Der Vesuv sah beeindruckender aus als andere Berggipfel. Unweit der Bucht von Crater stand er allein in der reichen Ebene der Campania. Bis zu einer Höhe von dreitausend Fuß zogen sich an ihren Flanken Weingärten, Obsthaine sowie Weizen- und Gemüsefelder hin. Mehrere Tausend Fuß über diesen fruchtbaren Hängen erhob sich ein zerfurchter Felskegel, in dessen Spalten nur hier und da Bäume ihre Wurzeln gruben, der aber ansonsten weder bebaut noch bewohnt war.

Spartacus kannte jeden Felsen und jede Höhle dieses Berges. Der Bauernhof seines Vaters lag am Westhang, und er und sein Bruder hatten in ihrer Kindheit in den Felsen der Kraterregion gespielt. Nun führte er seinen Zug immer höher den Berg hinauf, bis er an eine schüsseiförmige Senke am felsigen Nordhang gelangte. Die Ränder der Senke waren abschüssig, so daß die Ochsenkarren nur mühsam dieses Hindernis überwanden, ihr Grund aber war mit Gras bewachsen und bot Raum für weit mehr Menschen und Tiere, als Spartacus’ Karawane jetzt zählte. Gelbe Schwefelflecken überzogen überall die Felsvorsprünge, und faulige Gerüche stiegen aus einem Erdhügel in der Mitte. Das Gras war nie abgeweidet worden, denn kein Schafhirte brachte seine Herde bis hier herauf. Daß es an diesem Ort spuken sollte, verschwieg Spartacus seinen Gefährten.

Mehrere Stunden lang überwachte er den Bau des Lagers. Er wies die Männer an, aus den Brettern der Gefängniskarren Hütten zu bauen, während die Frauen sich um das Essen kümmerten. Doch als die Sonne im Westen hinter dem Rand der Senke verschwunden war, rief er alle wieder zusammen.

»Crixus und Oenomaus, stellt euch rechts und links von mir auf«, befahl er, »und du, Aluso, Anführerin der Frauen, unsere Priesterin und meine Gefährtin, setze dich hier zu meinen Füßen. Alle anderen mögen sich mir gegenüber lagern.«

Er wartete, bis sich die Gruppe niedergelassen hatte, dann sprang er auf einen Felsen.

»Im Augenblick sind wir frei, doch vergessen wir nicht, daß wir nach dem Gesetz Sklaven sind. Wir haben unsere Aufseher und unseren Besitzer getötet, und wenn die staatlichen Behörden von unserem Ausbruch erfahren, wird die Jagd auf uns eröffnet. Nie zuvor hatten wir die Möglichkeit, uns als eine Gemeinschaft zu versammeln und über unsere Ziele und unsere Zukunft frei zu sprechen.«

Er holte tief Atem. »Zuallererst möchte ich klarstellen, daß ich niemanden, weder Mann noch Frau, gegen seinen Willen hierbehalten werde. Wer also seinen eigenen Weg gehen will, hat die Freiheit, jederzeit zu gehen, wohin er will. Ich verlange auch keine Gelöbnisse, niemand soll mir feierlich Gefolgschaft schwören. Wir waren alle Gefangene, wir haben Ketten getragen, keiner hat die Vorrechte genossen, die den Freien vor dem Sklaven auszeichnen. Die Frauen waren gezwungen, sich wie gemeine Huren hinzugeben. Ich werde daher nichts tun, um euch an mich zu binden.«

Er machte eine ausholende Bewegung mit der Hand. »Was ihr hier seht, ist nur ein vorübergehendes Lager. Früher oder später müssen wir es verlassen, denn man hat unseren Aufstieg gewiß beobachtet, und die Kunde von unseren Taten wird sich schnell verbreiten.«

Ein Gladiator aus der ersten Reihe — Spartacus kannte seinen Namen nicht — meldete sich zu Wort.

»Ich sehe voraus, daß man uns verfolgen und stellen wird«, sagte der Mann stirnrunzelnd. »Wäre es da nicht besser, sich gleich zu trennen? Wenn wir uns in alle Richtungen verstreuen, werden wenigstens einige entkommen. Wenn wir aber zusammenbleiben, werden wir auch zusammen gefangen.«

Spartacus nickte. »Was du sagst, ist nicht falsch. Dennoch bin ich nicht deiner Ansicht. Warum? Nun, hauptsächlich, weil wir kein Geld haben. Außerdem haben wir keine anderen Kleider als die, mit denen uns Batiatus ausgestattet hat und in denen uns sofort jeder erkennt. Schließlich können wir uns nur auf unsere Waffen verlassen, daher wäre es gefährlich, auseinanderzugehen. Batiatus hatte kein Geld in der Villa, nicht einen Sesterz. Aber Geld brauchen wir zum Überleben, deshalb müssen wir zusammenbleiben, bis wir uns welches beschafft haben.«

»Wie sollen wir das machen?« fragte derselbe Mann. Spartacus antwortete ihm zuerst mit einem traurigen, aber gewinnenden Lächeln. »Ich weiß es nicht«, sagte er ganz offen. »Wären wir in Rom, könnten wir jemanden ausrauben. Aber wir sind in der Campania, hier leben mißtrauische Bauern, die ihr Geld auf die Bank tragen oder es dort verstecken, wo es keiner findet.« Er breitete beschwörend die Arme aus. »Laßt mich schildern, wie ich mir unsere Zukunft vorstelle, dann kann sich jeder seine Gedanken darüber machen. Morgen um die gleiche Stunde versammeln wir uns wieder und stimmen ab.«

»Sprich, Spartacus«, ermunterte ihn Crixus. Das Abendlicht wurde immer schwächer, aber Spartacus schien auf seinem Felsen die letzten Sonnenstrahlen auf sich zu versammeln. Er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, der andere führen konnte: entschlossen, selbstsicher, stark und zuverlässig.

»Ihr kennt alle den Namen Quintus Sertorius«, begann er. »Ein Römer, der gegen einen Staat aufbegehrt, der Männer wie Batiatus hervorbringt. Er hat sich Spanien Untertan gemacht und wird bald auf Rom marschieren. Dort wird er sich zum Diktator ausrufen lassen und dann den Staat von Grund auf erneuern. Wir wissen das, weil die Leute überall dort, wo wir als Gladiatoren aufgetreten sind, oft davon geredet haben. Wir wissen auch, daß viele Bürger in Italien, vor allem aber die Samniter, Sertorius gern an der Spitze des Staates sehen würden.«

Er fuhr mit der Zunge über seine trockenen Lippen, dann sprach er weiter. »Ich weiß, was ich tun werde! Ich gehe nach Spanien und trete an Quintus Sertorius’ Seite. Doch wenn irgend möglich, will ich mit einer Armee zu ihm gehen — einer Armee, die bereits Schläge gegen das Rom Sullas und seiner Nachfolger ausgeteilt hat. Ich lasse die Werbetrommel unter Samnitern, Lucanern und allen anderen italischen Bundesgenossen rühren, die ihre Hoffnung auf ein neues Rom setzen und dem Verlust ihres Erbes nicht tatenlos zusehen wollen. Ich nehme auch die Sklaven aus der Campania in unsere Reihen auf und biete ihnen die vollen Bürgerrechte im Rom des Quintus Sertorius an. Wir verfügen über mehr Waffen, als wir tragen können, es sei denn, wir werben mehr Männer an. Sollte Rom Truppen gegen uns schicken, vernichten wir sie und nehmen ihnen Waffen und Ausrüstung ab!«

Er versuchte, feste Haltung anzunehmen. »Ich habe nur mein Leben zu verlieren, und ich habe mir geschworen, nie wieder solch ein Dasein zu fristen, wie Batiatus es mir aufgenötigt hatte. Ein Mensch—ja selbst ein Sklave! — muß das Recht haben, sich zu Gleichgesinnten zu gesellen und sich frei in der Welt zu bewegen. Gefangen zu sein ist schlimmer als der Tod. Nie wieder lasse ich mich einsperren!«

Er war so aufgewühlt, daß ihm die Tränen kamen. Hastig wischte er über sein Gesicht. »Ich bin ein Mensch und will eine Spur in dieser Welt hinterlassen! Ihr alle dürft das gleiche von euch behaupten! Wenn wir zusammenhalten und den Kern einer Armee bilden, können wir uns unserer Haut wehren und sogar mit unserem Kampf in die Geschichte eingehen. Wenn wir uns aber in alle Winde zerstreuen, muß jeder von uns nur laufen und nochmals laufen. Warum sollen wir wie die Hasen davonlaufen, wenn wir wie tapfere Soldaten marschieren können? Warum sollen wir uns nicht einen Platz im Rom des Quintus Sertorius verdienen, indem wir Italien auf seine Ankunft vorbereiten und ihm dann entgegengehen? Wir wissen, daß Rom nur wenige Legionen in Italien liegen hat. Wer von uns hat nicht die Bürger von Capua klagen hören, ihr Auskommen schwinde dahin, weil die Garnison vor der Stadt leer sei. Wer könnte unseren Vormarsch aufhalten? Ich bin einmal Militärtribun gewesen. Crixus, Oenomaus und viele andere von uns haben in Roms Legionen gedient. Verstehen Männer wie Lucullus oder Pompeius Magnus etwa mehr davon, Truppen auszuheben und eine Armee zu unterhalten, als ich oder Crixus oder Oenomaus oder jeder andere von uns? Es ist kein Hexenwerk, eine Armee zu unterhalten! Warum sollten wir also keine Armee bilden? Wir können Siege erringen! In Italien gibt es keine kampferprobten Truppen, die uns aufhalten könnten, nur ein paar Kohorten frischausgehobener Rekruten. Im Gegenteil, uns werden kriegserfahrene Soldaten zuströmen, die Samniter und Lucaner, die für ihre Unabhängigkeit von Rom gekämpft haben. Und in unserer Mitte werden wir die Neulinge ausbilden, die ebenfalls zu uns stoßen. Kann nicht auch ein Sklave Mut und Tapferkeit im Krieg beweisen? Mehr als einmal haben Heere von Unfreien Rom an den Rand der Niederlage gebracht, und sie sind am Ende nur deshalb geschlagen worden, weil ihre Führer nichts von römischer Kriegführung verstanden. An ihrer Spitze standen keine Römer!«

Spartacus erhob seine mächtigen Arme, ballte die Hände zur Faust und schüttelte sie. »Ich werde an der Spitze unserer Armee stehen! Und ich werde uns zum Sieg führen! Mit dem Siegerlorbeer geschmückt und mit Rom zu unseren Füßen, werden wir vor Quintus Sertorius treten!« Er ließ die Arme sinken. »Denkt über meine Worte nach, mehr verlange ich nicht.«

Die kleine Schar der Gladiatoren und Frauen sagte nichts, als Spartacus von seinem Felsen sprang, doch alle auf ihn gerichteten Augen leuchteten.

Aluso lächelte ihm aufmunternd zu. »Morgen stimmen sie für dich«, sagte sie.

»Ja, das glaube ich auch.«

»Dann komm mit mir zur Quelle. Sie muß gereinigt werden, wenn sie das lebensspendende Naß für viele sein soll.«

Spartacus verstand zwar nicht, was Aluso tat, aber er empfand einen heiligen Schauder, als er sah, über welche geheimen Kräfte sie gebot. Nachdem sie mehrere Beschwörungen gemurmelt und mit Batiatus’ abgetrennter Hand an der bröckelnden Wand gegraben hatte, aus der die heiße, übelriechende Quelle sprudelte, brach plötzlich ein zweiter Strahl hervor: ein kühles, süßes, labendes Wasser.

»Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Spartacus.

Innerhalb von zwanzig Tagen waren tausend Freiwillige zu dem Lager in der Senke nahe des Vesuvgipfels geströmt. Für Spartacus blieb es ein Rätsel, wie rasch sich die Kunde verbreitet hatte, denn er hatte noch keine Werber in die umliegende Gegend entsandt. Etwa ein Zehntel der Neuankömmlinge, die in Spartacus’ Armee aufgenommen werden wollten, waren entflohene Sklaven, aber die große Mehrheit bildeten Freie samnitischer Abstammung. Nola lag nicht weit entfernt, und Nola haßte Rom. Nicht anders war es mit Pompeji, Neapolis und den anderen italischen Stämmen, die Sulla bis aufs Blut bekämpft hatten, erst im Bundesgenossenkrieg und dann für Pontius Telesinus. Rom mochte glauben, es habe Samnium ein für allemal besiegt. Aber Spartacus, der einen samnitischen Namen nach dem anderen in seine Liste schrieb, hatte gute Gründe anzunehmen, daß erst dann von einem vollständigen Sieg die Rede sein konnte, wenn der letzte Samnite nicht mehr am Leben war. Viele kamen in Rüstung und mit der Waffe in der Hand, kampferprobte Krieger, die ausspuckten, wenn Sullas Name fiel, oder die eine beschwörende Geste machten, um den Bösen Blick abzuwenden, wenn Cethegus und Verres erwähnt wurden, jene römischen Feldherren, die mordend und sengend durch die samnitischen Stammlande gezogen waren.

Am Morgen des letzten Tages im September kam Crixus zu Spartacus. »Ich muß dir etwas zeigen«, sagte er aufgeregt.

Spartacus, der gerade mit einer Hundertschaft Sklaven exerzierte, übergab das Kommando einem anderen Gladiator und ging mit Crixus, der ungeduldig an seinem Arm zog.

»Worum geht es denn?« fragte Spartacus.

»Das mußt du mit eigenen Augen sehen«, antwortete Crixus. Er führte Spartacus zu einer Lücke in der Kraterwand, von wo aus sich ein Blick auf den nördlichen Hang des Vesuvs bot.

Zwei Samniter, die dort Wache hielten, waren in heller Aufregung. »Schaut!« sagte einer zu den Anführern.

