Wie sich herausstellte, war der Zeitpunkt für die Unterredung günstig. Nach dem Verlust ihrer beiden Liebhaber, Marius Junior und Pompeius, war Praecia in Trübsinn verfallen und hatte jegliches Interesse an Männern verloren. Obwohl es ihr gutging und sie unabhängig bleiben wollte, war sie für stürmische Leidenschaften mittlerweile zu alt. Wie so viele ihrer weniger bekannten Geschlechtsgenossinnen, die sich der Liebeskunst verschrieben hatten, hatte Praecia im Laufe der Zeit gelernt, sich zu verstellen. Außerdem war sie eine ausgezeichnete Menschenkennerin und hochintelligent. Sie kannte ihre Überlegenheit und ihr Talent, einen Mann zufriedenzustellen, und sie war sich ihres Opfers sicher. Sie mischte sich gern in Dinge ein, die normalerweise wenig oder gar nichts mit Frauen zu tun hatten, vor allem, wenn es um Politik ging. Das war Balsam für Körper und Geist.

Als ihr Pompeius’ Ankunft gemeldet wurde, beging sie nicht den Fehler, anzunehmen, er sei gekommen, um das Verhältnis mit ihr wiederaufzunehmen, obwohl es ihr in den Sinn kam, weil sie gehört hatte, daß seine Frau schwanger sei.

»Mein lieber, lieber Magnus!« begrüßte sie ihn freundlich, als er ins Zimmer trat, und streckte ihm die Hände entgegen.

Pompeius gab ihr einen flüchtigen Handkuß und setzte sich in einiger Entfernung von dem Sofa, auf dem sie ruhte, auf einen Stuhl. Der zufriedene Seufzer, den er dabei ausstieß, klang so gekünstelt, daß Praecia lächeln mußte.

»Nun, Magnus?« fragte sie.

»Tja, Praecia, wie ich sehe, ist alles perfekt wie immer. Ist bei dir jemals etwas nicht perfekt gewesen, selbst bei einem unerwarteten Besuch?«

Praecias tablinum — sie gab dem Raum denselben Namen, den ihm ein Mann gegeben hätte — war eine hinreißende Schöpfung in zartem Blau und Creme mit genau der richtigen Menge an Goldverzierungen. Sie selbst machte jeden Tag sorgfältig und ausgiebig Toilette, und danach war das Kunstwerk fertig. Heute war sie in ein Gewand aus zartem, graugrünem Stoff gehüllt, und ihr goldenes Haar trug sie hochgesteckt wie die Jagdgöttin Diana, mit ein paar Löckchen in der Stirn. Ihr ebenmäßiges Gesicht war kaum geschminkt; Praecia war viel zu klug, um sich grell zu bemalen, wo Fortuna es doch so gut mit ihr gemeint hatte, auch wenn sie mittlerweile vierzig war.

»Wie geht es dir?« fragte Pompeius.

»Ich bin gesund, aber schlechter Laune.«

»Warum schlechter Laune?«

Sie zuckte die Schultern und schmollte. »Was soll meine Laune denn heben? Du kommst nicht mehr, und sonst kommt auch niemand, der interessant wäre.«

»Ich bin wieder verheiratet.«

»Mit einer recht eigenartigen Frau.«

»Mucia, eigenartig? Ja, vermutlich ist sie das. Aber ich mag sie.«

»Das sieht dir ähnlich.«

Während Pompeius vergeblich nach Worten suchte, um Praecia zu sagen, was er zu sagen hatte, verharrte sie in halb sitzender, halb liegender Pose auf ihrem Sofa und sah ihn mit ihren großen blauen Augen spöttisch an.

»Ich bin es leid!« sagte Pompeius plötzlich. »Ich komme als Abgesandter, Praecia. Ich bin nicht in eigener Sache hier, sondern im Auftrag eines anderen.«

»Wie interessant!«

»Du hast einen Verehrer.« »Ich habe viele Verehrer.«

»Aber keinen wie diesen.«

»Und was macht ihn so anders? Abgesehen davon, daß er es geschafft hat, dich als Kuppler zu mir zu schicken!«

Pompeius wurde rot. »Ich bin entlarvt, und es ist mir peinlich. Aber ich brauche ihn, und er braucht mich nicht. Deshalb bin ich in seinem Auftrag hier.«

»Das hast du bereits gesagt.«

»Laß die spitze Bemerkung! Ich leide schon genug. Es handelt sich um Cethegus.«

»Cethegus! So, so«, säuselte Praecia.

»Er ist sehr reich, sehr verdorben und sehr boshaft. Er hätte die Dreckarbeit auch selbst erledigen können, aber es macht ihm Spaß, mich zu schicken.«

»Es ist sein Preis, dich als seinen Kuppler fungieren zu lassen.«

»Ganz recht.«

»Anscheinend brauchst du ihn wirklich dringend.«

»Gib mir eine Antwort! Ja oder nein?«

»Bist du fertig mit mir, Magnus?«

»Ja.«

»Dann lautet meine Antwort ja.«

Pompeius erhob sich. »Ich dachte, du würdest nein sagen.«

»Unter anderen Umständen hätte ich gern nein gesagt, aber ehrlich gesagt langweile ich mich, Magnus. Cethegus besitzt Einfluß im Senat, und es macht mir Spaß, mit einflußreichen Männern zu verkehren. Außerdem sehe ich darin einen Vorteil für mich. Ich werde es so einrichten, daß diejenigen, die von Cethegus eine Gefälligkeit erwarten, ihre Beziehung zu mir pflegen müssen. Sehr schön!«

»Grr!« brummte Pompeius. Dann verabschiedete er sich.

Er wagte nicht, Cethegus selbst aufzusuchen; statt dessen ging er zu Lucius Marcius Philippus.

»Praecia ist bereit«, sagte er knapp.

»Ausgezeichnet, Magnus! Aber warum bist du so niedergeschlagen?«

»Er hat mich zu seinem Kuppler gemacht.«

»Es war bestimmt nicht persönlich gemeint.«

»Wohl kaum.«

Im Frühjahr desselben Jahres fiel Nola. Fast zwölf Jahre hatte sich die vom samnitischen Glauben geprägte Stadt in der Campania gegen Rom und Sulla behauptet und allen Belagerungen standgehalten, für die hauptsächlich der Konsul Appius Claudius Pulcher verantwortlich war. Folglich schickte Sulla Appius Claudius nach Süden, um Nolas Kapitulation entgegenzunehmen, und Appius Claudius war es ein Vergnügen, dem Magistrat der Stadt Sullas ungewöhnlich harte Bedingungen zu unterbreiten. Wie Capua, Faesulae und Volaterrae mußte auch Nola sämtliche Gebiete an den römischen ager publicus abtreten, und die Einwohner Nolas erhielten nicht das römische Bürgerrecht. Publius Sulla, der Neffe des Diktators, wurde mit der Verwaltung des Gebiets betraut — ein zusätzliches Ärgernis, da Publius Sulla im Jahr zuvor, anstatt die verworrenen Verhältnisse in Pompeji zu ordnen, durch seine schroffe Art die Lage dort nur noch verschlimmert hatte.

