Sexymama oder

Schwanger sein, geil aussehen

Kinderwagen_sw

Sexymama heißt das angesagteste Geschäft für Dickensachen im Prenzlauer Berg. Sexymama, weil Schwangerschaft und Mode einander nicht zwingend ausschließen müssen und weil die Wörter Sexy und Mama hier eine verheißungsvolle Allianz eingehen. Krieg ein Kind, wir helfen dir, trotzdem geil auszusehen.

Gelegen ist Sexymama gleich ums Eck vom Mutti-Hotspot des Prenzlauer Bergs, dem Helmholtzplatz. Also super, direkt zwischen Spielplatz und Macchiatodestille und nur ein paar Häuser von Sibylles Wohnung entfernt, die mir wärmstens empfohlen hat, mir das pränatale Schauspiel auf den Straßen des Prenzlauer Bergs anzusehen. Wer dann hier wie ich Kaffee schlürft, sieht sie vorbeiparadieren, die Armee der dicken Bäuche. Sibylle hat nicht zu viel versprochen. Nur selten ist die Schwangerschaft dieser Formatfrauen wegen voluminöser Wallekleidung erst auf den zweiten Blick zu erkennen, die meisten tragen Körperbetontes, Stretchiges. Ihre dicken Plauzen mit den Bauchnabelstöpseln ragen horizontal ins Straßenbild, obendrauf lagern üppige Brüste, eng geschnürt.

Ich bin unsicher, wie ich das finden soll. Einerseits ist es wirklich gut, dass Frauen ihre Bäuche so selbstbewusst zeigen; andererseits hat dieses Ausgestellte einen heteronormativen, aggressiven Hautgout, als sei das hier so was wie Krieg in den Straßen. Verloren hat, wer gerade nicht im Babygeschäft unterwegs ist – also Kinderlose, Lesben, alte Frauen wie ich. Wir dürfen nicht mitspielen, denn wir sind augenscheinlich weder Mama und schon gar nicht sexy.

Um ehrlich zu sein, ich habe mich innerhalb meiner Reproduktionsphase nicht gerade sexy gefühlt, egal, wie gut ich gekleidet war. Mir war schlecht, ich war fett und picklig, andauernd musste ich pinkeln, und eine Laune der Natur sorgte dafür, dass ich als nicht eben kleine Frau irgendwann in einen obskuren Watschelgang verfiel. Pregnancy waddle heißt diese Fortbewegungsart auf Englisch, was andeuten soll, dass ich wie ein betrunkener Matrose auf schwankenden Planken durchs Straßenbild kreuzte. Hinzu kam bei mir ein Gesichtsausdruck, den ich nicht anders als Kuhblick nennen kann: eine Art, leicht abwesend aus tiefer als sonst liegenden Augen in die Welt zu schauen, die ich auch heute noch bei schwangeren Geschlechtsgenossinnen beobachte.

Versprochen worden war mir etwas anderes. Die einschlägige Ratgeberliteratur verheißt ja jenen Frauen, die sich aufs Kinderkriegen einlassen, gern jugendliche Schönheit, mütterliches Selbstbewusstsein und – wegen der Hormone – grandiosen Sex. Nichts davon ist eingetreten. Hatte ich bis dahin nie Hautprobleme – während der Schwangerschaften schmückten widerliche Pickel mein blasses Gesicht. Die neun Monate waren alles andere als die einer Frau, die weiß, was sie tut, im Gegenteil, mit jeder Woche wuchsen meine Unsicherheit, meine Schusseligkeit und mein Körpergewicht. Und Sex? Lassen wir das, ich brauchte sehr, sehr viel Schlaf.

Klar hatte ich Freundinnen, die bis auf ihren Babybauch rank und schlank blieben, glänziges Haar hatten und jede Menge Lebensfreude ausstrahlten. Frauen, die, kaum war die Geburt vorbei, fragten, wo es denn hier zur nächsten Schwangerschaft gehe, Kinderkriegen sei die einfachste Sache der Welt. Ja, die gab es. Aber wenn ich etwas länger darüber nachdenke, fällt mir genau genommen nur eine einzige ein, die dermaßen geflasht war. Und die hat heute folgerichtig vier Kinder.

