V.

 

Aus den Gesprächen der Matrosen, die sich bei der Essenausgabe miteinander unterhielten, erfuhr Marie, dass sie sich im Hafen der Stadt Riga befanden, von dem die sechs Huren gesprochen hatten. Diese Stadt musste schon nahe am Rand der bekannten Welt liegen, und sie fürchtete sich vor den Gefilden, in die sie noch verschleppt werden würde. Wenigstens war der Aufenthalt in ihrem Gefängnis nun angenehmer, da ein Teil der Sklaven bereits verkauft worden war und es nun Platz genug für den Rest gab. Am meisten freute Marie, dass die sechs Schuldnerinnen ebenfalls nicht mehr zurückgebracht worden waren, denn die Frauen hatten aus ihrer Verachtung für die Heidenkinder keinen Hehl gemacht, sich selbst aber wie Wildsäue benommen. Lange konnte sie ihren Gedanken nicht nachhängen, denn durch den Verkauf waren Freunde und Geschwister auseinander gerissen worden, und sie musste an diesem und den folgenden Tagen viele Tränen trocknen.

Während sich im Bauch des Schiffes wieder lähmende Gleichförmigkeit breit machte, verließ die Geit Riga und die Dünamündung und segelte nach Norden. Zoetewijn steuerte das Schiff durch die Meerenge zwischen dem Festland und den Inseln Moon und Dagö hindurch und legte anschließend den Aussagen zum Trotz, die er Labadaire gegenüber gemacht hatte, in Reval an.

Die dort lebenden Bürger wussten einen hart handelnden Geschäftsmann zu schätzen und waren bereit, über ein einmaliges Vergehen hinwegzusehen, zumal der Zwischenfall der Magd zum Guten ausgeschlagen war. Während die Sklaven versteigert wurden, leerten Arbeiter die Laderäume des Schiffes und brachten die Waren in eines der Stapelhäuser. Marie und Alika wurden wieder in den winzigen Verschlag am Heck gebracht, und diesmal dauerte es um einiges länger, bis man sie wieder herausholte. So ganz traute Zoetewijn dem Frieden nicht und fürchtete, bei einer überraschenden Inspektion seines Schiffes durch die Behörden in Schwierigkeiten zu geraten. Aber es ging besser, als er erhofft hatte. Der größte Teil seiner Waren fand Käufer, und er konnte den frei gewordenen Platz mit Pelzen, Wachs, Honig und anderen Dingen füllen, die in den Häfen des Westens teuer bezahlt wurden. Auf dem Rückweg wollte er noch in Königsberg, Danzig und anderen Orten anlegen, um auch dort Waren an Bord zu nehmen. Auf dem Hinweg hatte er die ersten großen Städte meiden müssen, denn diese erhielten ebenso wie das Land um sie herum stärkeren Zustrom an Siedlern aus dem Reich. Daher waren Arbeitskräfte dort nicht rar und wurden auch nicht so gut bezahlt wie weiter im Osten. Da er seine Sklaven wegen des dortigen Stapelzwangs jedoch hätte anbieten müssen, wäre er von diesem Gesetz um seinen Verdienst gebracht worden.

Der Kapitän war mit dem Verlauf seiner Geschäfte zufriedener als bei den Fahrten der früheren Jahre, dennoch war Reval nicht der letzte Hafen, den er mit der Geit ansteuerte. Kaum waren die wenigen noch unverkauften Waren wieder an Bord gebracht worden, wurde der Anker gelichtet, und die Kogge segelte an einigen wie Finger ins Meer ragenden Halbinseln vorbei nach Osten, bis sie die Mündung der Narwa erreichte. Zoetewijn hätte nun noch den Strom hoch bis zum Peipussee segeln können, um die Stadt Pskow an dessen südlichem Ende anzulaufen. Dort könnte er ohne die deutschen Zwischenhändler einen noch größeren Profit erzielen. Ihn schreckten jedoch das Risiko der Stromfahrt und die Schikanen der Behörden ab, die allzu sehr auf den Vorteil ihrer eigenen Leute bedacht waren und sich selbst die Taschen füllen wollten. Außerdem würde ihn der Umweg so viel Zeit kosten, dass er das, was er hier gewann, zu Hause wieder verlor. Nur die Schiffe, die als erste von der Ostfahrt zurückkamen, konnten für ihre Ladung hohe Preise erzielen.

Narwa zählte nicht zu den Häfen, die Zoetewijn regelmäßig ansteuerte, doch er kannte auch hier vertrauenswürdige Händler. Ihnen konnte er die für Pskow und Nowgorod bestimmten Waren unbesorgt übergeben und sich dabei seiner letzten Sklaven entledigen, ohne dass ein übereifriger Marktschreiber seine Frachtlisten kontrollierte.

Der Händler, der Zoetewijn am Tag nach der Ankunft aufsuchte, war von Geburt Deutscher, lebte aber die meiste Zeit in Pskow und Nowgorod, den Hauptstädten zweier russischer Fürstentümer gleichen Namens. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und, wie Zoetewijn bereits in Erfahrung gebracht hatte, sehr geschickt darin, gewisse Waren vor den immer aufmerksamen Augen der Behörden zu verbergen.

Nach dem obligaten Becher Wein in der Kajüte des Kapitäns schritten die beiden durch die Laderäume und begutachteten die Waren. Der Deutsche lobte Zoetewijn überschwänglich. Dieser beantwortete die Schmeicheleien des anderen mit gleicher Münze. Nach einer Weile wurden sie handelseinig und hätten nun das Geschäft in Zoetewijns Kajüte mit einem weiteren Becher abschließen können.

