Ende März traf Marcus Minucius Thermus aus Pergamon ein. Er war mit dem geplanten Angriff auf Mytilene einverstanden. Als er hörte, wie Caesar die Flotte aus Bithynien angeblich beschafft hatte, brüllte er vor Lachen. Lucullus dagegen konnte der Sache noch immer nichts Komisches abgewinnen. Dazu hatten seine Befehlshaber sich zu oft bei ihm über den aufsässigen und rauflustigen Tribun beschwert.
Allerdings gab es im Heer ja noch ein uraltes ungeschriebenes Gesetz: daß man einen Mann, der ständig für Unruhe sorgte, in der Schlacht an einer Stelle einsetzen solle, an der er sie ganz sicher nicht überleben würde. So beschloß Lucullus, während er die Pläne zum Sturm auf Mytilene erstellte, sich an dieses alte Kriegsgesetz zu halten. Caesar mußte sterben. Er hatte in der kommenden Schlacht den Oberbefehl, Thermus würde nur als Beobachter anwesend sein.
Es war nicht ungewöhnlich, daß ein Feldherr vor der Schlacht sämtliche Dienstgrade zum abschließenden Rat einberief, aber bei Lucullus kam es so selten vor, daß darüber geredet wurde. Daß selbst die Jungtribunen anwesend waren, empfand niemand als seltsam. Sie machten besonders viel Ärger, und der Feldherr mißtraute ihnen entschieden. Die Kriegstribunen seiner Legionen dienten gewöhnlich als Melder, zu denen er sie am Ende seines Kriegsrates denn auch ernannte. Außer Caesar.
»Du bist ein Quertreiber«, sagte er kühl zu ihm, »aber wie ich bemerkt habe, arbeitest du gerne hart. Ich habe deshalb beschlossen, dir das Kommando über eine Kohorte zu geben. Ich stelle sie aus den schlimmsten Elementen von Fimbrias Armee zusammen. Ich halte die Kohorte so lange in Reserve, bis ich den hartnäckigsten Widerstand in den Schlachtreihen des Gegners ausgemacht habe. Da hinein schicke ich sie dann. Du als Befehlshaber hast die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie das Ruder herumwerfen.«
»Du bist ein toter Mann«, sagte Bibulus zufrieden, als sie sich nach dem Kriegsrat wieder in ihr Quartier setzten.
»Ich nicht!« antwortete Caesar vergnügt und zerteilte eines seiner Haupthaare mit einem Schwert, ein anderes mit seinem Dolch.
Gabinius, der Caesar sehr gerne mochte, sah besorgt aus. »Ich wünschte, du wärest ein weniger bekannter Schwanz«, sagte er. »Wenn du nur die Klappe halten und weniger auffallen würdest, wäre die Wahl nicht auf dich gefallen. Der Auftrag, den er dir gegeben hat, ist für einen Jungoffizier unüblich, vor allem, wenn er noch nie im Feld war. Seine sämtlichen Truppen sind Fimbrianer, die zu lebenslanger Verbannung verurteilt sind. Er hat die herausgezogen, die sich am heftigsten aufgelehnt haben, und das ist jetzt deine Kohorte! Wenn er dir schon ein Kommando gibt, hätten es Männer von Thermus’ Legionen sein müssen.«
»Das weiß ich doch alles«, sagte Caesar geduldig. »Und wenn ich ein bekannter Schwanz bin, kann ich auch nichts machen — fragt einmal die Frauen im Lager.«
Die Bemerkung zog ein Glucksen und mehrere finstere Blicke nach sich. Die Kameraden, die ihn verabscheuten, waren noch neidischer geworden, weil er sich den Winter über bei den Frauen im Lager auch noch einen Ruf gemacht hatte, der dadurch pikanter und amüsanter wurde, daß sich seine Auserwählten immer besonders gründlich waschen mußten.
»Machst du dir überhaupt keine Gedanken?« fragte Rufus der Rote.
»Nein«, sagte Caesar. »Ich habe genausoviel Glück wie Talent. Warte ab.« Er ließ sein Schwert und seinen Dolch langsam in die Scheiden zurückgleiten, nahm sie vom Tisch und machte sich in sein Zimmer auf. Bibulus kraulte er im Vorübergehen am Kinn. »Keine Angst, kleiner Pulex. So klein wie du bist, bemerkt dich der Feind überhaupt nicht.«
»Wenn er nicht so selbstsicher wäre«, sagte der einfache Lentulus zu Lentulus Niger, als sie zusammen in ihre Kammern hinaufstiegen, »fände ich ihn erträglicher.«
»Irgend etwas wird ihn schon wieder auf normale Größe schrumpfen lassen«, sagte Niger.
»Hoffentlich bin ich dann dabei«, sagte der einfache Lentulus. Er erschauderte. »Morgen wird ein schlimmer Tag, Niger.«
»Vor allem für Caesar«, sagte Niger und lächelte säuerlich. »Lucullus hat ihn dem Pfeilfutter zugeteilt.«
Lucullus ließ sechs Belagerungstürme vor die Mauern von Mytilene ziehen. Sie waren so groß, daß mehrere Hundertschaften die Mauer erstürmen und die Verteidiger niedermachen konnten. Die waren sich leider bewußt, daß sie kaum eine Chance hatten, einem solchen Ansturm standzuhalten, und so suchten sie ihr Heil in einer offenen Feldschlacht vor den Stadtmauern.
Lucullus wurde die halbe Nacht hindurch immer wieder geweckt und mit den Neuigkeiten bekanntgemacht: Die Stadttore hatten sich geöffnet, sechzigtausend Mann strömten heraus und bezogen auf dem Gebiet zwischen den Stadtmauern und dem von Lucullus errichteten Belagerungswall Stellung.
Hornsignale ertönten, Trommeln wirbelten, und wieder ertönten Hörner: Das römische Lager entfachte eine fieberhafte Aktivität, als Lucullus die Soldaten zu den Waffen rief. Er verfügte jetzt über alle vier Legionen der Provinz Asia, seit Thermus mit den beiden anderen eingetroffen war. Da sie nicht zu Fimbrias Armee gehört hatten, würden sie mit Thermus nach Rom zurückkehren, wenn dessen Auftrag beendet war. Ihre Anwesenheit hatte die Fimbrianer wieder an die eigene Situation erinnert und somit für Unmut gesorgt. So befürchtete Lucullus jetzt, wo eine offene Feldschlacht unvermeidlich war, daß sie sich dem Kampf nicht stellen würden. Um so zwingender war es, Caesars Kohorte mit den schlimmsten Elementen von der übrigen Armee zu trennen.
Lucullus konnte den sechzigtausend Männern Mytilenes nur vierundzwanzigtausend Soldaten gegenüberstellen. Allerdings waren unter Mytilenes kampferprobten Kriegern auch sehr viele Alte und Knaben, wie immer, wenn eine Stadt gegen eine Belagerungsarmee mobil machte.
»Ich bin ein Idiot, ich hätte damit rechnen müssen«, sagte Lucullus wütend zu Thermus.
»Wichtiger ist die Frage, woher sie wußten, daß wir heute angreifen würden«, sagte Thermus.
»Spione. Wahrscheinlich Frauen aus dem Lager. Ich lasse sie später alle töten.« Lucullus wandte sich wieder dem Schlachtplan zu. »Das Schlimmste ist, daß man bei der Dunkelheit nicht sieht, wie sie ihre Schlachtreihen aufstellen. Ich muß sie im Auge behalten, bis mein Plan ausgearbeitet ist.«
»Du bist ein brillanter Taktiker, Lucullus«, ermunterte ihn Thermus. »Es wird auch so alles gutgehen.«
Im Morgengrauen stand Lucullus auf einem Belagerungsturm an einem der Wälle, die er hatte errichten lassen, und untersuchte die Aufstellung der feindlichen Verbände. Seine Truppen waren bereits auf Niemandsland vorgedrungen und scharten sich entlang seines Grabens, aus dem in aller Eile Hunderttausende angespitzter Pfähle herausgerissen worden waren. Lucullus wollte es den römischen Soldaten ersparen, aufgespießt zu werden, wenn ein plötzlicher Rückzug unvermeidlich würde. Jedenfalls würde es ein Kampf auf Leben und Tod werden, und das war gut so. Der Belagerungswall schnitt Lucullus’ Truppen den Fluchtweg aufs freie Feld ab. Er ging allerdings nicht davon aus, daß die Fimbrianer ihr Heil unbedingt in der Flucht suchen würden: Wenn sie in Stimmung waren, kämpften sie so gut wie jede andere Truppe.
Noch vor Sonnenaufgang war er selbst im Niemandsland, neben sich die Offiziere, welche die Befehlskette bildeten.
