Hercules Invictus war der Gott des triumphierenden Imperators und herrschte über das Forum Boarium, das große, offene Areal mit den verschiedenen Fleischmärkten an der Seite des Circus Maximus, wo die Wagenrennen starteten. Dort standen sein großer Altar, sein Tempel und sein Standbild, das den Gott nackt zeigte und nur anläßlich der Siegesparade eines Feldherrn in Triumphgewänder gehüllt wurde. Über das Gelände verstreut lagen weitere Tempel, die dem Hercules als Schutzpatron der Oliven, der Kaufleute und der seinem Schutz unterstellten Geschäftsreisen geweiht waren.

Am Festtag des Hercules Invictus, so verkündete Sulla in einer in der ganzen Stadt verbreiteten Proklamation, werde er dem Gott als Dank für die Gunst, die er ihm auf seinen Feldzügen bezeugt habe, ein Zehntel seines Privatvermögens opfern. Freudige Erregung erfaßte das gemeine Volk, denn Hercules Invictus hatte keinen Tempelschatz, er konnte das geopferte Geld deshalb nicht behalten: Statt dessen wurde davon in seinem Namen und im Namen des triumphierenden Feldherrn ein Fest für alle freien Männer Roms ausgerichtet. Am Tag vor den Iden des Sextilis — dem Festtag des Gottes — sollten fünftausend Tische aufgebaut werden, an denen je über hundert hungrige Bürger Platz fanden. Nicht daß es in Rom tatsächlich eine halbe Million freie Männer gegeben hätte, aber der Stifter des Festes wußte offenbar, daß es ihm kaum gelingen würde, rüstige alte Weiber, entschlossene Ehefrauen und freche Kinder von dem Gelage fernzuhalten. Sullas Proklamation angefügt war eine Liste mit den Standorten der fünftausend Tische. Feste dieser Art waren eine organisatorische Herausforderung, und sie mußten sehr sorgfältig geplant und durchgeführt werden. Die Teilnehmer sollten möglichst in ihren Bezirken bleiben, die Straßen nicht verstopfen und nicht in rivalisierende Stadtteile eindringen, was in Streitigkeiten, Plünderungen, Krawalle und Straßenschlachten ausarten konnte.

Als das Ereignis näherrückte, reiste Sulla mit seiner Frau, seiner Tochter, den Kindern, Enkeln, der Stieftochter und Mamercus nach Misenum zu seiner Villa. Delmatica hatte ihn seit der erzwungenen Scheidung Aemilia Scauras von Glabrio gemieden, aber wenn er sie von ferne gesehen hatte, war ihm jedesmal aufgefallen, daß sie krank aussah. Ein paar Tage Erholung am Meer waren dringend geboten. Begleitet wurden sie außerdem von Konsul Decula, der Sullas Gesetze formulierte, und dem allgegenwärtigen Chrysogonus.

Erst einige Tage später, als sie sich am Meer bereits eingelebt hatten, hatte Sulla Zeit, sich um seine Frau zu kümmern, die ihm noch immer aus dem Weg zu gehen versuchte.

»Es ist sinnlos, mir Dinge wie die Scheidung Aemilias vorzuwerfen«, sagte er ruhig, aber nicht entschuldigend. »Ich werde immer tun, was ich tun muß. Das müßtest du jetzt doch wissen, Delmatica.«

Sie saßen für sich in einer Ecke der Loggia, beschattet von einer Reihe von Zypressen. Vom Meer her wehte eine angenehme Brise.

Das Licht war nicht grell, aber Sulla sah trotzdem, daß Delmaticas Leiden, was immer es sein mochte, sich auch in der gesunden Luft nicht gebessert hatte. Delmatica wirkte abgespannt und müde und sehr viel älter als siebenunddreißig.

»Ich weiß es ja auch.« Sie klang bitter. »Und ich wünschte, ich könnte mich damit abfinden! Aber wenn es um meine Kinder geht, kann ich es nicht.«

»Glabrio mußte verschwinden«, sagte Sulla. »Und dazu gab es nur einen Weg — ihn aus meiner Familie auszuschließen. Aemilia ist jung, sie wird darüber hinwegkommen. Pompeius ist kein schlechter Kerl.«

»Er ist kein standesgemäßer Partner.«

»Das stimmt. Trotzdem muß ich ihn an mich binden. Eine Ehe zwischen ihm und Aemilia macht Glabrio außerdem klar, daß er mich nicht ungestraft beschimpfen kann. Ich habe die Macht, Scaurus’ Tochter einem Mann wie Pompeius aus Picenum zu geben.« Sulla runzelte die Stirn. »Sieh das ein, Delmatica! Du hast nicht die Stärke, dich mir zu widersetzen.«

»Das weiß ich«, sagte sie leise.

»Es geht dir nicht gut, und ich glaube allmählich, daß dein Befinden gar nichts mit Aemilia zu tun hat«, sagte er freundlicher. »Was ist los?«

»Ich glaube... ich glaube... «

»Sage es mir!«

»Ich bekomme noch ein Kind.«

»Jupiter!« Sulla atmete hörbar ein, dann faßte er sich wieder und sah sie grimmig an.

»Ich weiß, daß wir das beide nicht wollen«, sagte sie müde. »Ich bin eigentlich zu alt dazu.«

»Und ich viel zu alt.« Sulla zuckte die Achseln. Dann lächelte er. »Na gut, es ist passiert, und wir haben beide Schuld. Du willst die Schwangerschaft wahrscheinlich nicht abbrechen?«

»Dazu ist es zu spät, Lucius Cornelius. Ich bin jetzt im fünften Monat, und es wäre nicht ungefährlich. Ich habe nichts gemerkt, wirklich.«

»Bist du bei einem Arzt oder einer Hebamme gewesen?«

»Noch nicht.«

Er stand auf. »Ich schicke dir Lucius Tuccius.«

Sie fuhr zusammen. »Bitte nicht, Sulla! Er war Arzt im Heer und weiß nichts über Frauen!«

»Er ist besser als deine Griechen!«

»Was die Behandlung von Männern betrifft, so gebe ich dir recht. Aber ich würde lieber einen Arzt für Frauen aus Neapolis oder Puteoli konsultieren.«

Sulla gab auf. »Geh, zu wem du willst«, sagte er kurz und verließ die Loggia.

Delmatica ließ mehrere Frauenärzte und Hebammen kommen. Sie alle waren der Meinung, Delmatica sei zwar völlig erschöpft, werde aber, wenn das Kind in ihrem Schoß erst die richtige Lage gefunden hätte, wieder zu Kräften kommen.

An den Nonen des Sextilis packten die Sklaven den Hausstand zusammen, und sie machten sich auf den Rückweg nach Rom. Sulla, den das langsame Tempo der Sänften, in denen die Frauen reisten, ungeduldig machte, ritt voraus. Er kam zwei Tage vor den anderen in der Stadt an und traf die letzten Vorbereitungen für den kommenden Festtag.

»Alle Bäcker Roms sind beauftragt, Brot und Kuchen zu bak- ken; das zusätzlich bestellte Mehl ist bereits ausgeliefert«, berichtete Chrysogonus. Er war noch vor Sulla in der Stadt eingetroffen.

»Und der Fisch wird frisch sein? Die Hitze ist ja schrecklich.«

»Auch daran ist gedacht, Lucius Cornelius. Ich habe einen Abschnitt des Flusses oberhalb des Platzes für die Dreigespanne mit Netzen abtrennen lassen. Dort warten die Fische auf den großen Tag. Am Morgen des Festes beginnen dann tausend Sklaven, die Fische auszunehmen und zu kochen.«

»Und das Fleisch?«

»Wird ebenfalls frisch und ganz zart sein, haben die Lieferanten mir versichert. Jungferkel, Hühnchen, Würste und Milchlämmer. Aus dem italischen Gallien habe ich Nachricht, daß die Frühäpfel und — birnen rechtzeitig eintreffen werden — fünfhundert vierrädrige Wagen, eskortiert von zwei Schwadronen, sind auf der Via Flaminia nach Rom unterwegs. In Alba Fucentia werden Erdbeeren gesammelt und in Eis vom Mons Fiscellus gepackt. Die Beeren kommen in der Nacht vor dem Fest, ebenfalls mit militärischer Eskorte.«

»Ein Jammer, daß die Leute immer so viel Lebensmittel klauen«, sagte Sulla, obwohl er, der in seiner Jugend arm gewesen war und viel gehungert hatte, im Grunde Verständnis dafür hatte.

»Bei Brot oder Hafergrütze brauchten wir uns keine Sorgen zu machen, Lucius Cornelius«, sagte Chrysogonus. »Gestohlen werden meist Dinge mit ausgefallenem Geschmack.«

»Bist du sicher, daß der Wein genügt?«

»Wir haben sogar zuviel Wein und Essen, Herr.«

»Hoffentlich ist unter dem Wein kein Essig!«

»Der Wein ist ohne Ausnahme vorzüglich. Die Händler, die in Versuchung geraten könnten, ein paar Amphoren mitzuliefern, in die Luft gekommen ist, wissen genau, mit wem sie es diesmal zu tun haben.« Chrysogonus grinste. »Ich habe jedem einzelnen sagen lassen: Wenn nur eine Amphore Essig dabei ist, lassen wir alle kreuzigen, ob römische Bürger oder nicht.«

»Es darf nichts schiefgehen, Chrysogonus! Nichts!«

Als dann doch ein Problem auftrat, hatte es, zumindest auf den ersten Blick, nichts mit dem Volksfest zu tun, sondern mit Delmatica. In Begleitung aller möglichen kundigen Weiber, die Cornelia Sulla unterwegs in den Städten an der Via Appia aufgetrieben hatte, war sie schließlich in Rom eingetroffen.

»Sie blutet«, sagte Cornelia Sulla zu ihrem Vater.

Sulla gab sich keine Mühe, seine Erleichterung zu verbergen. »Verliert sie das Ding?« fragte er erwartungsvoll.

»Wir halten es für möglich.«

»Es wäre sehr viel besser so.«

»Ich glaube auch, daß es keine Tragödie wäre, wenn sie das Kind verlieren würde«, sagte Cornelia Sulla, die ihre Gefühle gut im Griff hatte und ihren Vater kannte. »Aber ich mache mir Sorgen um Delmatica, Vater.«

»Was heißt das?«

»Sie stirbt vielleicht.«

Eine dumpfe Angst glomm in seinen Augen auf, aber seine Tochter hätte nicht sagen können, wovor genau. Er machte eine abwehrende Bewegung und schüttelte heftig den Kopf. »Also ist er doch der Vorbote des Todes!« rief er. »Es kostet immer den höchsten Preis! Aber das ist mir egal! Ganz egal!« Das verständnislose Gesicht seiner Tochter brachte ihn wieder zu sich. »Sie ist eine starke Frau, sie stirbt schon nicht!« schnaubte er.

