Kapitel 4
Eine finstere Schlacht
Victoria fiel auf Sebastian, als sie stürzten und über den unebenen, kalten Boden rollten. Der Wind peitschte über sie hinweg, aber das Brausen in ihren Ohren hatte nachgelassen. Mit der Hand am Schwert kam sie taumelnd hoch, während sie versuchte, in dieser dunklen, tobenden Welt etwas zu erkennen. Einen Moment lang hatte sie den Eindruck, dass der Raum schwach erleuchtet war, und meinte, Umrisse auf dem Boden zu erkennen. Etwas Warmes berührte sie — Balsam in diesem tosenden Chaos —, und sie ergriff Sebastians Hand. Seine Finger schlossen sich fest und stark um sie, gaben ihr Halt, als jemand — Max? — hinter ihnen zu Boden stürzte.
Und dann schien der schreckliche Sturm noch lauter aufzuheulen, er toste, blies und pfiff noch heftiger, der Dunst fuhr ihr in Nase und Ohren und überzog ihre Haut mit brennenden Stichen ... und dann hörte es plötzlich auf.
Es wurde ganz still.
Die Tür war zu. Hatte Max sie geschlossen?
Victoria ließ Sebastian los und schaute sich ob der plötzlichen Ruhe misstrauisch um. Die schwache Beleuchtung, die sie wahrgenommen hatte, war nun ein bläuliches Schimmern in einer Ecke am anderen Ende des kleinen Raumes. Es überzog die nackten Steinwände, die Schimmel und Alter geschwärzt hatten, mit einem hellen Grau.
Eine große aschgraue Krypta erhob sich in der Mitte des Raumes.
»Max?«, sagte sie, wobei es ihr jedoch eher darum ging, ihre eigene Stimme in der plötzlichen Stille zu hören, als um irgendetwas anderes.
»Brim und Michalas sind noch draußen«, erwiderte er. Seine Stimme klang leise und angespannt in der Stille.
Sie fragte sich, ob das Schließen der Tür den rasenden Nebel bezwungen hatte oder ob er nur wartete und umso heftiger auf Brim und Michalas einschlug.
»Victoria.« Sebastian hatte sich von ihr entfernt und hockte jetzt nah bei der Ecke, in der es bläulich schimmerte.
Die Dringlichkeit, die in seiner Stimme mitschwang, ließ sie an der hüfthohen Krypta vorbei zu ihm eilen, die Hand am Schwert. Er erhob sich, als sie näher kam, sodass auch sie nun sehen konnte, dass der blaue Schein unter der Wand hervorzukommen und sich im Dunkel des Raumes zu kräuseln schien. Schwaden des unheimlichen blauen Lichts wanden sich um Sebastians Stiefel und Beine und krochen die Wände hoch... um sich dann aufzulösen, als hätten sie alle Kraft verloren.
Victorias und Sebastians Blicke trafen sich, und das seltsame Licht ließ seine gebräunte Haut bleich erscheinen. Sie sah die Sorge in seinen Augen und wusste, dass sie ihre eigenen Ängste widerspiegelten.
»Eine Tür«, sagte sie. Aber was war dahinter? Ein weiterer wütender Orkan? Wayren?
Max trat zu ihnen. Seine Miene war angespannt und besorgt. »Kommt. Wir machen sie auf.«
Ohne das weiter zu besprechen, drehten die beiden Männer sich zur Wand um und tasteten sie auf der Suche nach irgendwelchen Aussparungen ab, an denen man eine Tür hätte erkennen können, während Victoria an anderer Stelle nach einem Durchgang suchte.
Ein leiser Stoßseufzer der Befriedigung, der die Stille durchbrach, ließ sie in Max' Richtung sehen. »Hier - Vioget, da drücken.«
Und dann bewegte sich ein Teil der Wand ein wenig, wobei sich die eine Kante nach innen schob und die andere auf Victoria zukam. Ihr ganzer Körper spannte sich an; denn sie rechnete mit einem wütenden Brausen des trüben blauen Lichts. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sich noch mehr Qualm durch den Spalt wand. Leise wie heimtückischer Rauch.