Und Spartacus schaute. Unter ihm breitete sich auf etwa tausend Fuß eine öde Kraterlandschaft mit Felsen und Höhlen aus, daran schlossen sich regelmäßig angelegte Felder an. Dort unten aber wand sich eine Kolonne römischer Soldaten durch die Stoppelfelder. Sie wurde von vier Berittenen angeführt, deren attische Helme und beschlagene Rüstungen sie als Stabsoffiziere auswiesen. Drei ritten Seite an Seite voran, während der vierte, angetan mit der kunstvoll geknoteten, scharlachroten Schärpe des Imperiumsträgers, ihnen allein folgte.

»Aha! Nun haben sie schließlich doch einen Prätor geschickt!« höhnte Spartacus.

»Wie viele Legionen sind das da unten?« fragte Crixus besorgt.

Spartacus schaute ihn verdutzt an. »Legionen? Du hast doch in der Legion gedient, Crixus, also solltest du auch ihre Stärke schätzen können.«

»Das ist es ja gerade! In der Legion war ich, aber wenn man drin ist, hat man keine Vorstellung, wie sie von außen aussieht.«

Spartacus grinste. »Sei unbesorgt. Die da unten bringen es auf nicht mehr als eine halbe Legion—fünf Kohorten von der grünsten Sorte, der ich je begegnet bin. Schau nur, wie die marschieren, die können nicht einmal den richtigen Abstand zum Vordermann halten. Mehr noch, sie werden von einem Mann geführt, der genauso grün ist wie sie! Siehst du, wie er sich hinter seinen Legaten versteckt? Ein untrügliches Zeichen, denn ein zuversichtlicher Feldherr reitet stets voran.«

»Fünf Kohorten? Das sind wenigstens zweieinhalbtausend Mann.«

»Fünf Kohorten, die noch nie in einer Legion gedient haben, Crixus.«

»Ich lasse Alarm blasen.«

»Nein, bleib hier. Sie sollen glauben, daß wir sie nicht bemerkt haben. Wenn sie Hornsignale und Rufe hören, machen sie halt und lagern unten am Hang. Wenn sie aber meinen, sie hätten uns ein Schnippchen geschlagen, läßt der Grünschnabel an ihrer Spitze die Kolonne weitermarschieren, bis sie die felsige Gipfelregion erreichen, und dann merkt er erst, daß er dort kein Lager aufschlagen kann. Dann ist es zu spät, um wenden zu lassen und bergab zu marschieren. Die ganze Truppe muß sich dann in kleinen Gruppen gerade da niederlassen, wo sie Platz für die Nacht findet. Grüne Jungen! Wären sie am Fuß des Berges weiter nach Süden gegangen, wären sie auf den Feldweg gestoßen, der geradewegs zu unserem Lager führt.«

Bis es Abend wurde, wußte Spartacus durch Kundschafter, daß es sich bei dem Strafexpeditionskorps ohne jeden Zweifel um frische Rekruten handelte und daß der Feldherr ein Prätor namens Gaius Claudius Glaber war.

Tatsächlich hatte der Senat Glaber beauftragt, in Capua fünf Kohorten auszuheben, sich an die Fersen der Rebellen zu heften und sie dann in ihrer Höhle am Vesuv auszuräuchern.

Am folgenden Morgen gab es kein Strafexpeditionskorps mehr. In der Nacht hatte Spartacus Stoßtrupps die Felsen hinuntergeschickt, manche sogar an Seilen, um den Feind rasch und geräuschlos zu töten. So unerfahren waren diese Rekruten, daß sie ihre Rüstungen abgenommen, ihre Waffen zu Haufen zusammengelegt und sich dann um Lagerfeuer geschart hatten. Jedes Feuer verriet eindeutig, wo sich die einzelnen Gruppen zum Schlafen niedergelassen hatten. So unbedarft war aber auch Gaius Claudius Glaber, daß er dachte, das bergige Gelände sei ein besserer Schutz als ein nach den Regeln angelegtes Lager. Als schon bald der Morgen graute, merkten einige wachsame Legionäre, was um sie herum vorging, und schlugen Alarm. Panik brach aus.

Spartacus schlug nun mit Macht zu, sogar die Frauen wirkten als Fackelträger beim Generalangriff mit. Die Hälfte der Truppen Glabers fiel, die andere Hälfte floh, ließ aber Waffen und Rüstungen zurück. Allen voran flohen Glaber und seine drei Legaten.

Waffen und Ausrüstung für fast dreitausend Fußsoldaten wan- derten in das Waffenlager am Vesuv. Spartacus befreite seine wachsende Armee von ihrer circensischen Aufmachung und kleidete sie in Legionärsrüstungen. Glabers Troß wurde den bereits vorhandenen Karren und Zugtieren zugeschlagen. Von nun an strömten scharenweise Freiwillige zu den Rebellen, die meisten davon ausgebildete Soldaten. Als Spartacus’ Rekrutierungsliste fünftausend Mann zählte, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, das Versteck am Vesuv zu verlassen und seine Armee in eine andere Gegend zu verlegen. Er wußte genau, wohin er gehen wollte.

Die beiden Prätoren Publius Varinius und Lucius Cossinius waren mit zwei Legionen Rekruten aus der Garnison bei Capua unterwegs auf der Straße nach Nola, als vor ihnen ein gut befestigtes römisches Lager unweit der verwüsteten Villa Batiatus in Sicht kam. Der Oberbefehlshaber Varinius war ein erfahrener Feldherr und sein Stellvertreter Cossinius nicht weniger. Schon ein flüchtiger Blick auf die Legionäre ihrer Truppe hatte in ihnen die schlimmsten Befürchtungen geweckt; offenbar hatten die Männer ihre Ausbildung gerade erst begonnen. Als wäre die Aufgabe des Prätors nicht schon schwierig genug, herrschte windiges naßkaltes Wetter, und eine grippeartige Krankheit grassierte in den Reihen der Legionäre. Varinius erkannte beim Anblick der kunstgerecht angelegten Befestigungen neben der Straße nach Nola, daß sie nur den Rebellen gehören konnten. Zugleich wurde ihm klar, daß seine Truppen zu einem Angriff gegen eine solche Bastion nicht fähig waren. So ließ er seine Männer ein Lager in einiger Entfernung von dem der Rebellen anlegen.

Keiner kannte die Namen oder irgendwelche Einzelheiten über die Rebellen, außer daß sie aus der Gladiatorenschule des Gnaeus Cornelius Lentulus Batiatus ausgebrochen waren, dann am Vesuv Zuflucht gesucht und dort ihre Reihen mit Tausenden von unzufriedenen Samnitern, Lucanern und Sklaven aufgefüllt hatten. Von dem in Ungnade gefallenen Glaber kam die Nachricht, die Rebellen seien nun im Besitz der kompletten Ausrüstung seiner Legionen. Im übrigen müsse die Führung der Rebellenarmee in militärischen Dingen sehr beschlagen sein, denn seine fünf Kohorten seien nach allen Regeln der Kriegskunst aufgerieben worden.

Indessen schlossen Varinius und Cossinius aus den eingehenden Berichten ihrer Kundschafter, daß sich die Stärke der Rebellentruppen nur auf etwa fünftausend Mann belief und daß sich auch zahlreiche Frauen darunter befanden. Varinius schöpfte wieder Mut und ließ seine beiden Legionen tags darauf in Gefechtsbereitschaft versetzen. Er konnte sich in der Gewißheit wiegen, daß seine frisch ausgehobenen Legionen, mochten sie auch durch Krankheit geschwächt sein, zahlenmäßig dem Gegner doch weit überlegen waren.

Nach der Schlacht wußte Varinius nicht, ob er seine Niederlage eher auf das blanke Entsetzen zurückführen sollte, in das seine Männer beim Anblick der Rebellen geraten waren, oder auf die grassierende Krankheit, die vielen Soldaten so zusetzte, daß sie die Waffen niederlegten und behaupteten, sie könnten einfach nicht kämpfen. Am härtesten traf den Prätor aber, daß Cossinius bei dem Versuch gefallen war, eine Gruppe von Soldaten, die desertieren wollten, wieder in die Linien der Legion zurückzuholen. Außerdem war ein großer Teil der Legionärsausrüstungen auf dem Schlachtfeld verlorengegangen. An eine Verfolgung der Rebellen, die zurück in ihr Lager eilten, war gar nicht zu denken. Der starke Regen hielt unvermindert an. Varinius ließ seine völlig durchnäßten und von allem Kampfgeist verlassenen Truppen kehrtmachen und nach Capua marschieren. Dort verfaßte er seinen Kriegsbericht an den Senat, wobei er weder sich selbst noch die Senatoren schonte. Sein Schreiben gipfelte in dem Satz, daß es in Italien zur Zeit keine kampferprobten Truppen gebe — ausgenommen die Armee der Rebellen.

Er konnte endlich auch den Feind mit Namen nennen: Spartacus, ein thrakischer Gladiator.

Sechs Wochen widmete sich Varinius der Ausbildung seiner erbarmungswürdigen Soldaten. Die Mehrzahl war zwar aus der Schlacht mit dem Leben davongekommen, aber ob sie auch die immer noch grassierende Grippe überstehen würden, schien fraglich. So mußte er auf die Dienste einiger Zenturionen aus Sullas Zeiten zurückgreifen. Sie ließen sich zwar für die Ausbildung der Rekruten anwerben, waren aber nicht bereit, sich zu einem weiteren Feldzug zu verpflichten. Der Senat hielt es für angebracht, vier weitere Legionen auszuheben. Rom schickte ihm einen vierten Prätor aus der achtköpfigen Gruppe dieses Jahres: Publius Valerius sollte Varinius als Legat zur Seite stehen. Nachdem der erste geflohen, der zweite gefallen und der dritte besiegt war, hatte der vierte Prätor kein leichtes Los.

Ende November hielt Varinius seine Männer für ausreichend gedrillt, um im Kampf bestehen zu können, und ließ sie von Capua aus auf Spartacus’ Lager marschieren. Zu seiner Verblüffung war das Lager aber leer. Spartacus hatte seine Rebellenarmee still und leise abgezogen: ein weiterer Beweis dafür, daß dieser Thraker, der kein Thraker war, die Kriegskunst wie ein römischer Feldherr verstand. Varinius’ Truppen blieben weiterhin von Krankheit verfolgt. Während er die gelichteten Reihen seiner beiden Legionen nach Süden führte, mußte er mit ansehen, wie ganze Kohorten nicht Schritt halten konnten. In dieser Not versprachen ihre Zenturionen, zum Gros des Heeres wieder aufzuschließen, sobald es den Männern bessergehe. Bei Picentia holte er die Rebellen kurz vor der Furt über den Silarus ein. Nun aber stellte er fest, daß Spartacus’ Legion zu einer regelrechten Armee angewachsen war. Vor weniger als zwei Monaten zählten dessen Truppen fünftausend Mann, und nun waren sie auf fünfundzwanzigtausend angeschwollen! Da an Angriff nicht zu denken war, mußte Varinius tatenlos zusehen, wie der plötzlich imponierend starke Gegner den Silarus durchquerte und auf der Via Popillia nach Lucanien marschierte.

Varinius und sein Legat Valerius warteten, bis die kranken Kohorten ihren Rückstand aufgeholt hatten und auch die ihnen verbliebenen Männer wieder bei Kräften waren. Dann wurde ein Kriegsrat abgehalten.

»Die Frage lautet«, sagte Valerius, »ob wir den Gegner trotz unserer zahlenmäßigen Unterlegenheit jetzt angreifen sollen oder ob wir den Winter über unsere Truppen soweit verstärken können, daß es klüger scheint, die Auseinandersetzung bis in das Frühjahr hinein zu verschieben.«

»Ich glaube, wir haben gar keine Wahl«, entgegnete Varinius. »Wir müssen ihnen jetzt auf den Fersen bleiben, denn bis zum Frühjahr haben sie womöglich ihre Truppenstärke nochmals verdoppelt. Vor allem dürfte jeder neue Mann, der zu ihnen stößt, ein kriegserfahrener Lucaner sein.«

Varinius und Valerius setzten daher die Verfolgung fort, obgleich sie sahen, daß Spartacus die Via Popillia verlassen hatte und geradewegs in die unwegsamen Regionen der Lucaner Berge zog. Acht Tage lang folgten sie ihm, ohne mehr zu entdecken als alte Spuren ihres Feindes; dennoch legten sie jeden Abend ein befestigtes Lager an. Das war zwar anstrengend, aber ein Gebot der Vorsicht.

Auch am neunten Abend begannen die Männer die Schanzarbeiten wie üblich unter Murren. Sie hatten noch nicht lange genug in der Legion gedient, um die Notwendigkeit eines befestigten Lagers einzusehen. Da brach plötzlich Spartacus’ Angriff los. So überrascht waren Varinius’ auch zahlenmäßig unterlegene Truppen, daß sie ihr Heil in der Flucht suchten. Ihr Befehlshaber ließ neben dem Großteil seiner Männer auch sein prächtiges, mit einer kostbaren Schabracke geschmücktes Staatspferd zurück. Mit acht zehn Kohorten war er aus Capua ausgezogen, mit fünf kehrte er aus Lucanien zurück. Gemeinsam mit Valerius überquerte er den Silarus und ließ, ehe er weiter in die Campania marschierte, seine verbliebenen Kohorten unter dem Befehl des Quästors Gaius Toranius zur Sicherung der Furt zurück.

Die beiden Prätoren eilten nach Rom und bedrängten den Senat, so rasch wie möglich weitere Truppen bereitzustellen. Die Lage wurde mit jedem Tag ernster, doch da Lucullus und Marcus Cotta im Osten und Pompeius in Spanien bereits große Armeen unterhielten, waren die Senatoren der Ansicht, daß weitere Truppenaushebungen nur Verschwendung von Zeit und Geld seien. Das Reservoir an waffenfähigen Männern in Italien sei erschöpft. Im Januar trafen Berichte ein, Spartacus habe Lucanien mit vierzigtausend Mann, aufgeteilt in acht Legionen, verlassen. Die Rebellen hätten die am Silarus Wache haltenden fünf Kohorten des Gaius Toranius aufgerieben und bis auf den letzten Mann getötet. Auch Toranius sei gefallen. Weiter hieß es, die Campania sei nun in Spartacus’ Hand. Er versuche, Städte mit samnitischer Bevölkerung zur Übergabe zu bewegen, indem er sie auffordere, sich für ein freies Italien zu entscheiden.

