Kapitel 11

In dem ein Vampir auf ein hübsches Gesicht hereinfallt

 

Max machte es wütend, dass er die Träume nicht abschütteln konnte. Fast jeden Morgen begleitete ihn die Erinnerung daran noch die ersten paar Stunden, die er schon wach war, sodass er einen ständigen Druck auf dem Magen und zitternde Hände hatte, während ihn die Bilder verfolgten.

Man hätte meinen können, dass nur vier oder fünf Stunden Schlaf jede Nacht nach einem anstrengenden ganzen Tag im Sattel und ein Lager mit Vioget und Victoria in kleinen, gemieteten Räumen — wo einer zu dicht und die andere viel zu weit weg schlief - einen Menschen so erschöpften, dass er nicht mehr träumte.

Aber leider war dem nicht so.

Er fuhr aus einem Alptraum auf, in dem er immer noch das Schwert umklammerte, mit dem er Eustacia den Kopf abschlagen würde - und das Gesicht Victorias, nicht Eustacias, wandte sich ihm zu und wartete auf den tödlichen Hieb.

Max wälzte sich von dem schmalen Bett und stand langsam, mit immer noch pochendem Herzen und zitternden Fingern auf. Als er sich benommen umdrehte und mit der Stirn gegen einen Dachbalken in dem schäbigen, kleinen Zimmer stieß, machte er sich nicht die Mühe, seinen herzhaften Fluch zu unterdrücken. Aber zumindest half der Zusammenstoß, die nächtlichen Spinnweben aus seinem Kopf zu vertreiben.

Victoria sah ihn neugierig an, war aber schlau genug, nichts zu sagen. Die drei hatten so etwas wie eine morgendliche Routine entwickelt. Max und Sebastian zogen sich schnell an und gingen dann hinaus, um die Pferde zu satteln und ein Frühstück zu beschaffen, während Victoria sich sorgfältig zurechtmachte.

Denn seit sie den Kanal überquert hatten, kleidete Victoria sich wie ein Mann, weil sie im Männersattel ritt und den Raum mit zwei Männern teilte.

Und sie hatte ihre Haare abgeschnitten.

Oder eher... Max hatte ihr die Haare abgeschnitten.

Sie hatten sich gleich am ersten Morgen in der Normandie darüber gestritten.

»Du musst dein Haar besser verbergen, wenn du willst, dass die Leute dich für einen Mann halten«, hatte Max zu ihr gesagt. Hose, Hemd und Jacke waren zwar gut, aber auf den Körperbau eines Mannes zugeschnitten, nicht auf die Rundungen einer Frau.

»Dann schneide es ab«, erwiderte Victoria, hob den schweren Zopf und ließ ihn auf ihre Schulter fallen. »Du hast schon mal gesagt, dass ich es tun soll.«

»Aber nein, so weit musst du doch nicht gehen. Steck sie einfach unter deine Mütze oder in deine Jacke«, meinte Vioget von der anderen Seite des Raumes. »Es wäre eine Schande, so schöne Locken abzuschneiden. Die reichen doch, wenn du dein Haar offen trägst, fast bis zur...«

»Taille. Wie ungehobelt, das zu erwähnen«, unterbrach Max ihn. Ihre Blicke kreuzten sich, und die gegenseitige Abneigung hing fast greifbar in der Luft.

»Ich mach es selber«, zischte Victoria, packte ihren Zopf, sodass er sich spannte, und griff nach dem Messer, das sie an der Hüfte trug. Die Klinge blitzte in der frühmorgendlichen Dämmerung. »Verdammte Narren.«

»Nein, warte«, rief Max und packte ihr Handgelenk. Er zögerte... doch am Ende musste es doch getan werden. »Lass mich das machen. Du schneidest dich nur.«

Was für ein fadenscheiniger Vorwand! Doch sie ließ den Arm sinken und sich das Messer von ihm aus der Hand nehmen. Er legte eine Hand an ihren Hinterkopf, und ehe er noch einmal darüber nachdenken konnte, um es sich anders zu überlegen, schnitt er den langen, dicken Zopf direkt am Nacken ab.

Der Zopf lag schwer in seiner Hand, während er beobachtete, wie die dunklen Locken sich um die weiche Haut von Schultern und Hals ringelten. Sie reckte sich und schüttelte den Kopf, als wäre sie von einer großen Last befreit worden, und lächelte ihn an. »Ich fühle mich so leicht.«

»Ein bisschen sicherer ist es so auch«, meinte er, während er den Blick nicht von Victoria abwenden konnte, die mit den weichen, zerzausten Haaren, die ihr in die Augen und ins Gesicht fielen, aussah, als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen.

»Und sehr, sehr süß«, warf Vioget ein. »Überhaupt nicht jungenhaft.«

»Und wofür war das Ganze dann?«, lachte Victoria.

Nicht allzu sanft fasste Max das, was von ihrem Haar übrig geblieben war, zu einem tiefen Zopf zusammen. Dann band er ihn mit dem Lederstreifen zusammen, den er sonst für sein eigenes Haar benutzte. »Setz einen Hut auf, und du siehst wie ein junger Mann aus.«

»Ein sehr hübscher junger Mann«, stimmte Vioget ihm zu, der immer das letzte Wort haben zu wollen schien.