»Hoffentlich nicht.«

Sulla stand auf. »Sie wollte ihn nicht zu sich lassen, aber jetzt wird sie das. Ob sie will oder nicht.«

»Wen?«

»Lucius Tuccius.«

Einige Stunden später trat der ehemalige Militärarzt mit ernster Miene in Sullas Arbeitszimmer, in dem dieser seit Stunden allein ausharrte. Auf das Entsetzen darüber, daß sein Wiedersehen mit Metrobius wieder ein Todesopfer fordern könnte, waren Schuldgefühle und zuletzt Resignation gefolgt. Delmatica wollte er nicht sehen; er glaubte, ihr nicht mehr unter die Augen treten zu können.

»Du bringst keine gute Nachricht, Tuccius.«

»Nein, Lucius Cornelius.«

»Was genau fehlt ihr?« Unruhig kaute Sulla auf seiner Unterlippe.

»Es sieht so aus, als sei deine Frau schwanger, und offenbar glaubt sie das auch. Aber ich glaube nicht an ein Kind.«

Die rötlichen Streifen der Narben in Sullas Gesicht stachen noch stärker hervor als gewöhnlich. »Was glaubst du?«

»Die Frauen sprechen von Blutfluß, aber dafür kommt zu wenig Blut«, sagte der kleine Arzt stirnrunzelnd. »Blut ist zwar auch dabei, aber vermischt mit einem faul riechenden Ausfluß, den ich bei einem verwundeten Soldaten für Eiter halten würde. Nach meiner Diagnose gibt es eine Art inneren Eiterherd, doch mit deiner Erlaubnis, Lucius Cornelius, möchte ich noch weitere Meinungen einholen.«

»Mach, was du willst«, sagte Sulla scharf. »Aber sorge für Diskretion — ich muß mich um eine Hochzeit kümmern. Ich nehme an, meine Frau kann an ihr nicht teilnehmen?«

»Ganz bestimmt nicht, Lucius Cornelius.«

Als deshalb Aemilia Scaura, im fünften Monat schwanger von ihrem vorigen Mann, Gnaeus Pompeius Magnus im Haus Sullas heiratete, war nicht einmal der einzige Mensch da, der sie liebte. Doch als sie unter ihren flammend roten und safrangelben Schleiern bitter weinte, konnte Pompeius, der sich nach der Trauung sofort um sie kümmerte, sie immerhin so gut trösten und aufheitern, daß sie beim Gehen schließlich sogar lächelte.

Eigentlich hätte Sulla seiner Frau diese unerwartet erfreuliche Wendung der Dinge mitteilen müssen, aber er erfand eine Ausrede nach der anderen, um die Wohnräume seiner Frau nicht betreten zu müssen.

»Ich glaube, er kann einfach nicht zusehen, wie du leidest«, sagte Cornelia Sulla, die Nachrichten von Sulla an seine Frau überbrachte. »Du weißt doch, wie er ist. Wenn ihm an einem Menschen nichts liegt, ist er völlig gleichgültig. Aber wenn er einen Menschen liebt, ist er dieser Situation nicht gewachsen.«

In dem großen Raum, in dem Delmatica lag, roch es faulig, und der Geruch wurde stärker, je näher ein Besucher dem Bett kam. Sie würde sterben, Cornelia Sulla wußte es. Lucius Tuccius hatte recht gehabt, in ihrem Schoß wuchs kein Säugling heran. Was genau ihren armen, gärenden Bauch aufblähte und ihn zum Zerrbild eines schwangeren Leibes machte, konnte niemand sagen. Man wußte nur, daß es etwas Krankes und Bösartiges war. Das faule Sekret floß mit erbarmungsloser Beständigkeit aus ihr heraus, und ein Fieber brannte in ihr, das kein noch so starkes Medikament und nicht die liebevollste Pflege zu kühlen vermochte. Aber Delmatica war bei Bewußtsein. Schmerzerfüllt ruhten ihre Augen, die hell wie zwei Flammen glänzten, auf ihrer Stieftochter.

»Das ist mir egal«, sagte sie jetzt und wandte den Kopf auf dem schweißnassen Kissen hin und her. »Ich will wissen, wie es meiner armen kleinen Aemilia ergangen ist. War es sehr schlimm?«

»Überhaupt nicht«, sagte Cornelia Sulla, und die Überraschung war ihrer Stimme immer noch anzuhören. »Ob du es glaubst oder nicht, liebste Stiefmutter, als sie zu ihrem neuen Heim aufbrach, war sie sogar glücklich. Pompeius ist ein bemerkenswerter Mann - ich habe ihn bis zum heutigen Tag nur von ferne gesehen und hatte das typische Vorurteil der Cornelier gegen ihn. Aber er sieht blendend aus — viel besser als der dumme Glabrio! Und er hat gezeigt, daß er viel Charme hat. Anfangs flossen Aemilias Tränen in Strömen, aber kaum sagte ihr Pompeius, wie hübsch sie sei und wie sehr er sie schon liebe, da war ihre Verzweiflung wie verflogen. An diesem Mann ist mehr, als ich gedacht hätte, Delmatica. Ich prophezeie dir, er wird seine Frau glücklich machen.«

Delmatica nickte. »Man erzählt so manches über ihn. Vor Jahren, als er fast noch ein Kind war, ging er regelmäßig zu Flora — du weißt, wen ich meine?«

»Die berühmte Hure?«

»Ja. Sie hat ihre beste Zeit jetzt eigentlich hinter sich, aber es heißt, sie trauere immer noch den kurzen Besuchen von Pompeius nach, der nie von ihr ging, ohne überall auf ihrem Körper Bißspuren zu hinterlassen. Ich verstehe nicht, was sie daran finden konnte, aber anscheinend hat es ihr gefallen! Pompeius hat sie überbekommen und an einen Freund weitergereicht. Das hat ihr das Herz gebrochen. Armes dummes Ding! Eine verliebte Dirne ist arm dran!«

»Dann ist Aemilia Scaura meinem Vater am Ende womöglich noch dankbar, daß er sie von Glabrio befreit hat.«

»Ich wünschte, er würde mich besuchen!«

Der Tag vor den Iden des Sextilis kam. Sulla setzte die Graskrone auf und legte die Gewänder des Triumphators an, wie es Brauch war, wenn ein berühmter Feldherr auf dem großen Altar im Forum Boarium opferte. Hinter seinen Liktoren und gefolgt von einer Prozession von Senatoren, schritt der Diktator von seinem Haus über die Treppe des Cacus zu jenem leeren Platz hinunter, auf dem gewöhnlich der Fleischmarkt abgehalten würde. Auf der Höhe des Standbildes — das heute gleichfalls in die Gewänder des Triumphators gehüllt war — blieb er stehen. Er grüßte den Gott und richtete ein Gebet an ihn. Dann ging er weiter zum großen Altar vor dem kleinen Rundtempel des Hercules Invictus, einem alten dorischen Bau, bekannt wegen der Fresken im Inneren, die der berühmte Tragödiendichter Marcus Pacuvius gemalt hatte.

Das Opfertier, eine wohlgenährte hellbraune Färse, die man mit Drogen gefügig gemacht hatte, wartete wiederkäuend und mit freundlich auf das ausgelassene Treiben auf dem Marktplatz blik- kenden braunen Augen in der Obhut von Opferdiener und Opferstecher. Im Gegensatz zu Sulla, der seine Graskrone trug, waren die Häupter der übrigen Anwesenden mit Lorbeer bekränzt, und als der jüngere Dolabella, der als Stadtprätor für das Zeremoniell an diesem Tag verantwortlich war, die Gebete an Hercules Invictus zu sprechen begann, bedeckte niemand sein Haupt, denn Hercules Invictus, ein Fremder innerhalb der heiligen Stadtgrenze, empfing seine Gebete auf griechische Art.

Alles verlief reibungslos. Sulla als Stifter des Opfers und des Festes beugte sich hinab, um etwas Blut der Färse in einem dem Gott Hercules geweihten Becher aufzufangen. Doch als das Gefäß zur Hälfte voll war, huschte ein schwarzer Schatten auf vier Beinen zwischen Pontifex Maximus und Opferstecher hindurch, tunkte die Schnauze in die größer werdende rote Pfütze auf dem Pflaster und begann laut zu schlabbern.

Sulla sprang mit einem Schreckensschrei auf und wich zurück. Der Becher glitt ihm aus der zitternden Hand, sein Inhalt ergoß sich über das Pflaster, und Sullas Krone aus verdorrtem Gras rollte über den Boden und blieb in der Blutlache liegen. Entsetzen ergriff die Umstehenden, während der schwarze Hund noch immer hungrig an dem tiefroten See schlabberte. Die Menschen eilten in alle Richtungen auseinander, spitze Schreie ertönten, einige warfen ihre Lorbeerkränze fort, andere rissen sich büschelweise Haare aus. Niemand wußte, was zu tun war, niemand wußte, wie man diesen Alptraum beenden konnte.

Geistesgegenwärtig nahm der Pontifex Maximus Metellus Pius dem Opferdiener den Hammer aus der Hand, holte weit aus und schmetterte ihn krachend auf den Kopf des leckenden Hundes. Der Hund heulte auf und begann sich zähnefletschend und um sich schnappend wild im Kreise zu drehen. Nach einer Ewigkeit brach er mit zuckenden Gliedern zusammen, verstummte und verendete. Aus seinem Rachen quoll blutiger Schaum.

Der Pontifex Maximus, der noch bleicher als Sulla war, ließ den Hammer zu Boden fallen. »Das Ritual ist geschändet worden!« rief er mit der lautesten Stimme, mit der man ihn je hatte rufen hören. »Stadtprätor, wir müssen von vorn beginnen! Senatoren, faßt euch! Wo sind die Sklaven des Hercules, die dafür zu sorgen hatten, daß kein Hund ins Heiligtum eindringt?«

Opferdiener und Opferstecher trieben die Tempelsklaven zusammen, welche die heilige Stätte vor der Zeremonie verlassen hatten, um nachzusehen, was für Leckereien auf den draußen aufgebauten Tischen lagen. Sulla, dessen Perücke schief auf dem Kopf saß, faßte sich schließlich wieder soweit, daß er sich bücken und seine blutbesudelte Graskrone aufheben konnte.

