XII.

 

Für Andrej wurden die schier endlosen Stunden, in denen er und Pantelej in einer kahlen Hütte eingesperrt waren, zur Qual. Während der Priester Trost im Glauben und im Gebet fand, verfolgte Andrej die Vorstellung, Terbent Khan könnte gerade in diesem Augenblick Anastasia zwingen, ihm zu Willen zu sein. Er fluchte, knirschte mit den Zähnen und schlug mit den Fäusten gegen die massiven Wände. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, dass seine Gefühle nicht die eines treuen Gefolgsmannes waren, der das Leben seiner Herrin um jeden Preis schützen wollte, sondern die eines Mannes mit eigenen Wünschen und Sehnsüchten. Bis zu diesem Tag war ihm nicht bewusst geworden, was er wirklich für Anastasia empfand. Zwar hatte er Dimitri insgeheim um seine schöne griechische Frau beneidet und sich ihr in seinen Träumen weiter genähert, als es schicklich gewesen war, aber erst jetzt verstand er, dass ihn mehr mit ihr verband als bloßes Verlangen. Sie jetzt hilflos dem Heiden Terbent ausgeliefert zu wissen war mehr, als er ertragen konnte.

Pantelej hielt Andrejs Verzweiflungsausbrüche nach einer Weile nicht mehr aus und legte tröstend den Arm um ihn. »Beruhige dich doch, mein Sohn! Es hat keinen Sinn, gegen dich selbst zu wüten. Bitte mit mir zusammen Gott und die Heilige Jungfrau von Wladimir, uns aus dieser Not zu retten.«

»Und wenn sie es nicht tun?«, fuhr Andrej auf.

»Dann werden sie unseren Seelen gnädig sein und uns im anderen Leben all das entgelten, was wir hier nun ertragen müssen.« Der beschwörende Klang in der Stimme des Priesters verfehlte seine Wirkung nicht. Andrej beruhigte sich ein wenig und setzte sich auf den Teppich, der ihnen als Schlafplatz diente. »Du bist ein gelehrter Mann, Pantelej Danilowitsch, und kannst mir gewiss sagen, wie es im Himmelreich zugeht. Wie ist es, wenn man die Witwe eines anderen Mannes liebt und mit ihr zusammenlebt? Ich möchte gerne wissen, wie es zugehen wird, wenn sie im Paradies ihren ersten Gemahl wiedersieht. Welchen Mannes Weib wird sie in der Ewigkeit sein?«

Der Priester kniff die Augen zusammen und musterte Andrej durchdringend. »Du liebst unsere Fürstin?«

Zu keiner anderen Zeit hätte Andrej dies zugegeben, doch in diesem Augenblick hatte er keine Hoffnung mehr für sich und Anastasia. »Ich liebe sie mehr als mein Leben.«

»Möge die Heilige Jungfrau geben, dass deine Liebe Erfüllung findet. Doch wie es im Paradies sein wird, kann ich dir nicht sagen. Gott hat mir nicht die Gnade gewährt, über die Pforte dieses Lebens hinauszuschauen. Doch sei versichert, selbst wenn Anastasia nicht bei dir bleiben könnte, würde Gottes Gnade dich diesen Verlust nicht fühlen lassen.« Pantelej segnete Andrej mit dem Kreuz und wies dann durch das kaum mehr als handgroße Fenster nach draußen.

»Es wird bald dunkel und wir haben kein Licht. Daher sollten wir uns hinlegen und Gott um einen festen Schlaf bitten. Du wirst sehen, morgen früh sieht alles anders aus.« Er sagte diese Worte mehr, um Andrej zu trösten, als in festem Glauben an ein Wunder. Noch einmal kniete er nieder und sprach ein Gebet. Andrej folgte seinem Beispiel, und als er sich an der Seite des Popen auf dem Teppich niederließ und die fadenscheinige Decke über sie beide zog, vermochte er sogar ein wenig zu lachen.

»Die Gastfreundschaft in der Stadt Terbent Khans hat arg nachgelassen, seit ich das letzte Mal hier war. Damals brauchte ich in der Nacht nicht zu frieren, und man ließ mich auch nicht hungrig zu Bett gehen.«

»Der Glaube an Gott ist die beste Nahrung«, antwortete Pantelej salbungsvoll. Doch er vermisste das Nachtmahl ebenso wie der Recke und konnte nur hoffen, dass es den Frauen besser erging als ihnen.

Das Vermächtnis der Wanderhure
cover.html
title.html
dedication.html
part001.html
part001chapter001.html
part001chapter002.html
part001chapter003.html
part001chapter004.html
part001chapter005.html
part001chapter006.html
part001chapter007.html
part001chapter008.html
part001chapter009.html
part001chapter010.html
part001chapter011.html
part001chapter012.html
part001chapter013.html
part002.html
part002chapter001.html
part002chapter002.html
part002chapter003.html
part002chapter004.html
part002chapter005.html
part002chapter006.html
part002chapter007.html
part002chapter008.html
part002chapter009.html
part002chapter010.html
part002chapter011.html
part002chapter012.html
part002chapter013.html
part002chapter014.html
part003.html
part003chapter001.html
part003chapter002.html
part003chapter003.html
part003chapter004.html
part003chapter005.html
part003chapter006.html
part003chapter007.html
part003chapter008.html
part003chapter009.html
part003chapter010.html
part003chapter011.html
part003chapter012.html
part003chapter013.html
part003chapter014.html
part003chapter015.html
part004.html
part004chapter001.html
part004chapter002.html
part004chapter003.html
part004chapter004.html
part004chapter005.html
part004chapter006.html
part004chapter007.html
part004chapter008.html
part004chapter009.html
part004chapter010.html
part004chapter011.html
part005.html
part005chapter001.html
part005chapter002.html
part005chapter003.html
part005chapter004.html
part005chapter005.html
part005chapter006.html
part005chapter007.html
part005chapter008.html
part005chapter009.html
part005chapter010.html
part005chapter011.html
part006.html
part006chapter001.html
part006chapter002.html
part006chapter003.html
part006chapter004.html
part006chapter005.html
part006chapter006.html
part006chapter007.html
part006chapter008.html
part006chapter009.html
part006chapter010.html
part006chapter011.html
part006chapter012.html
part006chapter013.html
part006chapter014.html
part007.html
part007chapter001.html
part007chapter002.html
part007chapter003.html
part007chapter004.html
part007chapter005.html
part007chapter006.html
part007chapter007.html
part007chapter008.html
part007chapter009.html
part007chapter010.html
part007chapter011.html
part007chapter012.html
part007chapter013.html
part007chapter014.html
part007chapter015.html
part008.html
part008chapter001.html
part008chapter002.html
part008chapter003.html
part008chapter004.html
part008chapter005.html
part008chapter006.html
part008chapter007.html
part008chapter008.html
part008chapter009.html
part008chapter010.html
part008chapter011.html
part008chapter012.html
part008chapter013.html
part008chapter014.html
part008chapter015.html
part008chapter016.html
part008chapter017.html
part008chapter018.html
part008chapter019.html
backmatter001.html
abouttheauthor.html
copyright.html