5. Teil

Sextilis (August) 80 v Chr. bis Sextilis (August) 77 v. Chr.

Diesmal segelte Caesar nach Osten. Eutychus, der Verwalter seiner Mutter — eigentlich war es sein Verwalter, aber Caesar beging niemals den Fehler, das zu denken —, war verweichlicht und hatte Rom kaum jemals verlassen. Nun mußte er die Erfahrung machen, daß das Reisen mit Gaius Julius Caesar keine geruhsame Angelegenheit war. An Land — vor allem wenn die Straße so respektabel war wie die Via Appia — legte er am Tag vierzig Meilen zurück, und jeder, der nicht Schritt halten konnte, wurde zurückgelassen. Nur die Angst, Aurelia zu enttäuschen, ließ Eutychus durchhalten, besonders während der ersten Tage, als die dicken Beine und das verwöhnte Hinterteil ihn ungeheuer schmerzten.

»Du bist wundgeritten«, sagte Caesar lachend und ohne jedes Mitgefühl zu dem jämmerlich weinenden Eutychus, als sie an einer Herberge in der Nähe von Beneventum haltmachten.

»Meine Beine schmerzen am meisten«, schniefte Eutychus.

»Natürlich tun sie das! Auf einem Pferd haben sie keine Stütze, sie baumeln nur herunter und schwingen hin und her — vor allem deine, Eutychus! Aber Kopf hoch! Wenn wir erst in Brundisium sind, geht es ihnen sicher schon viel besser. Und dir auch. Das kommt von dem bequemen Leben in Rom.«

Der Gedanke an Brundisium konnte die Stimmung des Verwalters nicht heben. Vielmehr brach er bei der Aussicht auf ein wogendes Ionisches Meer erneut in Tränen aus.

»Caesar ist ein Kerl«, meinte Burgundus grinsend, nachdem Caesar gegangen war, um sich zu vergewissern, daß ihr Quartier sauber war.

»Er ist ein Unmensch!« jammerte Eutychus. »Vierzig Meilen am Tag!«

»Du hast Glück. Das ist erst der Anfang. Aber er wird schonend mit uns umgehen, vor allem wegen dir.«

»Ich will nach Hause!«

Burgundus klopfte dem Verwalter plump auf die Schulter. »Du kannst nicht nach Hause, Eutychus, das weißt du.« Er erschauerte und verzog das Gesicht; in seinem leicht abwesenden Blick lag Abscheu. »Komm, trockne die Tränen ab und versuche ein bißchen herumzulaufen. Es ist besser, mit ihm zu leiden, als zu seiner Mutter zurückzugehen — brrr! Außerdem ist er nicht so herzlos, wie du denkst. In diesem Moment läßt er ein schönes heißes Bad für deinen netten wunden Arsch vorbereiten.«

Eutychus überlebte es, obwohl er nicht sicher war, ob er auch die Fahrt mit dem Schiff überstehen würde. Caesar und sein kleines Gefolge benötigten für die dreihundertsiebzig Meilen von Rom nach Brundisium genau neun Tage. Noch ehe einer seiner Begleiter Luft holen und ihn um ein paar Tage Ruhe bitten konnte, verfrachtete der unerbittliche junge Mann die unglückliche Schar auf ein Schiff, das sie zur Insel Korfu brachte. Von dort ging es mit einem anderen Schiff nach Buthrotum in Epirus und anschließend auf dem Landweg über Akarnanien und Delphi nach Athen. Es war ein griechischer Eselspfad, keine römische Straße; er führte die hohen Berge rauf und runter, durch feuchte Wälder mit glitschigen Böden.

»Offenbar lassen nicht einmal wir Römer Armeen auf diesem Weg marschieren«, bemerkte Caesar, als sie das furchteinflößende Tal von Delphi erreichten, das eher an einen Garten auf einem Massiv erinnerte. Der Gedanke mußte ausgereift sein, bevor er sich umsehen konnte. »Das sollte man sich merken. Eine Armee könnte diesen Weg benutzen, wenn die Soldaten tapfer genug sind. Und niemand würde es wissen, weil niemand es glauben würde. Hm.«

Caesar mochte Athen, und Athen mochte ihn. Im Gegensatz zu seinen noblen Zeitgenossen hatte er noch nirgends die Besitzer großer Häuser oder Güter um Gastfreundschaft ersucht; er gab sich durchaus mit Wirtshäusern oder mit einem Lager an der Straße zufrieden. In Athen hatte er eine ganz passable Herberge unterhalb der Akropolis ausfindig gemacht und sich dort einquartiert. Kurz darauf wurde er in das Haus von Titus Pomponius Atticus eingeladen. Caesar kannte den Mann nicht, obwohl er — wie jeder in Rom — von dem finanziellen Desaster wußte, das Atticus und Crassus in dem Jahr nach Gaius Marius’ Tod erlitten hatten.

»Ich bestehe darauf, daß du bei mir wohnst«, sagte der kultivierte Mann von Welt, der trotz dieser früheren Fehlkalkulation ein guter Menschenkenner war. Ein Blick auf Caesar bestätigte ihm, was Gerüchte bereits angedeutet hatten: Da war einer, der einmal eine wichtige Rolle spielen würde.

»Du bist zu großzügig, Titus Pomponius«, sagte Caesar lächelnd. »Trotzdem möchte ich lieber unabhängig bleiben.«

»Wenn du in Athen unabhängig bleiben willst, riskierst du nur eine Lebensmittelvergiftung und schmutzige Betten«, erwiderte Atticus.

Der Reinlichkeitsfanatiker änderte seine Meinung. »Danke, ich werde kommen. Ich habe kein großes Gefolge — zwei freigelassene Sklaven und vier Diener, wenn du Platz für sie hast.«

»Mehr als genug.«

Alles wurde arrangiert, einschließlich Abendgesellschaften und Ausflügen. Athen stand Caesar plötzlich offen, so daß er länger bleiben mußte als geplant. Obwohl Atticus als genußsüchtig und als Liebhaber von Luxus galt, war er keineswegs verweichlicht, und es gab viele Gelegenheiten, historisch bedeutende Klippen und Felsvorsprünge hinaufzuklettern und im schnellen Galopp über die Ebenen bei Marathon zu jagen. Sie ritten hinunter nach Korinth und hinauf nach Theben, sahen sich das sumpfige Uferland des Orchomenos-Sees an, wo Sulla die beiden entscheidenden Schlachten gegen die Armeen des Mithridates gewonnen hatte, und erkundeten die Pfade, die es Cato dem Zensor ermöglicht hatten, den Feind bei den Thermopylen zu umzingeln — und dem Feind, die letzte Stellung des Leonidas zu überfallen.

»Fremder, geh und sage den Spartanern, daß wir hier liegen und ihrem Befehl folgen«, las Caesar auf dem Stein, der an dieses letzte tapfere Gefecht erinnerte. Er wandte sich an Atticus. »Alle Welt kann diese Inschrift zitieren, aber hier hat sie einen ganz anderen Klang, als wenn man sie von einem Blatt Papier abliest.«

»Wärst du zufrieden, wenn man sich deiner so erinnerte, Caesar?«

Das längliche, hübsche Gesicht wirkte verschlossen. »Niemals! Es war eine dumme und sinnlose Geste, eine Verschwendung tapferer Männer. Man wird sich an mich erinnern, Atticus, aber nicht wegen meiner Dummheit oder meiner sinnlosen Gesten. Leonidas war ein spartanischer König. Ich bin ein Patrizier der Römischen Republik. Der einzig wahre Sinn seines Lebens war die Art und Weise, wie er es wegwarf. Der Sinn meines Lebens werden die Taten sein, die ich als Lebender vollbringe. Wie ich sterbe, spielt keine Rolle, vorausgesetzt, ich sterbe wie ein Römer.«

»Ich glaube dir.«

Da Caesar ein geborener Gelehrter und sehr gebildet war, hatte er vieles mit Atticus gemein, der einen erlesenen Geschmack hatte. Was Literatur und Kunst betraf, waren ihre Geschmäcker ähnlich, und sie grübelten stundenlang über ein Stück von Menander oder eine Statue von Phidias nach.

»Es gibt nicht mehr viele gute Bilder in Griechenland«, sagte Atticus und schüttelte traurig den Kopf. »Was Mummius nach der Plünderung Korinths nicht mit nach Rom genommen hat — von Aemilius Paullus nach der Schlacht von Pydna ganz zu schweigen —, ist in den Jahrzehnten danach verschwunden. Wenn du die besten Bilder der Welt sehen willst, Caesar, mußt du in das Haus des Marcus Livius Drusus in Rom gehen.«

»Ich glaube, es gehört jetzt Crassus.«

Atticus verzog das Gesicht. Er mochte Crassus nicht, obwohl sie gemeinsam spekuliert hatten. »Wahrscheinlich hat er die Bilder irgendwo im Keller verstaut, wo sie so lange verstauben werden, bis jemand ihm einen Wink gibt, daß sie mehr wert sind als wohlerzogene Sklaven auf dem Markt oder billig aufgekaufte Mietshäuser.«

Caesar grinste. »Tja, Atticus, mein Freund, es können nicht alle kultiviert und gebildet sein. Es muß auch Platz für einen Crassus geben.«

»Nicht in meinem Haus!«

»Du bist nicht verheiratet«, sagte Caesar gegen Ende seines Aufenthalts in Athen. Er machte sich so seine Gedanken, warum Atticus bislang den Verwicklungen einer Ehe aus dem Weg gegangen war. Dennoch war seine Feststellung nicht beleidigend, weil er keine aufschlußreiche Antwort erwartete.

Atticus’ längliches, asketisches und recht strenges Gesicht verriet eine gewisse Entrüstung. »Nein, Caesar. Und ich habe auch nicht vor zu heiraten.«

»Ich dagegen bin seit meinem dreizehnten Lebensjahr verheiratet. Mit einem Mädchen, das noch immer nicht alt genug ist, um mit mir zu schlafen. Das ist ein seltsames Schicksal.«

»Seltsamer als die meisten Schicksale. Cinnas jüngere Tochter. Von der du dich nicht scheiden lassen willst, nicht einmal für Jupiter Optimus Maximus.«

»Nicht einmal für Sulla, meinst du wohl«, sagte Caesar lachend. »Ich hatte großes Glück. Ich befreite mich aus Gaius Marius’ Netz — mit Sullas tatkräftiger Unterstützung! — und war nicht länger Jupiterpriester.«

»Wo wir gerade von Heirat sprechen, kennst du Marcus Tullius Cicero?« fragte Atticus.

