Einen Monat später teilte Cicero dem Stadtprätor Lucius Cotta mit, daß er Gaius Verres im Namen der sizilischen Städte wegen Erpressung verklagen werde, und zwar auf eine Summe von zwei- undvierzigeinhalb Millionen Sesterzen und auf Rückgabe sämtlicher Kunstwerke und Wertsachen, die er aus den Tempeln Siziliens geraubt und seinen Bürgern gestohlen hatte.

Gaius Verres war nach seiner Rückkehr aus Sizilien triumphierend durch die Stadt stolziert, völlig sicher, daß ihn seine Position als Schwager von Metellus dem Zicklein vor jeder Strafverfolgung schützte. Trotzdem geriet er in Panik, als er hörte, daß ausgerechnet Cicero, der sonst nie als Ankläger fungierte, ein Verfahren gegen ihn angemeldet hatte. Er benachrichtigte sofort seinen Schwager Lucius Metellus, den Statthalter von Sizilien, und bat ihn, alle Beweise zu beseitigen, die er selbst vielleicht übersehen hatte, als er seinen Raub von der Insel abtransportiert hatte. Bezeichnenderweise hatten sich weder Syrakus noch Messana der Klage der anderen Städte angeschlossen; sie hatten Verres geholfen und ihren Teil von dem Ertrag seiner Schandtaten kassiert. Welch ein Glück, daß der neue Statthalter der zweitälteste Bruder seiner Frau war!

Die beiden in Rom verbliebenen Brüder, Quintus das Zicklein, der mit Sicherheit nächstes Jahr Konsul sein würde, und Marcus, der jüngste der drei Söhne des Metellus Caprarius, besprachen sich hastig mit Verres, um die Katastrophe eines Prozesses abzuwenden. Sie kamen überein, Quintus Hortensius mit dem Fall zu beauftragen. Er würde die Verteidigung leiten, falls die Sache wirklich vor Gericht kam. Zunächst aber sollte er eine Strategie entwickeln, den Prozeß überhaupt zu verhindern oder wenigstens Cicero als Ankläger auszuschalten.

Hortensius reichte im März eine Beschwerde beim Stadtprätor ein: Cicero sei nicht der richtige Mann, um die Anklage gegen Gaius Verres zu führen. Statt Cicero schlug er Quintus Caecilius Niger als Ankläger vor, einen Verwandten der Zicklein-Meteller, der Verres als Quästor gedient hatte, als dieser das zweite Jahr sizilischer Statthalter war. Der einzige Weg, auf dem Ciceros Eignung als Ankläger geprüft werden konnte, war eine spezielle Anhörung, die man als divinatio oder Vermutung bezeichnete. Bei einer solchen Anhörung mußten die Richter zu einer Entscheidung kommen, ohne daß harte Beweise vorgelegt wurden, sie konnten also nur vermuten, wer der geeignete Anklagevertreter war. Die in Frage kommenden Ankläger mußten den Richtern erklären, warum sie als Anklagevertreter am besten geeignet waren. Caecilius Niger vertrat seine Sache jedoch schlecht, und so entschieden die Richter für Cicero und ordneten an, daß das Verfahren bald zu eröffnen sei.

Verres, die beiden Zicklein-Meteller und Hortensius mußten sich etwas Neues einfallen lassen.

»Du wirst nächstes Jahr Prätor, Marcus«, sagte der große Rechtsanwalt zum jüngsten der Brüder. »Also werden wir sicherstellen, daß das Los auf dich fällt, wenn es um den Vorsitz beim Gericht für Erpressungsfälle geht. Der diesjährige Vorsitzende Glabrio verabscheut dich, Gaius Verres. Er wird nicht zulassen, daß auch nur der geringste Korruptionsverdacht auf sein Gericht fällt, und sei es nur, weil er dich haßt. Das heißt, wenn der Prozeß dieses Jahr stattfindet und Glabrio den Vorsitz führt, haben wir keine Chance, Geschworene zu bestechen. Und vergeßt nicht, daß Lucius Cotta dieses Jahr jedes wichtige Geschworenengericht beobachtet wie eine Katze die Maus. Da der Prozeß viel Aufmerksamkeit erregen wird, glaube ich, daß Cotta sich sein Urteil über die Tauglichkeit der nur aus Senatoren zusammengesetzten Geschworenengerichte weitgehend aufgrund seines Verlaufs bilden wird. Auch die diesjährigen Konsuln Pompeius und Crassus mögen uns überhaupt nicht!«

»Du willst damit sagen«, sagte Gaius Verres, »daß wir mein Verfahren bis nächstes Jahr verschleppen müssen, weil dann Marcus Vorsitzender des Gerichts für Erpressungsfälle wird.«

»Genau«, sagte Hortensius. »Quintus Metellus und ich sind nächstes Jahr Konsuln — ein großer Vorteil! Wir können dann mit Leichtigkeit das Losverfahren manipulieren, damit Marcus den Vorsitz bekommt, und gleichgültig, ob die Gerichte des nächsten Jahres mit Senatoren oder Rittern besetzt sind — wir werden sie bestechen!«

»Aber wir haben erst April«, sagte Verres bedrückt. »Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir das Verfahren bis zum Jahresende verzögern könnten.«

»Doch, das können wir«, sagte Hortensius zuversichtlich. »In Fällen wie diesem, wo die Beweise in großer Entfernung von Rom gesammelt werden müssen, und das in einem so großen Land wie Sizilien, braucht jeder Ankläger sechs bis acht Monate, um seinen Prozeß vorzubereiten. Ich weiß, daß Cicero noch nicht einmal begonnen hat, denn er ist noch immer in Rom und hat auch noch keine Agenten nach Sizilien geschickt. Er hofft natürlich, daß er rasch Beweise und Zeugen auftreiben kann, aber da wird ihm Lucius Metellus einen Strich durch die Rechnung machen. Er ist Statthalter von Sizilien und wird Cicero oder seinen Agenten jeden erdenklichen Knüppel zwischen die Beine werfen.«

