Als wir in den siebziger Jahren in dieses Viertel zogen, gab es neben dem Getränkeladen eine Reinigung. Sie wurde von einem maltesischen Ehepaar geführt, Andrea und Tumas Galasso, mit dem wir uns ein wenig anfreundeten, meine Frau und ich. Vor ein paar Jahren gaben die Galassos ihre Reinigung auf. Ohne ein Wort der Erklärung. Kein Schild an der Tür kündete vom Bedauern, den Kunden Unannehmlichkeiten zu bereiten, nichts wies darauf hin, dass der Betrieb bald wieder aufgenommen werden würde. Die Geschäftsräume, die so viele Jahre als Reinigung gedient hatten, blieben lange Zeit verwaist, während sich im Eingang Werbezettel und Mahnungen türmten.

Ich wohne mit meiner Tochter zusammen. Sie ist achtunddreißig. Als ihre Ehe in die Brüche ging, hat sie sich zu mir geflüchtet. Zunächst wollte sie nur eine oder zwei Wochen bleiben, bis sie sich wieder gesammelt hatte. Das ist jetzt fünf Jahre her. Den letzten australischen Winter verbrachte ich in Venedig und fand bei meiner Rückkehr einen leeren Kühlschrank vor. Ich weiß nicht, warum Clare keine Lebensmittel kauft, als erfolgreiche Designerin verdient sie eine Menge Geld, daran liegt es also nicht. Wenn ich sie darauf anspreche, lautet ihre Antwort, dass sie sehr wohl Lebensmittel einkaufe. Tut sie aber nicht. Wo sollen sie sein? Vom Flughafen aus nahm ich ein Taxi, kam nach Hause, und im Kühlschrank gab es nicht einmal Milch. Durch den unendlich langen Flug war ich so erschöpft, dass ich wohl etwas zu schroff reagiert habe. Clare ist sogar noch näher am Wasser gebaut als ihre Mutter früher. Ich entschuldigte mich, und sie weinte aufs Neue. »Schon gut, Dad. Ich weiß ja, dass du es nicht so meinst.« Sie ist mir ein Rätsel.

Trotz unserer gewaltigen modernen Passagierflugzeuge liegt Venedig immer noch Welten von Melbourne entfernt. Man muss sich erst eingewöhnen. Venedig und Melbourne sind nicht auf demselben Planeten. Egal wie schnell oder wie bequem und entspannt wir dorthin fliegen, bleibt Venedig Melbourne so fern wie zur Zeit der Dogen. Hier war es inzwischen Frühling, aber mir erschien alles dürr und karg. Zu Hause fand ich einen leeren Kühlschrank vor. Ich erinnere mich ganz genau. Ich konnte mir nicht einmal eine Tasse Tee machen. Und so ging ich, keine zwei Minuten nachdem ich aus dem Taxi gestiegen war, wieder raus, um einzukaufen.

Als ich beim Getränkeladen um die Ecke bog, wusste ich noch nicht so recht, ob ich froh war, wieder daheim zu sein, oder traurig, weil ich nicht ein paar Monate länger in Venedig geblieben war. Oder ein paar Jahre. Oder für immer. Warum eigentlich nicht? Dann lief ich an der ehemaligen Reinigung vorbei und fragte mich gerade bedrückt, warum ich überhaupt zurückgekehrt war, als mir der köstliche Duft von ofenfrischem Gebäck in die Nase stieg. Zwanzig Jahre lang hatten wir auf dem Weg zu anderen Läden das Geschäft der Galassos passiert und dabei die chemischen Reinigungsmittel gerochen. Ich blieb stehen und warf einen Blick durch die offene Ladentür. Eine Neueröffnung. Wahrscheinlich habe ich gelächelt. So eine schöne Überraschung. Die Frau hinter dem Ladentisch fing meinen Blick auf und erwiderte mein Lächeln, als freute sie sich darüber, dass draußen ein Unbekannter ihren ansprechenden Laden bewunderte. Es war Samstagmorgen, die Kunden drängten sich nur so, und sie hatte alle Hände voll zu tun, so dass unser stummer Austausch im Nu vorbei war. Dennoch heiterte mich ihr Lächeln merklich auf, und als ich meinen Weg fortsetzte, war ich doch froh, wieder hier zu sein, anstatt den Rest meines Lebens in Venedig zu verbringen.

