Nachtschwarze Kinderwagen oder

Depressive Armada im Hochpreissegment

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Als ich ein junges Mädchen war, das aufgrund neu hinzugetretener körperlicher Funktionen feststellen musste, dass es nun von Mutter Natur tatsächlich in die Lage versetzt worden war, Kinder auszutragen, gingen mir vor allem stilistische Fragen durch den Kopf. Die Idee, dass Kinderkriegen etwas mit einem Baby zu tun haben könnte, um das ich mich dann Tag für Tag kümmern müsste, wurde verdrängt von der Frage, wie mir das Muttersein dereinst stehen würde, wie ich aussehen und was ich zu diesem Zweck anziehen und anschaffen würde.

Zu dieser Zeit, so mit fünfzehn, sechzehn Jahren, gehörte ich zu jenen Girls, die sich schwarz kleideten, schwarze Wimperntusche in rauen Mengen verbrauchten und sich hin und wieder im elterlichen Badezimmer das Blondhaar schwarz färbten, was dann sehr unvorteilhaft wirkte. Ich erinnere mich an ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter – also mir. Wir waren gerade in der Küche, meine Mutter bereitete das Abendbrot vor, und ich saß, meine schwarz lackierten Fingernägel abkauend, auf dem Mülleimer. »Wenn ich mal ein Kind habe, will ich einen schwarzen Kinderwagen«, tönte ich. »Das«, sagte meine Mutter, »wird es niemals geben. Schwarze Kinderwagen – darauf kannst du bis in die Steinzeit warten. Man legt Babys nicht in Särge.«

Meine Mutter ist eine kluge Frau. Schon oft hat sie mir gute Ratschläge gegeben, vielfältige Lebensbereiche betreffend. Aber in der Kinderwagenfrage hat sie sich absolut geirrt. Im Prenzlauer Berg kreuzen heute ganze Geschwader schwarzer Kindersärge auf Hightechgestellen. Drin liegen Babys, die wiederum nichts als schwarz sehen. Denn ein gemeiner Designer hat die Wagen innen mit dunkelgrauem Baumwollbezug versehen. Ich hoffe, dass diese kleinen Dinger – aus dem dunklen Mutterbauch ins Licht geboren – froh drum sind, dass es in ihrer Kutsche genauso duster ist, wie sie es von Anbeginn kennen.

Davon mal abgesehen, frage ich mich: Tut das not? Welche Idee steckt dahinter, Kinder in Wagen zu betten und zu setzen, deren Farbe doch eher für Cocktailkleider, Hochzeitsfräcke und Beerdigungsanzüge gedacht ist? Um mehr darüber zu erfahren, besuche ich einen der angesagtesten Läden. Zehn Filialen in neun Städten, Slogan: »… richtig gutes kinderzeug«. Kleinschreibung wie bei der RAF. Sibylle hat mir davon erzählt, dort, sagte sie, gebe es alles, was man für Kinder brauche. Und dann auch noch alles, was man nicht brauche, vorausgesetzt, man ist der gleichen Meinung wie sie, dass Kinder nicht jeden Schnickschnack haben müssen.

Und wirklich, da stehen sie, die Kinderwagen: sechs nachtschwarze und einer in fast schon flippigem Dunkelolivgrün. Eine depressive Armada im Hochpreissegment. Warum, frage ich den netten Verkäufer, gibt es keine bunten Kinderwagen mehr? Er, selbst Vater von vier Kindern, fragt sich das ehrlich gesagt auch. Letztes Jahr, erzählt er, habe eine der angesagten Firmen eine Musteredition herausgebracht, sehr cool und bunt. Drei Stück haben sie davon angeboten, Gott sei Dank nur so wenige, denn es sei wirklich schwer gewesen, »die an den Mann zu bringen«.

Seine Formulierung führt mich zu der Frage, ob möglicherweise vor allem die Väter über Kaufen oder Nichtkaufen bei Kinderwagen entscheiden. Ob es nicht vielleicht so ist, dass Männer, die wegen einer kurzen sexuellen Unachtsamkeit künftig gezwungen sind, ihre Hände auf die Buggystange statt aufs Lenkrad eines Autos oder Rennrads zu legen, beim Kinderwagenerwerb instinktiv Richtung Schwarz neigen. Wenn’s geht, kauft man sich ja auch eher einen schwarzen Golf statt eines gelb geblümten, nicht wahr?

Abwegig ist der Gedanke nicht. Schaut man sich die Preise der Kinderwagen an, tendieren die mitunter schon in die Richtung eines kleinen Gebrauchtwagens, den man noch mal zehntausend Kilometer runterrocken will. Die Qualitätsgefährte für den innerstädtischen Nachwuchs tragen Namen, als solle man mit ihnen die Rallye Paris–Dakhar fahren oder einen südamerikanischen Sechstausender bezwingen. Oder – wenn das nun schon aufgrund überraschender Elternschaft perdu ist – wenigstens einen City-Marathon laufen. Urban Jungle heißen die Wagen, Phil & Teds Explorer, Terrain Jogger oder Easy Walker Sky Plus. Das soll vermutlich rechtfertigen, dass die Dinger so dermaßen teuer sind.