Hortensius strahlte. »Ich sage voraus, daß Cicero das Verfahren frühestens im Oktober eröffnen kann. Natürlich hätte er auch dann noch genug Zeit für einen Prozeß. Doch wir werden ihn nicht stattfinden lassen! Wir beantragen nämlich, daß Glabrios Gericht vor deinem Fall einen anderen verhandelt, Verres. Das Opfer muß jemand sein, der eine Menge hieb- und stichfester Beweise hinterlassen hat, die wir schnell zusammentragen können. Irgendein armer Idiot, der ein paar kleine Unterschlagungen auf dem Kerbholz hat, kein so großer Fisch wie ein Provinzstatthalter. Wir sollten uns den Präfekten eines Verwaltungsbezirks aussuchen, beispielsweise in Griechenland. Ich habe da schon ein Opfer im Auge. Bis Ende des Monats Quinctilis haben wir genügend Beweise, um den Stadtprätor zufriedenzustellen. Cicero kann bis zu diesem Zeitpunkt unmöglich prozeßbereit sein. Aber wir werden es sein!«

»Wen hast du denn als Opfer vorgesehen?« fragte Metellus das Zicklein erleichtert.

»Ich hatte an Quintus Curtius gedacht«, sagte Hortensius. »Er war Varro Lucullus’ Legat und Präfekt von Achaia, als Varro Statthalter von Mazedonien war. Wenn Varro nicht vollauf damit beschäftigt gewesen wäre, die Besser in Thrakien zu unterwerfen und mit dem Boot die Donau bis zum Meer hinunterzufahren, hätte er selbst dafür gesorgt, daß Curtius angeklagt wurde. Als er jedoch zurückkehrte und von Curtius’ kleinen Unterschlagungen erfuhr, hielt er den Zeitpunkt für zu spät und die Sache für zu unbedeutend, um noch ein Verfahren einzuleiten. Die Beweise sind jedoch vorhanden. Wir brauchen sie nur zusammenzutragen, und Varro Lucullus wird uns mit Vergnügen helfen, unseren kleinen Fisch an Land zu ziehen. Ich beantrage sofort beim Stadtprätor, das Verfahren gegen Quintus Curtius noch dieses Jahr zu eröffnen.«

»Dann gibt Lucius Cotta Glabrio die Anweisung, dasjenige Verfahren zuerst zu eröffnen, das zuerst vorbereitet ist«, sagte Verres eifrig. »Und das wird, wie du sagst, der Fall Curtius sein. Wenn der Prozeß erst einmal eröffnet ist, kannst du ihn leicht bis zum Ende des Jahres verschleppen! Cicero wird mit seinem Prozeß warten müssen. Das ist genial, Quintus Hortensius, einfach genial!«

»Ja«, sagte Hortensius selbstgefällig, »ich glaube, meine Idee ist nicht schlecht.«

»Cicero wird schäumen vor Wut«, sagte Metellus.

»Es wäre mir ein Hochgenuß, das zu erleben!« sagte Hortensius.

Sie mußten letztlich doch auf den Genuß verzichten. Als Cicero hörte, daß Hortensius gegen einen früheren Präfekten von Achaia ein Verfahren vor dem Gericht für Erpressungsfälle angemeldet hatte, wußte er sofort, was Hortensius bezweckte. Er war entsetzt, und dann fiel er in eine rabenschwarze Depression.

Sein geliebter Vetter Lucius Cicero war aus Arpinum zu Besuch gekommen und sah sofort, wie verstört Cicero war. »Was ist los?« fragte er.

»Hortensius! Er will einen anderen Fall vor das Gericht bringen, bevor ich die Beweise gegen Gaius Verres beisammen habe.« Cicero ließ sich entmutigt auf seinen Stuhl sinken. »Unser Prozeß wird sich bis ins nächste Jahr hinziehen, und ich würde mein ganzes Vermögen darauf wetten, daß die Zicklein-Meteller und Hortensius bereits einen Weg ausgebrütet haben, wie sie Marcus dem Zicklein die Zuständigkeit für den Gerichtshof für Erpressungsfälle zuschanzen können, wenn er nächstes Jahr Prätor ist.«

»Dann wird Gaius Verres freigesprochen«, sagte Lucius Cicero.

»Todsicher!«

»Also mußt du dein Beweismaterial zuerst beisammen haben«, sagte Lucius.

»Bevor der Quinctilis zu Ende ist? Das ist der Termin, den unser Freund Hortensius beim Stadtprätor beantragt hat. Bis dahin schaffe ich es nie! Sizilien ist riesig, und Verres’ Schwager ist Statthalter dort. Er wird mich in jeder Hinsicht behindern. Ich kann es nicht schaffen, Lucius! Nie und nimmer!«

»Natürlich kannst du!« sagte Lucius Cicero energisch und sprang auf. »Mein lieber Marcus Tullius, niemand kann mit deiner Effektivität und deinem Organisationstalent wetteifern, wenn du dich in einen Fall verbissen hast. Du gehst ungemein planmäßig, logisch und methodisch vor. Du kennst Sizilien in- und auswendig, und du hast Freunde dort, von denen viele unter diesem schrecklichen Verres gelitten haben. Der Statthalter wird dich natürlich behindern, wo es nur geht, aber Verres’ Opfer werden dir mit allen Mitteln helfen. Wir haben jetzt Ende April. In zwei Marktwochen mußt du deine Angelegenheiten in Rom erledigt haben. Inzwischen suche ich ein Schiff, das uns nach Sizilien bringt, und Mitte Mai fahren wir beide nach Sizilien. Du schaffst es, Marcus Tullius. Ich weiß, daß du es schaffst!«