Erst jetzt erhielten die Beamten des Schatzamtes Weisung, nicht weiter über das Loch in der Staatskasse zu lamentieren, sondern Geldquellen ausfindig zu machen, um Veteranen erneut zum Dienst in der Legion anzuwerben. Der Prätor Quintus Arrius, der eigentlich Gaius Verres als Statthalter von Sizilien hätte ablösen sollen, wurde eilends nach Capua geschickt, um dort ein aus vier Legionen bestehendes Heer mit möglichst vielen Veteranen auszuheben. Die beiden neuen Konsuln Lucius Gellius Poplicola und Gnaeus Cornelius Lentulus Clodianus wurden mit dem Oberbefehl über die neuen Truppen im Krieg gegen Spartacus betraut.

Von diesen Rüstungsanstrengungen erfuhr Spartacus erst nach und nach, als er wieder in der Campania war. Auch seine Armee wuchs immer noch; neue Kohorten wurden während des Vormarsches ausgebildet und in die bestehenden Legionen eingegliedert. Es war ein schmerzlicher Verlust, daß Oenomaus bei dem erfolgreichen Angriff auf das Lager des Varinius und Valerius gefallen war, aber Crixus stand nach wie vor seinen Mann, und andere fähige Truppenführer traten in Erscheinung. Das Staatspferd, das einmal Varinius gehört hatte, schien wie geschaffen für einen Anführer. Spartacus küßte es jeden Morgen und kämmte ihm die lange Silbermähne, ehe er sich auf seinen Rücken schwang; er nannte es Batiatus.

Im sicheren Glauben, daß sich Städte wie Nola und Nuceria ihm anschlössen, hatte er seine Gesandten zu den Magistraten geschickt. Sie sollten ihnen erst seine Absicht darlegen, an der Seite von Quintus Sertorius für eine neue Republik in Italien zu kämpfen, und sie dann um Unterstützung in Form von Truppen, Nahrungsvorräten und Geld bitten. Die Antwort fiel anders aus als erwartet, denn keine Stadt in der Campania oder anderswo wollte den Kampf des Quintus Sertorius und des ehemaligen Gladiators Spartacus unterstützen.

»Wir sind keine Freunde der Römer«, sagten die Magistraten von Nola, »und wir sind stolz darauf, ihnen länger als jede andere Stadt in Italien widerstanden zu haben. Doch mit dem Widerstand ist es vorbei, für immer. Unser Wohlstand ist dahin, die Blüte unserer Jugend ist gefallen. Wir werden nicht an eurer Seite gegen Rom kämpfen.«

Als aus Nuceria die gleiche Antwort kam, trat Spartacus mit Crixus und Aluso zu einem Kriegsrat zusammen.

»Plündere sie«, sagte die thrakische Priesterin. »Lehre sie, daß es klüger ist, auf unserer Seite zu stehen.«

»Ich bin derselben Ansicht«, pflichtete auch Crixus bei, »allerdings aus anderen Gründen. Wir verfügen über vierzigtausend Mann, über genügend Waffen und Rüstungen, um jeden einzelnen damit auszustatten, und über reichliche Nahrungsvorräte. Aber das ist auch alles. Es ist schön und gut, unseren Männern ein Leben in Ehren und Wohlstand unter der Regierung des Quintus Sertorius zu versprechen, aber besser wäre es, wir könnten ihnen jetzt schon etwas von diesem Wohlstand geben. Wenn wir jede Stadt plündern, die sich uns nicht anschließen will, versetzen wir alle anderen Städte, die noch auf unserem Weg liegen, in Angst und Schrecken, und obendrein stellen wir unsere Soldaten zufrieden. Frauen und Beute — jedem Soldaten lacht das Herz, wenn er den Befehl zur Plünderung hört!«

Spartacus war in gereizter Stimmung wegen der abschlägigen Antworten, die er bisher erhalten hatte. Daher entschloß er sich rasch. »Gut. Wir stürmen Nuceria und Nola. Sag den Männern, sie sollen keinen Pardon geben.«

Die Männer hielten sich an den Befehl. Das Ergebnis fiel so überzeugend aus, daß Spartacus von nun an in Plünderungen nur Vorteile sah. In Nuceria und Nola erbeuteten seine Männer Geld und Schätze, Nahrungsvorräte und Frauen. Wenn die Plünderungen weiter so ergiebig blieben, würde er vor Quintus Sertorius nicht nur mit einer Armee, sondern auch mit einer großen Kriegsbeute aufwarten können. Dann aber sprach alles dafür, daß Quintus Sertorius, der Diktator von Rom, den Verbündeten Spartacus, den thrakischen Gladiator, zu seinem tribunus militum machen würde.

Spartacus mußte daher bestrebt sein, über eine möglichst große Kriegsbeute zu verfügen, ehe er Italien verließ. Seine Armee war immer noch sehr begehrt. Aus ganzen Distrikten baten Männer um Aufnahme und berichteten, daß es in Teilen von Lucanien, Bruttium und Calabria noch reiche Beute zu machen gebe, da diese Gegenden vom Bundesgenossenkrieg verschont geblieben waren. Die Rebellen zogen daher von der Campania nach Süden und plünderten erst Cosentia in Bruttium, dann Thurii und Metapontum am Golf von Tarentum. Zu Spartacus’ großer Freude bargen alle drei Städte unerhörte Reichtümer.

Spartacus hatte Aluso Silber gegeben, um damit den skarifizierten Schädel des Batiatus zu verzieren. Doch nun befahl er ihr, das Silber auf den nächsten Abfallhaufen zu werfen und statt dessen Gold zu verwenden. Wie in den Beutezügen ein unbestreitbarer Reiz lag, so ging für ihn auch von Aluso ein unwiderstehlicher Reiz aus. Sie dachte zwar wie eine Barbarin, aber sie verfügte über Zauberkräfte und brachte ihm Glück. Solange er Aluso an seiner Seite hatte, war er einer von Fortunas Günstlingen.

Ja, sie besaß Zauber. Sie konnte Wasser aufspüren, sie ahnte drohendes Unheil voraus, und sie gab ihm stets den richtigen Rat. Wenn er die Frau, die mit seinem Kind schwanger ging, betrachtete — ihren vollen roten Mund, der so lebhaft mit dem flachsblonden Haar und den wilden grauen Wolfsaugen kontrastierte, ihre Fesseln und Handgelenke, an denen stets Goldreife klimperten — , dann schien sie die vollkommene Frau für ihn zu sein. Er dachte das nicht zuletzt deswegen, weil sie aus Thrakien kam und er ein Thraker geworden war. Sie gehörten zusammen; sie war für ihn das Sinnbild seines neuen, atemberaubenden Lebens.

Anfang April marschierte er in den Osten Samniums ein. Zumindest hier glaubte er Verbündete unter den Städten zu finden. Aber Asernia, Bovianum, Beneventum und Saepinum schlugen sein Angebot aus; keine dieser Städte wollte ihm ihre Tore öffnen. Obendrein lohnte sich keine Plünderung, denn Verres und Cethegus hatten sie bereits früher ausgeraubt. Immerhin stießen weiterhin einzelne Samniter zu seiner Armee, die mittlerweile auf neunzigtausend Mann angeschwollen war.

Spartacus mußte feststellen, daß so viele Menschen nicht leicht zu führen waren. Wenn auch die Truppen in römische Legionen gegliedert und nach römischer Art bewaffnet waren, fehlten ihm doch eine ausreichende Zahl fähiger Legaten und Tribunen, welche die eiserne römische Disziplin trotz Entgleisungen der Soldaten, wie sie der Wein und der Streit um die Gunst der Marketenderinnen mit sich brachten, aufrechterhalten konnten. Deshalb hielt er die Zeit für gekommen, ins italische Gallien zu marschieren und von dort ins Spanien des Quintus Sertorius. Dabei wählte er nicht die Route westlich des Apennins — nichts zog ihn in die Nähe Roms —, sondern er wollte an der Adriatischen Küste hinauf durch Gegenden ziehen, die sich gegen die Vorherrschaft Roms auf der italienischen Halbinsel erbittert gewehrt hatten. Er rechnete damit, daß viele der Marruciner, Vestiner, Frentaner und Picenter sich ihm anschließen würden.

Aber Crixus wollte nicht nach Hispania Citerior gehen, genausowenig wie die dreißigtausend Mann, die seinem Befehl unterstellt waren.

»Warum sollen wir so weit ziehen?« fragte er. »Wenn es stimmt, was du über Quintus Sertorius erzählst, dann kommt er eines Tages selbst nach Italien. In diesem Fall ist es besser, wenn wir noch hier sind mit dem Fuß auf dem Nacken des besiegten Rom.

Vom italischen Gallien bis Spanien sind es noch einmal ein halbes Tausend Meilen, und der Weg würde uns durch die Gebiete barbarischer Völker führen, die uns für Römer ansähen. Meine Männer und ich, wir sind gegen die Idee, Italien zu verlassen.«

»Wenn ihr Italien durchaus nicht verlassen wollt«, erwiderte Spartacus zornig, »dann bleibt eben im Land! Was kümmert mich das? Die Armee ist mit fast hunderttausend Mann sowieso zu groß, ich kann mich nicht um alle kümmern. Geh meinetwegen deinen eigenen Weg, Crixus, je eher, desto besser! Nimm deine dreißigtausend Schafsköpfe und werde glücklich in Italien!«

Während also Spartacus mit siebzigtausend Soldaten — sowie einem umfangreichen Troß und vierzigtausend Frauen, Säuglingen und Kindern — nach Norden zog und den Tifernus überqueren wollte, wandten sich Crixus und seine dreißigtausend Mann nach Süden in Richtung Brundisium.

Die Konsuln Gellius und Clodianus verließen etwa zur gleichen Zeit — es war Ende April — Rom mit dem Ziel Capua, wo ihre Truppen auf sie warteten. Quintus Arrius, der ehemalige Prätor, hatte dem Senat gemeldet, die vier neuen Legionen in Capua seien so gut ausgebildet, wie es eben ging; er könne zwar nicht die Hand dafür ins Feuer legen, daß sie sich in der Schlacht bewährten, aber er hoffe es.

Bei ihrer Ankunft in Capua erfuhren die Konsuln, daß sich Spartacus und Crixus getrennt hatten und Spartacus nun nach Norden zog. Sogleich wurde ein Kriegsplan geschmiedet. Quintus Arrius sollte mit einer Legion nach Süden marschieren und Crixus sofort stellen und vernichten; Gellius sollte die zweite Legion übernehmen und Spartacus auf den Fersen bleiben, bis Arrius zu ihm stoßen könne. Clodianus sollte mit den restlichen beiden Legionen in Eilmärschen erst an Rom vorbei und dann auf der Via Valeria nach Osten ziehen, um an der Adriatischen Küste von Norden her gegen Spartacus vorzurücken. Die beiden Konsuln könnten dann Spartacus in die Zange nehmen.

Wenige Tage später kamen gute Nachrichten von Quintus Arrius. Obwohl ihm der Feind zahlenmäßig fünffach überlegen war, hatte er mit seinen Legionären am Gebirgsmassiv des Garganus aus einem Hinterhalt heraus Crixus’ undisziplinierte Rebellenhorden angegriffen. Ihr Anführer und alle dreißigtausend Männer blieben auf der Strecke: entweder waren sie im Kampf gefallen oder nach dem Sieg hingerichtet worden. Quintus Arrius machte keine Gefangenen.

Gellius hingegen hatte kein Kriegsglück. Was Arrius mit Crixus gemacht hatte, tat Spartacus mit ihm. Die Soldaten der einen Legion, über die Gellius gebot, hatten kaum die Übermacht des Feindes erkannt, da suchten sie ihr Heil auch schon in der Flucht. Das war das einzig Richtige, wie sich später herausstellte, denn alle, die sich dem Ansturm entgegenstellten, wurden niedergemetzelt. Außerdem flohen sie in voller Rüstung und nahmen auch ihre Waffen mit. Als dann Arrius später zu Gellius stieß, sammelten sie gemeinsam die verstreuten Truppen zusammen und verfügten wieder über ein wohlgerüstetes Heer, mit dem sie, zumindest in der Theorie, erneut gegen den Feind antreten konnten.

Spartacus ließ sich jedoch von der Taktik, die Arrius und Gellius nach ihrer Niederlage einschlugen, keineswegs beeindrucken. Er marschierte unverzüglich nach Norden und suchte die Schlacht mit Clodianus, von dessen Kriegslist er durch einen gefangengenommenen römischen Militärtribunen erfahren hatte. Bei Hadria an der Adriatischen Küste trafen die beiden Heere aufeinander. Clodianus erlitt das gleiche Schicksal wie Gellius. Seine Legionäre stoben in Panik auseinander. Spartacus, der Sieger auf zwei Schlachtfeldern, setzte seinen Marsch nach Norden fort, ohne auf weiteren Widerstand zu treffen.

Ungeachtet ihrer Niederlagen sammelten Gellius, Clodianus und Arrius ihre Truppen und stellten sich bei Firmum Picenum erneut zur Schlacht. Wieder mußten sie eine Niederlage hinnehmen. Spartacus zog weiter in den Ager Gallicus. Ende des Sextilis überquerte er den Rubicon und befand sich nun im italischen Gallien. Auf der Via Aemilia marschierte er nach Placentia in Richtung Westalpen.

Die Po-Ebene war eine fruchtbare, reiche Gegend. Hier gab es reichlich Futter für die mitgeführten Tiere, und in den Städten warteten volle Kornspeicher auf Truppen und Troß. Spartacus war dazu übergegangen, ausnahmslos alle Städte, die eine gute Beute versprachen, zu plündern. Mit dieser Taktik machte er sich und seine Truppen bei den Bewohnern des italischen Galliens nicht gerade beliebt.