»Ich muß nach Hause, ein Bad nehmen«, sagte er zu Metellus Pius. »Ich bin unrein. Wir sind alle unrein und müssen erst baden. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier.« Zu dem jüngeren Dolabella sagte er streng: »Die Sklaven sollen diese Schweinerei aufputzen und den Kadaver der Färse mitsamt dieser elenden Kreatur in den Fluß werfen. Dann sollen die Kerkermeister sie bis morgen einsperren. Sie werden gekreuzigt. Aber laß ihnen nicht die Beine brechen, sie sollen tagelang leiden, bevor sie sterben. Und zwar hier im Forum Boarium, in Sichtweite des Gottes Hercules. Er will sie nicht mehr. Sie haben zugelassen, daß ein Hund sein Opfer beschmutzt.«

Unrein, unrein, unrein, unrein: Sulla wiederholte das Wort immer und immer wieder, während er nach Hause eilte, um ein Bad zu nehmen und eine toga praetexta anzulegen — kein Feldherr hatte ein zweites Triumphgewand. Er reinigte die Graskrone eigenhändig mit Wasser und weinte bitter, als sie trotz aller Vorsicht auseinanderfiel. Als er sie schließlich auf einem weißen Tuch zum Trocknen auslegte, waren von ihr nur noch ein paar verschrumpelte, schlaffe Halme übrig. Die Krone gab es nicht mehr. Er war verflucht, sein Glück war dahin. Sein Glück! Wie konnte er ohne es leben? Wer hatte sie geschickt, diese elende Kreatur, noch schwarz von der Reise durch die Finsternis der Unterwelt? Wer hatte ihm diesen Tag verdorben, jetzt, wo Gaius Marius es nicht mehr konnte? War es Metrobius? Seinetwegen verlor er Delmatica! Nein, nicht Metrobius...

Dann kehrte er, auf dem Haupt einen Lorbeerkranz wie alle anderen, zum Altar des Hercules Invictus zurück. Seine Liktoren bahnten ihm den Weg durch die Menschenmassen, die sich schon jetzt in den Straßen drängten, um rechtzeitig zu Beginn des Festes bei den Tischen zu sein. Noch immer rollten Ochsenkarren mit Vorräten in die Stadt, und es kam immer wieder zu Staus und erneuter Aufregung, wenn ihre Lenker den Zug der Priester kommen sahen und die Tiere hastig aus dem Weg trieben: Ein Haufen Dung auf dem Weg der Priester bedeutete eine Schändung, für die die Besitzer der Ochsen ausgepeitscht oder mit einer hohen Geldstrafe belegt wurden.

Chrysogonus hatte eine zweite Färse aufgetrieben, die nicht weniger schön war als die erste. Die Droge, die ihr der Verwalter in aller Eile in den Rachen gestopft hatte, zeigte bereits ihre beruhigende Wirkung. Das Ritual wurde ein zweites Mal begonnen, und diesmal verlief alles bis zum Schluß vorschriftsgemäß. Die dreihundert Senatoren bekamen von der Opferzeremonie allerdings kaum etwas mit, denn sie paßten nur noch auf, daß nirgendwo ein Hund lauerte.

Ein Tier, das Hercules Invictus geopfert worden war, durfte nicht vom Scheiterhaufen genommen werden, der neben dem Altar des Gottes loderte, und so verbrannte die Färse wie Caesars weißer Stier auf dem Kapitol zu Asche. Während die Zeugen der schaurigen Ereignisse vom Morgen nach Hause eilten, sobald die Zeremonie beendet war, blieb Sulla und tat, was er sich für den Tag vorgenommen hatte. Er wollte durch die Stadt gehen und dem feiernden Volk einen Teil seines Glücks wünschen. Aber wie konnte er dies jetzt, da Fortuna ihm ihre Gunst wegen eines schwarzen Köters für immer entzogen hatte?

Fünftausend Tische, einfache, auf Böcke gelegte Bretter, bogen sich unter der Last der Speisen, und Wein floß reichlicher als das Blut auf dem Schlachtfeld. Fünfhunderttausend Menschen, die nichts vom Unglück auf dem Forum Boarium wußten, schlangen Fische, Obst und Honigkuchen in sich hinein und stopften mitgebrachte Säcke bis oben mit Speisen voll, um Zuhausegebliebene, darunter auch Sklaven, am Fest teilhaben zu lassen. Sie begrüßten Sulla mit Beifall und Anrufungen der Götter und versprachen, ihn bis ans Ende ihrer Tage in ihre Gebete einzuschließen.

Die Nacht brach herein, als Sulla schließlich in sein Haus auf dem Palatin zurückkehrte, seinen Liktoren dankte und sie mit der Mitteilung entließ, daß sie am nächsten Tag in ihrem Bezirk hinter dem Gasthaus an der Ecke des Clivus Orbius festlich bewirtet würden.

Cornelia Sulla erwartete ihn im Atrium.

»Vater, Delmatica verlangt nach dir.«

»Ich bin zu müde!« sagte er barsch. Er wußte, daß er seiner Frau, die er liebte — aber eben nicht genug —, nie wieder würde gegenübertreten können.

»Bitte geh zu ihr, Vater! Sonst gibt sie diese törichte Idee nicht auf, auf die dein Verhalten sie gebracht hat.«

»Was für eine törichte Idee?« Er schlüpfte aus der Toga und trat zum Altar der Laren und Penaten an der gegenüberliegenden Wand. Dort neigte er den Kopf, zerbrach auf dem Marmorsims ein Stück Salzgebäck und legte seinen Lorbeerkranz darauf.

»Was für eine törichte Idee?« fragte er noch einmal.

»Daß sie unrein ist. Sie sagt immer wieder, sie sei unrein.«

Sulla blieb wie versteinert stehen. Entsetzen durchfuhr ihn, und widerliche Gefühle, die er weder verdrängen noch ertragen konnte, zogen wie ein Heer von Würmern durch seinen Leib. Er erschauerte, streckte, wie um Meuchelmörder abzuwehren, die Arme aus und starrte seine Tochter mit irrem Blick an.

»Unrein!« schrie er. »Unrein!«

Und rannte aus dem Haus.

Niemand wußte, wo er die Nacht verbrachte, obwohl Cornelia Sulla Diener mit Fackeln losgeschickt hatte, die ihn bei den fünftausend Tischen, deren Lasten inzwischen merklich leichter geworden waren, suchen sollten. Gegen Sonnenaufgang kehrte er, nur in seine Tunika gehüllt, ins Atrium zurück, wo seine Tochter noch immer auf ihn wartete. Chrysogonus, der die Nacht bei Cornelia Sulla im Atrium geblieben war, trat zögernd auf seinen Herrn zu.

»Gut, daß du hier bist«, sagte Sulla kurz. »Benachrichtige alle Priester. Sie sollen sich in einer Stunde im Tempel des Castor auf dem Forum versammeln.«

»Vater?« fragte Cornelia Sulla verwirrt.

»Mit Frauen will ich heute nichts zu tun haben.« Sulla verschwand ohne ein weiteres Wort in seinen Wohnräumen.

Er badete und lehnte drei purpurgesäumte Togen als schmutzig ab, bevor ihm eine vollkommen sauber erschien. Dann schritt er hinter seinen Liktoren, von denen drei die Toga auf sein Verlangen gewechselt hatten, zum Tempel des Castor und Pollux, wo die Priester besorgt seine Ankunft erwarteten.

»Gestern«, begann er ohne lange Vorrede, »habe ich ein Zehntel meines gesamten Besitzes Hercules Invictus dargebracht. Er ist ein Gott der Männer, nur der Männer. Keine Frau darf sich seinem Altar nähern, und zum Gedenken an seine Reise durch die Unterwelt darf kein Hund seinen Bezirk betreten, da Hunde und alle schwarzen Geschöpfe der Unterwelt angehören. Hercules hat zwanzig Sklaven als Diener, deren Hauptaufgabe darin besteht, dafür zu sorgen, daß weder Frauen noch Hunde oder schwarze Tiere seinen Bezirk verunreinigen. Trotzdem hat gestern ein schwarzer Hund das Blut des ersten Opfers getrunken, das ich Hercules dargebracht habe, eine furchtbare Beleidigung für jeden Gott — und für mich. Was habe ich getan, fragte ich, daß ausgerechnet mir das passiert? Ich wollte dem Gott in bester Absicht ein großes Geschenk machen und ihm ein prachtvolles Opfertier darbringen. Deshalb erwartete ich, daß Hercules Invictus meine Gabe und mein Opfer annehmen würde. Dann trank ein schwarzer Hund das Blut der Färse, und meine Krone wurde mit Blut besudelt.«

Die neunzig anwesenden Priester hörten wie versteinert zu, fassungslos beim Gedanken an die schreckliche Schändung des Heiligtums. Alle hatten sie der Zeremonie am Vortag beigewohnt, und alle waren sie entsetzt und hatten den Rest des Tages und die folgende Nacht immer wieder überlegt, was falsch gemacht worden war und warum der Gott dem Diktator Roms so sehr zürnte.

»Die heiligen Bücher sind vernichtet, wir können sie nicht mehr befragen«, fuhr Sulla fort, der Wirkung seiner Worte gewiß. »Doch der Gott hat meine Tochter als seine Botin auserkoren. Alle Bedingungen waren erfüllt: Sie sprach, ohne zu wissen, was sie sagte, und ohne Kenntnis der Ereignisse vor dem Altar des Hercules Invictus.«

Sulla hielt inne und ließ seinen Blick über die Reihen der Priester schweifen. Das Gesicht, das er suchte, war nicht dabei. »Pontifex Maximus, tritt zu mir!« befahl er schließlich im feierlichen Ton eines Priesters.

Bewegung kam in die Reihen, dann trat Metellus Pius hervor. »Hier bin ich, Lucius Cornelius.«

»Quintus Caecilius, du bist von dieser Sache besonders betroffen. Stelle dich vor die anderen, weil keiner dein Gesicht sehen soll. Ich wünschte, auch ich könnte mein Gesicht verbergen, aber mein Gesicht müßt ihr alle sehen. Ich habe folgendes zu sagen: Meine Frau, Caecilia Metella Delmatica, Tochter eines Pontifex Maximus und leibliche Cousine unseres gegenwärtigen Pontifex Maximus ist...« — Sulla holte Luft — »... unrein. Im selben Augenblick, in dem meine Tochter mir dies sagte, wußte ich, daß es die Wahrheit ist. Meine Frau ist unrein. Ihr Schoß fault. Ich wußte dies zwar schon seit einiger Zeit, aber daß der Zustand der armen Frau die Götter der Männer beleidigt, wußte ich erst, als meine Tochter sprach. Hercules Invictus ist ein Gott der Männer, und Jupiter Optimus Maximus genauso. Ich, ein Mann, trage die Verantwortung für das Wohlergehen Roms. Mir ist die Aufgabe anvertraut, dazu beizutragen, daß Rom sich von den Kriegen und Wirren der letzten Jahre wieder erholt. Wer und was ich bin, ist wichtig. Und nichts, wirklich nichts in meinem Leben darf unrein sein. Auch nicht meine Frau. Heute erkenne ich dies. Ist meine Vermutung richtig, Pontifex Maximus Quintus Caecilius?«

Wie sehr das Ferkel gewachsen ist! dachte Sulla, der als einziger Metellus’ Gesicht sehen konnte. Gestern hatte Metellus die Situation gerettet, heute war er der einzige, der die Lage in ihrer ganzen Tragweite begriff.

