine Zeit gekommen ist, aber nicht weil ein Verlierer wie Lepidus sich zum Diktator von Rom aufgeschwungen hat. Dazu hat Lepidus weder den nötigen Mut noch die Härte. Und, wenn ich das sagen darf, du genausowenig.«

Caesar blieb also in Rom. Die Ereignisse überschlugen sich, und der Bürgerkrieg schien unmittelbar bevorzustehen. Ein Senatsbeschluß zur Verteidigung der Republik wurde erlassen, der Senatsvorsitzende Flaccus starb, der zweite interrex hielt Wahlen ab, und schließlich marschierte Lepidus auf Rom. Wie einige tausend andere Männer hohen und niederen Standes trat Caesar auf dem Marsfeld gerüstet vor Catulus. Er wurde einer mehrere hundert Mann starken Truppe zugeordnet, welche die Holzbrücke vom Transtiberum in die Stadt sichern sollte. Da Catulus ihm kein Kommando übertrug, obwohl er Träger des Bürgerkranzes war, tat er Dienst in der Mannschaft. In Kämpfe wurde er nicht verwickelt, und als die Schlacht vor der Servianischen Mauer unterhalb des Quirinals vorbei war, kehrte er nach Hause zurück, ohne sich für die Verfolgung des Lepidus entlang der etrurischen Küste zu melden.

Caesar konnte Catulus’ Hochmut und Gehässigkeit nicht vergessen, doch er war auch in seinem Haß geduldig. Irgendwann würde Catulus an die Reihe kommen.

Bei seiner Heimkehr mußte Caesar zu seinem großen Kummer feststellen, daß der jüngere Dolabella bereits ins Exil gegangen war und Gaius Verres als Verfechter von Mannestugend und Rechtschaffenheit auftrat. Verres hatte Metellus Caprarius’ Tochter geheiratet und genoß hohes Ansehen bei den Wählern aus dem Ritterstand, die seine Aussage vor Gericht gegen den jüngeren Dolabella als Verbeugung vor ihrem gedemütigten Stand betrachteten. Endlich gab es einen Senator, der nicht davor zurückschreckte, einen Senatskollegen zu belasten.

Caesar ließ durch Lucius Decumius und Gaius Matius verbreiten, daß er jeden beliebigen Bewohner der Subura als Anwalt vertreten werde. In den Monaten, in denen Lepidus und Brutus immer tiefer sanken, während gleichzeitig Pompeius’ Stern aufging, nahm er sich mehrerer wenig spektakulärer Fälle an, die alle mit einem Erfolg für ihn endeten. Sein Ansehen als Anwalt wuchs so sehr, daß Kenner des Rechts und der Rhetorik zu den Prozessen kamen, am ihn zu hören. Meist wirkte er an den Gerichtshöfen des Stadtprätors oder des Prätors für Fremdenrecht, gelegentlich aber auch am Gerichtshof für Strafverfahren. Zwar versuchte Catulus weiterhin, Caesar zu verleumden, aber die Leute hörten immer weniger auf ihn, denn was Caesar zu sagen hatte und mehr noch wie er es sagte, gefiel ihnen.

Als einige Städte in Mazedonien und Mittelgriechenland Caesar baten, in ihrem Namen Anklage gegen den älteren Dolabella zu erheben — der von seiner verlängerten Statthalterschaft zurückgekehrt war, nachdem Appius Claudius Pulcher endlich in seiner Provinz eingetroffen war —, nahm Caesar das Mandat an. Es sollte sein erster wirklich bedeutender Prozeß sein, denn das Verfahren sollte bei der quaestio de repetundae stattfinden, dem Gericht für Fälle von Erpressung in den Provinzen, und richtete sich gegen einen politisch einflußreichen Mann aus einer der höchsten römischen Familien. Da Caesar wenig über die Amtsführung des älteren Dolabella wußte, begann er mit den Zeugenanhörungen und sammelte Beweise für die Anklage. Seine Mandanten, die griechischen Ethnarchen, waren von ihm begeistert, zeigte er sich doch stets umgänglich, zuvorkommend und voller Respekt für ihren politischen Rang. Vor allem aber beeindruckte sie sein Gedächtnis: Was er einmal gehört hatte, vergaß er nicht mehr. Oft griff er ein scheinbar nebensächliches, von niemandem bemerktes Detail auf, das sich dann unerwartet als wichtig erwies.

»Vor übertriebener Zuversicht muß ich allerdings warnen«, sagte er zu seinen Mandanten am Morgen des Prozeßbeginns. »Auf der Geschworenenbank sitzen nur Senatoren, deren Sympathien vor allem Dolabella gehören. Er gilt als guter Statthalter, weil er die Skordisker in Schach gehalten hat. Ich halte es daher für unwahrscheinlich, daß wir den Prozeß gewinnen.«

Tatsächlich endete das Verfahren mit einem Freispruch — trotz der erdrückenden Beweise, über die nur ein Senatorengericht hinwegsehen konnte, das über einen Senatskollegen zu befinden hatte. Dennoch brauchte sich Caesar bei seinen Mandanten nicht zu entschuldigen. Seine Beweisführung und seine Redekunst vor Gericht wurden als die beste juristische Leistung seit langem gepriesen, und viele drängten ihn, seine Reden zu veröffentlichen.

»Sie werden einmal als Muster für Schüler der Rhetorik und des Rechts dienen«, sagte Marcus Tullius Cicero, der um eine Abschrift für sich selbst bat. »Du hättest zwar nicht verlieren dürfen, aber ich bin froh, daß ich rechtzeitig aus dem Ausland heimgekommen bin, um deine Reden zu hören. Mit ihnen hast du selbst Hortensius und Gaius Cotta übertroffen.«

»Auch ich bin froh, Cicero«, gestand Caesar. »Wenn man von Cethegus mit Lob überschüttet wird, ist das eine Sache, aber etwas ganz anderes ist es, von einem Anwalt deines Kalibers um Abschriften meiner Reden vor Gericht gebeten zu werden.« Er fühlte sich von Ciceros Bitte geschmeichelt.

»In Rhetorik kannst du mich nichts mehr lehren«, entgegnete Cicero und minderte damit, ohne es eigentlich zu wollen, sein großzügiges Kompliment. »Aber ich kann dir versichern, Caesar, daß ich das Verfahren studieren werde, wie du den ganzen Prozeß aufgezogen und deine Anklage untermauert hast.« Cicero sprach weiter, während sie mit langen Schritten über das Forum gingen. »Ich bin verblüfft über deine Fähigkeit, die Stimme zu modulieren. Im Gespräch ist sie so tief, aber wenn du vor einer Versammlung sprichst, gibst du ihr ein helles Timbre, so daß sie herrlich weit trägt. Wer hat dir das beigebracht?«

»Niemand«, entgegnete Caesar erstaunt. »Mir ist nur aufgefallen, daß Männer mit tiefer Stimme von ferne schlechter zu hören sind als solche mit heller Stimme. Da ich aber von allen gut gehört werden möchte, habe ich mich in einen Tenor verwandelt.«

»Apollonius Molon, mit dem ich in den letzten beiden Jahren Fragen der Rhetorik studiert habe, behauptet, daß die Stimme eines Menschen von der Länge seines Halses abhängt. Je länger der Hals, desto tiefer die Stimme. Und du hast einen langen, dünnen Hals! Zum Glück hat mein Hals gerade die richtige Länge«, mußte Cicero noch hinzufügen.

»Eher kurz«, sagte Caesar mit funkelnden Augen.

»Gerade richtig«, wiederholte Cicero unbeeindruckt.

»Du siehst gut aus und hast endlich ein paar Pfund zugenommen.«

»Ja, mir geht es gut. Und es reizt mich, wieder bei Gericht aufzutreten. Allerdings möchte ich mich nicht unbedingt mit dir messen. Manche Titanen sollten lieber nicht aufeinanderstoßen. Dazu rechne ich auch solche wie Hortensius und Gaius Cotta.«

»Ich hätte mehr von ihnen erwartet«, sagte Caesar. »Wenn das Gericht nicht schon vor Beginn des eigentlichen Verfahrens sein Urteil gefällt hätte und statt dessen meiner Darlegung des Falls aufmerksam gefolgt wäre, hätten die beiden verloren. Sie waren schlecht vorbereitet und machten keinen glänzenden Eindruck.«

»Da muß ich dir recht geben. Gaius Cotta ist dein Onkel, nicht wahr?«

»Ja, aber das spielt keine Rolle. Wir schätzen durchaus einen Schlagabtausch.«

Sie hielten an und kauften Pasteten von einem Händler, der seine leckeren Happen schon seit Jahren vor dem Haus des Jupiterpriesters feilbot.

»Ich glaube«, nahm Cicero das Gespräch wieder auf, während er seine Lieblingspastete gierig hinunterschlang, »daß du aus deiner früheren Stellung als Jupiterpriester noch beträchtliches Kapital schlagen könntest. Lockt es dich nicht, in das bequemere und schönere Haus dort hinter Gavius’ Verkaufsstand zu ziehen? Soweit ich weiß, hast du immer noch eine Wohnung in der Subura, und das dürfte nicht die passende Adresse für einen Anwalt deines Kalibers sein.«

Caesar zuckte verblüfft zusammen, dann warf er den Rest seiner Pastete einem bettelnden Vogel hin. »Selbst wenn ich in dem letzten Loch auf dem Esquilin wohnte, Cicero, würde mich das nicht verlocken!«

»Also ich bin froh darüber, auf dem Palatin zu wohnen«, sagte Cicero, der schon bei seiner zweiten Pastete war. »Mein Bruder Quintus lebt in dem alten Familienhaus in der Carinae«, bemerkte er großspurig, als wäre seine Familie schon seit Generationen dort ansässig, wo sie doch in Wahrheit das Haus erst gekauft hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Dann kicherte er, weil ihm etwas eingefallen war. »Übrigens, was die Freisprüche in letzter Zeit betrifft: Weißt du schon, was Quintus Calidius gesagt hat, als er am Gerichtshof für Erpressungsfälle eine Niederlage einstecken mußte?«

»Das muß an mir vorübergegangen sein, aber ich lasse es mir gern von dir berichten.«

»Er sagte, die Niederlage sei für ihn nicht überraschend gekommen, denn die übliche Bestechungssumme an Sullas mit Senatoren besetzten Gerichten betrage neuerdings dreihunderttausend Sesterzen, und einen solchen Betrag könne er nicht aufbringen.«

Auch Caesar nahm es von der humorigen Seite und lachte. »Dann sollte ich auch die Finger vom Gerichtshof für Erpressungsfälle lassen.«

»Vor allem, wenn Lentulus Sura Vorsitzender ist.«

Da Publius Cornelius Lentulus Sura den Vorsitz im Prozeß um den älteren Dolabella geführt hatte, wurde Caesar hellhörig. »Das ist gut zu wissen, Cicero.«

»Mein Lieber, was unsere Gerichtshöfe betrifft, gibt es nichts, was ich dir nicht sagen könnte!« verkündete Cicero mit einer theatralischen Geste. »Frage mich nur, wenn du etwas wissen willst.«

»Ich werde darauf zurückkommen«, sagte Caesar. Dann gab er Cicero zum Abschied die Hand und ging in Richtung Subura davon.