»Würdest du wirklich mit mir kommen, Lucius?« fragte Cicero, und sein Gesicht hellte sich auf. »Du würdest mir eine unschätzbare Hilfe sein.« Ciceros angeborene Begeisterungsfähigkeit kam wieder zum Durchbruch. Plötzlich schien die Aufgabe gar nicht mehr so unlösbar. »Ich muß unbedingt meine Klienten aufsuchen. Ich habe nicht genug Geld, um schnelle Schiffe zu mieten und auf einem zweirädrigen Einspänner durch Sizilien zu jagen.« Er hieb mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Beim Jupiter, ich bin richtig scharf auf die Reise, Lucius. Und sei es nur, weil ich mich auf das Gesicht freue, das Hortensius machen wird!«

»Dann laß uns losfahren!« Lucius grinste. »Fünfzig Tage von Rom nach Rom, mehr Zeit haben wir nicht. Zehn Tage für den Weg und vierzig Tage, um Beweismaterial zu sammeln.«

Und so begab sich Lucius Cicero in die Porticus Aemilia am Hafen von Rom, um mit den Agenten der Schiffseigner zu verhandeln. Marcus Tullius Cicero aber ging zu dem Haus auf dem Quirinal, wo er seine Mandanten untergebracht hatte.

Er kannte ihren Sprecher gut. Hiero von Lilybaeum war der Ethnarch der wichtigen westsizilischen Hafenstadt Lilybaeum gewesen, als Cicero dort als Quästor gedient hatte.

»Mein Vetter Lucius und ich«, erklärte Cicero, »müssen all unser sizilisches Beweismaterial in nur fünfzig Tagen zusammentragen, damit ich euren Fall vor dem des Hortensius vor Gericht bringen kann. Wir können es schaffen — aber nur, wenn ihr bereit seid, die Kosten zu tragen.« Cicero errötete. »Ich bin kein reicher Mann, Hiero, und ich kann mir schnelle Transportmittel nicht leisten. Vielleicht muß ich auch Leute für Informationen oder Gegenstände bezahlen, die ich brauche, und ich werde auf jeden Fall Zeugen mit nach Rom nehmen müssen.«

Hiero hatte Cicero immer gemocht und bewundert. Seine Zeit in Lilybaeum war ein Vergnügen für jeden sizilischen Griechen gewesen, der mit dem römischen Quästor zu tun hatte. Cicero war schnell, genial und ideenreich, wenn es um Buchführung oder Steuerprobleme ging, er war ein hervorragender Verwaltungsbeamter. Vor allem aber hatten ihn die Leute wegen einer ausgesprochen seltenen Eigenschaft geliebt und bewundert — er war ein ehrlicher Mann.

»Wir schießen dir gerne vor, was du brauchst, Marcus Tullius«, sagte Hiero. »Aber vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, über dein Honorar zu sprechen. Wir können dir praktisch nur Bargeld geben, und es ist mir bewußt, daß römische Rechtsanwälte nur ungern Bargeld annehmen, weil das für die Zensoren zu leicht nachzuweisen ist. Ich weiß, daß Kunstwerke und ähnliches die üblichen Geschenke sind, aber es ist uns nichts geblieben, das deiner wert wäre.«

»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen!« sagte Cicero freundlich. »Ich weiß genau, was ich als Honorar haben will. Ich beabsichtige nächstes Jahr als plebejischer Ädil zu kandidieren. Meine Spiele werden ganz ordentlich ausfallen, aber mit den wirklich reichen Männern, die normalerweise Ädilen sind, kann ich nicht konkurrieren. Ich kann mich jedoch ziemlich beliebt machen, wenn ich billiges Getreide verteile. Bezahlt mich in Getreide, Hiero — es ist die einzige Art von Gold, die jedes Jahr von neuem aus der Erde sprießt. Ich kaufe es mit dem Gehalt, das ich als Ädil bekomme, aber damit kann ich nicht mehr als zwei Sesterzen pro Scheffel bezahlen. Wenn ihr mir zu diesem Preis Getreide in der erforderlichen Menge verkauft, dann verlange ich kein anderes Honorar. Vorausgesetzt natürlich, ich gewinne euren Prozeß.«

»Abgemacht!« sagte Hiero ohne Zögern und machte sich daran, eine Zahlungsanweisung für seine Bank zu schreiben, die sich auf zehn Talente belief und auf Ciceros Namen lautete.

Marcus und Lucius Cicero waren genau fünfzig Tage unterwegs, in denen sie unermüdlich Beweise und Zeugen sammelten. Der Statthalter von Sizilien, verschiedene Piraten, die Magistrate von Syrakus und Messana und einige römische Steuerpächter versuchten zwar, ihre Arbeit zu behindern. Weit mehr Leute hatten jedoch großes Interesse daran, ihnen zu helfen, und einige von ihnen waren sehr einflußreich. Während die Bücher des Quästors von Syrakus entweder verschwunden oder lückenhaft waren, erwiesen sich die von Lilybaeum als eine wahre Goldgrube an Beweisen. Buchhalter und Kaufleute meldeten sich als Zeugen, von den Getreidebauern ganz zu schweigen. Und schließlich hatte Cicero auch noch Glück: Als es Zeit für die Rückreise wurde und ihm von den fünfzig Tagen nur noch vier geblieben waren, war das Wetter so gut, daß er mit Lucius und allen Zeugen die Reise nach Ostia in einem leichten, offenen Boot machen konnte. Sie trafen am letzten Tag des Juni in Rom ein, und Cicero hatte noch einen ganzen Monat, um den Prozeß vorzubereiten.