»Ja, Lucius Cornelius«, sagte Metellus Pius fest.

»Ich habe euch heute hierher bestellt, um die Auspizien einzuholen und zu entscheiden, was zu tun ist«, fuhr Sulla fort. »Ich habe euch die Situation geschildert und gesagt, was ich glaube. Aber nach den Gesetzen, die ich verabschiedet habe, kann ich ohne euren Rat keine Entscheidung treffen. Und dies um so weniger, als die betroffene Person meine Frau ist. Natürlich möchte ich auch nicht, daß man mir nachsagt, ich hätte die Situation dazu benutzt, meine Frau loszuwerden. Ich will meine Frau nicht loswerden, das muß ich klarstellen. Gegenüber euch allen und durch euch gegenüber Rom. Trotzdem glaube ich, daß meine Frau unrein ist und daß die Götter der Männer gekränkt sind. Pontifex Maximus, was sagst du als Oberhaupt der römischen Religion?«

»Auch ich sage, die Götter der Männer sind gekränkt«, verkündete Metellus Pius. »Ich sage, du mußt deine Frau von dir fernhalten. Du darfst nie wieder den Blick auf sie richten und zulassen, daß sie dein Haus verunreinigt oder dich bei der Ausführung der dir vom Gesetz auferlegten Pflichten behindert.«

Alle sahen die Verzweiflung in Sullas Gesicht. »Ich liebe meine Frau«, sagte er mit belegter Simme. »Sie hat mir treu gedient. Sie hat mir Kinder geschenkt. Vor mir war sie die treue Frau des Marcus Aemilius Scaurus, dem sie gleichfalls Kinder geschenkt hat. Ich weiß nicht, warum die Götter der Männer dies von mir verlangen oder wodurch meine Frau ihr Mißfallen erregt hat.«

»Deine Liebe zu deiner Frau ist dadurch nicht in Frage gestellt«, sagte der Pontifex Maximus. »Weder du noch sie hat notwendigerweise einen Gott beleidigt, er sei ein Gott der Männer oder der Frauen. Richtiger ist, daß ihre Anwesenheit in deinem Haus und deine Anwesenheit in ihrem Leben die Wege, über welche Rom die Gnade und Gunst der Götter zufließen, auf dunkle Weise unterbrochen haben. Im Namen der anderen Priester sage ich, daß niemand Schuld trägt, daß wir auf keiner Seite eine Verfehlung entdecken können, Lucius Cornelius, weder auf deiner noch auf der deiner Frau. Was geschehen ist, ist geschehen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«

Er drehte sich um, blickte die schweigende Versammlung an und sagte mit lauter, fester Stimme, ohne zu stottern: »Ich bin euer Pontifex Maximus! Daß ich ohne Stottern und Stammeln zu euch spreche, ist Beweis genug, daß Jupiter Optimus Maximus durch mich spricht. Ich sage, die Frau dieses Mannes ist unrein, ihre Anwesenheit in seinem Leben und seinem Haus beleidigt unsere Götter, und sie muß sofort aus seinem Leben und seinem Haus entfernt werden. Wir brauchen darüber nicht abzustimmen. Wenn einer der Anwesenden mir nicht zustimmt, so sage er es jetzt.«

Die Stille war so tief, als sei der Tempel leer.

Metellus Pius wandte sich wieder an den Diktator. »Wir weisen dich an, Lucius Cornelius Sulla, deinen Dienern zu befehlen, daß sie deine Frau Caecilia Metella Delmatica aus deinem Haus bringen und in den Tempel der Juno Sospita geleiten, wo sie bis zu ihrem Tode bleiben soll. Auf keinen Fall darfst du sie noch einmal sehen. Sobald sie aus dem Haus ist, beauftrage ich den Rex Sacrorum und den Marspriester an Stelle des Jupiterpriesters, die Reinigungsriten in Lucius Cornelius’ Haus durchzuführen.«

Er zog sich die Toga über den Kopf. »Ihr himmlischen Zwillinge Castor und Pollux, ihr Dioskuren, Dei Penates oder wie immer ihr genannt werden wollt — ihr, die ihr Götter seid oder Göttinnen oder ohne Geschlecht —, wir sind in eurem Tempel versammelt, weil wir eure Fürsprache beim mächtigen Jupiter Optimus Maximus, dessen Abkömmlinge ihr seid oder nicht seid, und beim Triumphator Hercules Invictus brauchen. Wir bitten euch: Bezeugt den Göttern, daß wir uns redlich bemüht haben, geschehenes Unrecht wiedergutzumachen. Wir versprechen hiermit, daß wir euch ein Zwillingspaar weißer Fohlen opfern werden, sobald wir diese seltenen Opfertiere finden. Helft uns, wie ihr es stets getan habt.«

Die Auspizien wurden eingeholt, und sie bestätigten den Beschluß des Pontifex Maximus. Das klare Morgenlicht, das durch die offene Tür ins Innere des Tempels fiel, verdunkelte sich plötzlich, und ein seltsam kalter Wind wehte herein.

»Noch eines, bevor wir gehen«, sagte Sulla.

Die Priester, die sich schon zum Gehen angeschickt hatten, blieben sofort wieder stehen.

»Wir müssen die Sibyllinischen Bücher ersetzen, denn auch wenn wir noch das Buch von Vegoia und Tages haben, das sicher im Tempel des Apoll verwahrt wird, hilft uns dieses Buch doch bei ausländischen Göttern wie Hercules Invictus nicht weiter. Es gibt viele Sibyllen auf der Welt, und einige stehen der Sibylle von Cumae sehr nahe, die ihre Verse auf Palmblätter schrieb und sie vor langer Zeit König Tarquinius Priscus zum Kauf anbot. Pontifex Maximus, ich wünsche, daß du jemanden beauftragst, auf der ganzen Welt nach den Versen zu suchen, die in unseren prophetischen Büchern enthalten waren.«

»Du hast recht, Lucius Cornelius, dies muß geschehen«, sagte Metellus Pius ernst. »Ich werde einen geeigneten Mann für diese Aufgabe finden.«

Diktator und Pontifex Maximus gingen gemeinsam zu Sulla nach Hause.

»Meine Tochter wird außer sich sein«, sagte der Diktator, »aber wenn sie es aus deinem Mund hört, wird sie mir keine Schuld geben.«

»Es tut mir sehr leid wegen dieses Unglücks.«

»Mir auch!« sagte Sulla bedrückt.

Cornelia Sulla glaubte ihrem Vater, was sie selbst so sehr überraschte wie ihn.

»Ich glaube, du liebst sie, wie du es vermagst, Vater. Und ich habe keine so schlechte Meinung von dir, daß ich dir unterstellen würde, du wollest sie loswerden.«

»Liegt sie im Sterben?« fragte Metellus Pius. Er bekam plötzlich Gewissensbisse, weil er vorgeschlagen hatte, Delmatica für den Rest ihres Lebens in den Tempel der Juno Sospita zu verbannen.

»Es wird bald zu Ende sein«, sagte Lucius Tuccius. »Sie hat eine schlimme Wucherung im Bauch.«

»Dann bringen wir es rasch hinter uns.«

Als acht kräftige Sänftenträger Delmatica vom Krankenlager hoben, geschah dies nicht in würdevoller Stille. Als Delmatica der Beschluß der Priester mitgeteilt wurde, verflog mit einem Mal die Geduld, die ihr ganzes Leben bestimmt hatte. Sie würde ihren Mann nie wiedersehen! Schluchzend schrie und kreischte sie immer wieder seinen Namen, als man sie hinaustrug. Sulla, dem Tränen die Wangen hinabrannen, saß unterdessen in seinem Arbeitszimmer, die Hände auf die Ohren gepreßt. Wieder hatte er bezahlen müssen. An wen? An Fortuna oder Metrobius?

Am Gemüsemarkt vor der Servianischen Mauer reihten sich vier Tempel aneinander: die Tempel der Pietas, des Janus, der Spes und der Juno Sospita. Die Juno Sospita war keine besonders wichtige Schutzgöttin für Schwangere, sondern mehr eine kriegerische Version der großen Mutter von Pessinus, der Juno der Schlangen aus Lanuvium, der Himmelskönigin und Erlöserin der Frauen. Wohl wegen dieses letzten Aspektes ihrer Erscheinung war es unter gesunden Wöchnerinnen lange Zeit Brauch gewesen, ihre Nachgeburt als Opfergabe in den Tempel der Juno Sospita zu bringen.

Während des Bundesgenossenkrieges, als Geld und Tempelsklaven knapp waren, war Juno Sospita der Metella Balearica, die mit Appius Claudius Pulcher verheiratet gewesen war, im Traum erschienen und hatte sich bitter über den Schmutz in ihrem Tempel beklagt, der es ihr unmöglich mache, dort zu wohnen. Balearica war daraufhin zum Konsul Lucius Caesar gegangen und hatte verlangt, man möge ihr beim Saubermachen des Tempels helfen. Dort hatte man nicht nur verwesende Plazentas gefunden. Überall waren die Überreste toter Frauen, Hündinnen, Säuglinge und Ratten herumgelegen. Obwohl Caecilia Metella Balearica damals selbst schwanger gewesen war, hatte sie zusammen mit Lucius Caesar ihre ekelerregende Aufgabe ganz erfüllt und war zwei Monate später nach der Geburt ihres sechsten Kindes gestorben.

Seither war der Tempel freilich peinlich sauber gehalten worden. Die dargebrachten Nachgeburten wurden in dicht geflochtene, auslaufsichere Körbe gelegt und regelmäßig zur rituellen Verbrennung zur Frau des Jupiterpriesters gebracht. Kein Tempelboden glänzte sauberer, in keinem Tempel duftete es süßer. Cornelia Sulla hatte für das Lager ihrer Stiefmutter einen Platz hergerichtet, und die Sänftenträger durchlitten zitternd die größten Qualen, als sie den geheiligten Raum der Frauen betreten mußten, um Delmatica dort abzusetzen. Delmatica schrie noch immer nach Sulla, aber inzwischen schwächer und schon völlig entkräftet. Die neue Umgebung schien sie gar nicht wahrzunehmen.