Für Sulla jedoch war die Unterwerfung Nolas ein Zeichen. Er konnte ruhig scheiden, auch wenn es den Ort, wo er seine Graskrone erworben hatte, nicht mehr gab. Im Mai und Juni wurde seine Habe langsam, aber stetig nach Misenum geschafft, und eine Kolonne von Bauhandwerkern war damit beschäftigt, die von ihm in Auftrag gegebenen Arbeiten an seinem Landgut fertigzustellen - ein kleines Theater, einen herrlichen Park mit kleinen bewaldeten Tälern, Wasserfällen und Springbrunnen, einen großen Teich und mehrere zusätzliche Räume, die für Feste und Bankette dienen sollten. Ganz zu schweigen von sechs feudalen Gästezimmern, über die ganz Misenum sprach. Ob Sulla wohl beabsichtigte, den König der Parther zu empfangen?

An Quintilis fand Sullas letzte Scheinwahl statt. Zu Catulus’ Verdruß sollte er zweiter Konsul sein; zum ersten Konsul wurde Marcus Aemilius Lepidus bestellt, was niemand erwartet hatte, da dieser seit Sullas Übernahme der Diktatur im Senat eine unabhängige Haltung eingenommen hatte.

Zu Beginn des Monats zog Valeria Messala mit den Zwillingen auf das Landgut in der Campania. In Rom rechnete niemand mit Überraschungen. Sulla würde gehen, wie er gekommen war und wie er regiert hatte — in einer Atmosphäre der Achtung und Förmlichkeit. Rom war im Begriff, seinen ersten Diktator seit hundertzwanzig Jahren zu verlieren, und den ersten Diktator, der länger als sechs Monate im Amt war.

Die ludi Apollinares, die zum ersten Mal von Sullas entferntem Vorfahr abgehalten worden waren, kamen und gingen, ebenso wie die Wahlen. Am Tag nach den kurulischen Wahlen versammelte sich auf dem Forum Romanum eine riesige Menschenmenge um dabei zu sein, wenn Sulla sein sich freiwillig auferlegtes Amt niederlegte. Er wollte dies öffentlich tun, und nicht in der Curia Hostilia des Senats — auf der Rostra, eine Stunde nach Tagesanbruch.

Er tat es mit Würde und beeindruckender Erhabenheit. Zunächst entließ er seine vierundzwanzig Liktoren mit außergewöhnlicher Liebenswürdigkeit und (für seine Verhältnisse) teuren Geschenken. Anschließend wandte er sich von der Rostra herab an die Menge, ehe er sich mit den Wählern zum Marsfeld begab, wo er die Aufhebung des Gesetzes des Flaccus Princeps Senatus überwachte, nach dem er zum Diktator ernannt worden war. Nach der Zenturiatsversammlung ging er, des Imperiums und der offiziellen auctoritas beraubt, als einfacher Bürger nach Hause.

»Ich möchte, daß einige von euch dabei sind, wenn ich Rom verlasse«, sagte er zu den Konsuln Vatia und Appius Claudius sowie zu Catulus, Lepidus, Cethegus und Philippus. »Seid morgen eine Stunde nach Tagesanbruch an der Porta Capena. Nirgendwo anders, wohlgemerkt! Seht zu, wie ich mich von Rom verabschiede.«

Natürlich gehorchten sie ihm aufs Wort. Sulla war zwar jetzt ein privatus ohne Amtsgewalt, aber er war viel zu lange Diktator gewesen, als daß man annehmen konnte, er habe keinerlei Einfluß mehr. Solange er lebte, war Sulla gefährlich.

Alle, die Sulla zur Porta Capena bestellt hatte, kamen, auch wenn seine besonderen Schützlinge — Lucullus, Mamercus und Pompeius — nicht in Rom weilten. Lucullus war mit den Vorbereitungen für seine Spiele im September beschäftigt, Mamercus war in Cumae, und Pompeius sah in Picenum der Geburt seines ersten Kindes entgegen. Als Pompeius später von den Ereignissen an der Porta Capena erfuhr, war er heilfroh, nicht dabeigewesen zu sein. Lucullus und Mamercus hingegen bedauerten ihre Abwesenheit.

Auf dem Marktplatz innerhalb des Tores wimmelte es von Leuten, die ihren verschiedenen Tätigkeiten nachgingen — kaufen, verkaufen, feilschen, unterrichten, herumbummeln, flirten, essen. Natürlich wurden die Männer in den purpurn umsäumten Togen aufmerksam gemustert, und aus allen Richtungen ertönten die üblichen lautstarken Beschimpfungen gegen die Oberschicht. Die kurulischen Senatoren waren jedoch daran gewöhnt und nahmen keine Notiz davon. Sie stellten sich in die Nähe des Torbogens, warteten und plauderten miteinander.

Nach einer Weile erklang Musik — Pfeifen, Trommeln und Flöten vereinigten sich zu einer unverkennbar bacchantischen Weise. Die Menschen auf dem Platz blieben verdutzt stehen und bildeten eine Gasse, um den Zug durchzulassen, der jetzt aus der Richtung des Palatin auftauchte. An der Spitze gingen blumengeschmückte Huren in feuerroten Togen. Sie schlugen Tamburine gegen ihre Handgelenke und streuten Rosenblüten auf den Weg. Ihnen folgten Mißgeburten und Zwerge, die — teils mit bemalten Gesichtern, teils mit Masken — in bunten Narrenkleidern herumhüpften. Nach ihnen kamen die Musiker. Manche waren fast nur mit Blumen bekleidet, andere wie tänzelnde Satyre oder wunderliche Eunuchen herausgeputzt. In ihrer Mitte, umgeben von lachenden, tanzenden Kindern, trabte schwankend ein dicker, betrunkener Esel mit vergoldeten Hufen und einer Rosengirlande um den Hals; seine traurig herabhängenden Ohren ragten aus zwei Löchern in einem geflochtenen Hut mit breiter Krempe. Auf dem Rücken des Esels saß auf einer roten Decke der ebenfalls betrunkene Sulla und schwenkte einen goldenen Pokal, aus dem der Wein schwappte. Sulla trug eine mit Goldstickerei verzierte rote Tunika aus Tyros, und um den Hals und auf dem Kopf hatte er Blumen. Neben dem Esel ging eine schöne Frau, die in Wirklichkeit ein Mann war. Durch sein dichtes schwarzes Haar zogen sich silberne Fäden, und seine unweibliche Gestalt war in ein halb durchsichtiges safrangelbes Frauengewand gehüllt. Er trug einen   großen goldenen Weinkrug, und jedes Mal, wenn Sulla ihm den Pokal hinhielt, schenkte er nach.