Jetzt, nach einer mehr als einwöchigen, schnellen Reise tauchte Prag vor ihnen auf. Die orangeroten Dächer der eng zusammenstehenden Gebäude, zwischen denen der schwarze Turm des noch nicht fertig gestellten Veitsdoms aufragte, leuchteten hell in der untergehenden Augustsonne. Jenseits der funkelnden Moldau konnte Max ganz schwach den Doppelturm der Teynkirche ausmachen.

»Ich nehme an, Sie wissen, wo wir Katerina finden«, sagte er, sich zu Vioget umdrehend.

»Ganz gewiss.«

Max nickte und nahm die Zügel wieder auf. »Das überlasse ich dann euch beiden. Wir treffen uns übermorgen Abend in der Teynkirche.« Er hatte heute Morgen bereits mit dem Fasten begonnen und würde, noch bevor die Sonne ganz untergegangen war, auf den Knien in der Kirche hocken. Für den ersten Fastentag wäre das laut Wayren ausreichend.

Vioget sah aus, als ob er noch etwas sagen wollte, aber dieses eine Mal hielt er sich dann doch zurück. Max sah Victoria an, ohne seinen Blick jedoch verweilen zu lassen. »Pass auf dich auf« war alles, was er zum Abschied sagte.

Jedes einzelne Wort, das sie darauf erwidert haben mochte, ging im lauten Hufgetrappel seines Pferdes unter, als es davon-sprang.

Max drehte sich nicht noch einmal um.

Victoria sah ihm hinterher und widerstand dem Impuls, ihr eigenes Pferd anzutreiben und ihm hinterherzugaloppieren. Sie würde Max in drei Tagen wiedersehen, und bis dahin mussten sie und Sebastian den Vampir Katerina finden. Sie konnte es sich nicht leisten, sich von irgendwelchen Sorgen ablenken zu lassen. Dafür war später auch noch Zeit, sagte sie sich. Trotzdem sah sie ihm hinterher, während er immer kleiner wurde und sie dabei von einem schmerzlichen Gefühl des Verlustes erfüllt wurde.

Sie und Sebastian ritten eine Weile schweigend die Straße entlang, und die Stadt war immer deutlicher zu erkennen, obwohl die untergehende Sonne immer länger werdende Schatten warf. Zwischen den Bäumen hindurch erhaschte sie hin und wieder einen Blick auf die einzige Brücke, die die Moldau überspannte, und Victoria hielt nach Max Ausschau. Aber es wurde immer dunkler, und alle Reiter sahen gleich aus.

Victoria gab sich innerlich einen Ruck, und ihre Entschlossenheit kehrte zurück. Es gab wichtigere Dinge, um die sie sich jetzt zu kümmern hatte, Dinge, die weit reichende Folgen haben konnten, wenn sie sie nicht erfolgreich erledigte. Sie schaute Sebastian an und fragte: »Du bist dir ganz sicher, dass diese Katerina den Ring von Jubai hat?«

Er sah sie an, wobei ein Grinsen seine Mundwinkel nach oben zog. »Es wäre doch wohl Zeitverschwendung, hierherzukommen, wenn ich mir nicht sicher wäre, oder?« Er zuckte die Achseln. »Mein Großvater erzählte mir, dass Katerina den Ring, nachdem sie ihn von Germintrude erhalten hatte, nie wieder ablegte. Das war wohl ihre Art, Lilith ihre Verachtung zu zeigen, nehme ich an.«

Er zeigte auf den Fluss und die einzige Brücke, die ihn überspannte. »Die Steinbrücke«, sagte er. »Katerina wurde wegen dieser Brücke umgewandelt.«

»Du hattest gesagt, du würdest die Geschichte kennen«, erwiderte Victoria, die froh war, sich mit einer Unterhaltung von Max ablenken zu können. Warum hatte er vorausreiten müssen? Sie hatten doch noch immer denselben Weg.

»Ich kenne die Geschichte wahrscheinlich besser als jeder andere Sterbliche«, meinte er. »Wenn ich sie dir erzähle, lenkt dich das vielleicht ein bisschen ab... hmm, Victoria?«

Der Seitenblick, den er ihr zuwarf, zog ihr das Herz kurz zusammen, denn es gelang ihm nicht ganz, seinen eigenen Schmerz zu verbergen.

»Es ist eine wunderschöne Brücke, nicht wahr?«, fragte er, während er mit der Hand darauf deutete. »Wenn die Sonne aufgeht, schimmert sie golden.«

Sie sah Menschen und Kutschen die Brücke überqueren, die mit sechzehn Bögen den Fluss überspannte und an einen anmutigen Tausendfüßler erinnerte. Beiderseits aufgereiht standen Statuen über den Pfeilern der Brücke. Sonstige Mauern oder Verzierungen gab es nicht; es war ein schlichtes, aber elegantes Bauwerk.