Bei Mutina, auf halbem Weg zu den Alpen, traf die gewaltige Rebellenarmee auf den Statthalter Gaius Cassius Longinus, der sich den Eindringlingen mit nur einer Legion entgegenstellte. So heldenhaft dieses Ansinnen auch war, es konnte nur mit einer Niederlage enden. Cassius’ Legat Gnaeus Manlius kam zwei Tage später mit der zweiten Legion der Provinz auf das Schlachtfeld und wurde ebenfalls geschlagen. Beide Male hatten die Legionäre gekämpft und verloren, und das bedeutete für Spartacus, daß über zehntausend Rüstungen und Waffen in seine Hände fielen.

Der letzte Römer, mit dem Spartacus gesprochen hatte, war der römische Militärtribun gewesen, der vor einigen Monaten bei Gellius’ erster Niederlage gefangen worden war. Weder bei Hadria noch bei Firmum Picenum hatte er Gellius, Clodianus oder Arrius zu Gesicht bekommen. Aber hier in Mutina hatte er nun zwei hochrangige römische Gefangene, Gaius Cassius und Gnaeus Manlius, in seiner Gewalt, und ihm gefiel der Gedanke, mit ihnen zu sprechen. Wurde es nicht Zeit, so dachte er, daß Mitglieder des Senats endlich mit dem Mann bekannt wurden, von dem ganz Italien redete? Sollte der Senat nicht endlich wissen, wer er war? Er hatte durchaus nicht die Absicht, Cassius und Manlius zu töten oder in Gefangenschaft zu halten, vielmehr wollte er sie nach Rom zurückschicken, damit sie selber Bericht erstatteten.

Das hatte ihn jedoch nicht daran gehindert, seine hohen Gefangenen in Eisen legen zu lassen. Als sie ihm vorgeführt wurden, saß er, in eine makellose weiße Toga gekleidet, im Empfangssaal auf einem erhöhten Platz. Cassius und Manlius schauten ihn verblüfft an, und erst als er sie in einem Latein mit campanischer Färbung anredete, begriffen sie, mit wem sie es zu tun hatten.

»Du bist Italiker!« rief Cassius.

»Nein, Römer«, verbesserte ihn Spartacus.

Ein Cassius war nicht so leicht zu beeindrucken. Dieses Patriziergeschlecht blickte auf eine stolze kriegerische Tradition zurück, und wenn auch einmal ein Cassius einen militärischen Fehler begangen haben mochte, so war doch keiner von ihnen je vor dem Feind weggelaufen. Auch dieser Cassius erwies seinem Geschlecht alle Ehre, denn er hob einen seiner in Ketten gelegten Arme, ballte die Hand zur Faust und drohte dem großen, stattlichen Mann.

»Befreie mich von diesen entwürdigenden Ketten, dann bist du bald ein toter Römer!« stieß er hervor. »Ein Deserteur aus der Legion bist du, stimmt’s? Einer, den man als Thraker in die Arena geführt hat!«

Spartacus errötete. »Ich bin kein Deserteur«, sagte er aufgebracht. »Vor dir steht ein Militärtribun, der wegen angeblicher Meuterei in Illyrien zu Unrecht verurteilt worden ist. Du findest deine Ketten entwürdigend? Was glaubst du wohl, wie ich meine Ketten empfunden habe, als ich in die Gladiatorenschule dieses Unmenschen Batiatus gesteckt wurde? Deine Ketten gegen meine Ketten, Prokonsul Cassius!«

»Töte uns, dann haben wir es hinter uns«, sagte Cassius.

»Dich töten? O nein, mit dir habe ich etwas Besseres vor«, sagte Spartacus jetzt höhnisch. »Ich schicke dich nach Rom. Dort wirst du dem Senat berichten, wer ich bin und wohin ich gehe, weiterhin, was ich tun werde, einmal dort angekommen, und schließlich, was ich sein werde, wenn ich zurückkomme.«

Manlius machte Anstalten zu antworten; Cassius warf ihm einen zornigen Blick zu, worauf er es unterließ.

Cassius schäumte. »Wer du bist? — Ein Meuterer. Wohin du gehst? — Ins Verderben. Was du tust, einmal dort angekommen? - Ein Fraß für die Würmer. Was du sein wirst, wenn du zurückkommst? — Ein seelenloser Schatten. Das werde ich dem Senat mit Freuden berichten!«

»Wenn du schon dabei bist, dann erzähle dem Senat auch gleich das noch«, fauchte Spartacus, sprang auf und riß sich die Toga vom Leib; er trat mit den Füßen danach wie ein Hund, der mit den Hinterläufen seinen Kot wegscharrt, dann beförderte er sie mit einem Fußtritt vom Podium. »Auf mein Kommando hören achtzigtausend Mann, die wie römische Legionäre ausgerüstet und ausgebildet sind. Die meisten von ihnen sind Samniter und Lucaner, aber sogar die Sklaven, die in meiner Armee dienen, sind tapfere Männer. Meine Kriegsbeute ist mehrere Tausend Talente wert.

Jetzt bin ich auf dem Weg zu Quintus Sertorius in Hispania Citerior. Gemeinsam werden wir Roms Legionen und Feldherren in beiden Teilen Spaniens vernichtende Niederlagen beibringen, und anschließend kommen Quintus Sertorius und ich nach Italien zurück. Dann hat für dein Rom die — letzte Stunde geschlagen, Prokonsul! Noch vor Ende des nächsten Jahres ist Quintus Sertorius römischer Diktator und ich sein tribunus militum!«

Cassius und Manlius hörten sich Spartacus’ Tirade mit wechselnden Gefühlen an, die sich in rascher Folge auf ihren Gesichtern malten — Wut und Schrecken, Staunen und Verstörtheit —, aber als sie sicher waren, daß er geendet hatte, zeigten sie sich auf einmal höchst belustigt! Beide warfen den Kopf in den Nacken und lachten aus voller Kehle.

Spartacus stand da und fühlte, wie ihm die Schamröte ins Gesicht stieg. Was fanden sie nur so lustig an seiner Rede? Lachten sie über seine Kühnheit? Hielten sie ihn schlicht für verrückt?

»Oh, du Narr!« sagte Cassius, als er, noch mit Tränen des Lachens in den Augen, wieder zu sich kam. »Du Bauerntölpel! Hast du denn keine Spione? Natürlich nicht! Du kannst einem römischen Kommandanten nicht das Wasser reichen! Worin unterscheidet sich denn deine Horde von den Horden der Barbaren? In nichts, das ist die schlichte Wahrheit. Ich kann es schier nicht glauben, daß du es noch nicht mitbekommen hast, aber du scheinst es wirklich nicht zu wissen!«

»Was denn?« fragte Spartacus, leichenblaß. Auf den Hohn in Cassius’ Stimme und die Beschimpfungen, mit denen er ihn belegte, hatte er keinen Zorn gezeigt, sondern alles in ihm wich einem überwältigenden Gefühl: Angst.

»Sertorius ist tot! Letzten Winter ist er von seinem eigenen Legaten Perperna ermordet worden. Es gibt keine Rebellenarmee in Spanien mehr, nur noch die siegreichen Legionen des Metellus Pius und des Pompeius Magnus. Sie werden bald nach Italien zurückkehren und dir mitsamt deiner ganzen Barbarenhorde den Garaus machen!« Cassius bekam einen neuen Lachanfall.

Spartacus ertrug dieses Gelächter nicht länger; er hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und lief aus dem Saal geradewegs zu Aluso.

Sie, die Spartacus mittlerweile einen Sohn geschenkt hatte, fand keine tröstenden Worte für ihn. Er griff nach seinem roten Feldherrenmantel, der auf dem Sofa lag, verbarg den Kopf darin und überließ sich den Tränen.

Erst nach einer Weile konnte er wieder sprechen. »Was soll ich tun?« fragte er sie, während er seinen Oberkörper vor und zurück wiegte. »Ich habe eine Armee ohne Kriegsziel und ein Volk ohne Heimat!«

Aluso kauerte am Boden, die Knie weit auseinander, vor sich ihre Trinkschale, die losen Fingerknochen und Batiatus’ schauerlich zugerichtete Hand. Sie schlug mit der Hand nach den Knochen, schaute gebannt auf ihr Muster und murmelte dabei vor sich hin.

»Roms großer Feind im Westen ist tot«, sagte sie schließlich, »aber Roms großer Feind im Osten lebt noch. Die Knochen sagen, daß wir uns mit Mithridates verbünden müssen.«

Warum, so fragte sich Spartacus, war er nicht selber darauf gekommen? Er warf den Feldherrenmantel fort und schaute Aluso aus großen tränenfeuchten Augen an. »Mithridates, natürlich! Wir überqueren die Ostalpen, marschieren durch Illyrien und Thrakien und vereinen unser und sein Heer in Pontus.« Er wischte sich die Nase mit der Hand, schniefte und schaute Aluso fest an. »Thrakien ist deine Heimat, Aluso. Willst du lieber dort bleiben?«

Sie zog nur verächtlich die Nase kraus. »Mein Platz ist an deiner Seite, Spartacus. Die Besser sind ein besiegtes Volk. Kein Volksstamm auf der ganzen Erde ist stark genug, um Rom auf Dauer zu widerstehen, nur ein großer König wie Mithridates. Nein, Spartacus, wir bleiben nicht in Thrakien, sondern verbünden uns mit König Mithridates.«

Ein gewaltiges Heer wie Spartacus’ Rebellenarmee brachte es mit sich, daß es unmöglich war, zu allen Mitgliedern direkt sprechen zu können. Spartacus ließ die große Menschenmenge um sich sammeln, so gut es ging, und bemühte sich nach Kräften, allen Männern und Frauen verständlich zu machen, warum sie nun kehrtmachen und auf der Via Aemilia nach Bononia marschieren und von dort aus auf der Via Annia in nordöstlicher Richtung nach Aquileia und Illyrien weiterziehen würden. Manche verstanden ihn, aber viele verstanden ihn auch nicht, teils weil sie Spartacus nicht selbst gehört, sondern nur eine Darstellung aus zweiter Hand bekommen hatten, teils weil sie die Furcht vieler Italiker vor dem östlichen Despoten teilten. Quintus Sertorius war ein Römer. Mithridates hingegen war ein Barbar, der Säuglinge schlachtete und alle versklaven würde.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, diesmal nach Osten. Als Bononia näher rückte, wuchs der Unmut unter den Soldaten und dem ganzen Troß. Wenn Spanien schon weit weg war, was war dann erst Pontus? Viele Samniter und Lucaner, die den Großteil der Armee ausmachten, sprachen Oskisch und Lateinisch, aber schlecht oder überhaupt nicht Griechisch. Wie sollten sie sich ohne Griechisch in einem Land wie Pontus verständigen?«

Bei Bononia trat eine hundertköpfige Abordnung von Legaten, Tribunen, Zenturionen und einfachen Soldaten vor Spartacus.

»Wir wollen Italien nicht verlassen«, erklärten sie.

»Wenn es so ist, lasse ich euch auch nicht im Stich«, erwiderte Spartacus, der sich seine große Enttäuschung verbiß. »Ohne mich bleibt ihr nicht beieinander, und dann würden euch die Römer alle niedermetzeln.«

Die Abordnung war kaum gegangen, da eilte er wie immer zu Aluso. »Ich bin besiegt, Aluso, aber nicht von einem äußeren Feind, nicht einmal von Rom. Meine eigenen Männer sind zu furchtsam, sie verstehen einfach nicht.«

Die Knochen, aus denen sie die Zukunft las, verhießen nichts Gutes. Sie zerstreute sie ärgerlich, dann schob sie sie wieder zu einem Haufen zusammen und steckte sie in ihren Beutel. Was sie aus ihnen las, würde sie nicht verraten. Es gab eben Dinge, die besser in den Herzen der Frauen verborgen blieben, die der Erde näher waren als die Männer.

»Dann gehen wir nach Sizilien«, sagte sie. »Die Sklaven in diesem Teil des Römischen Reiches werden sich gewiß unserer Rebellion anschließen, wie sie sich schon zweimal gegen Rom erhoben haben. Vielleicht überlassen uns die Römer Sizilien sogar kampflos, wenn wir versprechen, ihnen genügend Korn zu einem günstigen Preis zu verkaufen.«

Aluso konnte ihre Unsicherheit nicht verbergen. Spartacus spürte es und spielte für einen Augenblick mit der Idee, seine Armee auf den Weg nach Süden zu schicken und auf der Via Cassia gegen Rom zu marschieren. Dann aber siegte doch die Vernunft, die aus Alusos Vorschlag sprach. Sie hatte wie immer recht. Der Ausweg konnte nur Sizilien heißen.

Wer zum Pontifex gewählt wurde, trat in den vornehmsten Kreis der politischen Macht in Rom. Das Augurenamt kam gleich danach, und in manchen Familien wurde dieses Amt ebenso eifersüchtig gehütet wie in anderen das Pontifikat, aber stets besaß der Pontifex dieses gewisse Etwas, das ihn vor allen anderen Priesterämtern auszeichnete. Gaius Julius Caesar wußte daher, daß er mit der Aufnahme ins Kollegium der Pontifices seinem höchsten Ziel, dem Konsulat, einen Schritt näher gekommen war. Damit hatte er sein Scheitern als Jupiterpriester mehr als wettgemacht. Keiner würde mit dem Finger auf ihn zeigen und behaupten, dieses Amt stehe ihm nicht zu, er hätte eigentlich Jupiterpriester sein sollen. Seine Stellung als kooptierter Pontifex war für jedermann ein deutliches Zeichen, daß er einen festen Platz im engsten Kreis der staatlichen Elite besaß.