Da es auf dem Weg zum Tor bergab ging, kamen die Teilnehmer des Zuges in Schwung und waren nicht zu bremsen. Als der Torbogen unvermittelt vor ihnen auftauchte und Sulla schrie, sie sollten anhalten, kam der Zug so abrupt zum Stehen, daß alle schreiend und kreischend durcheinanderpurzelten. Die Frauen strampelten mit den Beinen in der Luft, so daß man ihre behaarte Scham sehen konnte. Der Esel taumelte und prallte gegen die Mauer eines Brunnens. Sulla schwankte, wurde aber von der Karikatur eines Krugträgers festgehalten und ließ sich schließlich in dessen starke Arme fallen. Nachdem der Diktator sich wieder aufgerichtet hatte, ging er auf die Gruppe der verblüfften Senatoren zu. Als er an einem Paar wild zappelnder, hübscher Frauenbeine vorbeikam, bückte er sich und schob, zum großen Vergnügen und zur sichtlichen Erregung der Frau, seine Hand zwischen ihre Beine.

Während sein Gefolge sich wieder aufrappelte und der Zug sich zur großen Freude der versammelten Menge unter Singen und Tanzen neu formierte, trat Sulla, auf seinen schönen Begleiter gestützt und den Weinpokal schwenkend, vor die Konsuln und begrüßte sie überschwenglich.

»Tacete!« schrie Sulla, und der Gesang und die Musik verstummten. Keiner sprach mehr ein Wort.

»Nun ist er endlich da!« rief er — an wen seine Worte gerichtet waren, wußte niemand genau: Vielleicht rief er sie zum Himmel hinauf. »Mein erster Tag als freier Mann!«

Sulla ließ den goldenen Pokal in der Luft kreisen, und sein rot bemalter Mund verzog sich zu einem strahlenden Lächeln. Sein Gesicht unter der albernen rötlichbraunen Perücke war weiß geschminkt, so daß die Narben nicht zu sehen waren. Die Wirkung war nicht so, wie er vielleicht gehofft hatte, da die roten Konturen seines Mundes in die vielen Falten unter der Nase und am Kinn zerflossen. Aber Sulla lächelte andauernd. Er war betrunken, und es kümmerte ihn nicht.

»Mehr als dreißig Jahre habe ich meine wahre Natur verleugnet«, sagte er zu Vatia und Appius Claudius, die ihn verdutzt ansahen. »Ich habe auf Liebe und Vergnügen verzichtet — zuerst meines Rufes und meines Ehrgeizes wegen und später, als alles seinen Gang nahm, Rom zuliebe. Aber das ist jetzt endgültig vorbei! Hiermit gebe ich euch Rom zurück — euch anmaßenden, schrulligen Männern! Ihr dürft eure Wut wieder an eurem armen Land auslassen, indem ihr die falschen Männer wählt, öffentliche Gelder sinnlos verschleudert, den Blick nicht in die Zukunft richtet und nur euch selbst seht. Ich prophezeie euch, daß ihr und eure Nachkommen Rom in den nächsten dreißig Jahren rettungslos ruinieren werdet.«

Zärtlich berührte seine Hand das Gesicht seines Begleiters. »Jeder von euch, der ins Theater geht, weiß natürlich, wer das ist. Metrobius. Mein Freund, für immer und ewig.« Er drehte sich um, zog Metrobius’ Kopf zu sich herab und küßte ihn auf den Mund.

Sulla bekam einen Schluckauf. Kichernd ließ er sich zu seinem betrunkenen Esel führen und auf dessen Rücken heben. Der bunte Zug formierte sich neu, passierte das Tor und bewegte sich, gefolgt von einer jubelnden Menge, die Via Latina und Via Appia entlang.

Vatia brach in lautes Schluchzen aus, und die Senatoren wußten nicht, wohin sie sich wenden sollten. Schließlich gingen sie einzeln oder zu zweit davon, und Appius Claudius versuchte, den niedergeschlagenen Vatia zu trösten.

»Ich glaube es einfach nicht!« sagte Cethegus zu Philippus.

»Ich denke, es bleibt uns nichts anderes übrig«, meinte Philippus. »Deshalb hat er uns zu dieser lächerlichen Parade eingeladen. Wie sonst hätte er uns von seinen Fesseln befreien können?«

»Uns befreien? Was meinst du damit?«

»Du hast es ja gehört. Mehr als dreißig Jahre hat er seine wahre Natur verleugnet. Er hat mich und alle wichtigen Leute zum Narren gehalten. Und wie vorzüglich hat er sich heute für seine verpfuschte Kindheit gerächt! Rom wurde von einem abnormen Individuum beherrscht, gelenkt und geheilt. Wir wurden von einem Scharlatan betrogen. Wie muß er insgeheim über uns gelacht haben!«

Sulla lachte tatsächlich. Er lachte den ganzen Weg bis nach Misen- um, wohin er sich in einer blumengeschmückten Sänfte tragen ließ, mit Metrobius an seiner Seite und begleitet von einer ausgelassenen Gesellschaft. Er hatte alle auf sein Landgut eingeladen; dort durften sie so lange bleiben, wie sie wollten. Dem Zug hatten sich neben dem Komödianten Roscius und dem Possenspieler Sorex noch viele weniger bekannte Schauspieler angeschlossen. Die lustige Gesellschaft fiel in das neu renovierte Landgut ein, das einst ein passendes Heim für Cornelia, die Mutter der Gracchen, gewesen war, und stürmte ehrfurchtslos die geheiligten Pforten.

»Liber Pater!« rief sein Gefolge und warf ihm Kußhände zu, als er aus der Sänfte stieg, und die Musiker bliesen auf ihren Pfeifen kurze Triller. Sulla, der alles nur noch halbwegs wahrnahm, lachte wiehernd und stieß Freudenschreie aus.

Das Fest dauerte einen Wochenmarkt lang. Es wurde ungeheuer viel gegessen und getrunken, und von den umliegenden Gütern und aus den Dörfern strömten unzählige ungeladene Gäste herbei. Ihr Gastgeber schloß sie ins Herz und ließ sie sexuelle Freuden erleben, die ihnen bislang unbekannt gewesen waren.

Nur Valeria wurde auf eigenen Wunsch von allem ausgeschlossen. Sie hatte sich bei der Ankunft ihres Mannes in ihre Räume geflüchtet, sich eingeschlossen und geweint. Nachdem Metrobius sie überredet hatte, die Tür zu öffnen, meinte er: »Es wird nicht immer so unerträglich sein. Aber er hat sich schon so lange auf dieses Fest gefreut, daß du ihn gewähren lassen mußt. In ein paar Tagen wird er es büßen müssen — er wird sich furchtbar elend fühlen und überhaupt keine Lust mehr haben, im Mittelpunkt zu stehen.«

»Du bist sein Geliebter«, sagte Valeria völlig verzweifelt.

