Epilog
In dem wir der Tatsache versichert werden, dass sich zwar nichts ändert, aber alles gut wird
Lady Winnie und Lady Nilly überhäuften Victoria mit Komplimenten, richteten ihr Haar - das ihr jetzt schon wieder fast bis zu den Schultern reichte - und zupften an ihren Röcken.
»Du siehst einfach bezaubernd aus, meine Liebe«, sagte Lady Winnie, während sie zurücktrat, um Victoria voller Zuneigung anzuschauen. Vielleicht waren es Tränen, die ihre Augen schimmern ließen, oder möglicherweise auch nur der Umstand, dass sie einen Teller mit frischen Leckereien entdeckt hatte, der von Verbena hereingebracht worden war. Mit Schokolade überzogener Kürbis. Eine ihrer Lieblingssüßigkeiten.
»Wirklich«, schniefte Nilly, die tatsächlich sehr ergriffen war. Ihr Taschentuch war ganz feucht, und ihre schmalen Schultern bebten ein bisschen, als sie sich bemühte, nicht schon wieder Tränen in ihre rotgeränderten Augen steigen zu lassen. »Ich liebe Hochzeiten.« Sie brach wieder in Tränen aus, als Winnie ihr den Rücken tätschelte, während sie weiter die Süßigkeiten beäugte. »Und Babys.«
Victoria kam sich dagegen eher wie eine Art unbeholfene Kuh vor. Ihr Bauch, der unter Metern grüner Stoffbahnen verborgen war, konnte doch unmöglich noch größer werden ... doch man hatte ihr versichert, dass sie noch einige Monate vor sich hatte, um zuzulegen. Allein der Gedanke war unvorstellbar.
Da kam es gerade recht, dass die Vampire sich seit Liliths Tod von London fernzuhalten schienen. Es überstieg Victorias Fantasie, sich auszumalen, wie sie in diesem Zustand einen Pflock schwang, zutrat oder auch nur lief. Tatsächlich war Max das letzte Mal, als sie versucht hatte, mit Kritanu im kalari zu trainieren, in den Raum spaziert gekommen, hatte einen Blick auf ihre etwas vorderlastige Figur und ihr ziemlich unbeholfenes Hantieren mit einer kadhara-Klinge geworfen, um daraufhin sofort wieder zu gehen.
Sie meinte noch den so seltenen Klang seines Lachens gehört zu haben, beschloss aber, dass es in ihrer beider Interesse war, wenn sie dem nicht weiter nachging. Schließlich trug sie immer noch zwei vis bullae und er nur eine; sie könnte ihm unter Umständen weh tun.
»Und hier ist die Braut!«, kreischte Nilly, und ihre Tränen versiegten. Für den Moment.
Victoria schaute auf, als die Tür zum Ankleidezimmer ihrer Mutter aufging und Lady Melly in den kleinen angrenzenden Raum trat.
Sie strahlte, wie es wohl jede Braut tat — insbesondere eine, der es gelungen war, sich einen der begehrtesten Junggesellen von ganz London zu schnappen. Einen Moment lang beneidete Victoria ihre Mutter ein wenig um deren schlanke Figur, war aber kein bisschen ob der Tatsache verärgert, dass Lady Melly jetzt den Titel Marquise von Rockley tragen würde, während ihre Tochter einfach nur die Witwe blieb.
Auf diesen seltsamen Umstand war immer wieder in den Gesellschaftsspalten der Zeitungen hingewiesen worden, aber außer ein bisschen Mitleid für den so schnöde zurückgewiesenen Lord Jellington verspürte Victoria ansonsten nur Freude bei dem Gedanken an die Heirat ihrer Mutter.
Angesichts ihrer Freude, dass Lady Mellys mütterliche Aufmerksamkeit sich jetzt auf drei Töchter verteilen würde — zwei gehörten dem verwitweten Rockley, den sie kennengelernt hatte, als dieser nach London kam, um Titel und Besitztümer zu übernehmen -, hätte Victoria vielleicht leichte Gewissensbisse bekommen müssen, aber das sollte man ihr nachsehen.
»Aber, Mama«, meinte Victoria, die die komplizierte Haartracht ihrer Mutter musterte, als diese Lady Winnie umarmte. »Deine Frisur ist... höchst ungewöhnlich.«
»Gefällt sie dir nicht?«, fragte Melly, deren Gesicht vor Freude strahlte. »Ich habe extra deine Zofe — Violet, nicht wahr? Nein, Verbena - gefragt, ob sie sie mir machen würde. Es hat mir schon immer gefallen, wie sie diese kleinen Stäbe in deinem Haar arrangiert hat.«
Das war eine weitere Nebenwirkung von Mellys Liebesheirat. Ihre Erinnerung an manche Begebenheiten schien sich abgeschwächt oder völlig verändert zu haben. Und Victoria freute sich so sehr für ihre Mutter, dass sie gar nicht daran dachte, diese an ihre früheren kritischen Bemerkungen über die mit Federn oder anderem Zierrat versehenen Pflöcke zu erinnern, welche Verbena häufig in Victorias Frisur untergebracht hatte.
