Edel wie Phorms oder

Die glückliche Heather

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Zugegeben, meine Kinder machten und machen ein Brandenburger Bauernabitur. Also eines, bei dem sie schon eine ganze Menge lernen, wie ich finde. Doch es ist ein Abi, das sicher nicht so toll ist wie das ihrer Altersgenossen von der Phorms-Schule. Diese Privatschule gibt es seit fünf Jahren, sie stellt quasi den Porsche Cayenne unter den Bildungsinstituten dar. Bilingualer Unterricht, kleine Klassen, Ganztagsbetreuung, Macs in den Klassenzimmern und neuerdings auch eine Kleiderordnung, die vorsieht, dass sich Schüler und Lehrer in den Schulfarben Rot und Schwarz kleiden. Das passt, Phorms gilt als konservative Kinderschmiede, in die vorn kleine Großstädter reingesteckt werden und aus der hinten leistungsorientierte Opinion leader rauskommen.

Ich tue mal so, als hätte ich noch ein Kind im Vorschulalter vorzuweisen und besuche den Informationstag für Eltern. Vierzehn Erwachsene sind wir, die sich in der Schulkantine treffen – dass ich auf Nachfrage angebe, eine vierjährige Tochter zu haben, die kommendes Jahr eingeschult wird, wundert überhaupt gar niemanden. Wir befinden uns hier im Solvente-ältere-Eltern-Bereich, da wäre so eine späte Geburt nicht weiter verwunderlich. Bis zu 1000 Euro monatlich kostet der Schulbesuch bei Phorms, und dass das für manche der Zuhörer völlig in Ordnung ist, sehe ich an den Budapester-Schuhen, den Maßanzügen der Väter und den leise klickernden BMW-Autoschlüsseln in den manikürten Händen der Mütter. Wer sein Kind bei Phorms anmeldet, hat einfach die Kohle und gut. Pures Upper-class-Understatement.

Zunächst einmal erläutert eine rot-schwarz gewandete Lehrerin das Phorms-Konzept. Von Anfang an wird zweisprachig auf Englisch und Deutsch gelernt, sagt sie, in den Klassen sind nicht mehr als zweiundzwanzig Schüler, die von zwei Lehrern unterrichtet werden, und – ein Hauptgewinn, wenn beide Eltern arbeiten gehen – der Laden ist von morgens bis abends geöffnet. Kommen die vielversprechenden Phorms-Schüler heim, ist alles erledigt, was Eltern kostenfreier Schulen schier um den Verstand bringt: Hausaufgaben, Übungen, Musik, Sport oder die Arbeitsgemeinschaft für die dritte Fremdsprache.

Die rot-schwarze Frau reicht uns dezent gestaltete Faltblätter, die neben den deutschen und englischen Texten Fotos von Kindern an Mikroskopen und Laptops zeigen. Die Botschaft ist klar: Da draußen wartet ein Dschungel auf dein Kind, auf den es optimal vorbereitet sein sollte – wir ziehen das mit euch durch. Yeah. Um Weltläufigkeit und Exklusivität zu kommunizieren, spricht die rot-schwarze Frau andauernd von »unserer Schule, hier am Standort Berlin-Mitte«.

Nichts für ungut, aber das stimmt so nicht. Die Schule befindet sich keineswegs im angesagtesten Ausgehbezirk der Hauptstadt, sondern bereits im Wedding, dem nach Neukölln unangesagtesten Bezirk. Klar, wer will schon für 1000 Euro das Bildungsgesamtpaket buchen, um dann doch festzustellen, dass sein Kind in einer Problemgegend beschult wird. Mit derlei Sorgen will uns die Geschäftsführung nicht belasten und schummelt deshalb ein bisschen bei den Adressangaben. Frau Schwarz-Rot zupft an ihrem breiten Naturseidenschal und zündet nun die nächste PR-Stufe. Von »Skills« ist jetzt die Rede, von »learning support«, von »parent-teacher-conferences« und von »zwei Sprachen, die nur der Anfang sind«.

Tatsächlich können die Master von morgen nach der Grundschulstufe noch Spanisch, Chinesisch oder Japanisch dazuwählen, und wenn sie dann noch Kraft haben, kommen Klavier-, Gitarren- oder Geigenlehrer sowie Judo-, Aikido-, Yoga- und Schachtrainer ins Haus und formen aus Kindern Großmeister. Nie mehr müssen die Eltern ihre Kinder zur Musikschule oder in den Sportverein bringen, nie mehr müssen sie aufpassen, dass Claudius oder Heather üben – das wird alles bei Phorms erledigt. Selbst Scheitern ist im Konzept berücksichtigt. Hier bleibt niemand sitzen, hier wird das »Reifung« genannt.