»Ich bin schon länger sein Geliebter, als du Tage erlebt hast«, sagte Metrobius freundlich. »Ich gehöre zu ihm. Das war immer so. Aber auch du gehörst zu ihm.«

»Liebe zwischen Männern ist widerlich!«

»Unsinn. Das haben dir dein Vater, dein Bruder und deine Vettern erzählt. Woher willst du das wissen? Was hast du in der trostlosen Enge und Abgeschiedenheit einer römischen Adligen schon vom Leben erfahren, Valeria Messala? Meine Gegenwart bedeutet nicht, daß er dich nicht braucht, ebensowenig wie deine Gegenwart bedeutet, daß er mich nicht braucht. Wenn du bleiben willst, mußt du dich damit abfinden, daß es in Sullas Leben viele Lieben gab und noch immer gibt.«

»Ich habe keine große Auswahl«, sagte sie wie zu sich selbst. »Entweder kehre ich in das Haus meines Bruders zurück, oder ich lerne, inmitten dieser wilden Horde zu leben.«

»So ist es«, sagte er und lächelte sie verständnisvoll an. Dann beugte er sich zu ihr und streichelte ihren Nacken, als wüßte er, daß dieser von der Anstrengung, das stolze Patrizierhaupt hochzuhalten, schmerzte.

»Du bist viel zu gut für ihn«, sagte sie und wunderte sich über sich selbst.

»Alles, was ich bin, verdanke ich ihm«, sagte Metrobius ernst. »Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich nichts weiter als ein Schauspieler.«

»Nun, anscheinend bleibt mir keine andere Wahl, als mich diesem Zirkus anzuschließen. Aber, wenn du nichts dagegen hast, nicht auf dem Höhepunkt. Ich habe nicht die Kraft oder die Ausdauer für solchen Trubel. Wenn du meinst, er braucht mich, dann sag mir Bescheid.«

Dabei ließen sie es bewenden. Wie Metrobius vorausgesagt hatte, bekam Sulla eine Woche nach Beginn des Gelages Beschwerden, und die Gäste wurden nach Hause geschickt. Der Possenspieler Sorex und der Komödiant Roscius zogen sich in ihre Zimmer zurück, während Valeria, Metrobius und Lucius Tuccius sich um den kranken Sulla kümmerten. Manchmal war er ein dankbarer, manchmal aber auch ein schwieriger Patient.

Nachdem der ehemalige Diktator sich wieder etwas erholt hatte, begann er, seine Memoiren zu schreiben; ein Lobgesang, so erklärte er Valeria und Metrobius, auf Rom und auf Männer wie Catulus Caesar — sowie auf sich selbst —, aber auch ein metaphorischer Anschlag auf Gaius Marius, Cinna, Carbo und deren Anhänger.

Am Ende des alten Jahres und am Ende des Konsulats von Vatia und Appius Claudius hatte sich Sulla in Misenum installiert. Die ganze Villa fügte sich seinen Launen. Für eine Weile schrieb er an seinen Memoiren. Immer wenn ihm eine besonders treffende und bösartige Wendung auf Gaius Marius’ Kosten einfiel, lachte er leise in sich hinein; während er das Buch über den Krieg gegen Jugurtha verfaßte, bereitete ihm der Gedanke Vergnügen, daß er jetzt mit eigenen Worten zugeben konnte, daß Jugurthas Gefangennahme und die erfolgreiche Beendigung des Krieges sein persönlicher Verdienst waren — und daß Marius diese Tatsache absichtlich vertuscht hatte. Danach legte er Feder und Papier beiseite und inszenierte private Komödien und Possenspiele oder gab ein großes Fest, das zuweilen eine ganze Marktwoche dauerte. Dank seiner reichen Phantasie sorgte er stets für Abwechslung. Zu seinem Programm gehörten Scheinjagden mit nackten Knaben und Mädchen als Beute, Wettbewerbe um die bizarrste Stellung beim Geschlechtsverkehr sowie ausgeklügelte Scharaden, bei denen die Teilnehmer sich nahezu beliebig kostümieren konnten. Sulla veranstaltete lustige Feste und Nacktpartys bei Mondschein, oder er lud bei Tag Gäste ein, die entzückt zusahen, wie sich nackte Jünglinge und Mädchen in dem großen Schwimmbecken aus weißem Marmor vergnügten. Sein Einfallsreichtum und seine Vorliebe für Neuheiten sexueller Art schienen unerschöpflich.

Es gab jedoch keinen Zweifel, daß sich Sullas Gesundheitszustand allmählich verschlechterte. Nach der Jahreswende nahm seine Potenz zusehends ab; Ende Februar konnte ihn nichts mehr in Erregung versetzen. Danach sank seine Stimmung rapide.

Seit dem Umzug nach Misenum suchte nur einer seiner hochgeborenen römischen Freunde Sullas Gesellschaft — Lucullus. Er war während des Quintilis mit seinem Bruder in Africa gewesen, um dort das Einfangen wilder Tiere für die Spiele im September persönlich zu überwachen. Als er Mitte des Monats Sextilis nach Rom zurückkehrte, wurde durch Berichte über die jüngsten Ausschweifungen auf dem Landgut in Misenum dem Aufruhr in der Stadt immer neue Nahrung gegeben.

»Ihr alle, die ihr über ihn urteilt, solltet erst einmal vor eurer eigenen Tür kehren«, erklärte Lucullus. »Sulla kann tun und lassen, was er will.«

Aber erst einige Tage nach dem Ende der ludi Romani fand Lucullus Zeit, Sulla zu besuchen. Er traf ihn in einem lichten Augenblick an; Sulla arbeitete an seinen Memoiren und schwelgte in Schadenfreude darüber, was er dem Ruf und den Taten des Gaius Marius damit antat.

»Du bist der einzige, Lucullus«, sagte er, und für einen Moment war in den wäßrigen, schmerzerfüllten Augen eine Spur des alten Sulla zu entdecken.

»Niemand hat ein Recht, dich zu kritisieren!« sagte Lucullus naserümpfend. »Du hast für Rom auf alles verzichtet.«

»Stimmt. Und ich leugne nicht, daß es schwer war. Aber, lieber Freund, wenn ich mich all die Jahre nicht selbst verleugnet hätte, hätte ich an den gegenwärtigen Ausschweifungen nicht halb so viel Freude!«

»Ich verstehe sehr wohl, wo die Reize liegen.« Lucullus’ Blick folgte den Bewegungen eines jungen Mädchens, das gerade vor Sullas Fenster nackt in der Sonne tanzte.

»Du liebst junges Blut, nicht wahr?« Sulla kicherte, beugte sich vor und ergriff Lucullus’ Arm. »Sieh dir lieber ihren Tanz bis zu Ende an. Danach kannst du mit ihr spazierengehen.«

»Was hast du mit ihren Müttern gemacht?«

»Nichts. Ich kaufe sie ihren Müttern ab.«

Lucullus blieb. Und er kam noch oft wieder.