»Ich kann mich nicht ans Heer wenden, es würde mich nie hören«, sagte er mit schmalen Lippen. »Es hängt also alles davon ab, daß ihr mir jetzt gut zuhört und absolut gehorcht. Ihr nehmt das große Nordtor von Mytilene als Orientierungspunkt — es liegt genau im Zentrum des Operationsbereichs. Meine Armee stellt sich in Form eines Halbmondes auf, wobei die Flügel zu diesem Zentrum hin zeigen. In der Mitte der Senke vor dem Tor will ich einen Sturmtrupp als Spitze. Bevor sich die anderen Einheiten in Bewegung setzen, rückt diese Spitze zum Stadttor vor. Meine Taktik besteht nun darin, das feindliche Heer in zwei Teile zu spalten und beide Teile mit den Rundungen des Halbmondes einzuschließen. Das bedeutet, daß die Männer die Gefechtsformation halten und die Enden der Flügel auf einer Höhe mit der Spitze sein müssen. Ich habe keine Kavallerie, die Leute an den Enden des Halbmondes haben sich also entsprechend zu verhalten: ein rascher und wuchtiger Vorstoß.«
Um die siebzig Männer scharten sich um Lucullus, der auf einer kleinen Kiste stand, um alle sehen zu können; die Zenturionen der Kohorten waren da, ebenso die Offiziere. Finster heftete sich sein Blick auf Caesar und den rangältesten Zenturio der rebellischen Kohorte, die er anfänglich als Pfeilfutter vorgesehen hatte. Lucullus hatte keine Schwierigkeiten, sich an den Namen des Zenturios zu erinnern: Marcus Silius, ein streitsüchtiger und ungehobelter Emporkömmling, der immer Rädelsführer war, wenn ihm die Fimbrianer eine Abordnung mit einer Petition schickten. Aber dies war nicht der Zeitpunkt für eine Abrechnung. Gefragt war jetzt ein vernünftiger Entschluß. Es galt zu entscheiden, ob diese Kohorte den Kopf der zentralen Spitze bilden sollte — was sie wahrscheinlich bis zum letzten Mann das Leben kosten würde — oder ob er sie nur als Verstärkung hinter eine der beiden Halbmondkurven setzen sollte. Lucullus ließ sich die Sache durch den Kopf gehen.
»Caesar und Silius — ihr stellt eure Kohorte vorn an die Spitze und laßt sie zum Tor vorrücken. Sobald ihr es erreicht habt, behauptet ihr ohne Rücksicht auf Verluste das Terrain.« Lucullus traf weitere Anordnungen.
»Die Götter stehen mir bei«, sagte Silius aus einem Mundwinkel zu Caesar, als sie darauf warteten, daß der Feldherr mit seinen Befehlen zum Schluß kam. »Muß mir Lucullus, dieser cunnus, ausgerechnet so einen süßen Säugling vor die Nase setzen.«
Caesar lachte nur. »Welcher Führer ist dir lieber? Ein süßer Säugling, der auf Gaius Marius’ Knien geschaukelt worden ist und dort einiges gelernt hat, oder ein Legat mit angeblicher Erfahrung, der in der Schlacht seinen Arsch nicht vom Ellenbogen unterscheiden kann?«
Gaius Marius! Dieses Wunderwort hallte im Herzen aller römischen Soldaten wie freudiges Glockengeläut nach. Marcus Silius sah den Befehlshaber mit einem forschenden und etwas besänftigten Blick an. »Was hattest du mit Gaius Marius zu schaffen?«
»Er war mein Onkel. Und er glaubte an mich«, sagte Caesar.
»Aber das ist dein erster Feldzug — und dein erstes Gefecht!« hielt Silius dagegen.
»Du weißt wohl alles, was, Silius? Eines solltest du auch wissen. Ich lasse weder dich noch deine Männer hängen. Aber wenn ihr mich hängenlaßt, wird der ganze Haufen ausgepeitscht.«
»Das ist ein Handel«, sagte Silius prompt und verschwand, um seinen Zenturionen Anweisungen zu erteilen.
Lucullus gehörte nicht zu den Feldherren, die wertvolle Zeit verstreichen ließen. Sobald seine Offiziere wußten, wie die Schlachtordnung aussah, ließ er zum Vormarsch blasen. Der Feind hatte offensichtlich keinen richtigen Schlachtplan. Die riesige Menge der Männer hatte sich einfach auf das Gebiet vor der Stadtmauer verteilt, und als die römische Armee vorzurücken begann, machten sie keine Anstalten anzugreifen. Sie würden den Angriff mit den Schilden abwehren und dann zum Kampf übergehen. Ihre Anzahl, da waren sie sicher, machte sie zu den Siegern des Tages.
Silius, der ebenso klug wie aufsässig war, verbreitete die Kunde unter all seinen sechshundert Männern: Ihr Befehlshaber sei ein süßer Säugling und auch noch Gaius Marius’ Neffe, und Gaius Marius habe an ihn geglaubt.
Caesar schritt allein vor der Standarte her, den großen rechteckigen Schild am linken Arm, das Schwert noch immer in der Scheide. Marius hatte ihm beigebracht, das Schwert erst unmittelbar vor dem Angriff zu ziehen.
»Du kannst es dir nicht leisten«, hatte er mit dem Mundwinkel, der vom Schlaganfall verschont geblieben war, gemurmelt, »auf den Boden zu schauen, egal, ob du läufst oder im Schritt gehst. Wenn du die gezogene Waffe in der Rechten hältst und in ein Erdloch oder über einen Stein stolperst, verletzt du dich.«
Caesar hatte keine Angst, nicht einmal im hintersten Winkel seiner Seele, und er dachte keinen Augenblick daran, daß er getötet werden könnte. Dann hörte er seine Männer singen:
»Wir — sind — die — Fim — bri — aner!
Vor — sicht — vor — Fim — bri — anern!
Der König — von — Pontos — saß — in der Falle Denn — wir — sind — die — Aller — besten!«
Caesar hörte ihnen fasziniert zu, während er den wartenden Horden von Mytilene immer näher kam. Vier Jahre mußten seit Fimbrias Tod vergangen sein, vier Jahre, in denen sie unter zwei Licinii, Murena und dann Lucullus gedient hatten. Fimbria war ein Geächteter gewesen, aber sie sahen sich noch immer als seine Männer. Das sind keine Licinianer, dachte Caesar und vermutete, daß sie es auch niemals sein würden. Was sie von Murena gehalten hatten, wußte er nicht. Aber Lucullus verabscheuten sie! Aber wer tat dies nicht? Für Caesar war er ein steifarschiger Aristokrat, der nicht daran glaubte, daß es nützlich war, wenn einen die Soldaten liebten. Wie sehr er sich täuschte!
Genau im richtigen Moment ließ Caesar den Hornbläser das Signal zum Abwurf der Speere geben. Beherrscht blieb er aufrecht stehen, als Tausende von Speeren wie zwei Wolken, die unter den Männern von Mytilene Panik verbreiteten und Verwirrung stifteten, über ihn hinwegzischten. Und jetzt galt es nachzustoßen!
Er zog das Schwert, schwang es kurz in die Luft, hörte das seltsame schleifende Geräusch von sechshundert Schwertern, die aus der Scheide gezogen werden, und schritt dann ruhig wie ein Senator, der sich unter die Menge im Forum mischt, mit erhobenem Schild auf den Feind zu. Er hielt das kurze, zweischneidige und rasiermesserscharfe Schwert, mit dem normalerweise keine Hiebe auf den Kopf ausgeführt wurden, auf der Höhe des gegnerischen Unterleibes, die Spitze leicht nach oben und außen gerichtet. Dann folgten Stich auf Hieb und Hieb auf Stich.
Der Feind wurde von diesem Angriff überrumpelt, und die vorstoßende Kohorte der Fimbrianer ließ den Verteidigern Mytilenes kaum Raum, ihre längeren Schwerter über ihren Köpfen zu schwingen. Sie wurden zurückgedrängt und von den nachrückenden Römern so lange zurückgehalten, bis sich die Spitze von Lucullus’ Halbmond tief in die Reihen des Feindes gebohrt hatte.
Dann aber schöpften diese Männer, welche die Römer alle haßten und lieber sterben wollten, als ihnen ihre geliebte Stadt ein weiteres Mal in die Hand fallen zu lassen, wieder Mut und behaupteten mit allen Mitteln das Terrain.
Besonders wichtig im Kampf, so entdeckte Caesar, war unerschrockenes Auftreten. Kam ein gegnerischer Soldat auf einen zu, so durfte man auf keinen Fall Angst zeigen oder gar zurückweichen, denn sonst verlor man die Begegnung schon innerlich und vergrößerte die Aussicht, getötet zu werden. Angriff, Angriff und nochmals Angriff, lautete die Devise. Caesar gab sich, gesegnet mit einem hervorragenden Reaktionsvermögen und einem phänomenal scharfen Auge, ganz seinen Attacken hin und verlor keine wertvollen Sekunden mit dem Gedanken an das Geschehen hinter sich.