Quintus Hortensius trat hinter einer Säule hervor und ging auf Cicero zu, der Caesars hochgewachsener Gestalt nachschaute, bis sie langsam in der Ferne verschwand.

»Er war brillant«, sagte Hortensius. »Gib ihm noch ein paar Jahre Prozeßerfahrung, mein lieber Cicero, und du und ich, wir werden uns nach anderen Lorbeeren umsehen müssen.«

»Hätte er unparteiische Geschworene gehabt, mein lieber Hortensius, hättest du schon heute morgen deinen Lorbeerkranz eingebüßt.«

»Bist du aber unfreundlich!«

»Lange wird es nicht mehr so bleiben.«

»Was meinst du damit?«

»Daß die Geschworenengerichte nur aus Senatoren zusammengesetzt sind.«

»Von wegen. Der Senat hat wieder alles im Griff.«

»Darin irrst du dich. Es melden sich immer mehr Stimmen, die den Volkstribunen ihre alten Rechte wiedergeben wollen. Wenn das geschieht, Quintus Hortensius, werden die Gerichte wieder aus Rittern bestehen.«

Hortensius zuckte nur mit den Schultern. »Ich sehe da keinen Unterschied, Cicero. Ob Senatoren oder Ritter, gegebenenfalls läuft es immer mit einer Bestechung.«

»Ich für meinen Teil besteche meine Geschworenen nicht«, stellte Cicero kühl fest.

»Das weiß ich. Er übrigens auch nicht.« Dabei wies Hortensius mit der Hand in Richtung Subura. »Aber es ist nun einmal Brauch, mein Guter, zudem ein durchaus gängiger.«

»Ein Brauch, der einen Anwalt nicht befriedigen kann. Wenn ich einen Prozeß gewinne, will ich die Gewißheit haben, daß ich es meinem Geschick verdanke und nicht der Summe, die mein Mandant zur Bestechung der Geschworenen einsetzt.«

»Dann bist du ein Narr, der sich nicht lange halten wird.«

Ciceros ansprechende, aber nicht ebenmäßige Gesichtszüge erstarrten, seine Augen funkelten drohend. »Ich werde dich überdauern, Hortensius, daran zweifle ich nicht.«

»Ich stehe unverrückbar fest auf meinem Platz.«

»Eben das sagte auch der Riese Antäus, ehe ihn Herkules vom Boden hob und erwürgte. Ave, Quintus Hortensius.«

Ende Januar des folgenden Jahres brachte Cinnilla ein blondes, zartes Töchterchen zur Welt, das Vater und Mutter gleichermaßen entzückte.

»Ein Sohn kostet die Eltern stets ein Vermögen, Teuerste«, bemerkte Caesar gegenüber der glücklichen jungen Mutter, »während eine Tochter eine politische Trumpfkarte von kaum zu überschätzendem Wert darstellt. Vor allem, wenn sie von beiden Seiten patrizischer Abstammung ist und eine gute Mitgift besitzt. Die Zukunft eines Sohnes ist immer ungewiß, aber unsere Julia ist schon jetzt vollkommen. Wie ihre Großmutter Aurelia wird sie sich vor Verehrern nicht retten können.«

»Was die Mitgift betrifft, sehe ich die Zukunft nicht so rosig«, gab die Mutter zu bedenken, die während der Geburt sehr gelitten hatte, nun aber wieder auf dem Weg der Genesung war.

»Mach dir deswegen keine Sorgen, liebste Cinnilla. Bis Julia im heiratsfähigen Alter ist, haben wir die Mitgift beisammen.«

Aurelia, die sich sogleich des Säuglings angenommen hatte, fühlte sich ganz in ihrem Element. Sie vergötterte das kleine Mädchen. Zwar hatte sie schon vier Enkelkinder, Lias beide Söhne von verschiedenen Vätern und Ju-jus Tochter und Sohn, aber keines wohnte in ihrem Haus, und vor allem waren sie nicht der Nachwuchs ihres Sohnes, der Freude ihres Lebens.

»Sie behält sicher diese blauen Augen, weil sie so klar sind«, sagte Aurelia, entzückt, daß die kleine Julia nach ihres Vaters Seite ging. »Auch ihr Haar hat nicht mehr Farbe als Eis.«

»Es tröstet mich, daß wenigstens du Haare erkennen kannst«, sagte Caesar mit ernster Miene. »Mir scheint sie vollkommen kahl, und das gefiele mir gar nicht, denn unsere Familie ist für dichtes, volles Haar bekannt.«

»So ein Unfug! Natürlich hat sie Haare. Warte nur, bis sie ein Jahr alt geworden ist, dann wirst du sehen, was für einen dichten Haarschopf sie hat. Solches Haar dunkelt kaum nach, das süße kleine Ding wird immer einen eher silbernen als goldenen Glanz haben.«

»Mir scheint sie so reizlos wie die arme Gnaea.«

»Caesar, Caesar! Sie ist doch gerade erst geboren. Aber sie wird dir immer ähnlich sehen.«

»Welch ein Schicksal«, sagte Caesar und verließ seine Mutter.

Er machte sich auf den Weg in das berühmteste Gasthaus der Stadt, das an der Ecke des Forum Romanum und des Clivus Orbius stand. Ihm war gemeldet worden, daß dort seine Mandanten, die ihn mit der Anklage gegen den älteren Dolabella beauftragt hatten, auf ihn warteten und dringend zu sprechen wünschten.

»Wir haben einen neuen Fall für dich«, sagte Iphikrates von Thessalonika, der Sprecher der griechischen Gäste.

»Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte Caesar mit einem Stirnrunzeln. »Aber wen wollt ihr nun verklagen? Appius Claudius Pulcher war nicht lange genug im Amt, um ihm den Prozeß zu machen, selbst wenn es euch gelänge, den Senat davon zu überzeugen, einen amtierenden Statthalter zu verklagen.«

»Diesmal geht es um einen ganz anderen Fall, der nichts mit Statthaltern in Mazedonien zu tun hat«, erläuterte Iphikrates. »Ihr sollt Gaius Antonius Hybrida wegen Grausamkeiten verklagen, die er vor zehn Jahren als Kavalleriepräfekt unter Sulla begangen hat.«

»Beim Jupiter! Nach so vielen Jahren?«

»Wir erwarten gar nicht, den Prozeß zu gewinnen, darauf kommt es uns nicht an. Nur haben uns unsere Erfahrungen mit dem älteren Dolabella zu der schmerzlichen Einsicht geführt, daß wir unter der Knute gewisser Römer leben müssen, die sich schlimmer als Tiere aufführen. Es ist an der Zeit, daß die Stadt Rom dies endlich zur Kenntnis nimmt. Bittschriften nützen da nichts. Kein Mensch fühlt sich bemüßigt, sie zu lesen, am allerwenigsten der Senat. Anklagen wegen Verrats oder Erpressung sind höchst selten vor Gerichtshöfen, die nur von den höchsten Kreisen in Rom besucht werden. Wir dagegen wollen die Aufmerksamkeit der Ritter und womöglich auch der unteren Stände für uns gewinnen. Daher haben wir an einen Prozeß vor dem Gerichtshof für Strafverfahren gedacht, denn das ist eine populäre Arena, die von allen Klassen besucht wird. Bei unserer Suche nach einer geeigneten Anklage drängte sich der Name Gaius Antonius Hybrida sofort auf.«

»Was hat er verbrochen?«

»Er war Kavalleriepräfekt, dem die Distrikte von Thespiae, Eleusis und Orchomenos unterstanden, als Sulla oder seine Stellvertreter mit ihren Truppen in Böotien lagen. Als Soldat hat er sich nicht hervorgetan, dafür fand er um so größeres Gefallen an abartigen Vergnügungen: Foltern, Verstümmeln, Vergewaltigen von Frauen und Männern, Knaben und Mädchen, schließlich auch Mord.«

»Und sein Name ist tatsächlich Hybrida?«

»Ja, er heißt tatsächlich so.«

»Ich habe ihn stets für einen typischen Vertreter der Antonii gehalten: einen Trunkenbold, der nicht eher ruht, bis er alles Geld ausgegeben hat, mit einem maßlosen Appetit auf Essen und Frauen.« Sein Gesicht zeigte, daß er sich ekelte. »Aber Folter? Selbst für einen Antonius wäre das ungewöhnlich. Ich würde das eher von einem Ahenobarbus annehmen!«

»Wir haben unwiderlegbare Beweise, Caesar.«

»Dann muß er diese fatale Neigung von der Seite seiner Mutter geerbt haben. Sie war keine Römerin, wenn ich auch nie etwas Nachteiliges über sie gehört habe. Sie stammte aus Apulia, aber die Apulier sind keine Barbaren, und was ihr mir berichtet, ist reine Barbarei. Selbst Gaius Verres ist nicht soweit gegangen.«

»Wir haben unwiderlegbare Beweise«, wiederholte Iphikrates. Er schaute Caesar ernst an. »Nun versteht Ihr vielleicht unsere Not, denn wer aus den feinsten Kreisen Roms würde uns schon glauben, es sei denn, ganz Rom redete von dem Fall und alle sähen unsere Beweise mit eigenen Augen?«

»Habt ihr Opfer, die als Zeugen aussagen können?«

»Dutzende, wenn es sein muß. Leute, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Verstümmelt sind sie alle: manchen hat man die Augen ausgestochen, manchen die Ohren abgeschnitten, manche haben keine Zunge mehr, manche keine Nase oder Hände oder Füße oder Beine oder Geschlechtsteile. Frauen ist die Gebärmutter herausgerissen worden, anderen Unglücklichen hat man die Haut abgezogen, oder sie haben gleich mehrere Grausamkeiten auf einmal erdulden müssen. Dieser Mensch war eine Bestie. Seine Spießgesellen nicht weniger, aber die kommen hier nicht in Betracht, da sie nicht der Nobilität angehören.«

Caesar sah betrübt aus. »Dann sind seine Opfer also mit dem Leben davongekommen?«

»Die meisten ja. Hybrida meinte, sein grausames Geschäft sei eine Kunst. Und die Kunst bestehe darin, dem Opfer den größtmöglichen Schmerz und die grausamste Verstümmelung beizufügen, ohne daß der Tod eintrete. Er empfand das größte Vergnügen, nach Monaten wieder in eine seiner Städte zu reiten und zu sehen, daß seine Opfer noch am Leben waren.«

»Es wird zwar schwierig für mich werden, aber ich übernehme den Fall dennoch«, sagte Caesar entschlossen.