Stattdessen bewunderte sie die perlweißen Stäbe, die in Mellys ähnlich dunklen Locken schimmerten und mit Federn und Diamanten geschmückt waren.
»Es sieht reizend aus«, sagte sie und fing Verbenas Blick auf, als diese hereinkam, um ihr kleines Kunstwerk zu bewundern.
Verbena, die schon immer recht üppig gewesen war, hatte in den letzten paar Monaten noch etwas zugelegt. Seit sie und der Stallbursche Oliver einen gewissen Abend - den Abend, der Victoria immer als die Nacht des rosafarbenen Nachthemds in Erinnerung bleiben würde - in Vauxhall verbracht hatten, waren die beiden unzertrennlich. Als Victoria und Max aus Rumänien zurückgekehrt waren, hatten die beiden auch gar keine andere Wahl gehabt, als zu heiraten.
Ach ja, Max... Victoria wandte sich an die schwatzenden Damen und entschuldigte sich unter dem Vorwand, den Auftritt der Braut nicht ruinieren zu wollen, indem sie sich mühsam vor ihr die Treppe hinunterquälte.
Nilly und Winnie tätschelten ihr noch ein paar Mal den Bauch und erlaubten Victoria dann zu gehen, während sie weiter an den Haaren, den Röcken und dem Schmuck ihrer Freundin herumzupften.
»Ich hasse Hochzeiten«, murmelte Max, nachdem Victoria ihn hinter der Kapelle von St. Heath's Row, dem Sitz der Rockleys, gefunden hatte, wo er sich herumdrückte. Eine Gartenparty war im Januar natürlich gar nicht erst in Erwägung gezogen worden, und obwohl es außerhalb der Saison war, hatten sich Melly und ihr Verlobter auch davon bei der Festlegung ihres Hochzeitstermins nicht stören lassen. Dafür waren sie viel zu vernarrt ineinander. »Sie hätten doch einfach durchbrennen und uns damit all das hier ersparen können.«
»Meine Mutter war schon genug traumatisiert, nachdem wir durchgebrannt waren«, rief Victoria ihm in Erinnerung. »Dass wir so ungeschoren davongekommen sind, haben wir nur der Tatsache zu verdanken, dass sie ihre eigene Hochzeit planen musste und sie die Aussicht auf zwei weitere Hochzeiten bei ihren Stieftöchtern hat.«
»Ich wäre ohnehin ungeschoren davongekommen«, erinnerte Max sie. »Ich glaube wirklich, dass deine Mutter immer noch ein bisschen Angst vor mir hat.«
Victoria lächelte. »Ein bisschen? Erinnerst du dich daran, wie du sie angeschaut hast, als sie vorschlug, das Baby Ermintrude zu nennen? Ich war wirklich überrascht, dass sie damals nicht sofort in Ohnmacht gefallen ist.«
»Ein lächerlicher Name. Und ich - wir - sind völlig in der Lage, selber einen Namen für unser Kind zu finden.« Er veränderte seine Position, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer der Kapelle und lockerte seinen Griff, sodass sie sich entspannt bei ihm anlehnen konnte. »Wann geht diese blöde Hochzeit endlich los?«
»Ich nehme an bald.«
»Nicht bald genug«, grummelte er. »Die letzte Hochzeit, bei der ich war, war deine, und die fing auch spät an, wie ich mich jetzt erinnere.«
Sie sah ihn an. »Das hatte ich ja ganz vergessen. Damals warst du genauso verärgert wie jetzt.«
»Du hattest mich eingeladen, damit ich aufpasste, dass keine Vampire deine Hochzeit störten«, frischte er ihre Erinnerung auf. »Ich wollte von Anfang an gar nicht dabei sein, und dann hast du doch tatsächlich die Dreistigkeit besessen, mich darum zu bitten, auf Untote achtzugeben, während du einem anderen das Jawort gabst.«
Ihre Augen funkelten vor Freude. »Dann warst du also eifersüchtig.«
»Nein. Natürlich nicht.« Er sah sie an, als wäre ihr plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. Oder vielleicht sogar ein dritter.
»Natürlich doch. Genauso wie du angeblich nicht geguckt haben willst, als ich mich in der Kutsche umzog. Ach, komm schon, Max, gib es endlich zu. Du hast mir beim Umziehen zugeguckt. Du konntest einfach nicht widerstehen.«
»Nein. Das stimmt überhaupt nicht«, erwiderte er, aber er lächelte jetzt, und in seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen. »So etwas Ungehobeltes hätte ich nie getan.«
Die Musik setzte ein: Eine kleine Orgel in der Kapelle begann zu spielen, und Victoria sah, dass der Bräutigam seinen Platz vorn am Altar eingenommen hatte. »Ich glaube, ich sollte mir jetzt einen Sitzplatz suchen. Es wäre doch etwas unpassend, wenn die Tochter der Braut auf einer der hinteren Bänke sitzt. Kommst du mit?«
»Wohin du willst«, sagte er und sah ihr in die Augen. Doch dann grinste er und machte die Wirkung seiner Worte zunichte, indem er hinzufügte: »Weißt du, ich glaube, ich habe Blut geleckt.«