Im März war Sullas Leidenschaft schließlich erloschen, und es war außerordentlich schwierig, mit ihm fertigzuwerden, selbst für Metrobius und Valeria, die gelernt hatten, zusammenzuarbeiten. Irgendwie — sie wußte nicht genau wie — hatte Valeria bemerkt, daß sie schwanger war. Von Sulla, so hoffte sie. Aber sie konnte es ihm nicht sagen, und sie hatte Angst vor dem Tag, an dem ihr Zustand offensichtlich wurde. Es war um die Jahreswende passiert. Lucullus hatte ein paar sonderbare Pilze mitgebracht, die angeblich aus Africa stammten, und die engsten Freunde, darunter Valeria, hatten davon gegessen. Sie erinnerte sich dunkel, daß alle Anwesenden sich mit ihr amüsiert hatten, von Sulla über Sorex bis zu Metrobius. Es war der einzige Vorfall dieser Art gewesen, und als sie sich der entsetzlichen Folgen bewußt wurde, bekam sie Angst.

Sullas Wutanfälle waren schrecklich. Er schrie und tobte stundenlang, und man mußte aufpassen, daß er denen, die ihm in die Quere kämen, keinen Schaden zufügte, angefangen von den Kindern, die als Spielzeug für seine Freunde dienten, bis hin zu den alten Frauen, welche die Wäsche wuschen und saubermachten. Diejenigen, die ihn daran hinderten, wußten nur zu gut, daß sie sich damit selbst in Gefahr brachten.

»Man darf nicht zulassen, daß er Menschen tötet!« rief Metrobius.

»Ich wünschte, er würde sich mit dem, was ist, abfinden«, sagte Valeria unter Tränen.

»Du bist heute irgendwie verändert, Herrin.«

Das war eine unkluge Bemerkung; es brach aus Valeria heraus, und sie erzählte von ihrer Schwangerschaft. Auch Metrobius erinnerte sich daran, was vorgefallen war.

»Wer weiß«, meinte er lachend, »vielleicht bin sogar ich der Vater. Die Chancen stehen eins zu vier.«

»Fünf.«

»Vier, Valeria. Das Kind kann unmöglich von Sulla sein.«

»Er wird mich umbringen!«

»Nimm jeden Tag, wie er kommt, und sag Sulla nichts«, meinte der Schauspieler mit Entschiedenheit. »Die Zukunft ist unerforsch- lich.«

Kurze Zeit später bekam Sulla Schmerzen in der Lebergegend, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Tag und Nacht ging er schleppenden Schrittes das Atrium auf und ab, unfähig zu sitzen, zu liegen oder zu ruhen. Nur in dem Bad aus weißem Marmor neben seinem Zimmer fand er ein wenig Erleichterung, bis der ganze Kreislauf wieder von vorn begann und er das Atrium auf und ab schritt. Er litt solche Qualen, daß er jammerte und wimmerte und daran gehindert werden mußte, seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen.

»Der dumme Kerl, der seinen Nachttopf leert, hat das Gerücht verbreitet, Lucius Cornelius werde von Würmern aufgefressen«, sagte Tuccius, der Arzt, mit verächtlichem Blick zu Metrobius und Valeria. »Offen gesagt, die Unkenntnis der meisten Leute im Hinblick auf die Körperfunktionen und die Symptome einer Krankheit treibt mich fast zum Wahnsinn! Bis der Schmerz anfing, benutzte Lucius Cornelius die Latrine. Aber jetzt braucht er einen Nachttopf, und dessen Inhalt wimmelt von Würmern. Meint ihr, ich könnte den Dienern begreiflich machen, daß Würmer etwas Natürliches sind, daß jeder sie hat und daß sie ein Leben lang in unseren Eingeweiden hausen? Nein!«

»Die Würmer fressen nicht?« flüsterte Valeria. Ihr Gesicht war kreidebleich.

»Nur das, was wir bereits gegessen haben«, erwiderte Tuccius. »Wenn ich das nächste Mal nach Rom komme, werde ich dort sicher dieselbe Geschichte zu hören bekommen. Diener sind die größten Klatschmäuler.«

»Ich glaube, du hast mich beruhigt«, sagte Metrobius.

»Das war nicht meine Absicht. Ich wollte euch nur vor den Geschichten der Diener warnen, falls sie euch zu Ohren kommen. Die Realität ist ernst genug. Sein Urin schmeckt süßer als Honig, und seine Haut riecht nach reifen Äpfeln.«

Metrobius verzog das Gesicht. »Du hast tatsächlich seinen Urin gekostet?«

»Ja, aber erst nachdem ich einen alten Trick angewandt hatte, den ich als Kind von einer weisen Frau gelernt habe. Ich tat etwas von seinem Urin in eine flache Schüssel und stellte sie ins Freie. Alle möglichen Insekten schwirrten herbei und tranken davon. Lucius Cornelius scheidet konzentrierten Honig aus.«

»Und verliert sichtlich an Gewicht«, sagte Metrobius.

Valeria hielt den Atem an und schluckte trocken. »Wird er sterben?«

»Ja«, erwiderte Lucius Tuccius. »Abgesehen von dem Honig — ich weiß nicht, was es bedeutet, nur, daß es tödlich ist — ist seine Leber krank. Zu viel Wein.«

Metrobius’ Augen füllten sich mit Tränen. Seine Lippen zitterten, und er seufzte. »Das war zu erwarten.«

»Was sollen wir tun?« fragte Valeria.

»Abwarten, Herrin.« Sie sahen zu, wie Lucius Tuccius davonging, um sich um seinen Patienten zu kümmern. Dann sagte Metrobius ohne eine Spur von Traurigkeit: »Ich habe ihn so viele Jahre geliebt. Vor langer Zeit bat ich ihn einmal, bei ihm bleiben zu dürfen, auch wenn ich dafür mein angenehmes Leben gegen ein hartes hätte eintauschen müssen. Er lehnte ab.«

»Er hat dich zu sehr geliebt«, meinte Valeria sentimental.

»Nein! Er war in die Vorstellung von seiner patrizischen Herkunft verliebt. Er wußte, was er wollte, und das zählte weit mehr als ich.« Metrobius drehte sich um und blickte sie mit hochgezogenen Brauen an. »Hast du noch nicht begriffen, daß Liebe für verschiedene Menschen verschiedene Bedeutungen hat und daß sie nicht immer im gleichen Maß erwidert wird? Ich habe ihm nie Vorwürfe gemacht. Wie sollte ich auch? Schließlich stecke ich nicht in seiner Haut. Immerhin hat er mich vor seinen Kollegen anerkannt, auch wenn er mich so oft weggeschickt hat. >Mein Freund!< Ich würde alles noch einmal erdulden, nur um zu hören, wie er zu Männern wie Vatia und Lepidus diese Worte sagt.«

»Er wird mein Kind nicht mehr sehen.«

»Ich bezweifle sogar, daß er die Zunahme deines Leibesumfangs noch erleben wird, Herrin.«

Auf den furchtbaren Schmerz folgte eine neue Marotte. Diesmal ging es um die finanzielle Notlage der Stadt Puteoli. Puteoli war nicht weit von Misenum entfernt und wurde von der Familie Granius beherrscht, die dort seit Generationen die Bankgeschäfte führte und viele Schiffe besaß. Ein Beamter der Stadt, der nichts von Sullas Ausschweifungen wußte — geschweige denn von seinen vielen Gebrechen —, suchte um eine Unterredung nach. Er wollte Sulla davon unterrichten, daß ein gewisser Quintus Granius der Stadtkasse eine große Summe schulde, aber die Zahlung verweigere, und Sulla um Hilfe bitten.