Sie ritten weiter, und Victoria schaute zu dem einzelnen verzierten Turm auf, der sich über ihnen auf einem Berg erhob.

»Das ist die Prager Burg«, erklärte Sebastian ihr. »Und das da ist der Veitsdom, an dem seit dem dreizehnten Jahrhundert gebaut wird. Er ist immer noch nicht fertig.«

»Und was ist nun mit Katerina?«

»Du interessierst dich nicht für die Geschichte von Praha, wie die Stadt von den Einheimischen genannt wird?«, fragte Sebastian. »Ich versuche nur, dich von deinen Sorgen abzulenken und ein bisschen auf andere Gedanken zu bringen.«

»Ich mache mir keine Sorgen. Im Moment nicht.«

Sebastian schaute sie an. Sie merkte, wie dunkel es mittlerweile geworden war, weil sie weder sein Gesicht noch das Schimmern in seinen Augen erkennen konnte. »Vielleicht solltest du das aber, Victoria.«

»Was meinst du damit?« Furcht erfasste sie. Was wusste er? Irgendetwas über Max, der jetzt allein unterwegs war?

Dann rief sie sich zur Raison. Dabei hätte sie beinahe ihr Pferd mitten auf der Straße zum Stehen gebracht. Was für ein Dummkopf sie war. Was für ein Dummkopf!

Sie tat genau das, wovor Max sie gewarnt hatte, wovor er Angst gehabt hatte. Sie ließ zu, dass ihre Angst um ihn sie völlig vereinnahmte.

Aber es gab Wichtigeres. Dämonen, die bekämpft werden mussten. Etwas schreckliches, unbekanntes Böses, das sie nie zuvor gesehen hatte und das es gewagt hatte, Wayren zu entführen.

Und Max... Max war mehr denn je in der Lage, selbst auf sich aufzupassen. Sie schüttelte den Kopf und merkte, wie sich ihr Haar aus dem Lederband löste. Eine kinnlange Strähne fiel ihr ins Gesicht, und sie strich sie ungeduldig zurück.

»Na, das ist jetzt die Victoria, die ich kenne«, meinte Sebastian munter, nachdem er sie dabei beobachtet hatte, wie sie sich zusammenriss.

Sie sah, dass sie am Anfang der Brücke angekommen waren. Große Statuen bewachten den Brückenturm.

»Was die Brücke betrifft«, fuhr er fort, während die Pferde das Kopfsteinpflaster betraten, »so gaben die Maurer Eier in den Mörtel, um die Stabilität zu erhöhen. Aus dem ganzen Land wurden Eier nach Praha geschickt, um die Handwerker dabei zu unterstützen. Und«, fugte er mit einem Lächeln hinzu, als ihre Pferde den Huf auf die Brücke setzten, »eine ganz besonders hilfsbereite Stadt meinte, es wäre schlau, die Eier zu kochen, ehe man sie losschickte, damit sie unterwegs nicht zerbrachen.«

Victoria sah vor sich und entlang der Brücke Lichter funkeln, doch die orangefarbenen Dächer und weißen Gebäude hatten im schwindenden Licht einen grauen Farbton angenommen. Sie drehte den Kopf, um Sebastian anzusehen. »Sie haben sie gekocht?«

»Ah, du hörst ja doch zu«, meinte er. »Ich dachte schon, deine Aufmerksamkeit verloren zu haben. Ja, in der Tat. Man hat mir erzählt, dass diese Eier für den Mörtel nicht mehr ganz so geeignet waren, aber von den Handwerkern gern als Zwischenmahlzeit genommen wurden.«

Sie lachte kurz auf und spürte im selben Moment das vertraute Kältegefühl im Nacken. Ein Vampir, vielleicht auch zwei.

Kraft durchströmte sie, als sie nach dem Pflock griff, der in ihrem Stiefel steckte. Kaum saß sie wieder aufrecht im Sattel, warf sie Sebastian einen Blick zu und sah, dass er sich auch bewaffnet hatte.

Ein schneller Rundumblick, und sie wusste, dass es sich bei dem Untoten um einen gutaussehenden jungen Mann neben einer der Statuen handelte. Er saß auf einem großen Pferd und lächelte eine Frau an, die einen schweren Korb an breiten Lederriemen auf dem Rücken trug. Sie war deutlich älter als Victoria und wirkte im trüben Schein der Laterne ausgezehrt und müde.

Sie würde es mit einem übermenschlich starken Untoten nicht aufnehmen können, doch der würde, wenn er vor die Wahl gestellt wurde, wahrscheinlich frisches, jüngeres Blut vorziehen.

Wie das von Victoria.

Sie warf Sebastian einen viel sagenden Blick zu, zog das Band aus ihrem Haar und zog die Kanten ihres Umhangs nach vorn, um ihre Hosen zu verbergen. Dann trieb sie ihr Pferd an und ritt ganz dicht an dem Vampir und dem von ihm ins Auge gefassten Opfer vorbei.