Seine Mutter, das war ihm zu Ohren gekommen, verkehrte mit Mamercus und dessen Frau Cornelia Sulla und bewegte sich nun viel freier in den Kreisen der Nobilität, die sie früher wegen ihres Exils in der Subura gemieden hatten. Ihresgleichen hatten Respekt, ja Bewunderung für sie. Hätte seine Tante Julia nicht in dem Odium gestanden, mit Gaius Marius verheiratet gewesen zu sein, wäre ihr wohl mit zunehmendem Alter die Stellung einer neuen Cornelia, der Mutter der Gracchen, zugekommen. Alles deutete darauf hin, daß dieser Titel nun seiner Mutter zugesprochen würde. Sie speiste mit Frauen wie Hortensia, der Frau des Catulus, und Lutatia, der Frau des Hortensius, mit jungen verheirateten Frauen aus der feinen Gesellschaft wie Servilia — der Witwe eines Brutus und Gattin des Decimus Junius Silanus, mit dem sie zwei Töchter hatte, zusätzlich zu dem Sohn aus der Ehe mit Brutus - und mit mehreren Licinias, Marcias, Cornelia Scipiones und Junias.

»Das ist wundervoll, aber warum tust du das, Mater?« fragte er mit einem Augenzwinkern.

Ihre Augen leuchteten, und ihr Lächeln zauberte kleine Grübchen in die Wangen. »Erwartest du etwa eine Antwort auf diese rhetorische Frage?« sagte sie nur. »Du weißt es genauso gut wie ich, Caesar. Du nimmst die Sprossen deiner Karriere immer rascher, und ich helfe dir dabei.« Sie räusperte sich. »Übrigens, den meisten dieser Frauen scheint jeder gesunde Menschenverstand abzugehen. Daher kommen sie gern mit ihren Sorgen zu mir.« Sie dachte nochmals über ihre Worte nach und verbesserte sich dann. »Alle bis auf Servilia. Sie steht mit beiden Füßen fest auf der Erde, und sie weiß, was sie will. Du solltest einmal ihre Bekanntschaft machen.«

Caesar gab sich schrecklich gelangweilt. »Danke Mutter, lieber nicht. Ich freue mich zwar über jeden kleinen Gefallen, den du mir tust, aber deswegen fühle ich mich noch nicht verpflichtet, an Damenkränzchen teilzunehmen. Die einzigen Frauen, die mich außer dir und Cinnilla interessieren, sind die Ehefrauen der Männer, die ich zum Hahnrei machen möchte. Da ich keinen Strauß mit Decimus Junius Silanus auszufechten habe, sehe ich nicht ein, warum ich mit seiner Frau Umgang pflegen sollte. Die Familie der Servilii ist doch unerträglich!«

»Die Frau ist durchaus nicht unerträglich«, sagte Aurelia, aber nicht mit dem Nachdruck, als hätte sie recht behalten wollen. Statt dessen wechselte sie das Gesprächsthema. »Wie mir scheint, hast du noch nicht an dein früheres Gesellschaftsleben angeknüpft.«

»Allerdings, weil ich es gar nicht will. Ich habe gerade noch genug Zeit, zu Marcus Fonteius nach Gallia Transalpina zu gehen und ihn auf einem kurzen Feldzug zu begleiten. Das werde ich auch tun. Nächstes Jahr im Juni bin ich wieder zurück und kandidiere für die Wahl zum Militärtribunen.«

»Das klingt vernünftig«, pflichtete sie ihm bei. »Wie ich höre, bist du zu einem Kriegsherrn ohnegleichen geworden. Nun könntest du dich endlich auch in einer offiziellen Stellung versuchen.«

Er zuckte zusammen. »Du hast eine spitze Zunge, Mater!«

Fonteius, der sich wie die meisten Statthalter jenseits der Alpen Massilia zum Stützpunkt gewählt hatte, war fest entschlossen, Caesar zehn Monate lang zu beschäftigen. Er hatte im Krieg gegen die Vocontier eine schlimme Beinverletzung erlitten. Nun machte ihn die Vorstellung ganz krank, alles bisher Erreichte wieder verlorengehen zu sehen, weil er nicht reiten konnte. Bei Caesars Ankunft gab er ihm daher sogleich den Befehl über die beiden Legionen der Provinz und trug ihm auf, den Feldzug entlang der Durance zu Ende zu führen. Fonteius selbst wollte sich um die Nachschublinien nach Spanien kümmern. Als dann die Nachricht von Sertorius’ Tod eintraf, konnte der Statthalter aufatmen. Gemeinsam mit Caesar begab er sich in das Tal der Rhône zu einem Feldzug in die Siedlungsgebiete der Allobroger.

Fonteius und Caesar waren beide geborene Soldaten und kamen prächtig miteinander aus. Am Ende des zweiten Feldzugs fanden beide, daß nichts mehr Spaß mache als mit einem militärisch denkenden Kopf zusammenzuarbeiten. Caesar konnte nun auf seinem Rückweg nach Rom, den er wie üblich im Eiltempo zurücklegte, auf sieben Feldzüge zurückblicken — ihm blieben nur noch drei, um sein Soll zu erfüllen. Er hatte die Zeit in Gallien genossen, war es doch für ihn die erste Reise westlich der Alpen. Auch fiel ihm der direkte Umgang mit den Galliern nicht schwer, denn dank seinem alten Lehrer Marcus Antonius Gnipho, dank Cardixa und einigen anderen Bedienten aus dem Gefolge seiner Mutter sprach er mehrere gallische Mundarten. Die salluvischen und vocontischen Kundschafter, die glaubten, kein Römer sei in ihren Sprachen bewandert, verfielen gern in ihre gallische Mundart, wenn sie sich über Dinge unterhielten, die nicht für römische Ohren bestimmt waren. Caesar aber entging nichts von dem, was er eigentlich nicht wissen sollte, ohne sich je zu verraten.

Es war ein günstiger Zeitpunkt, um für die Wahl zum Militärtribun zu kandidieren. Da Spartacus mit seiner Rebellenarmee Rom bedrohte, würde Caesar seinen Dienst in den Legionen der Konsuln auf heimatlichem Boden leisten. Aber zuerst mußte er gewählt werden. Dazu mußte er sich, angetan mit der weißen Toga des Kandidaten, unter die Wählerschaft auf jedem Marktplatz und in jeder Basilika in Rom mischen. Auch das Volk unter den Arkaden, in den Handwerksgilden und Schulen, vor den Toren und Säulengängen durfte er nicht vernachlässigen. Da jährlich vierundzwanzig Militärtribunen von der Volksversammlung gewählt wurden, war es nicht besonders schwierig, gewählt zu werden, aber Caesar hatte sich ein höheres Ziel gesetzt: Er wollte der Kandidat sein, der die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte. Daher legte er sich in einer Weise ins Zeug, die den andern Kandidaten angesichts der geringen Bedeutung dieses Amtes übertrieben schien. Er nahm auch nicht die Dienste eines nomenclators in Anspruch, eines jener Männer, die ihre Gedächtniskunst anderen für Geld zur Verfügung stellten. Caesar war sein eigener nomenclator, er vergaß nie ein Gesicht oder den dazugehörigen Namen. Wer sich sofort erkannt und mit dem richtigen Namen angesprochen fand, obwohl mehrere Jahre seit der letzten Begegnung verflossen waren, mußte sein Gegenüber für einen höflichen und brillanten Zeitgenossen halten und ihm seine Stimme geben. Erstaunlicherweise vernachlässigten die meisten Kandidaten die Subura und sahen in ihr nur das Sammelbecken für den Abschaum, auf den Rom gut verzichten könnte. Caesar hingegen, der sein Leben lang in der Subura gewohnt hatte, wußte, daß es dort viele Menschen gab, die dem unteren Teil der Oberschicht, und viele, die den bestimmenden Kreisen der Plebs angehörten. Er kannte sie alle, und keiner von ihnen würde ihm seine Stimme versagen.

Tatsächlich stand er nach der Auszählung der Stimmen an der Spitze. Wie die anderen zwanzig neugewählten Quästoren würde er sein Amt am fünften Tag des Dezember und nicht am Neujahrstag antreten. Die Lose, die den Tribunen die Legion, in der sie Dienst tun sollten, zuwiesen, würden erst kurz vor seinem Dienstantritt gezogen. Daher konnte er auch schwerlich eine konsularische Legion besuchen, selbst Capua lag außerhalb seiner Reichweite. Ein bedrückender Umstand angesichts der militärischen Katastrophen in jenem Jahr.

Ende des Quinctilis war auch dem begriffsstutzigsten Senator klargeworden, daß die Konsuln Gellius und Clodianus den Vormarsch des Spartacus nicht aufhalten konnten. Mit Philippus an der Spitze, dem diese Aufgabe nicht leichtfiel, denn er gehörte wie die Konsuln zur Partei des Pompeius, brachte eine Abordnung des Senats den Konsuln schonend bei, daß ihnen der Oberbefehl im Krieg gegen Spartacus wieder entzogen werde. Man brauche sie in Rom zum Regieren, das Kriegführen könne man einem Senator mit prokonsularischem Imperium überlassen. Dieser Mann müsse bei den Veteranen so hohes Ansehen genießen, daß sie sich von ihm überzeugen ließen, noch einmal zu ihren alten Feldzeichen zurückzukehren. Ein Mann, der auf eine lange Kriegserfahrung zurückblicke und vorzugsweise Sullanische Ansichten vertrete. Ein Mann schließlich, der nicht bloß dem Senat angehöre, sondern mindestens schon einmal Prätor gewesen sei.

Natürlich wußte jeder in- und außerhalb des Senats, daß es nur einen Kandidaten für diese Aufgabe gab, einen, der ohne ferne Provinz und ohne irgendwelche Kriegshändel frei von staatlichen Pflichten in Rom saß, einen zudem, der über die notwendige Veteranengefolgschaft und genügend militärische Erfahrung verfügte: Marcus Licinius Crassus. Er war im Jahr zuvor Stadtprätor gewesen, hatte dann aber einen Statthalterposten mit der Begründung abgelehnt, daß er in Rom mehr gebraucht werde als in irgendeiner fernen Provinz. Bei jedem anderen wäre dies als staatsbürgerliche Trägheit und Mangel an politischem Ehrgeiz sofort verurteilt worden, aber einem Marcus Crassus sah man dergleichen nach. Das mußte man allerdings auch, denn der größte Teil des Senats stand mit einer mehr oder weniger hohen Summe bei ihm in der Kreide. Nicht, daß er alle seine Beziehungen spielen ließ, um das Amt zu bekommen. Das entsprach nicht seiner Art. Statt dessen saß er in seinen Büros hinter dem Macellum Cuppedenis und wartete ab. Von Büros zu sprechen, mochte Eindruck machen, bis der Neugierige einmal selbst Crassus’ Haus besuchte. Keine teuren Bilder schmückten die Wände, keine bequemen Sofas standen bereit, keine großen Säle boten Raum für plaudernde Gruppen von Klienten, keine Diener reichten Falerner Wein und erlesene Käsesorten herum. Daß dergleichen anderswo üblich war, wußte man. Titus Pomponius Atticus etwa, der frühere Partner Crassus’, den er nun so verabscheute, führte seine Geschäfte in einer exquisiten Umgebung. Crassus dagegen verstand gar nicht, wie ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann überhaupt das Verlangen haben konnte, sich mit schönen und kostbaren Dingen zu umgeben. Für ihn war das vergeudetes Geld. In seinem Büro saß er hinter einem Schreibtisch in einer Ecke des überfüllten großen Raumes, umgeben von Buchhaltern, Schreibern und Sekretären. Das mochte auf den ersten Blick wie eine Unbequemlichkeit erscheinen, hatte aber den Vorteil, daß er sein Personal ständig im Auge hatte, und seinem Auge entging nichts.

Nein, er buhlte nicht um dieses Amt, und er mußte sich die Gunst der Senatoren nicht erkaufen. Mochte Pompeius Magnus sein Geld für solche Machenschaften vergeuden! Damit brauchte er sich nicht abzugeben, der jedem Senator in Geldverlegenheit Bargeld in beliebiger Höhe zu leihen bereit war — und dazu noch zinslos. Pompeius würde sein Geld nie wiederbekommen. Crassus dagegen konnte seine geliehenen Summen jederzeit zurückfordern und litt daher nie unter Geldknappheit.

Im September faßte der Senat endlich einen Entschluß: Er fragte Marcus Licinius Crassus, ob er, ausgestattet mit einem vollen prokonsularischen Imperium, acht Legionen übernehmen und im Krieg gegen den thrakischen Gladiator Spartacus befehligen wolle. Crassus nahm sich mehrere Tage Bedenkzeit für seine Antwort, die er dann im Senat mit wenigen, aber wohlbedachten Worten vortrug. Für Caesar, der von seinem Platz auf der anderen Seite der Curia Hostilia aufmerksam zuhörte, war es Anschauungsunterricht dafür, wie sich das Fluidum einer Persönlichkeit und die Macht des Geldes zu einer mächtigen Allianz verbanden.

Crassus war recht groß, wirkte jedoch nicht so, weil er sehr breit gebaut war. Nicht, daß er fettleibig gewesen wäre, vielmehr hatte er einen mächtigen Leib mit kräftigen Gelenken, großen Händen, einem Stiernacken und breiten Schultern. In der Toga machte er den Eindruck massiver Korpulenz, sobald er aber seine muskulösen Arme entblößte oder mit kräftigem Druck Hände schüttelte, merkte man, aus welchem Holz er geschnitzt war. Sein Gesicht war groß und breit, ausdruckslos, aber nicht unangenehm, seine hellgrauen Augen strahlten freundliche Gelassenheit aus. Haupthaar und Augenbrauen zeigten ein helles Braun, und seine Haut bekam in der Sonne rasch eine dunkle Tönung.