Venedig bringt meine melancholische Ader zum Vorschein, weckt in mir die unerschütterliche Überzeugung, dass jedes Bemühen vergeblich ist. Geht es nicht allen so? Wenn ich in dieser zeitlosen Stadt umherlaufe, fühle ich mich wie der unberührbare Victor Maskell. Womit ich im Grunde gar nicht hadere. Ich habe diese Anwandlungen von Schwermut immer genossen. Keine Ahnung, woher das kommt. Es liegt wohl an meiner Familie väterlicherseits, am düsteren schottischen Einschlag, so hat man es mir jedenfalls erklärt. Ich bin nie in Schottland gewesen. Als ich an diesem staubtrockenen Frühlingsmorgen die Supermarktgänge durchstreifte, war die Schwermut wie weggewischt, und der warmherzige Blick der schönen, ziemlich exotisch wirkenden Frau in der neuen Backstube kam mir im Nachhinein vor wie ein Willkommensgruß. Während ich mich zu erinnern versuchte, in welchem Gang welche Produkte zu finden waren, musste ich an das bezaubernde Lächeln dieser Frau denken. Vermutlich war mir eine Art verstohlene Freude anzusehen, als wüsste ich etwas, das außer mir keiner wusste; die Art von Gesichtsausdruck, die ich bei anderen nicht leiden kann.

Süßes stand bei uns zwar so gut wie nie auf dem Speiseplan, aber auf dem Rückweg vom Supermarkt ging ich dennoch in die Backstube. Ich musste eine ganze Weile warten, bis ich an die Reihe kam. Es machte mir nichts aus. Außer der Frau hinter dem Ladentisch arbeiteten ein Mann Ende vierzig und ein kleines Mädchen mit, das höchstens fünf oder sechs Jahre alt war. Der Mann und das Mädchen trugen Tabletts voller Gebäck aus der Küche im hinteren Teil des Ladens, wobei der Mann die Kleine mit Rufen ermunterte und ab und zu eine Pause einlegte, um einen Kunden zu bedienen. Die Kunden waren alle auffallend guter Stimmung. Keine Spur jener Ungeduld, die normalerweise am Samstagmorgen herrscht, keiner, der sich vordrängeln wollte. Während ich im Stehen den Kuchenduft sowie die freundliche Atmosphäre genoss, fühlte ich an diesem winzigen Ort altmodischer Herzlichkeit eine große Geborgenheit. Das war sicher der Familie zu verdanken, die den Laden betrieb, dem bescheidenen Glück, das sie klug zu würdigen wusste, vor allem aber der Ausstrahlung dieser Frau.

Als ich an die Reihe kam, bat ich sie um ein halbes Dutzend Sesamplätzchen. Ich sah zu, wie sie die Plätzchen aussuchte und eins nach dem anderen mit der Konditorzange in die Papiertüte steckte, die sie in der freien Hand hielt, wobei sie so konzentriert vorging, als verdiene der simple Akt, mich zu bedienen, ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie war vielleicht Anfang oder Mitte vierzig, dunkelhaarig und sehr schön. Vermutlich stammte sie aus Nordafrika. Was mich aber noch mehr beeindruckte als ihre Schönheit war ihre Haltung. Sie erinnerte mich an die vollendete Höflichkeit, die man früher oft in Spanien antraf, insbesondere bei den Madrilenen, eine respektvolle Zurückhaltung, die vom festen Glauben an die Würde des Menschen zeugt; im heutigen Madrid begegnet man dieser Haltung nur noch selten, und wenn, dann lediglich bei älteren Leuten. Entsprechend reagierten die Kunden auf die liebenswürdige Zuvorkommenheit der Ladeninhaberin. Als sie mir die Tüte mit den Sesamplätzchen reichte und ich mich dafür bedankte, lächelte sie. Bevor sie sich abwandte, bemerkte ich eine gewisse Traurigkeit in der Tiefe ihrer dunkelbraunen Augen, Spuren eines längst vergangenen und begrabenen Kummers. Auf dem Heimweg fragte ich mich, welche Geschichte sich wohl dahinter verbarg.