Sie schaute Max an und gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er weitermachen sollte. Wieder bewegte sich die Tür und schwang so weit auf, bis die Öffnung groß genug war, dass man hindurchgehen konnte.
Jetzt strahlte das Zimmer in einem trüben blaugrauen Licht, und die Luft begann sich zusammenzuziehen. Victoria hörte das Brausen, während der Sturm Kraft sammelte. Es füllte den Raum, schien sich immer weiter auszudehnen und vor heftigem Zorn zu winden. Ein staubiger Mief, Odem des Bösen, stieg ihr in die Nase, und wieder begannen ihr eiskalte Stiche aufs Gesicht und sogar durch die Kleidung auf die Haut einzudringen. Der ohrenbetäubende Sturm toste, und seine wirbelnden Böen zerrten und rissen an ihr.
Sie zog den Kopf ein und ging in die Hocke, ehe sie in den Spalt sprang. Hinter sich hörte sie noch einen leisen Schrei. Kaum war sie durch die Tür hindurch, fand sie sich in einem anderen Raum wieder, der ebenfalls von dem blauen Rauch erfüllt war. Er glühte, als wäre er von irgendetwas besessen.
Es war hell genug, um die Wände zu erkennen, auf denen an manchen Stellen dunkle Schatten lagen. In der Mitte des Raumes loderten dunkelblaue Flammen bis zur niedrigen Decke. Der Geruch nach Tod und Bösartigkeit war hier noch stärker und das Brausen des Windes lauter.
Victoria behielt ihre kauernde Haltung bei, denn so konnte sie ihr Gleichgewicht besser halten. Dann näherte sie sich ganz langsam den sich windenden Flammen. Das Tosen wurde immer heftiger und stürmte auf ihren Rücken und Kopf ein, doch in der Nähe des Bodens war es ein bisschen weniger stark. Das Schwert schleifte neben ihr über die Erde, und die anderen Waffen, die sie in den Taschen trug, zogen ihre Kleidung nach unten.
Solch saphirblaues Feuer hatte sie bisher nur einmal gesehen, als Max Akvans Obelisken zerstört hatte - jenen dämonischen, von Bosheit erfüllten Obsidian. Ob dieses lodernde Feuer auch so ein böses Ding beschützte oder etwas anderes, wusste sie nicht.
Aber sie würde es herausfinden, denn sie war davon überzeugt, dass es etwas mit Wayrens Verschwinden zu tun hatte. Und die Rettung Wayrens hatte oberste Priorität, denn sie war die weise Ratgeberin der Venatoren. Es gab Venatoren, die Brim, Sebastian und sogar Victoria, Illa Gardella, ersetzen konnten ... doch es gab nur eine Wayren.
Der Steinboden brannte unter ihren Fingern, aber es war ein ganz seltsames Gefühl. Eisige Hitze versengte ihr die Finger und kroch ihr durch die Hose in die Knie. Brennende Hitze, die ihr Fleisch sofort vor Kälte erstarren ließ.
Trotz des Schmerzes bewegte sie sich weiter auf die Flammen zu, als leise Rufe an ihr Ohr drangen. Es hatte keinen Sinn, ihnen zu antworten; sie würden sie ohnehin nicht hören.
Und davon abgesehen war der sich windende, tosende Nebel zwar laut und bösartig, hatte aber nicht angegriffen und schien sie auch nicht verletzen zu können. Sie kroch weiter.
Endlich hatte sie das lodernde Feuer erreicht, und sie konnte sehen, dass es einen Ring bildete.
Und im Innern des Ringes lag ein bleicher, lebloser Körper.
Wayren.
