Nikomedes war noch am Leben, als Caesar in Bithynien ankam, aber es bestand für ihn keine Hoffnung mehr auf Heilung.
»Es ist schlicht das hohe Alter, das ihn dahinsiechen läßt«, sagte Königin Oradaltis mit Tränen in den Augen. »Ach, wie werde ich ihn vermissen! Ich bin mit ihm verheiratet, seit ich fünfzehn bin. Wie soll ich ohne ihn leben?«
»Du wirst es schaffen, denn du mußt«, sagte Caesar und trocknete ihr die Tränen. »Wie ich sehe, ist dein Hund Sulla noch munter; an ihm hast du also einen treuen Gefährten. Nach dem, was du mir erzählt hast, muß Nikomedes froh sein, diese Welt zu verlassen. Mir wäre die Vorstellung unerträglich, dahinzusiechen, ohne noch zu irgend etwas nützlich zu sein.«
»Vor etwa zehn Tagen hat er sich hingelegt«, sagte Oradaltis. »Die Ärzte meinen, er könne jede Stunde von uns gehen — heute, morgen oder nächsten Monat, keiner vermag das genau zu sagen.«
Als Caesar dann das eingefallene Gesicht des Königs auf dem großen holzgeschnitzten Bett sah, schien es ihm, als werde der Todkranke den Tag nicht überleben. Er war nur noch Haut und Knochen, nichts erinnerte mehr an die einstigen königlichen Züge; er sah aus wie ein vertrockneter, runzliger Winterapfel. Kaum hatte Caesar aber seinen Namen genannt, öffnete er die Augen, streckte die Hände aus und lächelte, während ihm Tränen über die Wangen liefen.
»Du bist gekommen!« sagte er mit erstaunlich kräftiger Stimme.
»Wie hätte ich nicht kommen können?« fragte Caesar, der sich auf das Bett gesetzt hatte und die abgemagerten Hände des Kranken fest in die seinen nahm. »Ein Wort von dir genügt, und ich komme.«
Nikomedes lebte noch einmal richtig auf, als Caesar ihn vom Bett zum Sofa trug und von dort nach draußen auf einen Stuhl an einem windgeschützten, sonnigen Platz. Allerdings hatte er die Kraft, sich auf den Beinen zu halten, für immer verloren. Von Zeit zu Zeit fiel er mitten im Satz in einen Halbschlaf, aus dem er nach einem langen Augenblick wieder erwachte, ohne sich erinnern zu können, was er zuvor gesagt hatte. Er konnte nichts Festes mehr essen, sondern lebte nur noch von einer Mischung aus Ziegenmilch mit stärkendem Wein und Honig, die er schluckweise trank.
Es ist erstaunlich, dachte Caesar, der sonst so wählerisch und auf peinliche Sauberkeit bedacht war, daß dann, wenn einem geliebten Menschen Derartiges passiert, der gewöhnlich sich einstellende Ekel ausbleibt. Weder fühle ich mich abgestoßen, noch rufe ich gleich nach einem Diener, der den Kranken waschen soll. Vielmehr macht es mich glücklich, mich um ihn zu kümmern. Ich würde mit Freuden seinen Nachttopf fortschaffen.
»Hast du Nachricht von deiner Tochter?« fragte Caesar den König an einem Tag, an dem es ihm besser ging.
»Nein, nicht von ihr selbst. Aber sie soll immer noch wohlauf in Kabeira sein.«
»Kannst du mit Mithridates nicht über ihre Heimkehr verhandeln?«
»Nur um den Preis meines Königreichs, wie du weißt, Caesar.«
»Aber wenn sie nicht heimkehrt, wird es sowieso keinen Thronerben geben.«
»Bithynien hat hier bereits einen Thronerben.«
»In Nikomedeia? Wen denn?«
»Ich habe daran gedacht, Bithynien dir zu überlassen.«
»Mir?«
»Ja, dir. Du sollst König werden.«
»Nein, mein guter alter Freund, das ist unmöglich.«
»Du würdest ein großer König werden, Caesar. Gefällt dir der Gedanke nicht, über dein eigenes Land zu herrschen?«
»Mein Land ist Rom, Nikomedes, und wie alle Römer bin ich mit dem Glauben an die Republik groß geworden.
Die Unterlippe des Königs zitterte. »Kann dich mein Angebot gar nicht verlocken?«
»Nein.«
»Bithynien braucht einen jungen und starken Herrscher, Caesar. Wer sonst sollte das sein, wenn nicht du!«
»Es gibt das Römische Reich.«
»Und Römer wie Gaius Verres.«
»Das ist richtig, aber es gibt auch Römer wie mich. Rom ist die einzige Lösung, Nikomedes. Es sei denn, du willst Pontus die Herrschaft überlassen.«
»Alles andere, nur nicht das!«
»Dann gib Bithynien in Roms Obhut.«
»Kannst du mein Testament in gültiger römischer Form abfassen?«
»Ja.«
»Dann bitte ich dich darum, Caesar. Ich gebe mein Königreich in die Hände Roms.«
Mitte Dezember starb König Nikomedes der Dritte von Bithynien. Seine eine Hand lag in Caesars Händen, die andere in denen seiner Frau; so verschied er, ohne noch einmal zum Abschied aus seinem, langen Traum zu erwachen.