Der Name Granius war Sulla ebenso verhaßt wie der Name Gaius Marius. Tatsächlich bestanden zwischen den Marii, den Gratidii, den Tullii aus Arpinum und den Granii aus Puteoli enge verwandtschaftliche Beziehungen; Gaius Marius’ erste Frau war eine Grania gewesen. Deshalb waren mehrere Granii in die Verbannung geschickt worden, und die, die nicht verbannt wurden, verhielten sich ruhig, für den Fall, daß Sulla sich an sie erinnerte. Zu denen, die glücklich entkommen waren, gehörte auch Quintus Granius, der jetzt von einem Trupp Sullaner in Gewahrsam genommen und zu Sulla nach Misenum gebracht wurde.

»Ich bin diese Summe nicht schuldig«, beteuerte Quintus Granius hartnäckig. Seine Haltung verriet, daß er nicht nachgeben wollte.

Sulla saß erhaben in seinem Amtssessel und starrte Granius wütend an. »Du wirst tun, was der Magistrat von Puteoli verlangt! Du wirst bezahlen!«

»Nein. Man soll mich in Puteoli vor Gericht stellen und den Fall untersuchen.«

»Bezahle, Granius!«

»Nein!«

Sulla erhob sich, zitternd vor Wut und die Hände zur Faust geballt. »Bezahle, Granius, oder ich lasse dich hier und jetzt aufhängen!«

»Du magst vielleicht Diktator von Rom gewesen sein«, sagte Quintus Granius verächtlich, »aber heute hast du nicht mehr Autorität als ich und kannst mir nichts befehlen. Geh wieder zu deinen Zechkumpanen und laß Puteoli seine Probleme selbst lösen!«

Sulla öffnete den Mund, um den Befehl zu geben, Granius aufzuhängen, aber er brachte keinen Ton heraus. Ein Schwächeanfall überkam ihn, und ihm war schrecklich übel und schwindlig. Es kostete ihn Mühe, sich aufrecht zu halten, aber er schaffte es, und sein Blick wanderte zu dem Hauptmann der wartenden Sullaner, »Hängt diesen Kerl auf«, flüsterte er.

Noch ehe der Hauptmann etwas tun konnte, öffnete sich Sullas Mund erneut. Er spuckte Blut; es spritzte nach allen Seiten und lief ihm sogar über die schneeweiße, zerfurchte Stirn. Dann kam schon der nächste Schwall. Er würgte schrecklich und spie noch eine dunkelrote Fontäne aus. Während er langsam auf die Knie sank, rannten die Männer vor Entsetzen davon, weil sie meinten, Sulla werde von Würmern aufgefressen.

Wenige Augenblicke später waren Lucius Tuccius, Metrobius und eine bleiche Valeria bei ihm. Sullas Zustand war sehr ernst; er spuckte immer noch Blut. Während sein Geliebter ihm den Kopf hielt, kauerte seine Frau zitternd neben ihm am Boden und wußte nicht, was sie tun sollte. Auf Tuccius’ Befehl hin brachten Diener Handtücher. Mit weit aufgerissenen Augen registrierten sie den Zustand des Zimmers und die schlechte Verfassung ihres Herrn, der würgte, Blut ausspie und zu sprechen versuchte und Metrobius’ blutverschmierten Arm mit beiden Händen wie ein Schraubstock umklammerte.

Keiner kümmerte sich mehr um Quintus Granius. Während die Sullaner sich entsetzt zusammendrängten und ihr Hauptmann versuchte, ihnen Mut zu machen, verließ der Bankier aus Puteoli unbemerkt das Haus, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon.

Es verging eine Weile, ehe Sulla sich so weit erholt hatte, daß Metrobius ihn vom Boden hochheben und aus dem mit Blutspritzern übersäten Zimmer tragen konnte. Die Sullaner machten sich aus dem Staub und überließen es den Dienern, Ordnung in das Chaos zu bringen.

Sulla war die ganze Zeit bei vollem Bewußtsein, und das Schlimmste für ihn war, daß ihm ständig Blut die Kehle hochstieg, auch wenn er nicht würgte. In einem Anfall von Angst und Hilflosigkeit klammerte er sich an Metrobius und starrte mit verzweifeltem, flehendem Blick in das geliebte Antlitz. Nur so konnte er sich noch verständlich machen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er Valerias bleiches, ängstliches Gesicht mit den verblüffend lebhaften blauen Augen und die starre Miene seines Arztes.

Ist das das Ende, fragte er sich, obwohl er es genau wußte. Aber so will ich nicht sterben! Spuckend und atemlos, schmutzig und unfähig, meinen widerspenstigen Körper dazu zu zwingen, die Sache mit Selbstbeherrschung und angemessener Würde hinter mich zu bringen. Ich war der ungekrönte König von Rom. Ich empfing in Nola die Graskrone. Ich war der bedeutendste Mann zwischen Ozean und Indus. Laß mein Sterben all dieser Dinge würdig sein! Laß es keinen Alptraum aus Blut, Sprachlosigkeit und Angst werden!

Er dachte an Julilla, die allein in ihrem Blut gestorben war. Und an Nicopolis, der weniger blutig, aber qualvoller gestorben war. Und an Clitumna, der sich den Hals und die Glieder gebrochen hatte. Metellus Numidicus, puterrot im Gesicht und nach Luft ringend — ich wußte nicht, wie furchtbar das ist! Delmatica, die sich an die Göttin Juno Sospita wandte und seinen Namen rief. Sein Sohn, das Licht seines Lebens, Julillas Junge, der ihm mehr bedeutet hatte als irgend jemand sonst... Auch er war erstickt.