»Nein. Aber ich habe natürlich von ihm gehört.«

»Ihr müßtet eigentlich gut miteinander auskommen, aber vermutlich ginge es nicht«, meinte Atticus nachdenklich. »Was seine geistigen Fähigkeiten angeht, ist Cicero sehr empfindlich, und er hat nicht gern Konkurrenz. Vielleicht bist du ihm sogar geistig überlegen.«

»Was hat das mit Heirat zu tun?«

»Ich habe gerade eine Frau für ihn gefunden.«

»Wie schön«, sagte Caesar gleichgültig.

»Terentia. Varro Lucullus’ Adoptivschwester.«

»Eine furchtbare Frau, wie ich hörte.«

»Ja, aber gesellschaftlich besser gestellt, als er erwarten durfte.«

Caesar kam zu dem Schluß, daß es Zeit war zu gehen, da sein Gastgeber sich nur noch auf planlose Konversation beschränkte. Der Gast wußte, wessen Schuld das war. So wie er diesen römischen Plutokraten in seinem selbst auferlegten Exil verstand, hatte Atticus eine Vorliebe für kleine Jungen. Deshalb war der normalerweise recht kontaktfreudige Caesar ziemlich zurückhaltend.

Schade. Sonst hätte sich aus dieser ersten Begegnung eine tiefe und dauerhafte Freundschaft entwickeln können.

Von Athen aus nahm Caesar die von den Römern angelegte Heeresstraße nördlich von Attika durch Böotien, Thessalien und das Tempe-Tal; mit einem flüchtigen Gruß hinauf zu Zeus ging es in unbarmherzigem Tempo an dem fernen Gipfel des Olymp vorbei. Von Dium aus fuhr die kleine Gruppe mit dem Schiff von Insel zu Insel, bis sie den Hellespont erreichte. Die Reise von dort nach Nikomedeia dauerte drei Tage.

Im Palast von Nikomedeia wurde Caesar überschwenglich begrüßt. Der alte König und die Königin hatten die Hoffnung schon aufgegeben, ihn jemals wiederzusehen, vor allem, nachdem aus Mytilene die Nachricht eingetroffen war, daß Caesar zusammen mit Thermus und Lucullus nach Rom zurückgekehrt sei. Es blieb jedoch Sulla, dem Hund, überlassen, das ganze Ausmaß der Freude über Caesars Ankunft auszudrücken. Das Tier rannte jaulend und bellend im Palast herum, sprang an Caesar hoch, lief zu König und Königin, als wolle er ihnen sagen, wer da war, und wieder zurück zu Caesar; neben den Possen des Hundes verblaßten die königlichen Umarmungen und Küsse.

»Es ist beinah, als ob er spricht«, sagte Caesar und ließ sich in einen Sessel fallen. Der Hund setzte sich zu seinen Füßen und stieß ein paar erstickte Laute aus. Caesar beugte sich zu ihm hinab und kraulte ihm den Bauch. »Sulla, alter Junge, ich hätte nie gedacht, daß ich mich so freuen würde, dein häßliches Gesicht zu sehen!«

Seine eigenen Eltern, überlegte Caesar später am Abend, nachdem er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte und unbekleidet auf dem Bett lag, hatten sich immer ziemlich distanziert verhalten. Der Vater war selten zu Hause gewesen, und wenn er zu Hause war, schien er mehr daran interessiert zu sein, mit seiner Frau zu streiten, als eine persönliche Beziehung zu seinen Kindern aufzubauen. Und die Mutter war stets gerecht, schonungslos kritisch und unfähig, Gefühle zu zeigen. Vielleicht, dachte Caesar aus seinem gegenwärtigen Blickwinkel heraus, war das ein wesentlicher Grund für die unerklärliche, aber eindeutig ablehnende Haltung des Vaters gegenüber der Mutter — ihre mangelnde Zärtlichkeit, ihre Unnahbarkeit. Was der junge Mann natürlich nicht wissen konnte, war, daß die eigentliche Ursache für die Unzufriedenheit seines Vaters die vorbehaltlose Liebe seiner Frau zu ihrer Tätigkeit als Grundbesitzerin gewesen war — eine Arbeit, die er als unter ihrer Würde betrachtete. Da Caesar und seine Schwestern die Grundbesitzerin Aurelia nie kennengelernt hatten, konnten sie sich nicht vorstellen, wie ihren Vater dieser Zug an ihr geärgert hatte. Statt dessen hatten sie das Verhalten ihres Vaters mit ihrem eigenen Hunger nach Zärtlichkeit gleichgesetzt; sie konnten ja nicht wissen, wie angenehm die Nächte waren, die ihre Eltern miteinander verbrachten. Als die schreckliche Nachricht vom Tod des Vaters eingetroffen war — übermittelt durch den Überbringer seiner Asche —, hatte Caesar seine Mutter sofort in den Arm genommen, um sie zu trösten. Sie aber hatte sich losgerissen und ihn mit knappen Worten ermahnt, daran zu denken, wer er war. Es hatte weh getan, bis die Distanz, die er von ihr geerbt hatte, sich durchsetzte, und ihm klar wurde, daß er von ihr kein anderes Verhalten erwarten konnte.

Vielleicht, dachte Caesar jetzt, war das nichts weiter als ein Zeichen für etwas, das er überall festgestellt hatte — daß Kinder von ihren Eltern stets etwas verlangten, das die Eltern ihnen nicht geben wollten oder nicht geben konnten. Seine Mutter war eine unbezahlbare Perle, das wußte er. Und er wußte auch, wie sehr er sie liebte und wie viel er ihr verdankte, weil sie ihn ständig darauf aufmerksam machte, wo seine Schwächen lagen — ganz zu schweigen von manch wunderbar weltlichem und unmütterlichem Rat.

Und doch. .. Wie schön war es, mit Umarmungen und Küssen und bedingungsloser Liebe begrüßt zu werden, wie Nikomedes und Oradaltis ihn heute begrüßt hatten. Er ging allerdings nicht so weit, sich zu wünschen, seine Eltern wären mehr wie sie gewesen; er wünschte sich nur, sie wären seine Eltern gewesen.

Diese Stimmung hielt an, bis er am nächsten Morgen mit ihnen aß und das Licht des Tages die Absurdität seines Wunsches offenbarte. Während Caesar so dasaß und König Nikomedes betrachtete, überlagerte sich das Gesicht seines Vaters mit dem des Königs (aus Achtung vor Caesar hatte Nikomedes sich nicht geschminkt), und am liebsten hätte er laut gelacht. Und Oradaltis — obwohl sie Königin war, war sie nicht einmal ein Zehntel so königlich wie Aurelia. Nicht Eltern, dachte er, sondern Großeltern.

Im Oktober war Caesar in Nikomedeia eingetroffen, und er hatte nicht vor, rasch weiterzuziehen, sehr zur Freude des Königs und der Königin, die bestrebt waren, alle Wünsche ihres Gastes zu erfüllen, sei es ein Besuch in Gordium, in Pessinus oder in den Marmorbrüchen auf der Insel Marmara Adasi. Aber im November — Caesar war noch keinen Monat in Bithynien — wurde er gebeten, etwas sehr Schwieriges und überaus Merkwürdiges zu tun.

Im März desselben Jahres war der neue Statthalter von Cilicia, der jüngere Dolabella, mit zwei anderen römischen Adligen und einem Gefolge von Beamten von Rom aus in seine Provinz aufgebrochen. Der bedeutendere der beiden Begleiter war Dolabellas oberster Legat, Gaius Verres; der andere war sein Quästor, Gaius Publicius Malleolus, der ihm durch das Los zugeteilt worden war.

Malleolus, der durch seine Wahl zum Quästor zu Sullas neuen Senatoren gehörte, war keineswegs ein homo novus. In seiner Familie hatte es bereits Konsuln gegeben, und in seinem Atrium hingen Porträts seiner Ahnen. Geld besaß er jedoch wenig; nur aufgrund einiger Glückskäufe während der Proskriptionen konnte die Familie ihre ganze Hoffnung auf den dreißigjährigen Gaius setzen, der durch den Aufstieg ins Konsulat den alten Status der Familie wiederherstellen sollte. Da seine Mutter und seine Schwestern wußten, wie bescheiden Gaius’ Gehalt und wie kostspielig die Beibehaltung des Lebensstils des jüngeren Dolabella sein würde, verkauften sie ihren Schmuck, um Malleolus’ Geldbeutel aufzufüllen; Malleolus selbst gedachte sich noch ein dickeres finanzielles Polster zu schaffen, wenn er erst in seiner Provinz war. Zudem hatten ihm die Frauen den größten noch vorhandenen Familienschatz zugeschoben, eine prächtige Sammlung Gold- und Silberbesteck. Wenn er für den Statthalter ein Festessen veranstalte und bei dieser Gelegenheit das Familienbesteck benutze, meinten die Damen, werde sein Ansehen steigen.

Leider war Gaius Publicius Malleolus geistig nicht so auf der Höhe wie Männer seines Clans vor ihm; seine Naivität ließ für seine Zukunft in der vordersten Reihe von Dolabellas Gefolge nichts Gutes ahnen. Noch ehe die Gruppe Tarentum erreicht hatte, hatte der oberste Legat Gaius Verres Malleolus genau taxiert, und er verhielt sich dem Quästor gegenüber so charmant und zuvorkommend, daß Malleolus Verres für den besten Kameraden hielt.

Sie reisten zusammen mit dem neuen Statthalter der Provinz Asia Gaius Claudius Nero, der weitaus maßvoller war als der jüngere Dolabella, nach Osten. Er war Patrizier und besaß ein größeres Vermögen als jener fruchtbare Zweig der Claudii, der den Beinamen Pulcher führte.