Der Letzte Wille des Königs war frühzeitig genug mit Eilboten nach Rom gebracht worden, so daß Caesar noch vor dem Tod des fünfundachtzigjährigen Monarchen die Antwort des Senats erhalten hatte. Danach sollte der Statthalter der Provinz Asia, Marcus Junius Juncus, nach Bithynien reisen und gleich nach dem Tod des Königs mit der Eingliederung des Königreichs in die Provinz Asia beginnen. Da Caesar bis dahin bleiben wollte, sollte er Juncus über den Zeitpunkt der Übernahme in Kenntnis setzen.
Caesar war enttäuscht; Bithyniens erster Statthalter würde kein freundlicher und kein verständnisvoller Mensch sein.
»Ich möchte, daß alle Schätze und Kunstwerke im ganzen Reich in einer Liste erfaßt werden«, sagte Caesar der Witwe, »desgleichen der Bestand des Schatzamtes, die Größe der Flotte und die Truppenstärke des Heeres. Rüstungen, Schwerter, Speere, Katapulte und Belagerungsmaschinen, alles, was ihr besitzt, soll ohne Ausnahme gezählt werden.«
»Ich werde das veranlassen, aber warum?« fragte Oradaltis mit besorgter Miene.
»Falls der Statthalter der Provinz Asia vorhaben sollte, auch nur einen Speer oder eine Drachme für sich abzuzweigen, dann möchte ich das gern wissen«, sagte Caesar grimmig. »Dazu ist diese Liste erforderlich, denn ich würde es mir zur Pflicht machen, ihn in Rom zu verklagen und für seine Verurteilung zu sorgen. Wenn du alle Wertgegenstände auf einer Liste erfassen läßt, kannst du sicher sein, daß du zumindest die sechs wichtigsten Römer in deinem Land als Zeugen für die Richtigkeit der Aufzählung benennen kannst. Damit erhält diese Urkunde eine Beweiskraft, die auch ein Senatorengericht nicht bezweifeln kann.«
»Oh, mein Guter! Werde ich selbst denn in Sicherheit sein?« fragte die Königin.
»Ja, ganz gewiß, wenn du es über dich bringen kannst, aus dem Palast in ein Privathaus zu ziehen — am besten in Nikomedeia oder in Chalkedon oder Prusa — und alles, was dir lieb und teuer ist, mitzunehmen. Dann kannst du für den Rest deiner Tage in Frieden und Behaglichkeit leben.«
»Du magst Marcus Junius Juncus nicht.«
»Ich mag ihn überhaupt nicht.«
»Ist er ein zweiter Gaius Verres?«
»Das bezweifle ich, Oradaltis«, sagte Caesar ruhig, »er ist nur gewöhnlich geldgierig und bestechlich. Da er sich für Roms ersten offiziellen Vertreter in Bithynien hält, wird er alles stehlen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Rom wird von ihm eine Aufstellung aller Wertgegenstände verlangen, aber ich wette, daß seine Aufstellung und deine Liste sich nicht decken werden. Dann können wir ihn dingfest machen!«
»Wird er nicht vermuten, daß es bereits eine Liste gibt?«
Caesar lachte. »Er nicht! Östliche Reiche stehen nicht in dem Ruf der Genauigkeit — Genauigkeit gilt als eine Domäne der Römer. Freilich, da er weiß, daß ich hier bin, glaubt er sicher, ich würde mich als erster von den Schätzen des Landes bedienen. Daher wird es ihm gar nicht einfallen, ich könnte mich mit dir verbündet haben, um ihm eine Falle zu stellen.«
Ende Dezember war es dann soweit. Die Königin verlegte ihre Residenz in das kleine Fischerdorf Rheba an der Schwarzmeerküste nahe des Bosporus. Hier besaß Nikomedes ein Landhaus, das die Königin als idealen Wohnsitz für eine zurückgezogen lebende ehemalige Herrschergattin ansah.
»Wenn Juncus dein Haus beschlagnahmen will, zeigst du ihm eine Abschrift der Eigentumsurkunde und weist ihn darauf hin, daß sich das Original bei deinen Bankiers befindet. Wo willst du dein Vermögen deponieren?«
»Ich dachte an Byzanz. Das wäre von Rheba aus am nächsten.«
»Ausgezeichnet! Byzanz gehört nicht zu Bithynien, daher kann Juncus keine Einsicht in dein hinterlegtes Vermögen nehmen oder gar die Hand danach ausstrecken. Du sagst ihm auch, daß die Möbel in deinem Haus ebenfalls dir gehören und aus deiner Mitgift stammen. Dann darf er nichts beschlagnahmen. Laß deshalb nichts von dem auf die Liste schreiben, was du behalten willst! Wenn überhaupt jemand etwas für seinen eigenen Gebrauch mitnehmen darf, dann du.«
»Ich denke aber auch an Nysa«, sagte die alte Dame bekümmert. »Wer weiß? Vielleicht kann ich sie doch noch vor meinem Tod in die Arme schließen.«
Ein Bote brachte die Nachricht, Juncus sei auf dem Weg durch den Hellespont und werde in einigen Tagen in Nikomedeia ankommen. Er wolle dazwischen noch Prusa anlaufen und die Stadt besichtigen. Caesar ließ die Königin in ihrem Landhaus unterbringen, sorgte dafür, daß das Schatzamt sie mit einem ausreichenden Vermögen für ein standesgemäßes Leben ausstattete, und deponierte Oradaltis’ Geldmittel und die Liste mit den Wertgegenständen bei ihren Bankiers in Byzanz. Von dort aus stach er dann mit seinem Gefolge in See. Er wollte der thrakischen Küste des Propontis bis zum Hellespont folgen und so Marcus Junius Juncus, dem Statthalter der Provinz Asia und bald auch Bithyniens, aus dem Weg gehen.