Das lange blonde Haar war über ihren Körper und den Boden ausgebreitet, und ihr Gesicht war Victoria zugewandt. Ihre Augen waren geschlossen, und sie bewegte sich nicht.
Auf den Knien hockend richtete Victoria sich auf und schaute hinter sich. Bis auf ein paar kaum erkennbare Schatten, die sich im wirbelnden Dunst bewegten, konnte sie nichts sehen. Das lodernde Feuer schlug bis zur Decke, und als sie nach oben schaute, sah sie weitere Umrisse, die zwischen den Spitzen der Flammen wie große Fledermäuse oder Vögel umherflitzten. Die Umrisse hatten keine bestimmte Form, waren jedoch kompakter als der rauchige Nebel, der sie immer noch umhüllte.
Die Flammen schlugen zu hoch, als dass sie hätte versuchen können, über sie hinwegzuspringen oder sich von der Decke aus herunterzulassen, auch wenn sie in der Lage gewesen wäre, zwischen diesen widerlichen schwarzen Schatten hoch genug zu kommen. Der einzige Weg zu Wayren führte durch die Flammen.
Victoria kam ganz hoch und zog ihr Schwert. Der Wind peitschte weiter auf sie ein und zog ihr die Haare aus dem Zopf, sodass ihr lange Locken um Gesicht, Schultern und Oberkörper flogen. Einzelne Strähnen schnellten in die blauen Flammen, fingen Feuer und sprühten Funken. Victoria taumelte zurück, während sie mühsam versuchte, die losen Haare in ihr Hemd zu stopfen. Brennende Haare waren das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
Nachdem sie ihre Locken, so gut es bei dem heftigen Sturm eben ging, unter Kontrolle gebracht hatte, rückte sie mit schwingendem Schwert wieder vor und ließ es durch die Feuersbrunst schnellen, um zu sehen, ob das Metall überhaupt durchkam. Als es hindurchsauste und die Flammen durchschnitt, hielt plötzlich irgendetwas die Klinge auf, und das Schwert vibrierte in ihrer Hand.
Das Zittern war so stark, dass sie es über die Arme bis in die Schultern und in den Oberkörper spürte. Sie holte erneut aus, und wieder wurde das Schwert in Schwingungen versetzt, denen diesmal jedoch ein heißes Knistern folgte, das durch ihren Körper jagte.
Victoria taumelte zurück und starrte schwer atmend in die Flammen, während sie sich kurz fragte, ob Max und Sebastian ihr in den Raum gefolgt waren oder etwas sie aufgehalten hatte.
Ihr Blick richtete sich wieder auf Wayren. Die Frau hatte sich immer noch nicht bewegt, doch Victoria ging trotzdem nicht davon aus, dass sie tot war. Warum sollte man sie noch in diesem Feuerkreis gefangen halten, wenn man sie bereits getötet hatte? Sie musste einfach noch am Leben und zu retten sein.
Aber wie? Wie?
Verzweifelt und enttäuscht schlug Victoria wieder mit der Klinge zu und stellte fest, dass es dieses Mal noch schwerer war, das Schwert durch die Flammen zu fuhren. Der Wind riss sie fast um, heulte in ihren Ohren und übertönte alles, sogar das Knacken des Feuers. Das Haar hatte sich wieder aus ihrem Kragen gelöst und flog ihr um den Kopf.
Durch ihren Kampf gegen die Flammen gewann die Feuersbrunst an Kraft. Sie musste sich entscheiden. Sie musste zu Wayren, auch wenn dies bedeutete, durchs Feuer zu gehen.
Und dann erinnerte sie sich an die tiefe Tasche in ihrer Hose, in der sie eine Flasche mit Weihwasser mit sich führte. Immer noch am Boden kauernd, holte sie sie aus der Tasche, zog den Korken heraus und spritzte ein bisschen von dem Wasser in die Flammen.