»Schwierig? Wie sollen wir das verstehen?«

»Sein älterer Bruder Marcus ist mit meiner Cousine ersten Grades verheiratet — der Tochter des Konsuls Lucius Caesar, der später von Gaius Marius ermordet wurde. Drei kleine Söhne — Hybridas Neffen — sind meine Vettern zweiten Grades. Es gilt als Verstoß gegen die guten Sitten, Mitglieder der eigenen Familie vor Gericht zu belangen, Iphikrates.«

»Erstreckt sich die Verwandtschaftsbeziehung wirklich auf Gaius Antonius Hybrida? Schließlich ist Eure Cousine nicht mit ihm verheiratet.«

»Das stimmt, und deshalb übernehme ich den Fall. Aber viele werden meine Entscheidung mißbilligen. Die Blutsbande gehen über Julias drei Söhne.«

Lucius Decumius war es schließlich, dem sich Caesar anvertraute.

»Du hast doch deine Ohren überall, Vater«, begann Caesar. »Hast du auch schon von Hybridas Umtrieben gehört?«

Lucius Decumius sah äußerlich immer gleich aus. Caesar fiel es schwer, ihm ein bestimmtes Alter zu geben, schätzte ihn aber auf ungefähr sechzig.

»Etwas, nicht viel. Seine Sklaven leben bei ihm nie länger als sechs Monate, wenn man auch nie von ihrem Begräbnis hört. Ich finde es immer verdächtig, wenn sie nicht begraben werden. Gewöhnlich deutet das auf gewisse abartige Veranlagungen hin.«

»Nichts ist schändlicher als Grausamkeit an einem Sklaven.«

»Du mußt so denken, Caesar, weil du die beste Mutter der Welt hast und weil du im rechten Geist erzogen worden bist.«

»Das sollte nichts mit der Erziehung zu tun haben, die jemand genossen hat«, entrüstete sich Caesar. »Das hat etwas mit der inneren Natur eines Menschen zu tun. Ich kann solche Greuel verstehen, wenn sie von Barbaren begangen werden, denn ihre Götter und überlieferten Sitten verlangen von ihnen Dinge, die wir Römer schon vor Jahrhunderten geächtet haben. Der Gedanke, daß ein römischer Aristokrat — obendrein ein Antonius — Vergnügen daran findet, solche Grausamkeiten zu begehen... Nein, ich kann es kaum glauben!«

Doch Lucius Decumius schaute ihn nur mit seinen weisen Augen an. »So geht es nun einmal in der Welt zu, das weißt auch du. Vielleicht gemeinhin nicht ganz so schrecklich, aber das liegt oft nur daran, daß die meisten Leute Angst haben, gefaßt zu werden; denn das zieht Strafe nach sich. Betrachte den Fall einen Augenblick lang ganz unvoreingenommen. Dieser Antonius Hybrida ist ein römischer Aristokrat wie du. Die Gerichte schützen ihn, und sein eigener Stand ebenfalls. Wovor sollte er sich fürchten, wenn er seinen Neigungen frönt? Je höher ein Mensch steht, desto tiefer kann er fallen. Bisweilen aber triffst du auf einen Mann, der den Drang in sich hat, so zu sein, wie es ihm gerade gefällt, und der diesem Drang auch tatsächlich nachgibt. Wie Antonius Hybrida. Viele gibt es nicht von dieser Art. Aber einige gibt es immer, Caesar, einige schon.«

»Ja, du hast recht. Natürlich hast du recht.« Caesar senkte müde die Augenlider; nichts von seinen Gefühlen drang nach draußen. »Du meinst also, daß solche Menschen zur Rechenschaft gezogen werden müssen.«

»Sonst besteht die Gefahr, daß sie sich rasch vermehren. Für einen, der verschont wird, wagen sich zwei neue hervor.«

»Also muß ich sie zur Rechenschaft ziehen. Das wird nicht leicht sein.«

»Zweifellos.«

»Was weißt du noch über ihn, außer den dunklen Gerüchten, wonach er Sklaven verschwinden lasse?«

»Nicht viel, nur daß er verhaßt ist. Bei den Händlern ebenso wie bei den einfachen Leuten. Wenn ihm auf der Straße ein junges Mädchen begegnet, das ihm gefällt, dann kneift er es gleich so, daß es ihr weh tut und es laut zu schreien beginnt.«

»Wie paßt aber meine Cousine Julia da hinein?«

»Das mußt du deine Mutter fragen, Caesar, nicht mich.«

»So etwas kann ich doch nicht meine Mutter fragen, Lucius Decumius!«

Der alte Mann dachte nach und nickte. »Nein, allerdings kannst du das nicht.« Dann, nach einer Pause: »Diese Julia ist ein törichtes Weib — kein Vergleich mit den klugen Julias aus deiner Familie. Ihr Antonius ist ein ziemlicher Draufgänger, wenn du weißt, was ich meine, aber kein Menschenquäler. Nur gedankenlos. Der weiß auch nicht, wann er seinen Bälgern den Hintern zu versohlen hat.«

»Du meinst, die Jungen verwildern?«

»Wie herumstreunende junge Hunde.«

»Wie heißen sie doch gleich... Marcus, Gaius, Lucius. Ach, wenn ich mich doch mit Familiendingen besser auskennen würde! Ich höre leider immer nur mit halbem Ohr hin, wenn die Frauen, darüber reden. Meine Mutter könnte mir im Handumdrehen alles auseinandersetzen... Aber sie ist zu schlau, sie würde nicht eher lockerlassen, bis sie erfahren hat, weshalb ich mich plötzlich für Familienangelegenheiten interessiere, und dann würde sie alles tun, um mir diesen Prozeß auszureden. Dann hätten wir nur Streit miteinander. Es ist besser, sie erfährt erst dann von meiner Übernahme der Anklage, wenn die Sache schon ausgemacht ist.« Er seufzte betrübt. »Ich möchte noch mehr über die Jungen erfahren, um die sich Hybridas Bruder so wenig kümmert.«

Lucius Decumius blickte nach oben und schürzte die Lippen. »Ich sehe sie manchmal in der Subura, eigentlich sollten sie sich dort nicht ohne Diener oder Lehrer herumtreiben, aber sie machen es trotzdem. Sie stibitzen Eßwaren in den Läden, weniger aus Hunger als aus Übermut.«

»Wie alt sind sie?«

»Das weiß ich nicht so genau. Marcus könnte man aufgrund seiner Größe für einen Zwölfjährigen halten, er benimmt sich aber wie ein Fünfjähriger, also mag er sieben oder acht sein. Die beiden anderen sind kleiner.«

»Ja, die Antonii sind ein ungehobelter Menschenschlag. Ich nehme an, der Vater der Kinder wird nicht mit Geld um sich werfen.«

»Nein, steht immer knapp vor dem Desaster.«

»Dann tue ich den Jungen nichts Gutes, wenn ich die Anklage übernehme.«

»Gewiß nicht.«

»Aber ich muß sie übernehmen.«

»Ja, ich weiß.«

»Außerdem brauche ich weitere Zeugen. Am besten freie Bürger — auch Frauen oder Kinder —, die bereit sind, vor Gericht auszusagen. Hybrida soll ähnliche Scheußlichkeiten auch hier in Rom begangen haben. Und seine Opfer können nicht alle nur verschwundene Sklaven gewesen sein.«

»Ich werde mich umhören, Caesar.«

Caesars Frauen daheim merkten schon, als er zur Haustür hereinkam, daß er Kummer mit sich herumtrug, aber weder Aurelia noch Cinnilla versuchten, in ihn zu dringen. In normalen Zeiten hätte sich Aurelia das nicht nehmen lassen, aber die Enkeltochter beschäftigte sie jetzt mehr, als sie selbst zugeben wollte, daher machte sie sich nicht weiter Gedanken über die Stimmung ihres Sohnes. Damit nahm sie sich die Gelegenheit, ihm die Anklage gegen Gaius Antonius Hybrida auszureden, dessen Neffen zu Caesars engeren Vettern gehörten.

Eigentlich gehörte der Fall vor den Strafgerichtshof, aber je länger Caesar darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm die Vorstellung, Hybrida vor diesem Gericht zu verklagen. Zum einen lag es am Vorsitzenden Marcus Junius Juncus, der seine Versetzung an einen Gerichtshof, der ehemaligen Ädilen vorbehalten war, immer noch nicht verwunden hatte; er hatte den Vorsitz übernehmen müssen, weil sich in diesem Jahr kein ehemaliger Ädil für dieses Amt bereit erklärt hatte. Caesar hatte schon einmal mit ihm zu tun gehabt, als er bei einem Prozeß im Januar Vertreter der Anklage war. Zum anderen lag das Problem in dem Umstand, daß die klagende Partei nicht römisch war. Tatsächlich war die Aussicht auf Erfolg vor jedem Gerichtshof gering, wenn die Kläger aus dem Ausland kamen und der Beklagte aus der römischen Aristokratie stammte. Caesar mußte also seine Mandanten auf eine Niederlage einstimmen. Schlimmer noch, er wußte, daß ein Richter wie Juncus den Prozeß möglichst unbemerkt über die Bühne bringen würde, womöglich an einem Ort, wo kaum Zuhörer zu erwarten waren. Zu alledem kam noch, daß der Volkstribun Gnaeus Sicinius das Publikum auf dem Forum gerade mit einer Kampagne in den Bann schlug, den Volkstribunen alle Rechte wiederzugeben, die sie einst innegehabt hatten. Die ganze Stadt interessierte sich für nichts anderes, vor allem seitdem Sicinius eine witzige Bemerkung gelungen war, die bei allen Liebhabern politischer Bonmots die Runde machte.

»Warum«, so hatte ihn Gaius Scribonius Curio entnervt gefragt, »plagst du mich und meinen Kollegen Gnaeus Octavius, warum plagst du die Prätoren, Ädilen, deinen eigenen Volkstribunkollegen Publius Cethegus, alle Konsulare und großen Männer, Finanzleute wie Titus Atticus und sogar die armen Quästoren, ohne auch nur ein Wort gegen Marcus Licinius Crassus zu verlieren? Hat Marcus Crassus deine giftigen Attacken etwa nicht verdient? Oder ist es Marcus Crassus, der dir alle deine Injurien eingibt? Nun, Sicinius, du kleiner Kläffer, sage mir doch, warum du Crassus unbehelligt läßt.« «

Da Sicinius genau wußte, daß Curio und Crassus Streit miteinander hatten, tat er so, als überlege er erst ernsthaft, bevor er antwortete:

»Weil Marcus Crassus Heu um beide Hörner gewickelt trägt.« Das zahlreiche Publikum, dem jede Nuance dieser schlagfertigen Antwort aufging, schüttelte sich vor Lachen. Ein Ochse, der ein Horn mit Heu umwickelt trug, war ein gewohnter Anblick; es galt als Warnung vor einem Tier, das vielleicht gutmütig aussah, aber plötzlich mit den Hörnern zustoßen konnte. Ochsen, deren beide Hörner mit Heu umwickelt waren, wurden wie die Pest gemieden. Hätte Marcus Crassus nicht schon von Natur aus die unerschütterliche Behäbigkeit und bullige Kraft eines Rindviehs gehabt, wäre die Bemerkung nicht als so treffend empfunden worden.