Später erzählte ich Clare von der Backstube und sagte so etwas wie: »Diese Leute haben eine Art kindlicher Unschuld an sich, findest du nicht?« Sie saß Zeitung lesend am Küchentisch, aß dabei ihr drittes Sesamplätzchen, nahm erst einen kleinen Bissen, betrachtete das Plätzchen und tunkte es schließlich in ihren Kaffee. Sie sei während meiner Abwesenheit mehrmals im Laden gewesen, erzählte sie, aber ihr sei daran nichts Besonderes aufgefallen, auch nicht an den Leuten, die ihn führten. »Er ist Lehrer«, sagte sie, als wäre damit jede Besonderheit von vornherein ausgeschlossen, und setzte ihre Lektüre fort. Ich überlegte noch laut, dass es sich um eine ganz einfache Liebesgeschichte handeln könnte, zwischen diesem kernigen Australier und seiner exotischen Gemahlin. Ohne von ihrer Zeitung aufzusehen, sagte Clare leise, aber voller Überzeugung, wie es ihre Art ist: »Liebe ist niemals einfach. Das weißt du doch, Dad.« Sie hatte natürlich recht. Ich wusste das nur zu gut. Und sie ebenfalls.

Ein paar Tage später sah ich den Mann in der Bibliothek wieder. Er war mit seiner kleinen Tochter dort. In den folgenden Wochen traf ich ihn mehrmals in der Bibliothek an. Manchmal war er allein, saß an einem der Tische über ein Buch gebeugt. Meistens rannten Kinder herum, ließen ihr Zeug fallen und machten Krach, und ich war beeindruckt, weil ihn offenbar nichts vom Lesen ablenkte. Er las so, wie junge Leute lesen, vollkommen selbstvergessen. Daran zeigt sich doch eine gewisse Form von Unschuld, sagte ich mir – und verwahrte mich in Gedanken gegen Clares Zynismus. Ich versuchte, einen Blick auf die Bücher zu erhaschen, konnte aber nie den Titel ausmachen. Ab und an grüßte ich ihn, was er lediglich mit einem kühlen Nicken zur Kenntnis nahm. Vermutlich hatte er mich nicht wiedererkannt. Seine Hände waren groß, mit hervortretenden Adern. Schöne Hände, die von einigem Geschick zeugten. Auf mich wirkte er eher wie ein Handwerker als wie ein Lehrer; kein Grob-, sondern ein Kunsthandwerker. Der vielleicht mit Holz arbeitete, Musikinstrumente herstellte. Ich konnte mir gut vorstellen, wie diese Hände liebevoll ein Cembalo für seine schöne Frau bauten.

Als er einmal das Buch zuklappte und aufstand, sah ich, wie groß er war. Er ging leicht gebückt, ich beobachtete, wie er mit einem Stapel Bücher unterm Arm die Bibliothek verließ, den Blick auf den Boden gerichtet, und fragte mich, wie er mit seiner so orientalisch anmutenden Frau zusammengekommen war.

An einem warmen Sonntagnachmittag im Oktober, der sich mehr nach Sommer anfühlte als nach Frühling, traf ich ihn im Freibad. Ich war bereits mehrere Bahnen geschwommen und hatte neben mir einen anderen Schwimmer bemerkt, der im selben Tempo wie ich und auf identische Weise kraulte, immer dann die Arme aus dem Wasser zog und wieder hineintauchte, wenn ich es tat. Nachdem ich meine zwanzig Bahnen beendet hatte, blieb ich am seichten Beckenende stehen. Ich lehnte mich an den Rand und nahm die Schwimmbrille ab, als der andere ebenfalls stehenblieb. Ich erkannte auf Anhieb den Mann aus der Backstube, wollte mich jedoch nicht äußern, weil er bisher entschlossen schien, mich zu ignorieren. Zu meiner Überraschung sagte er aber guten Tag und fragte mich, ob ich regelmäßig schwimmen gehe. Ich sagte, das hätte ich mir zumindest vorgenommen. Sosehr mich der freundliche Austausch freute, fragte ich mich, warum er mir jetzt anders begegnete als zuvor.