»Pardon, Monsieur«, sagte sie auf Französisch, der Sprache, mit der man sich in gehobenen Kreisen auf dem ganzen Kontinent verständigen konnte, und schaute den Vampir an. Als dieser seinen Blick von der älteren Frau abwandte, sah sie das Interesse in seinen Augen aufblitzen. Eine Frau, die genau neben ihm anhielt und sich an ihn wandte, als benötige sie Hilfe... Da sie ihn auf Französisch angesprochen hatte, wusste er, dass sie fremd in der Gegend war, und Sebastian hielt sich weit genug entfernt, damit man nicht merkte, dass sie zusammen reisten.

Der Vampir, der genauso wankelmütig war, wie sie ihn eingeschätzt hatte, lenkte sein Pferd von der älteren Frau weg zu der attraktiveren Beute hin. Sie sah an ihm vorbei und beobachtete, wie Sebastian zu der anderen Frau ritt, aus dem Sattel stieg und dafür sorgte, dass sie sicher nach Hause kam.

»Darf ich Ihnen helfen?«, fragte er in etwas holprigem Französisch.

»Oh ja, bitte«, stammelte Victoria. »Irgendwie scheine ich mich verirrt zu haben, und ich hatte gehofft, dass Sie mir vielleicht helfen könnten, ein Gasthaus zu finden, wo ich übernachten kann.«

Sie fand eigentlich, dass jeder Vampir, der auch nur über ein

Fünkchen Verstand verfügte, sich fragen sollte, wie ihm so eine reife Pflaume einfach so in den Schoss fallen konnte... aber bei diesem Untoten hier schien sich gar kein Misstrauen ob des Glücks zu regen, das ihm da widerfuhr. Seine Augen leuchteten sogar vor ruchloser Freude, und er schien gar nicht zu bemerken, dass sein anderes Opfer wegzugehen begann.

»Aber natürlich«, erwiderte er. »Lassen Sie uns über die Brücke zum Altstädter Ring reiten. Dort gibt es viele Unterkünfte, die man mieten kann.«

Und viele dunkle Ecken, in die man ein Opfer ziehen kann, um es völlig auszusaugen.

»Oh, danke«, sagte Victoria, die es viel schöner gefunden hätte, wäre es möglich gewesen, ihm an Ort und Stelle den Pflock ins Herz zu rammen. Aber es würde ein bisschen schwierig zu erklären sein, wieso ein Mann plötzlich aus dem Sattel verschwand und sich in eine staubige Aschewolke verwandelte. Es waren einfach zu viele Leute unterwegs.

Aber wenn sie erst den dunklen Winkel erreicht hätten — und komischerweise würden beide ganz erpicht darauf sein, schnell einen zu finden —, würde Victorias Pflock sein Ziel treffen, wenn er ihr nicht sagen konnte, wo Katerina war. Und natürlich auch, wenn er es konnte.

»Sie haben sich verirrt, sagen Sie? Wo wollen Sie denn hin?«, fragte er, während er neben ihr herritt und sie dabei von den anderen Leuten, die unterwegs waren, abschirmte.

Victoria wandte scheu den Blick ab. »Heute Abend möchte ich nur einen Platz zum Schlafen finden. Morgen... nun, morgen werde ich mich mit meinem Freund treffen.« Keine ihrer besten Lügen, aber der Vampir war offenkundig nur daran interessiert, sie in einen dunklen Winkel zu führen.

Tatsächlich zuckte er noch nicht einmal mit der Wimper bei ihrer dünnen, ziemlich albernen Geschichte. Dieser Untote war eindeutig einer der unfähigsten Vampire, die ihr je begegnet waren. Es war genauso, wie Tante Eustacia immer gesagt hatte. Es gab schlaue Vampire und dumme, verblödete und furchteinflößende; aber egal, über welche geistigen Fähigkeiten sie verfügten - jeder Einzelne von ihnen war böse und nur auf eines aus: menschliches Blut zu trinken.

Mittlerweile hatten sie die Brücke überquert und ritten durch das Brückentor auf die Altstadt zu.

Victoria kam das Stadtgebiet am östlichen Ufer der Moldau viel enger und dunkler vor als auf der westlichen Seite, von der sie und Sebastian gekommen waren. Die weißen Fassaden der Gebäude mit den vertrauten orangefarbenen Dächern standen dicht an dicht in engen, gewundenen Straßen mit Kopfsteinpflaster. Zehn bis zwölf Häuser von unterschiedlicher Höhe und Breite standen nebeneinander. In vielen Fenstern brannte Licht, doch Vorhänge oder Fensterläden verhinderten, dass man hineinschauen konnte, und die Beleuchtung reichte nicht, um die Schatten auf den Straßen zu vertreiben.

Als Victoria und der Untote weit genug von der Brücke entfernt waren, lenkte sie ihr Pferd in eine besonders dunkle Ecke und blieb stehen. »Ach ja«, sagte sie und tat so, als würde sie in einer Tasche kramen, die hinter ihren Sattel geschnallt war. Der Vampir kam dichter heran, und als sie aufsah, blickte sie direkt neben sich in rote Augen.