Auf einem Sockel stand die bemalte Statue der Göttin. Sie trug Schuhe mit aufwärtsgebogenen Spitzen und schwang einen Speer gegen eine aufgerichtete Schlange. Am eindrucksvollsten war das echte Ziegenfell, das um ihre Schultern lag und an der Taille verknotet war, während der Kopf der Ziege mit den Hörnern wie ein Helm auf ihrem dunkelbraunen Haar saß. Cornelia Sulla und Metellus Pius setzten sich zu Füßen dieser fremdländischen Gestalt und hielten jeder eine Hand Delmaticas, um der Sterbenden in ihren letzten Schmerzen und ihrer Verzweiflung beizustehen. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, und Delmaticas Qualen waren mehr seelisch als körperlich. Sie verlangte bis zuletzt nach Sulla, unzugänglich gegenüber den vernünftigen Einwänden, die Cornelia Sulla und Metellus Pius erhoben.

Als sie tot war, ließ der Pontifex Maximus die Bestatter im Tempel ein Leichenbett errichten, denn der Leichnam durfte nicht zur feierlichen Aufbahrung nach Hause gebracht und auch nicht ausgestellt werden. So saß sie nach traditioneller Art aufrecht in ihrem Leichenbett im Tempel, bedeckt von einem schwarzen, goldumrandeten Tuch und umringt von gemieteten Klageweibern. Im Hintergrund wachte jene seltsame Göttin mit dem Ziegenfell, der aufgerichteten Schlange und dem Speer.

»Wer ein Luxusgesetz verfaßt hat«, sagte Sulla später, »kann es sich leisten, sich darüber hinwegzusetzen.«

Caecilia Metella Delmaticas Begräbnis kostete deshalb einhundert Talente. Über zwei Dutzend Schauspieler mit Wachsmasken vor den Gesichtern rollten auf Wagen durch die Straßen; die Masken gehörten verstorbenen Mitgliedern der Familie Caecilius Metellus’ und zweier Patrizierfamilien, der des Aemilius Scaurus und der des Cornelius Sulla. Die Menge, die sich im Circus Flaminius drängte — man hatte beschlossen, den unreinen Körper nicht über die heilige Stadtgrenze zu bringen —, war freilich weniger vom Pomp der Veranstaltung ergriffen als vom Anblick der dreijährigen Zwillinge Delmaticas, Faustus und Fausta, die in schwarze Gewänder gehüllt von einer mit schwarzen Girlanden behangenen Riesin aus Gallia Transalpina getragen wurden.

An den Kalenden des September begann Sulla mit der eigentlichen Gesetzgebung, einer so großen Flut neuer Bestimmungen, daß der Senat entsetzt aufstöhnte.

»Unsere Gerichte arbeiten schwerfällig und zeitaufwendig«, stellte Sulla fest. »Die Komitien sollten sich nicht mit zivil- oder strafrechtlichen Klagen befassen; solche Verfahren sind zu langwierig und politisch manipulierbar und werden zu sehr durch den Ruf oder die Popularität des Angeklagten beeinflußt — vom Ruf der Verteidiger ganz zu schweigen. Und ein mehrere tausend Stimmen großes Schwurgericht ist weder praktikabel noch vernünftig. Ich werde in Rom sieben ständige Gerichtshöfe einrichten, zuständig für Verrat, Wucher, Veruntreuung, Bestechung, Urkundenfälschung, Gewaltverbrechen und Mord. Alle Verbrechen außer dem letztgenannten betreffen in irgendeiner Weise Staat oder Schatzamt, deshalb sollen Prätoren die Vorsitzenden der ersten sechs Gerichte sein. Die genaue Verteilung bestimmt das Los. Das Mordgericht soll sämtliche Fälle von Mord, Brandstiftung, Zauberei, Giftmischerei und Meineid verhandeln — und ein neues Verbrechen, das ich Justizmord nennen will: eine Exilstrafe, mit der jemand auf gerichtlichem Weg einen anderen schädigt. Ich gehe davon aus, daß das Mordgericht am meisten zu tun hat, aber auch die einfachsten Fälle verhandelt. Sein Vorsitzender soll jemand sein, der Ädil, aber noch nicht Prätor war. Ernannt wird er von den Konsuln.«

Hortensius, der seine größten Triumphe in der Volksversammlung gefeiert hatte, wo er wegen seines Redestils und seiner Fähigkeit, die Massen mitzureißen, zur Legende geworden war, war entsetzt. Die neuen Geschworenengerichte waren für seinen Geschmack entschieden zu klein.

»Damit geht die echte Kunst der Verteidigung unter!« rief er.

»Das ist doch völlig unwichtig.« Sulla sah ihn erstaunt an. »Viel wichtiger ist das gerichtliche Verfahren, und das soll aus den Händen der Komitien genommen werden, Quintus Hortensius, dazu bin ich fest entschlossen! Ich werde die Volksversammlung jedenfalls auffordern, die Einrichtung dieser neuen ständigen Gerichtshöfe per Gesetz zu bestätigen. Die Komitien werden ihre richterlichen Aufgaben damit formell an diese Gerichte abgeben.«

»Ausgezeichnet!« sagte der Historiker Lucius Cornelius Sisenna. »Damit wird jeder vor Gericht verhandelte Fall sozusagen mit Billigung der Komitien verhandelt, und eine Berufung vor einer Versammlung der Komitien nach der Urteilsverkündung ist nicht mehr möglich.«

»Genau, Sisenna! Und das macht der Richtertätigkeit dieser Versammlungen ein Ende!«

»Aber das ist ja empörend!« rief Catulus aufgebracht. »Und zudem völlig verfassungswidrig! Jeder römische Bürger hat Anspruch auf Rechtsmittel!«

»Rechtsmittel und Verfahren sind ein und dasselbe, Quintus Lutatius«, belehrte ihn Sulla, »und Teil der neuen römischen Verfassung.«

»Die alte Verfassung war in diesen Fragen gut genug!«

»Die Geschichte hat eines allzu deutlich gezeigt: daß so mancher Schuldige durch die Bestimmungen der alten Verfassung freigekommen ist, weil sich die Volksversammlung von der Rhetorik einiger Redner blenden und dazu verleiten ließ, ein rechtmäßiges Urteil umzustoßen. Empörend war, wie aus solchen Verfahren schamlos politisches Kapital geschlagen wurde, Quintus Lutatius. Rom ist inzwischen so groß und hat so viele Aufgaben, daß es nicht an veralteten Bräuchen und Verfahren festhalten darf, die aus einer Zeit stammen, als Rom kaum größer als ein Dorf war. Ich verweigere niemandem einen gerechten Prozeß. Im Gegenteil, ich mache den Prozeß gerechter. Und das Verfahren einfacher.«

»Und wer sind die Geschworenen?« fragte Sisenna.

»Sie kommen ausschließlich aus dem Senat — ein Grund mehr, warum ich dort eine Reserve von mindestens vierhundert Männern brauche. Der Dienst des Geschworenen ist eine Belastung, und das bleibt er auch weiterhin, wenn sieben Gerichtshöfe besetzt werden müssen. Allerdings will ich die Anzahl der Geschworenen verringern. Fünfzig werden es nur noch bei schweren Verbrechen gegen die Allgemeinheit sein. Ansonsten soll die Anzahl in Zukunft von der Zahl der verfügbaren Männer abhängen, und wenn diese zufällig gerade ist, soll Gleichstand bei der Entscheidung Freispruch bedeuten. Der Senat ist bereits in Dekurien von zehn Männern mit je einem patrizischen Senator als Vorsitzendem unterteilt. Aus diesen Dekurien sollen die Geschworenen kommen, wobei allerdings keine Dekurie für immer einem bestimmten Gericht zugeordnet ist. Die Geschworenen werden für jede Verhandlung und jedes Gericht einzeln durch das Los bestimmt, und zwar nachdem der Verhandlungtermin feststeht.«

»Hervorragend!« rief der jüngere Dolabella.

»Unmöglich!« brüllte Hortensius. »Was passiert, wenn meine Dekurie die Geschworenen einer Verhandlung stellen soll und ich selbst in einem anderen Prozeß den Angeklagten vertrete?«

»Dann mußt du eben beides irgendwie unter einen Hut bringen«, sagte Sulla. Er lächelte kalt. »Die Huren können es, Hortensius! Du kannst es auch!«

Catulus schnaubte verächtlich.

»Wer legt die Anzahl der Geschworenen für einen bestimmten Prozeß fest?« fragte der jüngere Dolabella.

»Der Vorsitzende des Gerichtes«, erklärte Sulla. »Allerdings hängt ihre Zahl auch von der Zahl der verfügbaren Dekurien ab. Ideal wären meiner Ansicht nach fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Männer. Und es werden nie alle Mitglieder einer Dekurie verpflichtet, denn dann wäre die Anzahl der Geschworenen ja immer gerade.«

»Sechs der acht Prätoren werden also durch das Los jeweils zum Vorsitzenden eines Gerichtshofes bestimmt«, faßte Metellus Pius zusammen. »Wie wird dann festgelegt, wer Stadtprätor und wer Prätor für Fremdenrecht wird?«

»Die bisherige Bestimmung, nach welcher der Prätor mit dem besten Wahlergebnis Stadtprätor und der mit dem zweitbesten Prätor für Fremdenrecht wird, ist abgeschafft«, verkündete Sulla. »In Zukunft werden alle acht Aufgaben durch das Los verteilt.«

Lepidus war es ganz egal, welcher Prätor welches Amt erhielt. Er stellte jetzt eine Frage, deren Antwort er zwar bereits wußte, aber aus Sullas Mund hören wollte. »Beabsichtigst du also, alle Ritter als Geschworene auszuschließen?«

»Richtig. Seit der Zeit des Gaius Gracchus haben die Ritter die Geschworenengerichte besetzt, von einer kurzen Unterbrechung abgesehen. Das hört jetzt auf! Gaius Gracchus hat es versäumt, in sein Gesetz eine Klausel einzufügen, nach der ein korrupter ritterlicher Geschworener strafrechtlich verfolgt werden kann. Die Senatoren sind in jeder Beziehung vor dem Gesetz verantwortlich, dafür werde ich sorgen!«

»Und welche Aufgaben bleiben dann dem Stadtprätor und dem Prätor für Fremdenrecht?« fragte Metellus Pius.