Wie konnte Caesar nun dem populären Sicinius die treue Gefolgschaft abspenstig machen? Wie konnte er dem beabsichtigten Prozeß das Echo verschaffen, das er verdiente? Während er über diese Fragen nachdachte, reisten seine Mandanten nach Böotien   zurück und sammelten Beweise und Zeugenaussagen, wie Caesar es ihnen aufgetragen hatte. Die Monate vergingen, die Mandanten kehrten nach Rom zurück, doch er hatte Juncus noch immer nicht gefragt, ob er den Fall vor seinem Gericht verhandeln wolle.

»Ich verstehe Euch nicht«, machte Iphikrates seiner Ungeduld Luft. »Wenn wir uns nicht beeilen, bekommen wir womöglich überhaupt keinen Prozeß.«

»Ich habe das Gefühl, daß wir besser noch zuwarten«, sagte Caesar. »Hab noch ein wenig Geduld, Iphikrates. Ich verspreche dir, daß ich alles tun werde, damit du und deine Mitstreiter nicht noch weitere Monate in Rom warten müssen. Sind eure Zeugen in einem sicheren Versteck untergebracht?«

»Ja, wie du es angeordnet hast, Caesar. In einem Landhaus außerhalb von Cumae.«

Dann, an einem Tag Anfang Juni, kam plötzlich die Antwort. Caesar hatte eine Pause beim Gericht des praetor peregrinus, Marcus Terentius Varro Lucullus, gemacht. Der jüngere Bruder des Mannes, den die Mehrheit der Römer als den fähigsten Politiker der Zukunft ansahen, ähnelte Lucullus sehr und war ihm sehr zugetan. Das Schicksal hatte es gewollt, daß sie als Kinder getrennt wurden, dennoch hatte ihre Zuneigung nicht darunter gelitten, im Gegenteil, sie war sogar noch gewachsen. Lucullus hatte in seiner Ämterlaufbahn bewußt eine Pause eingelegt, um zusammen mit Varro Lucullus die Ädilität auszuüben. Gemeinsam hatten sie so spektakuläre Spiele inszeniert, daß die Leute immer noch davon schwärmten. Es wurde allgemein angenommen, daß sie beide in naher Zukunft das Konsulat erreichen würden; sie waren beliebt bei der Wählerschaft und entstammten der Nobilität.

»Nun, wie verbringst du deine Tage?« fragte Caesar lächelnd. Er schätzte den Prätor, an dessen Gerichtshof er in vielen kleineren Prozessen als Anwalt gewirkt und eine großzügige Freiheit genossen hatte, wie er es von anderen Richtern nicht gewohnt war. Varro Lucullus war ein hervorragender Kenner des Rechts und stand im Ruf unbedingter Integrität.

»Mit Langeweile«, sagte Varro Lucullus, ebenfalls lächelnd.

In der kurzen Spanne zwischen seiner Frage und Varro Lucullus’ Antwort war Caesar ein glänzender Einfall gekommen, der sich ihm sofort mit Evidenz aufzwang. So war es immer bei ihm: Nach monatelangem Grübeln kam ihm plötzlich der erleuchtende Gedanke, wie ein Problem zu lösen sei.

»Wann verläßt du Rom für die Sitzungsperiode auf dem Land?«

»Es ist Brauch geworden, daß der Prätor für Fremdenrecht sich immer dann an der campanischen Küste blicken läßt, wenn die sommerliche Hitze ihren Höhepunkt erreicht hat«, seufzte Varro Lucullus. »Allem Anschein nach werde ich aber mindestens noch einen Monat in Rom festgehalten.«

»Dann reiß dich bitte nicht los!«

Varro Lucullus blickte verdutzt; eben hatte er sich doch noch mit Caesar unterhalten, dessen juristischen Scharfsinn er so sehr bewunderte, nun war der Platz, an dem der junge Mann gestanden hatte, plötzlich leer.

»Ich weiß jetzt, wie wir es machen!« verkündete Caesar wenig später Iphikrates in dem Nebenzimmer, das er im Gasthaus gemietet hatte.

»Wie denn?« fragte der bedeutende Mann aus Thessalonika.

»Ich wußte doch, daß es richtig war, abzuwarten, Iphikrates. Wir werden Gaius Antonius Hybrida weder unter Mordanklage stellen noch ihn überhaupt strafrechtlich belangen.«

»Wie? Keine strafrechtliche Verfolgung?« Iphikrates tat verblüfft. »Aber allein darum geht es uns doch!«

»Durchaus nicht. Es geht darum, öffentliche Anteilnahme in ganz Rom zu erwecken. Das würde uns vor Juncus’ Gerichtshof nicht gelingen, vor allem könnten wir dort nicht das Publikum anlocken, das sonst Sicinius auf dem Forum zuhört. Juncus würde sich einen abgelegenen, stickigen Winkel in der Basilica Porcia oder Opimia aussuchen, wo jeder, dessen Anwesenheit bei dem Verfahren notwendig ist, unter der Hitze zu leiden hätte, und die, die nicht unbedingt erscheinen müssen, gar nicht erst kommen. Das Gericht würde uns nicht gewogen sein, und Juncus könnte, unterstützt von den Geschworenen und den Anwälten des Beklagten, das Verfahren durchpeitschen.«

»Welche andere Wahl haben wir dann noch?«

Caesar lehnte sich vor. »Ich lege den Fall dem Prätor für Fremdenrecht als Zivilsache vor. Statt Hybrida wegen Mordes zu belangen, verklage ich ihn auf Wiedergutmachung für das Unrecht, das er sich als Kavalleriepräfekt vor zehn Jahren in Griechenland hat zuschulden kommen lassen. Du legst eine beträchtliche Summe als sponsio beim Prätor für Fremdenrecht ein. Damit verpflichtest du Hybrida, den Beklagten, an dich, den Kläger, ebendiese Summe zu zahlen, falls sich im Verlauf des Prozesses herausstellen sollte, daß du in der Streitsache recht bekommst. Die Summe muß größer als Hybridas gesamtes Vermögen sein. Kannst du zweitausend Talente aufbringen, und bist du auch bereit, sie preiszugeben, falls etwas schiefgehen sollte?«

Iphikrates schnappte nach Luft. »In der Tat, die Summe ist hoch. Aber wir sind mit dem Willen nach Rom gekommen, keine Mühen und Kosten zu scheuen, wenn es darum geht, den Römern begreiflich zu machen, daß sie uns nicht länger mit Menschen wie Hybrida und dem älteren Dolabella plagen dürfen. Ja, Caesar, wir werden die zweitausend Talente aufbringen. Es wird einige Umstände bereiten, aber wir bekommen sie hier in Rom zusammen.«

»Abgemacht, dann hinterlegen wir zweitausend Talente als sponsio und strengen ein Zivilverfahren gegen Gaius Antonius Hybrida an. Das allein wird schon für Aufsehen sorgen. Zugleich machen wir ganz Rom deutlich, daß wir es ernst meinen.«

»Hybrida dürfte nicht einmal in der Lage sein, ein Viertel dieser Summe aufzubringen.«

»Ganz richtig, Iphikrates. Aber es liegt im Ermessen des Prätors für Fremdenrecht, von der Einlage der sponsio abzusehen, wenn er zu der Erkenntnis gelangt ist, daß ein Prozeß in jedem Fall stattfinden muß. Und eines muß man Varro Lucullus lassen: er ist auf Recht und Billigkeit bedacht.«

»Gesetzt, wir gewinnen, und Hybrida hat die zweitausend Talente nicht vorher eingelegt, was geschieht dann?«

»Dann, Iphikrates, hat er sie aufjeden Fall aufzutreiben! Zahlen muß er, denn so sieht es ein Zivilverfahren unter Römischem Recht vor.«

»Ah, jetzt verstehe ich!« Still lächelnd lehnte sich Iphikrates zurück und legte die Arme um die Knie. »Wenn er verliert, wird er zum Bettler, und er muß Rom völlig ruiniert verlassen. An eine Rückkehr kann er dann nicht mehr denken, oder?«

»Nein, eine Rückkehr ist dann ausgeschlossen.«

»Gesetzt aber, wir verlieren, dann erhält er unsere zweitausend Talente?«

»So ist es.«

»Glaubst du, daß wir verlieren werden, Caesar?«

»Nein.«

»Wozu dann aber deine Warnung, es könne auch etwas schiefgehen? Warum sagst du uns, wir sollten darauf gefaßt sein, unser Geld zu verlieren?«

Caesar legte die Stirn in Falten und erklärte seinem griechischen Mandanten, was er, der Römer aus altem Patriziergeschlecht, seit frühester Jugend gelernt hatte. »Das Römische Recht ist eben nicht so ehern, wie es scheint. Vieles hängt vom Richter ab, und gemäß Sullas Gesetz kann der Richter nicht Varro Lucullus heißen. In dieser Hinsicht vertraue ich auf dessen Rechtschaffenheit, daß er einen unbefangenen Richter benennt. Aber da ist noch ein anderes Risiko. Manchmal findet ein versierter Anwalt eine Lücke in der Gesetzgebung, die sich zu einer gewaltigen Kluft weiten kann. Hybrida wird von den besten Anwälten Roms verteidigt.« Caesar legte eine Pause ein, die Hände wie Fänge gekrümmt. »Wenn mir eine Idee gekommen ist, wie unser Problem gelöst werden könnte, warum sollte dann nicht jemand anderes einen Einfall haben, Hybridas Problem zu lösen? Das ist es ja, was Menschen wie mich an der Justiz so fesselt, wenn Richter und Prozeß ohne verborgene Einflußnahme sich frei entfalten können. Unsere Beweisführung mag noch so schlüssig und überzeugend wirken, dennoch gilt es vor dem brillanten Kollegen der anderen Partei auf der Hut zu sein. Wenn nun Cicero die Verteidigung übernimmt? Das wäre schrecklich! Gewiß, ich glaube nicht, daß er in diese Versuchung käme, wenn er erst einmal die Einzelheiten der Anklage kennt. Aber Hortensius hätte solche Skrupel nicht. Schließlich muß eine der beiden Seiten gewinnen. Wir kämpfen für ein Prinzip, und das ist überhaupt der riskanteste Grund, vor Gericht zu gehen.«

»Ich werde mich mit meinen Mitklägern besprechen und dir morgen unsere Antwort mitteilen«, sagte Iphikrates, ehe er Caesar verließ.

Die Antwort lautete, Caesar möge den Prätor für Fremdenrecht bitten, ein Zivilverfahren gegen Gaius Antonius Hybrida einzuleiten. Daraufhin ging Caesar gemeinsam mit seinen Mandanten zu Varro Lucullus und bat um Hinterlegung von zweitausend Talenten als sponsio, eben die Summe, die sie als Schadenersatz von Hybrida forderten.