Das Feuer zischte und wich zurück, nahm eine leuchtend gelbe Farbe an, und die Flammen schlugen einen ganz kurzen Moment nicht ganz so hoch... um dann jedoch mit noch mehr Wut und Kraft erneut aufzulodern, lauter und heißer als zuvor.
Das war es.
Victoria kam mit dem Schwert in der Hand hoch und wich ein paar Schritte zurück. Sie stieß mit dem Rücken gegen jemanden, der sie mit beiden Händen packte. Dieser Jemand schien ihren Namen zu rufen, der jedoch vom Wind übertönt wurde, obwohl er ihr direkt ins Ohr gebrüllt wurde.
»Wayren!«, brüllte sie zurück; sie wollte, dass er - es war Sebastian — verstand, worum es ging. Sie hob die Flasche mit dem Wasser hoch und hielt sie ihm vors Gesicht, damit er sehen konnte, was es war. Dann wandte sie sich von ihm ab, denn sie wusste, dass die Feuersbrunst mit jedem Moment, den sie zögerte, an Kraft gewann.
Sie riss sich von ihm los und sprang im tosenden Sturm mit einem Satz durch den dichten Qualm, wobei sie den gesamten Inhalt der Flasche auskippte, während sie in die Flammen sprang.
Das gelbe Abflauen ermöglichte es ihr, durch die Flammen zu springen und neben Wayren zu Boden zu gehen. Durch den Schwung taumelte sie gegen die Beine der Frau, aber das kreisförmige Feuer blieb, und innerhalb des Runds herrschte eine unheimliche Stille.
Victoria krabbelte zu Wayrens Gesicht hoch und berührte ihre Wange. Sie war warm. Dann ließ sie ihre Hand zum Hals der Frau gleiten, um den Puls zu fühlen. Da war nichts. Nichts.
Nein.
Sie strich mit der Hand über den liegenden Oberkörper der Frau, während sie innerlich darum flehte, eine Atembewegung zu spüren. In dem Moment regte sich Wayren unter ihrer Hand. Eine winzige Bewegung, nicht einmal ein Atemzug, nur ein leichtes Rühren. Fast ein Schaudern.
»Wayren«, rief Victoria in drängendem Ton. Wieder tastete sie nach dem Puls, aber weder an Wayrens Hals noch an ihrem Handgelenk spürte sie ein Lebenszeichen. Trotzdem war ihr Körper warm und fühlte sich... lebendig an.
Aus der Ferne hörte Victoria jemanden rufen, und als sie sich umschaute, sah sie Max und Sebastian auf der anderen Seite der Flammen stehen. Ihre Gesichter waren im wild umherwirbelnden blauen Nebel nicht zu erkennen, und was immer Max ihr zurufen mochte, wurde vom Sturmwind übertönt.
Mit heftigen Bewegungen deutete er nach oben. Sie schaute hoch und warf sich dann sofort auf den Boden, um Wayren mit ihrem Körper zu bedecken.
Die schwarzen Schatten waren zu festen Körpern mit glühenden orangefarbenen und roten Augen geworden, die lauerten und herabstießen. Sie sah Klauen aufblitzen und lange gebogene Reißzähne schimmern. Victoria griff nach ihrem Schwert.
Sie stand in der Mitte der blauen Flammen, als sie nach einer der schwarzen Gestalten ausholte, die näher kam. Ihre Klinge fuhr mitten hindurch, und eine Woge aus eisiger Kälte spülte über sie hinweg. Die Wucht, mit der sie davon getroffen wurde, ließ Victoria nach hinten wanken, sodass sie beinahe rücklings in die Feuersbrunst gestürzt wäre.
Sie fing sich gerade noch rechtzeitig mit Hilfe ihrer Schwertspitze und schaute zu Max und Sebastian. Sie deuteten aufeinander, aber sie konnte nicht erkennen, was sie damit meinten.
Wieder stürzte eine der schwarzen Gestalten herab, und Victoria hielt nach den Augen Ausschau, zielte mit dem Schwert, wobei sie versuchte, den Halsbereich zu treffen.