»Sie sind für alle Zivilprozesse verantwortlich. Und der Prätor für Fremdenrecht ist außerdem für strafrechtliche Prozesse von Nichtrömern zuständig. Allerdings werden diese beiden Prätoren nicht mehr das Recht haben, selbst ein Urteil zu fällen — statt dessen müssen sie den Fall einem Richter übergeben, der unter bestimmten Senatoren und Rittern ausgelost wird. Sein Spruch ist für alle Parteien bindend, auch wenn der Stadtprätor und der Prätor für Fremdenrecht ein Verfahren persönlich überwachen.«

Hortensius stand wegen Sullas höhnischer Bemerkung noch immer Zornesröte im Gesicht, und er hatte seine Fassung noch nicht wieder gewonnen. Deshalb ergriff Catulus das Wort: »Nach der augenblicklichen Verfassung, Lucius Cornelius, kann ein Todesurteil nur durch eine ordnungsgemäß einberufene Versammlung der Komitien gefällt werden. Wenn du den Komitien die Gerichtsbarkeit entziehst, fällen dann ab jetzt die Gerichte die Todesurteile?«

»Nein, Quintus Lutatius, im Gegenteil. Es wird überhaupt kein Todesurteil mehr gefällt. Die Strafen beschränken sich in Zukunft auf Exil, Geldbuße und Beschlagnahmung des Vermögens oder eines Teils davon.«

»Du hast sieben Gerichte benannt«, sagte Mamercus. »Verrat, Wucher, Veruntreuung, Bestechung, Urkundenfälschung, Gewaltverbrechen und Mord. Nun gibt es aber durch die lex Plautia bereits einen ständigen Gerichtshof für Fälle von Gewalt gegen die Allgemeinheit. Dazu habe ich zwei Fragen: Erstens, was geschieht mit diesem Gerichtshof, und zweitens, wo werden Sakrile- gien verhandelt?«

»Die lex Plautia ist nicht mehr nötig.« Sulla lehnte sich erleichtert zurück. Der Senat schien insgesamt zu begrüßen, daß die strafrechtlichen Verfahren den Komitien aus der Hand genommen waren. »Gewaltverbrechen werden entweder am neuen Gericht für Gewaltverbrechen verhandelt oder in besonders schweren Fällen am Gericht für Verrat. Was Sakrilegien angeht, so sind Verbrechen dieser Art zu selten, um ihretwegen einen ständigen Gerichtshof einzurichten. Bei Bedarf wird ein Sondergericht einberufen, dem ein ehemaliger Ädil vorsitzt. Das Sondergericht arbeitet wie die ständigen Gerichte, also ohne Berufungsrecht bei den Komitien. Das Urteil für eine unkeusche Vestalin lautet weiterhin auf Begraben bei lebendigem Leibe, aber der oder die Männer, die ihr zu nahe gekommen sind, werden vor ein anderes Gericht gestellt und nicht mit dem Tod bestraft.«

Sulla räusperte sich. »Für heute bin ich fast fertig. Zunächst noch ein Wort zu den Konsuln: Es ist nicht gut für Rom, wenn die Konsuln aktiv am Krieg im Ausland teilnehmen. Beide sind in ihrem Amtsjahr für das Wohlergehen Roms und Italiens verantwortlich und sonst nichts. Jetzt, da die Volkstribunen auf ihre Plätze verwiesen sind, erhoffe ich mir von den Konsuln mehr Initiative bei der Verkündung von Gesetzen. Dann noch etwas zur Hausordnung: Senatsmitglieder können auch in Zukunft aufstehen, wenn sie etwas zu sagen haben, aber es wird ihnen nicht mehr erlaubt sein, beim Reden auf und ab zu gehen. Gesprochen wird vom zugewiesenen Platz aus, ob im Sitzen oder im Stehen. Lärm wird nicht geduldet. Weder Beifall noch Getrampel, noch Jubeloder Zwischenrufe. Die Konsuln werden jeden, der gegen die neue Hausordnung verstößt, mit einer Geldbuße von tausend Denaren belegen.«

Als Sulla die Sitzung aufgehoben hatte, versammelte sich eine kleine Gruppe von Senatoren vor den Stufen der Curia Hostilia, darunter treue Anhänger Sullas wie Mamercus und Metellus Pius, aber auch Männer wie Lepidus und Catulus, die Sulla bestenfalls als notwendiges Übel betrachteten.

»Kein Zweifel«, sagte Metellus, »die neuen Gerichte werden die gesetzgebenden Gremien spürbar entlasten — jetzt braucht man nicht mehr mühsam bei der Versammlung der Plebs beantragen, daß ein Verfahren an ein Sondergericht weitergeleitet wird, oder befürchten, daß irgendein Ritter sich bestechen läßt. Doch, die Reformen sind gut.«

»Na ja, Pius«, rief Philippus. »Du kannst dich doch sicher noch an die Zeit erinnern, als Konsul Caepio die Gerichtsbarkeit an den Senat zurückgegeben hatte! Ständig war ich in irgendeinem Prozeß Geschworener, sogar im Sommer!« Philippus wandte sich an seinen Zensorkollegen Marcus Perperna. »Du erinnerst dich bestimmt auch noch.«

»Nur zu gut«, bestätigte Perperna nachdrücklich.

»Ich verstehe nicht«, sagte Catulus, »daß ihr zwar verlangt, der Senat solle die Geschworenen stellen, euch aber beschwert, wenn ihr an der Reihe seid. Wenn wir als Senatoren die Rechtsprechung in der Hand haben wollen, müssen wir das eben in Kauf nehmen.«

»Und jetzt trifft es uns ja seltener«, sagte Mamercus. »Wir sind mehr Senatoren.«

»Wie du redest!« sagte Philippus wütend. »Du bist der Schwiegersohn des großen Sulla; er braucht nur den kleinen Finger zu heben, und schon heulst du wie ein Hund oder blökst wie ein Schaf! So viele Senatoren kann es gar nicht geben! Und aufschieben läßt sich bei ständigen Gerichten auch nichts mehr — früher konnten wir das Urteil in der Volksversammlung wenigstens für die Marktwochen, die wir in den Ferien waren, hinauszögern. Jetzt braucht der Gerichtsvorsitzende nur noch die Geschworenen von einer Liste auszuwählen! Wir wissen nicht einmal vorher, ob wir ausgewählt werden oder nicht, wir können also überhaupt nicht planen. Sulla sagt, gelost wird erst, wenn der Verhandlungstermin feststeht. Ich sehe es schon vor mir! Zwei Tage Erholung am Meer, dann wieder ab nach Rom, um einem Prozeß beizuwohnen!«

»Man hätte die Aufgaben der Geschworenen aufteilen müssen«, sagte Lepidus. »Die wichtigen Gerichtshöfe, also die für Wucher und Verrat, könnten beim Senat bleiben; das Mordgericht dagegen könnte gut mit Geschworenen aus dem Ritterstand besetzt werden — oder sogar mit Geschworenen aus dem Proletariat!«

»Du meinst also, nur die Schwurgerichte, die über Senatoren entscheiden, sollten aus Senatoren bestehen«, sagte Mamercus säuerlich. »Alle anderen Verbrechen, wie Zauberei oder Giftmischerei, sind für Senatoren nicht wichtig genug.«

»So ähnlich.« Lepidus lächelte.

Metellus wechselte das Thema. »Ich wüßte gern, was für Gesetze er sonst noch plant.«

»Bestimmt keine zu unserem Vorteil«, sagte Hortensius.

»Warum denn nicht?« sagte Mamercus, der sich durch Philippus’ Vorwurf nicht aus der Ruhe hatte bringen lassen. »Alles, was Sulla bisher getan hat, dient der Stärkung des Senats und soll Rom helfen, zu seinen alten Werten und Bräuchen zurückzufinden.«

»Aber vielleicht ist es für eine Rückkehr zu den alten Bräuchen zu spät«, sagte Perperna nachdenklich. »Vieles von dem, was Sulla abgeschafft oder verändert hat, hat uns gleichfalls lange begleitet. Die Versammlung der Plebs hat jetzt kaum mehr Bedeutung als ein Verein von Würfelbrüdern. Aber das wird nicht so bleiben, weil es nicht so bleiben kann. Schließlich waren die Volkstribunen jahrhundertelang Roms wichtigste Gesetzgeber.«

»Ja, was er mit den Volkstribunen gemacht hat, ist keineswegs volksfreundlich«, sagte Lepidus. »Die Neuordnung der Versammlung der Plebs hat bestimmt keinen Bestand.«

An den Kalenden des Oktober schockierte der Diktator die Römer erneut. Er verrückte das pomerium, die heilige Stadtgrenze, um genau hundert Fuß in Richtung Forum Boarium und vergrößerte so das Stadtgebiet um einen allerdings sehr kleinen Teil. Die heilige Stadtgrenze war seit der Zeit der Könige unangetastet geblieben, und an ihr zu rühren galt als Parteinahme für das Königtum, als Akt gegen die Republik. Aller Protest nützte freilich nichts. Ungerührt erklärte Sulla, die offizielle Grenze zwischen Italien und dem italischen Gallien sei jetzt der Rubicon — zwar galt der Rubicon schon lange als Grenze, aber die letzte offizielle Grenzziehung war noch beim Metauro erfolgt. Er könne also mit Fug und Recht behaupten, sagte Sulla weiter, daß er das Territorium Roms in Italien vergrößert habe. Und um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, werde er die Stadtgrenze um jene unerheblichen hundert Fuß verschieben.

»Ich für meinen Teil«, sagte Pompeius zu seiner neuen, bereits hochschwangeren Frau, »bin mit dieser Entscheidung völlig einverstanden!«

Aemilia Scaura sah ihn erstaunt an. »Warum?«

Sie stellte oft solche Fragen und hätte einen weniger geltungsbedürftigen Mann sicher verärgert, aber Pompeius liebte es, gefragt zu werden.

»Weil, mein lieber kleiner Melonenbauch« — er kitzelte sie mit einem gierigen Blick und einem Augenzwinkern am Bauch — »weil ich den größten Teil des Ager Gallicus südlich von Ariminum besitze und dieser jetzt offiziell zu Umbria gehört. Damit bin ich einer der größten Landbesitzer ganz Italiens, vielleicht sogar der größte. Genau weiß ich es nicht. Manche haben insgesamt mehr, weil sie noch Land im italischen Gallien besitzen, zum Beispiel die Familie des Aemilius Scaurus — deines Papas, Herzchen — und die des Domitius Ahenobarbus, aber ich habe riesige Ländereien in Lucania geerbt, und wenn jetzt noch die südliche Hälfte des Ager Gallicus zu meinen Ländereien in Umbria und Nordpicenum kommt, bezweifle ich, daß jemand im eigentlichen Italien mehr hat als ich! Mögen die anderen über den Diktator jammern, ich bin zufrieden.«

»Ich kann es kaum erwarten, deine Ländereien zu sehen«, sagte Aemilia Scaura sehnsüchtig und legte die Hand auf ihren Bauch. »Sobald ich reisen kann, Magnus. Du hast es versprochen.«

Sie saßen nebeneinander auf einer Liege. Er drehte sich zu ihr, drückte sie sanft auf die Liege, verschieß ihr mit zwei Fingern den Mund und begann ihr Gesicht abzuküssen.