Caesar wollte nicht nach Rom zurückkehren, sondern plante, nach Rhodos zu reisen und dort für ein oder zwei Jahre bei Apollonius Molon Rhetorik zu studieren. Bei ihm, so hatte ihn Cicero überzeugt, werde seine Redekunst den letzten Schliff erhalten. Caesar wußte allerdings, daß sein rhetorisches Geschick schon jetzt beträchtlich war. Anders als Cicero vermißte er Rom nicht, genausowenig wie seine Familie. Zwar schätzte er durchaus das beruhigende Gefühl, eine Familie zu besitzen, setzte aber voraus, daß Frau und Kind ebenso wie seine Mutter immer für ihn dazusein hatten. Sie würden einfach bis zu seiner Rückkehr auf ihn warten. Ihm wäre nicht im Traum eingefallen, daß der Tod eine seiner Lieben oder gar alle während seiner Abwesenheit hinwegraffen könnte.
Die Reise wurde sehr kostspielig, wie er bald feststellen mußte. Er hatte es Nikomedes und Oradaltis abgeschlagen, ihn mit Geld auszustatten, und statt dessen nur um ein Andenken gebeten. Daraufhin hatten sie ihm einen echten Smaragd aus Skythien geschenkt, der mit den viel blasseren, trüberen Steinen vom Roten Meer nicht zu vergleichen war. Dieser flachgeschliffene Cabochon von der Größe eines Hühnereis zeigte das Profil des Königs und der Königin von Bithynien. Ein solches Kleinod würde man um keinen Preis und auch in großer Not nicht verkaufen. Aber Caesar machte sich um Geld keine Sorgen. Vorerst hatte er genug, und die Zukunft würde schon Rat schaffen. Mit dieser Haltung hatte er schon seine stets besorgte Mutter zur Weißglut gebracht. Aber verglichen mit seinen früheren Reisen erhöhten ein zwanzigköpfiges Gefolge und gemietete Schiffe die Kosten um das Zwanzigfache.
In Smyrna traf er wieder mit Publius Rutilius Rufus zusammen. Der alte Mann amüsierte ihn köstlich mit seinen Geschichten über Cicero, der ihn auf seiner Reise von Rhodos nach Rom besucht hatte.
»Ein erstaunliches Gewächs!« lautete Rutilius Rufus’ Urteil über Cicero. »Er wird in Rom nicht glücklich werden, obwohl er diese Stadt über alles liebt. Ich stehe nicht an, ihn das Salz der Erde zu nennen — so anständig, warmherzig und urwüchsig ist dieser Mann.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Caesar. »Nur, lieber Onkel Publius, er besitzt auch einen scharfen Verstand und sehr viel Ehrgeiz.«
»Wie Gaius Marius.«
»Nein«, widersprach Caesar, »nicht wie Gaius Marius.«
In Milet klagte man ihm, wie Verres der Stadt die feinsten Wollstoffe, Gobelins und Teppiche geraubt und dann dem Ethnarchen höhnisch empfohlen hatte, beim Senat in Rom Beschwerde einzulegen.
»Dann könnt ihr euch noch glücklich schätzen«, sagte Caesar, während er sich schon auf seine Weiterfahrt nach Halikarnassos vorbereitete. »Er hätte auch eure Kunstschätze mitnehmen und eure Tempel plündern können, wie er es anderswo getan hat.«
Das Schiff, das er in Byzanz gemietet hatte, war ein schmuckes Handelsschiff mit vierzig Ruderern, hohem Heck nebst zwei Steuerrudern und mittschiffs einer Kabine für ihn. Dreißig ausgesuchte Pferde und Maultiere, darunter auch der riesige Neseaner und sein eigener geliebter Paarzeh, waren in Verschlägen zwischen seiner Kabine und dem Heck untergebracht. Sie segelten nie mehr als fünfzig Meilen, ohne wieder einen Hafen anzulaufen. Da die Pferde und Maultiere jedesmal an Land und zurück an Bord gebracht wurden, war das Ein- und Ausschiffen immer eine mit Lärm und Geschrei verbundene Nervenprobe.
Milet unterschied sich kaum von Smyrna, Pitane und dem anderen halben Dutzend Häfen, die sie bereits angelaufen hatten. Jeder im Hafen wußte, daß dieses Schiff von einem römischen Senator gemietet worden war, und entsprechend groß war die allgemeine Neugier. Das war er also! Der gutaussehende junge Mann, der in echter Römertoga so forsch einhergeht, als würde ihm die ganze Welt gehören! Und gehörte sie ihm nicht wirklich? Schließlich war er ein Vertreter des römischen Weltreichs. Die weniger hellen Köpfe in seinem Gefolge entblödeten sich nicht, dem Geschwätz noch mehr Nahrung zu geben. Bald wußten alle Neugierigen, die im Hafen von Milet herumlungerten, daß er ein hoher Aristokrat und brillanter Anwalt war. Ihm allein sei es zu verdanken, daß König Nikomedes von Bithynien auf dem Sterbebett sein Land testamentarisch dem Römischen Reich vermacht habe. Kein Wunder, daß Caesar froh war, als die Anker gelichtet wurden und das Schiff wieder in See stach.