Im Lauf dieses Monats arbeitete Cicero nicht nur an dem Fall, sondern kandidierte auch als plebejischer Ädil. Wie er das alles bewältigte, war ihm hinterher ein Rätsel. Tatsächlich aber funktionierte Cicero nie besser, als wenn sein Schreibtisch so mit Arbeit überhäuft war, daß ihm die Papierstapel fast die Sicht versperrten. Er traf seine Entscheidungen wie der Blitz, und alles paßte zusammen: Die silberne Zunge und die goldene Stimme produzierten mühelos Witz und Weisheit; der ansehnliche Kopf, der so massiv und knollig auf seinen Schultern saß, erschien jedem Betrachter als vornehm; und die eindrucksvolle Persönlichkeit, die sich manchmal in der dunkelsten Ecke seines komplizierten Charakters verbarg, war unübersehbar. Im Laufe dieses einen Monats entwickelte Cicero sogar eine neue Methode der Prozeßführung, eine Technik, mit der er etwas erreichte, das im römischen Rechtswesen noch nie dagewesen war: Es gelang ihm, den Geschworenen so schnell und wirkungsvoll eine überwältigende Menge an hiebund stichfesten Beweisen vorzulegen, daß die Verteidigung chancenlos war.

Daß Cicero so bald aus Sizilien zurückkehrte, verschlug Hortensius den Atem, besonders da er selbst unerwartete Schwierigkeiten hatte, das Verfahren gegen den unglücklichen Quintus Curtius auf die Beine zu stellen. Nachdem er in Ruhe darüber nachgedacht hatte, war er jedoch davon überzeugt, daß Cicero bluffte. Er konnte seinen Fall frühestens im September vorbereitet haben!

Auch hatte Cicero nach seiner Rückkehr feststellen müssen, daß in Rom keineswegs alles zum besten stand. Metellus das Zicklein und sein jüngster Bruder hatten bei Ciceros Mandanten ganze Arbeit geleistet. Sie waren inzwischen der festen Überzeugung, daß Cicero das Interesse an ihrem Fall verloren hatte. Denn die Zicklein-Meteller hatten über sorgfältig ausgewählte Agenten das Gerücht verbreitet, Cicero habe sich von Verres mit einer riesigen Summe bestechen lassen. Cicero mußte mehrere Gespräche mit Hiero und seinen Kollegen führen, bis er wußte, warum sie plötzlich völlig verstört waren. Als er es jedoch herausgefunden hatte, fiel es ihm nicht schwer, ihre Furcht zu zerstreuen.

Im Monat Quinctilis fanden drei verschiedene Wahlen statt, wobei zunächst die kurulischen Amtsträger von den Zenturiatskomitien gewählt wurden. Das Ergebnis war für Cicero wenig erfreulich: Hortensius und Metellus das Zicklein wurden Konsuln, und Marcus das Zicklein konnte sich als Prätor durchsetzen. Danach waren die Tribuskomitien zur Wahl aufgerufen, wobei die Tatsache, daß sie Caesar mit der höchsten Stimmenzahl zum Quästor wählten, Cicero kaum ins Bewußtsein drang. Schließlich, am siebenundzwanzigsten Tag des Quinctilis, wählte auch die Versammlung der Plebs, und Cicero wurde zusammen mit einem gewissen Marcus Caesonius zum plebejischen Ädil gekürt. Cicero und Caesonius hatten das Gefühl, gut zusammenarbeiten zu können, und Cicero gefiel es besonders, daß sein Kollege ein wirklich reicher Mann war.

Dank der amtierenden Konsuln Pompeius und Crassus fanden in Rom diesen Sommer so viele wichtige Ereignisse statt, daß die Wahlen kein großes Aufsehen erregten. Die Wahlleiter und der Senat wollten dieses Jahr alles, was mit den Wahlen zu tun hatte, möglichst schnell hinter sich bringen. Deshalb wurden schon am Tag nach der letzten Wahlversammlung die Lose gezogen, die den Staatsbeamten für das nächste Jahr ihre Tätigkeitsbereiche zuwiesen. Niemand war überrascht, als das Los wie durch ein Wunder Marcus dem Zicklein den Vorsitz im Gericht für Erpressungsfälle bescherte. Damit war alles vorbereitet, um Gaius Verres zu Beginn des nächsten Jahres den Freispruch zu sichern.

Am letzten Tag des Quinctilis schlug Cicero zu. Da keine Versammlungen der Komitien anberaumt waren, war der Gerichtshof des Stadtprätors offen, und Lucius Aurelius Cotta war persönlich anwesend. Cicero marschierte mit seinen Mandanten im Schlepptau schnurstracks auf ihn zu, verkündete, daß er den Prozeß gegen Gaius Verres komplett vorbereitet habe, und bat Lucius Cotta zusammen mit Manius Acilius Glabrio, dem Vorsitzenden des Gerichtshofs für Erpressungsfälle, einen passenden Termin für das Verfahren festzusetzen, damit es sobald wie möglich beginnen könne.

Alle Senatoren hatten das Duell zwischen Cicero und Hortensius mit Spannung verfolgt. Die Anhänger der Familie Caecilius Metellus stellten nur eine Minderheit im Senat, und weder Lucius Cotta noch Glabrio gehörten zu ihnen; tatsächlich wären die meisten eingeschriebenen Väter durchaus glücklich gewesen, wenn Cicero das ausgeklügelte Verteidigungssystem überwunden hätte, das Hortensius und die Zicklein-Meteller für Verres aufgebaut hatten. Lucius Cotta und Glabrio waren daher entzückt, Cicero mit dem nächstmöglichen Termin dienen zu können.

