12.
»Ich komme einfach nicht über die Sache mit Sam hinweg«, sagte Terri am Samstagabend zu Saul, als sie auf ihre Grillplatte im News Café warteten.
Saul, der gerade sein Weißweinglas gehoben hatte, stellte es wieder hin.
»Reg dich nicht auf«, sagte Terri. »Du weißt, dass es stimmt.«
»Es stimmt absolut nicht«, widersprach Saul, »und wenn ich mich aufrege, dann nur, weil ich dachte, wir hätten das längst hinter uns.«
Sie hatten vergangene Nacht darüber gestritten. Nach Sams Reaktion auf ihre Fragen zu den beiden Morden war Terri zu dem Schluss gekommen, dass Sauls älterer Bruder sie hasste. Saul hatte erwidert, dass sie übertreibe, dass es nur ein Augenblick gewesen sei, nichts. Teté hatte geantwortet, dass es keineswegs »nichts« gewesen sei, dass sie sich gedemütigt fühlte und dass nur jemand, der einen wirklich nicht mochte, zu so etwas fähig sei.
»Sam mag dich«, hatte Saul ihr erklärt. »Er hält dich für schön und klug.«
»Er hasst es, dass du mit einem Cop ausgehst«, hatte sie erwidert.
Das zu leugnen war Saul schon schwerer gefallen, und dann hatte Terri ihm erzählt, dass Sam es ihr unmöglich mache, sich in seiner Familie wohl zu fühlen. Danach war der Streit außer Kontrolle geraten. Und Saul konnte es nicht ausstehen, sich mit Teté zu streiten, oder schlimmer noch, sich zwischen der Frau, die er liebte, und dem Bruder, den er bewunderte, hin- und hergerissen zu fühlen.
Sex hatte die Nacht gerettet – und zu sagen, dass Teresa Suarez die beste Liebhaberin war, die Saul je gekannt hatte, wäre die Untertreibung des Jahrzehnts gewesen. Tatsache war, dass er fast alles für sie getan hätte. Es war für ihn schier unfassbar, dass ein Mädchen wie Terri ihn wollte, aber es war unübersehbar, und Saul war zutiefst dankbar dafür.
»Warum sollte sie dich nicht wollen?«, hatte sein Freund Hal Liebmann einmal zu ihm gesagt. »Du siehst ganz gut aus, und du wirst mal Arzt.«
»Ich bin Student und wohne noch bei meinem Dad.«
»Nach dem zu urteilen, was du mir erzählt hast«, hatte Hal erwidert, »beneidet Terri dich vermutlich darum.«
Nun, im geschäftigen South Beach Café, kam ihre Platte, und ein paar Minuten lang beschäftigten sie sich mit Pita und Dips, obwohl Saul der Appetit fast vergangen war.
»Bitte«, sagte er nach einer Weile. »Lass uns nicht wieder streiten.«
»Ich will mich nicht mit dir streiten«, erwiderte Terri.
»Gut«, sagte er erleichtert.
»Aber ich denke, dass du vielleicht mal mit Sam reden solltest.«
Saul schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich werde diese nichtige Angelegenheit nicht unnötig aufblasen.«
»Nichtige Angelegenheit?«, wiederholte Terri kalt.
»Um Himmels willen!«, sagte Saul.
Er verließ sie an der Tür ihres Apartments im zweiten Stock des graubraunen Gebäudes an der Washington Avenue zwischen 14th und 15th Street. Er wartete, bis sie drinnen war, und fuhr dann in Richtung Heimat, vorbei am Haus seines Bruders. Sollte das Licht im ersten Stock des Hauses von Sam und Grace noch brennen, würde er reingehen und seinen Bruder zur Rede stellen.
Und die Lichter brannten. Grace war oben und nahm ein Bad. Cathy war ausgegangen. Sam und Woody waren gerade von einem Abendspaziergang zurückgekehrt.
»Ich bin hier, um die Dinge zwischen dir und Terri ein für alle Mal zu klären«, sagte Saul.
Sam war einen Augenblick lang nervös geworden, als er Saul auf der Schwelle gesehen hatte; dann hatte er sich über den unerwarteten Besuch seines kleinen Bruders gefreut.
Mit der Freude war es jetzt vorbei.