Das Wetter war gut, der Seegang ruhig. Eine kräftige Brise blähte das große Leinwandsegel und schonte die Kräfte der Ruderer. Caesar hielt sich auf dem Achterdeck auf, neben ihm stand der Kapitän, der ihm versicherte, daß sie am folgenden Tag Halikarnassos erreichen würden.
Sie waren sieben oder acht Meilen entlang der Küste gefahren, als die Spitze eines Vorgebirges vor ihnen ins Meer ragte. Caesars Schiff segelte friedlich zwischen der Landspitze und einer aus dem Dunst auftauchenden Insel hindurch.
»Das ist Pharmakussa«, sagte der Kapitän. Sie passierten die Insel in Küstennähe, in einiger Entfernung vom festländischen Iasos, auf einer Route, die zur nächsten Halbinsel dieser zerklüfteten Küste führte. Pharmakussa war eine kleine Insel, deren Gestalt unterschiedlich großen weiblichen Brüsten glich, wobei der südlich gelegene Teil die größere der beiden bildete.
»Ist die Insel bewohnt?« fragte Caesar beiläufig.
»Nein, nicht einmal ein Hirte mit seiner Herde lebt dort.«
Sie waren schon fast an der Insel vorbeigefahren, als plötzlich eine flache schnittige Kriegsgaleere hinter der größeren Brust auftauchte und in schneller Fahrt auf Caesars Schiff zusteuerte.
»Piraten!« kreischte der Kapitän bleich vor Schreck.
Caesar nickte nur. Er hatte gerade nach hinten ins Kielwasser geschaut. »Ja, und eine zweite Galeere kommt von hinten auf uns zu. Wieviel Mann sind an Bord der ersten?«
»Kämpfer? Mindestens hundert, und bis an die Zähne bewaffnet.«
»Und auf der Galeere hinter uns?«
Der Kapitän reckte den Hals. »Das ist ein größeres Schiff. Vielleicht hundertfünfzig.«
»Dann hältst du also Widerstand für zwecklos.«
»Bei den Göttern, ja, Senator!« stieß der Mann hervor. »Sie würden uns im nächsten Augenblick niedermetzeln. Wir können nur hoffen, daß sie es auf ein Lösegeld abgesehen haben. Da unser Schiff nicht tief im Wasser liegt, haben sie sicherlich schon erkannt, daß wir keine Fracht geladen haben.«
»Glaubst du, sie wissen, daß jemand an Bord ist, für den sie ein hohes Lösegeld fordern können?«
»Sie wissen über alles Bescheid, Senator! Sie haben ihre Spione in allen Häfen um das Ägäische Meer. Ich vermute, die Spione sind gestern von Milet aus losgerudert und haben den Piraten eine Beschreibung meines Schiffs und die Nachricht gebracht, daß sich ein römischer Senator an Bord befindet.«
»Haben die Piraten ihren Unterschlupf auf Pharmakussa?«
»Nein, Senator. Es wäre von Milet und Priene aus zu leicht, sie ausfindig zu machen. Sie haben hier nur für ein paar Tage auf der Lauer gelegen und nach einem möglichen Opfer Ausschau gehalten. Länger als ein paar Tage brauchen sie nie zu warten, denn irgendeine saftige Beute kommt immer vorbeigesegelt. Wir haben Pech. Jetzt in der Winterzeit stürmt es gewöhnlich in diesen Gewässern, deshalb habe ich gehofft, von Piraten verschont zu bleiben. Aber leider ist das Wetter zu gut.«
»Was haben sie mit uns vor?«
»Sie werden uns in ihren Unterschlupf schleppen und dort auf das Lösegeld warten.«
»Wo könnte ihr Piratennest liegen?«
»Wahrscheinlich in Lycia. Irgendwo zwischen Patara und Myra.«
»Das ist recht weit von hier.«
»Mehrere Tage mit dem Schiff.«
»Warum so weit?«
»Weil sie dort völlig sicher sind, ein idealer Unterschlupf für Piraten! Hunderte versteckte Buchten und Täler. Sicherlich gibt es dort mindestens dreißig Piratennester.«
Caesar blieb unbeeindruckt, obwohl die Galeeren jetzt sehr rasch näher kamen. Er sah die bewaffneten Piraten am Schandeck ihrer Schiffe stehen und hörte ihre Rufe. »Was hindert mich«, sagte er laut, »nach der Lösegeldzahlung mit einer Kriegsflotte zurückzukommen und das ganze Pack gefangenzunehmen?«
»Du würdest die Bucht nie im Leben wiederfinden, Senator. Es gibt Hunderte, und alle sehen sie gleich aus. So wie das Labyrinth im alten Knossos, nur ist dieses hier gezackt und nicht viereckig.«
Caesar rief seinen Leibdiener herbei und befahl in ruhigem Ton, seine Toga zu holen. Der verängstigte Mann brachte ihm das weiße Gewand, das Caesar selbst anlegte.
