Abenteuer Baugruppe oder

Die mitgebrachte Kleinstadt

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Nadja hat es getan. Sie hat einen Haufen Geld auf den Tisch gelegt, einen Kredit aufgenommen und einen dicken Vertrag unterschrieben. Nadja zieht demnächst in den Prenzlauer Berg. Mit ihrem Mann und den beiden kleinen Söhnen ist sie Mitglied in einer Baugruppe geworden. Private Baugruppen sind gerade das Must have für all jene, die einfach zu spät hergekommen sind, um noch eine bezahlbare Wohnung zu finden. Baugruppe – das klingt nach Genossenschaft, nach gemeinsamem Steineschleppen, Grillabenden und Schwätzchen im Gemeinschaftsgarten. Aber so ist es eher nicht. Der schöne Begriff umschreibt letztlich doch nur das gemeinsame Schaffen von Wohneigentum: zahlen und einziehen. Aber das traut man sich hier, wo nächtens schon mal die Familiengeländewagen brennen, nicht mehr zu sagen.

Ich treffe mich mit Nadja. Wir sitzen in der Sonne, trinken Chai latte und reden darüber, was eigentlich so schlimm sein soll an Leuten wie ihr. Was Leute wie ich Menschen mit Kindern, die hierher in den Prenzlauer Berg oder in andere familienoptimierte Wohnlagen ziehen, genau vorzuwerfen haben. »Was mache ich denn bitte schön falsch, wenn ich für mich und meine Kinder ein gutes Leben haben will, und zwar zusammen mit Leuten, die mir erst mal sympathisch sind?«, sagt Nadja. Gute Frage. Während wir reden, ziehen wie auf Knopfdruck Wagen um Wagen Macchiatomütter vorbei. Gut sehen die meisten aus, schöne Frauen mit schönen Kindern an einem schönen sonnigen Tag. »Ihr seid einfach zu viele«, sage ich zu Nadja, »entschieden zu viele. Die Idee, Kindern als Mitmenschen eine wichtige Rolle einzuräumen, ist immer noch gut, ja. Aber inzwischen ist das gekippt, jetzt gibt es hier keine Erwachsenen mehr, sondern fast nur noch Erwachsene mit Kindern. Und wer nicht in eurem Klub ist, wer vielleicht auch nicht andauernd Rücksicht auf eure Bedürfnisse nehmen will, dem schlagen Ablehnung und Besserwisserei entgegen.«

Nadja ist ratlos. Nicht dass sie sich nicht auch andere Wohngegenden in Berlin angeschaut hätte. Steglitz – zu weit weg und zu bürgerlich; Mitte – zu teuer und zu touristisch; Friedrichshain – schlicht zu schmutzig. Am Ende lief es doch auf den Prenzlauer Berg hinaus, auf gute Bedingungen für gebildete Menschen mit ihren vielversprechenden Kindern. Nadja erzählt von der Baugruppe, von ihren »Mitstreitern«, wie es so schön auf deren Website heißt. Grad neulich hätten sie zusammen Karneval gefeiert. Das sei ein wunderbarer Abend gewesen. Die meisten in der Baugruppe kommen aus dem Rheinland, das hat sich bei den Treffen herausgestellt, und was liegt näher, als die heimischen Bräuche zu pflegen? Sie haben gefeiert und es nach Rheinländer Art krachen lassen, herrlich!

»Gibt’s auch Konflikte?«, frage ich. Die gibt es sehr wohl, konnten bisher aber alle gut gelöst werden, meint Nadja. Da hatte sich zum Beispiel ein leitender Mitarbeiter eines nicht korrekten Energieanbieters beworben. Schnell wurde er gegoogelt, und es stellte sich heraus, dass der brave Mann einer sehr alten, sehr konservativen schlagenden Verbindung angehört. Der wurde abgelehnt. Also nichts gegen Bürgerlichkeit – aber das hier ist schließlich Berlin, seine Gelage und sein Geschlage kann der Mann anderswo, aber nicht in der schönen lustigen Baugruppe abhalten. Zweiter Konfliktpunkt: Tiere. Hunde sind ganz schlimm dort, wo es Kinder gibt. Nadja selbst hat eine ordentliche Hundephobie, da gibt’s nix. Und sie hat sich in den Teilungsvertrag zusätzlich reinschreiben lassen, dass in der Wohnanlage keine Schlangen gehalten werden dürfen. Eine andere Miteigentümerin bittet darum, auf Spinnen zu verzichten. Sind so viele Ängste!