So lernten John Patterner und ich uns kennen. Indem wir Seite an Seite schwammen. Anschließend lud er mich zu einem Kaffee in die Freibadcafeteria ein. Beim Trinken sahen wir seiner Tochter zu, die gerade mit zwei Freunden aus der Vorschule Schwimmunterricht hatte. Ständig rief sie: »Guck mal, Daddy!«, und ständig erwiderte er: »Ich guck ja, mein Schatz.« »Sie ist wirklich sehr hübsch«, sagte ich. Da strahlten seine Augen vor lauter Stolz und Liebe, und ich erinnerte mich daran, wie Clare und ich miteinander umgingen, als sie in diesem Alter war, wie unglaublich nah wir uns damals waren, wie liebevoll, wie umsichtig wir unsere Freundschaft pflegten. All das begegnete mir nun bei John Patterner und seiner Tochter wieder. Sie hieß Houria. Als er sie mir vorstellte, sah sie mich mit großem Ernst an, und mir fiel auf, dass sie die Augen ihrer Mutter geerbt hatte. Ich weiß nicht mehr, worüber John und ich uns an diesem Tag unterhielten, aber ich weiß noch, dass der Kaffee im Pappbecher einen Beigeschmack von Chlor hatte. Als ich John zwei Wochen später in der Bibliothek begegnete, schlug ich vor, im Paradiso Kaffee zu trinken. Er schien sich über das Wiedersehen zu freuen.

Danach trafen wir uns etwa alle zehn Tage auf einen Kaffee im Paradiso. Er fing an, mir ihre Geschichte zu erzählen, langsam, zögerlich, häppchenweise. Seine Geschichte und die seiner Frau Sabiha, der schönen Tunesierin, die er in Paris geheiratet hatte, als er ein junger Mann war und sie gerade mal den Kinderschuhen entwachsen. Und auch die wunderbare und entsetzliche Geschichte ihrer kleinen Tochter Houria. Inzwischen lebten sie in den zwei bis drei Zimmern über der Backstube. Viel Platz gab es dort oben sicher nicht. Die Küche hinter dem Verkaufsbereich im Erdgeschoss, wo Sabiha ihre köstlichen Kuchen und Kekse backte, nutzten sie auch privat. Von der Straße aus konnte man in die Küche hineinsehen. Wenn ich mit Stubby, Clares Kelpie, am späten Abend ein letztes Mal Gassi ging und am Laden vorbeilief, brannte dort fast immer Licht.

Vom ersten Tag an, als wir im Freibad gemeinsam den Kaffee mit Chlorgeschmack tranken, hatte ich gespürt, wie stark sein Mitteilungsdrang war. Aber er war schüchtern und verschlossen, so dass ich einige Zeit brauchte, um ihn von meinem aufrichtigen Interesse zu überzeugen. Immer wieder sagte er zu mir: »Hoffentlich langweile ich Sie nicht«, und lachte dann. In diesem Lachen klangen viele Vorbehalte und große Unsicherheit an. Es beunruhigte mich. Ich fürchtete, er könnte zu dem Schluss kommen, bereits zu viel preisgegeben zu haben, und sich wieder in Schweigen hüllen. Dabei war ich für ihn der ideale Zuhörer. Das sagte ich ihm auch. Ich war der beste Zuhörer, den er jemals gehabt hatte oder jemals haben würde.