Bis er entdeckte, daß man selbst dann noch, wenn man sich am stärksten auf den augenblicklichen Kampf konzentrieren mußte, Raum für andere wichtige Gedanken hatte: Er hatte den Befehl über die Kohorte und hatte beinahe vergessen, daß es sie gab. Wie aber sich nach ihr umdrehen, ohne erschlagen zu werden? Wie einen geeigneten Standort erringen, von dem aus die Lage zu überblicken war? Allmählich machte sich in seinem Arm die Erschöpfung bemerkbar, wegen der tiefen Haltung des Schwertes und dessen geringem Gewicht allerdings nicht so schnell wie bei den Feinden, die mit weitaus schwereren Waffen kämpfen mußten; sie schwangen die Waffen immer wilder und führten ihre Hiebe immer lustloser aus.
Neben ihm hatte sich ein Haufen erschlagener Feinde angesammelt, während andere noch immer verzweifelt kämpften. Caesar nahm all seine Kräfte zusammen und schlug sich die Bahn frei, um diesen Hügel menschlicher Leiber zu erklimmen. Seine Beine waren verletzlich, aber keine Körperpartie darüber, und der Haufen war so groß, daß er sich, ohne die Beine schützen zu müssen, umdrehen konnte, sobald er den obersten Punkt erreicht hatte.
Hurrarufe ertönten von seinen Männern, als sie ihn entdeckten, Rufe, über die Caesar sich freute. Allerdings bemerkte er nun, daß seine Kohorte vom übrigen Heer abgeschnitten war. Lucullus’ Speerspitze hatte ihre Aufgabe erfüllt, aber sie war nicht ausreichend gedeckt gewesen. Eine Insel inmitten des Feindes, schoß es ihm durch den Kopf. Lucullus’ Schuld. Aber wir werden durchhalten, wir werden nicht fallen! Er stieg mit einer Reihe wilder Schläge, mit denen er feindliche Angreifer verwirrte, wieder auf ebenes Terrain hinab und kämpfte sich bis zu Marcus Silius vor, der unermüdlich weiterkämpfte.
»Wir sind abgeschnitten — gib Signal, ein Karree zu bilden«, befahl er dem Hornbläser der Kohorte, der neben dem Standartenträger kämpfte.
Überraschend genau und rasch wurde der Befehl ausgeführt — so gut waren diese Truppen! Caesar und Silius schritten in das Karree hinein und liefen umher, um die Soldaten anzufeuern und an den Schwachstellen für Verstärkung zu sorgen.
»Wenn ich nur mein Maultier hätte, dann könnte ich mir ein Bild vom gesamten Gefechtsverlauf machen«, sagte Caesar zu Silius, »Aber die Jungtribunen von Kohorten der Infanterie dürfen ja nicht reiten. Ein Fehler.«
»Läßt sich schnell beheben«, sagte Silius, der Caesar jetzt respektvoll ansah. Er pfiff ein Dutzend umstehender taktischer Reserven zusammen. »Wir errichten dir aus Soldaten und ihren Schilden eine Tribüne.«
Kurze Zeit später stand Caesar, der über eine Reihe menschlicher Stufen nach oben geklettert war, in voller Größe auf den Schilden über den Köpfen von vier Männern.
»Vorsicht vor feindlichen Speeren!« schrie Silius zu ihm hinauf.
Wie sich zeigte, stand der Ausgang der Schlacht noch keineswegs fest, aber die Taktik, die Lucullus eingeschlagen hatte, war eine solide Sache gewesen. Es sah ganz so aus, als würde der Feind von den römischen Flügeln, die sich unerbittlich weiter schlossen, aufgerollt werden.
»Gib mir deine Standarte!« brüllte Caesar und fing sie auf, als der Träger sie zu ihm hinaufwarf. Dann schwenkte er sie in Richtung von Lucullus, der deutlich sichtbar auf seinem Schimmel saß. »Dann weiß der Oberbefehlshaber wenigstens, daß wir noch am Leben sind und das Terrain wie befohlen behaupten«, rief er Silius zu wich zwei Speeren aus und sprang wieder auf festen Boden. »Danke für die Tribüne. Schwer zu sagen, wer siegt.«
Kurze Zeit später starteten die Verteidiger eine Großoffensive gegen Caesars Karree.
»Wir halten nie durch«, sagte Silius.
»Wir halten durch, Silius! Sorg dafür, daß die Reihen so eng wie der Arsch eines Fisches geschlossen sind«, befahl Caesar. »Auf, Silius, los!«
Er bahnte sich mit dem Zenturio einen Weg zur Hauptstoßrichtung des Angriffs, teilte nach rechts und links wilde Hiebe aus und bemerkte, wie verzweifelt der Feind kämpfte. Diese abgeschnittene Kohorte von Römern mußte bis zum bitteren Ende durchhalten, um der übrigen Armee ein Beispiel zu geben. Caesar sah schlagartig eine Gestalt neben sich auftauchen, er hörte Silius überrascht aufstöhnen und erblickte das niedersausende Schwert. Wie er es fertigbrachte, den gegen ihn gerichteten Schlag mit dem Schild abzuwehren und gleichzeitig den Hieb zu parieren, der Silius Kopf in zwei Hälften gespalten hätte, begriff er auch später niemals; er wußte nur, daß es ihm gelungen war und daß er den Mann anschließend trotz des Schildes mit dem Dolch erstach.
Der Zwischenfall wurde zu einer Art Wendepunkt; der feindliche Ansturm auf die Kohorte ließ nach, so daß sie schon kurze Zeit später ihren Vorstoß fortsetzen konnte. Das vergitterte Tor war erreicht. Die Fimbrianer, die jetzt nach hinten gedeckt waren, drehten sich jubelnd der weit entfernten römischen Mauer zu: Nichts konnte sie mehr aus ihrer Stellung werfen!
Dabei blieb es auch. Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang streckte Mytilene die Waffen und ließ dreißigtausend tote Soldaten, zumeist ältere Männer und Knaben, auf dem Schlachtfeld zurück. Gnadenlos ließ Lucullus alle Frauen von Lesbos im römischen Lager töten, während er den Frauen von Mytilene erlaubte, ihre Toten zu bergen und angemessen zu bestatten.
Es dauerte einen ganzen Monat, bis die Folgen der Schlacht beseitigt waren, und diese Arbeit war noch härter als die Vorbereitungen auf den Kampf. Caesars Kohorte, mit der er sich jetzt ständig beschäftigte, war inzwischen überzeugt, daß er Gaius Marius’ Gunst verdient hatte — daß sich diese Gunst in der Ernennung zum Jupiterpriester niedergeschlagen hatte, verriet er natürlich nicht — und daß ihm das Kommando zustand. Mehrere Tage bevor der Feldherr Lucullus und der Statthalter Thermus in einem feierlichen Zeremoniell die Helden der vergangenen Schlacht ehrten, hatte der rangälteste Zenturio Marcus Silius beiden förmlich geschworen, daß Caesar ihm in der Schlacht das Leben gerettet und dann das Terrain, auf dem dies geschehen war, bis zum Ende behauptet hatte. Und zudem schwor er, Caesar habe die Kohorte vor dem sicheren Tod bewahrt.
»Wenn es eine ganze Legion gewesen wäre, hättest du die Graskrone gewonnen«, sagte Thermus, als er den Kranz aus Eichenlaub auf Caesars großes Haupt mit dem goldenen Haar setzte. »Da es nur eine Kohorte war, kann Rom dir höchstens die corona civica verleihen.« Der Statthalter dachte einen Moment nach. »Du weißt, Gaius Julius, daß du mit dem Erhalt des Bürgerkranzes automatisch in den Senat aufgenommen wirst und nach den neuen Gesetzen der Republik ein Recht auf weitere Auszeichnungen hast. Es sieht ganz so aus, als wolle dich Jupiter Optimus Maximus unbedingt im Senat! Den Sitz, den du mit dem Ende deines Amtes als Jupiterpriester verloren hast, erhältst du jetzt wieder zurück.«
Caesar war der einzige Teilnehmer an der Schlacht um Mytilene, der diese Auszeichnung erhielt, seine Kohorte die einzige, die ihr Feldzeichen jetzt mit der phalerae schmücken konnte. Marcus Silius konnte mit Stolz einen ganzen Satz von neun goldenen phalerae an die Vorderseite seines ledernen Brustpanzers heften; sie kamen zu seinen schon erworbenen neun silbernen — die jetzt die Rückseite des Panzers zierten —, den fünf breiten silbernen Armspangen und zwei goldenen Ringen hinzu, die an den vorderen Schulterriemen hingen.