Bei mir jedenfalls war es genau andersherum. Besonders peinigend war eine Sonderlaune der Natur, die freundlich »Diastase der Symphysis« genannt wird und im Klartext bedeutet, dass wegen der Hormonproduktion das Schambein höllisch schmerzt. Dagegen kann man nichts machen. Da musste ich durch, und deshalb wurde mein Pregnancy waddle gleich noch ein bisschen schwankender. Schön, attraktiv und sexy war das keineswegs.

Die Frauen, die nun hier und heute mit ihren Premiumbäuchen an mir vorbeiziehen, scheinen derlei nicht zu kennen. Aufrechter Gang und stolzer Blick – wie machen die das bloß? Sexymama weiß es. »Du wirst Mama! Du brauchst deshalb keine Kompromisse einzugehen«, nordet die Dickenboutique auf ihrer Website die Frauen ein, »hier findest du die Sahnestücke von über zwanzig internationalen Designern.« Im Klartext: Du kriegst ein Kind, du fühlst dich wie ausgelutscht – jetzt reiß dich aber mal zusammen! Gib uns dein Geld, wir geben dir dafür das Gefühl, trotzdem heiß zu sein.

Interessant auch das Versprechen, dass alle Verkäuferinnen »selbst bereits Mamas oder gerade schwanger sind«. Mit Verlaub, ich würde eher als Hartz-IV-Beraterin oder U-Bahn-Kontrolleurin arbeiten, als unter diesen Einstellungsvoraussetzungen meine Brötchen verdienen zu müssen. Nur Kolleginnen, die Kinder kriegen oder haben? Worüber reden die da den ganzen Tag, wenn gerade keine Kundinnen im Laden sind? Immer nur über Kinder, die eigenen und die der Kollegin? Oder über die dicken Beine der Kundinnen? Über Rückbildung, Dammnähte und Brustentzündungen? Schlimm.

Warum ist es nicht erlaubt, einfach mal neun Monate scheiße auszusehen, wenn man sich sowieso in dieser Zeit jeden Tag wie durchgemüllert fühlt? Warum müssen Frauen so tun, als sei ihre Schwangerschaft ein Kinderspiel, das sie mal eben zwischen zwei Kreativjobs erledigen? Als wären sie trotz ihres Übergewichts, des schlechten Schlafs und der allgemeinen Verunsicherung im Zusammenhang mit solch einem Megaprojekt auch jederzeit noch das Girl von nebenan – bloß eben gerade mit angeknöpftem Bauch und demnächst auch mit Baby und auf Schlafentzug?

Mutter sein, Frau bleiben – ein schöner Vorsatz. Aber gerade im Familienparadies Prenzlauer Berg lässt sich gut beobachten, wie Ökohedonismus ins Absolute kippt. Alles soll gelingen: Kinder kriegen und haben, dabei bitte geistreich bleiben und gut aussehen. Und das Ganze auch noch bio und natürlich. Gestern erst fuhr ich, vom Ökomarkt am Kollwitzplatz kommend, mit dem Rad ins Wegwarte-Haus. Am Straßenrand stand ein großes rotes Werbeschild: STILKELLER, stand drauf. Eingedenk der vielfältigen Möglichkeiten dieses Bezirks, las ich auf die Schnelle natürlich STILLKELLER. Und was soll ich sagen? Ich war nicht mal irritiert, sondern fand es in diesem Übermütterambiente geradezu folgerichtig, dass es einen Kuschelraum für Stillende geben könnte, der nach marktwirtschaftlichen und bionadösen Prinzipien funktioniert. Aber im Stilkeller, das sah ich auf den zweiten Blick, gibt’s bloß dekorativen Tineff für Leute, die sich ihr Zuhause à la provence einzurichten gedenken. Ich schüttelte mich kurz, zog von dannen und überlegte, ob es nicht in diesem Laden handgeklöppelte Still-BHs geben sollte. Aber die bietet vermutlich schon Sexymama an. Da gehe ich doch mal nachgucken.