Die ersten beiden Tage des Sextilis waren feriae, an denen keine Strafprozesse stattfinden durften, und am dritten Tag fand die Prozession der gekreuzigten Hunde statt. Als die Gallier vierhundert Jahre zuvor in Rom einmarschiert waren und das Kapitol als Brückenkopf besetzen wollten, schlugen die Wachhunde nicht an. Nur das Schnattern der heiligen Gänse hatte den Konsul Marcus Manlius geweckt und es ihm ermöglicht, den gallischen Angriff abzuschlagen. Seit jener Nacht formierte sich in der Arena des Circus Maximus jedes Jahr ein feierlicher Zug: Neun Hunde wurden an Kreuze aus Holunderholz genagelt, und eine Gans wurde mit Blumen bekränzt auf einer purpurnen Sänfte im Zug mitgetragen, um der Feigheit der Hunde und des Heldentums der Gänse zu gedenken. Der Tag war schlecht geeignet für einen Strafprozeß, denn der Hund galt als ein Tier der Unterwelt.

So wurde der Prozeßbeginn auf den fünften Tag des Sextilis gelegt, inmitten einer Stadt, die trotz der drückenden Sommerhitze von Besuchern überquoll und begierig der Genüsse harrte, die Pompeius und Crassus für sie vorbereitet hatten. Trotzdem nahm niemand an, daß der Prozeß gegen Gaius Verres unter Zuschauermangel leiden werde, selbst wenn das Verfahren mit Crassus’ öffentlichem Festessen und den Siegesspielen des Pompeius würde wetteifern müssen.

Sulla hatte für seine neuen ständigen Gerichtshöfe die Verfahrensregeln von Gaius Servilius Glaucia im wesentlichen beibehalten, aber beträchtlich verfeinert, was sich nachteilig auf die Dauer der Verfahren auswirkte. Jeder Prozeß gliederte sich in zwei Teile, die actio prima und die actio secunda. Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil mußte eine Frist von einigen Tagen liegen, die der Vorsitzende des Gerichts auf Wunsch, jedoch beliebig verlängern konnte.

Die actio prima bestand aus einer langen Rede des Chefanklägers, der eine ähnlich lange Rede des Hauptverteidigers folgte. Danach hielten die anderen Anwälte der Anklage und der Verteidigung abwechselnd weitere lange Reden, bis sämtliche Vertreter beider Seiten zu Wort gekommen waren. Danach wurden die Zeugen der Anklage vernommen, wobei die Verteidigung jeden einzelnen ins Kreuzverhör nahm und ihn die Anklage wenn nötig erneut in den Zeugenstand rufen konnte. Wenn eine der beiden Parteien das Verfahren verzögern wollte, konnte die Zeugeneinvernahme sehr lange dauern. Danach wurden die Zeugen der Verteidigung aufgerufen, wobei die Anklage jeden einzelnen ins Kreuzverhör nahm und die Verteidigung deren Zeugen wenn nötig erneut vernehmen konnte. Es folgte eine lange Debatte zwischen dem Chefankläger und dem Hauptverteidiger; solche Debatten waren auch zwischen einzelnen Zeugen möglich, wenn eine der Parteien es wünschte. Die actio prima war beendet, wenn der Hauptverteidiger seine letzte Rede gehalten hatte.

Die actio secunda war im Prinzip eine Wiederholung der actio prima. Allerdings wurden dabei nicht immer Zeugen aufgerufen. In diesem zweiten Teil wurden die größten und leidenschaftlichsten Reden gehalten, denn nach den Schlußplädoyers der Anklage und der Verteidigung mußten die Geschworenen ihr Urteil sprechen. Sie hatten keine Zeit, das Urteil zu diskutieren, entschieden also, während sie das Schlußplädoyer des Hauptverteidigers noch in den Ohren hatten. Dies war der Hauptgrund, warum Cicero gerne verteidigte und es haßte anzuklagen.

Mittlerweile wußte er jedoch, wie er das Verfahren gegen Verres gewinnen konnte, vorausgesetzt, daß sich der Vorsitzende des Gerichts entgegenkommend verhielt.

»Prätor Manius Acilius Glabrio, Vorsitzender dieses Gerichts, ich möchte meinen Prozeß etwas anders führen als üblich«, begann Cicero. »Was ich vorschlage, ist jedoch keineswegs illegal. Es ist nur neu. Der Grund meines Vorschlags liegt in der außerordentlich großen Zahl von Zeugen, die ich aufrufen werde, und in der ebenso großen Anzahl verschiedenartiger Vergehen, deren sich der Angeklagte Gaius Verres schuldig gemacht hat. Ist der Vorsitzende gewillt, eine kurze Skizze meines Vorschlags anzuhören?«

Hortensius stürmte nach vorne. »Was soll das? Was geht hier vor?« protestierte er. »Ich frage noch einmal. Was sind das für Neuerungen? Der Prozeß gegen Gaius Verres muß auf die übliche Art durchgeführt werden. Darauf bestehe ich!«

»Ich werde mir anhören, was Cicero vorzuschlagen hat«, sagte Glabrio, »und zwar ohne Unterbrechungen«, fügte er sanft hinzu.