Den sich bewerbenden Hundehaltern haben sie natürlich nicht direkt gesagt, dass sie nicht erwünscht sind, das wurde anders geregelt. Die »Mitstreiter« haben über den betreuenden Anwalt ausrichten lassen, dass vierbeinige Freunde auf den Gemeinschaftsflächen unerwünscht sind. »Gemeinschaftsflächen?«, frage ich. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um alle Wege und Treppenhäuser, den Garten, den hauseigenen Spielplatz und die für alle zugängliche Dachterrasse handelt. Also im Grunde müssten die Hundehalter ihr Tier an der Gartenpforte anleinen, ihm einen Maulkorb verpassen und es dann gesenkten Blickes in die geschlossenen Räumlichkeiten abführen. Wie erwartet, nahmen die Kaufinteressenten Abstand. Das war wirklich besser so. Wo Kinder leben – und in Nadjas Baugruppe werden bald viele, viele Kinder leben –, müssen sich die anderen halt nach der Mehrheit richten. Das ganze Projekt ist schon teuer genug, da muss dann auch wirklich alles stimmen: die Machtverhältnisse, die Hausordnung, die Rollrasensorte.

Es ist keineswegs so, dass die Baugruppe nur Freunde hat. Vor dem Grundstück hat das Architekturbüro eine Plakatwand aufstellen lassen, um den Nachbarn kundzutun, dass hier bald alles noch schöner, noch familiärer wird: »Hier baut die Baugruppe 15 neue Eigentumswohnungen«, steht darauf. »Und für wen?«, hat ein Anwohner mit Edding dazugeschrieben. »Den Bezirk den Menschen, nicht den Finanzhaien! Gegen westdeutsche Siedlungspolitik.« So etwas ließen sich die Investoren in der Familiengründungsphase natürlich nicht zweimal sagen, sie schrieben ihre Antwort so daneben, dass es auch der letzte Kapitalismuskritiker versteht: »Blödsinn. Dies ist ein Baugruppenprojekt. Dies bedeutet, fünfzehn Familien (=Bauherren) beschließen, selbst ein Haus zu bauen. Nix westdeutsch. Nix Finanzhai.« Dass die kleinste Wohnung mit 115 Quadratmetern nicht gerade das ist, was man unter sozialem Wohnungsbau versteht, haben sie nicht hingeschrieben. Auch nicht, dass der preiswerteste Quadratmeter ab 2200 Euro zu haben wäre. Aber hey, Baugruppe, das klingt doch nach Kollektiv, das sollten die Ostler doch kennen, oder?

Nadja wird es natürlich trotzdem gefallen. Bald werden auf dem angekauften Baugrundstück die Erdarbeiten abgeschlossen, der Kran mit dem Rammstein verschwunden sein. Wer den Bauplatz dann passiert, sieht nur noch eine dezent grau in grau gehaltene Glas- und Stahlfassade. Das, was sich dahinter verbirgt, die provinzielle, gemütliche Welt der »Mitstreiter«, ist durch ein kniffliges codiertes Türschloss unsichtbar gemacht. Und wenn sie Glück haben, fällt ihr Hausprojekt keinem schwarz gewandeten Gentrifizierungsgegner auf, und die schöne Fassade bleibt frei von Farbbeuteln und Graffiti.

Nadja kommt aus einer gemütlichen kleinen Stadt. In etwa so, wie sie das von zu Hause kennt, wird es in der Baugruppe wieder sein. Schmale, hohe Häuschen, in denen jene leben, die es gepackt haben. Man wird weiter zusammen Karneval feiern, keine Hunde mögen, die Kinder werden sich anfreunden und auch mal streiten. Und in zehn, fünfzehn Jahren, wenn auch die ersten Baumängel auftreten, sind sie alle miteinander alt und haben erwachsene Kinder.

Da werden sie sich dann auf der Gemeinschaftsfläche neben dem verwaisten Spielplatz treffen und Gespräche wie jene führen, die auch ich aus meiner kleinen Kleinstadt kenne: »Na, wie geht’s denn Lasse/Robert/Nick? Ach, der studiert jetzt in Köln! Und ’ne feste Freundin hat er auch? Toll, pass bloß auf, dass du nicht bald Oma wirst.« Diese Gespräche sind das sichere Zeichen dafür, dass die Familienphase beendet ist. Und sie sind alles andere als erfreulich. Am Ende einer gemeinsamen Zeit, wenn alles getan und erreicht ist und die Kinder durchs Abi geschifft wurden, zeigt sich, was uns als Weggefährten noch verbindet. Wenn’s nur die Kinder sind, wenn sie der Lebenszweck und die einzige Freundschaft gewesen sind, sieht’s schlecht aus. Aber noch – hier und jetzt – riecht für Nadja alles nach Aufbruch. Nach Gemeinsinn, Gleichheit und dem Abenteuer Kleinstadt in der Großstadt. Und ich kann’s ihr nicht verübeln. Sie will exakt das, was sie gesagt hat: ein gutes Leben für sich und die Kinder, gemeinsam mit Leuten, die ihr erst mal sympathisch sind. Hoffentlich haut das hin.