Varro Lucullus verschlug es zunächst die Sprache. Stumm saß er da, dann schüttelte er verwundert den Kopf und bat, den Bankwechsel begutachten zu dürfen. »Der Wechsel ist echt, und ihr meint es ernst«, sagte er zu Caesar.

»Wir sind eisern entschlossen, praetor peregrinus.«

»Warum geht ihr nicht vor den Gerichtshof für Erpressungsfälle?«

»Weil es sich bei diesem Fall nicht um Erpressung handelt. Es geht um Mord, aber noch um vieles mehr, nämlich Folter, Vergewaltigung und lebenslange Verstümmelung. Meinen Mandanten geht es nach so langer Zeit nicht mehr darum, vor Gericht recht zu bekommen. Sie fordern Schadenersatz für die Opfer in Thespiae, Eleusis und Orchomenos, an denen sich Gaius Antonius vergriffen hat. Diese Menschen sind nicht mehr in der Lage, ihr Brot zu verdienen oder Eltern, Ehemänner und Ehefrauen zu sein. Diese Unglücklichen zu ernähren und ihnen ein würdiges Leben zu ermöglichen, kostet ihre Mitbürger große Summen, die sie von Gaius Antonius Hybrida erstattet bekommen wollen. Es handelt sich also um ein Zivilverfahren, praetor peregrinus, bei dem es um Schadenersatz geht.«

»Dann lege kurz deine Beweise vor, advocatus, damit ich entscheiden kann, ob ich als Gerichtsvorsitzender die Klage annehmen muß oder nicht.«

»Ich werde deinem Gerichtshof und dem Richter, den du benennst, die Zeugenaussagen von acht Opfern oder Zeugen von Grausamkeiten vorlegen. Sechs sind Bürger von Thespiae, Eleusis und Orchomenos, die anderen beiden sind Bewohner Roms, ein Freigelassener und ein syrischer Staatsbürger.«

»Warum läßt du auch einen Römer aussagen, advocatus?«

»Als Beweis dafür, daß Gaius Antonius Hybrida immer noch seinen abscheulichen Neigungen nachgeht, praetor peregrinus.«

Zwei Stunden später nahm Varro die Klage vor seinem Gerichtshof an und bestätigte die sponsio der Griechen. An Gaius Antonius Hybrida erging eine gerichtliche Vorladung für den folgenden Morgen. Darauf ernannte Varro Lucullus den zuständigen Richter: Publius Cornelius Cethegus. Nach außen ließ sich Caesar nichts anmerken, aber das Herz hüpfte ihm vor Freude. Ausgezeichnet! Der Richter war so wohlhabend, daß er sein ganzes Ansehen aus dem Anspruch bezog, nicht bestechlich zu sein. So kultiviert und feinfühlig war dieser Mann, daß er über den Tod eines Lieblingsfisches oder Schoßhundes Tränen vergoß und das Gesicht hinter seiner Toga verbarg, wenn auf dem Marktplatz einem Huhn der Kopf abgehackt wurde. Vor allem aber war er ein Mann, der keine Vorliebe für die Antonii hegte. Würde sich Cethegus gehalten fühlen, einen Senatskollegen zu schützen, welches Verbrechens er auch angeklagt werde? Oder würden die Geschworenen bei dem Zivilverfahren so denken? Nein, Cethegus sicher nicht! Schließlich ging es nicht um die Aberkennung der römischen Staatsbürgerschaft oder um Verbannung. Dies war ein reines Zivilverfahren, bei dem es nur um Geld ging.

Kurz nach Caesars Erscheinen vor dem Prätor für Fremdenrecht breitete sich die Neuigkeit bereits in Windeseile auf dem Forum Romanum aus. Das Interesse an dem Prozeß wuchs noch, als Caesar von den Martern sprach, die Hybridas Opfer hatten erdulden müssen. Immer mehr Zuhörer versammelten sich um ihn und konnten kaum den für den folgenden Morgen angesetzten Prozeßbeginn abwarten. Sollten vor Gericht wirklich solche Ungeheuerlichkeiten zu sehen sein wie ein Mann, dem man die Haut abgezogen hatte, und eine Frau, deren Geschlechtsteile so verstümmelt worden waren, daß sie sich nicht mehr richtig erleichtern konnte?

Die Nachricht von dem Prozeß war auch bis in Caesars Haus gedrungen, wie er gleich bei seiner Heimkehr aus dem Gesichtsausdruck seiner Mutter erriet.

»Was muß ich da hören?« fragte sie ihn mit drohendem Unterton. »Du vertrittst die Anklage in einem Prozeß gegen Gaius Antonius Hybrida? Das darf doch nicht wahr sein! Zwischen euch bestehen Blutsbande.«

»Zwischen Hybrida und mir bestehen keine Blutsbande, Mutter.«

»Seine Neffen sind deine Vettern!«

»Sie sind die Kinder seines Bruders, die Verwandtschaft besteht also über ihre Mutter. Von Blutsverwandtschaft könnte nur dann die Rede sein, wenn sie Hybridas Söhne wären — hat er überhaupt welche? —, die wiederum meine Vettern wären.«

»Das kannst du einer Julia doch nicht antun!«

»Ich würde es bedauern, wenn unsere Familie ins Gerede käme, Mutter, aber keine Julia ist unmittelbar in den Prozeß verwickelt.«

»Das Haus Julius Caesar ist durch Heirat mit den Antonii verbunden. Das ist Grund genug!«

»Nein, das ist es nicht. Eher liegt Torheit seitens der Julii darin, ein Bündnis mit den Antonii einzugehen. Das sind nichtsnutzige Streuner! Eines sage ich dir, Mutter, ich würde einer Julia aus meiner eigenen Familie nie erlauben, einen Antonius zu heiraten.« Darauf zeigte Caesar seiner Mutter die Schulter.

»Überleg es dir bitte noch einmal, Caesar. Man wird dich dafür verurteilen.«

»Nein, mein Entschiuß steht fest.«

Nach dieser Auseinandersetzung wurde das Mittagessen in eisiger Stimmung eingenommen. Cinnilla, die sich zwischen zwei Starrköpfen wie ihrem Gatten und ihrer Schwiegermutter recht hilflos vorkam, schob Bauch- und Zahnweh und andere Beschwerden vor, an denen ihr kleiner Liebling angeblich litt, und flüchtete in die Kinderstube. Caesar und Aurelia blieben, beide erhobenen Hauptes, am Tisch zurück.

Manche äußerten ihre Mißbilligung, aber Caesar war durchaus nicht der erste, der als Anwalt einen weitläufigen Verwandten vor Gericht verklagte. Es hatte schon viele andere Fälle gegeben, in denen ein engeres Verwandtschaftsverhältnis für mehr Bedenken gesorgt hatte, als es die bloß formalen Einwände vermochten, die Männer wie Catulus gegen die Klage gegen Gaius Antonius Hybrida erhoben.

Hybrida konnte die Vorladung nicht ignorieren, und so wartete er am nächsten Morgen mit einem Gefolge bekannter Persönlichkeiten, darunter Quintus Hortensius und Caesars Onkel Aurelius Cotta, vor dem Gerichtshof des Prätors für Fremdenrecht. Indes war keine Spur von Marcus Tullius Cicero zu sehen, nicht einmal im Publikum. Erst als Cethegus die Anhörung eröffnete, gewahrte Caesar den Vermißten gerade noch aus den Augenwinkeln. Auf Cicero war eben doch Verlaß, einen spektakulären Prozeß wie diesen ließ er sich nicht entgehen! Vor allem dann nicht, wenn die Anklage die Form eines Zivilverfahrens gewählt hatte.

Hybrida fühlte sich unbehaglich, das sah Caesar sofort. Das dichte kastanienbraune Haar und die braunen Augen wiesen diesen großen, muskulösen Mann ebenso als einen Antonius aus wie die Adlernase und das vorspringende Kinn. Ehe Caesar Hybridas Greueltaten zu Ohren gekommen waren, hatte er hinter den groben Zügen dieses Gesichts einen rüpelhaften Menschen vermutet, der zuviel trank, zuviel aß und sich sexuellen Ausschweifungen hingab. Nun wußte er es besser: es waren die Züge eines Ungeheuers.

Der Prozeß begann schlecht für Hybrida. Hortensius verstieg sich dazu, die unverzügliche Aussetzung des Verfahrens zu verlangen, denn, so behauptete er, wenn die zu verhandelnde Sache nur ein Zehntel so ernst sei, wie die Anklage andeute, dann gehöre sie vor den Gerichtshof für Strafverfahren. Varro Lucullus blieb ausdruckslos sitzen und machte keine Miene einzugreifen, solange sein Richter ihn nicht um Rat fragte, woran Cethegus gar nicht dachte. Früher oder später würde die Reihe an ihn kommen, an diesem Gericht den Vorsitz zu führen. Ohne große Begeisterung hatte er sich auf irgendeinen Streitfall um Gelder eingestellt. Nun aber war er auf einen ausgesprochen heiklen Fall gestoßen, der ihn zwar anwidern mochte, aber wenigstens nicht langweilen würde. So wies er Hortensius’ Antrag geschickt zurück und führte den Prozeß zügig weiter.

Gegen Mittag wollte Cethegus dann die Zeugen hören. Ihr Auftritt sorgte für Aufsehen. Iphikrates und seine Mitkläger hatten die Opfer, die sie von Griechenland bis hierher gebracht hatten, mit sicherem Instinkt für dramatische und mitleidheischende Effekte ausgewählt. Besonders erschütternd wirkte ein Mann, der selbst nicht aussagen konnte, weil ihm Hybrida große Teile des Gesichts entstellt und die Zunge herausgerissen hatte. Dafür war aber seine haßerfüllte Frau eine redegewandte und auf ihre Art vernichtende Zeugin. Cethegus hörte ihr zu und schaute dabei auf ihren armen Ehemann, der mit grünlichem Gesicht dasaß und schwitzte.

Nach der Zeugenvernehmung vertagte Cethegus den Prozeß auf den nächsten Morgen. Für sich betete er, nach Hause zu kommen, ohne daß ihm übel wurde.

Hybrida versuchte, am Ende des ersten Prozeßtages das letzte Wort zu haben. Beim Verlassen des Gerichtshofes packte er Caesar am Arm und hielt ihn fest.

