Einen Monat nach dem Tod von Marcus Junius Brutus schrieb Lucius Marcius Philippus an Gnaeus Pompeius Magnus:
Obwohl wir uns bereits in der zweiten Jahreshälfte befinden, gehen die Dinge alles in allem gut voran. Ich hatte gehofft, Mamercus auf Dauer in Rom festhalten zu können, aber als er von Brutus’ und Lepidus’ Tod erfuhr, war er der Meinung, daß sein Amt als Princeps Senatus ihn nicht länger an Rom binde, und er bat den Senat um Erlaubnis, sich für den Krieg gegen Sertorius rüsten zu dürfen. Und die Böcke im Senat verwandelten sich prompt in Schafe und gaben Mamercus die vier Legionen des Catulus, die in Capua noch immer unter Waffen stehen und auf ihre Entlassung warten. Ich muß hinzufügen, daß Catulus mit seinem kleinen Feldzug gegen Lepidus sehr zufrieden ist. Er hat sich — unverdientermaßen — einen großartigen militärischen Ruf erworben, ohne daß er sich weiter aus Rom hinauszuwagen brauchte als bis zum Marsfeld, und er drängte den Senat, Mamercus die Verwaltung von Hispania Citerior und das Kommando gegen Sertorius zu übertragen.
Möglicherweise ist Mamercus genau der Mann, den Spanien braucht. Deshalb muß ich sicherstellen, daß er nie dorthin kommt. Ich muß für Dich eine außerordentliche Vollmacht für Spanien erwirken, bevor Lucullus aus Africa zurückkehrt. Glücklicherweise scheine ich den richtigen Mann gefunden zu haben, um Mamercus einen Strich durch die Rechnung zu machen. Er gehört zu den diesjährigen zwanzig Quästoren und heißt Gaius Aelius Staienus. Außerdem wurde er durch das Los der Armee des Konsuls zugeteilt. Mit anderen Worten, er war seit Beginn seiner Amtszeit in Capua und hat für Catulus gearbeitet, und künftig wird er für Mamercus arbeiten.
Einen zuverlässigeren, größeren Schurken wirst Du kaum finden, mein lieber Magnus! Er ist Gaius Verres durchaus ebenbürtig. Stell Dir vor, dieser Verres stolziert jetzt, nachdem er mit seiner Aussage bei dem Prozeß gegen den jüngeren Dollabella dessen Verurteilung und Verbannung sichergestellt hat, in Rom als Verlobter einer Caecilia Metella herum! Es ist die Tochter von Metellus Caprarius dem Ziegenbock und die Schwester jener drei aufstrebenden jungen Männer, die leider das Beste sind, was die Familie der Caecilii Metelli in dieser Generation hervorgebracht hat. Ein rechter Abstieg.
Jedenfalls, mein lieber Magnus, bin ich an unseren Schurken Gaius Aelius Staienus herangetreten und habe ihn für unsere Zwecke verpflichtet. Wir haben zwar nicht über präzise Summen gesprochen, aber es wird nicht billig. Er wird jedoch alles tun, was getan werden muß, davon bin ich überzeugt. Er hat vor, unter den Soldaten eine Meuterei anzuzetteln, sobald Mamercus lange genug in Capua ist, um den Anschein zu erwecken, als sei er der Grund für die Meuterei. Als ich mir die Bemerkung erlaubte, daß die Soldaten Sullas Veteranen seien und sich wohl kaum gegen den Schwiegersohn ihres geliebten Sulla wenden würden, lachte Staienus so herzhaft und zuversichtlich, daß ich meine Bedenken gleich über Bord warf. Was kann man von einem Mann, der es geschafft hat, in die Familie der Aelii aufgenommen zu werden, und der sich von den Leuten lieber Paetus als Staienus nennen läßt, anderes erwarten als große Dinge? Er beeindruckt jeden, vor allem aber Angehörige der unteren Schichten, die sich leicht von seinen Reden mitreißen lassen.
Seit ich Staienus ’ Plan kenne, habe ich einen anderen Ton angeschlagen und setze Mamercus wegen seines Kommandos unter Druck. Jedesmal, wenn ich den guten Mann sehe, frage ich ihn, warum er sich noch immer in Rom aufhält, anstatt sich nach Capua zu begeben und seine Soldaten auszubilden. Ich glaube, wir können sicher sein, daß Mamercus spätestens im September das Opfer einer Meuterei wird. Und sobald ich davon erfahre, werde ich den Senat drängen, sich mit der Klausel bezüglich der Sondervollmacht zu befassen.