»Eines muß ich Sulla lassen«, sagte Silius zu Caesar, als sie mit den anderen Ausgezeichneten auf der Tribüne den Gruß des Heeres entgegennahmen. »Auch wenn er uns die Möglichkeit zur Rückkehr nach Rom verweigert hat, so war er doch zu anständig, um uns die Auszeichnungen zu verweigern.« Er warf einen bewundernden Blick auf Caesars Eichenkranz. »Du bist ein richtiger Soldat, süßer Säugling«, sagte er. »Ich habe nie einen besseren gesehen.«
Und das, dachte Caesar später, war ein wertvolleres Lob als all die Plattheiten und Glückwünsche, mit denen Lucullus, Thermus und die Legaten ihn während des Ehrenmahls überschütteten. Gabinius, Octavius, Lippus und Rufus äußerten sich begeistert, während die beiden Lentulier schwiegen. Bibulus, der durchaus kein Feigling war, aber beim einfachen Dienst als Melder keine Auszeichnung hatte erringen können, konnte dagegen nicht an sich halten.
»Das hätte ich mir ja denken können«, sagte er bitter. »Was du getan hast, hätten wir alle getan, wenn wir das Glück gehabt hätten, in die gleiche Situation zu kommen. Aber du hast das Glück eben für dich gepachtet, in jeder Hinsicht.«
Caesar lachte jovial und kraulte Bibulus am Kinn, das war inzwischen zur Gewohnheit geworden. Diesmal sprang Gabinius für ihn in die Bresche.
»Du mißgönnst dem Mann das Verdienst seiner Tat«, sagte er böse. »Caesar hat uns alle beschämt mit der Menge Arbeit, die er den Winter über geleistet hat, und er hat uns auch alle beschämt mit seiner Leistung auf dem Schlachtfeld! Glück hatte damit überhaupt nichts zu tun, du kleingeistiger, neidischer Dummkopf!«
»Reg dich nicht auf über ihn, Gabinius«, sagte Caesar, der sich die Großzügigkeit leisten konnte und wußte, daß er Bibulus damit reizte. »Glück ist immer mit dabei. Glück ist das Zeichen von Fortunas Gunst, deshalb gehört es Männern mit besonderen Fähigkeiten. Sulla hat Glück. Er ist der erste, der das sagt. Und wartet ab! Caesars Glück wird sprichwörtlich.«
»Und Bibulus’ Glück wird es nicht geben«, sagte Gabinius ruhiger.
»Vielleicht«, sagte Caesar in einem Ton, der verriet, daß ihn dieses Thema nicht interessierte.
Thermus, Lucullus und ihre Legaten, Beamten und Tribunen kehrten Ende Juni nach Rom zurück. Gaius Claudius Nero, der neue Statthalter der Provinz Asia, hatte in Pergamon sein Amt angetreten, und Sulla hatte Lucullus mit der Erlaubnis, nach Hause zurückkehren zu dürfen, auch das Versprechen gegeben, daß er und sein Bruder Varro Lucullus im nächsten Jahr kurulische Ädilen würden.
»Bis Du zu Hause eintriffst«, endete der Brief, »bist Du bereits zum kurulischen Ädil gewählt. Bitte entschuldige, wenn ich nicht als Heiratsvermittler für Dich auftrete, aber ich habe in diesem Bereich offenbar kein Glück. Du wirst inzwischen mitbekommen haben, daß Pompeius’ neue Frau gestorben ist. Wenn Dir der Sinn im übrigen nach kleinen Mädchen steht, mein lieber Lucullus, dann ist es wohl auch besser, wenn Du die schmutzige Aufgabe selbst übernimmst. Früher oder später findest Du einen verarmten Adeligen, der bereit ist, Dir seine minderjährige Tochter zu verkaufen. Was aber, wenn sie älter wird. Das tun doch alle!«
Als Marcus Valerius Messala Rufus in Rom eintraf, bahnte sich dagegen tatsächlich eine Heirat an. Seine Schwester, auf die er sehr stolz war, war von ihrem Ehemann im Schnellverfahren geschieden worden, wie er ihren tränenbefleckten Briefen hatte entnehmen können. Während sie weiterhin hoch und heilig schwor, daß sie ihn mit ganzer Seele liebe, machte er mit der Scheidung deutlich, daß ihm an ihr überhaupt nichts lag. Warum, begriff keiner. Valeria Messala war schön, intelligent, gebildet und keineswegs langweilig. Sie tratschte nicht, war nicht verschwenderisch und machte den anderen Männern keine schönen Augen.
Als Ende Juni einer der reichsten Plutokraten der Stadt starb, veranstalteten seine beiden Söhne zu seinem Andenken im Forum Romanum prachtvolle Bestattungsspiele. In herrlichen silbernen Rüstungen sollten zwanzig Paare Gladiatoren gegeneinander kämpfen, und zwar nicht wie gewohnt nacheinander, sondern in zwei Kämpfen zu je zehn Paaren — ein Thraker und ein Gallier. Dies waren allerdings nicht Nationalitäten, sondern die beiden Kampfstile, die zur damaligen Zeit praktiziert wurden. Und die gemieteten Kämpfer kamen aus Capuas bester Gladiatorenschule. Da Sulla Sehnsucht nach einer kleinen Zerstreuung hatte und sich diese Schaukämpfe nicht entgehen lassen wollte, waren die trauernden Brüder sorgsam darauf bedacht gewesen, für den Diktator in der Mitte der ersten Reihe einen Sitzplatz umfrieden zu lassen, damit er das Schauspiel unbehelligt vom Gedränge verfolgen konnte.
Keine altüberlieferte Anstandsregel hinderte Frauen daran, an diesem Spektakel teilzunehmen, und sie durften sogar neben den Männern sitzen. Die Spiele, die zu Bestattungen gegeben wurden, galten weniger als Theateraufführung als vielmehr als eine Art Circus. Und Marcus Valerius Messala Niger, der noch seinen Triumph genoß, daß er Cicero für die Verteidigung von Roscius aus Ameria gewonnen hatte, kam auf den Gedanken, seine arme geschiedene Cousine Valeria Messala mit einem Gladiatorenkampf aufzuheitern.
Als die beiden eintrafen, hatte es sich Sulla auf seinem Ehrenplatz bequem gemacht, und die Sitze waren schon fast alle belegt. Die ersten zehn Gladiatoren ließen auf dem Sägemehl im Ring bereits bei ersten Übungen Muskeln spielen, während sie darauf warteten, daß die Brüder mit Gebeten und einem sorgfältig ausgewählten Opfer an den Verstorbenen die Spiele eröffneten. Bei einer solchen Gelegenheit war es besonders nützlich, wenn man vornehme Freunde und vor allem eine Tante hatte, die ehemalige Vestalin und noch dazu Tochter eines Metellus Balearicus war. Die ehemalige Vestalin Caecilia Metella Balearica, die neben ihrem Bruder Metellus Nepos, seiner Frau Licinia und ihrem — als Konsul damals besonders wichtigen — Vetter Metellus Pius das Ferkel saß, hatte den beiden zwei Sitze freigehalten.
Um zu ihnen zu gelangen, mußten sich Messala Niger und Valeria Messala allerdings durch die bereits besetzte zweite Reihe und am Diktator vorbei vorarbeiten. Wie jedermann bemerkte, sah er erholt und gesund aus, vielleicht wegen Ciceros Takt und Geschicklichkeit, ihn von den unangenehmen Seiten der Proskriptionen reinzuwaschen, und weil ihm das Problem Chrysogonus, der vom Tarpeischen Felsen gestoßen worden war, vom Hals geschafft worden war. Im ganzen Forum wimmelte es von Menschen; einfache Leute drängten sich auf jedem Dach und auf jeder Treppe, und alles, was Rang und Namen hatte, saß jetzt auf der ungedeckten Zuschauertribüne um den Ring, ein mit Seilen umgrenztes Quadrat von vierzig Fuß Seitenlänge.
Rom wäre nicht Rom gewesen, wenn sich die Zuspät- gekommenen nicht üble Beschimpfungen hätten anhören müssen, als sie sich durch die dicht besetzten Reihen quälten. Während Messala Niger sich nicht im geringsten darum kümmerte, stammelte die arme Valeria immer wieder Entschuldigungen. Schließlich mußte sie sich direkt am Sitz hinter dem Diktator Roms vorbeizwängen. Vor Angst, sie könne ihn anrempeln, heftete sie die Augen auf seinen Hinterkopf und seine Schultern. Sulla trug natürlich seine lächerliche Perücke und die purpurgesäumte toga praetexta, und seine vierundzwanzig Liktoren kauerten vor der ersten Reihe auf dem Boden. Beim Vorübergehen entdeckte Valeria eine dicke purpurne Wollfussel auf den weißen Falten der Toga über Sullas linker Schulter. Unwillkürlich streckte sie die Hand nach ihr aus und nahm sie weg.
Sulla, der in der Öffentlichkeit niemals auch nur einen Anflug von Angst zeigte und immer über der Sache zu stehen schien, zuckte bei der leichten Berührung zusammen, fuhr von seinem Stuhl auf und drehte sich so rasch um, daß Valeria erschreckt zurückwich und dem Hintermann auf die Zehen trat. Als der letzte Funken des Schreckens in seinen Augen verglommen war, ließ er den Anblick dieser entsetzten schönen jungen Frau mit dem roten Haar und den blauen Augen genüßlich auf sich wirken.