»Ich würde mir wünschen«, sagte er in der Küche, nachdem er Sam einen entkoffeinierten und sich selbst einen echten Kaffee eingeschenkt hatte, »dass ich mir nicht jedes einzelne Wort sorgfältig überlegen muss, das ich zu Terri sage. Das will ich bei niemandem aus meiner Familie müssen.«
»Du musst also nicht auf jedes einzelne Wort achten, sie aber schon, ja?«, erwiderte Saul vorwurfsvoll.
Sam runzelte die Stirn. »Es geht um die beruflichen Fragen, stimmt’s?«
»Sie war bloß interessiert. Also hat sie eine Frage gestellt.« Saul hatte seinen Kaffee auf dem Tisch stehen lassen und ging nun auf und ab. »Die zu beantworten wäre ja wohl keine so große Sache gewesen, oder?«
Sam rührte braunen Zucker in den Espresso.
»Tatsächlich wäre es sogar eine sehr große Sache gewesen«, sagte er. »Es ist nicht ihr Fall.«
»Es geht sie nichts an, meinst du«, entgegnete Saul.
»Es ist nicht an ihr, danach zu fragen.«
Saul setzte sich, schnappte sich seinen Kaffee, trank einen Schluck und stellte die Tasse wieder hin. »Ich mag es nicht, wenn sie sich so aufregt.«
»Das verstehe ich.«
»Und besonders mag ich es nicht, dass es mein Bruder ist, der sie so aufgeregt hat.«
Sam ließ sich einen Moment Zeit. »Da muss doch noch mehr sein als nur eine Frage, die ich gestern Abend nicht habe beantworten wollen.«
»Sie glaubt, du würdest sie nicht mögen.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Sam. »Das weißt du.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.« Saul stand wieder auf.
»Hör auf, dich mit mir zu streiten«, sagte Sam, »besonders nicht über so was.«
»Das ist wichtig für mich.«
»Genau«, sagte Sam. »Für mich auch.«
Saul schaute zu ihm hinunter, sah die Sorge auf dem Gesicht seines Bruders, wusste, dass es ihm ernst war, und setzte sich wieder.
»Sie ist sehr sensibel«, erklärte er. »In vieler Hinsicht.«
»Sie hat einen problematischen Hintergrund«, sagte Sam. »Das habe ich bis gestern Abend nicht gewusst, und es ist ihre Privatangelegenheit. Es gibt keinen Grund, warum wir das wissen sollten.«
»Dürfte es denn Einfluss darauf haben, wie du mit ihr redest?«
»Vielleicht nicht«, antwortete Sam, »aber je mehr man über einen Menschen erfährt – besonders wenn es die Frau ist, die der eigene Bruder liebt –, desto mehr kann man versuchen, diesen Menschen zu verstehen.«
»Bei dir klingt das, als wäre sie ein Fall.« Saul war wieder gereizt. »Wie einer von Grace’ Patienten. Terri ist ein großartiger Mensch, Sam. Sie braucht dein Verständnis nicht.«
»Hör auf, so verdammt reizbar zu sein.« Jetzt wurde auch Sam langsam ärgerlich. »Wir haben gestern alles getan, damit Terri sich willkommen fühlt.«
»Grace und Cathy sicherlich«, sagte Saul, »und Dad.«
»Aber ich nicht, was?« Sam senkte die Stimme. »Das stimmt nicht, Saul. Aber solltest du so empfinden, tut es mir leid.«
»So empfinde ich nicht«, gab Saul zu, »nicht wirklich.«
Sam rührte noch ein wenig in seinem Kaffee herum, probierte ihn dann und befand ihn für nicht so gut wie sonst. Er wusste, dass es weder mit der Maschine noch mit den Bohnen zu tun hatte, sondern mit der Gefahr, sich mit Saul zu zerstreiten.
»Hat Terri dich gebeten, zu mir zu kommen?«
»Sie hat gesagt, sie würde es gerne sehen, wenn ich mit dir rede«, antwortete Saul. »Und ich bin wütend auf sie geworden.«
Sam lächelte. »Und dann hast du beschlossen, vorbeizukommen und mir in den Arsch zu treten.«
»Ja.« Sauls Mundwinkel zuckten beim Anflug eines Lächelns.
»Was soll ich dir sagen, Bruderherz?«, sagte Sam. »Die Liebe ist das Beste auf der Welt, aber manchmal tut sie einfach nur höllisch weh.«