Gaius Verres packte wieder einmal die Gier. Obwohl er — dank vorheriger Kenntnis des Gebiets — mit der Proskription bedeutender Grundbesitzer und Magnaten rund um Beneventum ein gutes Geschäft gemacht hatte, hatte dies seine Leidenschaft für Kunstwerke nicht befriedigen können. Die Geächteten von Beneventum waren ein unkultivierter Haufen; sie waren mit einer kitschigen neapolitanischen Kopie einer sentimentalen Gruppe von Nymphen genauso zufrieden wie mit einem Praxiteles oder einem Myron. Zunächst hatte Verres auf die Proskription des Enkels des berühmt-berüchtigten Sextus Perquitienus gewartet, der unter den Rittern einen beispiellosen Ruf als Kunstkenner genoß und dessen Sammlung dank seiner Tätigkeit als Steuerpächter in der Provinz Asia vielleicht noch umfangreicher war als die des Marcus Livius Drusus. Aber dann hatte sich herausgestellt, daß der Enkel Sullas Neffe war, und damit war der Besitz des Sextus Perquitienus für alle Zeit sicher.

Obwohl Gaius Verres’ Familie nicht besonders angesehen war — sein Vater war ein pedarius, ein Senator zweiten Ranges, in den hinteren Reihen des Senats —, hatte er sich dank seines sicheren Instinkts, immer dort zu sein, wo das Geld war, und seiner Fähigkeit, wichtige Männer von seinen Vorzügen zu überzeugen, bemerkenswert gut geschlagen. Er hatte Carbo mit Leichtigkeit zum Narren gehalten, aber es war ihm nie gelungen, Sulla zu täuschen, obwohl jener ihn bedenkenlos dazu benutzt hatte, Samnium zu vernichten. Leider gab es in Samnium ebensowenig große Kunstwerke wie in Beneventum, und deshalb blieb Verres’ Habgier ungestillt.

Verres beschloß, nach Osten zu gehen. Dort in der hellenisierten, Welt gab es buchstäblich überall Statuen und Bilder, von Alexandria, Olympia und Pontos bis Byzanz. Als Sulla per Los die Statthalter für das kommende Jahr bestimmt hatte, hatte Verres sich nach Abwägung aller Möglichkeiten für den jüngeren Dolabella entschieden. Dessen Vetter, der ältere Dolabella, war in Mazedonien — was Kunstwerke betraf, eine fruchtbare Provinz —, aber er war ein harter Mann und verfolgte seine eigenen Ziele. Und Gaius Claudius Nero, der neue Statthalter der Provinz Asia, war ein ziemlicher Pedant. Blieb nur noch der neue Statthalter von Cilicia, der jüngere Dolabella. Der gierige, unmoralische Dolabella, der mit schmutzigen, übelriechenden Frauen der ordinärsten Sorte heimlich Orgien feierte und dabei den Geschlechtstrieb steigernde Drogen konsumierte, war für Gaius Verres genau der richtige Mann. Lange vor der Reise nach Osten hatte Verres sich für Dolabella unentbehrlich gemacht, indem er seinen geheimen Lastern nachging.

Glück, dachte Verres triumphierend: Er besaß Fortunas Gunst! Es gab nicht viele Männer wie den jüngeren Dolabella, und in der Regel brachten sie es nicht so weit. Wäre der ältere Dolabella Sulla militärisch nicht eine so große Stütze gewesen, wäre der jüngere nie Prätor und Statthalter einer Provinz geworden. Obwohl der jüngere Dolabella natürlich die Chance ergriffen hatte, lebte er in ständiger Angst. Deshalb atmete er erleichtert auf, als Verres sich als ebenso verständnisvoll wie einfallsreich erwies.

Während die Gruppe mit Claudius Nero unterwegs war, hatte Verres sich zusammenreißen müssen, um nicht hier ein Werk aus einem griechischen Heiligtum und dort eines aus einer griechischen Agora zu stehlen. Besonders in Athen war es ihm schwergefallen, so reichhaltig waren überall die Schätze. Aber Titus Pomponius Atticus lauerte wie eine riesige Spinne inmitten des römischen Netzes, das Athen umgab. Wegen seines Scharfsinns in Geldangelegenheiten, seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Metelli und seiner vielen Geschenke an Athen durfte man Atticus nicht verärgern. Zudem war bekannt, wie sehr er die Sorte Römer verabscheute, die Kunstwerke raubte.

Aber in Athen trennten sich die Wege von Dolabella und Claudius Nero, der unbedingt Pergamon erreichen wollte und von Natur aus kein Griechenlandliebhaber war. Deshalb segelte Claudius Nero so schnell wie möglich nach der Provinz Asia, während Dolabellas Schiff die kleine Insel Delos anlief.

Ehe Mithridates vor neun Jahren in die Provinz Asia und in Griechenland eingefallen war, war Delos der Mittelpunkt des weltweiten Sklavenhandels gewesen. Piraten hatten von dort aus den gesamten östlichen Mittelmeerraum mit Sklaven versorgt. Täglich wechselten auf Delos zwanzigtausend Sklaven ihre Besitzer, was nicht hieß, daß eine endlose Parade von Sklavenschiffen den schönen großen Hafen verstopfte. Der Handel vollzog sich auf dem Papier; gegen eine bestimmte Summe wurde das Besitzrecht an den Sklaven dem neuen Herrn übertragen. Nur besondere Sklaven wurden persönlich nach Delos gebracht; ansonsten war die Insel den Händlern vorbehalten.

Früher hatte es dort neben Alexandrinern und Juden auch eine breite italisch-römische Bevölkerungsschicht gegeben. Das größte Gebäude auf Delos war die römische Agora, wo römische und italische Kaufleute ihre Büros untergebracht hatten. Jetzt war das Gebäude windschief und fast ebenso menschenleer wie die Westseite der Insel, wo wegen des besseren Klimas die meisten Häuser standen. An den Hängen des Berges Kynthos lagen die Bezirke und Tempel der Götter, die unter dem Patronat der Ptolemäer aus Ägypten und der Seleukiden aus Syrien nach Delos importiert worden waren. Das Heiligtum der Artemis lag ganz in der Nähe des heiligen Hafens, wo nur Pilgerschiffe vor Anker gingen. Nördlich davon befand sich der große und herrliehe Bezirk des Apoll mit einigen der berühmtesten Kunstwerke. Und die Prozessionsstraße zwischen dem Tempel der Leto und dem heiligen See wurde von monumentalen Löwenskulpturen aus weißem Marmor gesäumt.

Verres war unbändig vor Entzücken und ließ sich bei seinen Erkundungen nicht stören. Er eilte von einem Tempel zum anderen, bestaunte die Statue der Artemis von Ephesos, die mit Stierhoden beladen war, die an sterile Hängebrüste erinnerten, bewunderte die Göttin Ma von Komana, die Hekate von Sidon und den Serapis von Alexandria und begeisterte sich für Goldelfenbeinwerke und mit Juwelen besetzte orientalische Throne, auf denen man anscheinend mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzen mußte. Im Apollotempel entdeckte er schließlich zwei Statuen, denen er nicht widerstehen konnte — eine Gruppe, bestehend aus dem Satyr Marsyas mit seiner Flöte, dem verzückten Midas und dem empörten Apoll, und eine angeblich von Phidias, dem Meister der Goldelfenbeintechnik, stammende Statue der Leto mit ihren göttlichen Kindern auf dem Arm. Da diese beiden Kunstwerke relativ klein waren, schlichen sich Verres und vier seiner Diener vor Auslaufen des Schiffes mitten in der Nacht in den Tempel, nahmen die Statuen von ihren Sockeln, wickelten sie behutsam in Decken und verstauten sie in dem Teil des Laderaums, wo Gaius Verres’ Habseligkeiten untergebracht waren.

»Ich bin froh, daß Archelaus und nach ihm Sulla diesen Ort geplündert haben«, sagte bei Tagesanbruch ein zufriedener Verres zu Malleolus. »Würde auf Delos noch immer der Sklavenhandel blühen, wäre es selbst bei Nacht viel schwieriger, unbehelligt herumzulaufen und etwas zu ergattern.«

Etwas verwundert fragte sich Malleolus, was Verres wohl meinte, aber als er in dessen unnatürlich schönes, honigfarbenes Gesicht blickte, wagte er nicht zu fragen. Kaum einen halben Tag später wußte er es. Ein plötzlich aufkommender Wind hatte das Auslaufen des Schiffes verhindert, und noch bevor der Wind sich wieder gelegt hatte, waren die Priester des Apollotempels zu Dolabella gekommen und hatten sich beklagt, daß zwei der wertvollsten Schätze des Gottes gestohlen worden seien. Und da sie bemerkt hatten, wie lange Verres um die Statuen herumgeschlichen war, mit der Hand darüber gestrichen, sie auf den Sockeln hin und her gerückt und mit den Augen abgemessen hatte, beschuldigten sie ihn der Tat. Entsetzt erkannte Malleolus, daß die Behauptung gerechtfertigt war. Obwohl er Verres mochte und es ihm schwerfiel, zu Dolabella zu gehen und ihm zu berichten, was Verres gesagt hatte, tat er seine Pflicht. Und Dolabella bestand darauf, daß Verres die Kunstwerke zurückgab.

»Dies ist Apolls Geburtsort«, sagte er und erschauerte. »Du darfst hier nicht plündern. Wir werden sonst alle sterben.«

Widerwillig und von einer übermächtigen Wut gepackt, gab Verres die Statuen zurück, indem er sie über die Reling auf das steinige Ufer warf. Das sollte Malleolus büßen. Doch zu Malleolus’ großem Erstaunen bedankte sich Verres bei ihm dafür, daß er den Raub verhindert hatte.

»Ich bin so gierig nach Kunstwerken, daß es mir große Probleme bereitet«, sagte Verres mit treuherzigen, feuchten Augen. »Danke, danke!«

Seine Gier sollte jedoch noch befriedigt werden. Auf der Insel Tenedos — die Dolabella wegen der Rolle, die sie im Krieg gegen Troja gespielt hatte, unbedingt besuchen wollte — eignete sich Verres die Statue des Tenes an, ein schönes hölzernes Kunstwerk, das so alt war, daß es nur entfernt an einen Menschen erinnerte.