Mein letzter Roman sollte stets mein letzter Roman bleiben. Ich hatte die Nase voll. »Jetzt reicht’s«, sagte ich zu Clare, als ich ihn beendet hatte. »Keine Romane mehr.« Sie fragte mich, was ich stattdessen tun wollte. »Mich zur Ruhe setzen«, antwortete ich, »das tun andere Leute auch. Sie gehen auf Reisen und machen alles, wozu sie Lust haben, und schlafen sich morgens aus.« Sie sah mich zweifelnd an und sagte: »Willst du dann allen Ernstes bowlen gehen, Dad?« Als nachsichtiger Vater lasse ich ihr diese kleinen Spitzen durchgehen. In der felsenfesten Überzeugung, dass dieses Buch mein letztes war, hatte ich es Der Abschied genannt. Ich hielt das für einen ziemlich unmissverständlichen Fingerzeig an die Kritiker und Interviewpartner, die immerzu nach Metaphern und dem Sinn unseres Schaffens Ausschau halten. Und so wartete ich nur auf deren erstauntes »Das ist also Ihr letztes Buch?«. Ich war bereit, einfach ja zu sagen, um das Ganze hinter mich zu bringen. Aber niemand stellte mir diese Frage. Stattdessen wollten sie wissen: »Ist das autobiografisch?« Ich zitierte Lucian Freud: Alles ist autobiografisch, und alles ist ein Porträt. Leider fassten sie Freuds erhellende kleine Metapher wörtlich auf. Daraufhin begab ich mich nach Venedig, um ein paar Monate in einsamer Melancholie zu schwelgen. Nach meiner Rückkehr wurde mir klar, dass ich gar nicht wusste, wie man nichts tut. Ich hatte es im Lauf meines Lebens nie gelernt und stellte bald fest, dass kein Buch zu schreiben schwerer war, als es doch zu tun. Wie sollte ich nur damit aufhören? Eine Zeit lang unterdrückte ich meine Panik, indem ich beispielsweise unter der Woche zur besten Vormittagszeit die National Gallery besuchte. Ein eher deprimierendes Unterfangen. Dort trieben sich nur Untätige wie ich herum. Ich beobachtete sie, lauter einsame Seelen. Dann lernte ich John Patterner kennen und hatte auf einmal wieder etwas zu tun. Ich konnte zuhören, während er mir seine Geschichte erzählte. Mich interessierte vor allem, wie dieser kummervolle Ausdruck in die Augen seiner schönen Frau gelangt war. Darum hörte ich ihm zu, weil ich das herausfinden wollte.

Bei sonnigem Wetter setzten wir uns nach draußen, unter die Platanen, die die Straße vor dem Café Paradiso säumen. John rauchte gern. »Ich nehme mir gerade eine Auszeit«, erklärte ich, als er darauf beharrte, mich auf keinen Fall von meiner Arbeit abhalten zu wollen. Er saß eine Weile stumm da, befingerte seine Zigarette, ohne sie anzuzünden, dann richtete er sich auf und erzählte mir von sich, die unangezündete Zigarette immer noch in der Hand, bis er sich ausgesprochen hatte, wir vom Tisch aufstanden und gemeinsam zur Backstube zurückliefen. Erst dann zündete er die Zigarette schließlich an. Ich vermute, er wollte sich das Rauchen abgewöhnen. Ursprünglich stammte er aus einer Farmersfamilie irgendwo an der Südküste von Neusüdwales. Jetzt war er Lehrer, Clare hatte also recht gehabt, er unterrichtete Englisch als Zweitsprache an der hiesigen Fachoberschule. Die Mädchen und Jungen kamen größtenteils aus Familien, bei denen zu Hause kein Englisch gesprochen wurde, in dieser Gegend machen sie etwa die Hälfte der Bevölkerung aus. Zwar sprach er sehr anerkennend über seine Schüler, aber ich hatte den Eindruck, dass ihn die Arbeit nicht zufriedenstellte. So sehr er Frau und Tochter liebte, so sehr genoss er es, sich in ein Buch zu versenken. Ich erkannte in ihm einen leidenschaftlichen Leser.

Doch nun zu seiner Geschichte. Mir sollte bald klar werden, dass es sich dabei gewissermaßen um eine Beichte handelte. Aber gilt das nicht für alle Geschichten? Entspringt unser Bedürfnis, Geschichten zu erzählen, nicht immer aus unserer tiefen Sehnsucht nach Vergebung?