»Ich glaube, heute Nacht brauchen Sie keinen Platz zum Schlafen«, meinte er und griff nach ihrem Arm. »Aber wenn Sie darauf bestehen, kann ich bestimmt eine Unterkunft besorgen.«

»Ich halte das für keine gute Idee«, erwiderte Victoria gelassen. »Ich suche nach Katerina. Wo ist sie?«

»Wer sind Sie?«, fragte er, ohne jedoch vor ihr zurückzuweichen.

»Ich suche nach dem Ring von Jubai. Hat sie ihn?«

»Wer sind Sie?« Jetzt zog er sich von ihr zurück, wobei seine Augen vor Überraschung etwas blasser wurden.

Ungeduldig, weil er sich wiederholte, packte sie ihn vorn an seinem Gehrock. Und dann tauchte Sebastian direkt hinter dem Vampir auf, sodass ihm jetzt zwei Pferde den Weg versperrten und er nicht mehr aus dem dunklen Winkel herauskonnte.

Der Vampir, der letztendlich sogar zu dumm war, um mehr als nur ein bisschen besorgt auszusehen - aber nicht wirklich verängstigt -, drehte sich zu dem neu Dazugekommenen um.

»Ah, ich hatte mir schon gedacht, dass du das bist, Antonin«, sagte Sebastian mit seiner samtweichen Stimme. »Ich schlage vor, du nimmst deine Hände von ihr, wenn du den nächsten Sonnenaufgang — Verzeihung, ich meinte natürlich Sonnenuntergang - erleben möchtest.«

Antonin ließ Victoria los, wobei seine Augen eindeutig nicht mehr rosa waren. »Vioget?«

»Oh je, du scheinst dich überhaupt nicht darüber zu freuen, mich zu sehen.«

»Nein, das kann ich nicht behaupten. Und Katerina wird wahrscheinlich auch nicht erfreut sein, wenn man bedenkt, was beim letzten Mal vorgefallen ist.« Dann drehte er sich wieder zu Victoria um, und sie konnte sehen, dass sich ein berechnender Ausdruck auf sein Gesicht legte. »Und wer ist das hier, dass Sie sie so vehement beschützen?«

»Dies ist Illa Gardella. Ich glaube nicht, dass sie meinen Schutz braucht, Antonin.« In Sebastians Stimme schwang leichte Erheiterung mit.

»Illa Gardella. Der weibliche Venator.« Er rückte sich im Sattel zurecht. »Aber ich dachte, sie wäre tot. Dass man sie letztes Jahr in Rom getötet hätte.«

»Ihre Informationen sind falsch, denn wie Sie sehen, bin ich gesund und munter. Wenn Sie mich zu Katerina bringen — oder besser noch, mir den Ring von Jubai besorgen, lasse ich Sie vielleicht noch einen weiteren ... Was war es noch, Sebastian?... Sonnenaufgang?... sehen.« Sie rückte näher an ihn heran, und ihr stieg der Ruch untoten Fleisches in die Nase. »Oder vielleicht auch nicht.«

»Ist sie in der Gastwirtschaft?«, fragte Sebastian.

»Nicht nachts«, erwiderte Antonin. Als Sebastian ein ungläubiges Gesicht machte, setzte er hinzu: »Ich habe doch keinen Grund zu lügen! Ihr habt miteinander Streit, und ich würde höchstwahrscheinlich eine Belohnung bekommen, wenn ich Sie zu ihr brächte. Sie hat ihn nicht mehr abgelegt, seit sie ihn von Germintrude bekommen hat. Sie glaubt, dass er ihr dabei hilft, ihren Ehemann eines Tages zu ihr zurückzubringen.« Er nahm die Zügel auf, um sich in Bewegung zu setzen. »Katerina ist ein bisschen... verrückt.«

»Was für eine Untertreibung«, murmelte Sebastian.

Victoria sah ihn an und fragte sich, was genau er ihr nicht erzählt hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass Sebastian ihr nicht alles gesagt hatte. Dennoch, sie würden Katerina finden und den Ring holen. Und wenn der Vampir dabei das Zeitliche segnen sollte, würde Victoria eben einen anderen Toten für Max' Prüfung beschaffen.

Vielleicht würde es sogar dieser Unglückselige hier sein. Tatsächlich... wäre das wahrscheinlich noch nicht einmal eine schlechte Idee, dachte sie, während sie den Vampir in einem ganz neuen Licht betrachtete. Warum sollte Max mit einem starken Vampir wie Katerina kämpfen, wenn es mit diesem hier auch ging?

»Folgen Sie mir nach Josefov, in das jüdische Viertel«, sagte Antonin und nahm die Zügel auf.