»Ich will es, ich muß es haben!« sagte er offen und ließ das Kunstwerk im Laderaum des Schiffes verschwinden, während Dolabella und Malleolus seufzend und kopfschüttelnd zusahen, weil ihre auf einen längeren Zeitraum angelegte und notwendigerweise enge Zusammenarbeit nicht gefährdet werden sollte. Auf Chios und in Erythrae machte Verres ebenfalls reiche Beute, und Malleolus wurde jetzt in eine Korruption hineingezogen, der sich Dolabella schon nicht mehr widersetzen konnte. Als Verres beschloß, aus dem Tempel und dem Bezirk der Hera auf Samos sämtliche Kunstwerke zu entwenden, konnte er Dolabella überreden, ein zusätzliches Schiff anzuheuern und dem Admiral Charidemus von Chios zu befehlen, der Flotille des neuen Statthalters von Cilicia auf dem letzten Stück ihrer Reise nach Tarsus mit seinem Fünfruderer Geleitschutz zu geben. Der immer größer werdende Schatz durfte nicht in die Hände von Piraten fallen! Halicarnassos büßte ein paar Statuen von Praxiteles ein — Verres’ letzte Plünderung in der Provinz Asia, wo mittlerweile helle Aufregung herrschte. Dafür raubte er in Pamphylia den wundervollen Harfenisten von Aspendos und den größten Teil der Kunstwerke aus dem Tempel der Artemis in Perge. Da die Statue der Göttin nach Verres’ Ansicht schlecht gearbeitet war, nahm er nur den goldenen Umhang und schmolz ihn zu hübschen handlichen Barren ein.

Schließlich gelangten sie nach Tarsus. Dolabella war froh, sich in seinem Palast einrichten zu können, und Verres freute sich über eine eigene Villa, wo er sich an den Schätzen, die er angehäuft hatte, ergötzen konnte. Er wußte die Kunstwerke wirklich zu schätzen und hatte nicht die Absicht, auch nur eines davon zu verkaufen. Nur die Besessenheit und Amoralität des fanatischen Sammlers nahm bei Gaius Verres ein bis dato unbekanntes Ausmaß an.

Auch Gaius Publicius Malleolus freute sich über ein hübsches Haus am Ufer des Cydnus. Er packte sein Gold- und Silberbesteck und seine Geldsäcke aus, denn er wollte seinen Reichtum vermehren, indem er denjenigen, die sich von anderer Seite nichts borgen konnten, zu einem übertriebenen Zinssatz Geld lieh. Er fand Verres ungeheuer sympathisch und hilfsbereit.

Inzwischen war Dolabella in eine Trägheit befriedigter Wollust verfallen, sein Verstand war ständig durch den Giftstoff der Spanischen Fliege und andere Aphrodisiaka getrübt, die Verres ihm beschaffte, und er überließ die Verwaltung der Provinz seinem obersten Legaten und seinem Quästor. Verres war vernünftig genug, die Kunstwerke von Tarsus in Ruhe zu lassen; statt dessen sann er auf Rache. Es war Zeit, sich mit Malleolus zu befassen.

Er schnitt ein Thema an, das allen Römern sehr am Herzen lag - die Abfassung eines Testaments.

»Kurz vor meiner Abreise habe ich bei den Vestalinnen ein neues hinterlegt«, sagte Verres. Das Licht der Kerzen verlieh seinem welligen Haar einen goldenen Schimmer und machte ihn besonders anziehend. »Ich nehme an, du hast dasselbe getan, Malleolus?«

»Nein«, antwortete dieser verwirrt. »Ich muß gestehen, daß ich daran noch nie gedacht habe.«

»Mein lieber Freund, das ist Wahnsinn!« rief Verres. »In der Fremde kann einem alles mögliche passieren — Piraten, Krankheiten, Schiffbruch. Denk nur an Servilius Caepio, der vor fünfundzwanzig Jahren auf der Heimfahrt ertrunken ist. Er war Quästor wie du!« Verres goß noch mehr Dessertwein in Malleolus’ vergoldeten Becher. »Du mußt ein Testament machen!«

Während Malleolus immer mehr trank, tat Verres nur so. Als der oberste Legat merkte, daß Dolabellas törichter Quästor zu benebelt war, um zu verstehen, was er unterzeichnete, verlangte Verres Papier und Feder, schrieb auf, was Gaius Publicius Malleolus ihm diktierte, und half ihm, das Dokument zu unterschreiben und zu versiegeln. Das Testament wurde in ein Fach von Malleolus’ Schreibtisch gelegt und von seinem Verfasser prompt vergessen. Knapp vier Tage später starb Malleolus an einer unbekannten Krankheit, welche die Ärzte aus Tarsus schließlich als Lebensmittelvergiftung deklarierten. Gaius Verres legte das Testament vor und war erstaunt und entzückt, daß sein Freund, der Quästor, ihm seinen gesamten Besitz vermacht hatte, einschließlich des Familiensilbers.

»Furchtbare Sache«, sagte er traurig zu Dolabella. »Eine hübsche Erbschaft, aber es wäre mir lieber, der arme Malleolus weilte noch unter uns.«

Obwohl Dolabellas Verstand durch die Drogen benebelt war, spürte er die Scheinheiligkeit in Verres’ Worten. Er beschränkte sich jedoch auf die Frage, wie er so schnell aus Rom einen neuen Quästor bekommen sollte.

»Keine Sorge«, meinte Verres vergnügt. »Ich war Carbos Quästor und gut genug, um zu seinem Proquästor ernannt zu werden, als er als Statthalter ins italische Gallien ging. Mache mich zum Proquästor.«

Und so gingen die Angelegenheiten Cilicias — ganz zu schweigen von der Staatskasse — in Gaius Verres’ Hände über.

Den ganzen Sommer hindurch arbeitete Verres emsig, aber nicht zum Wohle Cilicias, sondern zu seinem eigenen Vorteil; vor allem der Geldverleih, den er von Malleolus übernommen hatte, florierte. Nur die Kunstsammlung blieb konstant. An diesem Punkt seiner Karriere war selbst Verres nicht selbstsicher genug, um das eigene Nest zu beschmutzen, indem er aus Städten und Tempeln in Cilicia Kunstwerke raubte. Und er konnte auch nicht wieder anfangen, die Provinz Asia zu plündern — zumindest solange nicht, wie Claudius Nero dort Statthalter war. Denn von der Insel Samos war eine Abordnung nach Pergamon gekommen, um sich bei Claudius Nero über die Plünderung des Heiligtums der Göttin Hera zu beschweren. Dieser hatte mit Bedauern erklärt, es stünde nicht in seiner Macht, den Legaten eines anderen Statthalters zu bestrafen oder zur Ordnung zu rufen, und die Bewohner von Samos sollten sich mit ihrer Beschwerde an den Senat von Rom wenden.

Ende September hatte Verres eine Idee, und er verlor keine Zeit, sie in die Tat umzusetzen. In Bithynien und Thrakien gab es Schätze im Überfluß. Weshalb also sollte er seine Kunstsammlung nicht auf Kosten Bithyniens und Thrakiens vergrößern? Er überredete Dolabella, ihn zum Sonderbotschafter zu ernennen und mit Empfehlungsschreiben zu König Nikomedes von Bithynien und dem Thrakerkönig Sadala zu schicken. Anfang Oktober brach Verres, von Attaleia zum Hellespont auf. Er machte um die Provinz Asia einen Bogen und hoffte, daß er unterwegs, wenn auch keine reizvollen Kunstwerke, so doch etwas Gold aus den Tempeln entlang des Weges ergattern konnte.

Die Delegation bestand nur aus Schurken, denn Verres wollte keine rechtschaffenen, aufrichtigen Männer dabei haben. Sogar die sechs Liktoren, auf die er als Botschafter mit dem Rang eines Proprätors Anspruch hatte, wählte er mit großer Sorgfalt aus, um sicherzustellen, daß sie ihn bei seinen schändlichen Unternehmen unterstützten. Sein wichtigster Gehilfe war ein hoher Beamter aus Dolabellas Stab, ein gewisser Marcus Rubrius. Verres und Rubrius hatten schon oft zusammengearbeitet; unter anderem hatten sie Dolabella schmutzige, übelriechende Frauen besorgt. Unter seinen Sklaven waren große, kräftige Männer, die schwere Statuen schleppen konnten, und kleine, die sich durch enge Öffnungen zwängen konnten, und seine Schreiber waren nur dazu da, um das, was er entwendete, zu katalogisieren.

Die Reise über Land verlief enttäuschend, da Pisidia und der Teil Phrygias, den er durchquerte, von den Feldherren des Mithridates vor neun Jahren völlig geplündert worden waren. Verres überlegte, ob er auf dem Sagaris weiterfahren sollte, um zu sehen, was er in Pessinus stehlen konnte, aber schließlich entschied er, sich geradewegs nach Lampsakos am Hellespont zu begeben. Dort konnte er ein Kriegsschiff der Provinz Asia als Geleitschutz requirieren, an der bithynischen Küste entlangsegeln und alles, was er fand und was ihm gefiel, auf einem stabilen Frachter verstauen.

Der Hellespont war ein Stück Niemandsland. Genaugenommen gehörte er zur Provinz Asia, aber auf der Landseite wurde er von den Bergen Mysias begrenzt, und er war mehr mit Bithynien als mit Pergamon verbunden. Lampsakos war der wichtigste Hafen auf der asiatischen Seite der Meerenge und lag fast gegenüber dem thrakischen Kallipolis. Hier gingen die verschiedenen Armeen, die den Hellespont überquerten, an Land. Lampsakos war eine große, belebte Stadt, deren wirtschaftlicher Wohlstand in hohem Maße auf der Menge und Qualität des im Hinterland erzeugten Weines beruhte.

Obwohl Lampsakos formal der Aufsicht des Statthalters der Provinz Asia unterstand, hatte es sich lange seine Unabhängigkeit bewahrt, und Rom gab sich mit einem Tribut zufrieden. Wie in allen wohlhabenden Städten an der Mittelmeerküste hatten sich auch hier römische Kaufleute niedergelassen, aber die Verwaltung und der größte Teil des Vermögens lagen in den Händen der phokäischen Griechen, die nicht das römische Bürgerrecht besaßen; sie waren nur socii, Verbündete.

Verres hatte über jeden Ort entlang seiner Route Erkundigungen eingezogen, und als seine Delegation in Lampsakos eintraf, wußte er über den Status der Stadt und ihrer einflußreichen Bürger Bescheid. Die römische Kavalkade, die von den Hügeln in die Hafenstadt herabgeritten kam, verursachte einen panikartigen Aufruhr. Sechs Liktoren ritten der bedeutenden römischen Persönlichkeit voran, und dahinter folgten zwanzig Diener und eine Truppe von hundert cilicischen Reitern. Die Ankunft der Delegation kam völlig unerwartet; niemand wußte, was sie in Lampsakos wollte.