Burgundus kam und fragte ihn, ob sie sich zum Kampf bereitmachen sollten.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Caesar. »Es wäre anders, wenn die Umstände uns etwas günstiger wären, so aber liefe ein Kampf auf Selbstmord hinaus. Wir werden also brav stillhalten, hörst du, Burgundus?«
»Jawohl, Caesar.«
»Dann sage allen, daß ich keine tollkühnen Helden will.« Und zum Kapitän gewandt: »Du meinst, ich finde die richtige Bucht nie wieder?«
»Nie, Senator, glaube mir. Viele andere haben es schon versucht.«
»In Rom hatten wir angenommen, Publius Servilius Vatia habe die Piratenplage ein für allemal ausgerottet, als er die Isaurier geschlagen hatte. Er hat sich sogar als Vatia Isauricus feiern lassen, so erfolgreich war sein Feldzug.«
»Piraten sind wie Stechmücken, Caesar. Man glaubt sie ausgeräuchert zu haben, aber kaum ist die Luft wieder rein, sind sie auch wieder da.«
»So ist das also. Als Vatia, ich meine Vatia Isauricus, der Herrschaft des Piratenkönigs Zenicetes ein Ende setzte, hat er nur ein wenig an der Oberfläche gekratzt, aber das Übel nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Ist das richtig?«
»Ja und nein. König Zenicetes war nur ein Piratenanführer. Und was die Isaurier betrifft« — der Kapitän zuckte mit den Schultern —, »so hat keiner von uns, die wir diese Gewässer befahren, jemals verstanden, warum ein großer römischer Feldherr gegen einen zurückgebliebenen Volksstamm in Pisidien Krieg führt und glaubt, damit das Piratenunwesen auszurotten! Vielleicht haben sich einige Enkel der Isaurier tatsächlich den Piraten angeschlossen, aber eigentlich sind die Isaurier viel zu weit vom Meer entfernt, um sich mit Piraterei abzugeben.«
Inzwischen waren beide Kriegsschiffe längsseits gegangen, und die Piraten begannen das Handelsschiff zu entern.
»Aha, da kommt ihr Anführer!« sagte Caesar kühl.
Ein hochgewachsener, jugendlich wirkender Mann, dessen purpurne tyrische Tunika goldgewirkte Verzierungen aufwies, bahnte sich seinen Weg durch die Piratenhorden an Deck und kam den Aufgang zum Achterdeck herauf. Er trug keine Waffen und machte auch sonst keinen kriegerischen Eindruck.
Caesar wünschte ihm einen guten Tag.
»Täusche ich mich nicht, wenn ich glaube, dem römischen Senator Gaius Julius Caesar, dem Träger des Bürgerkranzes, gegenüberzustehen?«
»Nein, du täuschst dich nicht.«
Der Anführer blinzelte aus hellgrünen Augen und fuhr mit gepflegter Hand durch seine blonde Lockenpracht. »Du bist sehr gelassen, Senator«, bemerkte er. Sein Griechisch ließ vermuten, daß er vielleicht von einer der Inseln der Sporaden stammte.
»Warum sollte ich es nicht sein?« sagte Caesar mit erhobenen Augenbrauen. »Ich nehme an, du wirst mir erlauben, mich und mein Gefolge freizukaufen. Also habe ich nicht viel zu fürchten.«
»Stimmt. Aber gemeinhin schlottern meine Gefangenen trotzdem vor Angst und Schrecken.«
»Dieser Gefangene nicht.«
»Du bist eben ein Kriegsheld.«
»Was soll nun geschehen, äh, ich kenne deinen Namen noch nicht. .. «
»Polygonus.« Der Anführer schaute sich zu seinen Männern um, welche die Mannschaft des Handelsschiffs in eine Ecke und Caesars Gefolge in eine andere zusammengetrieben hatten.
Wie ihr Anführer waren auch die übrigen Piraten aufgetakelte Laffen. Manche trugen Perücken, andere hatten ihr natürliches langes Haar mit der Brennschere in kräuselnde Locken gezwungen. Die einen hatten sich wie Huren geschminkt, andere waren glatt rasiert und gaben sich sehr männlich, aber allesamt waren sie sehr gut gekleidet.
»Was soll nun geschehen?« fragte Caesar nochmals.