»Mmm... wenn ich bitten dürfte«, sagte Sebastian, ohne zur Seite zu weichen. Er streckte den Arm aus und nahm dem Vampir die Zügel aus der Hand, um sie sich dann locker ums Handgelenk zu schlingen. »Ich hoffe, du bist nicht beleidigt, Antonin, aber ich traue dir nun mal nicht von hier bis zu meiner Nasenspitze.«

Der Untote gab einen Laut von sich, der sich wie ein Lachen anhörte, und Victoria sah, dass seine Augen wieder einen rötlichen Farbton angenommen hatten. Die Spitzen seiner Reißzähne berührten die Unterlippe. »Natürlich nicht. Sollen wir jetzt los?«

Sebastian und Antonin ritten voraus, und Victoria folgte dicht hinter ihnen durch das enge Gewirr von Straßen. Sie kamen an der berühmten astronomischen Uhr am Altstädter Ring vorbei, einem recht großzügig bemessenen Platz, der eine angenehme Abwechslung zu den engen Gassen Prags bildete. Es war erst zehn Uhr an einem schönen Sommerabend, und so waren noch viele Menschen auf den Straßen, gingen spazieren und unterhielten sich. Victoria bemerkte, dass Antonin mehr als einmal sehnsüchtige Blicke auf einsame Spaziergänger warf.

Er wünschte sich wahrscheinlich längst, nicht so schnell von der einfachen Frau auf der Brücke abgelassen zu haben.

Ihr Blick blieb am reich verzierten Portal der Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn hängen, jener Kathedrale, in welcher Max jetzt wahrscheinlich auf den Knien hockte. Sie hoffte es. Victoria spürte, dass Sebastian sie beobachtete, während sie zu dem großen Gebäude hinsah, welches sich hoch über den Platz erhob und von überall in der Stadt gesehen werden konnte. Die Doppeltürme reichten weit in den Himmel hinein.

»Der eine Turm steht für das Männliche in unserer Welt, der andere für das Weibliche«, raunte Sebastian ihr ins Ohr. Er hatte immer noch die Zügel von Antonins Pferd in der Hand. Victoria merkte, dass sie angehalten hatte und zu den ungleichen Türmen aufschaute. »Deshalb sind sie unterschiedlich. Möchtest du sie dir von innen ansehen?«

»Nein.« Ja. »Lass uns den Ring holen.«

»Wie die Dame wünscht.«

Sie ließen den Altstädter Ring hinter sich, wobei Victoria an der Kirche vorbeiritt, ohne noch einmal einen Blick darauf zu werfen. Von dem Platz gelangten sie wieder in das Gewirr von sich windenden schmalen Gassen, in denen es immer ruhiger und dunkler wurde, je weiter sie sich von der Innenstadt entfernten. Victoria hatte die ganze Zeit ein Frösteln im Nacken, und sie wusste, dass überall Untote lauerten. Aber obwohl sie und Sebastian sich stumm bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, wichen sie nicht vom Wege ab, um dem nachzugehen.

»Die Klausen-Synagoge«, sagte Antonin schließlich und deutete auf ein Gebäude mit schmuckloser Fassade. Nach den fast schon überladenen Kathedralen und anderen Bauwerken am Altstädter Ring wirkte dieses Gebäude sehr schlicht, wie es da weiß im Mondlicht schimmerte. »Dahinter befindet sich der alte Friedhof. Katerina hält sich normalerweise dort auf und wartet auf Sterbliche, die sich allein auf den Friedhof wagen.«

»Du zeigst uns wo«, sagte Sebastian und stieg ab, wobei er die Zügel von beiden Pferden in der Hand hielt.

Victoria und Sebastian blieben ganz dicht neben Antonin, als er sie an der Synagoge vorbei durch ein Tor auf den Friedhof führte. Sie hatte noch nie einen so dunklen Ort gesehen, an dem die Grabsteine überall kreuz und quer standen.

Die Steine ragten aus der Erde, als wären sie mit aller Wucht aus dem Boden gestoßen worden, und standen so dicht, dass man kaum zwischen ihnen hindurchgehen konnte. Die bröckelnden, schiefen, bemoosten Steine, von denen es hier Tausende zu geben schien und die auf so engem Raum standen, erinnerten Victoria an eine Katze mit gesträubtem Fell.

Es war fast unmöglich, sich zwischen den Steinen zu bewegen, ohne immer wieder auf Gräber zu treten, ja, es schien häufig noch nicht einmal Stellen mit Gras zu geben, auf die man den Fuß hätte setzen können. Ein unheimlicher Ort, der aber auch ganz viel Ruhe und Frieden ausstrahlte.

»Hier liegen zwölftausend Menschen begraben«, sagte Sebastian leise. »Aus Platzmangel ist man irgendwann dazu übergegangen, neue Gräber über alten anzulegen, und so liegen sie jetzt hier in mehreren Schichten.« Er hielt sich in ihrer Nähe und reichte ihr immer wieder zuvorkommend die Hand, um ihr über einen umgekippten Stein zu helfen.

»Wo ist Katerina?«, fragte Victoria, die merkte, dass sich kein neues Frösteln in ihrem Nacken eingestellt hatte... was passiert wäre, gäbe es noch einen Vampir in der Nähe.

»Ich weiß nicht. Sie müsste hier irgendwo sein«, beharrte Antonin und führte sie noch weiter in den Friedhof hinein. Victoria erblickte ein Grab, das wie ein großes Steinbett aussah, und in dem Moment merkte sie, dass die Luft zu vibrieren begann.