»Mehr!« schrie sie, als er von ihr abließ.

Er beugte sich über sie, und seine unsagbar blauen Augen glitzerten. »Was sagt mein gieriges Schmuseweibchen da? Das Schmuseweibchen müßte doch wissen, daß es nicht geht.«

Aemilia Scaura begann haltlos zu kichern, und Pompeius, der dieses Kichern schrecklich gern mochte, kitzelte sie, so daß sie noch mehr kichern mußte. Doch dann wurde sein Verlangen nach ihr so groß, daß er aufstehen und gehen mußte.

»Das blöde Kind!« schrie sie ärgerlich.

»Bald, meine Süße«, sagte er betont fröhlich. »Zuerst müssen wir den kleinen Glabrio loswerden. Dann machen wir selbst einen Versuch.«

Pompeius hatte bisher tatsächlich verzichtet. Niemand, am allerwenigsten Aemilia Scauras steife und hochmütige Verwandtschaft aus der Familie des Caecilius Metellus, sollte ihm nachsagen können, er sei nicht der rücksichtsvollste und liebenswerteste Ehemann. Denn Pompeius wollte von seinen neuen Verwandten unbedingt anerkannt werden.

Als er vom Verhältnis des jüngeren Marius mit Praecia erfahren hatte, hatte er diese in ihrem prachtvollen Haus besucht; für ihn bedeutete es keinen Abstieg, die Hinterlassenschaft eines anderen zu kosten, solange dieser berühmt, mächtig oder adelig genug war. Praecia stellte im übrigen ein erotisches Vergnügen mit Reizen dar, die Aemilia Scaura, wenn es einmal soweit war, sicher nicht zu bieten haben würde, soviel war sicher. Außerdem hatten Ehefrauen die Aufgabe, Kinder zu gebären, auch wenn der armen Antistia nicht einmal diese Freude vergönnt gewesen war.

Wenn Pompeius gerne verheiratet war, dann deshalb, weil er wußte, wie man eine Frau für sich einnimmt. Er machte Aemilia Komplimente in rauhen Mengen, kümmerte sich nicht darum, wie lächerlich seine Zärtlichkeiten klingen mochten — er vergewisserte sich lediglich, daß der Pontifex Maximus Metellus Pius ihn nicht hören konnte —, und war ihr gegenüber immer fröhlich und gutgelaunt. Und bei alledem — kluger Pompeius! — gestand er ihr Launen zu und nahm es hin, wenn sie weinte, wegen Kleinigkeiten nörgelte und ihn beschimpfte. Und da Aemilia Scaura ebensowenig wie Antistia vor ihr ahnte, daß nicht sie ihren Mann lenkte, sondern vielmehr er sie, stand alles zum besten. Die Beteiligten waren zufrieden, und es gab keinen tiefergehenden Streit.

Pompeius’ Dankbarkeit gegenüber Sulla dafür, daß dieser ihm die Tochter des Senatsvorsitzenden Scaurus verschafft hatte, war grenzenlos. Zwar war er selbst überzeugt, daß er für Scaurus’ Tochter mehr als gut genug war, aber wenn ein Mann wie Sulla seine Überzeugung teilte, bestärkte ihn das in seiner hohen Meinung von sich selbst. Natürlich wußte er auch, daß Sulla ihn durch die Heirat an sich binden wollte, aber das gab seinem Selbstbewußtsein noch mehr Auftrieb. Der Diktator fegte einen römischen Aristokraten wie Glabrio beiseite, aber Gnaeus Pompeius Magnus war ihm so wichtig, daß er ihm gab, was er Glabrio genommen hatte. Sulla hätte Scaurus’ Tochter ja auch seinem Neffen Publius Sulla geben können oder seinem großen Günstling Lucullus.

Pompeius hatte sich beharrlich geweigert, in den Senat einzutreten, aber er wollte sich keineswegs dem Kreis um den Diktator entfremden. Er träumte vielmehr von neuen Zielen: Er wollte der einzige Feldherr in der Geschichte der Republik werden, der ein prokonsularisches Imperium hatte, aber nicht einmal Senator war. Angeblich war das unmöglich, und man hatte ihn ausgelacht und verspottet. Aber einen Mann wie Gnaeus Pompeius Magnus zur Zielscheibe des Spottes zu machen, war gefährlich! Er würde es sie büßen lassen in den kommenden Jahren, jeden einzelnen von ihnen; er würde sie weder töten, wie Marius es getan hätte, noch sie ächten, wie es Sullas Methode war. Nein, er wollte sie demütigen und erniedrigen, bis sie ihn auf den Knien um Erlösung anflehen würden. Das war weitaus süßer, als sie sterben zu sehen!

Pompeius zügelte also sein Verlangen nach dem begehrenswerten Sproß aus dem Geschlecht der Aemilier; er entschädigte sich vorerst mit zahlreichen Besuchen bei Praecia und tröstete sich mit Blicken auf Aemilia Scauras Bauch, in dem hinfort nur noch seine eigene Nachkommenschaft heranwachsen würde.

Aemilias Kind sollte Anfang Dezember zur Welt kommen, doch setzten Ende Oktober plötzlich heftige Wehen ein. Da die Schwangerschaft bisher ohne Komplikationen verlaufen war, überraschte die Frühgeburt alle, auch die Ärzte. Das magere Knäblein, das so früh zur Welt gekommen war, starb am Tag nach der Geburt, wenig später gefolgt von Aemilia Scaura, die unter großen Schmerzen verblutete.

Pompeius überkam abgrundtiefe Verzweiflung. Er hatte Aemilia Scaura auf seine besitzergreifende, wenig wählerische Art aufrichtig geliebt. Wenn Sulla in der bewußten Absicht, Pompeius einen Gefallen zu tun, in ganz Rom nach der richtigen Braut gesucht hätte, so hätte er keine geeignetere finden können als die ständig kichernde, etwas begriffsstutzige und naive Aemilia Scaura. Pompeius, dessen Vater den Beinamen der Schlächter getragen hatte und der selbst der kleine Schlächter genannt wurde, war mit dem Tod zeit seines Lebens in Berührung gekommen, ohne Anwandlungen von Mitleid oder Gnade zu verspüren. Ein Mann lebte, ein Mann starb. Eine Frau lebte, eine Frau starb. Nichts war sicher. Als seine Mutter gestorben war, hatte er etwas geweint, aber bis zum Tod Aemilia Scauras hatte ihn nur der Tod seines Vaters wirklich berührt.

Und nun schmerzte ihn der Tod seiner Frau so sehr, daß er ihr fast auf den Scheiterhaufen gefolgt wäre. Man mußte ihn gewaltsam zurückhalten, als er sich in die Flammen stürzen wollte, und Varro und Sulla wußten nicht, ob es ihm mit seiner rasenden Verzweiflung ganz oder nur zum Teil ernst war. In Wahrheit wußte es nicht einmal Pompeius. Er wußte lediglich, daß Fortuna ihm Scaurus’ Tochter gegeben und ihm das Geschenk wieder entrissen hatte, bevor er es genießen konnte.

Noch immer verzweifelt weinend, verließ der junge Mann Rom durch die Porta Collina. Zum zweiten Mal hatte der Tod ihm jäh einen Angehörigen entrissen. Erst seinen Vater, dann Aemilia Scaura. Ein Pompeius aus Nord-Picenum konnte da nur eines tun: sich nach Hause zurückziehen.

»Rom hat gegenwärtig zehn Provinzen«, stellte Sulla am Tag nach der Beerdigung seiner Stieftochter im Senat fest. Er trug das Trauergewand des Senators, eine weiße Toga und eine Tunika, deren Purpurstreifen so schmal war, daß sie mehr der Tunika des Ritters als der des Senators glich. Wäre Aemilia Scaura seine leibliche Tochter gewesen, hätte er sich den öffentlichen Geschäften erst nach zehn Tagen wieder zuwenden können, aber so war das unnötig. Angesichts seiner Pläne war Sulla darüber froh.

»Ich will sie euch aufzählen, eingeschriebene Väter: Hispania Ulterior, Hispania Citerior, Gallia Transalpina, das italische Gallien, Mazedonien mit Achaia, Asia, Cilicia, Africa mit Cyrenaica, Sizilien und Sardinien mit Korsika. Zehn Provinzen für zehn Statthalter. Wenn die Statthalter jeweils ein Jahr regieren, brauchen wir für die zehn Provinzen jedes Jahr zehn Männer — die beiden Konsuln und acht Prätoren, die gerade aus dem Amt geschieden sind.«

Sein Blick blieb wie zufällig an Lepidus hängen. »Aber jetzt bekommt jeder Statthalter einen Quästor zugewiesen. Der Statthalter von Sizilien bekommt zwei, einen für Syrakus und einen für Lilybaeum. Damit bleiben neun von zwanzig Quästoren für Italien und Rom. Das reicht. Jedem Statthalter wird zudem ein kompletter Stab von Beamten zugewiesen, von Liktoren und Ausrufern bis zu Schreibern, Boten und Buchhaltern. Der Senat erhält die Aufgabe, jedem Statthalter auf Empfehlung des Schatzamtes hin eine bestimmte Summe zuzuweisen. Dieses Gehalt, das vor Amtsantritt ausbezahlt wird, kann während des Amtsjahres unter keinen Umständen erhöht werden. Der Statthalter muß damit seine Beamten sowie sämtliche Unkosten bezahlen und am Ende der Statthalterschaft eine lückenlose Abrechnung vorlegen. Nichtaus- gegebene Gelder kann er für sich behalten. Er hat über das ihm ausbezahlte Geld volle Verfügungsgewalt und kann damit tun und lassen, was er will. Auch ist es ihm erlaubt, Geld vor seiner Abreise in die Provinz unter seinem Namen in Rom zu investieren. Aber er muß sich darüber im klaren sein, daß er kein weiteres Geld zu erwarten hat! Hier ist eine Warnung notwendig. Da das Gehalt im Augenblick der Auszahlung in den persönlichen Besitz des neuen Statthalters übergeht, kann es gepfändet werden, wenn er verschuldet ist. Ich weise also alle potentiellen Statthalter darauf hin, daß Schulden ihre öffentliche Laufbahn gefährden. Ein Statthalter, der mittellos in seine Provinz reist, muß nach der Rückkehr damit rechnen, wegen schwerer Verbrechen angeklagt zu werden!«

Sulla sah die Senatoren grimmig an und wandte sich dann wieder den Staatsgeschäften zu. »Ich entziehe den Komitien jedes Mitspracherecht in Sachen Krieg, Provinzen und Außenpolitik. Von jetzt an ist ihnen auch jede Diskussion darüber verboten. Dies ist ausschließlich Recht des Senats.« Ein weiterer grimmiger Blick. »Komitien und Versammlung der Plebs genehmigen in Zukunft Gesetze und halten Wahlen ab. Mehr nicht. Sie haben bei Gerichtsverhandlungen, in der Außenpolitik oder in militärischen Fragen nichts mehr zu sagen.«

Die Senatoren murmelten billigend. Sulla hatte die Tradition auf seiner Seite, und seit der Zeit der Gracchen waren die Volksversammlungen immer mehr dazu benutzt worden, an Militärkommandos und Provinzen heranzukommen oder vom Senat designierten Männern Militärkommandos und Provinzen abzunehmen. So hatte der Vater des Metellus das Kommando in Africa an Marius abtreten müssen, und Sulla war dasselbe mit seinem Kommando gegen Mithridates passiert. Die Neuregelung war dem Senat deshalb willkommen.