»Deine Besatzung lasse ich auf mein Schiff bringan, während ich einen Teil meiner Mannschaft an die Ruder deines Schiffes setze, und dann fahren wir so schnell wie möglich nach Süden. Bis Sonnenuntergang haben wir Knidos hinter uns, fahren aber noch weiter. In drei Tagen bist du in meinem Haus, wo du als mein Gast wohnst, bis dein Lösegeld bezahlt ist.«
»Wäre es nicht einfacher, ein paar meiner Diener schon hier in der Nähe von Bord gehen zu lassen? Ein Leichter könnte sie zurück nach Milet bringen. In so einer reichen Stadt dürften sie keine Schwierigkeiten haben, die nötige Summe zusammenzubringen. Wie hoch ist übrigens mein Lösegeld?«
Der Anführer überhörte die zweite Frage und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das Lösegeld, das wir letztens bekommen haben, stammte aus Milet. Wir verteilen die Last auf die Städte in der Gegend, weil die losgekauften Männer sich manchmal viel Zeit lassen, das Lösegeld an die Gemeinden zurückzuzahlen, die es für sie aufgebracht haben. Jetzt sind Xanthos und Patara an der Reihe, also Städte in Lycia. Wir erlauben dir erst dann, deine Diener auszuschicken, wenn wir Patara erreichen.« Polygonus warf seinen Kopf in den Nacken, damit ihm die Locken frei über die Schultern fielen. »Und was die Summe betrifft: zwanzig Silbertalente.«
Caesar wich empört zurück. »Wie? Zwanzig Silbertalente? Mehr soll ich nicht wert sein?«
»Das ist die übliche Summe für Senatoren, auf die sich alle Piraten geeinigt haben. Für einen Magistraten bist du noch zu jung.«
»Ich bin Gaius Julius Caesar!« sagte der Gefangene selbstbewußt. »Guter Mann, du hast noch nicht begriffen, mit wem du es zu tun hast. Ich bin nicht nur Patrizier, sondern Sproß des Julier- geschlechts. Und wenn du mich fragst, was es heißt, ein Julius zu sein: Nun, es heißt, daß ich über Aeneas von der Göttin Aphrodite abstamme. Meine Vorfahren waren Konsuln, und ich selbst werde, wenn ich das Alter erreicht habe, ebenfalls Konsul sein. Ich bin nicht bloß Senator. Ich bin Träger des Bürgerkranzes — ich spreche im Senat — bei den Sitzungen habe ich meinen Platz in der mittleren Reihe — und wenn ich das Haus betrete, müssen sich alle, auch die Konsulare und Zensoren, erheben und mir applaudieren. Zwanzig Silbertalente sagst du? Ich bin fünfzig Silbertalente wert!«
Polygonus hatte gebannt zugehört. Solch einen Gefangenen hatte er bisher noch nie! So selbstbewußt, so unerschrocken und so hochmütig! Doch irgend etwas gefiel ihm an dem einnehmenden Gesicht dieses jungen Römers. War da nicht ein Zwinkern in seinen Augen? Machte sich dieser Gaius Julius Caesar über ihn lustig? Aber warum machte er sich einen Scherz, der ihn das Doppelte der üblichen Lösegeldsumme kosten würde? Er meinte es ernst, er mußte es einfach ernst meinen. Oder... Nein, er war sich sicher, daß der andere ihm zugezwinkert hatte.
»Sehr wohl, Hoheit, fünfzig Silbertalente ist der Preis!« sagte Polygonus ebenfalls mit einem Zwinkern.
»So ist es recht«, sagte Caesar und kehrte seinem Gegenüber den Rücken.
Nach drei Tagen Fahrt über das Meer, wo ihnen kein Kriegsschiff aus Rhodos oder einer anderen Hafenstadt begegnete, wurde Caesars Gefolge bei Patara an Land gesetzt. Da Polygonus auf seiner Galeere gereist war, hatte ihn Caesar seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr gesehen. Jetzt kam er wieder auf das Handelsschiff und beobachtete, wie Caesars Männer in einen Leichter umstiegen.
»Du kannst sie alle bei dir behalten bis auf einen«, sagte der Piratenanführer. »Ein Mann reicht, um das Lösegeld zu beschaffen.«
»Einer genügt nicht für einen Mann meines Standes«, entgegne- te Caesar kühl. »Ich behalte nur drei Männer als Gefolge: meinen Leibdiener Demetrius und zwei Schreiber. Wenn ich lange auf das Lösegeld warten muß, brauche ich jemanden, dem ich meine Verse diktieren kann. Vielleicht schreibe ich auch ein Schauspiel. Eine Komödie! Ja, Stoff für eine Komödie habe ich hier reichlich. Oder noch besser eine Farce.«
»Wer soll deine Männer anführen?«
»Mein Freigelassener, Gaius Julius Burgundus.«
»Was für ein Hüne! Als Sklave würde er ein Vermögen einbringen.«
»Das hat er früher auch. Er muß unbedingt seinen Neseaner reiten. Und die anderen brauchen auch ihre Reittiere. Sie sollen standesgemäß reisen, darauf lege ich Wert.«
»Hoheit mögen darauf großen Wert legen, und in der Tat sind die Pferde ausgezeichnet, aber eben deshalb behalte ich sie für mich.«
»Das wirst du nicht!« erwiderte Caesar scharf. »Du bekommst fünfzig Silbertalente als Lösegeld, dafür kannst du die Pferde herausgeben. Ich behalte nur Paarzeh für mich, oder sind die Straßen hier gepflastert? Paarzeh ist nicht beschlagen, er kann nicht auf Pflasterstraßen geritten werden.«
»Wirklich«, sagte Polygonus eingeschüchtert, »mit dir ist nicht zu spaßen.«
»Laß die Pferde an Land bringen, Polygonus«, ordnete Caesar an.
Burgundus war gar nicht wohl bei dem Gedanken, Caesar fast ohne Gefolge in der Gewalt dieser Banditen zu lassen, aber er hütete sich, mit ihm darüber zu streiten. Sein Auftrag lautete, das Lösegeld zu beschaffen.