Er sprach nun mit seiner gewöhnlichen Stimme, die überraschend hell klang — Apollonius von Molon hätte dies auf Crassus’ kurzen Hals zurückgeführt, dachte Caesar —, und wandte sich an die versammelten Senatoren: »Eingeschriebene Väter, ich weiß die Ehre zu schätzen, daß ihr mir diese umfassende Befehlsgewalt anvertrauen wollt. Ich würde gern annehmen, aber... «

Er hielt inne und ließ seinen freundlichen Blick von einem Gesicht zum anderen wandern. »... ich allein bin nicht maßgebend. Wenn ich über einigen Einfluß verfüge, dann verdanke ich ihn den rund tausend Männern aus dem Ritterstand, die ihr politisches Gewicht in diesem Haus nicht direkt zum Tragen bringen können. Ich kann das Imperium nicht annehmen, ohne ihrer Zustimmung sicher zu sein. Deshalb ersuche ich das hohe Haus, einen Senatsbeschluß zur Ratifizierung an die Versammlung der Plebs weiterzuleiten. Wenn diese Versammlung die Vergabe des Imperiums an mich gutheißt, nehme ich liebend gern an.«

Das ist schlau, Crassus! mußte Caesar anerkennen. Wenn der Senat ein Imperium vergab, konnte er es auch wieder entziehen, wie es Gellius und Clodianus erleben mußten. Aber wenn der Senat der Versammlung der Plebs einen Beschluß zur Ratifizierung zuleitete und die Versammlung ihn tatsächlich ratifizierte, dann konnte nur diese Körperschaft ihn auch wieder annullieren. Unmöglich war es nicht, aber da den Volkstribunen seit Sullas Reformen der Biß fehlte und der Senat sich zudem nicht gerade durch Entschlußfreudigkeit auszeichnete, würde eine von der Versammlung der Plebs ratifizierte Imperiumsvergabe Crassus in eine sehr starke Position versetzen. Wirklich schlau, Crassus!

Niemand wunderte sich, daß der Senat seinen Beschluß folgsam der Versammlung der Plebs zuleitete und daß diese ihn auch einhellig ratifizierte. Marcus Licinius Crassus konnte sich als Imperiumsträger im Krieg gegen Spartacus in einer stärkeren Position fühlen als Pompeius in Hispania Citerior; Pompeius war das Imperium nur vom Senat verliehen worden, es war also kein Gesetz in Roms Tabularien.

Marcus Crassus stürzte sich nun mit der gleichen Energie in seine neue Aufgabe, mit der er sonst spottbillige Sklaven in bestimmten Fertigkeiten drillen ließ, um sie dann teuer zu verkaufen.

Als erstes gab er die Namen seiner Legaten bekannt: der zwei- undfünfzigjährige Lucius Quinctius, der Konsuln und Gerichten das Leben schwermachte; Marcus Mummius, der fast das Alter für die Prätur erreicht hatte; Gaius Pomptinus, ein junger Kriegsherr; und Quintus Arrius, der einzige Veteran aus dem Krieg gegen Spartacus, auf den Crassus große Stücke hielt.

Dann wählte er seine Stabsoffiziere aus. Da die Truppen der Konsuln durch Verluste im Gefecht und durch Fahnenflucht zahlenmäßig von vier auf zwei Legionen gesunken waren, wollte er nur die ersten zwölf der vierundzwanzig Militärtribunen einsetzen, aber nicht diejenigen, die für dieses Jahr gewählt worden waren. Ihre Dienstzeit ging zu Ende, und Crassus schien nichts gefährlicher für seine arg gebeutelten Legionen, als ihre Offiziere knapp einen Monat nach Beginn des Feldzugs schon wieder austauschen zu müssen. Deshalb wollte er die für das kommende Jahr gewählten Tribunen möglichst früh einberufen. Er berief auch einen der Quästoren des kommenden Jahres: Gnaeus Tremellius Scrofa, Sproß einer alten Prätorenfamilie.

Bis es soweit war, ging Crassus nach Capua und schickte von dort aus Werber zu seinen Veteranen aus den Tagen, als er Krieg gegen Carbo und die Samniter geführt hatte. Er mußte sehr rasch sechs Legionen ausheben. Mancher, der ihm nicht wohlgesonnen war, erinnerte sich daran, daß seine Soldaten damals wenig Verständnis für seine Weigerung hatten, die Beute aus Städten wie Tuder nicht zu verteilen, und prophezeite, er werde nur wenige Freiwillige zusammenbringen. Möglicherweise hatte sich aber mit den Jahren der Groll gelegt, auf jeden Fall strömten seine Veteranen in hellen Scharen zu seinen Feldzeichen. Als daher Anfang November bekannt wurde, daß Spartacus’ Rebellenarmee kehrtgemacht hatte und nun die Via Aemilia hinunterzog, war Crassus mit seinen militärischen Vorbereitungen fast fertig.

Er hatte sich auch um die Überreste der konsularischen Legionen kümmern müssen, die seit den Niederlagen von Gellius und Clodianus ihr Lager bei Firmum Picenum nicht verlassen hatten. Sie umfaßten zwanzig Kohorten, also die gewöhnliche Kohortenzahl zweier Legionen, waren aber die Überlebenden von vier Legionen, weshalb nur die wenigsten unter ihnen in der gleichen Einheit gekämpft hatten. Sie hatten nicht nach Capua verlegt werden können, solange Crassus’ sechs Legionen dort ausgehoben und zusammengestellt wurden. In den letzten Jahren waren so wenig neue Truppen ausgehoben worden, daß man die Hälfte des Lagers um Capua geschlossen und aufgelöst hatte.

Crassus wußte, daß Spartacus mit seiner Armee bis in die Nähe von Ariminum gelangt war, als er Marcus Mummius und die zwölf Militärtribunen nach Firmum Picenum schickte, um die zwanzig Kohorten abzuholen. Er hatte daher Mummius den strikten Befehl erteilt, jede Berührung mit dem Feind zu vermeiden, der immer noch nördlich von Firmum Picenum vermutet wurde. Es war Mummius’ Unglück, daß Spartacus Troß und Zivilisten in Ariminum zurückgelassen hatte und mit seinen Truppen weitergezogen war, da er wußte, daß ihm keine Gefahr im Rücken drohte. So kam es, daß zur gleichen Zeit, da Mummius in dem von Gellius und Clodianus errichteten Lager eintraf, auch die Vorausabteilung der Rebellenarmee dort auftauchte.

Ein Zusammenstoß der feindlichen Truppen war unvermeidlich. Mummius gab sein Bestes, aber weder er noch seine Militärtribunen, unter ihnen auch Caesar, konnten etwas ausrichten. Keiner von ihnen kannte die Truppe, die nie richtig ausgebildet worden war und zudem Angst vor den Rebellen hatte. Was dann kam, verdiente den Namen Schlacht nicht. Die Rebellen walzten das Lager nieder, als bestehe es gar nicht, während die Soldaten der konsularischen Legionen von Panik ergriffen in alle Winde davonstoben. Sie warfen Waffen, Schilde, Leibpanzer und Helme fort, alles, was sie am Laufen hinderte. Die Letzten wurden erschlagen, das Gros der Fußtruppen kam mit dem Leben davon. Die Rebellen dachten gar nicht daran, die Flüchtenden zu verfolgen, sondern sammelten nur die zurückgelassenen Waffen und Rüstungen ein und fledderten die Leichen der Gefallenen.

»Es stand nicht in deiner Macht, dieses Fiasko zu verhindern«, sagte Caesar zu Mummius. »Die Schuld liegt bei unserer militärischen Aufklärung.«

»Marcus Crassus wird wütend sein«, rief Mummius verzweifelt.

»Das ist noch gelinde ausgedrückt«, sagte Caesar grimmig. »Aber auch die Spartacani sind ein undisziplinierter Haufen.«

»Immerhin über hunderttausend!«

Sie waren auf dem Gipfel eines Berges postiert und beobachteten, wie sich ganze Völkerscharen nach Süden wälzten. Caesar, der scharfe Augen besaß, wies in die Ferne.

»An Truppen besitzt Spartacus nicht mehr als achtzigtausend Mann, vielleicht noch weniger. Was wir jetzt sehen, sind die Zivilisten — Frauen, Kinder und Männer, die keine Waffen tragen. Insgesamt zahlen sie gewiß wenigstens fünfzigtausend. Spartacus hat einen Mühlstein am Hals, denn er muß die Familien und das Hab und Gut seiner Krieger mit sich schleppen. Wir haben es nicht mit einer Armee, sondern mit einem Volk ohne Heimat zu tun, Mummius.«

Mummius nahm sich zusammen. »Wir haben keinen Grund, weiter hier zu bleiben. Marcus Crassus muß Meldung über das Geschehen erstattet werden, je eher, desto besser.«

»Die Spartacani werden in ein oder zwei Tagen verschwunden sein«, schätzte Caesar. »Ich schlage vor, daß wir hier bleiben, bis alle weitergezogen sind, und dann die versprengten Reste der konsularischen Legionen sammeln. Wenn wir sie sich selbst überlassen, sehen wir sie nie wieder. Ich glaube, Marcus Crassus wäre es lieber, sie zu Gesicht zu bekommen, in welch erbärmlichem Zustand sie auch sein mögen.«

Mummius schaute seinen Militärtribun verblüfft an. »Du bist ein denkender Kopf, Caesar. Dein Vorschlag trifft ins Schwarze. Wir sammeln die armen Teufel ein und nehmen sie mit. Andernfalls kennt der Zorn unseres Feldherrn keine Grenzen.«

Fünf Kohorten lagen tot in den Trümmern des Lagers, darunter auch die meisten Zenturionen. Fünfzehn Kohorten hatten überlebt. Mummius brauchte elf Tage, um die Legionäre aufzustöbern und zu mustern. Die Aufgabe gestaltete sich nicht so schwierig, wie er befürchtet hatte, denn die verstörten Krieger waren mehr oder weniger in der Gegend geblieben.

Nur in Tuniken gekleidet und mit Sandalen an den Füßen, marschierten die fünfzehn Kohorten in Crassus’ Lager, das er außerhalb von Bovianum aufgeschlagen hatte. Ihm war in der Zwischenzeit eine Abteilung der Rebellenarmee, die sich vom Gros gelöst und nach Westen geschlagen hatte, in die Hände gefallen; sechstausend Rebellen fanden den Tod. Spartacus selbst war auf dem Weg nach Venusia. Crassus hatte es nicht für klug gehalten, ihm in eine Gegend zu folgen, die für seine zahlenmäßig unterlegene Truppe ein ungünstiges Terrain bot. Mittlerweile war es Anfang Dezember, doch da der Kalender um vierzig Tage voraus war, hatte der Winter noch nicht Einzug gehalten.

Crassus hörte sich Mummius’ Bericht in vielsagendem Schweigen an. »Ich will dich nicht tadeln, Marcus Mummius«, sagte er schließlich, »aber was soll ich mit fünfzehn Kohorten von Legionären anfangen, auf die kein Verlaß ist und denen der Mut zum Kämpfen fehlt?«

Keiner wagte eine Antwort. Trotz seiner Frage wußte Crassus genau, was er tun würde. Langsam wanderte sein Blick von einem Gesicht zum anderen, verweilte auf Caesars und ging dann weiter.

»Wie viele sind es?« fragte er.

»Siebentausendfünfhundert Mann, Marcus Crassus. Fünfhundert Legionäre pro Kohorte.«

»Ich verhänge die decimatio über sie«, verkündete Crassus. Es wurde totenstill; keiner der Anwesenden regte sich.

»Laßt das ganze Heer morgen bei Sonnenaufgang antreten und bereitet alles vor. Caesar, du bist Pontifex und wirst deines Amtes walten. Bestimme die Gabe für das Opfer. Soll sie dem Jupiter Optimus Maximus oder einem anderen Gott dargebracht werden?«

»Wir sollten sie dem Jupiter Stator darbringen, Marcus Crassus. Er ist der Gott, der die Soldaten auf der Flucht aufhält. Und dem Sol Indiges und der Bellona. Die Gabe soll ein schwarzes Stierkalb sein.«

»Mummius, deine Militärtribunen sollen alles für die Verteilung der Lose herrichten. Caesar ausgenommen.«

Damit entließ Crassus seine Stabsoffiziere. Keiner von ihnen sagte ein Wort, als sie das Feldherrenzelt verließen.

Bei Sonnenaufgang waren Crassus’ Legionen in langen Reihen angetreten; ihnen gegenüber standen in zehn Reihen zu je siebenhundertfünfzig Mann die Soldaten, an denen das Exempel statuiert werden sollte. Die wichtigste zahlenmäßige Einteilung bei der decimatio war die Dekurie, also zehn Mann. Mummius hatte fieberhaft an einem Verfahren gearbeitet, wie am einfachsten und schnellsten vorgegangen werden könnte. Selbstverständlich war ihm Crassus dabei eine große Hilfe.

Die fünf Kohorten standen so da, wie sie Mummius und seine Militärtribunen aufgegriffen hatten, nur in Tunika und Sandalen, aber jeder Mann mit einem Knüppel versehen. Außerdem waren alle von eins bis zehn durchgezählt worden. Sie, die als Feiglinge gebrandmarkt waren, hatten auch alle das Aussehen von Feiglingen, denn es gab keinen, der nicht zitterte, dessen Gesicht nicht von der Angst entstellt war und der nicht trotz der Morgenkühle vor Aufregung schwitzte.

»Arme Kerle«, sagte Caesar zu seinem Kollegen, dem Militärtribun Gaius Popillius. »Ich frage mich, was sie mehr entsetzt, der Gedanke, derjenige zu sein, den das Los zum Sterben bestimmt, oder einer von den neun zu sein, die ihn töten müssen. Sie haben keine soldatische Haltung.«

»Sie sind noch zu jung«, gab Popillius zu bedenken.

»Das ist gewöhnlich ein Vorzug«, entgegnete Caesar, der an diesem Tag die ganz aus breiten scharlach- und purpurroten Streifen bestehende Toga eines Pontifex trug. »Was weiß man schon mit siebzehn oder achtzehn? Man hat weder Frau noch Kinder daheim, für die man sorgen müßte. Die Jungen sind stürmisch und suchen nach Gelegenheiten, sich die Hörner abzustoßen. Da ist es besser, sie bewähren sich auf dem Schlachtfeld, als wenn sie nur Frauen und Wein im Kopf haben und sich im Wirtshaus prügeln. Auf dem Schlachtfeld sind sie dem Staat wenigstens nützlich.«

»Du bist ein hartherziger Mann«, sagte Popillius.