Zum Glück verschlechtert sich die Lage in Spanien zusehends, was meine Aufgabe erleichtern wird. Deshalb habe Geduld und sei zuversichtlich, mein lieber Magnus! Bald ist es so weit. Und es wird noch genug Zeit sein, um die Alpen zu überqueren, bevor der Schnee die Pässe blockiert.
Die Meuterei, die kurz nach Beginn des Monats Sextilis stattfand, war von Gaius Aelius Staienus so klug eingefädelt worden, daß weder erbittert gekämpft noch Blut vergossen wurde. Da es den Soldaten offenbar wirklich ernst war, war Mamercus nicht bereit, sie zu bestrafen. Eine Abordnung war zu ihm gekommen und hatte mit Entschiedenheit erklärt, die Legionen wollten mit keinem anderen Befehlshaber nach Spanien gehen als mit Gnaeus Pompeius Magnus, weil sie der Ansicht seien, daß keiner außer Gnaeus Pompeius Magnus Quintus Sertorius schlagen könne.
»Vielleicht haben sie ja recht«, sagte Mamercus nach seiner Rückkehr nach Rom zu den Senatoren — er war verunsichert genug, um aufrichtig zu sein. »Ich gebe zu, daß ich ihnen keinen Vorwurf mache. Eigentlich haben sie mich respektvoll behandelt. Soldaten mit ihrer Erfahrung haben ein Gespür für solche Dinge, und sie kennen mich. Wenn sie glauben, ich könne nicht mit Quintus Sertorius fertigwerden, dann muß ich mich ebenfalls fragen, ob ich es könnte. Wenn sie glauben, Gnaeus Pompeius sei der einzig Richtige für diese Aufgabe, dann muß ich mich fragen, ob sie nicht recht haben.«
Diese offenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf die Senatoren. Selbst in den vorderen Reihen wurde weder Empörung laut, noch kam es zu Debatten. Das machte es Philippus leicht, sich Gehör zu verschaffen.
»Eingeschriebene Väter«, begann er mit einschmeichelnder Stimme, »es ist höchste Zeit, daß wir die Lage in Spanien sachlich und vorurteilslos abschätzen. Es war ein erhebendes Erlebnis, unserem verehrten und klugen zweiten Konsul und Princeps Senatus Mamercus Aemilius Lepidus Livianus zuzuhören! Laßt mich deshalb in demselben bedächtigen Ton fortfahren.«
Von seinem Platz in der vordersten Reihe ließ er den Blick über die Reihen der Senatoren schweifen.
»Die frühen Erfolge des Quintus Sertorius nach dem erneuten Einmarsch in Spanien vor dreieinhalb Jahren waren leicht zu erklären. Männer wie Lucius Fufidius unterschätzten ihn und stellten sich ihm überstürzt zum Kampf. Aber als unser Pontifex Maximus Quintus Caecilius Metellus Pius als Statthalter ins jenseitige Spanien ging und sein Kollege Marcus Domitius Calvinus Statthalter im diesseitigen Spanien wurde, wußten wir, daß Quintus Sertorius schwer zu schlagen sein würde. Und dann, in diesem ersten Sommer des Feldzugs, überfiel Sertorius’ Legat Lucius Hirtuleius Calvinus’ sechs Legionen mit nur viertausend Mann — und schlug ihn vernichtend. Calvinus und die meisten seiner Soldaten starben auf dem Schlachtfeld. Sertorius selbst zog gegen Pius, obwohl er es vorzog, sich auf Pius’ geschätzten Legaten Thorius zu konzentrieren. Thorius fiel in der Schlacht, und seine drei Legionen wurden übel zugerichtet. Unser teurer Pius mußte sich den Winter über nach Olisipo am Tagus zurückziehen, mit Sertorius im Rücken.