Für Caesar ging die Reise weiter nach Ostlycia, entlang einer Küste, die man sich einsamer nicht vorstellen konnte. Keine Straßen, keine Fischerdörfer, keine menschlichen Behausungen waren zu sehen, nur die schneebedeckten Gipfel der Solyma, deren Vorgebirge steil ins Wasser abfielen. Buchten tauchten unvermutet auf und stellten sich als Einkerbungen in steile Berghänge heraus, ein schmales Band rötlichgelben Sands zu Füßen einer Felswand gleicher Farbe. Aber weit und breit keine Spur von einem Piratennest. Merkwürdig! dachte Caesar, der auf dem Achterdeck stehengeblieben war. Seit sein Schiff die Mündung des Flusses, an dem Patara und Xanthos lagen, hinter sich gelassen hatte, beobachtete er Stunde um Stunde die vorüberziehende Küste.
Bei Sonnenuntergang steuerten die beiden Galeeren und das Handelsschiff, das sie geleiteten, eine der zahllosen Buchten an. Sie fuhren hinein, bis sie am Ufer auf Sand liefen. Erst als Caesar ins seichte Wasser gesprungen und auf unsicherem Grund bis ans trockene Land gegangen war, erkannte er, was vom Wasser aus nicht zu sehen gewesen war. Die Felsklippe im Hintergrund der Bucht bestand aus zwei Felsen, deren Lücke von einer vorspringenden Kante verdeckt war. Dahinter weiteten sich die Felsen und gaben den Blick auf ein schüsselartig daliegendes Tal frei: das Piratennest.
Polygonus schritt mit Caesar durch die Lücke zwischen den Felsen. »Wir haben jetzt noch Winter«, sagte Polygonus gutgelaunt zu seinem Gefangenen, »und mit den fünfzig Talenten, die wir einstreichen werden, können wir uns alle Muße gönnen, statt mit den ersten Frühjahrsstürmen übers Meer kreuzen zu müssen.«
Seine Männer hatten bereits Rundhölzer unter den Bug der Galeeren und des Handelsschiffes gelegt. Caesar und Polygonus schauten zu, wie die drei Schiffe auf den Hölzern über den Strand gezogen und zwischen den Felsen hindurch bis in das versteckte Tal transportiert wurden. Anschließend wurden sie mit Stützen gesichert.
»Macht ihr das immer so?« fragte Caesar.
»Nicht, wenn wir wieder ausfahren, aber das wäre ungewöhnlich. Während wir auf Kaperfahrt sind, kommen wir nicht heim.«
»Ihr habt hier ein wirklich feines Nest!« sagte Caesar anerkennend.
Die Talschüssel erstreckte sich etwa anderthalb Meilen in der Breite und eine halbe Meile in der Länge. In ihrem hintersten Winkel ergoß sich ein dünner Wasserfall von verborgenen Höhen in einen Teich. Ein Fluß wand sich von dort in mehreren Schlingen bis an die Bucht, blieb aber für einen Beobachter vom Meer aus verborgen. Die Piraten oder Mutter Natur hatten für ihn unterhalb des Felsens einen schmalen Kanal als Abfluß gegraben.
Eine wohldurchdachte und solide gebaute Stadt nahm den größten Teil des Tals ein. Drei- und vierstöckige Steinhäuser säumten kiesbestreute Straßen, mehrere mächtige gemauerte Silos und Lagerhäuser standen gegenüber dem Gelände, auf dem die Schiffe auf dem Trockenen lagen. Ein Marktplatz mit Tempel bildete den Mittelpunkt für das gesellschaftliche Leben der Stadt.
»Wie viele Menschen leben hier bei euch?« fragte Caesar.
»Ehefrauen, Konkubinen und Kinder — und Lustknaben für manche Männer — mitgerechnet, etwa tausendfünfhundert. Dazu kommen noch die Sklaven.«
»Wie viele?«
»Schätzungsweise zweitausend. Wir selbst machen keinen Finger krumm«, verkündete Polygonus stolz.
»Es überrascht mich, daß es nicht zu Aufständen kommt, wenn deine Männer auf See sind. Oder sind die Frauen und Lustknaben so gefürchtete Krieger?«
Der Piratenanführer lachte abfällig. »Wir sind keine Narren, Senator! Alle Sklaven gehen ständig in Ketten. Und da ein Entkommen nicht möglich ist, warum sollten sie sich erheben?«
»Mich würde das nicht abhalten.«
»Du würdest gefangen, sobald wir wieder zurück sind. Wir lassen keine Ersatzschiffe hier, mit denen man fliehen könnte.«
»Vielleicht würde ich euch aber gefangennehmen, wenn ihr zurückkämet.«
»Da kann ich dich beruhigen, Senator, wir bleiben alle hier, bis dein Lösegeld ankommt und behalten dich scharf im Auge.«
»Oh!« entfuhr es Caesar. Er machte ein enttäuschtes Gesicht. »Willst du damit sagen, daß ich für euch fünfzig Silbertalente herbeischaffen lassen muß, ohne daß mir in der Zwischenzeit eine kleine weibliche Abwechslung zustünde?«
»Daran soll es nicht fehlen, wenn deine Vorliebe in diese Richtung geht«, kicherte Polygonus. »Wenn du Frauen brauchst, wir haben genug.«
»Habt ihr auch eine Bibliothek in eurer schönen kleinen Stadt?«
»Ein paar Bücher müssen wohl irgendwo herumliegen. Allerdings sind wir keine Gelehrten.«
Die beiden Männer waren nun vor einem großen Haus angekommen. »Hier wohne ich«, sagte Polygonus. »Du wirst hier einquartiert, denn mir ist es lieber, dich in der Nähe zu behalten. Natürlich bekommst du deine eigenen Gemächer.«
»Ein Bad wäre mir jetzt sehr angenehm.«
»Mein Haus steht an Bequemlichkeiten dem Palatin nicht nach. Dein Bad wird sofort gerichtet, Senator.«
»Du kannst mich Caesar nennen.«
»Gern, Caesar.«
Das Gebäude war groß genug, um auch Demetrius und den beiden Schreibern noch Räume neben ihrem Herrn zu bieten. Caesar genoß sogleich sein Bad, das genau die richtige Temperatur, nämlich etwas mehr als lau, aufwies.