Es war keine Brise... nein, noch nicht einmal dieser eisige Hauch, der ihre Nackenhaare sich aufstellen ließ, wenn sie die Gegenwart von Untoten spürte. Victoria legte den Kopf in den Nacken und atmete mit bebenden Nasenflügeln ein, um einen Geruch zu erhaschen.

Ein kalter Schauer überlief sie, als sie den Geruch wahrnahm und merkte, wie die Luftbewegung stärker wurde. Sie schaute zu Sebastian und sah auch in seinen Augen, dass er wusste, womit sie es zu tun hatten. Sie wandte sich an ihren untoten Begleiter und fragte: »Was ist das? Warum haben Sie uns hergebracht?« Dabei legte sie die Hand auf ihr Schwertheft.

Doch der Vampir schien genauso entsetzt wie sie. Seine roten Augen waren weit aufgerissen und voller Furcht. »Ich... Was ist das?«, rief er und stolperte dabei rückwärts über einen Grabstein.

Er versuchte wegzulaufen, doch Sebastian bekam ihn an einem Arm zu fassen und schleuderte ihn gegen den nächsten Grabstein. Der Vampir stürzte, als Victorias Haar vom zunehmenden Wind aufgewirbelt wurde. »Was ist das?«, rief Sebastian.

»Ich weiß es nicht! Ich schwöre bei Luzifers Schwert... ich weiß es nicht!«

Victoria zog ihr Schwert und stellte fest, als sie aufschaute, dass der Sternenhimmel mit dem Halbmond nur noch ein schwaches Leuchten hinter einer sich auftürmenden schwarzen Wolke war.

Schon wieder. Nein, nicht schon wieder.

Ein Gefühl von Kälte, das nur wenig mit der Gegenwart von Untoten zu tun hatte, ergriff ihren Körper, ließ ihre Finger erstarren und ihre Reflexe erlahmen. Ein Blick in Antonins Gesicht sagte ihr, dass er — auch wenn er sie in eine Falle hatte locken wollen — mit so etwas nicht gerechnet hatte.

»Steh auf, du verdammter Narr«, brüllte Sebastian und riss den Vampir hoch. »Entweder du stehst das hier mit uns durch, oder du bekommst meinen Pflock zu spüren.«

»Aber das sind... Dämonen«, rief er. Seine Stimme wurde von dem aufkommenden Sturm fast übertönt. Die schrecklich vertrauten schwarzen Wolken zogen sich über ihnen zusammen, während der heftige Wind an Victorias kurzem Haar riss. »Sie werden uns umbringen.«

»Oder ich«, stieß Victoria hervor, während sie sich von dem armseligen Untoten abwandte, als die schwarzen, rotäugigen Kreaturen mit den langen Klauen über ihren Kopf hinwegschossen.

Sie schrie auf und ließ ihr Schwert durch die Luft sausen. Die Klinge fuhr durch die Schatten hindurch. Eisige Kälte sprang von der Schneide in ihren Arm und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus.

Victoria wankte, taumelte gegen einen Grabstein und stürzte zu Boden, wobei sie erst noch gegen einen anderen Stein krachte. Wütend brüllte sie auf und riss die Klinge wieder hoch. Welkes Laub und kleine Äste, die am Boden gelegen hatten, wirbelten auf und hagelten wie Fäuste auf sie nieder. Mühsam raffte sie sich auf, wobei sie sich mit der Schwertspitze an einem moosbedeckten Stein abstützte. Metall knirschte über Stein, ehe sie wieder den Kampf gegen die schwarzen Dämonen aufnahm.

Wieder traf sie und wurde noch langsamer, nachdem sie der Erscheinung den Kopf gespalten hatte und damit die lähmende Kälte in Kauf nahm, die durch ihren Körper schoss. Sebastian stieß mit ihr zusammen, und Rücken an Rücken strömte seine Wärme in sie, sodass sie sich wieder bewegen konnte.

»Idiot«, brüllte er Antonin an, der sich zwischen den Grabsteinen hingekauert hatte. Sebastian ließ seine Klinge durch die Luft sausen.

Victoria griff unter ihre Jacke und zog den Kopf ein, als noch ein Wesen dicht an ihr vorbeischoss. Ein kleines Kännchen baumelte geschützt in einem Lederbeutel, dessen Riemen über ihrer Schulter hingen, an ihrer Seite. Sie zog es heraus und spürte, dass Sebastian die Dämonen abwehrte, um ihr den Rücken freizuhalten, während sie den Korken herauszog.

»Fertig«, brüllte sie, um das Tosen des Windes zu übertönen, als sie sich zu Sebastian umdrehte. Er geriet kurz ins Taumeln, als er sein eigenes Fläschchen mit Weihwasser hervorzog, während sie eine der schwarzen Kreaturen aufspießte. Wieder versetzte ihr die unerträgliche Kälte einen Schock und ließ sie taumeln.