»Ich bitte dich um Entschuldigung, Lucius Cornelius«, stammelte sie mit feuchten Lippen, während sie nach einer Erklärung suchte. Möglichst unbefangen hielt sie die Fussel vor sich hin. »Siehst du? Das war auf deiner Schulter. Ich dachte, ich nehme es an mich, vielleicht bekomme ich damit auch etwas von deinem Glück.« Ihre Augen füllten sich rasch mit Tränen, die sie aber entschlossen wegblinzelte, und ihr schöner Mund bebte. »Ich brauche nämlich etwas Glück!«
Er lächelte sie mit verschlossenen Lippen an, ergriff ihre ausgestreckte Hand und schloß mit sanftem Druck ihre Finger um die Fussel, die so viel Aufregung verursacht hatte. »Behalte sie, mein Fräulein; möge sie dir das ersehnte Glück bringen«, sagte er und wandte sich wieder um.
Allerdings versuchte er immer wieder während der Gladiatorenkämpfe mit flüchtigen Blicken herauszubekommen, wo Valeria und Messala Niger, Metellus Pius mitsamt der übrigen Gesellschaft saßen. Und sie bemerkte diese suchenden Blicke genau, warf ihm ein kurzes Lächeln zu, errötete und sah weg.
»Wer ist das?« fragte Sulla das Ferkel, als sich die Menge, die mit dem ausgezeichneten Schauspiel zufrieden gewesen war, langsam auflöste.
Natürlich hatte die gesamte Gesellschaft — und mit ihr ein Großteil des Publikums — Sullas Blicke bemerkt, so daß Metellus Pius keine Ausflüchte machte. »Valeria Messala«, sagte er. »Die Cousine von Niger und die Schwester von Rufus, der nach der Belagerung von Mytilene gerade auf dem Rückweg nach Rom ist.«
»Oho!« Sulla nickte. »Ihre Geburt ist so erlaucht, wie sie selbst schön ist. Und seit kurzem geschieden, nicht?«
»Völlig unerwartet und grundlos. Sie ist darüber tatsächlich sehr betrübt.«
»Unfruchtbar?« fragte der Mann, der sich aus diesem Grund von einer Frau getrennt hatte.
Das Ferkel schürzte verächtlich die Lippen. »Ich bezweifle es. Eher die fehlende Praxis.«
»Hmm!« Sulla dachte einen Augenblick nach und sagte dann energisch: »Sie muß morgen zum Essen kommen. Bitte auch Niger und Metellus Nepos zu mir. Und komm du natürlich auch. Aber keine andere Frau.«
So kam es, daß der junge Militärtribun Marcus Valerius Messala Rufus nach der Ankunft in Rom zur Audienz beim Diktator geladen wurde. Sulla kam gleich zur Sache. Er liebe seine Schwester, sagte er, und wolle sie heiraten.
»Was hätte ich sagen sollen?« fragte Rufus seinen Vetter Niger.
»Hoffentlich hast du gesagt, du bist entzückt«, sagte Niger trocken.
»Ich habe gesagt, ich bin entzückt.«
»Sehr gut!«
»Aber was meint die arme Valeria dazu? Er ist so alt und häßlich! Ich hatte nicht einmal Gelegenheit, sie zu fragen, Niger!«
»Sie wird schon glücklich werden, Rufus. Ich weiß, er ist keine Freude für das Auge, aber er ist inoffiziell König von Rom — und reich wie Krösus! Das ist zumindest Balsam für die Wunde, die ihr die unverdiente Scheidung geschlagen hat«, sagte Niger mit Nachdruck. »Ganz zu schweigen von den Vorteilen der Heirat für uns! Ich glaube, er sorgt dafür, daß ich Pontifex werde und du Augur. Halte einfach deine Zunge im Zaum und sei dankbar.«
Als Rufus sich vergewissert hatte, daß seine Schwester Sulla tatsächlich für anziehend und begehrenswert hielt und diese Heirat selbst wollte, nahm er den vernünftigen Rat seines Vetters an.
Pompeius, der zur Hochzeit geladen war, fand einen günstigen Augenblick, um mit dem Diktator ein privates Gespräch zu führen.
»Wenn ich nur die Hälfte deines Glücks hätte«, sagte der junge Mann trübsinnig.
»Ja, bei den Frauen hattest du nicht so viel Glück«, sagte Sulla. Er genoß sein Hochzeitsfest in vollen Zügen und war fast allen in seiner Umgebung wohlgesonnen.
»Valeria ist eine sehr hübsche Frau«, gab Pompeius zu.
Sullas Augen tanzten. »Übersehen, Pompeius?«
»Bei Jupiter, ja!«
»In Rom wimmelt es von schönen adeligen Frauen. Warum suchst du dir keine und bittest ihren Papa um die Hand?«
»Von dieser Art Kriegführung verstehe ich nichts.«
»Unsinn! Du bist jung, reich, gutaussehend und berühmt.« Sulla wollte das Thema abschließen. »Frag einfach, Magnus, frag! Es wäre schon ein sehr wählerischer Vater, der deinen Antrag ablehnen würde.«
»Von dieser Art Kriegführung verstehe ich nichts«, wiederholte Pompeius.
Die Augen, die getanzt hatten, blickten den jungen Mann jetzt wissend an. Sulla durchschaute, warum Pompeius nicht fragen konnte. Er hatte zu große Angst davor, daß man ihm sagte, er sei mit seiner Abstammung nicht gut genug für eine Patrizierin. Er selbst wollte immer das Beste, und das stand ihm seiner Meinung nach auch zu, aber der kleinmütige Zweifel, ob ein Pompeius aus Picenum für gut genug befunden würde, hinderte ihn jedesmal am Fragen. Kurz, Pompeius wollte lieber von einem Papa gefragt werden. Und kein Papa hatte das bislang getan.
Sulla hatte plötzlich eine Idee.
»Hast du etwas gegen eine Witwe?« fragte er mit erneut tanzenden Augen.
»Nein. Wenn sie nicht gerade so alt wie die Republik ist.«
»Ich glaube, sie ist um die fünfundzwanzig.«
»Das ist annehmbar. So alt wie ich.«
»Sie hat keine Mitgift.«
»Die Geburt ist mir sehr viel wichtiger als das Vermögen.«
»Die Geburt ist beiderseits einfach glänzend. Plebejisch, aber hervorragend!«
»Wer ist es?« fragte Pompeius und lehnte sich nach vorn. »Wer?«
Sulla richtete sich mühselig auf seiner Liege auf und sah ihn beschwipst an. »Warte, bis ich mit meiner Braut aus den Ferien zurückkehre, Magnus. Komm dann und frag mich wieder.«
Gaius Julius Caesar betrachtete seine Rückkehr als eine Art Triumph, dem ein späterer tatsächlicher Triumph niemals gleichkommen würde. Er war nicht nur frei, er hatte sich auch im Feld behauptet. Und einen bedeutenden Kranz errungen.
Sulla hatte ihn sofort holen lassen und war sehr freundlich gewesen. Das Gespräch fand unmittelbar vor seiner Hochzeit statt, über die ganz Rom sprach, wenn auch nicht offiziell. Caesar erwähnte sie deshalb auch nicht, als Sulla ihn Platz nehmen hieß.
»Gut, Junge, du hast dich selbst übertroffen.«
»Ich hoffe nicht, Lucius Cornelius. Ich habe mein Bestes gegeben, aber ich kann noch Besseres.«
»Daran zweifle ich nicht, man sieht dir das an.« Sulla warf ihm einen etwas verstohlenen Blick zu. »Ich habe gehört, es ist dir gelungen, in Bithynien eine unvergleichliche Flotte zusammenzubringen.«
Caesar konnte nicht verhindern, daß er rot wurde. »Ich habe getan, was von mir verlangt wurde. Genau das«, sagte er durch geschlossene Zähne.
»Geht dir die Sache etwa nach?«
»Die Beschuldigung, ich hätte mich prostituieren müssen, um die Flotte zu bekommen, ist Verleumdung.«
»Laß mich dir etwas sagen, Caesar.« Das zerfurchte und welke Gesicht des Diktators wirkte sanfter und jünger als vor über einem Jahr, als Caesar ihn das letzte Mal gesehen hatte. »Wir sind beide Opfer von Gaius Marius geworden, aber du bist jetzt wenigstens ganz frei, und zwar schon im Alter von — wie alt bist du? Zwanzig?«
»Eben geworden«, sagte Caesar.