Sulla ließ seinen Blick zu Catulus hinüberwandern. »Die beiden Konsuln werden in die Provinzen geschickt, die als besonders unsicher und gefährdet gelten. Im übrigen bestimmt das Los, wer welche Provinz bekommt. Wenn Rom seinen guten Ruf im Ausland behalten will, müssen bestimmte Regeln eingehalten werden. Wenn Schiffe oder Flotten von den Provinzen oder Klientelkönigreichen gestellt werden, müssen die Kosten dafür vom jährlichen Tribut abgezogen werden. Das gleiche gilt für Armeen und Kriegsausrüstung.«

Marcus Junius Brutus, der sich bisher zurückgehalten hatte, faßte sich ein Herz. »Wenn der Statthalter einer Provinz in einen Krieg verwickelt ist, muß er seine Provinz dann am Jahresende trotzdem abgeben?«

Sulla verneinte. Er überlegte einen Augenblick und fuhr fort: »Der Senat könnte sogar gezwungen sein, die amtierenden Konsuln ins Ausland in den Krieg zu schicken. Wenn Rom von allen Seiten angegriffen wird, läßt sich das vielleicht nicht vermeiden. Ich bitte den Senat lediglich, sich besonders sorgfältig nach Alternativen umzusehen, bevor er die amtierenden Konsuln ins Ausland schickt oder die Amtszeit eines Statthalters verlängert.«

Mamercus hob die Hand, und die Senatoren sahen ihn gespannt an. Es war inzwischen bekannt, daß er Fragen in Sullas Auftrag stellte, so daß alle nun eine wichtige Bekanntmachung erwarteten, die der Diktator durch eine Frage eingeführt sehen wollte.

»Darf ich eine hypothetische Situation erörtern?« fragte Mamercus.

»Unbedingt!« ermunterte ihn Sulla.

Mamercus stand auf. Als Prätor für Fremdenrecht saß er mit den übrigen kurulischen Magistraten auf dem Podium am Ende des Saales. Wenn er aufstand, konnte man ihn von überall sehen — anders als die übrigen Senatoren, die nach Sullas neuer Hausordnung beim Reden nicht mehr umhergehen durften.

»Angenommen, es tritt der Fall ein, daß Rom tatsächlich von allen Seiten angegriffen wird«, begann Mamercus vorsichtig. »Angenommen, die Konsuln und alle entbehrlichen Prätoren ziehen entweder in den Krieg oder haben nicht genug Erfahrung, um am Krieg teilzunehmen. Nehmen wir weiter an, einige Statthalter fallen aus, weil sie von Barbaren getötet wurden oder durch andere Umstände ums Leben gekommen sind. Und im Senat finden sich keine Männer, die ein Kommando oder eine Statthalterschaft übernehmen können oder wollen. Du hast der Volksversammlung jede Entscheidungsbefugnis genommen und diese allein dem Senat übertragen. Was soll der Senat tun?«

»Eine ausgezeichnete Frage, Mamercus!« rief Sulla, obwohl er die Frage doch selbst formuliert hatte. Er zählte die einzelnen Punkte noch einmal an den Fingern auf: »Rom wird von allen Seiten angegriffen. Es stehen keine kurulischen Magistraten zur Verfügung. Ehemalige Konsuln oder Prätoren sind auch nicht verfügbar. Kein Senator hat genug militärische Erfahrung oder Fähigkeiten. Aber Rom braucht einen Feldherrn oder Statthalter.

Ist das richtig? Habe ich es richtig zusammengefaßt?«

»Ja, Lucius Cornelius«, antwortete Mamercus ernst.

»Dann muß sich der Senat außerhalb der eigenen Reihen nach einem geeigneten Mann umsehen. Du schilderst eine Situation, die nicht mit herkömmlichen Mitteln gelöst werden kann. Also müssen wir zu außergewöhnlichen Mitteln greifen. Der Senat muß einen Mann finden, der über die nötigen Fähigkeiten verfügt, und diesem Mann dann die Befugnisse eines Feldherrn oder Statthalters verleihen.«

»Kommt dafür auch ein Freigelassener in Frage?« fragte Mamercus erstaunt.

»Jawohl. Allerdings gehe ich davon aus, daß es eher ein Ritter oder Zenturio sein wird. Ich kannte einen Zenturio, der einmal einen gefährlichen Rückzug befehligt hat. Er wurde mit der Krone aus Gras ausgezeichnet und erhielt anschließend die purpurgesäumte Toga des kurulischen Magistraten. Sein Name war Marcus Petreius. Ohne ihn hätte es große Verluste gegeben, und das betreffende Heer wäre nicht mehr einsatzbereit gewesen. Er wurde in den Senat aufgenommen und starb hochgeehrt während des Bundesgenossenkrieges. Sein Sohn ist unter den von mir neu ernannten Senatoren.«

»Aber der Senat ist gesetzlich nicht befugt, einem Nichtsenator das Feldherrnimperium oder eine Statthalterschaft zu verleihen!« wandte Mamercus ein.

»Meine neuen Gesetze ermächtigen, ja verpflichten ihn dazu«, sagte Sulla. »Eine solche Statthalterschaft oder Befehlsgewalt wird auf einer Sondervollmacht basieren, und ich werde den Senat mit der notwendigen Autorität ausstatten, diese Sondervollmacht jedem römischen Bürger, auch einem Freigelassenen, für jedes in Frage stehende Imperium zu verleihen.«

»Was hat er vor?« sagte Philippus leise zum Senats Vorsitzenden Flaccus. »Das ist ja ganz neu.«

»Ich weiß es leider auch nicht«, flüsterte Flaccus zurück.

Aber Sulla wußte es, und Mamercus ahnte es. Sulla wollte Gnaeus Pompeius Magnus noch fester an sich binden, denn Pompeius, der einen Eintritt in den Senat abgelehnt hatte, war wegen der vielen Veteranen seines Vaters noch immer ein militärischer Faktor, mit dem man rechnen mußte. Sulla war fest entschlossen, zu verhindern, daß ein weiterer Marsch auf Rom stattfand. Er selbst sollte der letzte gewesen sein, der dies getan hatte. Wenn Pompeius eines Tages zur Bedrohung wurde, mußte der Senat eine Möglichkeit haben, die beachtlichen Talente dieses Mannes auf legale Weise zu nutzen. Ein entsprechendes Gesetz war für Sulla eine Frage des gesunden Menschenverstandes.

»Es bleibt mir noch, zu definieren, was Verrat ist«, sagte der Diktator einige Tage später. »Vor Einrichtung meiner ständigen Gerichtshöfe gab es mehrere Arten Verrat, vom Hochverrat über verschiedene Zwischenformen bis zu kleineren Hoheitsverletzungen. Allerdings fehlte eine genaue Definition. In Zukunft wird Verrat immer vor dem speziell dafür zuständigen Gericht verhandelt. Die Anklage bleibt aber, wie ihr gleich noch sehen werdet, im großen und ganzen auf Statthalter einer Provinz oder Feldherrn eines ausländischen Krieges beschränkt. Begeht dagegen ein römischer Zivilist in Rom oder Italien Verrat, so lasse ich ihn durch die Volksversammlung aburteilen: Er muß sich vor den Zenturiatskomitien wegen Hochverrats verantworten und sieht folglich der bisherigen Strafe entgegen — Tod am Kreuz, das an einem unfruchtbaren Baum aufgehängt wird.«

Sulla ließ seine Worte eine Weile wirken, dann fuhr er fort: »Verrat ist jeder Verstoß gegen eine der folgenden Vorschriften: Ein Provinzstatthalter darf seine Provinz nicht verlassen. Er darf mit seiner Armee die Grenzen seiner Provinz nicht überschreiten. Er darf nicht aus eigenem Antrieb einen Krieg beginnen. Er darf ohne formelle Ermächtigung durch den Senat nicht in das Gebiet eines Klientelkönigs einmarschieren. Er darf sich mit einem Klientelkönig oder einer ausländischen Institution nicht verbünden, um den Status quo eines fremden Landes zu verändern. Er darf ohne Zustimmung des Senates keine zusätzlichen Truppen rekrutieren. Er darf ohne die formelle Zustimmung des Senates keine Entscheidungen fällen oder Edikte erlassen, die den Status seiner Provinz verändern. Und wenn sein vom Senat designierter Nachfolger eingetroffen ist, darf er höchstens noch dreißig Tage in der Provinz bleiben.«

Sulla lächelte. »Das ist alles. Abschließend noch ein Recht eines Imperiumsinhabers: Er behält sein Imperium so lange, bis er die heilige Grenze von Rom überschreitet. Das war immer so, und ich bekräftige es hiermit erneut.«

»Ich verstehe nicht, warum all diese Regeln und Vorschriften nötig sind!« sagte Lepidus verärgert.

»Ach Lepidus«, sagte Sulla ungeduldig, »sieh doch mich an! Einen Mann, der fast alles getan hat, was jetzt verboten ist. Ich hatte allerdings gute Gründe dafür! Man hat mir unrechtmäßig Imperium und Befehlsgewalt genommen. Aber meine Gesetze werden das in Zukunft verhindern, deshalb kann sich die Situation, in der ich war, nicht wiederholen. Männer, die gegen einen der genannten Punkte verstoßen, machen sich des Verrates schuldig. Wir dürfen nicht zulassen, daß jemand auch nur mit dem Gedanken spielt, nach Rom zu marschieren oder seine Armee von der Provinz nach Rom zu führen. Diese Zeiten sind vorbei. Dafür stehe ich ein.«