»Ich möchte gerne all die langen Reden vermeiden«, begann Cicero, »und ich möchte mich jeweils auf eine bestimmte Art von Vergehen konzentrieren. Die Untaten von Gaius Verres sind so zahlreich und so verschieden, daß es den Geschworenen sehr schwerfallen wird, sie alle getrennt im Kopf zu behalten. Indem ich jede Kategorie von Verbrechen einzeln behandle, will ich dem Gericht helfen, den Überblick zu behalten, das ist alles. Ich schlage deshalb vor, daß ich jeweils ein Verbrechen kurz skizziere und dann alle Zeugen und Beweise präsentiere, die mit dem betreffenden Verbrechen zu tun haben. Wie man sieht, habe ich die Absicht, allein zu arbeiten — ich habe keinen einzigen assistierenden Anwalt mitgebracht. In der actio prima dieses Verfahrens sollte weder die Anklage noch die Verteidigung lange Reden halten. Sie würden nur die kostbare Zeit des Gerichts verschwenden, besonders in Anbetracht der Tatsache, daß es dieses Jahr noch mindestens einen weiteren Fall zu verhandeln hat — den des Quintus Curtius. Ich schlage daher vor, all die langen Reden für die actio secunda aufzusparen. Die Geschworenen werden erst nach den großartigen Reden der actio secunda ihr Urteil sprechen. Ich sehe keinen Grund, warum mein Kollege Quintus Hortensius etwas gegen einen Vorschlag einwenden sollte, der es den Geschworenen ermöglicht, in der actio secunda leidenschaftliche Reden zu hören, die den Reiz des Neuen haben, weil sie tatsächlich neu sind. Wie spannend, wie erfrischend und wie vergnüglich wird es sein, diese Reden zu hören!«

Hortensius war zunächst etwas unsicher; doch dann kam ihm Ciceros Vorschlag durchaus plausibel vor. Er hatte nichts gesagt, was der Verteidigung das Recht aufs letzte Wort beschneiden würde. Außerdem fand Hortensius den Gedanken sehr attraktiv, ganz zum Schluß der actio secunda sein Bestes zu geben und das Publikum mit einer juristischen Glanzleistung zu verblüffen. Ja, Cicero hatte recht! Es war gut, die langweilige Beweisaufnahme in der actio prima so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und sich das Leuchtfeuer von Alexandria für das große Finale aufzusparen.

Deshalb nickte Hortensius nur, als Glabrio ihn fragend ansah, und sagte ruhig: »Bitte Marcus Tullius, seinen Vorschlag näher auszuführen.«

»Führe deinen Vorschlag näher aus, Marcus Tullius«, sagte Glabrio.

»Ich habe nicht viel mehr zu sagen, Manius Acilius. Nur daß die Anwälte der Verteidigung nicht länger reden sollen als ich selbst - nur in der actio prima natürlich! In der actio secunda bekommt die Verteidigung alle Redezeit, die sie will. Da ich mich mit einer erklecklichen Zahl hervorragender Verteidiger konfrontiert sehe, während ich wie gesagt ganz allein die Anklage vertrete, sollte der Verteidigung dieser Vorteil wohl mehr als genügen. Ich verlange nur dies: Die actio prima soll durchgeführt werden, wie ich es skizziert habe.«

»Dein Vorschlag ist durchaus verdienstvoll, Marcus Tullius«, sagte Glabrio. »Was meinst du dazu, Quintus Hortensius?«

»Laßt uns verfahren, wie Marcus Tullius vorgeschlagen hat«, sagte Hortensius.

Nur Gaius Verres sah besorgt aus. »Wenn ich nur wüßte, was Cicero im Schilde führt«, flüsterte er Metellus dem Zicklein ins Ohr. »Hortensius hätte nicht zustimmen sollen!«

»Ich kann dir versichern«, flüsterte sein Schwager zurück, »daß die Geschworenen alle Zeugenaussagen vergessen haben werden, wenn die actio secunda vorüber ist.«

»Warum besteht Cicero dann auf diesen Änderungen?«

»Weil er weiß, daß er verlieren wird, und trotzdem einen guten Eindruck hinterlassen will. Das kann er nur mit einer Neuerung erreichen. Caesar hat denselben Weg eingeschlagen, als er den älteren Dolabella verklagte — er bestand auf Neuerungen. Es hat ihm viele Lorbeeren eingebracht, obwohl er den Fall verlor. Genauso wird es auch Cicero ergehen. Sei unbesorgt, Hortensius wird mit Sicherheit gewinnen!«

Bevor er mit Feuereifer daranging, die erste Kategorie von Verbrechen zu umreißen, richtete Cicero noch einige allgemeine Bemerkungen an die Geschworenen:

»Vergeßt nicht, daß der Senat unserem Stadtprätor Lucius Aurelius Cotta den Auftrag erteilt hat, eine Untersuchung über die Zusammensetzung der Gerichte durchzuführen — und daß der Senat beschlossen hat, der Volksversammlung ein Gesetz zur Verabschiedung zu empfehlen, das auf den Ergebnissen von Cottas Untersuchung beruht. In der Zeit zwischen Gaius Gracchus und der Herrschaft unseres Diktators Sulla hat der Senat ein Recht verloren, das ihm zuvor niemand streitig gemacht hatte — das Recht, die Geschworenen bei den Strafverfahren gegen römische Bürger zu stellen. Dieses Privileg hat Gaius Gracchus den Rittern zugesprochen — und wir alle wissen, welche Folgen das hatte! Sulla gab das Recht, die neuen ständigen Gerichtshöfe zu besetzen, wieder an den Senat zurück. Aber die Tatsache, daß die Zensoren vierundsechzig Männer aus dem Senat ausstoßen mußten, zeigt, daß wir Senatoren des Vertrauens nicht immer würdig gewesen sind, das Sulla in uns gesetzt hat. Gaius Verres ist nicht der einzige, der heute hier vor Gericht steht. Auch der Senat von Rom steht vor Gericht! Wenn sich dieses senatorische Gericht nicht anständig und ehrenhaft verhält, dann kann niemand Lucius Cotta einen Vorwurf daraus machen, wenn er empfehlen sollte, daß uns eingeschriebenen Vätern das Recht, die Geschworenen zu stellen, wieder entzogen wird. Geschworene dieses Gerichts, ich flehe euch an, vergeßt nicht einen Augenblick, welch gewaltige Verantwortung auf euren Schultern lastet — die Verantwortung für das Schicksal und den Ruf des Senats von Rom!«