Ich habe Angst. Große Angst! Das hätte ich nie gedacht. Es ist unumgänglich, es läßt sich nicht vermeiden, es ist bald vorbei, und ich werde nie wieder sehen, hören, fühlen oder denken. Ich werde niemand sein. Nichts. Der Tod kennt keinen Schmerz und keine Träume. Er ist ein ewiger Schlaf. Ich, Lucius Cornelius Sulla, der ungekrönte König von Rom, werde sterben und nur in den Herzen der Menschen weiterleben. Denn nur, wenn man von den Lebenden nicht vergessen wird, ist man unsterblich. Bis auf ein kleines Buch habe ich meine Memoiren abgeschlossen. Für künftige Geschichtsschreiber mehr als genug, um ein Urteil über mich zu fällen. Und mehr als genug, um Gaius Marius für alle Ewigkeit zu vernichten. Er hat keine Memoiren geschrieben. Aber ich. Deshalb werde ich gewinnen. Ich habe schon gewonnen! Von all meinen Siegen bedeutet mir der Sieg über Gaius Marius am meisten.

Sulla spuckte noch ungefähr eine Stunde lang Blut und litt schreckliche Qualen. Dann kam die Blutung zum Stillstand, und er erholte sich etwas. Er war bei vollem Bewußtsein und sah Metrobius, Valeria und Lucius Tuccius so deutlich, als sei ihm am Ende der wichtigste aller Sinne zurückgegeben worden, um sein Sterben in den Gesichtern, die ihm am meisten vertraut waren, widerzuspiegeln. Es gelang ihm zu sprechen.

»Mein Testament. Laßt Lucullus kommen. Er soll es nach meinem Tod lesen. Er ist mein Testamentsvollstrecker und der Vormund meiner Kinder.«

»Ich habe bereits nach ihm geschickt, Lucius Cornelius«, sagte der griechische Schauspieler leise.

»Habe ich dir genug gegeben, Metrobius?«

»Immer, Lucius Cornelius.«

»Ich weiß nicht, was Liebe ist. Aurelia sagte immer, ich wisse es, erkenne es aber nicht. Ich bin nicht so sicher. Neulich träumte ich von Julilla und unserem Sohn. Er kam zu mir und bat mich, zu seiner Mutter zu gehen. Da hätte ich es wissen müssen. Aber ich weinte nur. Ihn habe ich geliebt. Mehr als ich mich selbst liebte. Oh, wie sehr habe ich ihn vermißt!«

»Dem wird bald abgeholfen, lieber Lucius Cornelius.«

»Ein Grund, sich auf den Tod zu freuen.«

»Willst du noch etwas?«

»Nur innere Ruhe. Ein Gefühl von... Erfüllung.«

»Du hast Erfüllung gefunden.«

»Mein Leichnam.«

»Dein Leichnam, Lucius Cornelius?«

»Die Cornelii wurden alle begraben. Aber ich will das nicht, Metrobius. Es steht zwar in meinem Testament, aber du mußt Lucullus versichern, daß es mir Ernst damit ist. Wenn mein Leichnam in ein Grab gelegt wird, könnte etwas von Gaius Marius’ Asche darauf liegen bleiben. Ich habe sie verstreut. Das hätte ich nicht tun sollen. Wer weiß, wo sie verborgen liegt und darauf wartet, mich zu beschmutzen? Sie trieb den Anio hinunter und überzog das Wasser wie Staub. Aber als ein Wind aufkam, wurde die noch trockene Asche auf der Wasseroberfläche fortgeweht. Deshalb kann ich nicht sicher sein. Ich muß verbrannt werden. Du mußt Lucullus sagen, daß es mir Ernst damit ist. Meine Asche soll unter einer luftdichten Haube gesammelt werden, damit Gaius Marius nicht an sie herankommt. Anschließend soll sie in ein Gefäß gefüllt werden, das versiegelt werden muß. Ich werde der einzige Cornelius sein, der verbrannt wird.«

»Es wird alles geschehen, wie du es willst, das verspreche ich dir.«

»Laß mich verbrennen, Metrobius! Lucullus soll mich verbrennen!«

»Ja, Lucius Cornelius.«

»Ich wünschte, ich wüßte, was Liebe ist!«

»Aber du weißt es doch, natürlich weißt du es! Aus Liebe hast du deine wahre Natur verleugnet und dich Rom verschrieben.«

»Ist das Liebe? Das kann nicht Liebe sein. Trocken wie Staub. Trocken wie meine Asche. Der einzige Cornelius, der verbrannt und nicht begraben wird.«

Die prallen, geplatzten Blutgefäße in seinem Schlund hatten noch nicht aufgehört zu bluten, und kurz darauf spuckte Sulla wieder stundenlang Blut. Er wurde immer schwächer. In den nur noch seltenen lichten Augenblicken flehte er Metrobius immer wieder an, dafür zu sorgen, daß auch kein noch so winziges Stäubchen von Gaius Marius mit seinen sterblichen Überresten in Berührung kam. Dann fragte er wieder, was Liebe sei und warum er es nicht wisse.

Lucullus kam noch rechtzeitig, um Sulla sterben zu sehen; allerdings konnte dieser nicht mehr sprechen und war nicht mehr bei Bewußtsein. Die eigenartig blaßblauen Augen mit dem äußeren dunklen Ring und den tiefschwarzen Pupillen hatten ihr bedrohliches Aussehen verloren und wirkten fahl und müde. Er atmete so schwach, daß man einen Spiegel vor seinen Mund halten mußte, um zu erkennen, ob er noch lebte. Seine Haut war wegen des hohen Blutverlusts noch blasser als sonst. Aber das Narbengewebe leuchtete dunkelrot, der kahle Schädel hatte an Spannkraft verloren und kräuselte sich wie die vom Wind gepeitschte See, und der Unterkiefer hing herab. Dann ging mit den Augen eine Veränderung vor sich. Die Pupillen weiteten sich, verdeckten die Iris und verschmolzen mit dem äußeren dunklen Ring. Sullas Lebenslicht erlosch, und die Umstehenden starrten ungläubig auf die weit geöffneten Augen, über denen ein goldener Glanz lag.

Lucius Tuccius beugte sich über Sulla und drückte die Lider zu, und Metrobius legte die Münzen darauf, damit die Lider geschlossen blieben. Unterdessen schob Lucullus einen Denar in Sullas Mund, um für die Fahrt in Charons Boot zu bezahlen.

»Er hatte einen schweren Tod«, sagte Lucullus mit beherrschter Stimme.

Metrobius weinte. »Lucius Cornelius hatte es immer schwer. Ein leichter Tod hätte nicht zu ihm gepaßt.«

»Ich werde seinen Leichnam für ein Staatsbegräbnis nach Rom überführen.«

»Das hätte er sich gewünscht. Vorausgesetzt, er wird verbrannt.«

»Er wird verbrannt werden.«

Wie betäubt vor Schmerz schlich Metrobius von dannen und ging zu Valeria, die nicht stark genug gewesen war, um auf das Ende zu warten.

»Es ist vorbei«, sagte Metrobius.

»Ich habe ihn geliebt«, flüsterte sie. »Ich weiß, ganz Rom glaubte, ich hätte ihn aus praktischen Erwägungen heraus geheiratet, um zuzusehen, wie er meine Familie mit Auszeichnungen überschüttet. Aber er war ein bedeutender Mann, und er war sehr gut zu mir. Ich habe ihn geliebt, Metrobius! Ich habe ihn wirklich geliebt!«

»Ich glaube dir«, sagte Metrobius. Er setzte sich neben sie, nahm ihre Hand und streichelte sie geistesabwesend.