Sie holte aus, und ihr Arm beschrieb einen langen, hohen Bogen, ehe die Klinge in das schwarze Wesen schnitt. Es löste sich in einer Rauchwolke auf. Wieder stieß eins der Wesen herab, und noch eins, schneller und schneller, wobei sie die ruhige Luft innerhalb des Kreises aufwühlten.
Mit den Klauen riss ihr eins die Haut an Arm und Schulter auf, während ein anderes herabstieß und durch sie hindurchraste ... durch sie hindurch! ... sodass sie wieder in Richtung Feuer taumelte. Eiseskälte fuhr durch ihren Körper und lähmte Victoria für einen Moment, sodass sie zu Boden stürzte. Übelkeit stieg in ihr auf. Ihre Muskeln begannen zu zittern. Mühsam versuchte sie, Luft zu holen, kämpfte gegen den Schwindel an, der sie auf den Boden drückte. Ihr Griff um das Schwertheft hatte sich gelockert, und sie musste sich konzentrieren, so fest konzentrieren, um ihre Finger wieder zu schließen. Das Gewicht des schweren Hefts gab ihr ein bisschen Halt, sodass sie an ihren Bauch greifen konnte, um die beiden vis bullae unter ihrem Hemd zu berühren.
Eine ganze Weile blieb sie zusammengekauert liegen, damit sie den herabstoßenden schwarzen Wesen keine Angriffsfläche bot. Sie hoffte inständig, dass weder Max noch Sebastian so dumm waren, den Kreis zu durchbrechen, um zu ihr zu gelangen. Das galt ganz besonders für Max, der immer so agierte, als würde er noch seine vis bulla tragen.
Dass sie alle drei innerhalb des Feuerkreises festsaßen, war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten.
Als sie merkte, dass sie langsam wieder ihre Gliedmaßen bewegen konnte, hob sie den Kopf und krabbelte zu Wayren zurück. Sie blieb dicht am Boden und schaute unter den Flammen hindurch zu Max und Sebastian. Sie konnte sie nur verschwommen sehen, aber trotzdem erkannte sie, dass die beiden etwas in der Hand hielten.
Beide schienen eine Flasche in der Hand zu haben. Weihwasser?
Sebastian brüllte etwas, während Max Zeichen gab, woraufhin Victoria ihnen zunickte. Sie legte sich Wayrens warmen, schlaffen Körper über die Schulter, wobei sie so nah am Boden blieb, wie sie konnte, und wich erneut einem Angriff der schwarzen Dämonen aus.
Max hob die Faust und bewegte sie zum Zählen... eins... zwei... drei.
Die Arme der beiden Männer schossen gleichzeitig nach vorn. Victoria hörte das Zischen und Knacken des Feuers, während die Flammen sich hellgelb zusammenzogen, und sprang an der Stelle darüber hinweg, an der Max und Sebastian das Weihwasser ausgekippt hatten.
Sie krachte gegen Max, und beide stürzten zu Boden. Und wieder befand sie sich inmitten eines Sturms, wo der Lärm alles andere übertönte und sie durch die Wucht des rauchigen Nebels kaum aufrecht stehen konnte.
Victoria, die immer noch den schlaffen Körper Wayrens trug, begann sich Richtung Tür zu schleppen.
Doch sie war noch nicht weit gekommen, als starke Hände sie packten. Plötzlich war Max' Gesicht dicht neben ihrem, und er deutete mit einer ruckartigen Bewegung seines Kopfes in die entgegengesetzte Richtung.
Sie nickte, denn sie wusste, dass Max einen unfehlbaren Orientierungssinn hatte... der ihr völlig abging. Dann war auch Sebastian bei ihnen. Die drei rückten ganz eng zusammen und schirmten Wayrens Körper gegen die entfesselten Elemente ab. Mit Max als Anführer stolperten sie, eng zusammengedrängt, durch den ohrenbetäubenden, stechenden Sturm, in dem man nichts sehen konnte.