Der Kaufmann wandte sich auch bereits dem Aufgang zu, als der Kapitän Aufmerksamkeit heischend die Hand hob. »Verzeiht, Mijnheer, aber ich habe noch Sklaven von meiner Ladung übrig behalten. Wollt Ihr auch diese sehen?«

Die Frage war eigentlich überflüssig, denn Sklaven waren in den russischen Fürstentümern noch begehrter als in den Küstenstädten der Ostsee, und ein Gutteil der menschlichen Fracht, die Zoetewijn und seinesgleichen nach Osten brachten, wurde von den einheimischen Händlern nach Pskow und Nowgorod weiterverkauft. Der Handelsherr konnte sich daher einen guten Profit ausrechnen. Trotzdem tat er so, als wolle er Zoetewijn einen Gefallen erweisen.

»Wenn Ihr darauf besteht, Kapitein, will ich Euch nicht enttäuschen. Was habt Ihr denn übrig behalten? Ein paar renitente Kerle wahrscheinlich, bei denen man mit der Peitsche nicht sparen darf, um sie zum Arbeiten zu bringen, ein paar Kinder, die zu klein sind, um zupacken zu können, und ein paar Vetteln, die man besser auf die Kirchenstufen zum Betteln geschickt hätte.«

»Seht selbst!« Zoetewijn gab einem Matrosen den Wink, die Luke zu dem Verschlag mit den männlichen Sklaven zu öffnen. Es handelte sich bei ihnen tatsächlich um jene Kerle, die er unterwegs nicht losgeworden war, doch der Preis, den sein Partner ihm bot, stellte ihn zufrieden.

»Ihr seid ein zäher Handelspartner! Aber jetzt will ich sehen, ob Ihr nicht ein wenig tiefer in Eure Truhe greifen werdet.« Zoetewijn grinste voller Vorfreude, als sie in den Verschlag mit den Frauen und Kindern hinabstiegen.

Der Kaufmann überflog die kleinen Mauren und Ketzerkinder mit einem leicht gelangweilten Blick und starrte dann mit jäh erwachendem Interesse die junge Mohrin an. »Was habt Ihr denn da?«

»Eine Mohrin, frisch aus Afrika, jung, gesund und so gut gebaut, wie es sich ein Mann, der sich nach ein wenig Abwechslung im Bett sehnt, nur wünschen kann.« Zoetewijn sah zufrieden, wie der andere unbewusst nickte.

»Sie soll sich ausziehen!«, forderte der Kaufherr.

Zoetewijn machte Alika mit Gesten klar, was der Mann wollte. Das Mädchen schüttelte den Kopf und wich bis an die Wand zurück. Marie trat vor sie, doch der Kapitän schob sie beiseite, packte die Mohrin und zerrte sie unter die Lampe. Als er begann, ihr die Kleider zu lösen, versuchte Alika sich zu wehren und erhielt dafür eine Ohrfeige, die ihr die Tränen aus den Augen rinnen ließ.

»Verdammtes Miststück, gehorche!«, herrschte Zoetewijn sie an. Alika verstand die Worte zwar nicht, erkannte aber an der Miene des Kapitäns, dass ihr jeder weitere Widerstand noch härtere Schläge eintragen würde. Daher ließ sie sich bis auf die Haut entkleiden.

Der Kaufmann sah dem Kapitän mit so gierig glitzernden Augen zu, dass Marie bereits erwartete, er würde auf der Stelle über ihre Freundin herfallen. Dies tat er dann aber doch nicht, sondern begnügte sich damit, Alikas Busen zu befingern und hineinzukneifen. Zoetewijn hielt sicherheitshalber ihre Hände fest, damit sie die tastenden Finger seines Kunden nicht wegstoßen konnte.

Der Kaufmann bückte sich und griff ihr zwischen die Schenkel.

»Habt Ihr sie schon kräftig zugeritten?«, fragte er den Kapitän mit einer Stimme, die seine erwachende Lust verriet.

Zoetewijn schüttelte den Kopf. »Ich vergreife mich nicht an der Ware, die ich verkaufen will, und verbiete dies auch meinen Männern.«

»Das habt Ihr bei einem so prallen Stück wie dieser Schwarzen bestimmt arg bedauert!«

»Weib ist Weib«, brummte Zoetewijn.

Natürlich hatte es ihn gereizt, sich der jungen Mohrin zu bedienen, doch wenn er sich nicht zurückgehalten hätte, wäre seine Mannschaft zuerst über sie und dann auch über die anderen Frauen und Mädchen hergefallen. Er beglückwünschte sich im Stillen, dass ihm jene unbeherrschte Gier fremd war, die sein Geschäftspartner jetzt zeigte, und beschloss, die Gefühle des Deutschen auszunutzen. Daher verlangte er für die Mohrin einen Preis, der ihm beim Antritt der Reise völlig unrealistisch erschienen wäre. Zu seiner Verwunderung handelte sein Geschäftspartner nicht, sondern zahlte anstandslos. Der Kaufherr übernahm auch alle anderen Sklaven einschließlich Maries und der kleinen Lisa, ohne mehr als einen symbolischen Betrag von der verlangten Summe abzuziehen. Er interessierte sich auch kaum noch für das, was er erworben hatte, sondern wies Zoetewijn herrisch an, das Gesindel schnellstens zu seinem Haus schaffen zu lassen. Der Blick, mit dem er Alika bei diesen Worten bedachte, verriet, um was sich seine Gedanken drehten.

Das Vermächtnis der Wanderhure
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