Ein gewisser Ianitor war in diesem Jahr oberster Ethnarch. Auf die Nachricht hin, daß eine römische Delegation ihn in der Agora erwarte, begab er sich mit einigen anderen Ältesten der Stadt eilends dorthin.

»Ich weiß nicht genau, wie lange ich bleiben werde«, sagte Gaius Verres, »aber ich brauche eine passende Unterkunft für mich und meine Leute.« Er wirkte stattlich und gebieterisch, aber kein bißchen arrogant.

Es sei unmöglich, erklärte Ianitor zögernd, ein Haus zu finden, das groß genug sei, um allen Platz zu bieten. Aber natürlich werde er den Gesandten mit seinen Liktoren und Dienern in seinem Hause unterbringen, und der Rest werde auf andere Haushalte verteilt. Dann stellte Ianitor die übrigen Ältesten vor, darunter Philodamus, der zu Sullas Zeit oberster Stammesführer von Lampsakos gewesen war.

»Wie ich hörte«, sagte der Beamte Marcus Rubrius leise zu Verres, als sie zu Ianitors Haus geführt wurden, »hat der alte Philodamus eine so unvergleichlich schöne und tugendhafte Tochter, daß er sie versteckt hält. Ihr Name ist Stratonike.«

Was die sexuellen Bedürfnisse betraf, war Verres kein Dolabella. Wie seine Statuen und Bilder mußten auch seine Frauen vollendete Kunstwerke sein, lebendig gewordene Galateas. Wenn er nicht in Rom war, verzichtete er daher gewöhnlich auf sexuelle Befriedigung, da er sich nicht mit zweitklassigen Frauen zufriedengeben wollte, nicht einmal mit so berühmten Kurtisanen wie Praecia. Und wenn er einmal heiratete, dann sollte es eine Frau aus gutem Hause und von beispielloser Schönheit sein — eine moderne Aurelia. Diese Reise in den Osten sollte sein Glück festigen und es ihm ermöglichen, mit einer stolzen Caecilia, Metella oder Claudia Pulchra über eine Heirat zu verhandeln. Eine Julia wäre die beste Partie gewesen, aber die Julias waren bereits alle vergeben.

Seit Monaten hatte Verres kein Liebesabenteuer mehr gehabt, und er hatte auch nicht erwartet, in Lampsakos eines zu erleben. Aber Rubrius hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Verres’ Schwächen herauszufinden — abgesehen von seiner Leidenschaft für leblose Kunstwerke —, und sobald die Delegation in der Stadt eingetroffen war, hatte er sich umgehört. Von geschwätzigen Leuten hatte er erfahren, daß Philodamus eine Tochter namens Stratonike hatte, die aufs Haar der Göttin Aphrodite glich.

»Stelle weitere Nachforschungen an«, sagte Verres knapp. Und als er vor Ianitors Haus anlangte, wo der oberste Ethnarch bereits wartete, um ihn persönlich willkommen zu heißen, setzte Verres sein charmantestes Lächeln auf. Rubrius nickte und folgte dem Sklaven zu seiner weniger vornehmen Unterkunft; schließlich war er nur ein kleiner Beamter ohne den Status eines Gesandten.

Am Nachmittag erschien Rubrius wieder im Hause Ianitors, um mit Verres unter vier Augen zu sprechen.

»Hast du es bequem hier?« fragte Rubrius.

»Mehr oder weniger. Natürlich ist es keine römische Villa. Wie schade, daß keiner der römischen Einwohner von Lampsakos zu den Wohlhabendsten zählt. Ich gebe mich nur ungern mit Griechen ab! Sie sind mir zu unkultiviert. Dieser Ianitor lebt nur von Fisch — es gibt nicht einmal ein Ei oder einen Vogel zum Essen. Aber der Wein war vorzüglich. Wie bist du in Sachen Stratonike vorangekommen?«

»Nur mühsam, Gaius Verres. Das Mädchen ist anscheinend ein Muster an Tugendhaftigkeit, aber vielleicht bewachen ihr Vater und ihr Bruder sie gerade deshalb so wie Tigranes die Frauen in seinem Harem.«

»Dann werde ich zum Essen zu Philodamus gehen müssen.«

Rubrius schüttelte energisch den Kopf. »Ich fürchte, das wird nichts nützen, Gaius Verres. Diese Stadt ist durch und durch phokäisch. Gäste bekommen die Frauen der Familie nicht zu Gesicht.«

Verres und Rubrius steckten die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln.

»Mein Gehilfe Marcus Rubrius ist schlecht untergebracht«, sagte Verres zu Ianitor, nachdem Rubrius gegangen war. »Ich verlange ein besseres Quartier für ihn. Wie ich hörte, ist ein gewisser Philodamus nach dir der nächste bedeutende Mann. Bitte sorge dafür, daß Marcus Rubrius morgen als erstes in das Haus des Philodamus umziehen kann.«

»Ich will den Wurm nicht haben!« fuhr Philodamus Ianitor an, als dieser ihm Verres’ Wunsch vortrug. »Wer ist dieser Marcus Rubrius denn schon? Ein schmuddeliger kleiner römischer Beamter! Früher hatte ich römische Konsuln und Prätoren zu Gast — ja sogar den großen Lucius Cornelius Sulla, als er das letzte Mal den Hellespont überquerte! Ich habe noch nie jemanden beherbergt, der so unbedeutend war wie Gaius Verres! Und wer ist er denn? Nur ein Gehilfe des Statthalters von Cilicia!«

»Bitte, Philodamus, bitte! Um meinetwillen! Um unserer Stadt willen! Dieser Gaius Verres ist ein übler Bursche, das spüre ich in meinen Knochen. Außerdem hat er hundert berittene Soldaten bei sich. In ganz Lampsakos könnten wir nicht einmal halb so viel erfahrene Soldaten auftreiben.«

Schließlich gab Philodamus nach, und Rubrius wechselte sein Quartier. Aber bald mußte Philodamus feststellen, daß es ein Fehler gewesen war, nachzugeben. Rubrius war kaum im Haus, da verlangte er auch schon die schöne Tochter zu sehen, und als ihm dieses Privileg verweigert wurde, durchstöberte er sogleich Philodamus’ geräumiges Haus. Da seine Suche erfolglos blieb, beorderte Rubrius Philodamus in dessen eigenem Haus wie einen Diener zu sich.

»Du wirst Gaius Verres heute nachmittag zum Essen einladen - und serviere etwas anderes als immer nur Fisch! Fisch ist ja schön und gut, aber man kann nicht davon leben. Ich will Lamm, Huhn und anderes Geflügel, eine Menge Eier und den besten Wein.«

Philodamus beherrschte sich. »Aber es war nicht leicht«, sagte er anschließend zu seinem Sohn.

»Sie sind hinter Stratonike her«, meinte Artemidorus wütend.

»Das glaube ich auch, aber sie haben mir diesen Rubrius so schnell aufgehalst, daß ich keine Gelegenheit hatte, sie aus dem Haus zu bringen. Und jetzt geht es nicht mehr. Vor und hinter dem Haus schleichen Römer herum.«

Artemidorus wollte bei dem Festessen für Verres dabeisein, aber als Philodamus in das zornige Gesicht seines Sohnes blickte, begriff er, daß dessen Gegenwart die Situation nur noch verschlimmern würde. Nach langem Hin und Her war der junge Mann schließlich bereit, woanders zu essen. Was Stratonike anging, war es das beste, sie zusammen mit zwei kräftigen Dienern in ihrem Zimmer einzusperren.

Gaius Verres kam in Begleitung seiner sechs Liktoren, die sich vor dem Haus postierten, während eine Abteilung berittener Soldaten den Hintereingang bewachte. Kaum hatte es sich der römische Gesandte auf seinem Liegesofa bequem gemacht, da verlangte er, daß Philodamus seine Tochter hole.

»Das kann ich nicht tun, Gaius Verres«, erklärte der Alte. »Dies ist eine phokäische Stadt, und das bedeutet, daß unsere Frauen niemals mit Fremden in einem Raum sind.«

»Ich verlange ja nicht, daß sie mit uns ißt, Philodamus«, sagte Verres geduldig. »Ich möchte nur dieses Muster an Tugend sehen, von dem die ganze Stadt spricht.«

»Ich weiß nicht, weshalb man von ihr sprechen sollte, wo sie doch noch niemand gesehen hat«, meinte Philodamus.

»Zweifellos plaudern deine Diener so manches aus. Hol sie her, alter Mann!«

»Ich kann nicht, Gaius Verres.«

Es waren noch fünf andere Gäste anwesend — Rubrius und vier weitere Beamte. Kaum hatte Philodamus sich geweigert, seine Tochter zu holen, da riefen alle, sie wollten sie sehen. Und je beharrlicher Philodamus sich weigerte, desto lauter schrien sie.

Als der erste Gang serviert wurde, nutzte Philodamus die Gelegenheit und verließ den Raum. Er schickte einen seiner Diener zu dem Haus, wo Artemidorus aß, um ihn zu bitten, nach Hause zu kommen und seinem Vater beizustehen. Kaum war der Diener fort, ging Philodamus wieder in das Speisezimmer und weigerte sich weiterhin hartnäckig, den Römern seine Tochter zu zeigen. Rubrius und zwei seiner Begleiter erhoben sich, um das Mädchen zu suchen. Philodamus stellte sich ihnen in den Weg. Auf einem Rost neben der Tür stand ein Krug mit kochendheißem Wasser, das in Schüsseln gegossen wurde, in denen wiederum kleinere Schüsseln mit Essen aufgewärmt wurden, die aus der Küche kamen. Rubrius griff nach dem Krug und schüttete Philodamus heißes Wasser über den Kopf. Während die Diener entsetzt die Flucht ergriffen, vermischten sich die Schreie des alten Mannes mit den Rufen und dem Hohngelächter der Römer, die sich formierten, um Stratonike zu suchen.