Ich merke, wie ich sauer werde. Wie das realsozialistisch konditionierte DDR-Bürgerlein in mir wach wird. Muss das denn sein, quengelt es sauertöpfisch – der ganze Luxus, das Anspruchsvolle und Elitäre? Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner? Es brodelt in mir, und es dauert eine ganze Weile, bis ich klar erkenne, was da in mir vorgeht. Ich bin neidisch, ja. Weil ich hier, in der kühlen Aula der Privaten Phorms-Schule, sehr eindrücklich vor Augen geführt bekomme, wie gut Schule sein kann. Aber eben nur für die, die es sich leisten können. Und weil ich weiß, wie meine eigenen Kinder Schule erlebt haben. Nämlich als Angelegenheit, die so gut und unbeschadet wie möglich hinter sich bringen sollte.

In der Grundschule fing es an. Da besuchten beide Kinder eine Einrichtung, die von bösen alten Frauen regiert wurde. Eine von ihnen, die Klassenlehrerin meiner großen Tochter, brachte es fertig, ihren Schülern zu erklären, dass sie ihre Herpes von den dreißig kleinen Scheißern in den Schulbänken hätte, die sich nicht ausreichend waschen würden, weshalb sie sich Tag für Tag ekeln müsse. Beim Elterngespräch trafen wir dann auf eine Frau, die von Erscheinungsbild und Sprachgebrauch her eher den Eindruck machte, die Putzfrau dieser Schule zu sein, und die uns in zwanzig Minuten in schönstem Brandenburgisch darlegte, was sie alles nicht bereit war zu tun: Klassenfahrt, Nachhilfe, Förderunterricht.

Derlei Erfahrungen vergisst und verzeiht man nie. Es sind Geschichten, die später alle guten Erinnerungen überlagern werden. Geschichten von Pädagogen, die das Beste, was man hat, miserabel behandeln: die Kinder.

Wir nahmen die beiden da raus und brachten sie fortan täglich mit dem Auto in eine vier Kilometer entfernte Dorfschule. Fünfzehn Kinder in der Klasse, Wandertage zum nächsten Fischteich, selbst gekochtes Mittagessen, eine gute Hortnerin – das Leben konnte so einfach sein. Aber dann hieß es wieder wechseln. Gymnasium! Ein Respektswort, das einen Ort bezeichnete, der so tat, als sei er was für bildungshungrige Pubertierende, sich aber schließlich doch als stinknormale Schule herausstellte, in der in all den Jahren nie etwas reibungslos funktionierte. Dauerkranke Lehrer, dreckige Klos, eine kaputte Turnhalle, fehlende Lernmaterialien, resignierte, zynische Pädagogen, die seit dreißig Jahren stur denselben Stoff in derselben Darreichungsform anboten. In der Zwischenzeit konnte ihr Staat aufgelöst worden sein oder einer ihrer Schüler sich vor den Zug geworfen haben – die Osmose wollte erklärt sein, egal ob sie gerade wichtig war oder überhaupt begriffen wurde.

Es existiert ein Zeugnis, auf dem meiner Tochter bescheinigt wird, dass sie im neunten Schuljahr weder in Geschichte noch im Fach Politische Bildung benotet werden konnte, weil der dazugehörige Lehrer komplett gefehlt hat. Kein Ersatzlehrer war aufzutreiben gewesen, keine zeitweise Vertretung, kein Konzept, diesem Mangel beizukommen. Eine Draußen-nur-Kännchen-Mentalität von Leuten, die mit Menschen arbeiten und so tun, als zählten sie Schrauben.

Inzwischen ist eine meiner Töchter durch diese Maschinerie durch, die andere sieht einem gnädigen Ende entgegen. Und selbst wenn sie das versemmeln würde, bliebe ich ganz ruhig. All die unsicheren, quälenden Schulkarrierejahre haben aus mir eine Mutter in Duldungsstarre gemacht, die einfach hofft, dass es vorbeigehen möge. Und wenn ich dann in der privaten Phorms-Schule sitze und Frau Schwarz-Rot darüber reden höre, wie spannend, geil und einzigartig das hier für die betuchten Kinder werden kann, dann werde ich schon ein bisschen missmutig.

Aber dann ist sie fertig mit ihrem Vortrag, und tatsächlich kommt Heather und nimmt mich mit. Sie soll Eltern wie mir mal die Schule zeigen. Heather ist zwölf und spindeldünn, sie und ihre kleine Schwester werden jeden Morgen von Mama aus Schmargendorf hierher chauffiert. Mama arbeitet im Ministerium. Heather liebt ihre Schule. Sie zeigt den Kunstraum, die riesige neue Basketballhalle. Sogar den freudlosen Schulhof lobt sie in den höchsten Tönen. Es fällt mir schwer zu begreifen, dass dieses Mädchen Spaß daran hat, zur Schule zu gehen. Ich bin sicher, wenn Mamas Volvo mal kaputt ist, nimmt sie auch morgens um sieben klaglos die U-Bahn, um hierherzukommen, so schön und wichtig ist das hier für sie. Du hast’s gut, Heather, denke ich, jetzt müssten nur noch alle anderen Kinder so eine dolle Schule hingestellt bekommen. Dann würde vielleicht auch endlich mal dieses verdammte DDR-Bürgerlein in meinem Kopf die Klappe halten.