Die schwarzen Schatten stießen immer wieder tief herab und schlugen mit ihren ganz und gar nicht nebulösen Klauen zu. Einer der Dämonen packte sie am Haar und zog, sodass sie fast vom Boden abhob. Sie hatte das Gefühl, ihr würde gleich die Schädeldecke abgerissen werden.
Sie schrie auf und ließ Wayren los, damit sie in ihr Haar greifen konnte, während sie versuchte, ihr Schwert zu ziehen, ohne dabei ihre Gefährten aufzuschlitzen. Aber ehe sie es geschafft hatte, war Sebastian an ihrer Seite. Plötzlich war ihr Kopf wieder frei, und sie sah das wütende Herumwirbeln des sich auflösenden Dämons. Ihr Schädel pochte immer noch vor Schmerz, und sie hatte das Gefühl, einen halb kahlen Kopf zu haben. Doch sie hatte kaum Zeit, sich von dem Angriff zu erholen, als sich schon der nächste Dämon auf sie stürzte und ihr mit seinen scharfen Krallen Schultern und Rücken aufschlitzte.
Max und Sebastian erging es kaum besser. Darum bemüht, Wayren abzuschirmen, taumelten sie vorwärts, wobei sie immer wieder gegeneinanderstießen, während sie versuchten, die dämonischen Kreaturen abzuwehren. Victoria merkte, dass sie versuchte, auch Max vor den Angreifern zu schützen; denn trotz des die Sicht behindernden Nebels und der unübersichtlichen Lage bewegte er sich langsamer und schwerfälliger als sie und Sebastian. Sie versuchte, in seiner Nähe zu bleiben und seinen Rücken und seine Schultern vor den herabschießenden dämonischen Schatten zu decken.
Irgendwie schaffte Max es, sie zur offen stehenden Tür zu führen, durch die sie gekommen waren. Victoria stolperte, als sie sich hindurchzwängten, und stieß mit der Schulter an eine Kante, während eine der schrecklichen Kreaturen gegen ihren Rücken krachte.
Wieder musste sie Wayren loslassen, und sie spürte die volle Wucht des Schattenwesens, als dieses sie völlig unschattenhaft gegen die Steinmauer krachen ließ. Ihr Kopf schlug gegen harten Stein, und in ihren Ohren fing es so laut zu klingeln an, dass davon sogar das Getöse des Sturms übertönt wurde.
Jemand zog sie hoch, und taumelnd lief sie mit, während sie plötzlich der Wärme gewahr wurde, die ihre Kleidung tränkte und ihre Arme hinunterlief, sodass ihre Hände klebrig glatt wurden.
In der Kammer, die sie zuerst betreten hatten, war es dunkler — nicht weil es hier weniger schimmernden blauen Rauch gab, sondern mehr von den schrecklichen schwarzen Schatten. Sie schienen sich vervielfacht zu haben. Aber Victoria und ihre Gefährten gingen eng an Wayren gedrückt weiter in Richtung Tür.
Schließlich gelangten sie zur Außentür. Sie drängten sich so eng aneinander, dass sie Sebastian hinter sich spürte und Max' Bewegung, als er die Hand nach der Tür ausstreckte, um diese aufzustoßen. Als er den Arm mit dem Schwert hob, stieß er gegen Victoria, und sie spürte den Druck und jede seiner Bewegungen. Sie spürte Wayrens Gewicht, die Wärme ihres Körpers, die seidige Glätte ihres Haars und die Steinwand an ihrer Wange...
Und plötzlich stürzten sie durch die offene Tür. Das Tosen wurde leiser, der modrige Geruch des Bösen schwächer. Der Nebel wurde lichter, und die schwarzen Schatten flatterten auf und davon.
Die Tür war aufgegangen. Sie befanden sich draußen auf den Stufen.