XIII.

 

Ritter Heinrich von Hettenheim empfand Burg Kibitzstein als tristen, wenig einladenden Ort, und das lag nicht allein an dem trüben Wetter und dem Regen, der wie ein dichter Vorhang vom Himmel fiel. Es war, als trauere sogar die Landschaft rings um die Festung. Bisher hatte er nur Gerüchte über Maries Tod gehört. Aber alles in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, jene prächtige Frau, die er auf den Feldzügen gegen die aufständischen Böhmen kennen und schätzen gelernt hatte, würde nicht mehr existieren. Sie war stark gewesen und so voller Leben, dass er erwartete, sie aus dem Tor der Burg treten und über all das Gerede lachen zu sehen. Doch die Burg blieb abweisend und wirkte wie verlassen.

»Der Herrgott kann das einfach nicht zugelassen haben!«

»Das mit Frau Marie, meint Ihr?« Sein Knappe Anselm hatte ebenfalls seine gute Laune verloren und ritt wie ein grauer Schatten an seiner Seite. Nun wischte er sich über das Gesicht, um die Nässe zu trocknen, die nicht allein vom Regen stammte. »Ich muss immer daran denken, wie sie mit uns am Lagerfeuer saß und uns in einer Zeit Mut gemacht hat, an die ich mich nur noch mit Schaudern erinnern kann. Der Herrgott wird sie nicht zu sich genommen haben! Das wäre nicht gerecht.«

»Der Herrgott lässt vieles zu, was wir Menschen nicht verstehen.« Ritter Heinrich war froh, als sie das Burgtor erreicht hatten und das Gespräch beenden konnten, welches sich nur um Tod und Leid gedreht hatte.

Der Türmer von Kibitzstein hatte die Reisenden längst gemeldet, und daher wurde das große Tor geöffnet, ehe sie den Klopfer betätigen konnten. Als Heinrich von Hettenheim aus der Torburg in den Hof ritt, sah er Michel auf sich zukommen. Scharfe Linien hatten sich in das Gesicht seines Freundes eingegraben, und an den Schläfen waren breite weiße Strähnen zu sehen. Er wartete, ohne ein Wort zu sagen, bis sein Gast abgestiegen war, und umarmte ihn dann, als wolle er sich an ihm festhalten.

Ritter Heinrich spürte, dass Trauer und Verzweiflung Michel zu brechen drohten, und senkte betrübt den Kopf. »Es stimmt also. Marie ist tot.«

Michel nickte mit verschleierten Augen. »Die letzte Hoffnung ist zerronnen. Vor drei Tagen ist ein Bote des Vogts von Speyer erschienen und hat uns die Nachricht gebracht, dass Maries Leichnam ein Stück weiter flussabwärts entdeckt worden ist. Viel war nicht mehr zu erkennen, denn sie hatte bereits zu lange im Wasser gelegen, doch man konnte ein Stück Tuch aus ihrem Kleid herausschneiden. Anni und ich haben es sofort erkannt.«

»Gott schenke ihr die ewige Ruhe und führe sie in die Seligkeit.« Ritter Heinrich schlug das Kreuz und blickte Michel dann herausfordernd an. »Du darfst dich jetzt nicht gehen lassen! Das wäre gewiss nicht in Maries Sinn. Denk an eure Tochter! Da Trudi ihre Mutter verloren hat, braucht sie dich mehr denn je.«

»Du hast ja Recht! Es ist nur … sie fehlt mir so sehr! Nachdem wir durch den böhmischen Krieg so lange getrennt waren, hatte ich gehofft, uns würden ein paar schöne Jahre hier auf Kibitzstein bleiben. Zu unserem neuen Besitz gehören Weinberge, an denen Marie viel Freude gehabt hätte. Sie hat schon in Rheinsobern welche besessen und wusste einen guten Tropfen zu keltern.« Michel versuchte vergeblich, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.

Heinrich von Hettenheim verstand seinen Schmerz, sagte sich jedoch, dass er seinen Freund aus der Apathie reißen musste.

»Behalte Marie in deinem Gedächtnis, wie du sie zuletzt gesehen hast, aber verschließe dich nicht vor der Welt. Bei Gott, du bist ein gut bestallter Reichsritter und niemandem untertan als dem Kaiser selbst. Du musst an deinen Besitz denken und an Trudi, die ihn einmal erben wird! Vielleicht heiratest du sogar noch einmal, um einen Sohn zu bekommen.«

Michel lachte misstönend. »Ich und noch einmal heiraten? Wie könnte ich nach meiner Marie irgendein Weib zur Frau nehmen? Es gibt keine, die ihr das Wasser reichen kann!«

»Dann erziehe deine Tochter gut und sorge dafür, dass sie ein gesichertes Erbe übernehmen kann. Oder willst du, dass Kibitzstein und damit auch sie zum Spielball der Nachbarn werden?«

Das ließ Michel zusammenzucken. »Das will ich gewiss nicht, aber …«

»Da gibt es kein Aber! Du bist Michel Adler, Reichsritter auf Kibitzstein, und hast Verpflichtungen deinem Besitz, deiner Tochter und dem Kaiser gegenüber!«

Michel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Herr Sigismund hat mich für die nächsten drei Jahre von allen Pflichten ihm gegenüber befreit, damit ich meine Herrschaft hier festigen kann.«

»Dann tu das gefälligst auch!« Heinrich von Hettenheim sah seinen Freund kopfschüttelnd an. »Ich glaube, ich bin gerade zur rechten Zeit gekommen. Du brauchst einen Nasenstüber, der dich wieder auf den richtigen Pfad bringt. Aber den würde ich dir lieber bei einem guten Braten und einem Becher Wein verpassen. Außerdem bin ich nass bis auf die Haut.«

»Verzeih, ich bin ein schlechter Gastgeber. Zdenka, kümmere dich darum, dass Herr Heinrich ein warmes Bad und frische Kleider bekommt. Dann lass auffahren, was Küche und Keller für zwei hungrige Gäste hergeben.« Michel drehte sich zu der Wirtschafterin um, die er und Marie aus Böhmen mitgebracht hatten, und sah, dass Zdenka dem Gesinde bereits die nötigen Befehle erteilte.

Unterdessen war Trudi Mariele entschlüpft und sprang nun ungeachtet des Regens in ihrem dünnen Kleidchen die Treppe des Palas herab. Mit ausgebreiteten Armen rannte sie auf Ritter Heinrich und Anselm zu. »Habt ihr Mama mitgebracht?«

Heinrich von Hettenheim schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nicht, Schätzchen. Deine Mama ist im Himmel und passt von dort aus auf dich auf.«

Die Kleine schürzte die Lippen und funkelte ihn zornig an.

»Meine Mama ist nicht im Himmel! Ich weiß, dass sie zurückkommen wird.«

»Trudi versteht noch nicht, was geschehen ist.« Michel nahm seine Tochter auf den Arm, drückte sie an sich und sah ihre blauen Augen auf sich gerichtet, die ein wenig dunkler waren als die ihrer Mutter. In diesem Augenblick vermisste er Marie noch mehr als sonst.

Das Vermächtnis der Wanderhure
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