Nach dieser Vorrede begann Cicero seine Zeugen zu vernehmen und sein Beweismaterial vorzulegen. Eine Aussage jagte die andere: Getreidediebstahl in einem Ausmaß von dreihunderttausend Scheffel in einem einzigen Jahr in einem einzigen kleinen Bezirk, ganz zu schweigen von den in anderen Bezirken gestohlenen Mengen. Illegale Aneignung von Land, wodurch die Zahl der Bauern in einem einzigen Bezirk innerhalb von drei Jahren von zweihundertfünfzig auf achtzig vermindert wurde, ganz zu schweigen von dem Land, das Verres in anderen Bezirken an sich gebracht hatte. Unterschlagung von Geldern des Schatzamts, die für den Ankauf von Getreide bestimmt waren. Erhebung von Wucherzinsen von vierundzwanzig und mehr Prozent. Vernichtung oder Fälschung der Berichte über die eingezogenen Abgaben. Diebstahl von Statuen und das Herausstemmen der Juwelen aus kostbaren Trinkgefäßen bei einem Gastmahl unter den Augen des Gastgebers. Diebstahl sämtlicher goldener und silberner Teller nach einem anderen Gastmahl, wobei diese in Säcke gestopft wurden, um den Abtransport zu erleichtern. Erpressung zum Bau eines Schiffes, das nie bezahlt wurde, um einen Teil der Beute nach Rom zu transportieren. Duldung von Piratenstützpunkten gegen Beteiligung an den Profiten der Piraten. Fälschung von Testamenten zum Vorteil des Angeklagten und so weiter und so fort.

Cicero untermauerte seine Anklagepunkte mit zahllosen Berichten und Dokumenten, und er legte Wachstäfelchen vor, auf denen noch zu erkennen war, daß die Zahlen abgeändert worden waren. Vor allem aber hatte er Zeugen in rauhen Mengen, Zeugen, die während des Kreuzverhörs nicht eingeschüchtert oder diskreditiert werden konnten. So hatte er nicht nur Zeugen aus einem Bezirk, in dem Verres Getreide gestohlen hatte, sondern aus vielen Bezirken. Und er konnte beweisen, daß Verres zahllose Kunstwerke von Praxiteles, Phidias, Polykleitos, Myron, Strongylion und allen anderen berühmten Bildhauern an sich gebracht hatte, indem er beispielsweise eine »Quittung« vorlegte, aus der hervorging, daß Verres sich eine Cupido-Statue von Praxiteles für ein paar Kupfermünzen »gekauft« hatte. Die Beweise waren massiv und absolut vernichtend. Sie brachen wie eine Flut über das Gericht herein, ein Fall von Diebstahl, Amtsmißbrauch oder Ausbeutung nach dem andern, neun volle Tage lang, bis die actio prima am vierzehnten Tag des Sextilis beendet war.

Hortensius zitterte, als er den Gerichtssaal verließ, und als Verres mit ihm sprechen wollte, schüttelte er wutentbrannt den Kopf. »Bei dir zu Hause!« sagte er barsch. »Und bring deine Schwäger mit!«

Das Haus von Gaius Verres lag auf dem besten Teil des Palatin. Es war eines der größten Gebäude auf dem Hügel, aber Verres hatte es so mit Kunstwerken vollgestopft, daß es aussah wie die kleine, überfüllte Werkstatt eines Bildhauers im Velabrum. Wo keine Statuen standen oder Bilder hingen, standen Schränke, die riesige Sammlungen von Gold- und Silbertellern, Juwelen oder wunderbare Stickereien und Wandteppiche enthielten. Tischplatten aus gemasertem Zitronenholz mit Sockeln aus Gold und Elfenbein stießen an vergoldete Stühle oder standen neben überaus prunkvollen Liegen. Draußen im Säulengarten drängten sich die größeren Statuen; sie waren zumeist aus Bronze, obwohl auch hier an vielen Stellen Gold und Silber aufblitzte. Ein wildes Chaos, das die Beute eines fünfzehnjährigen Raubzugs repräsentierte.

Die vier Männer versammelten sich in Verres’ Arbeitszimmer, das ebenfalls mit Kunstwerken vollgestopft war.

»Du wirst freiwillig ins Exil gehen müssen«, sagte Hortensius.

Verres blieb vor Schreck der Mund offenstehen. »Du machst Witze! Wir haben doch noch die actio secunda vor uns! Mit deinen Reden wirst du bestimmt einen Freispruch erreichen!«

»Du Narr!« brüllte Hortensius. »Hast du denn nichts kapiert? Ich bin ausgetrickst, eingewickelt, hinters Licht geführt, über den Löffel balbiert worden, oder wie immer du die Tatsache bezeichnen willst, daß Cicero mir keine Chance gelassen hat, diesen erbärmlichen Prozeß zu gewinnen! Selbst wenn nach der actio prima ein ganzes Jahr verstriche und ich mit meinen Assistenten in der actio secunda einen Monat lang die besten Reden der Welt hielte, würden die Geschworenen diese Wahnsinnsflut von Beweisen nicht vergessen haben. Ich will dir offen sagen, Gaius Verres, wenn mir auch nur der zehnte Teil deiner Verbrechen bekannt gewesen wäre, hätte ich den Fall nie übernommen. Mummius oder Paullus waren blutige Anfänger im Vergleich zu dir. Und was hast du eigentlich mit dem ganzen Geld gemacht? Bei Juno, wo ist es geblieben? Wie kann ein Mann so viel Geld ausgeben, der für einen Cupido von Praxiteles ein paar Kupfermünzen, meistens aber überhaupt nichts bezahlt? Ich habe im Lauf meiner Karriere so manchen Erzgauner verteidigt, aber du stellst sie alle in den Schatten! Geh freiwillig ins Exil, Gaius Verres!«

Verres und seine Schwäger hatten der Schimpftirade fassungslos gelauscht.