Im darauffolgenden Jahr — also letztes Jahr — gab es keine großen Schlachten. Aber auch keine großen Erfolge! Während Pius die ganze Zeit versuchte, sich Sertorius vom Hals zu halten, fiel Hirtuleius in Zentralspanien ein und sicherte Sertorius’ Vormachtstellung unter den keltiberischen Stämmen. Die Lusitanier hatte Sertorius bereits in der Hand, und jetzt bestand die Aussicht, daß er sich fast ganz Spanien unter den Nagel riß — abgesehen von den Gebieten zwischen dem Guadalquivir und dem Orospeda- Gebirge, wo Pius sich zu stark darauf konzentrierte, Sertorius herauszufordern.
Der letztjährige Statthalter von Gallia Narbonensis, Lucius Manlius, dachte jedoch, er könne Sertorius einen Schlag versetzen, und überquerte mit vier Legionen die Pyrenäen. Am Ebro stieß er auf Hirtuleius, der ihm eine so empfindliche Niederlage beibrachte, daß er umgehend den Rückzug in seine Provinz antreten mußte. Aber auch dort war er bald nicht mehr sicher. Hirtuleius folgte ihm und schlug ihn erneut.
Und in diesem Jahr ist es nicht besser, eingeschriebene Väter. Hispania Citerior hat noch keinen neuen Statthalter, und Hispania Ulterior wird noch von Pius verwaltet, der bislang weder westlich des Guadalquivir noch nördlich des Orospeda-Gebirges vorgerückt ist. Quintus Sertorius konnte ungehindert über den Paß bei Consabura nach Hispania Citerior gelangen und bei Osca eine Stadt errichten — denn er besaß tatsächlich die Kühnheit, seine Okkupation römischer Gebiete nach römischen Richtlinien zu organisieren! Er hat eine offizielle Hauptstadt und einen Senat — ja sogar eine Schule, in der die Kinder barbarischer Stammesführer Latein und Griechisch lernen sollen, damit sie später in der Lage sind, ihre Aufgaben als Führer des sertorianischen Spanien zu übernehmen! Seine Magistrate tragen römische Titel, sein Senat besteht aus dreihundert Mitgliedern. Und jetzt haben sich ihm auch noch Marcus Perperna Veiento und die Soldaten des Lepidus angeschlossen, die aus Sardinien fliehen konnten.«
Das alles war den Senatoren nicht neu. Aber bisher hatte es niemand in einer so knappen, sachlichen Rede zusammengefaßt. Die Senatoren seufzten und hockten zusammengekauert und hilflos auf ihren Stühlen.
»Eingeschriebene Väter, wir müssen einen Statthalter ins diesseitige Spanien schicken! Wir haben es versucht, aber Lepidus machte es Quintus Lutatius unmöglich zu gehen, und unser Princeps Senatus wurde durch eine Meuterei daran gehindert. Mir ist klar, daß der nächste Statthalter ein ganz besonderer Mann sein muß. Seine wichtigste Aufgabe muß es sein, Krieg zu führen, die Verwaltung der Provinz ist Nebensache. Von den vierzehn Legionen, die Pius und Calvinus vor zweieinhalb Jahren mitgenommen haben, sind vielleicht noch sieben übrig, und die sind mit Pius in Hispania Ulterior. Hispania Citerior ist besetzt — von Quintus Sertorius. Und niemand widersetzt sich ihm.
Ganz gleich, wen wir ins diesseitige Spanien schicken, er muß eine Armee haben, denn Pius können wir keine Soldaten wegnehmen. Und der Kern der Armee befindet sich in Capua, vier Legionen, die größtenteils aus Veteranen Sullas bestehen. Sie haben sich standhaft geweigert, mit einem anderen Befehlshaber als Gnaeus Pompeius Magnus nach Spanien zu gehen. Und der ist kein Senator, sondern Ritter.«
Philippus machte eine längere Pause, um den Anwesenden die Möglichkeit zu geben, das eben Gehörte zu verdauen. Als er fortfuhr, klang seine Stimme lebhafter und bestimmter.
»Wir haben demnach nur einen Kandidaten — Gnaeus Pompeius Magnus. Aber das Gesetz des Lucius Cornelius Sulla schreibt vor, daß das Kommando zuerst einem Mitglied des Senats angetragen werden muß, das bereit ist, das Kommando zu übernehmen, und das über ausreichende militärische Erfahrung verfügt. Ich werde jetzt feststellen, ob es im Senat einen solchen Mann gibt.«
Philippus wandte sich an den ersten Konsul. »Decimus Junius Brutus, willst du das Kommando?«
»Nein, Lucius Marcius. Ich bin zu alt und zu unerfahren.« »Mamercus?«
»Nein, Lucius Marcius. Meine Soldaten sind verärgert.«
»Stadtprätor?«
»Nein. Selbst wenn mein Amt es zulassen würde, Rom länger als zehn Tage fernzubleiben«, sagte Gnaeus Aufidius Orestes.
