Es ist so weit. Clare hat einen Mann kennengelernt. Er ist nicht gerade das, was ich mir für sie erträumt hatte. Als ich Samstag vom Schwimmen nach Hause kam, saß er in der Küche auf meinem Stuhl, hatte die Arme über den Tisch gebreitet und den Kopf daraufgelegt und hörte sich die Fußballübertragung an, eine offene Dose Carlton-Bier aus meinem Vorrat neben sich. Von Clare oder Stubby war weit und breit nichts zu sehen. Er hob nicht einmal den Kopf vom Tisch, als ich die Küche betrat, sondern wandte nur den Blick in meine Richtung, sein rechtes Auge lugte unter dem Schirm einer Baseballkappe hervor.
»Ich bin Clares Vater«, sagte ich etwas argwöhnisch.
»Hi«, sagte er.
»Wer gewinnt?«
»Wir. Psst!«
Später erklärte mir Clare: »Er ist ein glühender Fan der Hawthorn Hawks, Dad. Sei ihm nicht böse. Er wollte nicht unhöflich sein.«
Ich war noch nie bei einem Fußballspiel. In meinen Büchern spielt Fußball nicht die geringste Rolle. In Melbourne erzählt mir jeder, den ich kenne, dass mir auf diese Weise eine der emotional intensivsten Erfahrungen des Lebens entgeht. Aber ich gehe trotzdem nicht hin.
»Und was macht Robin beruflich?«, fragte ich.
»Stand-up-Comedy. Er tritt als Komiker in Clubs auf.«
Ich war zutiefst schockiert.
»Lass ihn bloß in Ruhe, Dad.«
Er ist jünger als Clare. Das gibt mir zu denken. Wie soll das in zwanzig Jahren gutgehen, wenn sie fast sechzig ist und einen zuverlässigen Partner an ihrer Seite braucht, während er mit Anfang fünfzig immer noch den Leichtfuß gibt und mit seinen Späßen die jungen Mädchen zum Lachen bringt? Stand-up-Comedy. Was immer das ist. Ich habe auch nie einen Komiker auf der Bühne gesehen. Die hiesige Comedy-Szene ist mir genauso schleierhaft wie der Fußball. Heutzutage scheint sie aber allgegenwärtig zu sein.
Ich ging in mein Arbeitszimmer hinauf, schenkte mir ein großzügiges Glas Whisky ein und las meine jüngsten Notizen zur Saga von John und Sabiha durch. Meine Zuflucht! Manches von dem, was ich ausgearbeitet hatte, erschien mir vielversprechend. Was für eine Wohltat, es sich von der Seele zu schreiben. Es womöglich für künftige Leser zu gestalten. Ich fühlte mich wie früher. Das hielt zwar nicht lange an, aber ich genoss es dennoch. Inzwischen bin ich auch für kleine Freuden dankbar.
Johns Erlebnisse lenkten mich von der Tatsache ab, dass ich selbst nicht viel erlebte. Er ersetzte mir die wöchentliche Sitzung beim Therapeuten. Beim letzten Mal hatte er einen etwas bedrückten Eindruck gemacht, als er mir die heikle Episode von Sabiha und dem Italiener erzählte. Er tat mir leid, und so lud ich ihn ein, am Samstag mit Frau und Kind zum Abendessen zu kommen. John antwortete, dass sie am Samstagabend immer besonders viel backen müssten. Der Sonntagsverkauf verlangte ihnen alles ab. »Welcher Tag würde denn besser passen?«, hatte ich dann gefragt. Er versprach mir, sich mit Sabiha zu beraten. Ich stellte mir nur zu gern vor, wie Sabiha mit hochgesteckten Haaren und in einem der Gewänder, die sie samstagabends bei ihren Gesangsauftritten im Chez Dom getragen hatte, an meiner Tafel saß. Im Grunde meines Herzens wusste ich, dass es in Wirklichkeit nicht dazu kommen würde, umso lieber malte ich es mir aus.