»Nein, nur ein praktisch denkender.«

Crassus war bereit. Caesar zog sich eine Falte seines weiten Gewandes über den Kopf und begab sich zu dem Platz, an dem das rituelle Opfer dargebracht worden war. Jede Legion verfügte über ihren eigenen Priester und Auguren, und auch jetzt war es einer der Militärauguren, der die Leber des Stierkalbs begutachtete. Da aber die Verhängung der decimatio nur einem Feldherrn mit prokonsularischem Imperium zustand, war auch eine höhere priester- liche Autorität als die des Opferpriesters der Legion gefordert. Deswegen war Caesar berufen worden, die Ergebnisse der Leberschau des Augurs zu bestätigen. Er verkündete zuerst mit lauter Stimme, daß Jupiter Stator, Sol Indiges und Bellona das ihnen dargebrachte Opfer angenommen hätten, sprach darauf die abschließenden Gebete und bedeutete Crassus mit einem Nicken, daß er beginnen könne.

Des göttlichen Wohlwollens versichert, hob Crassus an zu reden. Auf der einen Seite der zu maßregelnden Kohorten war eine hohe Tribüne errichtet worden, auf der Crassus und seine Legaten standen. Der einzige Militärtribun in dieser Gruppe war Caesar in seiner Eigenschaft als Pontifex. Alle anderen standen um einen Tisch auf dem freien Feld zwischen den Veteranenlegionen und den ausgesonderten fünfzehn Kohorten. Ihre Aufgabe war es, die Lose auszuteilen.

»Legaten, Tribunen, Anwärter, Zenturionen und Legionäre«, ließ sich Crassus mit seiner hohen, weittragenden Stimme vernehmen, »ihr seid heute hier versammelt, um einer Bestrafung beizuwohnen, die so selten und so streng ist, daß sie schon seit mehreren Generationen nicht mehr angewendet wurde. Mit der decimatio werden allein solche Soldaten gemaßregelt, die sich als unwürdig erwiesen haben, in den römischen Legionen zu dienen, solche, die ihre Feldzeichen auf feige und unverzeihliche Weise verlassen haben. Ich habe befohlen, diese Strafe auf die fünfzehn hier in Tuniken angetretenen Kohorten anzuwenden, und ich habe gute Gründe dafür, denn seitdem sie zu Beginn des Jahres ins Kriegshandwerk eingeführt wurden, haben sie sich auf jedem Schlachtfeld schmählich dem Kampf entzogen. Bei ihrem letzten Fiasko haben sie sich des schwersten Vergehens schuldig gemacht, das ein Soldat begehen kann: sie haben ihre Waffen und Rüstungen auf dem Schlachtfeld zurückgelassen, so daß sie dem Feind in die Hände fallen mußten. Keiner von ihnen verdient, am Leben zu bleiben, aber es liegt nicht in meiner Macht, jeden von ihnen hinrichten zu lassen. Solches wäre allein das Vorrecht des Senats. Ich werde daher von meinem Recht als Oberbefehlshaber mit prokonsularischem Imperium Gebrauch machen und jeden Zehnten maßregeln. Damit hoffe ich, bei den Überlebenden den bisher fehlenden Kampfgeist zu wecken, so daß sie sich in Zukunft als würdige römische Soldaten erweisen. Euch allen aber will ich damit zeigen, daß ich keine Feigheit vor dem Feind dulde! Unsere Götter seien mir Zeuge, daß ich den guten Ruf und die Ehre jedes römischen Soldaten gerächt habe!«

Als Crassus ans Ende seiner Ansprache kam, hielt Caesar gespannt den Atem an. Wenn die Männer der sechs Legionen, die als Zeugen dieser Bestrafung versammelt waren, Crassus zujubeln würden, dann durfte Crassus auf die Zustimmung des Heeres bauen. Wenn aber seine Rede mit Schweigen quittiert würde, müßte er sich auf Meutereien gefaßt machen. Niemand mochte die decimatio, deshalb verhängte sie auch kein Feldherr. War Crassus, dem in Politik und Geschäften keiner so leicht etwas vormachte, ebenso klug in seinem Umgang mit römischen Veteranen?

Die sechs Legionen jubelten einhellig. Caesar, der Crassus genau beobachtete, sah, wie dieser kaum merklich aufatmete; also war auch er sich seiner Sache nicht ganz sicher gewesen!

Die Verteilung der Lose begann. Es gab 750 Dekurien, also mußten 750 Männer sterben. Dazu war eine komplizierte Auslosung notwendig, die Crassus und Mummius durch ein ausgeklügeltes System abzukürzen gedachten. In einem großen Korb lagen 750 Täfelchen: 75 trugen die Ziffer I, 75 die Ziffer II und so weiter, bis zur Ziffer X. Sie waren aufs Geratewohl in den Korb geworfen und dann gemischt worden. Der Militärtribun Gaius Popillius hatte nun die Aufgabe, jeweils 75 der durcheinander gemischten, zwei Zoll großen Holztäfelchen in zehn kleinere Körbe zu zählen, die er dann an die zehn übrigen Tribunen zum Verteilen ausgab.

Das war der Grund, weshalb man die zu maßregelnden Kohorten in zehn Reihen zu jeweils 75 Dekurien, wovon jede in einigem Abstand zur nächsten stand, hatte antreten lassen. Ein Militärtribun ging nun von einem Ende der Reihe zum anderen, hielt vor jeder Dekurie und zog ein Täfelchen aus seinem Korb. Er rief die Nummer aus, der Legionär mit der betreffenden Nummer trat vor, dann ging der Tribun zur nächsten Dekurie.

Hinter ihm begann das Töten. Selbst das ging nach strenger Vorschrift vonstatten. Zenturionen aus Crassus’ eigenen sechs Legionen, die keinen der Männer aus den fünf Kohorten kannten, waren dazu abgestellt worden, die Durchführung der Hinrichtung zu überwachen. Nur wenige der Zenturionen aus den fünf Kohorten hatten überlebt, aber diejenigen, die noch am Leben waren, hatte man von der Strafe nicht ausgenommen. Sie standen nun wie die einfachen Legionäre in der Reihe und hofften, vom Los verschont zu werden. Der Mann, der die tödliche Nummer besaß, wurde von den neun übrigen Männern seiner Dekurie zu Tode geknüppelt. So entging keiner der Pein der Strafe, ob er nun überlebte oder Opfer wurde.

Die überwachenden Zenturionen kannten das Verfahren genau und gaben entsprechende Anordnungen. »Du, knie nieder und rühr dich nicht«, geboten sie dem vom Los Verurteilten. »Du, schlag ihm auf den Kopf, daß er stirbt«, sagten sie zu dem am weitesten links Stehenden. »Du, schlag genauso zu«, zum nächsten und immer so fort zu den neun Männern, die alle mit ihren dicken Knüppeln auf den ungeschützten Hinterkopf des Knienden schlagen mußten. Da nicht jeder die Kraft zum Töten hatte, war nicht jeder Schlag tödlich, und manche verfehlten ihr Opfer ganz. Doch die dabeistehenden Zenturionen fuhren die Männer andauernd an, hart und gezielt zuzuschlagen. Je weiter die Hinrichtungen in der Reihe der Dekurien vorankamen, desto schneller und präziser gingen sie vonstatten.

Binnen dreizehn Stunden war die decimatio vollzogen; die Letzten wurden nach Einbruch der Dunkelheit im Schein von Fackeln hingerichtet. Danach entließ Crassus seine müden Legionäre, die dem grausamen Schauspiel stehend hatten beiwohnen müssen. Die siebenhundertfünfzig Leichen wurden auf dreißig Scheiterhaufen verteilt und verbrannt. Die Asche wurde nicht den Verwandten nach Hause geschickt, sondern in die Gräben der Lagerlatrinen geschüttet. Der letzte Wille der Opfer, sofern sie ein Testament hinterlassen hatten, wurde nicht respektiert. Geld und Wertgegenstände gingen ausnahmslos in den Besitz des Staates über. Damit sollte ein Teil der auf dem Schlachtfeld zurückgelassenen Waffen und Rüstungen bezahlt werden.

Keiner, der diese nach langen Jahren erstmals wieder verhängte Bestrafung mit eigenen Augen gesehen hatte, blieb davon ungerührt; die Mehrheit der Soldaten war tief beeindruckt. Die Überlebenden der nunmehr vierzehn Kohorten schluckten ihre Furcht hinunter und setzten nun alles daran, solche Legionäre zu werden, wie sie Crassus erwartete. Aus Capua kamen noch sieben weitere Kohorten gutausgebildeter Rekruten, die den vierzehn Kohorten zugeschlagen wurden. Zusammen erreichten sie nun die Sollstärke zweier Legionen. Da sie immer noch als die konsularischen Legionen galten, ernannte Crassus die zwölf Militärtribunen zu ihren Kommandanten, mit Caesar, dem Dienstältesten der Tribunen, an der Spitze der Legion I.

Während Marcus Crassus ein Exempel an den Männern statuierte, die nicht den Mut aufgebracht hatten, gegen die Rebellenarmee zu kämpfen, hielt Spartacus vor der Stadt Venusia Leichenspiele für den gefallenen Crixus ab. Gewöhnlich machte er keine Gefangenen, aber aus dem Lager bei Firmum Picenum hatte er dreihundert Soldaten der konsularischen Legionen ausgewählt. Den ganzen Weg über bis nach Venusia lehrte er sie die Anfangsgründe des Gladiatorenhandwerks und bestimmte die eine Hälfte zu Galliern und die andere zu Thrakern. Vor Venusia steckte er die Soldaten dann in prachtvolle Monturen und zwang sie zu Ehren von Crixus, gegeneinander auf Leben und Tod zu kämpfen. Dem Mann schließlich, der aus allen Kämpfen als Sieger hervorging, bestimmte Spartacus einen Tod nach römischer Art: Er ließ ihn erst auspeitschen und dann enthaupten. Dieses Blutopfer von dreihundert Feinden sollte Crixus’ Seele tiefe Genugtuung geben.

Die Leichenspiele für Crixus hatten noch einen anderen Zweck; während die gewaltige Armee zum Feiern und Ausruhen lagerte, konnte sich Spartacus unter seine Männer mischen und sie in einer persönlicheren Art als draußen vor Mutina ansprechen. So überzeugte er alle, daß die Antwort auf die Frage nach einer endgültigen Heimstatt für sie in Sizilien lag. Obwohl er alle Kornspeicher, die an seinem Weg lagen, geleert und große Vorräte an Käse, Hülsenfrüchten, Rüben und Trockenobst angelegt hatte und Tausende von Schafen, Schweinen, Hühnern und Enten mit sich führte, machte ihm die Ernährung seines Volkes weit mehr Sorge als die Bedrohung durch irgendein römisches Heer. Der Winter nahte; sie mußten Sizilien erreichen, bevor die Kälte hereinbrach.

Im Dezember wanderte er weiter südwärts bis zum Golf von Tarentum. Die unglücklichen Städte und Gemeinden dieser von vielen Flüssen bewässerten, fruchtbaren Ebene wurden um ihre gesamte Ernte gebracht. Bei der Stadt Thurii, die er bereits auf seiner ersten Wanderung durch diesen Landstrich geplündert hatte, ließ er seine Armee landeinwärts abbiegen, das Tal des Crathis entlang marschieren und schließlich auf die Via Popillia einschwenken. Kein römisches Heer hinderte sie. Auf der breiten Straße überquerten sie bequem die Lucaner Berge und erreichten den kleinen Fischerhafen Scyllaeum.

Auf der anderen Seite der schmalen Meerenge lag Sizilien. Nur noch eine kurze Überfahrt, und ihre langen Wanderungen würden ein Ende haben. Aber was für eine Fahrt! Scylla und Charybdis machten hier das Meer unsicher. Draußen vor der Bucht von Scyllaeum bleckte Scylla die Zähne, die in dreifachem Kranz in jedem ihrer sechs Köpfe steckten, dazu geiferten und heulten Hundeköpfe, die ihre Lenden umgaben. Selbst wenn ein Schiff das Glück hatte, an der schlafenden Scylla vorbeizusegeln, drohte auf der anderen Seite der Meerenge Charybdis, ein gierig alles in seinen Schlund saugender Mahlstrom.

Nicht, daß Spartacus selbst an solche Märchen geglaubt hätte. Doch ohne es recht zu merken, verlor er nach und nach ganze Schichten seines Römerseins; wie die Schalen einer Zwiebel lösten sie sich von ihm ab und legten einen ursprünglichen, noch aus der Kindheit stammenden Kern frei. Es war nun fast fünf Jahre her, seit er aus der Legion des Cosconius ausgestoßen worden war. Seitdem hatte er nicht mehr wie ein zivilisierter Römer gelebt. Die Frau, die er sich zur Gefährtin gewählt hatte, glaubte an Fabelgestalten wie Scylla und Charybdis und mit ihr viele seiner Krieger. Und bisweilen stahlen sich diese Ungeheuer auch in seine Träume.

Scyllaeum war der Stützpunkt einer großen Fischereiflotte, die zweimal im Jahr dem wandernden Thunfisch folgte; der Hafen wurde aber auch von Piraten angelaufen. Die römischen Legionen, die auf der nahen Via Popillia von und nach Sizilien marschierten, verhinderten zwar, daß größere Piratenflotten hier vor Anker gingen. Dennoch schoben gerade einige kleinere Freibeuter, die in Scyllaeum heimisch waren, ihre schlanken kleinen Schiffe ohne Deckaufbauten zum Überwintern auf den Strand, als die Spartacani in die Stadt kamen.

Spartacus überließ es seinen Männern und ihren Frauen, sich im Hafen am Fisch gütlich zu tun; er selbst suchte sogleich den Anführer der dortigen Piraten auf und fragte ihn, ob er Piratenadmirale kenne, die über eine umfangreiche Flotte großer Schiffe verfügten. O ja, man kenne sogar mehrere! war die Antwort.