Das Chaos war perfekt, als Artemidorus und zwanzig seiner Freunde vor dem Haus seines Vaters eintrafen, wo Verres’ Liktoren ihnen den Weg versperrten. Der Anführer der Liktoren, ein gewisser Cornelius, vertraute auf seine eigene Unverletzlichkeit und dachte nicht einen Moment daran, daß Artemidorus und seine Freunde sich gewaltsam Zutritt zu dem Haus verschaffen würden. Was vielleicht auch nicht der Fall gewesen wäre, hätte Artemidorus nicht die furchtbaren Schreie seines verbrühten Vaters vernommen. Die Lampsaker rückten gnadenlos vor. Während einige Liktoren sich nur leichtere Verletzungen zuzogen, brach Cornelius sich das Genick.

Als Artemidorus und seine Freunde mit Knüppeln in den Händen und mit mordgierigen Blicken in das Speisezimmer stürmten, liefen die Teilnehmer des Banketts vor Schreck auseinander. Aber Gaius Verres war kein Feigling. Er stieß die Eindringlinge verächtlich zur Seite und verließ mit Rubrius und den anderen Beamten das Haus. Vor dem Eingang lag ausgestreckt der tote Liktor, umgeben von seinen fünf erschrockenen Kollegen. Der Gesandte trieb sie, mit dem Leichnam des Cornelius in ihrer Mitte, die Straße entlang.

Inzwischen war die ganze Stadt in Aufruhr, und Ianitor selbst stand in der Eingangstür seines Hauses. Sein Mut sank, als er sah, daß die Römer einen Toten trugen, aber trotzdem ließ er sie ein und verriegelte wohlweislich die Tür hinter ihnen. Während Artemidorus sich um seinen Vater kümmerte, eilten seine Freunde zum Marktplatz der Stadt und forderten die Bewohner auf, sich ihnen anzuschließen. Die Griechen hatten genug von Gaius Verres, und selbst die leidenschaftliche Rede von Publius Tettius, dem einflußreichsten römischen Einwohner der Stadt, konnte sie nicht davon abbringen, Vergeltung zu üben. Tettius und sein Gast Gaius Terentius Varro wurden einfach beiseite geschoben, und die Menge drängte in Richtung von Ianitors Haus.

Dort angelangt, forderten die erbosten Bürger Einlaß. Als Ianitor sich weigerte, schlugen sie mit einem behelfsmäßigen Rammbock gegen die Tür, und als das nichts nützte, beschlossen sie, das Haus niederzubrennen. An der vorderen Außenwand des Hauses wurden Holzscheite und Brennmaterial aufgestapelt und angezündet. Nur durch das Eingreifen von Publius Tettius, Gaius Terentius Varro und einigen anderen römischen Einwohnern von Lampsakos konnte Schlimmeres verhindert werden. Ihre leidenschaftlichen Appelle brachten die erhitzten Gemüter wieder zur Besinnung, und sie sahen ein, daß der Opfertod eines römischen Gesandten schlimmere Folgen hätte als die Schändung Stratonikes. Das Feuer, das sich bereits auf der Vorderseite des Hauses ausgebreitet hatte, wurde gelöscht, und die Männer von Lampsakos gingen nach Hause.

Ein weniger arroganter Mann als Gaius Verres wäre bei der nächstbesten Gelegenheit dem Hexenkessel entflohen, aber Gaius Verres hatte nicht die Absicht, davonzulaufen. Statt dessen setzte er sich in aller Ruhe hin und schrieb an Gaius Claudius Nero, den Statthalter der Provinz Asia. Er war fest entschlossen, sich nicht von ein paar gemeinen Griechen vertreiben zu lassen.

»Ich verlange, daß du unverzüglich nach Lampsakos kommst und die beiden socii Philodamus und Artemidorus wegen Mordes an dem obersten Liktor eines römischen Gesandten vor Gericht stellst«, schrieb er.

Doch obwohl der Brief schnell in Pergamon eintraf, kamen ihm Publius Tettius und Gaius Terentius Varro mit ihrem ausführlichen Bericht an den Statthalter zuvor.

»Ich werde bestimmt nicht nach Lampsakos kommen«, lautete Claudius Neros Antwort. »Mein oberster Legat Gaius Terentius Varro, der rangmäßig weit über dir steht, hat mir berichtet, was tatsächlich vorgefallen ist. Schade vielleicht, daß du nicht verbrannt bist. Du bist, was dein Name schon sagt, Verres — ein Schwein.«

Wütend schrieb Verres als nächstes an Dolabella in Tarsus. Der in herrischem und boshaftem Ton abgefaßte Brief erreichte Tarsus in knapp sieben Tagen. Der Kurier, der ihn überbrachte, hatte so große Angst davor, was Verres ihm wohl antun würde, wenn er trödelte, daß er sogar einen Mord begangen hätte, nur um alle paar Stunden ein frisches Pferd zu bekommen.

»Begib dich sofort und im Laufschritt nach Pergamon«, wies Verres seinen Vorgesetzten ohne einen förmlichen Gruß oder eine Respektsbezeugung an, »und bringe Claudius Nero unverzüglich nach Lampsakos, damit er die socii, die meinen obersten Liktor ermordet haben, vor Gericht stellt und verurteilt. Wenn du es nicht tust, werde ich in Rom über gewisse Ausschweifungen und Drogen berichten. Das ist mein Ernst, Dolabella. Und du kannst Claudius Nero ausrichten, daß, wenn er nicht nach Lampsakos kommt und diese griechischen fellatores verurteilt, ich auch ihn schmutziger Praktiken bezichtigen werde. Und ich werde es beweisen, Dolabella, ich werde es beweisen, und wenn ich dafür sterben muß.«

Als die Nachricht von den Ereignissen in Lampsakos den Hof von König Nikomedes erreichte, hatten die Dinge sich festgefahren. Gaius Verres wohnte noch immer im Hause Ianitors und konnte sich in der Stadt frei bewegen. Ianitor hatte den Ältesten von Lampsakos allerdings versichern müssen, daß Verres die Stadt nicht verlassen werde. Und alle wußten, daß Claudius Nero aus Pergamon kommen und Vater und Sohn vor Gericht stellen sollte. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun«, sagte der besorgte König zu Caesar.

»Lampsakos gehört zur Provinz Asia, nicht zu Bithynien«, erwiderte Caesar. »Alles, was du tätest, müßte unter dem Deckmantel der Diplomatie geschehen, und ich bin nicht sicher, ob es diesen beiden unglücklichen socii helfen würde.«

»Gaius Verres ist ein habgieriger Mensch, Caesar. Anfang des Jahres plünderte er in der gesamten Provinz Asia die Heiligtümer, und anschließend stahl er den Harfenspieler von Aspendos und das goldene Gewand der Artemis von Perge.«

»Wie soll sich Rom da bei seinen Provinzen beliebt machen«, sagte Caesar und verzog verächtlich den Mund.

»Nichts ist vor dem Mann sicher — nicht einmal tugendhafte Töchter angesehener griechischer socii.«

»Was macht Verres eigentlich in Lampsakos?«

Nikomedes erschauerte. »Er will mich aufsuchen, Caesar! Er hat Empfehlungsschreiben für mich und für König Sadala von Thrakien dabei. Sein Statthalter, Dolabella, hat ihn mit dem Status eines Gesandten ausgestattet. In Wirklichkeit will er vermutlich unsere Statuen und Bilder stehlen.«

»Solange ich hier bin, wird er das nicht wagen, Nikomedes«, beruhigte Caesar ihn.

Das Gesicht des alten Königs hellte sich auf. »Genau das wollte ich auch sagen. Würdest du als mein Gesandter nach Lampsakos gehen, damit Gaius Claudius Nero weiß, daß Bithynien genau aufpaßt? Ich wage nicht, selbst zu gehen — es könnte als bewaffnete Drohung verstanden werden, selbst wenn ich ohne Militäreskorte käme. Meine Truppen stehen viel näher bei Lampsakos als die Truppen der Provinz Asia.«

Noch ehe Nikomedes zu Ende gesprochen hatte, erkannte Caesar, welche Probleme das mit sich brachte. Wenn er als offizieller Beobachter des Königs von Bithynien nach Lampsakos ging, würde ganz Rom annehmen, er stünde mit Nikomedes auf vertrautem Fuß. Wie konnte er es nur vermeiden, dorthin zu gehen? Oberflächlich betrachtet, war die Bitte berechtigt.

»Es darf nicht so aussehen, als handelte ich in deinem Auftrag, Nikomedes«, sagte Caesar ernst. »Das Schicksal der beiden socii liegt in den Händen des Statthalters der Provinz Asia. Es würde ihm nicht gefallen, wenn ein zwanzigjähriger römischer privatus als Vertreter des Königs von Bithynien aufträte.«

»Aber ich muß wissen, was in Lampsakos vor sich geht, und zwar von einem, der objektiv genug ist, um nicht zu übertreiben, und der sich als Römer nicht automatisch auf die Seite der Griechen stellt«, erklärte Nikomedes.

»Ich habe nicht gesagt, daß ich nicht gehen will. Ich werde gehen. Aber als einfacher römischer privatus, der zufällig in der Gegend war und dessen Neugier gesiegt hat. Auf diese Weise bleibt Bithynien aus dem Spiel, und ich kann dir trotzdem nach meiner Rückkehr ausführlich berichten. Wenn du es danach für notwendig hältst, kannst du beim Senat in Rom formell Beschwerde einlegen, und ich werde aussagen.«

Am folgenden Tag brach Caesar mit Burgundus und vier Dienern auf. Er ritt über Land, so als komme er von irgendwoher und wolle irgendwohin. Obwohl er Lederharnisch und Waffenrock trug, seine bevorzugte Kleidung zu Pferd, hatte er Toga, Tunika und die Sandalen eines Senators eingepackt und den Sklaven mitgenommen, der ihm neue Bürgerkränze aus Eichenlaub flocht. Er wollte zwar nicht im Namen von Nikomedes auftreten, wohl aber in seinem eigenen Namen.

Ende Dezember ritt er auf derselben Straße, die Verres benutzt hatte, nach Lampsakos. Niemand bemerkte seine Ankunft; die Bewohner der Stadt hatten sich unten am Kai versammelt, wo gerade die ansehnliche Flotte Claudius Neros und Dolabellas festmachte. Beide Statthalter waren schlechter Laune: Dollabella, weil er sich ständig in Verres’ Würgegriff befand, und Claudius Nero, weil Dolabellas Indiskretionen jetzt auch ihn zu kompromittieren drohten. Ihre Gesichter wurden noch grimmiger, als sie erfuhren, daß es für sie keine geeignete Unterkunft gab, da Ianitor immer noch Verres beherbergte und das einzige noch geräumige Haus in Lampsakos dem Angeklagten Philodamus gehörte. Publius Tettius löste das Problem, indem er einfach einen Kollegen auf die Straße setzte und den freigewordenen Platz in seinem Haus Claudius Nero und Dolabella anbot.