»Du wirst mich rasieren und zupfen, solange wir hier warten müssen, Demetrius«, sagte Caesar, während er sich sein helles, leicht welliges Haar kämmte. Er ließ den goldgerahmten und mit Gemmen verzierten Spiegel sinken und schüttelte den Kopf. »Dieses Haus birgt ein Vermögen.«
»Sie haben viele Schätze gestohlen«, bemerkte Demetrius.
»Bestimmt haben sie einen großen Teil der Beute in einigen Häusern versteckt. Längst nicht alle Gebäude sind bewohnt.« Dann begab sich Caesar zu Polygonus in das Speisezimmer.
Das Essen war ausgezeichnet und reichhaltig, der Wein köstlich.
»Du hast einen guten Koch«, sagte Caesar anerkennend.
»Ich stelle fest, daß du im Essen Maß hältst und keinen Wein trinkst«, bemerkte Polygonus.
»Leidenschaft kenne ich nur für meine Arbeit.«
»Wie, nicht für Frauen?«
»Frauen«, entgegnete Caesar, der sich gerade die Hände wusch, »Frauen sind auch Arbeit.«
»Ein solches Urteil über Frauen höre ich zum ersten Mal!« lachte Polygonus. »Du bist ein seltsamer Kauz, der Leidenschaft nur für seine Arbeit kennt.« Er rieb sich den Bauch und roch kennerhaft am Inhalt seines Kristallbechers. »Was das Piratenhandwerk so reizvoll für mich macht, ist das Leben in Luxus, dem ich mich hingeben kann, wenn ich nicht auf Beutefahrt die Meere durchkreuze. Vor allem aber schätze ich einen edlen Tropfen.«
»Auch mir ist der Geschmack nicht unangenehm«, sagte Caesar, »aber ich mag nicht trinken, wenn mein Verstand darunter leidet. Denn schon ein halber Becher verdünnten Weins genügt, um meinem Verstand etwas von seiner Schärfe zu nehmen.«
»Aber du fühlst dich dann den ganzen Tag über, wie du dich schon am Morgen gefühlt hast«, rief Polygonus aus.
Caesar lächelte. »Nicht unbedingt.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, mein Guter, zum Beispiel werde ich am Morgen des Tages, an dem ich mit einer Flotte unter meinem Kommando hierher zurückkomme, stocknüchtern und im Besitz aller meiner Kräfte sein. Ich erobere den Platz und nehme euch alle gefangen. Wenn ich euch dann in Ketten sehe, fühle ich mich gewiß beschwingter als beim Aufwachen am Morgen. Doch das ist noch nicht alles. Am Tag, an dem ich dich kreuzigen lasse, Polygonus, werde ich mich fühlen wie noch nie zuvor in meinem Leben!«
Polygonus brach in Gelächter aus. »Caesar, du bist mit Abstand der unterhaltsamste Gast, den ich je unter meinem Dach beherbergt habe. Vor allem dein Humor ist köstlich!«
»Danke für dieses Kompliment, aber das Lachen wird dir vergehen, wenn du erst einmal am Kreuz hängst.«
»Dazu wird es nicht kommen.«
»Eben doch.«
Polygonus lag hingestreckt auf der Liege, in Purpur und Gold gewandet, Ringe an jedem Finger, glitzernde Ketten um den Hals, und lachte erneut. »Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du auf dem Achterdeck deines Schiffes gestanden und die Küste beobachtet hast? Schlag dir das aus dem Kopf, Caesar, keiner findet hierher zurück.«
»Du schon.«
»Weil ich es schon tausendmal gemacht habe. Bei den ersten hundert Malen habe ich mich immer wieder geirrt.«
»Das glaube ich dir gem. Du bist nicht annähernd so intelligent wie ich.«
Das saß. Polygonus richtete sich auf. »Jedenfalls intelligent genug, einen römischen Senator gefangenzunehmen und ihn um fünfzig Talente ärmer zu machen!«
»Du sprichst von Eiern, die noch nicht ausgebrütet sind.«
»Sollten sie es nicht, dann werden sie hier verfaulen!«
Polygonus hielt es nach diesem Schlagabtausch nicht länger aus und verließ überstürzt seinen Gefangenen, der allein den Weg in seine Gemächer finden mußte. Dort wartete ein sehr hübsches Mädchen auf ihn — eine Gabe, die er zu schätzen wußte, aber erst nachdem er sie zu Demetrius geschickt hatte, um sicherzugehen, daß sie sauber war.