Der Urban Jungle zum Beispiel kostet mal eben 630 Euro, und zwar ohne Babytasche, in die das Neugeborene gelegt wird. Die kostet noch mal 190 Eisen. Macht 820 Euro. Aber das ist nur die Grundausstattung. Man kann das vergleichen mit diesen ärgerlichen Fahrradkäufen, wo zwei Felgen und ein Rahmen 600 Euro kosten und man feststellen muss, dass es weder Licht noch Schutzbleche oder einen Gepäckträger gibt. Auch der Urban Jungle ist bei 820 Euro längst nicht komplett. Die wichtige Sitzeinlage für die Buggyvariante kostet 51 Euro zusätzlich, der Fußsack für kalte Tage 93, der Sonnenschirm 37 Euro. Das Suncover genannte Moskitonetz für 51 Euro sparen wir uns mal, und den Latte-macchiato-Halter für 15 Euro wünschen wir uns zum Geburtstag. Aber dass auch eine Luftpumpe für 11 Euro angeboten wird, macht stutzig – ist es etwa möglich, dass ich bei Anschaffungskosten von 1000 Euro einen Platten riskiere?

Eine andere Frage, die sich stellt, ist: Was kann das Teil Besonderes, das diesen Preis rechtfertigt? Ich studiere eingehend die Produktbeschreibung. Aha, der Urban Jungle kann sowohl als Babykutsche als auch als Kinderkarre verwendet werden. Normal. Außerdem? Die Babywanne lässt sich als Reisebett nutzen. Mit Verlaub, aber das regeln Eltern von Neugeborenen seit hundert Jahren so, und zwar auch mit preiswerteren Modellen. Die Abdeckung ist abnehmbar? Wow! Und die Wanne kann ganz einfach ins Gestell eingeklipst werden? Aber hallo! Es gibt den Urban Jungle in verschiedenen Farben? Gute Idee. Aber letztlich steht und rollt der Wagen ja doch wieder in Schwarz, Anthrazit, bestenfalls noch in Olivgrün durch die City. Pures Understatement, ratenfinanziert. Wer kann sich so etwas leisten?

Die Preise, die Hightechsprache, das Design – alles lässt darauf schließen, dass die solventen Eltern die Anschaffung eines Kinderwagens heute nicht als Vergnügen, sondern eher als Investition in ein ganz persönliches Projekt ansehen. Als ein Unternehmen, das ihnen dringend gelingen muss und das sie mit gutem Design zu beschwören versuchen. Dieser Erfolgsdruck, der sich in teuren Ausstattungsgegenständen ausdrückt, die die NASA entwickelt zu haben scheint, mag wiederum daran liegen, dass Kinderkriegen zwar gesellschaftlich gewollt wird und Mutterschaft – in Deutschland zumal – als sozialer Fetisch gilt. Andererseits aber ist Familiengründung noch immer im Konkreten ein logistisches Kamikazeunternehmen.

Reden wir hier nicht von Übermüdung und fehlendem Sex nach der Geburt. Nein, reden wir von den Bedingungen. Wer die Frauen sieht, die im dritten Schwangerschaftsmonat von Kita zu Kita ziehen müssen, um sich dort casten zu lassen, wer die überfüllten Spielplätze kennt, das Fehlen der Omas und Opas im Straßenbild, die Unwilligkeit von Unternehmen, Mütter einzustellen, der weiß: Es bleibt schwierig. Und damit es nicht so schwierig aussieht, wie es ist, möbeln die Eltern wenigstens das Gesamtbild auf.

Dass die Fassade stimmen muss, war natürlich schon immer so. Als ich einst unter den etwas beengten volkswirtschaftlichen Bedingungen der Deutschen Demokratischen Republik nach einem Wagen für mein bald zu gebärendes Kind Ausschau hielt, war auch das eine Entscheidung von größter Wichtigkeit. Es gab damals ganz grauenhafte riesige Kinderwagen, die heute auf dem Vintage-Markt vermutlich sensationelle Preise erzielen. Außen waren sie entweder mit einer Art Sofastoff oder mit Gummi bezogen, manche verfügten auch über Guckfenster an den Seiten oder Bordüren mit Troddeln am Verdeck. Mochte ich nicht, so etwas sollten mal schön die Muttis kaufen – ich war eine Schwangere mit Geschmack. Und tatsächlich, ganz kurz vor der Geburt fand ich gebraucht einen dunkelroten Wagen mit weißem Gestänge ohne jeden Schnickschnack. Da hinein legte ich das Kind und schaukelte es durch Ostberlin. Okay, der Wagen war nicht schwarz und das Gestänge kein Aluminium – aber ja, so wie den Eltern von heute war es mir schon damals sehr wichtig, dass die Gesamterscheinung stimmte. Und es war mir dann schließlich auch ganz egal, dass meine kluge Mutter mal wieder recht behalten hatte: Schwarze Kinderwagen würde es nie geben. Jedenfalls noch nicht.