Als Claudius Nero Verres empfing, der bei der Ankunft des Statthalters bereits in dessen Unterkunft wartete, erfuhr er, daß er die Gerichtsverhandlung leiten und Verres als Ankläger, Zeugen, Geschworenen und Gesandten anerkennen sollte, dessen offizieller Status als Proprätor von den Ereignissen in Lampsakos unberührt blieb.

»Lächerlich!« sagte er zu Verres, so daß es Dolabella, Publius Tettius und der Legat Gaius Terentius Varro hören konnten.

»Was meinst du?« fragte Verres.

»Die römische Rechtsprechung ist berühmt. Dein Vorschlag ist eine Farce. Ich habe in meiner Provinz meine Sache gut gemacht. Nach Lage der Dinge werde ich im Frühjahr wahrscheinlich abgelöst. Dasselbe gilt für deinen Vorgesetzten Gnaeus Dolabella. Ich kann zwar nicht für ihn sprechen« — Claudius Nero sah Dolabella an, der seinem Blick auswich —, »aber ich für meinen Teil will meine Provinz in dem Ruf verlassen, ein guter Statthalter gewesen zu sein. Dies wird vermutlich mein letzter großer Fall sein, und ich dulde nicht, daß daraus eine Farce gemacht wird.«

Verres’ Gesicht wurde rot vor Zorn. »Ich will eine rasche Verurteilung!« schrie er. »Ich will, daß diese beiden griechischen socii ausgepeitscht und enthauptet werden! Sie haben einen römischen Liktor bei der Erfüllung seiner Pflicht ermordet! Wenn man sie ungestraft davonkommen läßt, wird die Autorität Roms in einer Provinz, die sich noch immer danach sehnt, von König Mithridates regiert zu werden, weiter untergraben.«

Das Argument war gut, aber das war nicht der Grund, warum Gaius Claudius Nero letztlich nachgab. Er tat es, weil er nicht die Kraft oder das Rückgrat besaß, sich Verres in einer direkten Konfrontation zu widersetzen. Mit Ausnahme von Publius Tettius und dessen Gast Gaius Terentius Varro hatte Verres alle römischen Bürger, die in Lampsakos lebten, auf seine Seite gezogen und ihre Gemüter derart erhitzt, daß der Friede in der Stadt auf lange Sicht gefährdet war. Es hieß Römer gegen Griechen; und Claudius Nero konnte dem Druck, der jetzt auf ihm lastete, einfach nicht standhalten.

In der Zwischenzeit hatte Caesar in einer schäbigen kleinen Herberge am Hafen, in der vorwiegend Seeleute verkehrten, Unterkunft gefunden. Es war der einzige Ort, wo man ihn, einen verhaßten Römer, aufnehmen wollte. Wäre es nicht so kalt gewesen, hätte er im Freien sein Lager aufgeschlagen; und wäre er nicht entschlossen gewesen, seine Unabhängigkeit zu bewahren, hätte er auch im Hause eines römischen Bürgers unterkommen können. So mußte er mit der Hafenkneipe Vorlieb nehmen. Gerade als er und Burgundus vor dem Abendessen noch einen Spaziergang machten, verkündeten die Herolde auf den Straßen, daß der Prozeß von Philodamus und Artemidorus am nächsten Tag auf dem Marktplatz stattfinden werde.

Am folgenden Tag hatte es Caesar nicht eilig; er wollte, daß alle schon versammelt waren, wenn er auf der Bildfläche erschien. Als es dann soweit war, sorgte er für eine kleine Sensation — ein römischer Adliger, ein Senator, ein Kriegsheld, der keinem der anwesenden Römer Loyalität schuldete. Keiner kannte sein Gesicht gut genug, um es mit einem Namen in Verbindung zu bringen, vor allem da Caesar jetzt keinen Wollmantel und keinen Helm trug, sondern eine schneeweiße Toga, mit dem breiten purpurnen Streifen des Senators auf der rechten Schulter seiner Tunika und den kastanienbraunen Ledersandalen des Senators an den Füßen. Auf dem Kopf hatte er einen Kranz aus Eichenlaub, so daß jeder Römer — die beiden Statthalter eingeschlossen — sich erheben und Caesar mit Beifall begrüßen mußte.

»Ich bin Gaius Julius Caesar, der Neffe von Lucius Cornelius Sulla, dem Diktator«, sagte er arglos zu Claudius Nero und streckte die rechte Hand aus. »Ich war gerade auf der Durchreise, als ich von dieser Sache hörte. Ich hielt es für besser, herzukommen und zu sehen, ob ihr noch einen Geschworenen braucht.«

Als die Anwesenden den Namen hörten, erkannten sie ihn natürlich sofort, obwohl sie dabei eher an den Jupiterpriester als an die Belagerung von Mytilene dachten; sie waren bei Lucullus’ Rückkehr nicht in Rom gewesen und waren mit den Einzelheiten der Übergabe von Mytilene nicht vertraut. Caesars Angebot, als Geschworener zu fungieren, wurde zwar abgelehnt, aber man brachte ihm in aller Eile einen Stuhl; schließlich war er nicht nur ein Kriegsheld, sondern auch der Neffe des Diktators.

Der Prozeß begann. Es waren genug römische Bürger da, die als Geschworene fungierten, denn Dolabella und Claudius Nero hatten viele niedere Beamte und eine ganze Kohorte römischer Soldaten aus Pergamon mitgebracht — Fimbrianer, die Caesar sofort erkannten und ihm freudig zujubelten. Noch ein Grund, weshalb keiner der beiden Statthalter über Caesars Anwesenheit erfreut war.

Obwohl Verres die Klage erhoben hatte, übernahm ein römischer Einwohner von Lampsakos die Rolle des Anklägers. Es handelte sich um einen Wucherer, der Claudius Neros Liktoren brauchte, um säumigen Klienten Geld abzunehmen, und der sich darüber im klaren war, daß ihm die Liktoren nicht mehr zur Verfügung stünden, wenn er sich weigerte, als Vertreter der Anklage aufzutreten. Die Bewohner von Lampsakos versammelten sich um den Platz, wo das Gericht tagte, tuschelten miteinander, warfen wütende Blicke in die Runde und drohten gelegentlich mit der Faust. Trotzdem hatte sich keiner bereit erklärt, Philodamus und Artemidorus zu vertreten. Deshalb mußten sich die beiden unter einem fremden Rechtssystem selbst verteidigen.

Es ist eine Farce, dachte Caesar mit ausdruckslosem Gesicht. Claudius Nero, der nominell den Vorsitz hatte, unternahm nicht einmal den Versuch, die Verhandlung zu leiten; er saß nur stumm da und überließ alles Verres und Rubrius. Dolabella, der selbst zu den Geschworenen zählte, setzte sich immer wieder lautstark für Verres ein, und auch Verres, der ebenfalls Geschworener war, sprach für sich. Als die griechischen Zuschauer merkten, daß Philodamus und Artemidorus nicht genügend Gelegenheit bekamen, sich zu verteidigen, stießen manche Beschimpfungen aus. Aber auf dem Platz waren fünfhundert bewaffnete Fimbrianer postiert, die einer tobenden Menge weit überlegen waren.

Das Urteil war kein Urteil: Die Geschworenen beantragten ein Wiederaufnahmeverfahren. Nur so konnte die Mehrheit ihr Mißfallen über das rücksichtslose Vorgehen zum Ausdruck bringen, ohne daß ein Verrinischer Sturm über sie hereinbrach.

Als Verres hörte, daß das Verfahren wiederaufgenommen werden sollte, geriet er in Panik. Wenn Philodamus und Artemidorus am Leben blieben, konnten sie ihn, mit einer aufgebrachten Stadt im Rücken, in Rom anklagen. Und möglicherweise würde sogar ein römischer Senator und Kriegsheld für sie aussagen, denn Verres hatte das bestimmte Gefühl, daß Gaius Julius Caesar nicht auf seiner Seite stand. Zwar hatte sich der junge Mann weder durch Blicke noch durch Äußerungen verraten, aber das allein war schon ein Hinweis für seine Ablehnung. Außerdem war er mit Sulla, dem Diktator von Rom, verwandt. Vielleicht faßte ja auch Gaius Claudius Nero wieder Mut, wenn Verres in Rom vor Gericht gestellt wurde; in dem Fall würden sich seine Behauptungen hinsichtlich Claudius Neros Verhalten wie eine Verleumdungskampagne ausnehmen, um einen wichtigen Zeugen in Mißkredit zu bringen.

Daß Claudius Nero ähnlich dachte, wurde offensichtlich, als er erklärte, das Verfahren solle im Frühsommer wiederaufgenommen werden — zu einem Zeitpunkt, wo die Provinzen Asia und Cilicia bereits neue Statthalter hatten. Obwohl ein römischer Liktor zu Tode gekommen war, hatten Philodamus und Artemidorus plötzlich eine ausgezeichnete Chance, freizukommen. Und wenn sie frei waren, würden sie nach Rom kommen und gegen Gaius Verres Anklage erheben. Denn, wie Philodamus zu den Geschworenen gesagt hatte:

»Wir socii wissen, daß wir unter der Obhut Roms stehen und daß wir dem Statthalter, seinen Legaten und Beamten, und durch ihn dem Senat und dem Volk von Rom Rechenschaft ablegen müssen. Wir wissen auch, daß es notgedrungen zu Repressalien kommen muß und viele von uns darunter leiden werden, wenn wir uns der römischen Herrschaft nicht beugen. Aber was sollen wir ausländische Staatsbürger Roms tun, wenn Rom es zuläßt, daß ein Mann, der nichts weiter ist als der Gehilfe eines Statthalters, unsere Kinder begehrt und sie uns entreißt, um sie für üble Zwek- ke zu mißbrauchen? Mein Sohn und ich haben nur seine Schwester und meine Tochter vor einem gemeinen Rüpel beschützt! Es sollte niemand sterben, und es war keine griechische Hand, die den ersten Schlag geführt hat. Ich wurde in meinem eigenen Haus mit kochendheißem Wasser verbrüht, als ich die Begleiter des Gaius Verres daran zu hindern versuchte, mein Kind zu entführen und ihm Schmerz und Schande zuzufügen. Wären mein Sohn und seine Freunde nicht rechtzeitig gekommen, wäre meine Tochter tatsächlich entführt und entehrt worden. Gaius Verres hat sich nicht wie ein zivilisierter Angehöriger eines zivilisierten Volkes benommen, sondern er hat sich wie der Barbar aufgeführt, der er ist.«

Die Beantragung eines Wiederaufnahmeverfahrens durch römische Geschworene, die während der Verhandlung von Dolabella und Verres eindringlich ermahnt wurden, ihre Pflicht zu tun und die Angeklagten zu verurteilen, ermutigte die Griechen dazu, Claudius Nero und sein Gericht mit Hohngelächter, Buhrufen, Zischen und zornigen Gesten vom Marktplatz zu jagen.