Die Einladung zum Abendessen war ein Versuch, meine Freundschaft mit John zu vertiefen. Möglicherweise war es dafür noch zu früh. Ich spürte, wie er sich mir entzog, und ließ das Thema fallen. Das änderte nichts daran, dass mir lebhaft vor Augen stand, wie er, Sabiha und das kleine Mädchen mit mir, Clare und dem Kappenträger an unserem Esstisch saßen, wir alle betreten auf unsere Teller starrten und uns verzweifelt fragten, worüber zum Teufel wir bloß sprechen sollten. Der Kappenträger würde wahrscheinlich in Richtung Fernseher schielen. Clares Freund nimmt das Ding nicht mal zum Essen ab.
Ich sagte zu Clare, dass ich ihn gar nicht witzig fände.
»Er ist nur witzig, wenn er arbeitet«, entgegnete sie.
»Ein echter Profi, was? Für uns fällt also nichts ab?«
»Ich liebe ihn, Dad.«
Das verschlug mir nun wirklich die Sprache. Ich entkorkte eine Flasche Henschke und trank ein ganzes Glas, bevor ich daran dachte, Clare auch eines anzubieten. Stubby lag unter dem Tisch und warf mir einen mahnenden Blick zu. Ich wollte gerade etwas sagen – ich weiß nicht mehr, was –, als Clare mir zuvorkam: »Ich weiß, was du denkst, Dad. Behalt es für dich. Er bedeutet mir eine Menge.«
Ich trank noch ein Glas. Erst jetzt fiel mir auf, dass Clare tatsächlich etwas kochte, auf dem Herd ihrer Mutter. Als ich mich in der Küche umsah, stellte ich außerdem fest, dass sie eingekauft hatte. Und zwar Lebensmittel.
»Kommt er heute etwa zum Essen?«
»Er heißt Robin, Dad. Und ja, er kommt nach dem Spiel der Geelongs zum Essen.«
»Ist er nicht ein Anhänger der Hawthorns?«
»Er hat ein breites Interesse an Fußball. Er verfolgt alle möglichen Spiele.«
»Macht er darüber auch seine Witze?«
»Er macht keine Witze. Dafür bist du zuständig.«
»Und was kochst du da?« Ich ging zu ihr und guckte in den Topf. »Es riecht wunderbar. Du machst ja eine Bolognese! Wo hast du das gelernt?«
»Das weiß doch jedes Kind, wie eine Bolognese geht.« Sie wandte sich zu mir. »Bitte sei nett zu Robin, Dad.«
»Natürlich. Ich bin zu allen nett. Ich habe keine Feinde, das weißt du.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Hand aufs Herz?«
»Hand aufs Herz, mein Schatz.«
Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. »Ich liebe dich, Dad.«
»Ich liebe dich auch, Lämmchen.«
»So nennst du mich auf keinen Fall, wenn Robin da ist. Versprochen?«
»Das kann ich nicht versprechen«, sagte ich bestürzt. Sobald John mir die ganze Geschichte erzählt hätte, würde ich vielleicht doch nach Venedig zurückkehren und dort sterben, so wie Gustav Aschenbach. Venedig wäre eine Alternative. Ich schätze es, Alternativen zu haben.
Entschlossen, das Thema zu wechseln, fragte Clare: »Und wie geht es deinem Freund John?«
»Er musste sich mit ein paar unangenehmen Dingen auseinandersetzen. Das hat ihn ein bisschen heruntergezogen.«
Sie rührte Oregano in den Topf, und wir sahen der Soße eine Weile schweigend beim Köcheln zu. Dann fragte ich Clare: »Hast du auch Parmesan besorgt?«
»Natürlich.«
Natürlich! Auf einmal war sie die geborene Hausfrau.