»Praetor peregrinus?«
»Nein, Lucius Marcius«, lautete die Antwort von Marcus Aurelius Cotta.
Danach lehnten noch weitere sechs Prätoren ab.
Anschließend wandte sich Philippus den vorderen Reihen zu und fragte die Konsularen.
»Marcus Tullius Decula?«
»Nein.«
»Quintus Lutatius Catulus?«
»Nein.«
Und so ging es weiter. Ein Nein folgte dem anderen.
Schließlich wagte es Philippus sogar, sich selbst zu fragen. »Nein. Ich bin zu alt, zu fett und militärisch zu unerfahren«, erklärte er.
Dann wandte er sich von einer Seite des Hauses zur anderen. »Fühlt sich irgendeiner der Anwesenden in der Lage, dieses wichtige Kommando zu übernehmen? Gaius Scribonius Curio, was ist mit dir?«
Nichts hätte Curio lieber getan, als ja zu sagen, aber Curio war gekauft worden, und die Ehre schrieb ihm seine Antwort vor. »Nein.«
Unter den Anwesenden war ein noch recht junger Senator, der sich zusammenreißen mußte, um nicht aufzuspringen und sich zu melden. Es gelang ihm nur, weil er wußte, daß Philippus seine Ernennung niemals gutheißen würde. Gaius Julius Caesar wollte die Aufmerksamkeit erst dann auf sich ziehen, wenn er zumindest eine kleine Chance hatte, zu gewinnen.
»Dann wenden wir uns also wieder der Sondervollmacht und Gnaeus Pompeius Magnus zu«, sagte Philippus. »Ihr habt mit eigenen Ohren gehört, wie einer nach dem anderen abgelehnt hat. Nun kann es ja sein, daß sich unter den Senatoren und Promagistraten, die sich momentan außerhalb Roms aufhalten, ein geeigneter Mann befindet. Aber wir können es uns nicht leisten zu warten! Wir müssen jetzt handeln, oder wir verlieren Spanien! Der einzige geeignete Mann, der uns zur Verfügung steht, ist Gnaeus Pompeius Magnus. Zwar ist er ein Ritter und kein Senator, aber seit seinem sechzehnten Lebensjahr steht er unter Waffen, und seit seinem zwanzigsten Lebensjahr führt er seine eigenen Legionen in die Schlacht. Unser verstorbener und viel betrauerter Lucius Cornelius Sulla hat ihn allen anderen Männern vorgezogen. Mit Recht! Der junge Pompeius Magnus hat Erfahrung, Talent, ein großes Heer von Veteranen, und ihm liegt das Wohl Roms am Herzen.
Die Verfassung gestattet es uns, diesen jungen Mann mit der Befehlsgewalt eines Prokonsuls auszustatten, ihn zum Statthalter von Hispania Citerior zu ernennen, ihm das Kommando über so viele Legionen zu übertragen, wie wir für angemessen halten, und seinen Status als Ritter außer acht zu lassen. Aber ich möchte darum bitten, die Sondervollmacht nicht so abzufassen, als wollten wir unterstellen, er habe bereits als Konsul gedient. Non pro consule, sed pro consulibus — nicht als ein gewesener Konsul, sondern im Interesse der diesjährigen Konsuln. Auf diese Weise wird er ständig an seine außerordentliche Vollmacht erinnert.«
Nachdem Philippus sich gesetzt hatte, erhob sich der erste Konsul Decimus Junius Brutus. »Mitglieder dieses Hauses, ich verlange eine Abstimmung. Diejenigen, die dafür sind, dem Ritter Gnaeus Pompeius Magnus eine Sondervollmacht zu erteilen, ihn mit der Befehlsgewalt eines Prokonsuls auszustatten und ihm sechs Legionen zu geben, sollen sich zu meiner Rechten aufstellen. Diejenigen, die dagegen sind, zu meiner Linken.«
Keiner stellte sich zu seiner Linken auf, nicht einmal der junge Senator Gaius Julius Caesar.