»Du wirst das Wiederaufnahmeverfahren für morgen ansetzen«, sagte Verres zu Claudius Nero.

»Für nächsten Sommer«, erwiderte dieser leise.

»Nicht, wenn du Konsul werden willst, mein Freund. Ich werde dich mit dem größten Vergnügen demütigen, das kannst du mir glauben. Was für Dolabella gilt, gilt auch für dich. Tue, was ich sage, oder sei bereit, die Konsequenzen zu tragen. Denn wenn Philodamus und Artemidorus am Leben bleiben und mich in Rom anklagen, werde ich dich und Dolabella in Rom unter Anklage stellen, lange bevor die Griechen dort eintreffen. Ich werde dafür sorgen, daß ihr beide wegen Erpressung verurteilt werdet. So wird keiner von euch zur Stelle sein, um gegen mich auszusagen.«

Das Wiederaufnahmeverfahren fand am Tag nach dem Prozeß statt. Verres war so damit beschäftigt, Geschworene zu bestechen und denen, die sich nicht bestechen ließen, zu drohen, daß er nicht zum Schlafen kam. Dolabella erging es ebenso, da er Verres auf seiner Runde begleiten mußte.

Aber die Mühe lohnte sich. Mit knapper Mehrheit erklärten die Geschworenen Philodamus und Artemidorus des Mordes an einem römischen Liktor für schuldig, und Claudius Nero ordnete ihre sofortige Hinrichtung an. Von der Kohorte der Fimbrianer in Schach gehalten, mußten die Griechen hilflos mit ansehen, wie Vater und Sohn entkleidet und ausgepeitscht wurden. Der alte Mann war bewußtlos, als ihm der Kopf abgehackt wurde, aber Artemidorus war bis zuletzt bei vollem Bewußtsein und weinte, nicht über sein eigenes Schicksal oder das seines Vaters, sondern über das Schicksal seiner verwaisten Schwester.

Nachdem alles vorbei war, mischte sich Caesar furchtlos unter die weinenden Griechen aus Lampsakos, deren Zorn mittlerweile der Trauer gewichen war. Kein anderer Römer wagte sich in ihre Nähe. Begleitet von den Fimbrianern, schafften Claudius Nero und Dolabella bereits ihre Habseligkeiten hinunter zum Kai. Aber Caesar hatte einen Plan. Er hatte nicht lange gebraucht, um zu erkennen, wer unter den Griechen Einfluß hatte, und an diese Männer wandte er sich jetzt.

»Lampsakos ist nicht groß genug, um eine Revolte zu inszenieren«, sagte er zu ihnen, »aber Vergeltung ist möglich. Beurteilt nicht alle Römer nach diesem erbärmlichen Haufen und bleibt ruhig. Ich gebe euch mein Wort, daß ich nach meiner Rückkehr nach Rom den Statthalter Dolabella vor Gericht stellen und dafür sorgen werde, daß Verres nicht zum Prätor gewählt wird. Ich tue das nicht, um Geschenke oder Auszeichnungen zu erhalten, sondern zu meiner eigenen Genugtuung.«

Danach begab sich Caesar zum Hause Ianitors, um mit Gaius Verres zu sprechen, ehe dieser Lampsakos verließ.

»Na, wenn das nicht der Kriegsheld ist!« rief Verres erfreut aus, als Caesar eintrat.

Verres überwachte gerade das Verpacken seiner Sachen.

»Hast du vor, die Tochter mitzunehmen?« fragte Caesar, während er es sich in einem Sessel bequem machte.

»Natürlich«, erwiderte Verres und nickte einem Sklaven zu, der ihm eine kleine Statue brachte, damit er sie begutachtete. »Ja, die gefällt mir. Pack sie ein.« Dann wandte er sich wieder Caesar zu. »Du willst dir wohl unbedingt die Ursache dieses ganzen Theaters ansehen, was?« »Die Neugier verzehrt mich. Sie soll ja selbst Helena an Schönheit übertreffen.«

»Ja, ich glaube schon.«

»Ich frage mich, ob sie wohl blond ist. Ich habe immer gedacht, Helena müsse blond gewesen sein. Blondes Haar hat das gewisse Etwas.«

Anerkennend betrachtete Verres Caesars Haarschopf. Dann fuhr er sich selbst mit der Hand durchs Haar. »Du und ich sollten es ja eigentlich wissen.«

»Wohin wirst du von Lampsakos aus gehen, Gaius Verres?«

Verres zog die goldbraunen Brauen hoch. »Nach Nikomedeia natürlich.«

»Das würde ich nicht tun«, sagte Caesar mit sanfter Stimme.

»Wirklich? Und warum nicht?« fragte Verres scheinbar gleichgültig.

Caesar senkte den Blick und betrachtete seine Hände. »Sobald ich nach Rom zurückkehre — was in diesem oder im nächsten Frühjahr sein wird —, wird Dolabella dran glauben müssen. Ich werde ihn selbst vor Gericht bringen. Und dich auch. Es sei denn, du gehst jetzt nach Cilicia zurück.«

Caesar sah auf; seine blauen Augen blickten in Verres’ honig- farbene Augen. Keiner sagte etwas.

Schließlich brach Verres das Schweigen. »Jetzt weiß ich, an wen du mich erinnerst. An Sulla.«

»Wirklich?«

»Es sind deine Augen. Sie sind zwar nicht so blaßblau wie Sullas, aber sie haben denselben Ausdruck. Ich frage mich, ob du wohl so weit gehen wirst wie Sulla.«

»Das liegt im Schoß der Götter. Ich hoffe nur, keiner zwingt mich dazu, so weit zu gehen wie Sulla.«

Verres zuckte die Schultern. »Nun, Caesar, ich bin kein Gaius Marius, deshalb werde ich es nicht sein.«

»Du bist gewiß kein Gaius Marius«, stimmte Caesar ihm gelassen zu. »Er war ein bedeutender Mann, bis sein Verstand nachließ. Hast du dich entschieden, wohin du von Lampsakos aus gehen wirst?«

»Mit Dolabella nach Cilicia«, sagte Verres und zuckte erneut die Schultern.

»Sehr vernünftig! Soll ich jemanden zum Hafen schicken, um es Dolabella mitzuteilen? Ich möchte nicht, daß er ohne dich davonsegelt.«

»Wenn du willst«, meinte Verres gleichgültig.

Caesar ging weg, um Burgundus zu suchen und ihn anzuweisen, was er Dolabella sagen sollte. Als er durch eine Innentür wieder in das Zimmer trat, kam Ianitor mit einer vermummten Gestalt durch die Vordertür.

»Ist das Stratonike?« fragte Verres gespannt.

Ianitor wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ja.«

»Laß uns mit ihr allein, Grieche.«

Ianitor eilte aus dem Zimmer.

»Soll ich sie für dich entschleiern, während du in angemessener Entfernung stehenbleibst und sie genau begutachtest?« fragte Caesar.

»Ich möchte es lieber selbst tun«, meinte Verres und trat neben das Mädchen. Es gab keinen Laut von sich und machte keine Anstalten, wegzulaufen.

Die Kapuze ihres schweren Umhangs verdeckte ihr Gesicht, so daß nichts zu erkennen war. Wie Myron, der das Ergebnis eines Bronzeabdrucks prüfen will, nahm Verres ihr mit zitternder Hand den Umhang ab — und starrte und starrte.

Caesar brach das Schweigen. Er warf den Kopf zurück und lachte, bis ihm die Tränen kamen. »Ich hatte so eine Ahnung«, sagte er, nachdem er sich wieder gefaßt hatte, und suchte nach einem Taschentuch.

Arme Stratonike. Ihr Körper war unförmig, ihre Augen waren schmale Schlitze, ihre Stupsnase beherrschte ihr Gesicht, die rötlichen Haare auf ihrem flachen Hinterkopf wuchsen so spärlich, daß sie schon fast eine Halbglatze hatte, ihre Ohren waren verkümmert, und sie hatte eine schlimme Hasenscharte. Zudem war sie geistig zurückgeblieben. Arme Stratonike.

Mit hochrotem Gesicht machte Verres auf dem Absatz kehrt.

»Verpasse dein Schiff nicht!« rief Caesar ihm nach. »Es wäre mir äußerst unangenehm, das Ende dieser Geschichte in ganz Rom verbreiten zu müssen, Verres!«

Kaum war Verres fort, wurde Caesar wieder ernst. Er ging zu der stummen, reglosen Gestalt hinüber, hob den Umhang vom Boden auf und legte ihn ihr ganz sacht um.

»Keine Angst, mein armes Mädchen«, sagte er, obwohl er nicht sicher war, ob es ihn überhaupt verstand. »Du bist in Sicherheit.« Dann rief er Ianitor, der sofort herbeieilte. »Du hast es gewußt, Ethnarch, nicht wahr?«

»Ja.«

»Warum beim großen Zeus hast du dann geschwiegen? Jetzt sind sie ganz umsonst gestorben!«

»Sie sind gestorben, weil der Tod für sie die bessere Alternative war«, sagte Ianitor.

»Und was soll jetzt aus dieser armen Kreatur werden?«

»Für sie wird gut gesorgt werden.«

»Wie viele von euch wissen es?«

»Nur die Ältesten der Stadt.«

Unfähig, etwas darauf zu erwidern, verließ Caesar Ianitors Haus und Lampsakos.