Hortensius erhob sich. »Nimm mit, soviel du kannst, aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf, dann laß die Kunstwerke, die du in Sizilien zusammengeraubt hast, zu Hause. Du wirst sowieso nicht mehr mitschleppen können, als du aus dem Hera-Tempel von Samos gestohlen hast. Konzentriere dich auf Gemälde und kleinere Kunstwerke. Und bring dein Geld im Morgengrauen aus der Stadt — warte keinen Tag länger.« Er ging zur Tür, wobei er sich mühsam zwischen den Statuen durchschlängelte. »Meine elfenbeinerne Sphinx von Phidias will ich allerdings gleich mitnehmen. Wo ist sie?«

»Deine was?« keuchte Verres. »Ich schulde dir überhaupt nichts - du hast keinen Freispruch erwirkt!«

»Du schuldest mir eine elfenbeinerne Sphinx von Phidias«, sagte Hortensius. »Und du solltest den Göttern danken, daß ich nicht mehr verlange. Allein der Rat, den ich dir gerade gegeben habe, ist mehr wert. Meine Sphinx, Verres. Sofort!«

Die Sphinx war so klein, daß Hortensius sie unter den Arm nehmen und in den Falten seiner Toga verstecken konnte, ein exquisites Kunstwerk, das bis ins kleinste Detail perfekt gearbeitet war; selbst die Federn der Schwingen waren mit höchster Sorgfalt gestaltet.

»Ganz schön frech«, sagte Marcus das Zicklein, als Hortensius gegangen war.

»Unverschämt!« knurrte Verres.

Doch der designierte Konsul Metellus das Zicklein sagte mit gerunzelter Stirn: »Er hat recht, Gaius. Du mußt spätestens morgen nacht aus Rom verschwinden. Cicero wird das Gericht dazu veranlassen, dein Haus zu versiegeln, sobald er erfährt, daß du Gegenstände abtransportierst. Wie bist du bloß auf die Idee gekommen, alles hier aufzubewahren?«

»Es ist nicht alles hier, Quintus, nur die Stücke, die ich jeden Tag sehen muß. Den größten Teil habe ich auf meinem Grundstück bei Cortona gelagert.«

»Du meinst, du hast noch mehr? Bei den Göttern, Gaius! Ich kenne dich nun schon seit Jahren, aber du bist immer für eine Überraschung gut. Kein Wunder, beschwert sich unsere arme Schwester, daß du sie vernachlässigst. Hier ist nur das Zeug, das du jeden Tag sehen mußt?«

Verres schnaubte verächtlich. »Deine Schwester hat sich also beschwert! Und das obwohl ihr Caesar schon seit Monaten den Hof macht! Sie muß mich für einen Idioten halten! Oder für so blind, daß ich eine Bronze von Myron nicht von einem Besenstiel unterscheiden kann.« Er sprang auf. »Ich hätte Hortensius sagen sollen, wo der größte Teil meines Geldes geblieben ist, dann wärt ihr ganz schön rot geworden. Die drei Zicklein sind schon teure Schwäger, und du bist der teuerste, Quintus! Die Kunstwerke sind mir geblieben, aber wer hat das Geld aus den Getreideverkäufen eingesteckt? Immerhin, damit ist es jetzt vorbei! Ich befolge den Rat meines Advokaten und gehe ins freiwillige Exil, wo ich mit etwas Glück behalten kann, was ich mitnehme. Kein Geld mehr für die Zicklein — auch für Metella Capraria nicht! Soll Caesar ihr den Lebensstil bieten, den sie gewöhnt ist! Und euch wünsche ich viel Glück, wenn ihr aus ihm Geld herauspressen wollt. Und glaubt bloß nicht, daß ich die Mitgift eurer Schwester zurückerstatte. Ich reiche heute noch die Scheidung ein — wegen Ehebruchs mit Caesar.«

Nach dieser Rede suchten die beiden Schwäger wutentbrannt das Weite. Verres blieb noch einen Moment hinter seinem Schreibtisch stehen und ließ geistesabwesend die Finger über die glatten, bemalten Wangen einer Hera von Polykleitos gleiten. Dann brüllte er nach seinen Sklaven. Normalerweise hätte er es nicht ertragen können, sich auch nur von einem einzigen Gegenstand in diesem Haus zu trennen. Nur weil er seine Haut retten mußte und weil ihm klar war, daß er alles verlieren würde, wenn er nicht auf einen Teil verzichtete, hatte er die Kraft, mit seinem Hausverwalter von einem Kunstwerk zum anderen zu gehen und zu bestimmen: »Mitnehmen, hierlassen, mitnehmen, mitnehmen, hierlassen. . .«

»Du wirst Wagen mieten und sie morgen um Mitternacht in die Gasse hinter dem Haus bestellen. Wenn du etwas ausplauderst, lasse ich dich kreuzigen! Und achte darauf, daß alles gut verpackt wird, verstanden?«