»Wo hast du dieses traurige Gelichter aufgelesen?« fragte er mit der Miene betroffenen Erstaunens. »Dazu hast du sicherlich das halbe Reich durchstöbern müssen! Aber es wird nicht verfangen. Was sind sie denn anderes als eine Handvoll trostloser Mißgeburten! Sonst nichts! Erpicht darauf, statt der dürftigen griechischen Almosen, die sie bisher bekommenhaben, saftige römische Schadenersatzzahlungen einzustreichen!«

»Nur eine Handvoll?« erboste sich Caesar mit Donnerstimme. Der Lärm der sich zerstreuenden Menge ließ plötzlich nach; viele wandten sich um und warteten, was er sagen werde. »Sonst nichts? Gaius Antonius Hybrida, ich sage dir, einer allein wäre schon zuviel! Nur ein Opfer, ob Mann, Frau oder Kind, das in solcher Weise verstümmelt, das seiner Jugend, seiner Schönheit und seiner Würde als Menschenwesen beraubt wurde, ist schon eines zuviel. Scher dich fort!«

Gaius Antonius Hybrida ging heim, nicht ohne verstört festzustellen, daß seine Anwälte nicht geneigt waren, ihn zu begleiten. Sogar sein Bruder fand einen Vorwand, nicht den gleichen Weg gehen zu müssen. Dennoch war er nicht ganz allein; neben ihm ging ein kleiner, vierschrötiger Mann, der seit anderthalb Jahren dem Senat angehörte und sein Freund geworden war. Der Mann hieß Gaius Aelius Staienus und war stets auf der Suche nach mächtigen Bundesgenossen, nach Tischen, an denen er auf anderer Kosten prassen konnte, und vor allem nach Gelegenheiten, viel Geld zu verdienen. Er hatte im vorigen Jahr einiges von Pompeius’ Geld eingesteckt, als er unter Mamercus Quästor war und einen Aufstand angezettelt hatte — natürlich keinen häßlichen, blutigen Aufstand! Für ihn war alles wie am Schnürchen gelaufen, ohne daß der geringste Verdacht auf ihn gefallen wäre.

»Du wirst den Prozeß verlieren«, sagte er zu Hybrida, als sie dessen Villa auf dem Palatin betraten.

Hybrida war nicht in der Stimmung, darüber zu streiten. »Ich weiß.«

»Aber wäre ein Sieg nicht sehr verlockend?« fragte Staienus träumerisch. »Zweitausend Talente einzustreichen. Diese Summe winkt dem Sieger.«

»Wer redet von einstreichen, auftreiben muß ich sie, und das wird mich für mehr Jahre heillos überschulden, als ich noch zu leben habe.«

»Nicht unbedingt«, schnurrte Staienus einschmeichelnd. Er machte es sich in Hybridas Klientenstuhl bequem und schaute sich um. »Hast du noch etwas von dem Wein aus Chios übrig?«

Hybrida ging zu einer Konsole hinüber und schenkte aus einer Karaffe zwei Becher Wein ein, reichte einen seinem Gast und setzte sich ebenfalls. Er nahm einen tiefen Schluck und schaute dann Staienus an. »Du hast also noch ein Eisen im Feuer. Sprich dich aus.«

»Zweitausend Talente sind eine stattliche Summe. Aber tausend Talente sind auch eine ganze Menge.«

»Allerdings.« Hybridas kleiner Mund ging auf und ließ makellos weiße Zähne erkennen. »Ich bin kein Narr, Staienus. Wenn ich bereit bin, die zweitausend Talente mit dir halbe-halbe zu teilen, dann garantierst du mir, einen Freispruch zu erwirken. Ist es so gedacht?«

»Ja, genau so.«

»Dann bin ich einverstanden. Wenn du mir einen Freispruch garantierst, gehören tausend Talente von der Einlage der Griechen dir.«

»Die Sache ist ganz einfach«, sagte Staienus versonnen. »Eigentlich müßtest du dich bei Sulla bedanken, wenn er nicht schon tot wäre. Er hätte sicher nichts dagegen, daß du dich statt dessen bei mir bedankst.«

»Spanne mich nicht weiter auf die Folter, sondern rede endlich! «

»Ach ja, richtig. Ich habe vergessen, daß du lieber andere folterst, als selbst gepiesackt zu werden.« Wie viele unbedeutende Menschen, die plötzlich in hohe Stellungen aufrücken, konnte Staienus die Genugtuung nicht verhehlen, Macht auszuüben, wenn er damit auch in Kauf nahm, daß mit Prozeßende die Freundschaft mit Hybrida zu Ende war, wie wirkungsvoll auch sein juristischer Kniff sein mochte. Aber das war ihm einerlei. Tausend Talente waren Lohn genug, und im übrigen, was bedeutete schon die Freundschaft mit einer Kreatur wie Hybrida?

»Rede, Staienus, oder verschwinde!«

»Das ius auxilii ferendi«, sagte Staienus nur.

»Schön, was hat es damit auf sich?«

»Der ursprüngliche Zweck dieses Rechts der Volkstribunen — das einzige, das Sulla nicht angetastet hat — bestand darin, einen Angehörigen der Plebs aus den Händen eines Magistrats zu befreien.«

»Das ius auxilii ferendi!« rief Hybrida erstaunt. Seine schmollende Miene hellte sich für einen Augenblick auf, um sich dann gleich wieder zu verdüstern. »Das werden sie nie zulassen.«

»Sie müssen es.«

»Nicht Sicinius, nie und nimmer! Es braucht nur eine Gegenstimme im Geschworenenkollegium, und die anderen neun Volkstribunen sind machtlos. Dazu gibt sich Sicinius nicht her, Staienus. Der Mann ist eine rechte Plage, aber er ist unbestechlich.«

»Sicinius«, entgegnete Staienus freudig, »ist bei keinem seiner Kollegen beliebt. Er geht allen derart auf die Nerven, daß sie ihn nicht mehr ausstehen können. Tatsächlich habe ich erst vorgestern zwei Tribunen gehört, die damit drqhten, ihn vom Tarpejischen Felsen zu stürzen, wenn er nicht aufhöre, laut die alten Rechte der Volkstribunen zu fordern.«

»Du meinst also, man könnte Sicinius einschüchtern?«

»Ja, unbedingt. Allerdings mußt du dazu bis morgen eine beträchtliche Summe auftreiben, denn keiner seiner Kollegen wird mitmachen, wenn er nicht reichlich belohnt wird. Aber du wirst es schaffen, vor allem in Erwartung der tausend Talente, die bald hereinkommen.«

»Wieviel?«

»Neunmal fünfzigtausend Sesterzen, das macht insgesamt vierhundertfünfzigtausend. Geht das?«

»Ich kann es versuchen. Ich frage meinen Bruder, der möchte keinen Skandal in der Familie. Außerdem habe ich noch andere Quellen. Ja, Staienus, ich glaube, daß es geht.«

Damit war die Sache abgemacht. Gaius Aelius Staienus hatte an diesem Abend viel zu tun. Er hastete vom Haus eines Volkstribuns zum anderen: Marcus Atilius Bulbus, Manius Aquillius, Quintus Curius, Publius Popillius, bis er mit neun von ihnen einig geworden war. Zum Haus des zehnten, Gnaeus Sicinius, ging er nicht.

Die Fortsetzung des Prozesses war auf zwei Stunden nach Tagesanbruch festgesetzt. Schon vorher hatten sich dramatische Szenen abgespielt, so daß das begeisterte Publikum auf dem Forum Romanum an diesem Tag voll auf seine Kosten kommen sollte. In der Morgendämmerung rotteten sich die neun übrigen Volkstribunen zusammen und schleppten Gnaeus Sicinius gewaltsam auf den Kapitolhügel. Dort schlugen sie ihn grün und blau, hielten ihn über den steilabfallenden Tarpejischen Felsen und ließen ihn in den Abgrund blicken. Sie schärften ihm ein, seine Kampagne für die alten Rechte der Volkstribunen einzustellen, und nötigten ihm einen Eid ab, daß er sich fortan so verhalten werde, wie es seine Kollegen von ihm verlangten. Am Ende hatte man Sicinius auf einer Bahre heimgetragen.

Kaum hatte Cethegus den zweiten Sitzungstag des Prozesses gegen Hybrida eröffnet, da drängten neun Volkstribunen in Varro Lucullus’ Gerichtshof und empörten sich laut darüber, daß ein Angehöriger der Plebs gegen seinen Willen von einem Magistrat festgehalten werde.

»Ich appelliere an den Vorsitzenden, das ius auxilii ferendi anzuwenden!« rief Hybrida händeringend. «

»Marcus Terentius Varro Lucullus, wir sind von einem Vertreter der Plebs gebeten worden, das ius auxilii ferendi einzuklagen«, sagte Manius Aquillius. »Ich gebe dir hiermit kund, daß wir dem Gesuch entsprechen.«

Varro Lucullus sprang auf. »Das ist ein offenkundiger Mißbrauch!« entrüstete er sich. »Ich weigere mich, euch die Anwendung dieses Rechts zu erlauben. Wo ist der zehnte Volkstribun?«

»Er liegt schwerkrank daheim im Bett«, höhnte Manius Aquillius, »aber du kannst ihn gern holen lassen. Er wird nicht gegen uns stimmen.«

»Ihr brecht das Recht!« schrie Cethegus. »Ein schändlicher Frevel, ein unerhörter Skandal ist das! Wieviel hat euch Hybrida dafür gezahlt?«

»Laß Gaius Antonius Hybrida frei!« schrie Manius Aquillius ebenso laut, »oder wir ergreifen jeden, der sich unserem Recht widersetzt, und stürzen ihn vom Tarpejischen Felsen hinab!«

»Ihr behindert die Rechtsprechung!« sagte Varro Lucullus.

»Der Fall kann nicht in einem Magistratsgerichtshof entschieden werden, das weißt du genau, Varro Lucullus«, sagte Quintus Curius. »Ein Mann allein ist kein Gericht! Wenn du gegen Gaius Antonius vorgehen willst, mußt du seinen Fall vor dem Gerichtshof für Strafverfahren verhandeln, an dem das ius auxilii ferendi nicht gilt!«

Caesar stand die ganze Zeit bewegungslos da und versuchte gar nicht, Einspruch zu erheben. Seine Mandanten hatten zitternd hinter ihm Zuflucht gesucht. Mit versteinertem Gesicht sagte er ihnen leise: »Ich bin ein Patrizier, kein Magistrat. Wir müssen das weitere Verfahren dem praetor peregrinus überlassen. Erhebt also keine Einwände.«

»Nun gut, dann nehmt euren Angehörigen der Plebs mit!« beschied Varro Lucullus, eine Hand auf Cethegus’ Arm, um ihn zurückzuhalten.

Da meldete sich Gaius Antonius Hybrida aus der Mitte der neun streitsüchtigen Volkstribunen zu Wort. »Da ich den Prozeß gewonnen habe, will ich auch die sponsio, die Caesars warme griechische Freunde hinterlegt haben.«

Der Hinweis auf die warmen griechischen Freunde war eine bewußte Verleumdung, die Caesar schlagartig wieder den Schmerz ins Bewußtsein rief, den er über die Verdächtigungen wegen seiner Zeit bei König Nikomedes empfunden hatte. Ohne zu zögern stürmte er durch die Reihen der Volkstribunen und fuhr Hybrida mit beiden Händen an die Gurgel. Hybrida, der sich immer für einen Herkules gehalten hatte, konnte sich weder aus dem eisernen Griff befreien noch seines Angreifers habhaft werden. Nie hätte er solche Kräfte bei Caesar vermutet, hätte er sie nicht am eigenen Leib spüren müssen. Erst Varro Lucullus und seinen sechs Liktoren gelang es, Caesar von seinem Opfer zu lösen. Später wunderte sich mancher aus der Zuschauermenge, daß die neun Volkstribunen keine Anstalten gemacht hatten, Hybrida zu helfen.