»Ich hatte bis über Fünfzig unter ihm zu leiden, schätze dich also glücklich. Und wenn dir dies ein Trost ist, mir ist es völlig egal, mit wem ein Mann schläft, wenn er Rom gut dient.«
»Nein, das ist kein Trost!« rief Caesar empört. »Ich würde meine Ehre nicht für Rom, nicht für dich und nicht für Gaius Marius verkaufen!«
»Wie? Nicht einmal für Rom?«
»Wenn Rom das ist, wofür ich es halte, dann verlangt es das von mir nicht.«
»Ja, eine gute Antwort.« Sulla nickte. »Schade, daß das nicht immer so ist. Du wirst feststellen, daß Rom eine große Hure sein kann wie jeder andere. Dein Leben war nicht leicht, wenn auch nicht so schwer wie meines. Aber du bist wie ich, Caesar. Das sehe ich! Und deine Mutter auch. Jetzt hast du einen Makel. Du wirst mit ihm leben müssen. Je berühmter du wirst, je größer dein Ansehen ist, desto öfter wirst du es zu hören bekommen. So wie es heißt, ich hätte Frauen umgebracht, um in den Senat zu kommen. Der Unterschied zwischen uns liegt nicht im Wesen, sondern im Ehrgeiz. Ich wollte nur Konsul, dann Konsular und vielleicht noch Zensor werden. Was mir zusteht. Alles weitere ist mir aufgezwungen worden, hauptsächlich wegen Gaius Marius.«
»Mehr als das will ich auch nicht«, sagte Caesar überrascht.
»Du hast mich nicht verstanden. Ich spreche nicht von konkreten Ämtern, sondern vom Ehrgeiz. Du, Caesar, willst vollkommen sein. Dir darf nichts passieren, was dich im geringsten unvollkommen macht. Nicht die Ungerechtigkeit des Makels erbittert dich; was an dir nagt, ist die Tatsache, daß er deiner Vollkommenheit Abbruch tut. Vollkommene Ehre, vollkommene Laufbahn, vollkommene Vergangenheit, vollkommener Ruf. In der Amtszeit immer und auf jede Weise. Und weil du von dir selbst Vollkommenheit verlangst, verlangst du sie auch von allen anderen um dich — und wenn sie sich als unvollkommen herausstellen, läßt du sie links liegen. Die Vollkommenheit frißt dich auf wie mich der Kampf um mein Geburtsrecht.«
»Ich betrachte mich nicht als vollkommen.«
»Das habe ich auch gar nicht behauptet. Hör mir doch zu! Ich sagte, du willst vollkommen sein. Gewissenhaft bis zur höchsten Potenz. Daran wird sich nichts ändern. Du wirst dich nicht ändern. Aber du wirst immer tun, was du tun mußt. Und jedesmal, wenn deine Vollkommenheit schwindet, wird es dich erbittern, und du wirst dich selbst hassen.« Sulla hob ein Stück Papier hoch. »Das ist ein Dekret, das morgen an der Rostra ausgehängt wird. Du hast den Bürgerkranz errungen. Nach meinen Gesetzen hast du damit Anrecht auf einen Sitz im Senat, einen reservierten Sitzplatz im Theater und Circus sowie auf stehende Ovationen bei jedem öffentlichen Auftritt mit Bürgerkranz. Du wirst ihn im Senat, im Theater und im Circus tragen müssen. Die nächste Senatssitzung ist in einem halben Monat. Ich erwarte, dich in der Curia Hostilia zu sehen.«
Damit war das Gespräch beendet. Als Caesar zu Hause ankam, fand er eine weitere Auszeichnung Sullas vor. Einen sehr eleganten, langbeinigen jungen braunen Hengst, in dessen Mähne ein Blatt mit einer Bemerkung geheftet war: »Du brauchst jetzt kein Maultier mehr, Caesar. Du hast meine volle Erlaubnis, dieses Tier zu reiten. Es ist allerdings nicht ganz vollkommen. Schau dir seine Füße an.«
Als sich Caesar die Füße ansah, brach er in Gelächter aus. Statt gewöhnlicher Pferdehufe hatte das Tier paarzehige Hufe ähnlich denen einer Kuh.
Lucius Decumius erschauderte. »Du läßt ihn besser verschneiden!« sagte er völlig verständnislos. »Ich will so etwas nicht mehr um mich!«
»Im Gegenteil«, sagte Caesar und rieb sich die Augen. »Ich kann ihn zwar nicht oft reiten, da man ihn nicht beschlagen kann. Aber der junge Paarzeh wird mich in jede Schlacht tragen, in der ich kämpfe! Und wenn er das nicht tut, wird er meine Stuten in Bovillae decken. Dieses Pferd bedeutet Glück, Lucius Decumius! Paarzeh muß immer bei mir sein. Dann werde ich keine Schlacht verlieren.«
Caesars Mutter hatte die Veränderung an ihrem Sohn nach der Rückkehr aus Asia sofort bemerkt und sich gefragt, warum er so bedrückt war. Alles hatte doch so gut geklappt! Er war mit dem Bürgerkranz zurückgekommen und war in den Kriegsberichten in den höchsten Tönen gelobt worden. Er hatte ihr sogar mitteilen können, daß die finanzielle Belastung geringer war, als sie befürchtet hatte. König Nikomedes hatte ihm Gold geschenkt, und sein Anteil an der Beute aus Mytilene war wegen des Bürgerkranzes entsprechend größer ausgefallen.
Gaius Matius saß im Garten unter dem Lichtschacht und hielt mit den Händen die Knie umschlungen. »Das verstehe ich nicht«, sagte er und blickte Caesar an, der in der gleichen Haltung am Boden hockte. »Du sagst, man hat deine Ehre angegriffen, und trotzdem hast du von dem alten König einen Sack Gold angenommen? Ist das kein Fehler?«
Caesar hätte sich die Frage von niemandem sonst gefallen lassen, aber Gaius Matius war ein Freund aus der Kindheit.
»Wenn ich das Gold angenommen hätte, nachdem man mich verleumdet hatte, dann schon«, sagte er. »Aber es war so, daß mir der alte Mann das Gold in meiner Eigenschaft als Staatsgast geschenkt hat. Es war ein passendes Geschenk des Klientelkönigs an den offiziellen Abgesandten Roms, seines Patrons. Da er den Tribut zahlt, kann er dem römischen Abgesandten schenken, was er will.« Caesar zuckte die Achseln. »Ich war sehr froh darüber, Pustula. Das Lagerleben ist teuer. Ich bin nicht sehr anspruchsvoll, aber man muß ständig mitmachen, wenn auf den Putz gehauen wird, zu besonderen Festessen und zum Luxus beitragen, den alle verlangen. Immer müssen es die besten Weine und die erlesensten Delikatessen sein, und ob ich selbst einfach esse, spielt da keine Rolle. Das Gold war mir also eine große Hilfe. Als mich Lucullus beleidigt hatte, dachte ich daran, es zurückzuschicken, aber dann fiel mir ein, daß dies den König beleidigen würde. Ich kann ihm doch nicht sagen, was Lucullus und Bibulus mir vorgeworfen haben.«
»Ja, das sehe ich ein.« Gaius Matius seufzte. »Weißt du, Pavo, ich bin sehr froh, daß ich nicht Senator oder Magistrat werden muß. Es ist viel angenehmer, wenn man einfacher Zahlmeister ist!«
Das verstand Caesar freilich überhaupt nicht, so sagte er auch nichts darauf und kehrte statt dessen zum Thema Nikomedes zurück. »Ich habe mein Wort gegeben, daß ich zurückkomme«, sagte er, »und das wird den Gerüchten neue Nahrung geben. Zur Zeit, als ich noch Jupiterpriester war, dachte ich immer, keiner interessiere sich für das Tun von Leuten wie Jungtribunen. Aber das ist nicht so. Jeder tratscht! Die Götter wissen, wo Bibulus überall über meine angebliche Affäre mit König Nikomedes geklatscht hat. Lucullus traue ich das auch zu. Und ebenso den Lentuliern. Sulla kennt bestimmt schon alle pikanten Details.«
»Er hat dich begünstigt«, sagte Matius nachdenklich.
»Allerdings. Obwohl ich nicht verstehe, warum.«
»Dann verstehe ich es schon gar nicht!« Matius, ein leidenschaftlicher Gärtner, bemerkte die winzigen Blättchen eines aufkeimenden Unkrautes und machte sich sofort daran, es aus dem Gras zu rupfen. »Jedenfalls glaube ich, du mußt diese Geschichte einfach durch deinen vorbildlichen Lebenswandel vergessen machen, Caesar. Die Gerüchte werden mit der Zeit verstummen. Das ist immer so.«
»Sulla sagt das Gegenteil.«
Matius rümpfte die Nase. »Weil die Gerüchte um ihn nicht verstummt sind? Komm, Caesar. Er ist ein übler Mensch. Du nicht. Du bist nicht so.«
»Ich bin zu einem Mord fähig, Pustula. Das ist jeder.«
»Ich habe nicht gesagt, daß du es nicht seist, Pavo. Der Unterschied ist, daß Sulla ein übler Mensch ist und du nicht.«
Und von dieser Ansicht ließ sich Gaius Matius nicht abbringen.