Und tatsächlich gibt es bei Sexymama BHs. Allerdings keine handgeklöppelten, sondern eher, dem Geschäftskonzept folgend, sexy Teile. Dirndlartig karierte, baumwollbespitzte, busenstützende – und natürlich mit Stillklappe. Die Röcke für schwangere Elfen gibt es ab 60 Euro, T-Shirts mit viel Bauchraum um die 30, Kleider kosten 70 und mehr. Tatsächlich sehen die Sachen gut aus, und während ich mich so durchwühle und gucke, werde ich von der freundlichen Verkäuferin gefragt, ob sie mir helfen könne. Ich reagiere unsouverän, fühle mich ertappt im Mamiland und sage wahrheitsgetreu, dass ich nicht schwanger bin und nur mal gucken will. Sie wendet sich milde lächelnd ab, das Ladentelefon hat geläutet. »Sexymama, guten Tag?«, sagt sie in den Hörer. Ich bin ganz gerührt, denn sie spricht das sexy aus wie meine Mutter, gebürtig aus Dresden: sächsi. Toll.

Ich trolle mich. Gleich nebenan gibt es ein Restaurant, wo ich lauwarme, frisch gerollte Sushi esse. Ich setze mich, nippe am grünen Tee und gehe in mich. Sag mal, frage ich mich, kann es sein, dass du neidisch bist? Dass aus dir eine stutenbissige Altmutter geworden ist, die dem jungen Gemüse missgönnt, dass schwanger zu sein heute nicht mehr bedeutet, schlecht auszusehen?

Ich ziehe einen Flunsch und schweige bockig.

Na komm, gebe ich mir einen Schubs, gib’s doch einfach zu! Die Frauen in den schönen Kleidern können doch nichts dafür, dass es für dich früher nur hässliche Kittelkleider gab, in denen du wie eine Tonne auf Rollen ausgesehen hast.

Naja, nuschele ich kleinlaut, könnte was dran sein.

Also, ein bisschen mehr Frauensolidarität, ja? Aber pronto!

Ja, ja, ja, ist ja gut, murmele ich. Da betreten wie aufs Stichwort drei sexy Mamas den Sushiladen und setzen sich direkt an den Nebentisch. Sie sehen wirklich heiß aus in ihren kurzen Röckchen unter den dicken Bäuchen, mit ihren knallrot geschminkten Lippen und den verwuschelten Haaren. Ich gebe mir mächtig Mühe, nur positiv und frauensolidarisch zu fühlen, als die schönste der drei den Mund aufmacht und zu erzählen anhebt: »Also, der Oliver hat ja jetzt diesen geilen Job im Bundespresseamt, unbefristet. Aber dafür muss er richtig ran, und deshalb hat er mir gestern gesagt, dass er die Vatermonate knickt. Erst war ich ein bisschen sauer, ich wollte doch die Heilpraktikerinnen-Ausbildung noch fertig machen. Aber dann hab ich gedacht: Ach, warum eigentlich nicht? Ich bleib dann erst mal ganz zu Hause mit Lilly. Wozu hab ich denn ein Kind, wenn ich es von fremden Leuten betreuen lasse? Und der Olli, dem macht die Arbeit richtig Spaß da. Mal sehen, vielleicht krieg ich ja dann gleich noch ein Baby, wär schon schön, so eine richtige komplette Familie …«

Ich weiß, das klingt wie ein schlechter Geschlechtertraum. Aber das, liebe Leser, kann man leider einfach nicht erfinden. Genauso ist es passiert. Und ich dachte: Verdammt, ich war nur Millimeter davon entfernt, euch gern zu haben.