»Die Klage ist abgewiesen«, schrie Varro Lucullus aus voller Kehle. »Ich, Marcus Terentius Varro Lucullus erkläre, daß die Voraussetzungen für die Hauptverhandlung nicht gegeben sind. Das Verfahren ist damit beendet! Kläger, nehmt eure sponsio zurück. Ihr anderen geht alle nach Hause!«

»Die sponsio gehört Gaius Antonius!« rief eine andere Stimme: Es war Gaius Aelius Staienus.

»Nein, sie gehört nicht Hybrida!« widersprach Cethegus. »Die Klage ist vom Prätor für Fremdenrecht abgewiesen worden, in dessen Zuständigkeit der Fall liegt. Die zweitausend Talente gehen an ihre Besitzer zurück, da keine sponsio gilt.«

»Nehmt jetzt endlich euren Angehörigen der Plebs und verlaßt meinen Gerichtshof!« fauchte Varro Lucullus die Volkstribunen an. »Schert euch weg! — Und laßt euch gesagt sein, daß ihr mit eurem skandalösen Mißbrauch dieser Institution der Sache des Volkstribunats keinen Dienst erwiesen habt! Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um euch ein für allemal einen Maulkorb zu verpassen!«

Die neun Tribunen gingen fort, hinter ihnen Staienus, der noch immer der entgangenen sponsio nachtrauerte, und Hybrida, der sich vorsichtig an die malträtierte Kehle langte.

Während die erregte Menge noch hin und her wogte, schauten sich Varro Lucullus und Caesar an.

»Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du dieses Ungeheuer ruhig erwürgen können, aber du wirst verstehen, daß ich es nicht zulassen konnte«, sagte Varro Lucullus.

»Ich verstehe«, erwiderte der noch immer vor Erregung bebende Caesar. »Ich dachte immer, ich sei ein beherrschter Mann! Ansonsten bin ich kein Heißsporn, aber ich konnte einfach nicht ertragen, daß mich solch ein Schurke wie Hybrida Päderast nennt.«

»Das leuchtet ein«, bemerkte Varro Lucullus trocken, denn er erinnerte sich daran, was sein Bruder zu diesem Thema gesagt hatte.

Auch Caesar erinnerte sich nun, wessen Bruder er hier gegenüberstand, sagte sich aber, daß Varro Lucullus durchaus zu einem selbständigen Urteil fähig war.

»Hat man schon soviel Bosheit gesehen?« empörte sich Cicero, der nun, da sich der Aufruhr gelegt hatte, ebenfalls hinzutrat. »Verlangt dieses Aas doch die sponsio, bei den Göttern!«

»Es braucht ein gerütteltes Maß an Bosheit«, sagte Caesar und deutete auf den verstümmelten Mann und seine Frau, »um Menschen so etwas anzutun.«

»Abscheulich!« rief Cicero und setzte sich auf die Stufen des Gerichtshofes.

Caesar wandte sich nun an Iphikrates, der unsicher von einem Fuß auf den anderen trat. »Nun, wenigstens haben wir die zweitausend Talente gerettet. Außerdem ist es uns gelungen, in Rom für allgemeine Empörung zu sorgen. Der Senat wird künftig sehr genau überlegen, welchen Mann er als Statthalter nach Mazedonien schickt. Geh nun in dein Gasthaus zurück und nimm diese unglücklichen Opfer mit. Ich bedaure nur, daß die Bürger ihrer Heimat weiterhin für sie aufkommen müssen. Aber ich hatte dich gewarnt.«

»Ich bedaure nur eins«, sagte Iphikrates, schon zum Gehen gewandt, »daß wir Gaius Antonius Hybrida nicht seiner gerechten Strafe haben zuführen können.«

»Sicher, wir haben es nicht geschafft, ihn finanziell zu ruinieren. Aber er muß Rom verlassen, und es wird eine ganze Weile dauern, bis er sich wieder in diese Stadt traut.«

»Glaubst du wirklich«, fragte Cicero, »daß Hybrida neun Volkstribunen bestochen hat?«

»Da bin ich ganz sicher!« schaltete sich der dabeistehende Cethegus ein, der sich immer noch nicht beruhigen konnte. »Abgesehen von Sicinius, obwohl ich den auch nicht in mein Herz geschlossen habe, sind die Volkstribunen dieses Jahres ein elendes Pack!«

»Wie sollten sie auch glänzende Tugenden haben?« fragte Caesar, schon wieder ganz gelassen. »Heutzutage ist in öffentlichen Ämtern kein Ruhm zu erwerben. Das ist eine Sackgasse.«

»Ich frage mich«, sagte Cicero, »wieviel Hybrida die neun Volkstribunen gekostet haben.«

Cethegus spitzte kennerisch die Lippen. »Etwa vierzigtausend jeder.«

Varro Lucullus’ Augen funkelten. »Du scheinst dir absolut sicher zu sein, Cethegus! Woher weißt du das?«

Der König der Hinterbänkler vergaß seinen Zorn. Dieses Aufbrausen paßte sowieso nicht zu seinem sonstigen Stil, wenn es auch, wie er behauptete, durchaus verzeihlich sei. Dann antwortete er mit hochgezogener Braue und der ihm eigenen gedehnten Aussprache. »Mein verehrter praetor peregrinus, was die Begehrlichkeiten der Senatoren betrifft, so gibt es für mich keine Geheimnisse. Für jeden Senator könnte ich dir auf den Sesterz genau die entsprechende Bestechungssumme angeben. Für das schäbige Volkstribunenpack sind es vierzigtausend für jeden.«

Eben diese Summe, so mußte Hybrida entdecken, hatte auch Gaius Aelius Staienus gezahlt; neunzigtausend Sesterzen hatte er in die eigene Tasche gesteckt.

»Heraus damit!« forderte der Mann, der seine Mitmenschen gern folterte und verstümmelte. »Gib das Zugeld heraus, Staienus, oder ich reiße dir eigenhändig die Augen aus! Ich bin jetzt schon dreihundertsechzigtausend Sesterzen los — du und deine zweitausend Talente!«

Doch Staienus ließ sich nicht beeindrucken. »Vergiß nicht«, sagte er boshaft grinsend, »daß es meine Idee war, auf das ius auxilii ferendi zurückzugreifen. Ich behalte die neunzigtausend. Du dagegen solltest den Göttern danken, daß du nicht dein ganzes Vermögen verloren hast.«

Das Aufsehen, das der abgesetzte Prozeß erregt hatte, legte sich allmählich, nicht ohne für einige nachhaltige Folgen zu sorgen. Eine davon war, daß das Kollegium der Volkstribunen dieses Jahres als das schändlichste überhaupt in die Annalen der politischen Geschichtsschreiber einging. Mazedonien blieb in der Hand verantwortlich handelnder — allerdings militärischer — Statthalter; Gnaeus Sicinius beschwor auf dem Forum nicht mehr die Rückkehr zu den alten Rechten der Volkstribunen; Caesars Ruhm als Anwalt wuchs weiter; Gaius Antonius Hybrida schließlich mied mehrere Jahre lang Rom und die Orte, wo Römer verkehrten. Er zog sich auf die Insel Cephallenia im Ionischen Meer zurück, wo er der einzige Zivilisierte — wenn er als solcher gelten konnte - unter lauter Barbaren war. Dort entdeckte er auch mehrere alte Grabhügel, die wahre Schätze bargen: erlesene verzierte Dolche, Masken aus purem Gold, Kannen aus Elektrum, Bergkristallschalen und Haufen von Edelsteinen. Der Wert dieser Schätze überstieg bei weitem zweitausend Talente. Mit ihnen hätte er sich das Konsulat nach seiner Heimkehr sichern können, selbst wenn er jede einzelne Stimme hätte kaufen müssen.

Kein Vorfall erregte im folgenden Jahr die Aufmerksamkeit Caesars, der in Rom blieb und sich mit großem Erfolg als Anwalt betätigte. Cicero war in diesem Jahr nicht in Rom. Nach der Wahl zum Quästor zog er bei der Verlosung der Amtssitze die Stadt Lilybaeum in Westsizilien, wo er unter dem Statthalter Sextus Peducaeus arbeiten sollte. Da er als Quästor nun Mitglied des Senats geworden war, nahm er in Kauf, Rom verlassen zu müssen, wenn er auch eher auf einen Einsatz innerhalb Italiens gehofft hatte. Er stürzte sich mit Begeisterung in die neue Arbeit, bei der es vor allem um die Getreideversorgung ging. Die Ernte war in diesem Jahr schlecht ausgefallen, doch die Konsuln hatten Vorkehrungen für den zu erwartenden Getreidemangel getroffen, indem sie große Mengen des noch in Sizilien gelagerten Getreides aufgekauft hatten. Diese Vorräte wurden nun in Rom dank einer vorsorglich erlassenen lex frumentaria billig verkauft.

Cicero liebte es wie jeder andere Literat auch, Briefe zu schreiben und zu erhalten. Schon lange vor seinem jetzigen, dem einunddreißigsten Lebensjahr war er ein eifriger Briefschreiber gewesen. Doch erst in seine Zeit in Sizilien fällt der Höhepunkt seiner Leidenschaft für das Briefeschreiben, die in einem ständigen Strom von Briefen zwischen ihm und dem gelehrten Plutokraten Titus Pomponius Atticus ihren Niederschlag fand. Dank Atticus blieb er auch in den Monaten seiner insularen Einsamkeit in Lilybaeum über das gesellschaftliche Leben in Rom stets auf dem laufenden.

So schrieb Atticus in einem Brief gegen Ende von Ciceros Zeit im fernen Sizilien:

Zu den befürchteten Hungeraufständen ist es dank Roms klugen Konsuln nicht gekommen. Ich hatte neulich eine Aussprache mit Gaius Cottas Bruder Marcus, dem designierten Konsul des nächsten Jahres. Warum, so fragte ich ihn, müssen in einem Volk, das von so klugen Männern regiert wird, die einfachen Leute in regelmäßigen Abständen immer noch von Hirse und Rüben leben? Es sei höchste Zeit, daß Rom gegen die privaten Getreideanbauer in Sizilien oder in unseren anderen Provinzen vorgehe und ihnen vorschreibe, ihre Ernte an den Staat zu verkaufen und nicht auf höhere Preise von den privaten Getreidegroßhändlern zu spekulieren, denn nur allzuoft werde das Getreide dann in Sizilien gehortet, wo es doch in Rom den Hunger der einfachen Leute stillen sollte. Ich könne dieses Horten, nur um einen höheren Gewinn zu erzielen, nicht billigen, wenn die Wohlfahrt eines Volkes, noch dazu eines so klugen, darunter leide. Marcus Cotta hörte mir aufmerksam zu und versprach, im kommenden Jahr entsprechende Schritte zu unternehmen. Da ich nicht im Getreidehandel spekuliere, kann ich mir diese patriotischen und altruistischen Gefühle leisten. Lach bitte nicht, Marcus Tullius.