Sullas Hochzeit kam und ging vorüber. Das frischvermählte Paar verließ Rom und verbrachte die Ferien in der Villa in Misenum. Allerdings kehrte der Diktator zur nächsten Senatssitzung zurück, zu der er auch Caesar befohlen hatte. Er war mit seinen zwanzig Jahren jetzt einer von Sullas neuen Senatoren. Zwanzig Jahre, und zum zweiten Mal Senator!
Es hätte einer der schönsten Tage seines Lebens werden müssen, mit dem Eichenkranz auf dem Haupt in den vollbesetzten Senat hineinzuschreiten, wo das gesamte Haus einschließlich so ehrwürdiger Konsularen wie der Senatsvorsitzende Flaccus und Marcus Perperna Beifall klatschte, nach Sullas neuer Hausordnung die einzige Gelegenheit, bei der überhaupt noch geklatscht werden durfte.
Statt dessen suchte der junge Mann ein Gesicht nach dem anderen nach Anzeichen von Spott oder Verachtung ab und fragte sich, wer bereits von der Affäre wußte. Er machte Höllenqualen, durch, und daran änderte auch die Tatsache nichts, daß Sulla ihm, als er in der hintersten Reihe bei den zweitrangigen Senatoren seinen Platz suchte, zurief, er solle sich in den mittleren Reihen zu den Kriegshelden setzen. Einige kicherten natürlich, ein wohlmeinendes Kichern, das seiner Verlegenheit galt. Caesar nahm es als Spott und hätte sich am liebsten im hintersten Winkel des Saales verkrochen.
Immerhin weinte er während der ganzen Zeit nicht.
Als er nach der — eher langweiligen — Sitzung nach Hause kam, wartete seine Mutter im Empfangsraum. Dies war gar nicht ihre Gewohnheit, denn sie war immer beschäftigt und verbrachte lange Zeit am Tag in ihrem Arbeitszimmer. Jetzt wartete sie mit ihrem Ärger im Magen in stiller Geduld auf ihren Sohn und hatte keine Ahnung, wie sie ein Thema anschneiden sollte, über das ihr Sohn nicht sprechen wollte. Wäre sie gesprächiger gewesen, wäre es ihr leichter gefallen. Aurelia ließ ihn schweigend die Toga ablegen und wußte nicht, wie den Anfang machen. Als er dann schon in sein Studierzimmer gehen wollte, mußte sie einfach handeln.
»Caesar«, sagte sie und hielt inne.
Seitdem er die Toga des Mannes trug, redete sie ihn mit dem Beinamen an, vor allem deshalb, weil »Gaius Julius« für sie noch immer ihr Mann war, daran hatte sich seit seinem Tod nichts geändert. Im übrigen war ihr der Sohn sehr fremd geblieben, der Preis für all die Jahre, in denen sie ihn auf Distanz gehalten hatte, aus Angst um ihn und weil sie sich Wärme und Freundlichkeiten ihm gegenüber nicht hatte leisten können.
Er blieb stehen, eine Augenbraue hochgezogen. »Ja, Mater?«
»Setz dich. Ich möchte mit dir reden.«
Er setzte sich mit fragendem Gesichtsausdruck. Was konnte sie jetzt schon Wichtiges zu sagen haben?
»Caesar, was ist im Osten passiert?« fragte sie schlicht.
Etwas Amüsiertes trat in den fragenden Ausdruck. »Ich habe meine Pflicht getan, einen Bürgerkranz errungen und Sulla erfreut«, sagte er.
Ihr wunderschöner Mund wurde ernst. »Ausflüchte passen nicht zu dir.«
»Ich habe keine Ausflüchte gemacht.«
»Aber du hast mir nicht gesagt, was ich wissen wollte!«
Er lehnte sich mit kälter werdenden Augen in seinen Stuhl zurück. »Ich kann dir nicht sagen, was ich nicht weiß.«
»Du kannst mir mehr sagen, als du gesagt hast.«
»Worüber?«
»Über das Problem.«
»Welches Problem?«
»Das Problem, das ich in jeder deiner Bewegungen, in jedem deiner Blicke und in jeder deiner ausweichenden Gesten sehe.«
»Es gibt kein Problem.«
»Das glaube ich nicht.«
Er klopfte sich auf die Oberschenkel, stand auf und schickte sich zum Gehen an. »Was du glaubst, ist gleichgültig, es gibt kein Problem.«
»Setz dich!«
Er setzte sich leise seufzend wieder hin.
»Ich bekomme es auch so heraus, Caesar. Aber mir ist es lieber, ich erfahre es von dir.«
Er legte den Kopf auf eine Seite, schloß die Augen und ballte die langen Finger zur Faust. Dann seufzte er erneut und zuckte die Achseln. »Ich habe bei König Nikomedes von Bithynien eine herrliche Flotte beschafft. Diese Tat war offenbar vollkommen einzigartig. Man hat mir nachgesagt, ich hätte sie vollbracht, indem ich mit dem König sexuelle Kontakte gehabt hätte. Ich kehrte nach Rom also nicht mit dem Ruf eines Mannes zurück, der besonders tapfer, tüchtig oder schlau ist, sondern der seine Ziele erreicht, indem er seinen Körper verkauft«, sagte er, die Augen noch immer geschlossen.
Sie zerfloß weder vor Mitgefühl, noch schrie sie entsetzt auf oder machte eine empörte Bemerkung. Sie schwieg vielmehr, bis ihr Sohn die Augen wieder öffnete und sie ansah. Es war ein gleichberechtigter Austausch von Blicken, zwei starke Persönlichkeiten, die sich eher Schmerzen bereiteten, als daß sie Trost beieinander fanden, die zu einem Gespräch aber bereit waren.
»Ein ernstes Problem«, sagte sie.
»Eine unverdiente Anschuldigung.«
»Das natürlich schon.«
»Ich werde nicht damit fertig, Mutter.«
»Das mußt du wohl, mein Sohn.«
»Dann sag mir wie!«
»Du weißt wie, Caesar.«
»Ich weiß es ehrlich nicht«, sagte er ernst und mit unsicherer Miene. »Ich habe versucht, es zu ignorieren, aber das ist sehr schwierig, wenn man weiß, daß alle es denken.«
»Wer hat es in die Welt gesetzt?«
»Lucullus.«
»Ich verstehe... Ihm würde man glauben.«
»Man glaubt ihm in der Tat.«
Einen langen Augenblick sagte sie nichts mehr und blickte nachdenklich vor sich hin. Ihr Sohn sah sie an, wieder verblüfft über ihre Selbstbeherrschung, ihre Fähigkeit, keine Gefühlsregung zu zeigen. Sie öffnete die Lippen und sprach sehr langsam und vorsichtig. Jedes Wort war überlegt.
»Du must es ignorieren, das ist das Allerwichtigste. Wenn du dich auf einen Streit einläßt, bist du in der Defensive. Und das zeigt, wieviel es dir ausmacht. Denk nach, Caesar. Du weißt, was dieser Vorwurf für deine zukünftige Karriere bedeuten kann. Du darfst keinem zeigen, daß du dir bewußt bist, wie ernst diese Sache ist! Du mußt das bis zum Rest deiner Tage ignorieren. Es ist sehr gut, daß es jetzt passiert ist und nicht zehn Jahre später — ein Mann mit Dreißig wird damit schwerer fertig als ein Zwanzigjähriger. Dafür mußt du dankbar sein. In den nächsten zehn Jahren wird viel passieren. Aber der Vorwurf, den man dir macht, wird sich nicht wiederholen. Du mußt sehr hart daran arbeiten, diesen Makel auszulöschen.«
Der Schatten eines Lächelns glomm in ihren ungewöhnlichen Augen auf, »Bisher hat sich dein Schürzenjägertum auf gewöhnliche Frauen aus der Subura beschränkt. Ich schlage vor, du richtest deinen Blick weiter nach oben, Caesar. Ich weiß nicht warum, aber auf Frauen hast du eine ungewöhnliche Wirkung! Von jetzt an müssen die Männer deines Standes von deinen Erfolgen wissen. Das heißt, du mußt dich auf Frauen konzentrieren, die bedeutend und bekannt sind. Keine Kurtisanen wie Praecia, sondern Adelige. Große Damen.«
»Du meinst, ich soll viele Domitias und Licinias entjungfern?« fragte er pikant lächelnd.
»Nein!« sagte sie streng. »Keine unverheirateten Mädchen! Niemals unverheiratete Mädchen! Ich meine die Frauen bedeutender Männer.«
»Oho!« rief Caesar aus.