Nachdem sie eine Zeit lang zerstreut in der Soße herumgerührt hatte, sagte sie träumerisch: »Ob ich wohl jemals ein Kind bekommen werde?«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Bisher wolltest du doch nie Kinder bekommen.«
Sie lächelte mich an. Aus ihrem Blick sprach die Überzeugung, dass ich ohnehin nicht verstehen würde, was gerade in ihr vorging. Ihr Lächeln war sehr sanft und ließ sie mindestens fünf Jahre jünger wirken. »Ich möchte von Robin Kinder bekommen und von niemandem sonst, Dad.«
»Möchte er denn auch Kinder?« Ich stellte mir ein halbes Dutzend Zwergkomiker vor, die Clares Augen hatten und eine Baseballkappe trugen. Keine Ahnung, warum es Zwerge waren.
»Ja, und zwar nur von mir.«
Ich war um eine Antwort verlegen.
Lachend sagte sie: »Dad! So schlimm ist das doch nicht. Du und Mum habt es schließlich auch gewagt.«
»Hat er denn ein Haus, in dem er seine Familie unterbringen kann?«, fragte ich missmutig.
»Kein Mensch hat heutzutage noch ein Haus, Dad. Wir werden so lange hierbleiben, bis wir uns eine Wohnung leisten können. Und da wir beide den Strand lieben, würden wir gern nach Elwood ziehen. Das kann aber dauern, dort ist es ziemlich teuer.«
Ich trank das fast volle Glas Wein leer und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. Die belebende Wirkung des Schwimmens war dahin, und ich fühlte mich auf einmal wie ein richtiger Greis.
Sie sah mich aus großen Kulleraugen an, wie ein kleines Mädchen. »Bist du damit einverstanden, Dad? Dass Robin und ich vorerst hier wohnen?«
»Na klar.« Bei der Vorstellung, den Kappenträger Tag und Nacht um mich zu haben, wurde mir bang.
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Deine Mutter hätte es nicht anders gewollt.«
»Und du? Willst du das auch?«
»Ja, mein Schatz.«
Das nahm sie mir offensichtlich nicht ab.
»Freust du dich denn für mich, Dad? Ehrlich?«
Ich schloss Clare in die Arme und drückte sie fest an mich. Aus unerfindlichen Gründen war meine Kehle wie zugeschnürt. »Ich bin nur ein bisschen überrascht, mein Schatz«, sagte ich mit erstickter Stimme.
Verärgert riss sie sich los und rührte so energisch in der Bolognese herum, dass die Soße über den Topfrand spritzte.
»Es kommt alles so plötzlich«, nahm ich den Faden wieder auf. »Wo hast du ihn eigentlich kennengelernt?«
»Was heißt schon plötzlich? Liebe kommt nun mal plötzlich. Es war in einem Pub. Er hatte dort einen Auftritt, und ich fand ihn zum Brüllen komisch. Ich habe von allen am lautesten gelacht, und irgendwann richtete er sich mit seinen Witzen direkt an mich. Dann haben wir uns verliebt.« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »So war es! Halt jetzt bloß die Klappe!«
Ich war entsetzt. Da verguckte sich meine wunderhübsche kleine Clare in diesen Knallkopf, in einem Pub, halb betrunken, lachte sich über jeden Blödsinn schlapp, in einem Anfall von Torschlusspanik, denn wahrscheinlich war sie zehn Jahre älter als alle anderen im Publikum. Meine arme kleine Clare! Was hätte Marie wohl dazu gesagt? Kinder! Wenn mir noch ein paar Jahre vergönnt waren, könnte ich also Großvater werden. Über die Kinderphase war ich längst hinaus. Ich dachte an mein Zimmer in diesem kleinen Hotel am Lido, wo ich vor meiner Rückkehr gewohnt hatte. Ich könnte Signora Croce noch heute Abend anrufen und binnen anderthalb Tagen wieder dort sein.
Langsam stieg ich die Treppe hinauf, mit dem besorgten Stubby auf den Fersen, und zog mich in mein Arbeitszimmer zurück. Am Schreibtisch ging ich wieder meine Notizen durch. Ich hatte das Bedürfnis, mich für eine Weile in die Geschichte eines anderen zu versenken.