Quintus Hortensius, der wohl am meisten von sich selbst eingenommene plebejische Ädil unserer Generation, hat glänzende Spiele veranstaltet und es sich nicht nehmen lassen, kostenlos Getreide an das Volk auszuteilen. Wenn sein Jahr gekommen ist, möchte er Konsul werden. Seitdem Du fern von Rom bist, tut er sich bei den Gerichten sehr hervor, wenn ihm auch der junge Caesar manchen Schrecken einjagt und ihm oft den Lorbeer stiehlt. Das ist ihm gar nicht recht, und neulich soll er gesagt haben, er wünsche sich auch Caesar aus Rom fort. Doch diese Sottisen sind nichts im Vergleich zu dem Bankett, das er anläßlich seiner Einsetzung als Augur gegeben hat. Er ließ gebratenen Pfau servieren. Du hast richtig gelesen: gebratenen Pfau. Die Vögel — sechs sollen es gewesen sein — waren zuerst gebraten und vorgeschnitten worden, dann richteten die Köche die Federn wieder her und ließen das Geflügel mit wippendem Kopfschmuck und ausgestellten Schwanzfedern auf goldenen Platten auftragen. Der Eindruck aufdie Gäste war so ungeheuer, daß andere renommierte Feinschmecker wie Cethegus, Philippus und der designierte Konsul Lucullus schon mit dem Gedanken spielten, Selbstmord zu begehen. Allerdings sorgte der Genuß des Bratens dann für Ernüchterung, denn ein alter Soldatenstiefel hätte — gut gekaut — besser gemundet.

Daß Appius Claudius Pulcher im letzten Jahr in Mazedonien gestorben ist, hat die Familie in eine wunderliche Lage gebracht. Sie waren noch nie vom Glück verfolgt. Zuerst nahm der Neffe Philippus als Zensor seinem Onkel Appius Claudius alles weg, dann hat dieser bei den Auktionen zur Zeit der Proskription nicht entschieden genug alles wieder aufgekauft. Darauf wurde er zu krank, um seine Provinz zu verwalten, und als er dann doch die Verwaltung seiner Provinz übernehmen konnte, hatte er zwar militärische Erfolge, aber starb zu früh, als daß er sein Vermögen hätte konsolidieren können.

Die sechs Kinder, die er hinterlassen hat, sind schrecklich, vor allem die jüngeren! Der älteste Sohn Appius Claudius entpuppt sich als gescheiter und unternehmungslustiger Mann. Kaum daß sein Vater ihm den Rücken gekehrt hatte, gab er das älteste Mädchen Claudia dem Quintus Marcius Rex zur Frau, obwohl sie über keine Mitgift verfügte. Ich glaube, Rex hat für sie tief in die Tasche greifen müssen. Wie alle weiblichen Mitglieder der Familie Claudius Pulcher war sie eine hinreißende Schönheit, und das hat wohl den Ausschlag gegeben. Rex wird es als ihrem Ehemann recht wohl ergehen, zumal von ihr gesagt wird, sie habe von allen drei Mädchen die besten Anlagen.

Die drei Jungen sind dagegen allesamt Sorgenkinder. Der jüngste, der sich selbst schlicht Publius Clodius nennt, ist so ungebärdig und abstoßend, daß ihn keiner adoptieren mag. Gaius Claudius, der mittlere, ist ein dummer Bursche, auch bei ihm verbietet sich eine Adoption. So muß der junge Appius Claudius, der gerade zwanzig geworden ist, nicht nur für seine eigene Karriere im Senat, sondern auch noch für die Laufbahn seiner beiden jüngeren Brüder aufkommen. Was Quintus Marcius Rex gezwungenermaßen zur Ausbildung der Söhne der Familie Claudius Pulcher beitragen mußte, dürfte kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen sein.

Allerdings stellte er sich erstaunlich geschickt an, lieber Marcus Tullius. Da er nur zu gutwußte, daß ihm jeder tata mit etwas Grips im Kopf einen Korb geben würde, schaute er sich nach einer reichen Braut um und hielt um wessen Hand an? — rate mal. Um keine andere als die trübselige alte Jungfer Servilia Gnaea! Du weißt, von wem ich spreche. Ohne Ironie kann man sagen, daß sie von Scaurus und Mamercus dazu angestellt worden war, Drusus’ sechs Waisen großzuziehen. Auch sie ohne Mitgift und die schrecklichste Mutter in Rom, eine Porcia Liciniana. .Scaurus und Mamercus sollen ihr eine Mitgift in Aussicht gestellt haben, die ihr zu dem Zeitpunkt ausgezahlt werde, zu dem Drusus’ Waisen die Volljährigkeit erreichen. Und das haben sie mittlerweile. Marcus Porcius Cato, der jüngste der Nachkommen, ist gerade achtzehn geworden, wohnt in seines Vaters Haus und hat seine Unabhängigkeit erklärt.

Als der zwanzigjährige Appius Claudius Pulcher um Servilia Gnaea warb, griff sie sofort zu. .Sie ist jetzt zweiunddreißig Jahre alt und durch und durch alte Jungfer. Allerdings glaube ich dem Gerücht nicht, wonach sie sich rasieren soll. Das macht nur ihre Mutter, wie jeder weiß. Das Beste an Appius Claudius’ Handel ist wohl, daß seine Schwiegermutter, die genannte Porcia Liciniana, sich in ein geräumiges Haus am Meer zurückgezogen hat, das Scaurus und Mamercus am gleichen Tag gekauft haben sollen, an dem sie die Tochter anstellten. Deshalb braucht Appius Claudius nun nicht mit seiner Schwiegermutter zusammenzuleben. Die zweihundert Talente kommen ihm sicherlich sehr gelegen.

Aber das Tollste kommt noch, Marcus. Appius Claudius hat es geschafft, Clodilla, die jüngste seiner Schwestern, mit keinem anderen als Lucullus zu verheiraten! Gerade fünfzehn soll sie sein — sagen er und Lucullus. Ich würde ihr eher vierzehn geben, aber ich kann mich täuschen. Eine glänzende Partie! Dank Sulla ist Lucullus unerhört reich geworden und verwaltet außerdem noch das Vermögen der Himmlischen Zwillinge. Damit will ich nicht etwa andeuten, unser rechtschaffener Lucullus könne Gelder von Faustus und Fausta veruntreuen, aber was hindert ihn daran, die

Zinsen in seine Tasche zu stecken?

Dem unternehmerischen Sinn dieses zwanzigjährigen Jünglings ist es also zuzuschreiben, daß sich die Vermögenslage der Familie Appius Claudius Pulcher dramatisch zum Besseren gewendet hat. Ganz Rom lacht über ihn, aber nicht ohne ihn insgeheim zu bewundern. Diesen Appius Claudius muß man im Auge behalten! Der vierzehnjährige Publius Clodius soll schon ein richtiger Schwerenöter sein, und sein großer Bruder zügelt ihn in keiner Weise. Er ist ein hübscher, frühreifer Junge und zu Streichen jeder Art aufgelegt. Ich glaube aber, daß er ein heller Kopf ist und sich daher mit der Zeit mäßigen und ein musterhafter patrizischer Römer wird.

Was kann ich Dir sonst noch berichten? Ach ja. Es ist kürzlich ans Licht gekommen, daß Gnaeus Sicinius jahrelang bei Crassus tief verschuldet war. Die Römer erfuhren davon, weil Sicinius ruiniert ist und Crassus nicht das Geld zurückzahlen kann. Ich wußte gar nicht, daß Crassus Geld geliehen hat, aber ihm ist nichts vorzuwerfen. Er leiht nur Senatoren Geld und erhebt keine Zinsen. Das ist seine Art, sich Klienten unter den Senatoren zu schaffen. Ich werde Freund Crassus beobachten lassen. Leihe Dir auf keinen Fall Geld von ihm, Marcus! Zinsfreie Kredite sind eine große Versuchung, aber Crassus fordert sein Geld zurück, wann es ihm gerade paßt, ohne jede Vorwarnung und ohne weitere Stundung. Wer nicht zahlen kann, ist ein ruinierter Mann. Und die Zensoren, wenn wir welche hätten, könnten nichts für ihn tun, denn er verlangt ja keine Zinsen. Kurz und gut: Er kann nicht des Wuchers geziehen werden, er ist nur ein grundehrlicher netter Kerl, der seinen .Senatorenfreunden ein wenig mit Geld aushilft. Das mag für heute genügen. Terentia ist wohlauf, ebenso die kleine Tullia. Was für ein hübsches Kind Deine Tochter doch ist! Dein Bruder hat sich nicht verändert. Ich wünschte mir sehr, er würde besser mit meiner Schwester auskommen. Aber in dieser Hinsicht haben wir beide wohl keine große Hoffnung mehr. Pomponia ist ein Drachen und Quintus ein Landadliger von altem Schrot und Korn: dickköpfig, genügsam und stolz, und er läßt sich in seinem Haus von niemandem dreinreden.

Lebe wohl. Ich schreibe Dir noch, ehe ich Rom verlasse und zurück nach Epirus gehe, wo meine Rinderzucht floriert. Für Schafhaltung ist die Gegend zu naß, die Zehen der Tiere bekämen die Fäule. Alle haben sich jetzt so sehr auf die Wollerzeugung verlegt, daß sie ganz vergessen, wieviel Rindsleder in der Welt gebraucht wird. Rinderzucht wird als Geldanlage unterschätzt.

Gegen Ende des Sextilis erhielt Caesar eine Eilbotschaft aus Bithynien. König Nikomedes lag im Sterben und wünschte ihn noch einmal zu sehen. Caesar kam diesem Ruf gern nach, zumal ihm in Rom allmählich die Luft zum Atmen ausging und die Arbeit bei Gericht in Routine versank. Zwar war die Nachricht nicht erfreulich, aber man hatte mit ihr rechnen müssen. Noch am gleichen Tag, an dem er Oradaltis’ Brief erhalten hatte, machte er sich reisefertig.

Burgundus würde ihn wie immer begleiten; auch Demetrius, der sein Körperhaar auszupfte, war mit von der Partie, und der Spartaner Brasidas, der seine Bürgerkronen aus Eichenlaub flocht. Caesar reiste diesmal mit größerem Gefolge als früher, denn seiner bedeutenderen Stellung gemäß hatte er nun einen Sekretär, mehrere Schreiber, Leibdiener und eine kleine Schar Freigelassener bei sich. So leistete er sich das teure Vergnügen, mit einem zwanzigköpfigen Gefolge in den Osten aufzubrechen. Er war nun fünfundzwanzig Jahre alt und seit fünf Jahren Senator.

»Glaubt ja nicht«, sagte Burgundus zu denen, die zum erstenmal dabeiwaren, »daß eine Reise mit Caesar das reine Vergnügen ist. Wenn Gaius Julius unterwegs ist, kennt er weder Rast noch Ruhe!«