Sebastian hielt sie am Arm fest, ehe sie auf dem unebenen Grund das Gleichgewicht verlor und ihr Weihwasser verschüttete. Sie schauten einander kurz an und konnten dabei kaum die Gesichtszüge des anderen im Mahlstrom aus welkem Laub und Nebel erkennen.

»Los!«, brüllte Victoria, und beide wirbelten herum, wobei sie das Weihwasser aus den Behältern in die Luft spritzten.

Man hörte es zischen, knistern und sogar einen Wutschrei... Der Wind legte sich, als das Wasser die Wolken und Antonin traf, der immer noch neben einem der größeren Grabsteine kauerte.

Victoria erwog es, ihn zurückzulassen, doch dann packte sie ihn doch am Ärmel und zerrte ihn hinter sich her, während sie durch die Grabsteine hindurchrasten. Sie musste nur noch einmal mit ihrem Schwert zustoßen, ehe sie den Ausgang des Friedhofs erreichten. Die Kälte war nicht mehr so erdrückend wie zuvor, behinderte sie aber doch so sehr, dass sie vor Schmerzen keuchte.

Wie schon zuvor verlor die dämonische Wolke ihre Kraft und blieb grollend und tosend zurück, als sie den Friedhof verließen. Victoria konnte beobachten, wie sich die Wolke zusammenzog und im Dunkeln legte.

»Mussten Sie das tun?«, kreischte Antonin.

Victoria drehte sich zu ihm um und sah, dass das Weihwasser ihn mitten im Gesicht getroffen hatte. Es hatte die Haut weggefressen, sodass ein Augapfel nur noch lose in seiner Höhle zu liegen schien. Er hatte eine Hand über die klaffende Wunde gelegt, schien darüber aber weniger entsetzt als über die böse Macht, die sie hinter sich gelassen hatten.

Und sie hatten sie tatsächlich wie in London geschwächt vom Weihwasser hinter sich gelassen.

Oder die Dämonen hatten es vorgezogen, sie nicht zu verfolgen.

Victoria wusste nicht, was nun richtig war.

Sie zitterte und wirbelte zu dem Vampir herum. Ehe ihm überhaupt klar war, was geschah, war der Pflock bereits auf seine Brust gerichtet, und sie hatte ihn vorn am Hemd gepackt. »Mit was für einem Trick hast du uns da reinlegen wollen?«

»Kein Trick, kein Trick!«, kreischte er. »Das schwöre ich! Glauben Sie wirklich, ich wäre da reingegangen, wenn ich das gewusst hätte?«

»Wenn du uns nicht sofort zu Katerina bringst...«, drohte Sebastian, aber Victoria unterbrach ihn.

»Nein, er kommt jetzt mit uns, und wir suchen morgen früh weiter nach Katerina. Wenn die Sonne aufgegangen ist.« Wütend sah sie den Vampir an, der die Zähne gefletscht hatte. »Wir brauchen untotes Blut, und er sieht ganz so aus, als würde er es uns freiwillig geben.«

Sebastian nickte und half Victoria, dem Untoten die Hände auf dem Rücken zusammenzubinden.

»So was habe ich noch nie gesehen«, greinte er. »Noch nie. Das schwöre ich. Ich hatte da mal was gehört... Lassen Sie mich gehen, und ich bringe Sie zu Katerina.«

»Du hast etwas gehört?«, wiederholte Victoria, als sie wieder aufsaßen. Sie warf einen Blick auf den Friedhof und sah, dass die tobende Wolke sich fast vollständig aufgelöst hatte. Sie hatte die Dämonen, die sich als Wolke getarnt hatten, nicht bemerkt, als sie beim Friedhof angekommen waren, obwohl sie sich in erhöhter Alarmbereitschaft befunden hatte, weil sie mit einem Hinterhalt der Untoten rechnete... aber eigentlich nicht mit furchteinflößenden Dämonen. »Was meinst du damit, dass du etwas gehört hättest?«

»In letzter Zeit«, erwiderte Antonin, »gab es Vorfälle, von denen habe ich gehört. Und Katerina schien wegen ihres Friedhofs ein bisschen beunruhigt zu sein. Ich habe in dieser Sache nicht gelogen«, fügte er sich verteidigend hinzu. »Normalerweise ist sie nachts hier. Aber ich wusste ja nicht... Es war schrecklich.« Er schauderte. Sein Vampirgesicht verzog sich vor Furcht und wirkte durch das zerfetzte Fleisch noch grotesker.

Victoria beachtete seine letzte Bemerkung nicht weiter, sondern sah Sebastian an. Ihre wachsende Besorgnis spiegelte sich in seiner ernsten Miene wider, auch wenn sie sein Gesicht nicht deutlich erkennen konnte.

Noch mehr Dämonen. Dämonen, die sogar die Untoten in Furcht versetzten.

Dämonen, die einen mächtigen Vampir von seinem angestammten Friedhof vertrieben hatten.

Auch diese Erkenntnis war besorgniserregend. Vampire hassten Dämonen, aber sie hatten keine Angst vor ihnen. Zumindest hatten sie das früher nie gehabt.