»Ich möchte sie sprechen«, sagte Spartacus. »Ich will so rasch wie möglich mehrere Tausend meiner besten Kämpfer nach Sizilien übersetzen lassen. Ich zahle jedem tausend Talente Silber, der mir Gewähr geben kann, uns binnen eines Monats hinüberzubringen.«

Spartacus hatte damit begonnen, seine Legaten und Tribunen aus seiner vielsprachigen Kriegerschar heranzuziehen. Nach dem Verlust von Crixus und Oenomaus hatten sich zwei Männer als ihre Nachfolger empfohlen. Castus und Gannicus waren beide Samniter, die mit Mutilus während des Bundesgenossenkrieges und mit Pontius Telesinus im Krieg gegen Sulla gekämpft hatten. Sie waren Krieger durch und durch und besaßen Erfahrung als Truppenbefehlshaber. Spartacus hatte mit der Zeit lernen müssen, daß sein Heerhaufen nur dann wie eine Armee marschierte, wenn der Feind drohte. Viele seiner Soldaten hatten ihre Frauen, nicht wenige Kinder und sogar Eltern und Verwandte im Troß. Kein Oberbefehlshaber konnte eine solch buntscheckige und unberechenbare Menge militärisch führen, daher hatte Spartacus seine Rebellenarmee in drei Teile mit jeweils eigenem Troß aufgeteilt. Die stärkste und am besten ausgebildete Truppe befehligte er selbst, die beiden anderen Teile hatte er Castus und Gannicus anvertraut.

Auf die Nachricht, daß zwei Piratenadmirale ihren Besuch angekündigt hatten, rief Spartacus Aluso, Castus und Gannicus zu sich.

»Allem Anschein nach kann ich genügend Schiffe bekommen, um in Kürze zwanzigtausend Mann nach Pelorus überzusetzen«, teilte er ihnen mit. »Was mir indessen Sorge macht, ist die große Volksmasse, die ich hier zurücklassen muß. Es wird womöglich Monate dauern, bis ich sie nach Sizilien bringen kann. Was meint ihr, kann ich sie hier in Scyllaeum lassen? Haben wir genügend Vorräte? Oder soll ich alle, die nicht gleich mit mir nach Sizilien übersetzen, zurück in die fruchtbare Gegend am Golf von Tarent- um schicken? Die hier ansässigen Bauern und Fischer sagen, der kommende Winter werde sehr streng.«

Castus, der älter und erfahrener war als Gannicus, äußerte sich in überlegten Worten zu Spartacus’ Vorschlag.

»Gegenwärtig können wir uns gut aus dieser Gegend hier verpflegen, Spartacus. Westlich des Hafens liegen die fruchtbaren Hänge eines Vorgebirges. Nach meinen Schätzungen könnte der ganze Haufen, Soldaten und Zivilisten, etwa zwei Monate lang hier lagern, ohne unsere Vorräte allzusehr anzugreifen. Und wenn zwanzigtausend der stärksten Esser nach Sizilien übersetzen, dann reicht es für drei Monate.«

Spartacus hatte sich entschieden. »Dann bleiben alle vorerst hier. Legt im Westen der Stadt ein neues Lager an, und sagt den Frauen und Kindern, sie sollen Getreide und Gemüse anbauen. Sogar Kohl und Rüben wären uns nun von Nutzen.«

Die beiden Samniter waren kaum gegangen, da schaute Aluso mit den wilden Augen einer Wölfin auf ihren Gatten und knurrte mit heiserer Stimme. Spartacus liefjedesmal ein Schauer über den Rücken, wenn er an ihr diese animalischen Regungen beobachtete. Sie waren ein sicheres Zeichen dafür, daß der Geist der Prophetie wieder über sie kam.

»Sei auf der Hut, Spartacus!« flüsterte sie.

»Wovor soll ich auf der Hut sein?«

Sie schüttelte den Kopf und knurrte wieder. »Ich weiß es nicht. Vor etwas, das aus dem Schnee kommt.«

»Es wird noch lange nicht schneien, wenigstens einen Monat, vielleicht noch länger«, entgegnete er sanft. »Bis dahin bin ich mit meinen besten Soldaten in Sizilien, und ich glaube nicht, daß uns der Krieg dort drüben übermäßig anstrengen wird. Sollen vielleicht die hier Zurückbleibenden besonders auf der Hut sein?«

»Nein«, sagte sie mit fester Stimme, »es gilt dir allein.«

»Sizilien ist ein mildes, gesegnetes Land ohne starke militärische Befestigungen. Von Milizen und reichen Großgrundbesitzern habe ich nichts zu fürchten.«

Aber Aluso ließ sich nicht beschwichtigen, im Gegenteil, ein Beben überkam sie. »Du wirst deinen Fuß nie auf diese Insel setzen, Spartacus.«

Doch der folgende Morgen schien ihre Prophezeiung Lügen zu strafen, denn zwei Piratenadmirale landeten in Scyllaeum, und beide waren so berühmt, daß sogar Spartacus ihre Namen kannte: Pharnaces und Megadates. Sie hatten ihre Piratenkarriere weit im Osten in den Gewässern des Schwarzen Meers begonnen, aber seit etwa zehn Jahren beherrschten sie die Seewege zwischen Sizilien und der Provinz Africa und machten auf alles Jagd, was nicht wie die großen römischen Getreidetransporte durch Geleitzüge gesichert wurde. Wenn ihnen der Sinn danach stand, erlaubten sie sich sogar einen Vorstoß in den Hafen von Syracus und stahlen dort, direkt vor der Nase des Statthalters, Vorräte und Fässer des edelsten Weins.

Spartacus stellte verblüfft fest, daß beide eher wie aalglatte, erfolgreiche Geschäftsleute als wie Piraten aussahen. Ihre Gesichtsfarbe war blaß, beide hatten Bäuche, und ihr Betragen war geziert.

»Wißt ihr, wer ich bin?« fragte er sie geradeheraus. »Wollt ihr mit mir ins Geschäft kommen trotz der Drohung der Römer?«

Die beiden wechselten untereinander schlaue Blicke.

»Wir machen überall und mit jedem Geschäfte trotz der Drohung der Römer«, antwortete Pharnaces.

»Ich will zwanzigtausend Soldaten von hier nach Pelorus übersetzen und brauche dazu Schiffe.«

»Die Überfahrt ist nur kurz, aber im Winter voller Gefahren«, sagte Pharnaces, der als der Wortführer anzusehen war.

»Die Fischer in Scyllaeum sagen aber, das Ganze sei durchaus möglich.«

»Gewiß, gewiß.«

»Werdet ihr mir also helfen?«

»Schauen wir erst einmal, wie das aussähe.. . zwanzigtausend Mann, in jedem Schiff zweihundertfünfzig — es sind ja nur ein paar Meilen, das überstehen sie schon, auch wenn sie wie eingelegte Feigen im Topf zusammengepfercht werden —, macht achtzig Schiffe.«

Pharnaces verzog leicht das Gesicht. »So viele Schiffe dieser Größe haben wir nicht, Spartacus. Zwanzig Schiffe können wir bieten.«

»Fünftausend Mann pro Überfahrt«, sagte Spartacus mit hochgezogenen Brauen. »Dann sind also vier Fahrten nötig. Was verlangt ihr dafür, und wann könnt ihr losfahren?«

Die beiden schauten Spartacus verblüfft an.

»Alle Wetter, das nenne ich einen Schacher«, sagte Megadates.

»Ich habe keine Zeit. Also nochmals: Wieviel verlangt ihr, und wann könnt ihr losfahren?«

Pharnaces ergriff wieder das Wort. »Fünfzig Talente Silber pro Schiff und Überfahrt — viertausend Talente insgesamt.«

Nun war es Spartacus, der verblüfft dreinschaute. »Viertausend Talente! Dafür müßte ich ja mein ganzes Geld draufgeben!«

»Ja oder nein?« sagten beide Admirale wie aus einem Mund.

»Wenn ihr versprecht, eure Schiffe binnen fünf Tagen klar zur Abfahrt zu machen, bin ich mit dem Handel einverstanden«, sagte Spartacus.

»Gib uns die viertausend Talente im voraus, dann sorgen wir für alles«, schlug Pharnaces vor.

Spartacus setzte eine schlaue Miene auf. »Ö nein, so nicht! Die Hälfte jetzt, die andere Hälfte, wenn die letzte Überfahrt erfolgt ist.«

»Abgemacht!« sagten Pharnaces und Megadates wieder wie aus einem Mund.

Aluso durfte an der Unterredung nicht teilnehmen. Aus Gründen, über die er sich selbst nicht im klaren war, widerstrebte es Spartacus, ihr den Handel mit den Piraten offenzulegen. Vielleicht sah sie für ihn schon ein Grab in den Wellen, da sie prophezeit hatte, er werde Sizilien nie erreichen. Natürlich brachte sie ihn dazu, doch alles zu sagen, und zu seiner Verblüffung nickte sie erfreut.

»Ein guter Preis«, sagte sie. »Du bekommst das Geld wieder herein, sobald du in Sizilien bist.«

»Ich dachte, du glaubtest nicht daran, daß ich je meinen Fuß auf diese Insel setze!«

»Das war gestern, mein Gesicht hat mich getäuscht. Heute sehe ich alles deutlich vor mir. Alles wird gut.«

So wurden auf Spartacus’ Befehl zweitausend Talente Silber aus den Troßkarren an Bord der schönen, vergoldeten Quinquereme mit den purpur- und goldfarbenen Segeln gebracht, mit der Pharnaces und Megadates nach Scyllaeum gekommen waren. Vom Schlag der mächtigen Ruder angetrieben, glitt das Schiff zur Bucht hinaus.

»Wie ein hundertfüßiges Untier«, sagte Aluso.

Spartacus lachte. »Ja, so sieht es aus. Vielleicht fürchtet es sich deshalb nicht vor Scylla.«

»Es ist zu groß für Scyllas Maul.«

»Scylla ist eine Ansammlung gefährlicher Klippen«, sagte Spartacus.

»Scylla«, widersprach Aluso, »ist ein Wesen.«

»In fünf Tagen weiß ich es genau.«

Fünf Tage später hatten sich die ersten fünftausend Mann im Hafen von Scyllaeum versammelt. Angetan mit Helm und Rüstung, die Waffen und übrige Ausrüstung neben sich, wartete jeder Mann mit flauem Gefühl auf die Einschiffung, sollte die Fahrt doch zwischen Scylla und Charybdis hindurchgehen! Nur dank der Gespräche mit den Fischern hatten die Männer soviel Mut gefaßt, sich in dieses Abenteuer zu stürzen, denn die Fischer schworen zwar, daß es Scylla und Charybdis wirklich gebe, doch sie wußten auch die Beschwörungsformeln, welche die Ungeheuer in Schlaf versetzen konnten, und versprachen, sie auch anzuwenden.

Obwohl fünf Tage lang das Wetter gut und die See ruhig gewesen war, waren die zwanzig Piratenschiffe nicht gekommen. Mit besorgter Miene hielt Spartacus mit Castus und Gannicus Rat und entschied dann, die fünftausend Mann an Ort und Stelle übernachten zu lassen. Sechs Tage, sieben Tage, acht Tage vergingen, doch kein Piratenschiff war am Horizont zu sehen. Zehn, fünfzehn Tage. Die fünftausend Mann waren schon längst wieder in ihr Lager zurückgeschickt worden, doch jeden Tag stand Spartacus am Aussichtspunkt an der Hafeneinfahrt und suchte, die Hand schützend über die Augen haltend, den Horizont in Richtung Süden ab. Sie würden kommen. Sie mußten einfach!

»Du bist betrogen worden«, sagte Aluso am sechzehnten Tag, als Spartacus keine Anstalten mehr machte, seinen Aussichtsposten zu beziehen.

Er schluckte krampfhaft. »Ja, ich bin betrogen worden.«

»Oh, Spartacus, die Welt ist voller Betrüger und Lügner!« rief Aluso. »Wenigstens haben wir in gutem Glauben gehandelt, und du bist wie ein Vater zu diesen armen Menschen. Ich sehe eine Heimstatt für uns jenseits des Wassers, ich sehe alles so genau, daß ich es fast berühren kann! Und dennoch werden wir Sizilien nie erreichen. Beim erstenmal, als ich in den Knochen las, erkannte ich es, aber später haben mich auch die Knochen betrogen. Betrüger und Lügner!« Ihre Augen funkelten, sie knurrte. »Hüte dich vor dem, der aus dem Schnee kommt!«

Spartacus hörte nicht mehr, Weinkrämpfe schüttelten ihn.

»Alles lacht über mich«, sagte Spartacus später am Tag zu Castus und Gannicus. »Sie sind mit unserem Geld davongesegelt und wußten bereits, daß sie nie wiederkommen würden. Zweitausend Talente für ein paar kurze Worte!«

»Es war nicht dein Fehler«, sagte Gannicus, der sonst eher schweigsam war. »Auch in Geschäften setzt man Treu und Glauben voraus.«

Castus zuckte mit den Schultern. »Sie sind eben keine Geschäftsleute, Gannicus. Sie kennen nichts anderes als Rauben und Stehlen. Ein Pirat ist ein Räuber, der sich nicht einmal maskiert.«

»Nun, es ist nicht zu ändern«, seufzte Spartacus. »Jetzt steht unsere Zukunft auf dem Spiel. Wir müssen bis zum Sommer auf der italienischen Halbinsel durchhalten, dann beschlagnahmen wir jedes Fischerboot zwischen der Campania und Rhegium und setzen nach Sizilien über.«

Mittlerweile wußte man zwar überall, daß es in Italien ein neues Heer gab, aber Spartacus war nun schon so lange ungestraft durch das Land gezogen, daß er römische Rüstungsanstrengungen kaum beachtete. Seine Kundschafter waren faul, er selbst war gleichgültig geworden. So lange hatte er schon die Spartacani in seiner Obhut wie ein Hirte seine Herde, daß er seine Rolle nicht mehr in einem kriegerischen Licht sah. Er war weder Feldherr noch König, sondern ein Patriarch, der eine Heimstatt für seine Kinder suchte. Und nun würde er sie wieder auf die Wanderung schicken. Aber wohin? Ihr Hunger war so groß!