»Was wirst du jetzt tun?« fragte sie.

Aus seinen Träumen gerissen, betrachtete er ihre zierliche weiße Hand mit den langen Fingern. Sie erinnerte ihn an Sullas Hand. Nun, sie waren beide Patrizier. »Ich werde fortgehen«, sagte er.

»Nach dem Begräbnis?«

»Nein, ich kann nicht daran teilnehmen. Kannst du dir Lucul- lus’ Gesicht vorstellen, wenn er mich zwischen den Trauernden erblickt?«

»Aber Lucullus weiß, was du Lucius Cornelius bedeutet hast. Keiner weiß das besser als er!«

»Es wird ein Staatsbegräbnis, Valeria. Nichts darf dessen Würde schmälern, am wenigsten ein griechischer Schauspieler mit einem gebrauchten Arsch.« Seine Worte klangen bitter. Dann zuckte er die Schultern. »Offen gesagt, ich glaube nicht, daß Lucius Cornelius mich dabeihaben wollte. Lucullus dagegen ist ein bedeutender Aristokrat. Hier in Misenum konnte er sich einigen seiner weniger bewundernswerten Neigungen hingeben. Er entjungfert gern kleine Mädchen.« Er sah plötzlich blaß aus. »Wenigstens hatte Sulla die üblichen Laster. Über Lucullus’ Untugenden sah er stillschweigend hinweg.«

»Wohin gehst du?«

»Nach Kyrene, in die goldene Provinz.«

»Wann?«

»Heute abend, wenn Lucullus Sulla auf seine letzte Reise geschickt hat und im Haus Ruhe eingekehrt ist.«

»Wie kommst du nach Kyrene?«

»Von Puteoli aus. Es ist Frühling, und es fahren Schiffe nach Africa, oder besser gesagt, nach Hadrumetum. Von dort aus nehme ich mir ein eigenes Frachtschiff.«

»Kannst du dir das leisten?«

»O ja. Sulla konnte mir zwar in seinem Testament nichts hinterlassen, aber dafür hat er mir zu Lebzeiten mehr als genug gegeben. Weißt du, er war schon sonderbar. Bei denen, die er liebte, war er großzügig, obwohl er sonst ein Geizhals war. Das Schlimmste ist, daß er bis zuletzt an seiner Fähigkeit zu lieben zweifelte.« Metrobius hob den Kopf. Seine Augen waren trübe, und er sah Valeria nachdenklich an. »Und du, Valeria? Was ist mit dir?«

»Ich muß zurück nach Rom. Nach dem Begräbnis werde ich in das Haus meines Bruders zurückkehren.«

»Das ist keine gute Idee. Ich habe eine bessere.«

Mit ihren tränenfeuchten blauen Augen sah sie ihn verwirrt an. »Was?«

»Komm mit mir nach Kyrene. Bring dein Kind zur Welt und laß mich sein Vater sein. Es ist mir gleich, wer von uns dich geschwängert hat — Lucullus, Sorex, Roscius oder ich. Aber mir ist eingefallen, daß Lucullus mit von der Partie war, und er weiß ebensogut wie ich, daß Sulla nicht der Vater deines Kindes sein kann. Ich glaube, Rom bedeutet Unheil für dich, Valeria. Lucullus wird dich denunzieren, um dich in Verruf zu bringen. Vergiß nicht, daß du Lucullus nur unter Gleichgestellten bestimmter Praktiken bezichtigen kannst, die seine Kollegen verurteilen würden.«

»Großer Gott!«

»Du mußt mit mir kommen.«

»Sie werden mich nicht lassen!«

»Sie werden es nicht erfahren. Ich werde Lucullus sagen, daß du zu krank seist, um mit Sullas Gefolge zu reisen, und daß ich dich vor dem Begräbnis nach Rom schicken werde. Lucullus ist im Moment zu beschäftigt, um an seine eigene Schwäche zu denken, und er weiß nichts von deinem Kind. Wenn du ihm also entkommen willst, dann jetzt, Valeria!«

»Du hast recht. Er würde mich wirklich denunzieren.«

»Er könnte dich sogar umbringen lassen.«

»Oh, Metrobius!«

»Komm mit mir, Valeria. Sobald er fort ist, verlassen wir dieses Haus. Keiner wird uns sehen. Und keiner wird je erfahren, was mit dir geschehen ist.« Metrobius lächelte gequält. »Ich bin schließlich nur Sullas Freund gewesen. Aber du, Valeria Messala, warst seine Frau und standest weit über mir.«

Aber Valeria war ganz und gar nicht der Meinung, daß sie über ihm stand. Vor Monaten hatte sie sich in ihn verliebt, obwohl sie wußte, daß er diese Liebe nicht erwidern konnte. Deshalb sagte sie: »Ich werde mitkommen.«

Erfreut tätschelte er ihre Hand und legte sie dann in ihren Schoß. »Gut! Bleib solange hier. Lucullus darf dich nicht sehen. Pack ein paar Sachen zusammen, aber nicht mehr, als auf den Rücken eines Maulesels paßt. Sieh zu, daß du nur dunkle, schlichte Kleider mitnimmst und daß deine Umhänge Kapuzen haben. Du mußt aussehen wie meine Frau, nicht wie die Frau von Lucius Cornelius Sulla.«

Er ging davon, und Valeria Messala blickte einer Zukunft entgegen, die ganz anders war, als sie es sich nach Sullas Tod vorgestellt hatte. Obwohl sie nie verstanden hatte, welche Gefahr sie für Lucullus darstellte, wußte sie, daß sie dem Schauspieler zutiefst dankbar sein mußte. Sicher würde es schmerzlich sein, zu sehen, wie Metrobius seine Zuneigung Männern schenkte, während sie sich nach seiner Liebe sehnte, aber schließlich wollte er das Kind als sein eigenes anerkennen, und sie konnte ihm ein Familienleben bieten, das er eines Tages vielleicht mehr schätzte als seine flüchtigen Affären. Ja, das war allemal besser, als von der Angst gequält zu werden, ihn nie wieder zu sehen. Oder als die Endgültigkeit des Todes. Bisher hatte sie geglaubt, sich vor dem kühlen, hochmütigen Lucullus zu Unrecht zu fürchten. Aber jetzt wußte sie, daß es richtig war. Sie erhob sich, sah ihre vielen Kleidertruhen durch und wählte die schlichtesten und dunkelsten Sachen aus. Geld hatte sie keines, aber ihr Schmuck war prächtig. Da Metrobius offensichtlich eine Menge Geld besaß, konnte ihr der Schmuck als Mitgift dienen. Eine Sicherheit für künftige Notzeiten Kyrene! Die goldene Provinz. Das klang wundervoll.