»Bei den Göttern! Bekämpfe Feuer mit Feuer, Caesar. Einen anderen Weg gibt es nicht. Wenn deine Affären nicht öffentlich bekannt werden, denkt jeder an Affären mit Männern. Sie müssen also so skandalös und bekannt sein wie möglich. Schaff dir einen Ruf als Roms bedeutendster Frauenheld. Aber wähle deine Jagdbeute sehr sorgfältig.« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Sulla hat es immer geschafft, die Erauen völlig verrückt zu machen. Mindestens einmal hat er dafür einen hohen Preis zahlen müssen — bei der frischvermählten Delmatica, die Scaurus geheiratet hatte. Sulla ist ihr sorgsam aus dem Weg gegangen, aber Scaurus hat ihn trotzdem bestraft und seine Wahl zum Prätor verhindert. Sechs Jahre hat er wegen Scaurus darauf warten müssen, Prätor zu werden.«
»Soll das heißen, daß ich mir damit Feinde mache?«
»Soll es das?« Aurelia dachte nach. »Nein, das soll heißen, Sulla hat deshalb Schwierigkeiten bekommen, weil er Scaurus keine Hörner aufgesetzt hat. Hätte er das, hätte Scaurus viel größere Mühe gehabt, sich zu rächen — das kann ein Mann nicht, wenn er bewundert werden will und sich nur lächerlich macht. Er erregt allenfalls Mitleid. Scaurus hat den Kampf gewonnen, weil Sulla es zugelassen hat, daß er als edler Mensch dastand — der Ehemann, der mit hoch erhobenem Haupt verzeiht. Wenn du also eine Frau auswählst, mußt du dich immer vergewissern, daß der Ehemann ein Esel ist. Nimm keine Frau, die versuchen könnte, dich zu ihrer Marionette zu machen — und niemals eine, die so klug ist, daß es ihr gelingt, dich in aller Öffentlichkeit zu ihrer Marionette zu machen.«
Er blickte sie mit großem Respekt an. »Du bist eine außergewöhnliche Frau, Mater! Woher weißt du das alles? Du bist so anständig und sittsam wie Cornelia, die Mutter der Gracchen, und trotzdem gibst du deinem eigenen Sohn die fürchterlichsten Ratschläge!«
»Ich habe lange Zeit in der Subura gelebt«, sagte sie mit heiterer Miene. »Aber der Punkt ist der: Du bist mein Sohn, und man hat dich verleumdet. Was ich für dich tue, würde ich für niemanden sonst tun, außer für meine Töchter. Wenn ich müßte, würde ich für euch töten. Aber das würde unser Problem nicht lösen. Deshalb bin ich sehr froh, wenn ich statt dessen manchen ihren Ruf ruinieren kann. Gleiches für gleiches.«
Fast hätte er sie in die Arme genommen und hochgehoben, aber zu stark war die alte Gewohnheit. Er stand auf, nahm ihre Hand und küßte sie. »Ich danke dir, Mutter. Ich würde für dich ebenso leicht und gerne töten.« Plötzlich hatte er einen Gedanken, über den er vor Freude erbebte. »Ich kann es nicht erwarten, bis Lucullus heiratet. Und dieser Kothaufen Bibulus!«
Am nächsten Tag hatte Caesar erneut mit Frauen zu tun, wenn auch nicht als Schürzenjäger.
»Julia bittet uns zu sich«, sagte Aurelia, als ihr Sohn ausgehen und nachsehen wollte, was es auf dem Forum Romanum Neues gab.
Caesar, der bisher noch keine Zeit gefunden hatte, die Tante zu besuchen, hatte keine Einwände.
Der Tag war schön und sonnig, und zu dieser frühen Stunde war ein Spaziergang von der Subura zum Quirinal noch angenehm. Caesar und Aurelia gingen den Vicus ad Malum Punicum zum Tempel des Quirinus an der Alta Semita hinauf. In diesem hübschen Tempelbezirk stand der punische Apfelbaum, den Scipio Africanus nach dem Sieg über Karthago gepflanzt hatte. Neben ihm wuchsen zwei uralte Myrthenbäume, einer für Patrizier, der andere für Plebejer. Während der Wirren nach dem Bundesgenossenkrieg hatte die patrizische Myrthe allerdings zu verdorren begonnen und war inzwischen fast völlig abgestorben, während die plebejische Myrthe noch immer blühte. Caesar blickte freudlos auf die nackten dürren Äste, die den Untergang des Patriziates zu verheißen schienen. Warum hatte niemand eine neue patrizische Myrthe gepflanzt?
Julia hatte die hundert Talente, die Sulla ihr gelassen hatte, zum Kauf eines komfortablen Privathauses in der Gasse zwischen der Alta Semita und der Servianischen Mauer genutzt. Es war ziemlich geräumig und ein Neubau dazu. Ihre Einkünfte reichten für die nötigen Haussklaven und waren für die Notwendigkeiten des Lebens mehr als genug. Sie konnte es sich sogar leisten, ihre unglückliche Schwiegertochter Mucia Tertia zu unterstützen und bei sich aufzunehmen.
Mit ihren fast fünfzig Jahren hatte sich Julia anscheinend nicht verändert. Nach ihrem Umzug auf den Quirinal hatte sie statt am Webstuhl oder beim Wollspinnen in guten Werken Zuflucht gesucht. Obwohl der Stadtbezirk nicht arm — und auch nicht dicht besiedelt — war, fand sie noch immer Familien, die Hilfe brauchten, sei es wegen übermäßigem Weingenuß oder wegen Krankheit. Eine weniger bescheidene Frau ohne Julias Takt hätte eine Abfuhr bekommen, aber sie konnte mit Mensehen umgehen. Und der ganze Quirinal wußte, daß man sich bei Schwierigkeiten an sie zu wenden hatte.
An diesem Tag hatte sie allerdings noch keine gute Tat vollbracht, denn sie wartete mit Mucia Tertia gespannt auf die Ankunft der Besucher.
»Ich habe einen Brief von Sulla bekommen«, sagte Mucia Tertia. »Er schreibt, ich solle wieder heiraten.«
»Das würde ja gegen sein eigenes Gesetz verstoßen, nach dem Witwen von Proskribierten nicht mehr heiraten dürfen!« sagte Aurelia verblüfft.
»Wer die Gesetze macht, kann sie ohne Schwierigkeiten umgehen, Mutter«, sagte Caesar. »Eine Sondergenehmigung unter einem Vorwand, und die Sache ist erledigt.«
»Wen sollst du denn heiraten?« fragte Aurelia.
»Das ist es ja«, sagte Julia mit finsterer Miene. »Das hat er dem armen Kind nicht gesagt. Man kann seinem Brief nicht einmal entnehmen, ob er jemanden im Auge hat oder ob sich Mucia selbst nach einem Mann umsehen soll.«
»Zeig mir den Brief.« Caesar streckte die Hand aus. Er überflog das Schreiben und gab es zurück. »Er verrät aber auch gar nichts. Befiehlt dir nur, wieder zu heiraten.«
»Ich will nicht wieder heiraten!« schrie Mucia Tertia.
Eine Weile herrschte Stille, dann brach Caesar das Schweigen. »Schreib Sulla und sag es ihm. Sehr höflich, aber bestimmt. Warte, wie er reagiert. Dann weißt du mehr.«
Mucia erschauderte. »Das kann ich nicht.«
»Das kannst du, und du weißt das auch. Sulla mag Menschen, die ihm die Stirn bieten.«
»Männer vielleicht, aber nicht die Witwe des jungen Marius.«
»Was soll ich dabei?« fragte Caesar Julia.
»Ich habe keine Ahnung«, gestand Julia. »Es ist nur, weil du der einzige Mann bist, den die Familie noch hat. Deshalb dachte ich, du müßtest es erfahren.«
»Willst du wirklich nicht mehr heiraten?« fragte er Mucia.
»Glaub mir, Caesar, nein.«
»Dann schreibe ich Sulla als Familienoberhaupt.«
In diesem Augenblick schlurfte der alte Haushofmeister Strophantes in den Raum. »Du bekommst noch einen Besucher, Herrin«, sagte er zu Julia.
»Nicht jetzt!« rief sie ärgerlich. »Sag ihm, ich sei nicht da, Strophantes.« »Er verlangt insbesondere, deine Schwiegertochter Mucia zu sprechen.«
»Wer ist es?« fragte Caesar scharf.
»Gnaeus Pompeius Magnus.«
Caesar machte ein böses Gesicht. »Der Heiratskandidat, nehme ich an!«
»Aber ich bin Pompeius doch noch nie begegnet«, schrie Mucia Tertia.
»Ich auch nicht«, sagte Caesar.
Julia wandte sich ihm zu. »Was sollen wir machen?«
»Nun, wir empfangen ihn, Tante Julia.« Und Caesar nickte dem alten Mann zu. »Hol ihn herein.«
Der Haushofmeister schritt ins Atrium zurück, wo der Besucher, nach Rosenöl duftend, ungeduldig wartete.
»Folge mir, Gnaeus Pompeius«, sagte Strophantes keuchend.